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VG Köln: Juristische Person mit Sitz außerhalb der EU kann sich nicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen

VG Köln
Beschluss vom 14.11.2022
6 L 1523/22


Das VG Köln hat entschieden, dass sich eine juristische Person mit Sitz außerhalb der EUnicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann.

Leitsätze des Gerichts:
Wer auftragsbasiert den Interessen Dritter durch strategische Beratung und andere Dienstleistungen der Öffentlichkeitsarbeit zum Zwecke einer öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der Auftragsgeber dient und dabei auch Mittel, Methoden und Ausdrucksformen mit journalistisch-redaktionellem Anschein verwendet, kann sich nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) berufen.

Presseethische Grundsätze können auch als freiwillige Selbstverpflichtung in Form eines Pressekodex für die Bestimmung des Schutzbereichs der Pressefreiheit relevant sein.

Eine juristische Person, die ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union hat, kann sich nicht auf Art. 5 Abs. 1 GG berufen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist kein Anordnungsanspruch in Form einer Rechtsposition ersichtlich, die auf Art. 5 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG gestützt werden kann.

Gegen einen presserechtlichen Informationsanspruch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG),

vgl. dazu: VG Köln, Beschluss vom 22.08.2022 – 6 L 978/22 –, juris, Rn. 23 m. w. N.,

spricht bereits, dass die Antragstellerin keine Presse im Sinne des verfassungsunmittelbaren Informationsanspruchs ist. Publizistisch tätig, d. h. Vertreter der Presse, ist nur, wer deren Funktion wahrnimmt. Ob der erforderliche Funktionsbezug vorliegt, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab; das schließt typisierende Bewertungen nicht aus. Der Schutz der Pressefreiheit knüpft nach Maßgabe des weiten und formalen Pressebegriffs an das Substrat einer Publikation in gedruckter oder digitalisierter und zur Verbreitung geeigneter und bestimmter Form an. Darüber hinaus wird in inhaltlicher Hinsicht vorausgesetzt, dass die Publikation am Kommunikationsprozess zur Ermöglichung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung teilnimmt. Dies ist ohne weiteres regelmäßig nur bei Presseunternehmen wie etwa Zeitungs- oder Zeitschriftenverlagen gerechtfertigt. Entsprechendes gilt für Journalisten und Redakteure, deren Berufsbild ebenfalls von der Wahrnehmung dieser Aufgabe geprägt wird. Bei anderen Unternehmen fehlt es an einer vergleichbar eindeutigen Verknüpfung zwischen Tätigkeit und publizistischem Zweck. In diesen Fällen bedarf daher näherer Prüfung, ob der erforderliche Funktionsbezug vorliegt. Insoweit ist darauf abzustellen, welche Tätigkeit das Unternehmen prägt und wofür die begehrten Informationen verwendet werden (sollen). Der Informationsanspruch knüpft an die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe der Presse an. Dieser verfassungsrechtlich begründete Funktionsbezug verhindert ein zweckwidriges Ausufern des Kreises der Anspruchsberechtigten. Es ist daher jedenfalls zu verlangen, dass das journalistisch-redaktionell aufbereitete Angebot nach Inhalt und Verbreitungsart dazu bestimmt und geeignet ist, zur öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung beizutragen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.03.2019 – 7 C 26.17 –, juris, Rn. 24 ff. m. w. N.

An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Die Antragstellerin dient auftragsbasiert privaten Interessen oder auch Interessen von öffentlichen Trägern durch strategische Beratung und andere Dienstleistungen der Öffentlichkeitsarbeit zum Zwecke einer öffentlichen Meinungsbildung im Sinne der Auftragsgeber. Dazu verwendet sie möglicherweise auch Mittel, Methoden und Ausdrucksformen mit journalistisch-redaktionellem Anschein, die jedoch bereits aufgrund der Auftragsmotivation presseethischen Grundsätzen zuwiderlaufen, welche auch als freiwillige Selbstverpflichtung in Form von Pressekodices für die Bestimmung des Schutzbereichs der Pressefreiheit relevant sind.

Vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 13.10.2020 – 2 C 41.18 –, juris, Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 27. 06.2012 – 5 B 1463/11 –, juris, Rn. 47; VG Saarland, Urteil vom 12.10.2006 – 1 K 64/05 –, juris, Rn. 60 ff.

In Ziffer 6. der Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserates in der Fassung vom 11.11.2019,

abrufbar auf www.presserat.de/pressekodex.html,

heißt es: „Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.“ Laut Ziffer 7. gebietet die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden.

Im Übrigen nehmen auch nach der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ im Journalistenkodex des Schweizer Presserates in der Fassung vom 05.06.2008,

abrufbar unter www.presserat.ch/journalistenkodex/erklaerung,

Journalistinnen und Journalisten weder Vorteile noch Versprechungen an, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äußerung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken (Ziffer 9). Sie vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung und akzeptieren keinerlei Bedingungen von Seiten der Inserentinnen und Inserenten (Ziffer 10). Sie nehmen journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen, und akzeptieren sie nur dann, wenn diese zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten nicht im Gegensatz stehen (Ziffer 10).

Die Antragstellerin trägt vor, „ein Redaktionsbüro für die Belieferung von deutschsprachigen Medien mit tagesaktuellen Inhalten“ zu betreiben. Ihr Geschäftsführer ist ausweislich des in Kopie vorgelegten Presseausweises ein in der Schweiz akkreditierter Journalist. Auf ihrer Internetseite „Internetadresse wurde entfernt“ bewirbt die Antragstellerin sich als „content creation company“ folgendermaßen:

„[…]“

Ausweislich der Eintragung im Handelsregister des Kantons B. B1. ,

abrufbar unter: „Internetadresse wurde entfernt“

ist der Gesellschaftszweck der Antragstellerin wie folgt bestimmt:

„[…]“

von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützter Funktionsbezug zur Ermöglichung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung durch ein journalistisch-redaktionell aufbereitetes Angebot ist angesichts der gewerblichen Förderung der Eigeninteressen Dritter zu verneinen. Das Fehlen eines solchen Funktionsbezugs zeigt sich auch daran, dass die Antragstellerin als juristische Person kein eigenes Medium im presserechtlichen Sinne, sondern „corporate publishing“ für ihre Kunden in anderen „Medienkanälen“ betreibt. Das materielle Grundrecht der Pressefreiheit schützt Marketing und Lobbyismus auch dann nicht, wenn diese in journalistischen Erscheinungsformen betrieben werden.

Darüber hinaus steht einem presserechtlichen Anspruch wie auch einem auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gestützten Informationsfreiheitsanspruch der Antragstellerin entgegen, dass sie als ausländische juristische Person nicht grundrechtsberechtigt ist. Träger von Grundrechten sind in erster Linie natürliche Personen. Darüber hinaus gelten die Grundrechte gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Ausländische juristische Personen können sich dagegen nicht auf materielle Grundrechte berufen. Wortlaut und Sinn von Art. 19 Abs. 3 GG verbieten eine ausdehnende Auslegung auf ausländische juristische Personen im Hinblick auf materielle Grundrechte; die Staatsangehörigkeit der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen ist dabei unerheblich. Eine Ausnahme bilden nur ausländische juristische Personen, die ihren Sitz in der Europäischen Union haben. Auf diese juristischen Personen ist die Grundrechtsberechtigung zu erstrecken, wenn ein hinreichender Inlandsbezug besteht, der die Geltung der Grundrechte in gleicher Weise wie für inländische juristische Personen geboten erscheinen lässt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 – 2 BvR 1287/17 –, juris, Rn. 26 ff. m. w. N.; BFH, Beschluss vom 24.01.2001 – I R 81/99 –, juris, Rn. 8 f.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Sinne der Art. 772 - 827 des schweizerischen Obligationenrechts mit Sitz in C. (Kanton B. B1. ) sowie weiteren Niederlassungen in C1. (Kanton A. ) und in A1. Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist nicht Mitglied der Europäischen Union. Eine Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf schweizerische juristische Personen ergibt sich auch nicht aufgrund eines bilateralen Vertrages zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Union.

Vgl. dazu: BFH, Urteil vom 08.08.2013 – V R 3/11 –, juris, Rn. 38.

Unabhängig von der Frage eines Anordnungsanspruchs ist auch kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die wie hier auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, besteht nur dann, wenn dem Antragsteller ohne deren Erlass schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die nachträglich durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.01.2018 – 13 C 59/17 –, juris, Rn. 2 m. w. N.

Derartige Nachteile hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Es ist ihr auch ohne die begehrte Anordnung möglich, als Abonnentin („Follower“) des Twitter-Accounts des Bundesministeriums für Gesundheit (im Folgenden: Bundesministerium) von denjenigen Nachrichten („Tweets“) des Twitter-Accounts „Account-Adresse01“, die das Bundesministerium auf seinem Account @BMG_Bund mit Followern teilt („Retweets“), in zumutbarer Weise Kenntnis zu nehmen. Wenn die Antragsgegnerin auf ihrem eigenen Account Nachrichten des Twitter-Profils „Account-Adresse01“ mit Abonnenten teilt, wird die Antragstellerin davon unmittelbar in Kenntnis gesetzt. Zwar kann die Antragstellerin den Inhalt dieser Retweets nicht unmittelbar auf dem Account der Antragsgegnerin lesen, weil sie – die Antragstellerin – vom Nutzer des Accounts „Account-Adresse01“ blockiert worden ist. Allerdings ist es ihr ohne weiteres möglich, im Falle eines solchen Retweets den Inhalt der Twitter-Nachricht auf der Internetseite „Internetadresse wurde entfernt“ nachzulesen, auf der der Twitter-Feed des Accounts „Account-Adresse01“ eingebettet ist. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, warum ihr trotz dieser Möglichkeit schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die nicht mehr nachträglich durch eine Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden könnten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann im VW-Dieselskandal aufgrund deutscher Inkassolizenz für schweizer Kläger tätig werden

BGH
Urteil vom 13.06.2022
VIa ZR 418/21
financialright
RDG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen" über die Entscheidung berichten.

Leitsatz des BGH:
Die Inkassoerlaubnis umfasst den Einzug von Forderungen, die ausländischem Sachrecht unterfallen.

BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 418/21 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen

BGH
Urteil vom 13.06.2022
VIa ZR 418/21


Der BGH hat entschieden, dass der Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz nach Abtretung einklagen kann

Die Pressemitteilung des BGH:

Bundesgerichtshof entscheidet über die Zulässigkeit eines "Sammelklageninkassos" für Schweizer
Erwerber im sogenannten Dieselskandal

Der vom Präsidium des Bundesgerichtshofs vorübergehend als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat (vgl. Pressemitteilung Nr. 141/2021 vom 22. Juli 2021) hat heute entschieden, dass ein Inkassodienstleister sich wirksam Schadensersatzforderungen abtreten lassen kann, deren sich Schweizer Erwerber von Kraftfahrzeugen gegen die beklagte Volkswagen AG berühmen.

Sachverhalt:

Einer dieser Erwerber, ein Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz, kaufte – so im Revisionsverfahren zu unterstellen – im Februar 2015 in der Schweiz von einer Schweizer Vertragshändlerin der beklagten Fahrzeugherstellerin einen VW Tiguan mit Erstzulassung 2015. In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. In diesem Fall schaltete sie vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen Stickoxid-optimierten Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware). Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Das Kraftfahrt-Bundesamt bewertete diese Software als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete für die betroffenen Fahrzeuge einen Rückruf an. In der Schweiz erließ das Bundesamt für Straßen (ASTRA) im Oktober 2015 ein vorläufiges Zulassungsverbot für bestimmte Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Baureihe EA 189, von dem das Fahrzeug des Zedenten nicht betroffen war. Der Erwerber ließ Ende 2016 ein Software-Update aufspielen.

Am 18. Dezember 2017 trat der Erwerber – so wiederum im Revisionsverfahren zu unterstellen – seine Forderungen gegen die Beklagte an die Klägerin, eine nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin in der Rechtsform einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, treuhänderisch zur Einziehung ab. Die Klägerin sollte die Forderung zunächst außergerichtlich geltend machen. Im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Geltendmachung sollte die Klägerin die Ansprüche im eigenem Namen gerichtlich geltend machen, wobei ihr im Erfolgsfall eine Provision zukommen sollte. Der Erwerber sollte für etwaige Kosten der Rechtsverfolgung nicht aufkommen müssen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin, die sich in über 2000 Fällen in entsprechender Weise Forderungen von Schweizer Erwerbern treuhänderisch zur Einziehung hat abtreten lassen, hat bei dem Landgericht 2019 eine Klage erhoben, in der sie sämtliche Forderungen zum Gegenstand von Feststellungsbegehren gemacht hat. Das Landgericht hat das Verfahren die Ansprüche des einen Erwerbers betreffend abgetrennt. Auf richterlichen Hinweis hat die Klägerin sodann ihren Antrag umgestellt und die Beklagte auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrags, mindestens jedoch CHF 5.394 (15% des Kaufpreises als Minderwert) zuzüglich Zinsen ab Übergabe des Fahrzeugs, in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin fehle für die Geltendmachung der Schadensersatzforderung des Erwerbers die Aktivlegitimation. Die Klägerin habe für die Geltendmachung der Forderung, die Schweizer Recht unterfalle, einer Erlaubnis nicht nur – wie vorhanden – nach § 2 Abs. 2 Satz 1, §§ 3, 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG, sondern nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedurft, über die sie nicht verfüge. Folge des Fehlens der Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG sei, dass die Klägerin durch ihr Tätigwerden gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstoßen habe. Dieser Verstoß führe nicht nur zur Nichtigkeit des der Abtretung zugrundeliegenden schuldrechtlichen Dienstleistungsvertrags mit dem Zedenten, sondern auch zur Nichtigkeit der Forderungsabtretung.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat anhand einer am Wortlaut, an der Systematik und an Sinn und Zweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes sowie an der Gesetzgebungsgeschichte orientierten Auslegung klargestellt, dass ein nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG registrierter Inkassodienstleister auch dann keiner weiteren Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG bedarf, wenn er eine ihm treuhänderisch übertragene und einem ausländischen Sachrecht unterfallende Forderung außergerichtlich geltend macht. Dabei hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 27. November 2019 (VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89, vgl. Pressemitteilung Nr. 153/2019) und des II. Zivilsenats vom 13. Juli 2021 (II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, vgl. Pressemitteilung Nr. 127/2021) berücksichtigt. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Abhängigmachen der Tätigkeit der Klägerin von einer zusätzlichen Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 RDG zur Erreichung des Schutzzwecks des Rechtsdienstleistungsgesetzes nicht erforderlich ist.

Weil sich schon deshalb die Auffassung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft erwies, der Klägerin fehle wegen einer aus einem Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz folgenden Nichtigkeit der Abtretung die Aktivlegitimation, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr mit der inhaltlichen Berechtigung der Forderung des Zedenten zu befassen haben.

Vorinstanzen:

Landgericht Braunschweig – Urteil vom 30. April 2020 – 11 O 3092/19

Oberlandesgericht Braunschweig – Urteil vom 7. Oktober 2021 – 8 U 40/21

Die maßgeblichen Vorschriften des Rechtsdienstleistungsgesetzes lauten:

§ 10 Rechtsdienstleistungen aufgrund besonderer Sachkunde

(1) Natürliche und juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, die bei der zuständigen Behörde registriert sind (registrierte Personen), dürfen aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in folgenden Bereichen erbringen:

1. Inkassodienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1),

2. […]

3. Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht; ist das ausländische Recht das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, darf auch auf dem Gebiet des Rechts der Europäischen Union und des Rechts des Europäischen Wirtschaftsraums beraten werden.

Die Registrierung kann auf einen Teilbereich der in Satz 1 genannten Bereiche beschränkt werden, wenn sich der Teilbereich von den anderen in den Bereich fallenden Tätigkeiten trennen lässt und der Registrierung für den Teilbereich keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses entgegenstehen.




OLG Braunschweig: Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH kann Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal nicht auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz einklagen kann

OLG Braunschweig
Urteil vom 07.10.2021
8 U 40/21


Das OLG Braunschweig hat entschieden, dass der Legal-Tech-Anbieter Financialright GmbH Schadensersatzansprüche eines Schweizers im VW-Dieselskandal nicht auf Grundlage einer deutschen Inkassolizenz einklagen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Berufung der financialright GmbH in dem Verfahren gegen die VW AG abgewiesen

Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat mit Urteil vom 07. Oktober 2021 (8 U 40/21) die Berufung der Klägerin, die financialright GmbH, gegen die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig (11 O 3092/19) zurückgewiesen. Der Senat hat – wie bereits das Landgericht Braunschweig zuvor – entschieden, dass der Klägerin, die aus abgetretenem Recht gegen die beklagte VW AG vorgegangen ist, die dafür notwendige Aktivlegitimation fehle.

Die Klägerin, eine nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierte Inkassodienstleisterin, ließ sich im Zuge des sog. Diesel-Abgasskandals europaweit von Käufern von Dieselfahrzeugen Ansprüche abtreten, um diese gegenüber der Beklagten, der VW AG, im eigenen Namen durchzusetzen. So auch in dem vorliegenden Berufungsverfahren, in dem sie mit einem in der Schweiz ansässigen Käufer eines Fahrzeuges VW Tiguan, das über einen Dieselmotor vom Typ EA 189 verfügt, eine entsprechende Abtretungsvereinbarung getroffen hatte. Die Klägerin machte diese Forderung zunächst „gebündelt“ im Wege einer objektiven Klagehäufung mit ca. 2.000 weiteren Ansprüchen beim Landgericht anhängig. Das Landgericht trennte den streitgegenständlichen Anspruch ab, verhandelte über ihn in einem gesonderten Verfahren und wies ihn mit Urteil vom 30.04.2020 wegen fehlender Aktivlegitimation zurück. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die Klägerin mit dem streitgegenständlichen Geschäftsmodell die Befugnisse zur Erbringung von Inkassodienstleistungen überschreite, weshalb die Abtretung nichtig sei.

Diese rechtliche Bewertung ist nach Auffassung des 8. Zivilsenats zutreffend. Bei der Abtretungsvereinbarung handele es sich um eine Inkassodienstleistung in Form einer Rechtsdienstleistung gem. § 2 Abs. 2 RDG, da die Klägerin die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäftsmodell betreibe. Damit unterfällt die Tätigkeit dem Rechtsdienstleistungsgesetz, dessen Schutzzweck darin besteht, die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. § 3 RDG sieht daher für die selbstständige Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen eine Erlaubnispflicht vor. Einen solchen Erlaubnistatbestand enthält § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG. Danach dürfen registrierte Personen, die - wie vorliegend die Klägerin - im Rechtsdienstleistungsregister eingetragen sind, aufgrund nachgewiesener Sachkunde grundsätzlich Rechtsdienstleistungen in dem Bereich der Inkassodienstleistungen erbringen.

In der vorliegenden Konstellation habe die Klägerin aber die ihr danach erteilte Befugnis überschritten, da sie die Einziehung einer Forderung übernommen habe, deren Berechtigung sich nach einem ausländischen (hier dem schweizerischen) Recht beurteile. Zwar dürfen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 RDG auch Rechtsdienstleistungen „in einem ausländischen Recht“ aufgrund besonderer Sachkunde erbracht werden. Eine solche habe die Klägerin jedoch nicht nachgewiesen. Auch könne sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass der Rechtsdienstleister bei einer Einziehung einer Forderung deren Bestand nicht rechtlich zu prüfen habe. Das Inkassounternehmen übernehme nämlich - so der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - vielmehr die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung fremder Rechte oder Vermögensinteressen. Daraus folge aber auch, dass die rechtliche Bewertung von solchen Forderungen durchaus zum Kernbereich der Inkassotätigkeit gehöre. In dem vorliegenden Fall wäre die Klägerin zudem ohne diese rechtliche Bewertung und materielle Prüfung des behaupteten Schadensersatzanspruchs gar nicht in der Lage gewesen, diesen zu beziffern. Aufgrund des Verstoßes gegen die Erlaubnispflicht sei die Abtretung nach § 134 BGB nichtig und die Klägerin in dem Verfahren daher nicht befugt, die Rechte des Käufers geltend zu machen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zugelassen und damit die Überprüfung der Entscheidung durch den Bundesgerichtshof ermöglicht.


LG München: Unlautere Rufausbeutung durch "Schweizer Taschenmesser" aus China

LG München
Urteil vom 15.06.2021
33 O 7646/20

Das LG München hat entschieden, dass eine unlautere Rufausbeutung durch Anbieten eines "Schweizer Taschenmessers" aus China vorliegt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Schweizer Taschenmesser

Die auf Marken- und Wettbewerbsrecht spezialisierte 33. Zivilkammer das Landgerichts München I hat mit Urteil vom 15.06.2021 einer Klage der Herstellerin des bekannten Schweizer Taschenmessers stattgegeben, mit der sich diese gegen die Verwendung bestimmter Kennzeichen mit eindeutigem Bezug zur Schweiz durch die Beklagte wendet (Az. 33 O 7646/20).

Die Kammer hat mit ihrem Urteil der Beklagten unter anderem verboten, bestimmte Taschenmesser und Multifunktionswerkzeuge mit den Angaben „SWITZERLAND“ oder solchen Zeichen zu versehen, die isoliert oder als Bestandteil grafische Gestaltungen der Schweizer Flagge enthalten.

Die Beklagte hatte über eine Online-Plattform Taschenmesser und Multifunktionswerkzeuge angeboten. Dabei waren auf den Produkten selbst oder jedenfalls auf deren Verpackungen der Schriftzug „Switzerland“ bzw. „Swiss“, die Schweizer Flagge sowie verschiedene Logos, die diese Flagge in ihre Gestaltung aufgenommen hatten, abgebildet. Die angebotenen Taschenmesser und Multifunktionswerkzeuge waren zudem in roter Farbe gehalten. Tatsächlich werden diese Produkte nicht in der Schweiz, sondern in China produziert.

Nach Auffassung der Kammer stellen die von der Beklagten verwendeten Zeichen geographische Herkunftsangaben dar, deren guten Ruf die Beklagte in unlauterer Weise ohne rechtfertigenden Grund ausnutzt. Für die Annahme einer Rufausbeutung ausschlaggebend war dabei nach Ansicht der Kammer, dass sich die Beklagte mit den Gestaltungen ihrer Produkte eng an die von der Klägerin hergestellten „Schweizer Taschenmesser“ anlehne. Gerade die Produkte der Klägerin tragen aber entscheidend zum guten Ruf der geographischen Herkunftsangaben mit Bezug zur Schweiz bei.

Die Beklagte hatte dagegen argumentiert, bei den von ihr vertriebenen Produkten handele es sich klar erkennbar um „Souvenirartikel“. Man schließe deshalb nicht von der Kennzeichnung auf eine Herstellung in der Schweiz. Eine Irreführung der Verbraucher werde auch bereits dadurch ausgeräumt, dass auf den Produktverpackungen deutlich sichtbar der Hinweis „Made in China“ angebracht sei.

Ob Verbraucher zudem durch die Kennzeichnungspraxis der Beklagten in die Irre geführt werden, da sie davon ausgehen, die Beklagte lasse ihre Taschenmesser und Multifunktionswerkzeuge in der Schweiz produzieren, ließ die Kammer offen. Zur Begründung führte das Gericht in seinen Urteilsgründen aus: Sofern der gute Ruf einer geographischen Herkunftsangabe auf unlautere Weise ausgenutzt werde, sei für die Annahme entsprechender Unterlassungsansprüche nicht zusätzlich noch erforderlich, dass die angesprochenen Verkehrskreise auch über die Herkunft der Produkte in die Irre geführt werden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.


EuGH: Keine ernsthafte Benutzung einer deutschen Marke bzw. Gemeinschaftsmarke, wenn diese nur in der Schweiz genutzt wird

EuGH
Urteil vom 12.12.2013
C-445/12 P
BASKAYA


Der EuGH hat entschieden, dass keine ernsthafte Benutzung einer deutschen Marke bzw. Gemeinschaftsmarke vorliegt, wenn diese nur in der Schweiz genutzt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95, der die Harmonisierung der nationalen Vorschriften über die Marken bezweckt, sieht aber vor, dass eine Marke, deren Inhaber diese nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht ernsthaft in dem betreffenden Mitgliedstaat benutzt, den in dieser Richtlinie vorgesehenen Sanktionen unterliegt, zu denen u. a. die Nichtigkeit gehört.

Folglich hat das Gericht rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Begriff der Benutzung der Gemeinschaftsmarke im Gebiet der Union allein durch das Unionsrecht erschöpfend geregelt wird.
[...]
Insbesondere erlaubt Art. 111 Abs. 1 dieser Verordnung dem Inhaber eines älteren Rechts von örtlicher Bedeutung, sich der Benutzung der Gemeinschaftsmarke in dem Gebiet, in dem dieses ältere Recht geschützt ist, zu widersetzen, sofern dies nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats zulässig ist.

Demnach hat das Gericht in Randnr. 36 des angefochtenen Urteils zu Recht entschieden, dass der Grundsatz der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsmarke nicht uneingeschränkt gilt."



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: