Skip to content

BGH: Keine Urheberrechtsverletzung und keine Ansprüche des Fotografen wenn eine Fototapete auf der Abbildung von Räumlichkeiten im Internet zu sehen ist

BGH
Urteile vom 11.09.2024
I ZR 139/23; I ZR 140/23; I ZR 141/23


Der BGH hat völlig zutreffend entschieden, dass keine Urheberrechtsverletzung vorliegt und der Fotograf somit keine Ansprüche hat, wenn eine Fototapete auf der Abbildung von Räumlichkeiten im Internet zu sehen ist.

Die Pressemitteilung des BGH:
Urheberrechtliche Zulässigkeit der Nutzung von Abbildungen einer Fototapete

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in drei Revisionsverfahren entschieden, dass die Nutzung von Abbildungen einer Fototapete im Internet die nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechte an den auf der Tapete abgedruckten Fotografien nicht verletzt.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist ein von einem Berufsfotografen gegründetes Unternehmen, das von dem Fotografen angefertigte Lichtbilder als Fototapeten vermarktet.

Die Beklagte im Verfahren I ZR 139/23 erwarb über eine Internetseite eine Fototapete, auf der eine Fotografie abgedruckt ist, an der die Klägerin Rechte beansprucht. Die Beklagte ließ die Tapete an einer Wand in ihrem Haus anbringen. Die Tapete war in mehreren Videobeiträgen auf ihrem Facebook-Auftritt im Hintergrund zu sehen.

Die Beklagte im Verfahren I ZR 140/23 betreibt eine Web- und Medienagentur. Sie stellte ein Bildschirmfoto der von ihr gestalteten Internetseite eines Tenniscenters auf ihrer eigenen Internetseite ein. Auf dem Bildschirmfoto ist der Gastraum des Tenniscenters mit einer Fototapete zu sehen, an deren Bildmotiv die Klägerin die Urheberrechte beansprucht.

Der Beklagte im Verfahren I ZR 141/23 verwendete eine Fototapete mit einem Bildmotiv, an dem die Klägerin Rechte beansprucht, als Wandtapete in einem Zimmer des von ihm betriebenen Hotels. Die Wandtapete ist auf einem Foto erkennbar, mit dem der Beklagte seine Dienstleistungen im Internet bewarb.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Abbildungen der Fototapeten auf Fotos und Videos im Internet verletze die ihr vom Fotografen eingeräumten Nutzungsrechte an den auf den Tapeten abgedruckten Fotografien. Sie hat die Beklagten in allen Verfahren auf Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten sowie im Verfahren I ZR 141/23 zusätzlich auf Auskunft über den Umfang der Verwendung der Fotografie in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Mit den vom Landgericht zugelassenen Revisionen verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

Die Revisionen der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Die auf § 97 Abs. 1 und 2 UrhG, § 97a Abs. 3 UrhG sowie § 242 BGB gestützten Ansprüche auf Schadensersatz, Erstattung der Abmahnkosten und Auskunftserteilung sind unbegründet, weil der durch die Beklagten jeweils vorgenommene Eingriff in das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - aufgrund einer konkludenten Einwilligung des Urhebers gerechtfertigt war.

Ob ein Verhalten des Berechtigten als schlichte Einwilligung in den Eingriff in ein durch das Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht anzusehen ist, hängt von dem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers ab. Dabei ist maßgeblich, ob es um nach den Umständen übliche Nutzungshandlungen geht, mit denen der Berechtigte rechnen muss, wenn er sein Werk Nutzern ohne Einschränkungen frei zugänglich macht.

Das Berufungsgericht ist in allen Verfahren in rechtsfehlerfreier tatgerichtlicher Würdigung und im Einklang mit der Lebenserfahrung davon ausgegangen, dass die Vervielfältigung durch Anfertigung von Fotografien und Videoaufnahmen in mit Fototapeten dekorierten Räumen sowie das Einstellen dieser Fotografien und Videos im Internet - sowohl zu privaten als auch zu gewerblichen Zwecken - üblich ist und damit im für den Urheber vorhersehbaren Rahmen der vertragsgemäßen Verwendung der Fototapeten lag. Dem Urheber steht es frei, im Rahmen des Vertriebs vertraglich Einschränkungen der Nutzung zu vereinbaren und auf solche Einschränkungen - etwa durch das Anbringen einer Urheberbezeichnung oder eines Rechtsvorbehalts - auch für Dritte erkennbar hinzuweisen. Daran fehlte es in den Streitfällen.

Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass sich auch die im Verfahren I ZR 140/23 in Anspruch genommene Web- und Medienagentur auf eine wirksame konkludente Einwilligung berufen konnte. Die Wirksamkeit einer Einwilligung setzt nicht voraus, dass sie gegenüber demjenigen erklärt wird, der in Urheberrechte eingreift. Ausreichend ist ein Verhalten des Berechtigten, dem aus der Sicht eines objektiven Dritten die Bedeutung zukommt, dass der Berechtigte den Eingriff in seinen Rechtskreis gestattet. Nicht nur die Käufer von ohne Einschränkungen veräußerten Fototapeten, die ihre Räumlichkeiten damit dekorieren, Fotografien und Videoaufnahmen dieser Räume fertigen und diese im Internet einstellen, können sich auf eine konkludente Einwilligung des Urhebers in die dabei erfolgende Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung der für die Fototapete verwendeten Fotografie berufen. Vielmehr können sich auch Dritte auf eine konkludente Einwilligung des Fotografen stützen, wenn ihre Nutzungshandlungen aus objektiver Sicht als üblich anzusehen sind.

Der Bundesgerichtshof hat außerdem die in allen Verfahren getroffene Annahme des Berufungsgerichts gebilligt, dass Ansprüche wegen Verletzung des Urheberbenennungsrechts gemäß § 13 Satz 2 UrhG nicht bestehen, weil der Urheber im Rahmen des Vertriebs der Fototapeten auf dieses Recht durch schlüssiges Verhalten verzichtet hat.

Vorinstanzen:

im Verfahren I ZR 139/23

LG Düsseldorf - Urteil vom 27. September 2023 - 12 S 23/22

AG Düsseldorf - Urteil vom 13. Dezember 2022 - 13 C 65/22

im Verfahren I ZR 140/23

LG Düsseldorf - Urteil vom 27. September 2023 - 12 S 24/22

AG Düsseldorf - Urteil vom 13. Dezember 2022 - 13 C 62/22

im Verfahren I ZR 141/23

LG Düsseldorf - Urteil vom 27. September 2023 - 12 S 25/22

AG Düsseldorf - Urteil vom 13. Dezember 2022 - 13 C 64/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 13 UrhG

Der Urheber hat das Recht auf Anerkennung seiner Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist.

§ 16 Abs. 1 UrhG

(1) Das Vervielfältigungsrecht ist das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl. [...]

§ 19a UrhG

Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.

§ 97 UrhG

(1) Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. [...]

§ 97a Abs. 3 Satz 1 UrhG

[...]

(3) Soweit die Abmahnung berechtigt ist und Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 4 entspricht, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden. [...]



BGH: Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens

BGH
Urteil vom 25.06.2024
VI ZR 64/23
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch wegen Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens nur bei vorherigem Opt-Out des Presseunternehmens bestehen kann.

Leitsatz des BGH:
Die Übersendung eines presserechtlichen Informationsschreibens an ein Presseunternehmen stellt grundsätzlich nur dann einen unmittelbaren Eingriff in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wenn es zuvor durch ein sogenanntes Opt-Out zu verstehen gegeben hat, dass es die Zusendung solcher Schreiben nicht wünscht (Weiterführung Senatsurteil vom 15. Januar 2019 - VI ZR 506/17, AfP 2019, 40).

BGH, Urteil vom 25. Juni 2024 - VI ZR 64/23 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidungf finden Sie hier:

BGH: Begriff der "breiten Öffentlichkeit" in der CLP-Verordnung meint nicht "jedermann" sondern dient der Abgrenzung von den Fachkreisen

BGH
Urteil vom 11.07.2024
I ZR 164/23
nikotinhaltige Liquids
Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 Art. 32 Abs. 1, Art. 35 Abs. 2 Unterabsatz 1 Halbsatz 1


Der BGH hat entschieden, dass der Begriff der "breiten Öffentlichkeit" in der CLP-Verordnung nicht "jedermann" meint, sondern der Abgrenzung von den Fachkreisen dient.

Leitsätze des BGH:
a) Nach dem Gebot des Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-Verordnung), die Gefahrenpiktogramme, Signalwörter, Gefahrenhinweise und Sicherheitshinweise auf dem Kennzeichnungsetikett zusammen anzuordnen, muss zwischen diesen einzelnen Kennzeichnungselementen ein Kennzeichnungszusammenhang dergestalt hergestellt werden, dass sie in einem unmittelbaren visuellen Zusammenhang stehen.

b) Der in der CLP-Verordnung verwendete Begriff der breiten Öffentlichkeit ist nicht im Sinn von "jedermann", sondern in Abgrenzung von den Fachkreisen zu verstehen.

BGH, Urteil vom 11. Juli 2024 - I ZR 164/23 - OLG Hamm - LG Essen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Köln: Rechtsprechung des BGH in Sachen "Das Boot I - III" zum Nachvergütungsanspruch nach § 32a UrhG ist nicht schematisch auf andere Produktionen anzuwenden

LG Köln
Urteil vom 01.08.2024
14 O 59/22

Das LG Köln hat entschieden, dass die Rechtsprechung des BGH in Sachen "Das Boot I - III" zum Nachvergütungsanspruch nach § 32a UrhG nicht schematisch auf andere Produktionen anzuwenden ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Kläger ist jedoch aktivlegitimiert. Es ist unstreitig, dass zum einen der Kläger Alleinerbe des Herrn Dr. Z. O. (vgl. §§ 28 Abs. 1, 30 UrhG) ist und zum anderen Herr Dr. O. als Regisseur jedenfalls Miturheber aller streitgegenständlicher Filme ist. Es ist auch unstreitig, dass alle Filme als Werke nach § 2 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 UrhG anzusehen sind.

Der Kläger ist berechtigt, den Anspruch auf weitere angemessene Beteiligung gem. § 32a UrhG unabhängig von anderen Miturhebern geltend zu machen, und er kann Zahlung allein an sich selbst verlangen. Er kann neben dem Anspruch auf Einwilligung in die Vertragsanpassung auch eine Zahlungsklage erheben, obwohl die Bestimmung des § 32a II 1 UrhG iVm § 32a I 1 UrhG ihrem Wortlaut nach keinen Zahlungsanspruch, sondern einen Anspruch auf Vertragsanpassung gewährt (BGH GRUR 2021, 955, Rn. 133 – Das Boot III; GRUR 2020, 611 Rn. 23 – Das Boot II).

2. Die Beklagten sind auch im Ausgangspunkt als „Dritte“ gem. § 32a Abs. 2 S. 1 UrhG verpflichtet, einen Anspruch des Klägers auf weitere angemessene Beteiligung zu erfüllen – wenn ein solcher anzunehmen wäre. Der Vater des Klägers hatte jeweils den Produktionsgesellschaften der jeweiligen streitgegenständlichen Filme das Recht zur Nutzung seiner urheberrechtlich geschützten Leistungen eingeräumt. Mit diesen Rechteinhabern hat die Degeto Film GmbH jeweils Lizenzverträge zugunsten aller Beklagten geschlossen. Die Beklagten leiten ihre Rechte zur Nutzung der Filme im Rahmen der Fernsehauswertung unmittelbar von der Degeto Film GmbH, mittelbar von den Rechteinhabern her.

3. Die Beantwortung der Frage, ob im Lichte der Erträgnisse oder Vorteile eines Dritten eine unverhältnismäßig niedrige Vergütung des Urhebers iSv § 32a II 1 iVm Abs. 1 S. 1 UrhG (alte Gesetzesfassung: auffälliges Missverhältnis zwischen der als Gegenleistung für die Einräumung des Nutzungsrechts vereinbarten Vergütung des Urhebers und den aus der Nutzung des Werkes erzielten Erträgnissen und Vorteilen des Dritten) besteht, setzt nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. GRUR 2012, 496 Rn. 40 – Das Boot I; GRUR 2020, 611 Rn. 25 – Das Boot II; GRUR 2021, 955, Rn. 135 – Das Boot III) zunächst auf erster Stufe die Feststellung der mit dem Urheber vereinbarten Vergütung (dazu unten a.) und auf zweiter Stufe der vom Dritten erzielten Erträgnisse und Vorteile (dazu unten b.) voraus. Jedoch scheitert der klägerische Anspruch nach Auffassung der Kammer bereits an dieser Stelle. Sodann wäre auf den folgenden Stufen die Vergütung zu bestimmen, die – im Nachhinein betrachtet – insbesondere unter Berücksichtigung der erzielten Erträgnisse und Vorteile angemessen iSd § 32 II 2 UrhG ist. Schließlich wäre zu prüfen, ob die vereinbarte Vergütung mit Blick auf diese angemessene Vergütung unverhältnismäßig gering im Vergleich (früher: in einem auffälligen Missverhältnis steht) zu den Erträgen und Vorteilen ist. Für die dritte und vierte Stufe erübrigen sich Ausführungen der Kammer.

a) Feststellung der mit dem Urheber vereinbarten Vergütung (1. Stufe)

Im Ergebnis offenbleiben kann, wie konkret die ursprüngliche Vergütung des Herrn Dr. O. für die Regietätigkeit der einzelnen streitgegenständlichen Filme zu schätzen und auf die verschiedenen Nutzungsarten zu allokieren ist. Die Kammer hält den Vortrag des Klägers an dieser Stelle aber für hinreichend schlüssig, sodass entgegen der Ansicht der Beklagten die Klage an dieser Stelle nicht schon mangels Schlüssigkeit abzuweisen ist. Der Kläger hat ausführlich Tatsachen vorgetragen und dabei selbst Schätzungen vorgenommen. Wenn es darauf ankäme, liegen – auch mit Blick auf unstreitigen Sachvortrag der Beklagten und den sonstigen Sach- und Streitstand – hinreichende Anknüpfungstatsachen vor, um eine Schätzung gem. § 287 ZPO vorzunehmen (vgl. zu diesem Prüfungspunkt: des BGH GRUR 2020, 611 Rn. 49-51 – Das Boot II; Peifer, ZUM 2021, 813, 816: Schätzung könnte ggf. pauschal nach den zwei maßgeblichen Verwertungsformen zu je 50% ermessensfehlerfrei erfolgen).

Die Kammer verweist angesichts der fehlenden Entscheidungserheblichkeit auf die ausführlichen Ausführungen im Hinweisbeschluss der Kammer vom 23.10.2023 (Bl. 1770 ff. GA).

b) Feststellung der vom Dritten erzielten Erträgnisse und Vorteile (2. Stufe)

Der Kläger hat im Ergebnis keine im rechtlichen Sinne relevanten Erträgnisse und Vorteile der Beklagten dargelegt.

Der Begriff des Vorteils im Sinne des § 32a UrhG umfasst nicht nur Umsatzgeschäfte, sondern auch andere Verwertungshandlungen (BGH GRUR 2020, 611, Rn. 54 – Das Boot II). Im Urteil „Das Boot II“ hat das dortige Berufungsgericht laut BGH „zutreffend angenommen, dass eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die ein Filmwerk in ihrem – weitgehend gebührenfinanzierten – Programm ausstrahlt, einen solchen Vorteil erlangt und dieser Vorteil in der Ersparnis von Aufwendungen für die Erstellung eines Programms gesehen werden kann, das den Sendeplatz des Filmwerkes hätte füllen können“ (BGH GRUR 2020, 611, Rn. 54 – Das Boot II; nahezu wortgleich zuvor: BGH GRUR 2012, 496 Rn. 41 – Das Boot I).

aa) Die Kammer erkennt in der Feststellung eines Vorteils der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Fall „Das Boot“ jedoch eine Sonderkonstellation, die nicht zum abstrakten Grundsatz erhoben werden kann. Dies folgt auch aus der Formulierung des BGH in „Das Boot II“, wonach „ein konkreter Maßstab für die Ermittlung des Vorteils, den die [Bekl. als] öffentlich-rechtliche[n] Rundfunkanstalten durch die streitgegenständlichen Fernsehausstrahlungen erlangt haben, sich dem Gesetz nicht entnehmen lässt. Wird die Art und Weise der Bewertung eines Vermögensgegenstands vom Gesetz nicht geregelt, ist es Aufgabe des Tatgerichts, im Einzelfall die nach den Umständen sachgerechteste Bewertungsart auszuwählen und anzuwenden. In der Sache handelt es sich um eine Schätzung iSd § 287 II ZPO“ (BGH GRUR 2020, 611, Rn. 55 – Das Boot II).

Die Entscheidung des BGH sowie der Instanzgerichte im Fall „Das Boot“ beruhen insoweit auch maßgeblich auf dem festgestellten Sachverhalt wie folgt:

„2 Der Kl. war Chefkameramann („Director of Photography“) des von der Bekl. zu 1 in den Jahren 1980/1981 hergestellten Filmwerks „Das Boot“, einer Verfilmung des Romans „Das Boot“. Der Bekl. zu 2 ist der VG. CQ. (WC.); er ist mit anderen Rundfunkanstalten in der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (E.) zusammengeschlossen. Die Bekl. zu 3 vertreibt Filme auf Videokassette und DVD.

3 Der Kl. verpflichtete sich gegenüber der Bekl. zu 1 mit Vertrag vom 3.6.‌1980, in der Zeit vom 1.1.‌1980 bis zum 31.12.‌1980 gegen eine Pauschalvergütung von 120.000 DM als Chefkameramann für die Produktion „Das Boot“ zur Verfügung zu stehen. Mit weiterem Vertrag vom 4.2.‌1981 verpflichtete er sich ihr gegenüber, auch in der Zeit vom 1.1.‌1981 bis zur Beendigung der Tätigkeit gegen eine Wochengage von 3500 DM zur Verfügung zu stehen. Der Kl. räumte der Bekl. zu 1 seine Werknutzungsrechte umfassend und zeitlich unbeschränkt ein.

4 Am 26.6.‌1980 schlossen die Bekl. zu 1 und der Bekl. zu 2 einen Produktionsvertrag betreffend die von der Bekl. zu 1 im Auftrag des Bekl. zu 2 herzustellende Filmaufzeichnung „Das Boot“ (Spielfilm), 120 Minuten Vorführungsdauer, sowie einen Produktionsvertrag betreffend die im Auftrag des Bekl. zu 2 von der Bekl. zu 1 herzustellende Fernsehaufzeichnung, bestehend aus vier Folgen a jeweils ca. 60 Minuten Sendedauer aus der insgesamt sechsteiligen Fernsehserie und einer Dokumentation. Gemäß Nr. 1a) dieser beiden Produktionsverträge besteht das Recht zur wiederholten Ausstrahlung grundsätzlich für unbeschränkte Zeit; die Nutzungsrechte an dem Roman Das Boot wurden zunächst bis 12.7.‌1991 eingeräumt und mit Zusatzvertrag in der Folgezeit verlängert. Hinsichtlich der Folgen fünf und sechs der Fernsehserie schloss die Bekl. zu 1 im Jahr 1980 einen entsprechenden Produktionsvertrag mit dem WZ. (nunmehr PO.).

5 Die Bekl. zu 1 stellte aus dem Filmmaterial zwei Kinoversionen her, eine am 17.9.‌1981 uraufgeführte ca. 151 Minuten lange erste Version („Das Boot“, nachfolgend nur Spielfilm) und im Jahre 1997 eine ca. 204 Minuten lange zweite Version (Das Boot – The director's cut, nachfolgend nur Director's Cut). Darüber hinaus wurde aus dem Filmmaterial eine insgesamt 312 Minuten lange sechsteilige Fernsehfassung hergestellt, die im Fernsehen auch als Dreiteiler ausgestrahlt wurde. Beim Director's Cut handelt es sich um eine neue Schnittfassung, die aus demselben Drehmaterial wie die Fernsehserie hergestellt wurde.

(…)

8 Mit Vertrag vom 19.12.‌2001 übertrug die M-GmbH, ein 100 %iges Tochterunternehmen der Bekl. zu 1, das ausschließliche Recht, den Film Director's Cut in deutschsprachiger Originalfassung in der Bundesrepublik Deutschland (Lizenzgebiet) vom 31.1.‌2002-30.6.‌2003 beliebig häufig fernsehmäßig zu verwerten bzw. verwerten zu lassen, zehn in der E. verbundenen Rundfunkanstalten, darunter dem Bekl. zu 2, als Lizenznehmern. Mit Schreiben vom 24.1.‌2003 übte die F-GmbH als Vertreter der genannten Lizenznehmer eine Option zur Verlängerung der Vertragszeit für den genannten Film bis zum 31.5.‌2012 aus. Mit Vertrag vom 30.1.‌2014 wurde der F-GmbH als „Lizenznehmer“, handelnd als Kommissionär für Rechnung von neun Landesrundfunkanstalten, das ausschließliche Recht übertragen, den Director's Cut vom 1.5.‌2014-30.4.‌2034 beliebig häufig fernsehmäßig zu verwerten bzw. verwerten zu lassen.“

(OLG München, Urteil vom 21.12.2017 – 29 U 2619/16, Volltext unter GRUR-RS 2017, 144766 – Hervorhebungen nur hier)

Maßgebliche Grundlage der Entscheidungen im Fall „Das Boot“ war demnach, dass die dortige öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt bei der Produktion der Filmwerke bereits beteiligt war und jedenfalls für den Spielfilm und die Fernsehserie das Recht zur wiederholten Ausstrahlung grundsätzlich für unbeschränkte Zeit erhalten hatte. Diese Sachverhaltsumstände sind im hiesigen Fall mit Blick auf die streitgegenständlichen Filme nicht gegeben. Demnach hält die Kammer eine schablonenartige Übertragung der Rechtsprechung im Fall „Das Boot“ für nicht angezeigt und nicht angemessen.

Die Kammer hatte insoweit schon im Hinweisbeschluss vom 23.10.2023 zu dem Prüfungspunkt der Erträgnisse und Vorteile der Beklagten bereits wie folgt ausgeführt:

„aa) Bei diesem Prüfungspunkt neigt die Kammer nach derzeitigem Stand der Beratung nicht dazu, das „Wiederholungsvergütungsmodell“ auf Grundlage des „Tarifvertrags für auf Produktionsdauer Beschäftigte“ des WC. (Anlage K63) bzw. des V. (Anlage K64) bzw. des PO. indiziell heranzuziehen. Dabei ist sich die Kammer bewusst, dass diese Methode von den Oberlandesgerichten Stuttgart und München für den Fall „Das Boot“ für sachdienlich erachtet worden ist und der BGH dies in seinen Urteilen „Das Boot“ I und II jeweils grundsätzlich gebilligt hat.

Die Kammer hält den hiesigen Fall aber für wesentlich anders gelagert, worauf insbesondere die Beklagten ausführlich in ihren Schriftsätzen hingewiesen haben. Die Kammer erkennt in den Urteilen zu „Das Boot“ kein allgemeingültiges Schätzungsmodell für jegliche TV-Ausstrahlungen im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkt, sondern eine Einzelfallentscheidung für das dort konkret gegenständliche Filmprojekt.

Hiervon ausgehend erkennt die Kammer vorliegend keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für die indizielle Heranziehung des o.g. Tarifvertrages, weil hier weder in sachlicher, noch in persönlicher, noch in zeitlicher Hinsicht eine Anwendbarkeit besteht.

Denn in sachlicher Hinsicht handelt es sich vorliegend aus Sicht der Beklagten bei allen Filmen um reine Fremdproduktionen. Dies gilt auch für „Im Dschungel ist der Teufel los“, wo die Beklagte zu 4) zunächst bei der Produktion beteiligt war, aber ihre Fernsehsenderechte im Jahr 1991 an die Filmherstellerin D. T. zurückübertragen hat. Die Kammer hält es deshalb für fernliegend einen Tarifvertrag für die Schätzung von ersparten Aufwendungen der Beklagten heranzuziehen. Hiermit würden die Beklagten faktisch in jedem Fall wie für Eigenproduktionen nachvergüten müssen, was im hiesigen Fall aber durch nichts gerechtfertigt ist. Die Kammer weist insoweit darauf hin, dass auch der BGH in der Konstellation „Das Boot“ für den WC. jedenfalls eine vom OLG Stuttgart festgestellte besondere Nähe zur Herstellung des Filmwerks gebilligt hat (BGH GRUR 2020, 611 Rn. 87 - 89 – Das Boot II). Eine solche Nähe liegt im hiesigen Fall nicht vor.

Auch in persönlicher Hinsicht fehlt ein Anknüpfungspunkt, weil weder Herr Dr. O. ein Arbeitnehmer beim öffentlich-rechtlichen CQ. war, noch die Beklagten als Arbeitgeber der Produktion anzusehen wären. Es ist auch von Seiten der Beklagten nachvollziehbar vorgetragen worden, dass zu den Zeitpunkten der Produktionen der meisten streitgegenständlichen Filme die o.g. Tarifverträge noch nicht abgeschlossen waren und das sog. „Wiederholungsvergütungsmodell“ unbekannt war. So ergibt sich aus Anlagen K63 und K64, dass die dortigen Tarifverträge erst in den Jahren 1976 bzw. 1977 in Kraft getreten sind.

bb) Aus gleichgelagerten Erwägungen hält die Kammer auch eine indizielle Heranziehung der vom Kläger in Anlage K72 vorgelegten Gemeinsamen Vergütungsregeln im vorliegenden Fall für nicht sachgerecht. Dabei kann für die Gemeinsamen Vergütungsregeln des Bundesverbands der Film- und Fernsehregisseure in Deutschland e. V. und der CW. Deutschland GmbH ergänzend auf das vom BGH gebilligte Argument in „Das Boot II“ (GRUR 2020, 611 Rn. 96) verwiesen werden, dass private Fernsehsender aufgrund der Finanzierung durch Werbung eine andere finanzielle Struktur aufweisen als die ganz überwiegend durch die Rundfunkgebühren finanzierten Beklagten. Für die übrigen vorgelegten Gemeinsamen Vergütungsregeln, an denen auch die Beklagten oder andere öffentlich-rechtliche Sender beteiligt sind, gilt nichts anderes als für die oben als nicht sachgerecht angesehenen Tarifverträge. Es fehlt maßgeblich an der sachlichen Vergleichbarkeit des dort geregelten Vergütungsfalls für Eigenproduktionen mit dem hier zu bewertenden Fall der Ausstrahlung von kostenpflichtig lizensierten Fremdproduktionen.

Der von den Beklagten ins Spiel gebrachte „Ergänzungstarifvertrag Erlösbeteiligung Kinofilm“ (Anlage B32) ist hingegen schon deshalb nicht geeignet zur indiziellen Anwendung, weil laut Ziffer 4.3 für den hiesigen Fall der Schätzungen von Erträgen und Vorteilen eines Verwerters in der Lizenzkette keine Aussage getroffen wird. Er betrifft vielmehr einen Nachvergütungsanspruch gegen den Filmhersteller, als der die Beklagten hier - wie oben dargestellt - nicht zu verstehen sind.“

An diesen Ausführungen hält die Kammer auch nach dem weiteren Verfahrensgang fest. Eine Übertragung der indiziellen Heranziehung des „Wiederholungsvergütungsmodells“ für Fremdproduktionen, für die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ggf. durch ihren zentralen Rechteeinkauf durch die Degeto Film GmbH, Lizenzgebühren zahlen, würde zu einer unangemessenen Benachteiligung der Rundfunkanstalten (aber auch jeglicher anderer „privater“ Sendeunternehmen) führen. Denn gerade bei alten „Klassikern“, die über Jahrzehnte hinweg regelmäßig im TV gesendet werden, würde diese Anwendung ab einem gewissen Zeitpunkt zu einer automatischen Direktvergütung der Urheber führen. Faktisch müssten TV-Sendeanstalten dann zum jeweiligen Lizenzpreis noch pauschal eine potentielle Nachvergütung der (Gesamtheit der) Urheber kalkulieren und ggf. Rückstellungen bilden. Gerade dies soll durch § 32a UrhG nach Ansicht der Kammer aber nicht bezweckt werden, was sich nicht zuletzt an der sehr dezidierten Rechtsprechung des BGH in den Urteilen „Das Boot I – III“ zeigt, die jeweils eine Rückverweisung an die Berufungsgerichte zum Ergebnis hatten.

bb) Die Kammer hält stattdessen im hiesigen Fall weiterhin ein „Lizenzkostenmodell“ für angemessen. Die Kammer wies insoweit bereits im o.g. Hinweisbeschluss wie folgt hin:

„cc) Stattdessen neigt die Kammer dazu, die vom BGH als „Lizenzkostenmodell“ bezeichnete Methode als sachgerecht anzunehmen.

Hierzu führte der BGH in „Das Boot II“ (GRUR 2020, 611 Rn. 99 ff., Hervorhebungen nur hier) wie folgt aus:

ee) Ohne Rechtsfehler hat das BerGer. die Erträgnisse und Vorteile der Bekl. nicht nach den Lizenzkosten bemessen, die für die Ausstrahlung der Filmproduktion „Das Boot“ zu zahlen gewesen wären.

(1) KT. BerGer. hat angenommen, die Frage nach den aus der Nutzung der Filmproduktion „Das Boot“ gezogenen Vorteilen der Bekl. könne bei der vorliegenden Konstellation der Inanspruchnahme von „Dritten“ iSv § 32a II UrhG zwar grundsätzlich nach den Lizenzkosten bemessen werden, die von den Bekl. für die Ausstrahlung des Werkes „Das Boot“ zu zahlen gewesen wären (Lizenzkostenmodell). Diese Berechnungsart sei jedoch nicht so sachgerecht wie die Bemessung der Vorteile aufgrund der indiziellen Heranziehung der tarifvertraglichen Regelungen zu Wiederholungsvergütungen. So enthielten die tarifvertraglichen Vergütungsprozentsätze eine Bewertung der im Streitfall in Rede stehenden Konstellation der Ausstrahlung eines Werkes in öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern als Wiederholungssendung. Außerdem stünden keine ausreichenden tatsächlichen Grundlagen für die Schätzung des Werts der Vorteile durch die Ausstrahlung der Wiederholungssendungen nach § 287 II ZPO anhand von fiktiven Lizenzkosten zur Verfügung. Jedenfalls aber ergebe sich aus den infrage kommenden tatsächlichen Grundlagen eine derartige Bandbreite an Lizenzpreisen, dass dieses Berechnungsmodell im Vergleich zur Heranziehung der tarifvertraglichen Wiederholungsvergütungsregelungen zumindest im vorliegenden Fall nicht vorzugswürdig erscheine. Gegen diese auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung wendet sich die Revision der Bekl. ohne Erfolg.

(2) Die Revision der Bekl. macht geltend, entgegen der Ansicht des BerGer. sei die fiktive Lizenzgebühr das einzige Kriterium, das die durch die Ausstrahlung des Filmwerkes „Das Boot“ erzielten Vorteile abzubilden vermöge. Es erschließe sich nicht, warum diese Lizenzkosten nicht – wie vom LG vorgenommen – anhand des vorgetragenen Lizenzvertrags mit dem U. geschätzt werden könnten.

102Damit hat die Revision der Bekl. keinen Rechtsfehler des BerGer. dargelegt. Das BerGer. hat verschiedene von den Parteien vorgetragene Gebühren für die Lizenzierung von verschiedenen Fassungen des streitgegenständlichen Werkes aufgeführt und auf dieser tatsächlichen Grundlage angenommen, dass sich aus den bekannt gewordenen Lizenzpreisen für einzelne Ausstrahlungen von „Das Boot“ massive Unterschiede ergäben. Dass die vom BerGer. seiner Beurteilung zugrunde gelegten Lizenzbeträge unrichtig festgestellt sind, macht die Revision der Bekl. nicht geltend.“

Jedoch ist auch hier zu beachten, dass der Fall „Das Boot“ anders lag, weil dort eine andere Art der Lizenzierung für die TV-Verwertung vereinbart war, die maßgeblich mit der bedeutenden Beteiligung an der Vorfinanzierung zusammenhing.

Auf den hiesigen Fall übertragen versteht die Kammer unter einem „Lizenzkostenmodell“, dass aufzuklären ist, wie hoch eine angemessene Lizenzgebühr für die konkret streitgegenständlichen Ausstrahlungen der Beklagten oder vergleichbarer Filme mit Blick auf Genre, Produktionsdatum und Publikumsbeliebtheit gewesen wäre. Diese Lizenzgebühren für „vergleichbare“ Filme dürften deshalb von Bedeutung sein, weil die Beklagten nachvollziehbar vortragen, dass sie anstelle der Filme des Herrn Dr. O. andere Filme zur Füllung der Sendezeiten lizensiert und genutzt hätten. Diese angemessene Lizenzgebühr wäre sodann mit den tatsächlich gezahlten Lizenzgebühren zu vergleichen. Wenn sich bei diesem Vergleich ergäbe, dass die Beklagten die Lizenzen unter Marktwert eingekauft haben, dann würden sich insoweit Vorteile in Form von ersparten Aufwendungen ergeben. Mit dieser Methode würde auch den von Klägerseite vorgetragenen Sorgen vor einer „Quersubventionierung“ bei der Paketlizensierung durch die Degeto Film GmbH begegnet.

Zur Anwendung dieser Methode mangelt es aber bis jetzt an Tatsachenvortrag von beiden Seiten. Dabei liegt es nach vorläufiger Ansicht der Kammer zunächst am Kläger vorzutragen, wie hoch ein marktüblicher Lizenzpreis für die streitgegenständlichen TV-Ausstrahlungen ist. Mit Blick auf die tatsächlich gezahlten Lizenzpreise wäre zwar auch von der Darlegungs- und Beweislast des Klägers auszugehen. Die Kammer hält hier aber eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten für möglich. Wie oben dargelegt, dürfte es aber an anderer Stelle ohnehin im Interesse der Beklagten liegen, zu den gezahlten Lizenzgebühren vorzutragen.“

Auf diesen Hinweis hin hat der Kläger eingewandt, dass die von den Beklagten bzw. der Degeto Film GmbH gezahlten Lizenzbeträgen als betriebswirtschaftliche Ausgaben anzusehen seien, die jedoch ihrerseits keine Vorteile im Sinne des § 32a UrhG darstellen könnten. Dies ist korrekt, verkennt jedoch den Ansatzpunkt der Überlegung der Kammer. Dieser ist vielmehr wie folgt: Die Beklagten haben einen gesetzlichen Auftrag zur Sendung von Inhalten, wozu sie mit dem Rundfunkbeitrag ausgestattet werden (siehe zum Rundfunkbeitrag als potentieller Vorteil unten). Demnach verwenden die Beklagten einen Teil ihres Budgets für Eigenproduktionen, einen weiteren Teil für Fremdproduktionen (wie hier) und weitere Teile für andere vielfältige Inhalte. Die oben abgelehnte indizielle Heranziehung des „Wiederholungsvergütungsmodells“ würde den Sendeplatz einer Fremdproduktion mit dem Sendeplatz einer Eigenproduktion gleichstellen, was nicht gerechtfertigt ist. Wenn im Fall „Das Boot“ der Vorteil der Rundfunkanstalt in der ersparten Aufwendung von Kosten für die Vergütung der Urheber im Rahmen von Eigenproduktionen sein soll, dann muss für den Fall der Fremdproduktionen ein vergleichbarer Maßstab gefunden werden.

Bei gesendeten Fremdproduktionen ist der Vorteil der Sendeanstalt zunächst darin zu sehen, dass Zuschauer in einer breiten Medienlandschaft sich dazu entschließen, diesen Inhalt anzusehen. Dies ist gerade beim öffentlich-rechtlichen CQ. jedoch kein finanziell messbarer Vorteil, weil das Rundfunkaufkommen nicht quotenmäßig, sozusagen erfolgsabhängig, verteilt wird. In finanzieller Hinsicht erscheint im Ergebnis ein Vorteil nur dann denkbar, wenn die Beklagten für die Lizenzrechte der Fremdproduktion weniger zahlen als den marktüblichen Lizenzpreis. Daneben sind zwei andere Fallgestaltungen denkbar: Zum einen kann der gezahlte Lizenzpreis marktgerecht sein, dann steht dem Vorteil „Sendung eines interessanten Inhalts“ ein deckungsgleicher Nachteil „Lizenzzahlung“ entgegen, der sich auf Null saldiert. Zum anderen könnte der gezahlte Lizenzpreis über einem angemessenen Marktpreis liegen, wodurch dann aber der Nachteil überwiegen würde. Der letztgenannte Fall wird wohl nicht eintreten, weil die Beklagten in einem solchen Fall wohl, worauf sie selbst hinweisen, eine andere Fremdproduktion ausstrahlen würde (z.B. statt Filme der Winnetou-Reihe dann US-Westernfilme). Also sind die Lizenzausgaben zwar im Ausgangspunkt Ausgaben, die jedoch Gegenleistung für den Vorteil des Lizenzrechts darstellen.

Insofern bleibt es auch dabei, dass es am Kläger als Anspruchsteller liegt, Anhaltspunkte vorzutragen, dass die gezahlten Lizenzbeträge nicht marktüblich sind. Es mag sein, dass er auf seine Erkundigungen hin keine Mitteilungen erhalten hat. Dabei verkennt der Beklagte aber, dass er als Erbe des Urhebers Dr. O. in einer anderen Position ist. Er kann nämlich grundsätzlich für die Werke im Nachlass seines Vaters im weiten Umfang gegenüber den Rechteinhabern Auskunftsansprüche geltend machen und dadurch den Sachverhalt aufklären. Dass der Kläger aber während der Zeit der hiesigen Verfahren jemals bei den Rechteinhabern oder Produktionsgesellschaften der streitgegenständlichen Filme angefragt hätte, welche Erträgnisse und Vorteile diese aus den Werken erlangt haben, trägt er selbst nicht vor. Auf diese Weise hätte der Kläger – zwar mit rechtlichem und tatsächlichem Aufwand aber gleichwohl zuverlässig – die Angaben der Beklagten zu Lizenzzahlungen verifizieren können und diese ggf. auch mit etwaigen anderen Lizenzierungen an andere Dritte vergleichen können.

Zuletzt ist dem Kläger nicht zuzustimmen, dass die Überlegungen der Kammer allein anhand der möglichen Schwankungen und der Bandbreite von Lizenzzahlungen praktisch nicht handhabbar seien. Dabei verkennt der Kläger, dass § 32a UrhG nicht dem Zweck dient, dem Urheber einen möglichst bequemen Weg zur Nachvergütung zu vermitteln. Zweck ist vielmehr der Fairnessausgleich, wobei dieser aber auch die Vorteile des Anspruchsgegners bei wirtschaftlicher Betrachtung berücksichtigen muss. Dies gilt im vorliegenden Fall ganz deutlich, weil bei den Beklagten angesichts der von ihr getätigten Lizenzzahlungen nur schwerlich Vorteile zu erkennen sind, hingegen die mittleren Glieder der Lizenzkette offenbar seit Jahrzehnten ohne besondere eigene Aufwendungen finanzielle Vorteile aus der Verwertung der Rechte an den streitigegenständlichen Filmen erlangen. Ein Fairnessausgleich, der in dieser Fallkonstellation sicherlich nicht fernliegt, müsste wohl bei diesen Gliedern der Rechtekette erfolgen, was hier aber nicht streitgegenständlich ist.

cc) Zuletzt erkennt die Kammer auch in den erlangen Rundfunkbeiträgen der Beklagten keine einschlägigen Vorteile und Erträgnisse der Beklagten.

Hierzu hatte die Kammer im Hinweisbeschluss zunächst was folgt mitgeteilt:

„dd) Die Kammer hat auch erwogen, eine Schätzung der Erträge und Vorteile der Beklagten mit Blick auf das Rundfunkgebührenaufkommen zu schätzen (vgl. zur grundsätzlichen Geeignetheit BGH GRUR 2012, 496 – Das Boot I, Rn. 90, juris). Die Kammer konnte dabei aber – mangels Vortrags der Parteien und mangels offenkundiger Informationen – keine sinnvolle Allokation der Rundfunkgebühren auf die hier konkret in Rede stehenden Sendezeiten vornehmen. Gleichwohl mögen die Parteien hierzu ggf. vortragen, wenn ihrer Ansicht nach eine sinnvolle Berechnungsmethode auf Basis der Rundfunkgebühren existiert. In diesem Fall müssten aber die tatsächlich aufgewandten Lizenzgebühren der Beklagten vorteilsmindernd Berücksichtigung finden.“

Hierauf hat der Kläger methodisch nachvollziehbar auf einer verständlichen Datengrundlage für das Jahr 2018 eine Berechnung vorgeschlagen. Diese weicht auch nicht erheblich von den klägerseits errechneten Werten zum „Wiederholungsvergütungsmodell“ ab. Gleichwohl erscheinen die Werte schon in faktischer Hinsicht bedenklich.

Dies zeigt insbesondere die Berechnung für die Filme „Winnetou I – III“:

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

Demnach würde alleine die viermalige Sendung von Winnetou I in „KT. NM.“ im Jahr 2018 einem Rundfunkbeitrag von ca. 950.000,- € entsprechen. Nach dem Vortrag der Beklagten läge ein am Markt ausgehandelter Lizenzbetrag im Jahr 2018 bei „nur“ 25.000,- €, 2019 immerhin bei 45.000,- €. Dies zeigt, dass die grobe Methodik des Klägers der Errechnung eines pauschalen Preises pro Sendeminute unter prozentualer Berechnung vom Gesamtrundfunkbeitragsvolumen zu keinen angemessenen Ergebnissen kommt. Insoweit liegen auch keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für eine gerichtliche Schätzung vor. Denn für eine solche Schätzung müssten ggf. erhebliche Abschläge vom Rundfunkbeitragsaufkommen für andere Zwecke als die Füllung der Sendezeit vorgenommen werden, die weder dargelegt noch sonst ersichtlich sind. Von einem etwaig geschätzten Betrag wären sodann jeweils die gezahlten Lizenzgebühren abzuziehen, wozu der Sach- und Streitstand auch zu dürftig ist.

Im Ergebnis scheidet eine Heranziehung der Rundfunkbeiträge zur Berechnung der Vorteile der Beklagten aber auch aus normativen Gründen aus. Nach § 1 RbStV dient der Rundfunkbeitrag der funktionsgerechten Finanzausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Sinne von § 34 Abs. 1 des Medienstaatsvertrages (MStV) sowie der Finanzierung der Aufgaben nach § 112 des MStV. § 34 Abs. 1 des MStV fordert, dass die Finanzausstattung den öffentlich-rechtlichen CQ. in die Lage zu versetzen hat, seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen; sie hat insbesondere den Bestand und die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten. Aus § 112 des MStV ergeben sich weitere Aufgaben, die hier nicht vertieft dargestellt werden sollen. So zeigen diese Normen bereits, dass der Rundfunkbeitrag angesichts einer Vielfalt von Aufgaben nur anteilsmäßig zur Finanzierung des Sendungsprogramms zu verwenden ist. Sie zeigen jedenfalls eindringlich, dass der Rundfunkbeitrag nicht die Gegenleistung der Beitragszahlenden für die Sendeinhalte darstellen. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an dem Umstand, dass die Beitragszahlung keine freiwillige Leistung darstellt, bei deren Nichtleistung die Beklagten den Zugriff auf die Sendesignale verweigern könnten.

Neben dieser allgemeinen Qualifikation des Rundfunkbeitrags kann dieser aber auch aus spezifisch urheberrechtlichen Gründen nicht als Vorteil und Erträgnis der Beklagten aus der Nutzung des „Werks“ im Sinne von § 32a Abs. 1 und 2 UrhG angesehen werden. Da der Rundfunkbeitrag schon nicht den Vorteil aus der Nutzung jeglicher Inhalte im Wege der Sendung auf den Fernsehsendern der Beklagten darstellt, ist er erst recht kein Vorteil aus der Nutzung der hier streitgegenständlichen Filme. Insoweit kann wiederum darauf verwiesen werden, dass die Beklagten statt der Filme des Herrn Dr. O. auch andere Fremdproduktionen hätten zeigen können, ohne dass dies Auswirkungen auf die Höhe und Verteilung der Rundfunkgebühren gehabt hätte.

dd) Andere Möglichkeiten zur Berechnung eines Vorteils der Beklagten durch die Ausstrahlung der streitgegenständlichen Filme sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. Deshalb hat die Klage insgesamt keinen Erfolg. Ob die dritte und vierte Stufe der Anspruchsprüfung nach § 32a Abs. 1 und 2 UrhG erfüllt wären, kann dahinstehen. Die Kammer verweist insoweit jedoch nochmals auf den Hinweisbeschluss der Kammer.

4. Dahinstehen kann auch die zwischen den Parteien streitige Frage, ob und ggf. ab wann Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte verjährt sind. Die Kammer verweist auch insoweit auf den Hinweisbeschluss der Kammer und neigt dazu, an der dort geäußerten Ansicht festzuhalten. Die Kammer verweist dabei auch auf das zwischenzeitlich veröffentlichte Urteil des LG Berlin vom 27.09.2023 – 15 O 296/18, GRUR-RS 2023, 44670, Rn. 104 ff. – Keinohrhasen & Zweiohrküken, in dem eine durchaus vergleichbare Konstellation vorlag.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Erstattungsansprüche gegen Anbieter in Deutschland unzulässiger Online-Sportwetten / Online-Glücksspielen und die Dienstleistungsfreiheit

BGH
Beschluss vom 25.07.2024
I ZR 90/23
Sportwetten im Internet III
BGB § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 134; GlüStV § 10a Abs. 2 und 3, § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1; AEUV Art. 56


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH legt EuGH vor: Steht Dienstleistungsfreiheit Erstattungsansprüchen gegen Anbieter in Deutschland unzulässiger Online-Sportwetten / Online-Glücksspielen entgegen" über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Schließt es die Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aus, einen über das Internet geschlossenen privatrechtlichen Vertrag über Sportwetten, die ohne die hierfür nach dem nationalen Recht erforderliche Erlaubnis angeboten wurden, als nichtig zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren auf Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde ?

2. Schließt es die Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union aus, das nationale Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zur Veranstaltung von Sportwetten im Internet als Schutzgesetz mit der möglichen Folge einer Schadensersatzpflicht zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren auf Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde ?

BGH, Beschluss vom 25. Juli 2024 - I ZR 90/23 - LG Ulm - AG Geislingen an der Steige

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Bei Werbung mit Sternebewertungsdurchschnitt ist keine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich

BGH
Urteil vom 25.07.2024
I ZR 143/23
durchschnittliche Sternebewertung
UWG aF § 5a Abs. 2 Satz 1; UWG nF § 5a Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Bei Werbung mit Sternebewertungsdurchschnitt unter Angabe von Gesamtzahl und Zeitraum ist keine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich über die Entscheidung berichtet,

Leitsatz des BGH:
Bei der Werbung mit einer durchschnittlichen Sternebewertung von Kunden stellt die Aufschlüsselung nach den einzelnen Sterneklassen keine wesentliche Information im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 UWG aF/§ 5a Abs. 1 UWG nF dar, wenn die Gesamtzahl und der Zeitraum der berücksichtigten Bewertungen angegeben ist.

BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 - I ZR 143/23 - OLG Hamburg - LG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH legt EuGH vor: Steht Dienstleistungsfreiheit Erstattungsansprüchen gegen Anbieter in Deutschland unzulässiger Online-Sportwetten / Online-Glücksspielen entgegen

BGH
Beschluss vom 25.07.2024
I ZR 90/23


Der BGH hat dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Dienstleistungsfreiheit Erstattungsansprüchen gegen Anbieter in Deutschland unzulässiger Online-Sportwetten / Online-Glücksspielen entgegensteht.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt EuGH die Frage vor, ob die Dienstleistungsfreiheit eines Anbieters von Sportwetten einer Erstattung der im Rahmen unerlaubter Online-Sportwetten erlittenen Verluste von Spielern entgegensteht

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat darüber zu entscheiden, ob ein Veranstalter von Sportwetten im Internet, der nicht über die nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 erforderliche Konzession der zuständigen deutschen Behörde verfügte, die verlorenen Wetteinsätze eines Spielers erstatten muss. Er hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es die nach dem Unionsrecht gewährleistete Dienstleistungsfreiheit eines Glücksspielanbieters mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschließt, einen solchen Sportwettenvertrag als nichtig zu betrachten, wenn der Anbieter in Deutschland eine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Verfahren zur Konzessionserteilung unionsrechtswidrig durchgeführt wurde.

Sachverhalt:

Die Beklagte mit Sitz in Malta bietet Sportwetten über eine deutschsprachige Webseite mit einer deutschen Top-Level-Domain an. Der Kläger nahm von 2013 bis zum 9. Oktober 2020 im Internet an Sportwetten der Beklagten teil.

In diesem Zeitraum verfügte die Beklagte in Deutschland nicht über eine Konzession zur Veranstaltung von Sportwetten. Sie hatte eine solche Konzession zwar nach dem damals geltenden Glücksspielstaatsvertrag 2012 beantragt, aber nicht erhalten. Ihr wurde erst mit Bescheid vom 9. Oktober 2020 - in einem neuen Konzessionserteilungsverfahren auf Grundlage der ab 1. Januar 2020 geltenden Fassung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 - eine Erlaubnis zum Veranstalten von Sportwetten und Online-Sportwetten in Deutschland erteilt.

Der Kläger macht geltend, die mit der Beklagten geschlossenen Wettverträge seien nichtig, weil das unerlaubte Angebot von Online-Sportwetten gegen den Glücksspielstaatsvertrag 2012 verstoßen habe. Er hat die Beklagte auf Rückzahlung verlorener Wetteinsätze in Höhe von 3.719,26 € in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht zurückgewiesen.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In seinem Vorlagebeschluss hat der Bundesgerichtshof zur zivilrechtlichen Rechtslage ausgeführt: Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung öffentlicher Sportwetten in § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1, § 10a Abs. 2 und 3 GlüStV 2012 stellt ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar. Die Beklagte hat dagegen verstoßen, indem sie in Deutschland öffentlich im Internet Sportwetten angeboten hat, ohne im für den Streitfall relevanten Zeitraum über die hierfür erforderliche Erlaubnis zu verfügen. Aus dem Verstoß folgt grundsätzlich die Nichtigkeit der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Sportwettenverträge (§ 134 BGB) und ein Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner Verluste (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB). Der Zweck des gesetzlichen Verbots, die Bevölkerung vor von öffentlichen Glücksspielen ausgehenden Gefahren zu schützen, erfordert grundsätzlich die Nichtigkeit der auf Grundlage eines Internetangebots unter einseitigem Verstoß gegen die Erlaubnispflicht geschlossenen Glücksspielverträge.

Der Bundesgerichtshof hat weiter ausgeführt, dass sich im Streitfall die Frage stellt, ob aus unionsrechtlichen Gründen eine andere Beurteilung geboten ist, weil die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum bereits eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Konzessionserteilungsverfahren unionsrechtswidrig durchgeführt wurde. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem gleichfalls unerlaubte Sportwetten betreffenden strafrechtlichen Ausgangsverfahren entschieden, dass nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts kein Mitgliedstaat eine strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten verhängen darf, mit dem der Betroffene einer verwaltungsrechtlichen Anforderung nicht genügt hat, wenn der Mitgliedstaat die Erfüllung der Anforderung unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Februar 2016 - C336/14, ZfWG 2016, 115 [juris Rn. 63 und 94] - Ince). Es stellt sich daher die Frage, ob unter Umständen wie denen des Streitfalls im Rahmen nicht erlaubter Online-Angebote abgeschlossene Sportwettenverträge zivilrechtlich als nichtig angesehen werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat deutlich gemacht, dass er - auch unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - dazu neigt, diese Frage zu bejahen. Die zivilrechtliche Rechtsfolge der Nichtigkeit stellt keine Strafe dar, sondern eine Einschränkung der Privatautonomie zum Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs. Die im Verhältnis des Staats zum Sportwettenanbieter eintretenden Rechtsfolgen lassen sich nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis des Sportwettenanbieters zum Spieler als privatem Dritten übertragen. Die einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigenden zwingenden Gründe des Allgemeininteresses - darunter der Schutz der Bevölkerung vor übermäßigen wirtschaftlichen Schäden durch öffentliches Glücksspiel - bestehen auch dann, wenn das Verfahren der Konzessionserteilung unionsrechtswidrig ausgestaltet war.

Im vorliegenden Revisionsverfahren kommt es vorerst nicht auf die in einem Hinweisbeschluss in einem anderen Verfahren vertretene vorläufige Ansicht des Bundesgerichtshofs an, dass es jedenfalls für solche unerlaubten Online-Sportwettenangebote, die auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wären, insbesondere weil die angebotenen Sportwetten wegen Nichteinhaltung des grundsätzlich auf 1.000 € begrenzten monatlichen Höchsteinsatzes je Spieler dem materiellen Glücksspielrecht widersprachen, bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB verbleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2024 - I ZR 88/23, NJW 2024, 1950). Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist im vorliegenden Revisionsverfahren zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass sie die spielerschützenden Regelungen des materiellen Glücksspielrechts gegenüber dem Kläger eingehalten hat.

Ergänzender Hinweis:

Der Bundesgerichtshof hat zwei Parallelverfahren über die Erstattung von Verlusten aus Sportwetten bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im vorliegenden Verfahren ausgesetzt. Zumindest einer dieser Fälle betrifft eine Konstellation, in der sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts neben dem Verstoß gegen die formelle Erlaubnispflicht auch ein Verstoß gegen das materielle Glücksspielrecht und insbesondere die grundsätzliche Verpflichtung zur Begrenzung des Höchsteinsatzes ergibt.

Vorinstanzen:

AG Geislingen an der Steige - Urteil vom 28. April 2022 - 3 C 459/21

LG Ulm - Urteil vom 24. Mai 2023 - 1 S 46/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 4 GlüStV 2012

(1) Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) sowie die Mitwirkung an Zahlungen im Zusammenhang mit unerlaubtem Glücksspiel sind verboten.

(…)

(4) Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.

(5) Abweichend von Absatz 4 können die Länder zur besseren Erreichung der Ziele des § 1 den Eigenvertrieb und die Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten im Internet erlauben, wenn keine Versagungsgründe nach § 4 Abs. 2 vorliegen und folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (…)

§ 4a Abs. 1 GlüStV 2012

Soweit § 10 Abs. 6 im Rahmen der Experimentierklausel für Sportwetten nach § 10a nicht anwendbar ist, dürfen die dort den Veranstaltern nach § 10 Abs. 2 und 3 vorbehaltenen Glücksspiele nur mit einer Konzession veranstaltet werden. § 4 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

§ 10a GlüStV 2012

(1) Um eine bessere Erreichung der Ziele des § 1, insbesondere auch bei der Bekämpfung des in der Evaluierung festgestellten Schwarzmarktes, zu erproben, wird § 10 Abs. 6 auf das Veranstalten von Sportwetten bis zum 30. Juni 2021 nicht angewandt. (...)

(2) Sportwetten dürfen in diesem Zeitraum nur mit einer Konzession (§§ 4a bis 4e) veranstaltet werden.

(3) Die Konzession gibt dem Konzessionsnehmer nach Maßgabe der gemäß § 4c Abs. 2 festgelegten Inhalts- und Nebenbestimmungen das Recht, abweichend vom Verbot des § 4 Abs. 4 Sportwetten im Internet zu veranstalten und zu vermitteln. § 4 Abs. 5 und 6 ist entsprechend anzuwenden. (...)

§ 134 BGB

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB

Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet.



BGH: Bei Werbung mit Sternebewertungsdurchschnitt unter Angabe von Gesamtzahl und Zeitraum ist keine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich

BGH
Urteil vom 25.07.2024
I ZR 143/23


Der BGH hat entschieden, dass bei der Werbung mit einem Sternebewertungsdurchschnitt unter Angabe von Gesamtzahl und Zeitraum keine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Anforderungen an die Werbung mit einer durchschnittlichen Sternebewertung

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Frage entschieden, ob bei der Werbung mit einer durchschnittlichen Sternebewertung neben der Angabe der Gesamtzahl und des Zeitraums der zugrundeliegenden Kundenbewertungen eine Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen erforderlich ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte bot auf ihrer Internetseite die Vermittlung von Immobilienverkäufern an Immobilienmakler an. Sie warb unter anderem mit durchschnittlichen Sternebewertungen ihrer Kunden, ohne Angaben zur Gesamtzahl der Bewertungen, zum Zeitraum der berücksichtigten Bewertungen und zur Aufgliederung nach den einzelnen Sterneklassen zu machen.

Die Klägerin hält diese Werbung für unlauter und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, mit Kundenbewertungen unter Angabe einer durchschnittlichen Sternebewertung zu werben, ohne gleichzeitig die Gesamtzahl und den Zeitraum der berücksichtigten Kundenbewertungen zu nennen. Den Antrag auf Unterlassung einer Werbung ohne Aufschlüsselung der Kundenbewertungen nach Sterneklassen hat das Landgericht abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat gemeint, bei der von der Klägerin begehrten Aufschlüsselung nach den einzelnen Sterneklassen handele es sich aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers zwar um eine nützliche, nicht aber um eine wesentliche Information im Sinne von § 5a Abs. 1 UWG, weil ihr neben der Angabe der durchschnittlichen Sternebewertung kein erhebliches Gewicht für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zukomme.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Unterlassungsantrag weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, bei der Aufgliederung nach Sterneklassen handele es sich nicht um eine wesentliche Information im Sinne des § 5a Abs. 1 UWG, begegnet auf Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Bedenken. Danach ist dem angesprochenen Durchschnittsverbraucher aufgrund seiner Erfahrung bekannt, dass einer durchschnittlichen Sternebewertung in aller Regel unterschiedlich gute und schlechte Bewertungen zugrunde liegen und die Bewertungen - zum Teil erheblich - divergieren. Anhand der Gesamtzahl und des Zeitraums der berücksichtigten Bewertungen kann er abschätzen, wie aussagekräftig die angegebene Durchschnittsbewertung ist. Die von der Klägerin begehrte Aufgliederung nach Sterneklassen vermittelt daneben keine wesentliche Information. Insbesondere kann sie keinen Aufschluss über die Gründe geben, die einen Kunden zur Abgabe einer bestimmten Bewertung bewogen haben.

Vorinstanzen:

LG Hamburg - Urteil vom 16. September 2022 - 315 O 160/21

OLG Hamburg - Urteil vom 21. September 2023 - 15 U 108/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3 UWG

(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. […]

§ 5a UWG

(1) Unlauter handelt auch, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irre-führt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält,

1. die der Verbraucher oder der sonstige Marktteilnehmer nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und

2. deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. […]

§ 8 UWG

(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. […] Frankfurt-Microsoft-haftet-fuer-Setzen-von-Cookies-ohne-Einwilligung-ueber-Websites-Dritter.html


BGH: Name des Datenschutzbeauftragten muss nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b DSGVO nicht zwingend genannt werden

BGH
Urteil vom 14.05.2024
VI ZR 370/2
DS-GVO Art. 13 Abs. 1 Buchst. b; ZPO § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a


Der BGH hat entschieden, dass der Name des Datenschutzbeauftragten nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b DSGVO nicht zwingend genannt werden muss.

Leitsätze des BGH:
a) Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO muss sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen und konkret darlegen, warum die Begründung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft sein soll. Hierdurch soll der Revisionskläger dazu angehalten werden, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält.

b) Bei Mitteilung der Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b DSGVO ist die Nennung des Namens nicht zwingend. Entscheidend und zugleich ausreichend für den Betroffenen ist die Mitteilung der Informationen, die für die Erreichbarkeit der zuständigen Stelle erforderlich sind. Ist die Erreichbarkeit ohne Nennung des Namens gewährleistet, muss dieser nicht mitgeteilt werden.

BGH, Urteil vom 14. Mai 2024 - VI ZR 370/22 - LG Darmstadt - AG Seligenstadt

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG Seligenstadt

BGH: Kartellbehörde darf Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens nur bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit gegenüber Beigeladen zur Stellungnahme nach § 56 Abs. 1 GWB offenlegen

BGH
Beschluss vom 20.04.2024
KVB 69/2
Google - Offenlegung
GG Art. 12 Abs. 1, GWB § 19a, 54 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Nr. 3, 56 Abs. 1, 4, 57 Abs.1, 74 Abs. 3 Satz 4, 75 Abs. 5 VwVfG § 30

Der BGH hat entschieden, dass die Kartellbehörde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse eines von Ermittlungen betroffenen Unternehmens zum Zwecke der Stellungnahme gemäß § 56 Abs. 1 GWB nur bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit gegenüber Beigeladenen offenlegen.

Leitsätze des BGH:
a) Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in Verfahren nach § 19a GWB für Streitigkeiten gegen selbständig anfechtbare Verfahrenshandlungen ist nicht auf Beschwerden gegen Verwaltungsakte beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Beschwerden gegen sonstige Verfahrenshandlungen.

b) Den Geheimnisschutz nach § 30 VwVfG, der auf die Offenlegung von Informationen bei der Anhörung von Beteiligten nach § 56 Abs. 1 GWB anwendbar ist, können auch ungeschriebene Offenbarungsbefugnisse einschränken, insbesondere wenn eine Güterabwägung ergibt, dass das Geheimhaltungsinteresse hinter noch wichtigeren anderen Interessen zurücktreten muss.

c) Die Kartellbehörde darf Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des von den Ermittlungen betroffenen Unternehmens für die Zwecke der Stellungnahme gemäß § 56 Abs. 1 GWB gegenüber Beigeladenen nur dann offenlegen, wenn dies verhältnismäßig ist, die Offenlegung mithin geeignet und erforderlich ist, die Ermittlungen des Bundeskartellamts zu fördern und das mit ihr verfolgte öffentliche Interesse an der Verfahrensförderung und die - insoweit gleichgerichteten - (Verfahrens-)Interessen des Beigeladenen das Geheimhaltungsinteresse des betroffenen Unternehmens im Einzelfall überwiegen.

BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 - KVB 69/2

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH: Nutzer eines Internet-Radiorecorders können sich auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen

BGH
Urteil vom 27.06.2024
I ZR 14/21
Internet-Radiorecorder II
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b, Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 5; UrhG §§ 16, 19a, 53 Abs. 1 Satz 1, § 85 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass sich Nutzer eines Internet-Radiorecorders auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen können.

Leitsatz des BGH:
Nutzer eines Internet-Radiorecorders können sich auf die Privatkopieschranke des § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG berufen, wenn sie private Vervielfältigungen anfertigen, indem sie sich auf der Internetseite des Dienstes Musiktitel aussuchen und ihre Titelauswahl in einer Wunschliste speichern, woraufhin der Dienst vollautomatisch die Sendung eines dieser Musiktitel aufnimmt, sobald dieser in einem angeschlossenen Internet-Radio gespielt wird, und diese Kopie in einem Speicherplatz des Kunden ablegt, der von dort aus die Musikaufnahme wiedergeben und herunterladen kann (Festhaltung an BGH, Urteil vom 5. März 2020 - I ZR 32/19, GRUR 2020, 738 = WRP 2020, 861 - Internet-Radiorecorder I).

BGH, Urteil vom 27. Juni 2024 - I ZR 14/21 - OLG Köln LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Recht auf Anerkennung der Urheberschaft nach § 13 Satz 1 UrhG schützt auch vor Bestreiten oder Anmaßung der Urheberschaft allein gegenüber dem Urheber

BGH
Urteil vom 27.06.2024
I ZR 102/23
Der verratene Himmel
UrhG § 13 Satz 1; ZPO § 308 Abs. 1 Satz 1, § 557 Abs. 1


a) Das durch § 13 Satz 1 UrhG geschützte Recht des Urhebers auf Anerkennung seiner Urheberschaft wird auch dann beeinträchtigt, wenn das Bestreiten oder die Anmaßung der Urheberschaft lediglich gegenüber dem Urheber selbst zum Ausdruck gebracht wird.

b) Änderungen des Klageantrags sind im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht möglich (§ 557 Abs. 1 ZPO). Eine aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise auch in der Revisionsinstanz in Betracht kommende abschließende Entscheidung über eine Änderung, die nur eine Beschränkung oder Modifikation des früheren Antrags darstellt, setzt voraus, dass auf der Grundlage des festgestellten und unstreitigen Sachverhalts ohne Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Gegners eine abschließende Entscheidung möglich und sachdienlich ist.

BGH, Urteil vom 27. Juni - 2024 - I ZR 102/23 - OLG Bremen LG Bremen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: § 312 Abs. 6 BGB ist nicht richtlinienkonform auszulegen - Kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Versicherungsvermittlungsverträgen

BGH
Urteil vom 04.04.2024
I ZR 137/23
BGB § 312 Abs. 6, § 312g Abs. 1; Richtlinie 2002/65/EG Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entschieden, dass § 312 Abs. 6 BGB nicht richtlinienkonform einschränkend auszulegen ist. Mithin besteht kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Versicherungsvermittlungsverträgen.

Leitsatz des BGH:
Die Ausnahmeregelung des § 312 Abs. 6 BGB, nach der die Vorschriften über das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht auf Versicherungsvermittlungsverträge anwendbar sind, ist bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Versicherungsvermittlungsverträgen nicht richtlinienkonform dahingehend auszulegen,dass für sie ein Widerrufsrecht des Verbrauchers nach § 312g Abs. 1 BGB besteht. Es besteht keine unionsrechtliche Verpflichtung, ein Widerrufsrecht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Versicherungsvermittlungsverträge vorzusehen.

BGH, Urteil vom 4. April 2024 - I ZR 137/23 - LG Traunstein - AG Traunstein

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Verstoß gegen Vorgaben der Button-Lösung durch Opodo-Bestellbutton bei gleichzeitiger Reisebuchung und Abschluss eines Opodo-Prime-Abonnements

BGH
Urteil vom 04.06.2024
X ZR 81/23
BGB § 312j Abs. 3 und 4, § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 818 Abs. 2


Der BGH hat entschieden, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben der Button-Lösung nach § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB durch den vom Opodo verwendeten Bestellbutton bei gleichzeitiger Reisebuchung und Abschluss eines Opodo-Prime-Abonnements vorlag. Der Bestellbutton stellte nicht ausreichend klar, dass durch Betätigung der Schaltfläche beide Vertragsverhältnisse abgeschlossen werden sollten.

Leitsätze des BGH:
a) In den Fällen des § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB muss der Verbraucher aus der Bildschirmmaske, in der die Bestell-Schaltfläche enthalten ist, ersehen können, für welche Leistungen des Unternehmers er eine Zahlungspflicht eingeht.

b) Wenn mit einem einheitlichen Bestellvorgang Verträge über mehrere Leistungen abgeschlossen werden, die grundsätzlich unabhängig voneinander zu erbringen sind, muss die Maske, in der die Bestell-Schaltfläche enthalten ist, einen eindeutigen Hinweis darauf enthalten, dass der Verbraucher mit dem Betätigen der Schaltfläche eine auf den Abschluss aller dieser Verträge gerichtete Erklärung abgibt.

c) Hat ein Unternehmer im Zusammenhang mit dem Abschluss eines nach § 312j Abs. 3 und 4 BGB unwirksamen Abonnementvertrags eine andere Leistung zu einem vergünstigten Preis erbracht, steht der Schutzzweck der genannten Vorschriften einem Anspruch des Unternehmers auf Wertersatz gemäß § 812 Abs. 1 Fall 1 und § 818 Abs. 2 BGB in der Regel entgegen.

BGH, Urteil vom 4. Juni 2024 - X ZR 81/23 - LG Düsseldorf - AG Düsseldorf

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Künstliche Intelligenz kann kein Erfinder im Sinne des Patentrechts sein - Natürliche Person als Erfinder grundsätzlich möglich und erforderlich auch wenn KI-System verwendet wurde

BGH
Beschluss vom 11.06.2024
X ZB 5/22
DABUS
PatG § 37 Abs. 1, §§ 6, 42


Der BGH hat entschieden, dass künstliche Intelligenz kein Erfinder im Sinne des Patentrechts sein kann. Für eine Patentanmeldung ist eine natürliche Person als Erfinder grundsätzlich möglich und erforderlich auch wenn ein KI-System verwendet wurde.

Leitsätze des BGH:
1. Erfinder im Sinne von § 37 Abs. 1 PatG kann nur eine natürliche Person sein. Ein maschinelles, aus Hard- oder Software bestehendes System kann auch dann nicht als Erfinder benannt werden, wenn es über Funktionen künstlicher Intelligenz verfügt

2. Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder ist auch dann möglich und erforderlich, wenn zum Auffinden der beanspruchten technischen Lehre ein System mit künstlicher Intelligenz eingesetzt worden ist.

3. Die Benennung einer natürlichen Person als Erfinder im dafür vorgesehenen amtlichen Formular genügt nicht den Anforderungen aus § 37 Abs. 1 PatG, wenn zugleich beantragt wird, die Beschreibung um den Hinweis zu ergänzen, die Erfindung sei durch eine künstliche Intelligenz generiert oder geschaffen worden.

4. Die Ergänzung einer hinreichend deutlichen Erfinderbenennung um die Angabe, der Erfinder habe eine näher bezeichnete künstliche Intelligenz zur Generierung der Erfindung veranlasst, ist rechtlich unerheblich und rechtfertigt nicht die Zurückweisung der Anmeldung nach § 42 Abs. 3 PatG.

BGH, Beschluss vom 11. Juni 2024 - X ZB 5/22 - Bundespatentgericht

Den Volltext der ENtscheidung finden Sie hier: