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AG Lörrach: Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO umfasst gespeicherte Audiomitschnitte von Telefongesprächen

AG Lörrach
Urteil vom 05.02.2024
3 C 661/23


Das AG Lörrach hat entschieden, dass der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO auch gespeicherte Audiomitschnitte von Telefongesprächen umfasst.

Aus den Entscheidungsgründen:
I) Die Klage ist hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO unstreitig gegeben. Zwischen den Parteien blieb bis zuletzt lediglich streitig, ob der Audiomitschnitt vom Telefongespräch Ende 2022 übermittelt wurde. Dafür bot die Beklagte keinen Beweis an, obwohl sie die Erfüllung zu beweisen hatte. Damit war die Beklagte dahingehend noch zu verurteilen.

II) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 713,76 €. Dieser Anspruch richtet sich nach § 257 BGB auf Freistellung. Der Anspruch gründet für verschiedene Streitgegenstände auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen (1)-3)). Hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren ist der Streitwert aber einheitlich zu bestimmen, woraus sich die Schadenshöhe ergibt (4)).

1) Wegen der vorgerichtlichen Aufforderung zur Datenauskunft nach Art. 15 DSGVO hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten aus Art. 82 DSGVO.

a) Die Beklagte hat gegen Art. 6 DSGVO verstoßen, indem sie die personenbezogenen Daten des Klägers ohne Rechtfertigung verarbeitet hat. Die Beklagte erhielt die Daten des Klägers ohne sein Wissen und Wollen. Die erlangten Daten benutzte die Beklagte, um den Kläger anzurufen und einen Vertragsschluss anzubieten. Die Telefondaten und die Personalien des Klägers sind personenbezogene Daten nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Indem die Beklagte die Daten erhalten hat und bei sich selbst gespeichert hat, liegt eine Verarbeitung nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO vor. Die Daten wurden anschließend für den Anruf und die Vertragsanbahnung verwendet, womit eine weitere Verarbeitung vorliegt. Solch eine Verarbeitung ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO rechtmäßig. Die Beklagte hat keinen Fall davon vorgetragen. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, dass der Kläger zu solch einer Verarbeitung zustimmt hat. Soweit in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde, woher die Beklagte die Daten hat und der Sohn des Klägers informatorisch angehört wurde, konnte er nicht bestätigen, dass er gegenüber der a. GmbH eine Einwilligung erteilt hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass unter einer Abwägung der Interessen die Verarbeitung gerechtfertigt war (Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO). Damit liegt ein Verstoß gegen eine konkrete Datenschutzbestimmung vor. Es kommt also nicht darauf an, ob auch anderweitige Verstöße ausreichen (dazu: BeckOK DatenschutzR/Quaas, 46. Ed. 1.11.2023, DS-GVO Art. 82 Rn. 14; EuGH GRUR-RS 2023, 8972).

b) Soweit auch die a. GmbH für die rechtswidrige Verarbeitung der personenbezogenen Daten verantwortlich war, ändert dies nichts daran, dass die Beklagte nach Art. 82 Abs. 4 DSGVO auch alleine für den gesamten Schaden haftet.

c) Die Beklagte konnte sich auch nicht nach Art. 82 Abs. 3 DSGVO exkulpieren, weil die Beklagte sowohl für die Speicherung als auch für die Verwendung selbst verantwortlich ist.

d) Als Schaden kann der Kläger die vorgerichtlichen Anwaltskosten für die Geltendmachung des Anspruchs aus Art. 15 DSGVO geltend machen.

aa) Hinsichtlich der Schadenshöhe hat der EuGH festgestellt, dass sich dieser grundsätzlich nach den nationalen Vorschriften ergibt. Dies darf allerdings nicht gegen die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität verstoßen. (EuGH GRUR-RS 2023, 8972, Rn. 59) Dahingehend ist zu berücksichtigen, dass die DSGVO einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden sicherstellen soll. (EuGH GRUR-RS 2023, 8972, Rn. 57) Damit ist kein Strafschadensersatz gefordert. (EuGH GRUR-RS 2023, 8972, Rn. 58) Allerdings erfordert Sinn und Zweck der DSGVO eine weite Auslegung des Schadensbegriffs (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 46. Ed. 1.11.2023, DS-GVO Art. 82 Rn. 29).

bb) Hinsichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten ist es im Rahmen von § 249 BGB anerkannt, dass diese ersetzt werden müssen, wenn man sich vorprozessual anwaltlicher Hilfe bedient hat, um einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 178). Der Kläger macht aber Rechtsanwaltskosten geltend, weil er sich zur Durchsetzung seines Anspruchs aus Art. 15 DSGVO eines Anwalts bedient hat, was keinen Schadensersatzanspruch beinhaltet. Ein Schaden müsste sich damit aus den allgemeinen Grundsätzen der §§ 249 ff. BGB ergeben.

Nach der Differenzhypothese sind die Güterlagen mit und ohne schädigendes Ereignis zu bewerten (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 12). Danach kann ein Schaden angenommen werden, weil das schädigende Ereignis die Erlangung der Daten durch die Beklagte und deren Verwendung ist. Ohne dieses Ereignis, hätte der Kläger niemals einen Anspruch aus Art. 15 DSGVO geltend machen wollen.

Die Beauftragung eines Anwalts geschah nach dem schädigenden Ereignis und basiert auf einem eigenen Willensentschluss des Klägers. Es handelt sich aber trotzdem um einen unfreiwilligen Schaden und keine Aufwendung als freiwilliges Vermögensopfer. Ein Schaden bei freiwilligen Vermögensopfern liegt vor, wenn sie aus Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich sind, um die Folgen einer Rechtsgutsverletzung zu beseitigen. (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 10) Das ist vorliegend der Fall. Die Rechtsgutsverletzung ist die rechtswidrige Datenverarbeitung. Für den Kläger war es erforderlich, zunächst das Ausmaß dieser Rechtsgutsverletzung in Erfahrung zu bringen, um sich anschließend um die Schadensbehebung zu bemühen. Für die Durchsetzung des Anspruches aus Art. 15 DSGVO war auch die Einschaltung eines Anwalts erforderlich. Dem Kläger war es nicht nach § 254 BGB zuzumuten den Anspruch selbst zu verfolgen (so auch: LG Lübeck, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 15 O 73/23 –, juris Rn. 192; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 10 O 1510/22 –, juris Rn. 162). Es kann nicht erwartet werden, dass ein juristischer Laie die Regelungen und Ansprüche aus der DSGVO kennt, um diese selbst durchzusetzen.

cc) Auch in der Literatur wird angenommen, dass vorgerichtliche Anwaltskosten ein Schaden sein können (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 46. Ed. 1.11.2023, DS-GVO Art. 82 Rn. 29; Boehm in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 28: gerade in Bezug für die Ermittlung und Hilfe den immateriellen Schaden zu beseitigen). Auch in der Rechtsprechung wird dies angenommen (LG Lübeck, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 15 O 73/23 –, juris Rn. 192; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 10 O 1510/22 –, juris Rn. 162).

dd) Da ein Schaden nach deutschem Recht angenommen werden kann, liegt auch kein Verstoß gegen die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität vor, da einer weiten Auslegung von Art. 82 DSGVO Rechnung getragen wird.

ee) Die Rechtsfrage ist auch nicht dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen. In der zitierten Entscheidung (EuGH GRUR-RS 2023, 8972) hat er bereits explizit entschieden, dass für die Schadenshöhe das nationale Recht anwendbar ist, dies aber nicht gegen die eigenständigen Anforderungen von Art. 82 DSGVO verstoßen darf. Diese Grundsätze wurden hier beachtet. Eine weitergehende Auslegung von EU-Recht noch ungeklärter Fragen ist nicht veranlasst.

2) Sowohl wegen des Strom- und Gaslieferungsvertrags und der Abwehr der Ansprüche daraus hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1; 311 Abs. 2 Nr. 2; 241 Abs. 2 BGB; 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG.

a) Zwischen den Parteien bestand ein Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB, weil die Beklagte den Kläger zur Vertragsanbahnung angerufen hat.

b) Dabei hat die Beklagte gegen ihre Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG verstoßen. Sie hat ihn unaufgefordert angerufen und keine Einwilligung eingeholt, was einen Verstoß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG darstellt, weil der Kläger Verbraucher nach § 13 BGB war. Dem steht nicht entgegen, dass hier die Vertragsanbahnung und die Pflichtverletzung zusammengehen. Die Pflichtverletzung setzte sich nämlich fort, indem die Beklagte den Anruf aufrechterhielt ohne eine Einwilligung nach § 7a UWG einzuholen (so auch: AG Remscheid, Urteil vom 26. November 2015 – 7 C 73/15 –, juris; LG Arnsberg, Urteil vom 22. Januar 2015 – 8 O 133/14 –, juris Rn. 24; dagegen zweifelnd, aber nicht entschieden: OLG Hamm, Urteil vom 7. Oktober 2016 – 12 U 38/15 –, juris Rn. 38).

Soweit für die Beklagte ein Mitarbeiter handelte, wird ihr dieses Verhalten nach § 278 BGB zugerechnet.

c) Es wird vermutet, dass die Beklagte dies zu vertreten hat (§ 280 Abs. 2 BGB). Die Beklagte handelte sogar vorsätzlich, weil sie es gerade darauf anlegte, den Kläger unaufgefordert anzurufen. Auch hier wird das Verhalten des Mitarbeiters nach § 278 BGB zugerechnet.

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d) Als Schadensersatz kann der Kläger die vorgerichtlichen Anwaltskosten zur Klärung des fehlenden Vertragsverhältnisses und Abwehr der daraus resultierenden Ansprüche verlangen (§ 249 Abs. 1 BGB).

aa) Allein wegen des unerlaubten Anrufs nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG kam es zu dem für den Kläger unklaren Vertragsverhältnis zu der Beklagten. Damit waren die Vermögensinteressen des Klägers gefährdet, weil er befürchten musste, dass die Beklagte ungerechtfertigte Zahlungsansprüche geltend macht. Als juristischen Laien war es dem Kläger nicht zumutbar, das tatsächliche Vertragsverhältnis selbst zu klären. Es war somit für ihn erforderlich, einen Anwalt zu beauftragen. Dieser Vermögensschaden des Klägers war auch kausal aufgrund der Pflichtverletzung, weil das unklare Vertragsverhältnis gerade aus dem ungewollten Telefonanruf hervorging.

bb) Daran ändert nichts, dass die Beklagte mit Schreiben vom 14.02.2023 den Gaslieferungsvertrag kündigte. Entscheidend war, ob überhaupt ein Vertrag zustande kam. Im Kündigungsschreiben wurde auch noch angekündigt, dass eine Abschlussrechnung erfolgen werde. Damit ging die Beklagte weiterhin von einem geschlossenen Vertrag aus.

Hinsichtlich des Vertrags über Stromlieferung musste der Beklagte bis zu Schluss davon ausgehen, dass die Beklagte von einem bestehenden Vertrag ausging, weil er keine gegenteilige Information erhielt.

3) Sowohl wegen des Strom- und Gaslieferungsvertrags und der Abwehr der Ansprüche daraus kann der Kläger gegen die Beklagte Schadensersatz auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 831; 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1; 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG und damit aus einer weiteren Anspruchsgrundlage verlangen.

a) § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist an sich kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weil die §§ 8 ff. UWG die zivilrechtliche Folgen des Verstoßes abschließend regeln (OLG Köln, Urteil vom 18. November 2022 – 6 U 49/22 –, juris). Allerdings ist § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG darüber hinaus nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UWG bußgeldbewährt. Diese Norm ist als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen (BeckOK UWG/Fritzsche, 22. Ed. 1.10.2023, UWG § 7 Rn. 21). Der Schutzumfang ist derselbe, weshalb nicht entschieden werden muss, ob § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG nicht doch selbst nach richtlinienkonformer Auslegung (Art. 13 ePrivacy-RL) als Schutzgesetz anzusehen ist (so: Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 42. Aufl. 2024, UWG § 7 Rn. 24).

Das Gericht folgt auch dieser in der Literatur vertretene Auffassung. Eine Norm ist ein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie gerade Individualinteressen schützen möchte. Das ist hier der Fall. Das UWG will Verbraucher schützen (§ 1 Abs. 1 UWG). Dieser Schutz ist besonders ausgeprägt. So gewährt § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG Schutz vor sogenannten Cold-Calls. Dieser ist gegenüber Verbrauchern besonders ausgestaltet, da bei ihnen eine ausdrückliche Einwilligung eingeholt werden muss und ein Verstoß dagegen bußgeldbewährt ist, was bei Nicht-Verbrauchern jeweils nicht der Fall ist. Die Norm will somit nicht nur die Allgemeinheit vor Cold-Calls schützen, sondern auch einzelne Verbraucher vor dessen Gefahren bewahren. Wegen § 20 Abs. 1 Nr. 1 UWG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die §§ 8 ff. UWG eine weitergehende zivilrechtliche Haftung ausschließen, weil die §§ 8 ff. UWG nicht die zivilrechtlichen Folgen von § 20 Abs. 1 Nr. 1 UWG regelt und § 20 Abs. 1 Nr. 1 UWG auch nicht denselben Regelungsgehalt von § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG hat, sondern einen eingeschränkteren Anwendungsbereich hat.

b) Die Beklagte verstieß gegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG. Sie holte beim Kläger keine Einwilligung ein für den ungefragten Anruf und zwischen den Parteien bestand auch davor keine Vertragsbeziehung. Der Kläger war Verbraucher nach § 13 BGB.

c) Dieses Vorgehen war durch die Beklagte auch so geplant, weshalb sie vorsätzlich nach § 823 Abs. 2 S. 2 BGB handelte.

d) Da für die Beklagte ein Mitarbeiter als Verrichtungsgehilfe handelte, haftet die Beklagte selbst nach § 831 BGB. Sie kann sich nicht nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren, weil dazu nichts vorgetragen wurde.

e) Als Schaden kann der Kläger die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach § 249 Abs. 1 BGB verlangen.

aa) Der Kläger war damit konfrontiert, dass die Beklagte von zwei abgeschlossenen Verträgen ausging, was tatsächlich nicht der Fall war. Grundlage dafür war gerade die unzumutbare Belästigung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG. Um diese Belastung zu beseitigen, hat Kläger zunächst Widerrufserklärungen abgegeben. Dies war aber nicht erfolgreich, weil der Kläger anschließend mit Gas zwangsbeliefert wurde und hinsichtlich des Vertrags über den Strom für ihn weiter nicht erkenntlich war, ob die Beklagte von einem wirksamen Vertrag ausging. Für den Kläger war es damit erforderlich einen Anwalt zu beauftragen, um das Vertragsverhältnis zu klären. Als juristischer Laie war ihm nicht klar, ob ein abgeschlossener Vertrag vorliegt oder er dies noch verhindern konnte. Für ihn war aber klar, dass zumindest die Beklagte noch von einem abgeschlossenen Vertrag ausging.

Damit wollte der Kläger nicht nur außervertragliche Ansprüche abwehren, wofür die Voraussetzungen der Geltendmachung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hoch sind (dazu: AG Lörrach, Urteil vom 25. September 2023 – 3 C 560/23 –, juris unter Verweis auf: BGH, NJW 2009, 1262). Für den Kläger ging es darum, ob der Vertrag an sich besteht. Gerade diese Unsicherheit will § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG vermeiden und die Beseitigung davon ist vom Schutzzweck und damit vom Schadensumfang umfasst.

bb) Daran ändert nichts, dass die Beklagte mit Schreiben vom 14.02.2023 den Gaslieferungsvertrag kündigte. Entscheidend war, ob überhaupt ein Vertrag zustande kam. Im Kündigungsschreiben wurde auch noch angekündigt, dass eine Abschlussrechnung erfolgen werde. Damit ging die Beklagte weiterhin von einem geschlossenen Vertrag aus.

Hinsichtlich des Vertrags über Stromlieferung musste der Beklagte bis zu Schluss davon ausgehen, dass die Beklagte von einem bestehenden Vertrag ausging, weil er keine gegenteilige Information erhielt.

4) Die Schadenshöhe für die jeweiligen Schadensersatzansprüche des Klägers setzen sich aus einem einheitlichen Streitwert zusammen, der die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren bestimmt. Die Angelegenheit wurde als eine einzige behandelt und dafür ist ein einheitlicher Streitwert nach § 22 Abs. 1 RVG zu bilden.

Für den Auskunftsanspruch nahm der Kläger 1.000 € an, für den Gasliefervertrag 500 € und für den Stromliefervertrag 5.000 €. Die Beklagte ist diesen Werten nicht entgegengetreten. Zumindest hinsichtlich der Gasrechnung verlangte die Beklagte noch 654 €, weshalb die angesetzten 500 € angemessen waren. Soweit die Beklagte den Wert des Stromliefervertrags in Höhe von 5.000 € nicht anzweifelt, hält das Gericht auch diesen Betrag für angemessen. Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs sieht das Gericht auch keinen Grund an der Angemessenheit von 1.000 € als Streitwert zu zweifeln.

Ausgehend von einem Streitwert von 6.500 € kann eine 1,3 Geschäftsgebühr, die Pauschale und die Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 713,76 € verlangt werden.

C) Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 ZPO zu tragen, weil sie den Rechtsstreit verloren hat. Soweit der Rechtsstreit beidseitig für erledigt erklärt wurde, hat die Beklagte die Kosten nach § 91a ZPO zu tragen. Der Klageantrag Nr. 1 war ursprünglich zulässig und begründet. Wegen der Anspruchsberühmung war der Feststellungsantrag zulässig nach § 256 ZPO (BeckOK ZPO/Bacher, 51. Ed. 1.12.2023, ZPO § 256 Rn. 22). Die Beklagte forderte von dem Kläger noch 654 € aus dem Gasliefervertrag. Die Klage war auch begründet. Zwischen den Parteien kam kein Vertrag zustande. Für einen Vertragsschluss war die Beklagte beweisbelastet und hat dafür keinen Beweis angeboten, so dass auch damit zu rechnen war, dass sie den Prozess dahingehend verloren hätte. Dies erledigte sich dadurch, dass die Beklagte während des Prozesses versicherte aus dem Gasliefervertrag keine Ansprüche geltend machen zu wollen, damit war die Klage zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses zulässig und begründet.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO wenn dies aus datenschutzfremden Motiven erfolgt

OLG Nürnberg
Urteil vom 29.11.2023
4 U 347/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO vorliegt, wenn dies aus datenschutzfremden Motive erfolgt.

Aus den Entscheidunsggründen:
2. Die Berufung ist begründet.
a) Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist der Auskunftsantrag hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). In den Fällen der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gern. Art. 15 Abs. 1 DSGVO genügt es grundsätzlich, wenn der Klageantrag dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend auf Erteilung einer vollständigen Auskunft über die von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten des Klägers gerichtet ist; eine Spezifizierung dieser Daten ist grundsätzlich nicht erforderlich (so zuletzt OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 16, beck-online).

b) Soweit der Kläger seinen Antrag wegen vorgerichtlich übermittelter Personalstamm- und BAV-Daten bereits beschränkt und wegen zweier Schriftsätze, die ihm im Rahmen des beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesenen Verfahrens zugänglich gemacht wurden, Teilerledigungserklärungen unter Verweis auf diese Schriftsätze abgegeben hat, ändert dies nichts daran, dass „offen“ tenoriert werden kann. Denn es kann – wie auch sonst bei noch teilweise „unerledigten“ im Sinne von noch nicht vollständig erfüllten – Auskunftsansprüchen einfach offen zur geschuldeten Auskunft (als geschuldetem „Enderfolg“) verurteilt werden (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Die Beschränkung im ursprünglichen Antrag bzw. der Verweis auf Teilerledigungen berücksichtigt lediglich die Tatsache, dass die Beklagte bereits gewisse Auskünfte erteilt hat; mit der Beschränkung ist nur klargestellt, dass die Beklagte die bereits erteilten Auskünfte nach Auffassung des Klägers nicht mehr wiederholen muss, dieser die Auskunft ansonsten aber (zu Recht) als unvollständig ansieht und deswegen eine „vollständige“ Auskunft im Übrigen auch weiterhin einklagt (so auch OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online).

Wie das OLG Köln weiter ausgeführt hat, ,,ist eine Beschränkung durch Verweis auf bereits erteilte Teilauskünfte vor bzw. während des Verfahrens und/oder sonstige Klarstellungen prozessual nicht zwingend in Antrag und Tenor aufzunehmen, weil man mit dem oben Gesagten einfach einen weit gefassten Antrag in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut stellen kann und alles andere dann nur – wie auch sonst – eine Frage des Erfüllungseinwands (§ 362 Abs. 1 BGB) im gerichtlichen Verfahren bzw. bei entsprechender Titulierung später im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist“ (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Dem schließt sich der Senat an. Es ist einem Kläger auch nach Auffassung dieses Senats bei Auskunftsbegehren jedenfalls nicht zuzumuten, die bereits erteilten Auskünfte im Einzelnen in den Klageantrag aufzunehmen. Erforderlich ist nur im Rahmen der Begründetheit der Klage, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung tatsächlich noch keine vollständige Erfüllung des Auskunftsanspruchs i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB feststellbar ist. Eine vollständige Erfüllung ist nicht eingetreten. Die Beklagte macht gerade geltend, dass der Anspruch aufgrund des Umfangs des damit verbundenen unverhältnismäßig hohen Erfüllungsaufwands exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ist. Diese Aussage impliziert, dass es bei der Beklagten – wie auch aufgrund der langjährigen Tätigkeit des Klägers im dortigen Unternehmen nicht anders zu erwarten – umfangreiche weitere zu beauskunftende Daten gibt.

c) Art. 15 DSGVO gibt einen umfassenden Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten.

aa) Art. 4 Nr. 1 DSGVO definiert den Begriff „personenbezogene Daten“ als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

Dem Begriff der personenbezogenen Daten ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine weite Bedeutung beizumessen: „Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist“ (EuGH BeckRS 2017, 136145).

bb) Soweit Einschränkungen des umfassenden Auskunftsrechts auf Ewägungsgrund 63 der Verordnung gestützt werden sollen, haben diese Erwägungen in der Verordnung keinen Niederschlag gefunden. Der Anspruch auf Datenauskunft ist vielmehr voraussetzungslos. Der EuGH (Urteil vom 26.10.2023 – C-307/22, BeckRS 2023, 29132, beck-online) hat hierzu im ersten Leitsatz ausgeführt, dass Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der klägerische Anspruch auch nicht nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung kann der Verantwortliche bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person entweder ein angemessenes Entgelt verlangen, bei dem die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden, oder sich weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Nach Art. 12 Abs. 5 S. 3 DS-GVO hat der Verantwortliche den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen.

Nach Wortlaut und Zweck von Art. 12 Abs. 5 S. 1, Art. 15 DSGVO liegt kein Missbrauch vor, wenn ein Betroffener das Auskunftsrecht (auch) für datenschutzfremde Motive verwendet, etwa um Informationen für Vergleichsverhandlungen oder um bei ihm nicht mehr vorhandene Vertragsinformationen zu erhalten (z.B. Auskunft über Konten, Versicherungsbedingungen etc.), da sich eine solche Beschränkung auf eine bestimmte Motivlage nicht in Art. 15 DSGVO findet. Dies gilt auch, wenn die Auskunft gem. Art. 15 DSGVO beim Verantwortlichen sehr viel Aufwand verursacht, da der Aufwand des Verantwortlichen für Art. 15 DSGVO keine Rolle spielt, oder wenn der Betroffene mehrfache Auskunftsansprüche geltend macht, da sie nur im Rahmen des Exzesses einen Rechtsmissbrauch begründen (BeckOK DatenschuteR/Schmidt-Wudy, 45. Ed. 1.8.2023, DS-GVO Art. 15 Rn. 48).

Da die Motivation des Klägers für die Begründetheit des Auskunftsverlangens keine Rolle spielt, kommt es auch nicht darauf an, ob er – jedenfalls ursprünglich – hoffte, durch die Datenauskunft Erkenntnisse für seine beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesene Klage zu erlangen. Gleichfalls kommt es nicht darauf an, ob die Datenauskunft für den Beklagten mit viel Mühe oder Zeitaufwand verbunden ist, denn der Aufwand ist unerheblich. Exzessiv ist die Datenauskunft schon deswegen nicht, weil es sich um den ersten Antrag handelt.

dd) Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391) hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Der entsprechende Auskunftsanspruch wurde geregelt, um diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen. Seine Geltendmachung kann daher über die gesetzlich geregelten (hier nicht einschlägigen) Tatbestände hinaus nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dass für den Kläger aufgrund der Dauer und Art seiner Tätigkeit sehr viele Daten angefallen sind, steht der Geltendmachung seiner Rechte nicht entgegen.

ee) Da die Datenauskunft voraussetzungslos zu erteilen ist, steht der Beklagten auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen der zu erwartenden Kosten zu, denn diese kann die Beklagte nicht verlangen. Die Auskunft ist kostenlos zu erteilen.

ff) Der streitgegenständliche Antrag erfasst ausdrücklich auch das Recht auf „Kopien“. Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.2023 (C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 45) ist Art. 15 Abs. 3 DSGVO dahin auszulegen, „dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind.“ Damit ist die strittige Frage geklärt, was unter „Kopie“ zu verstehen ist.

In der genannten Entscheidung hat der EuGH auch ausgeführt, dass Art. 15 Abs. 3 DSGVO „nur die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folgenden Auskunftspflichtfestlegt. Art. 15 DSGVO kann deshalb gerade nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in Abs. 1 vorgesehene gewährt“ (vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.). Nach dieser Entscheidung ist auch die Frage geklärt, ob ein auf Überlassung einer Datenkopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO gerichteter Antrag erkennen lassen muss, von welchen personenbezogenen Daten eine Kopie verlangt wird. Ein Anspruchsteller, der zu einer genaueren Bezeichnung außerstande ist, ist deswegen auch nicht gehalten, im Wege der Stufenklage zunächst eine Auskunft darüber zu verlangen, welche personenbezogenen Daten der Anspruchsgegner verarbeitet, um auf dieser Grundlage sodann einen Antrag auf Überlassung einer Kopie der sich aus der Auskunft ergebenden Daten stellen zu können (so noch vor der Entscheidung des EuGH das Bundesarbeitsgericht, vgl. BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rn. 33; Urteil vom 27.04.2021 – 2 AZR 342/20, BAGE 174, 351 Rn. 20 f. = NZA 2021, 1053; kritisch dazu bereits Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (519 f.)). Art. 15 DSGVO enthält vielmehr nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH einen einheitlichen Auskunftsanspruch (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Der Kläger hatte sich zudem auch bereits erstinstanzlich auf sein Recht auf Überlassung einer Kopie berufen. Dieser einheitliche Anspruch muss grundsätzlich ohne eine Spezifizierung der personenbezogenen Daten – wie hier – einheitlich geltend gemacht werden können (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Da der Anspruch auf eine unvertretbare Handlung gerichtet ist, ist er nach § 888 ZPO zu vollstrecken (vgl. Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (520)). Erteilt ein zur Auskunftserteilung verurteilter Schuldner (weitere) Auskünfte und stellt dem Gläubiger Datenkopien zur Verfügung, muss gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren geprüft werden, ob der titulierte Auskunftsanspruch dadurch dann endgültig erfüllt worden ist. Daraus möglicherweise resultierende Schwierigkeiten sind keine datenschutzrechtliche Besonderheit, sondern können in ähnlicher Form auch bei anderen Auskunftsansprüchen auftreten (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Patient hat gemäß Art.15, Art. 12 DSGVO einen Anspruch auf kostenlose Überlassung einer Kopie seiner Patientenakte

EuGH
Urteil vom 26.10.2023
C-307/22
FT (Kopie der Patientenakte)


Der EuGH hat entschieden, dass ein Patient gemäß Art.15 Abs. 1,3, Art. 12 Abs. 5 DSGVO einen Anspruch auf kostenlose Überlassung einer Kopie seiner Patientenakte hat.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Schutz personenbezogener Daten: Ein Patient hat das Recht, unentgeltlich eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten

Ein Patient verlangt von seiner Zahnärztin eine Kopie seiner Patientenakte, um gegen sie Haftungsansprüche wegen Fehlern geltend zu machen, die ihr bei seiner zahnärztlichen Behandlung unterlaufen sein sollen. Die Zahnärztin fordert jedoch, dass er, wie nach deutschem Recht vorgesehen, die Kosten für die Zurverfügungstellung der Kopie der Patientenakte übernimmt.

Da der Patient der Ansicht ist, Anspruch auf eine unentgeltliche Kopie zu haben, ruft er die deutschen Gerichte an. Unter diesen Umständen hat der deutsche Bundesgerichtshof beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Denn nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, nämlich der Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden: DSGVO), ab.

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass in der DSGVO das Recht des Patienten verankert ist, eine erste Kopie seiner Patientenakte zu erhalten, und zwar grundsätzlich ohne dass ihm hierdurch Kosten entstehen. Der Verantwortliche kann ein solches Entgelt nur dann verlangen, wenn der Patient eine erste Kopie seiner Daten bereits unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag auf diese stellt.

Die betreffende Zahnärztin ist als Verantwortliche für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihres Patienten anzusehen. Als solche ist sie verpflichtet, ihm eine erste Kopie seiner Daten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Der Patient ist nicht verpflichtet, seinen Antrag zu begründen.

Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden dürfen die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen.

Des Weiteren hat der Patient das Recht, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in seiner Patientenakte befinden, wenn dies zum Verständnis der in diesen Dokumenten enthaltenen personenbezogenen Daten erforderlich ist. Dies schließt Daten aus der Patientenakte ein, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.


Tenor der Entscheidung:
1. Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird.

2. Art. 23 Abs. 1 Buchst. i der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung erlassen wurde, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen kann. Eine solche Möglichkeit erlaubt es jedoch nicht, eine nationale Regelung zu erlassen, die der betroffenen Person zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verantwortlichen die Kosten für eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung durch den Verantwortlichen sind, auferlegt.

3. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, umfasst, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten überlassen wird. Dieses Recht setzt voraus, eine vollständige Kopie der Dokumente zu erhalten, die sich in der Patientenakte befinden und unter anderem diese Daten enthalten, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie erforderlich ist, um der betroffenen Person die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Daten zu ermöglichen und die Verständlichkeit der Daten zu gewährleisten. In Bezug auf die Gesundheitsdaten der betroffenen Person schließt dieses Recht jedenfalls das Recht ein, eine Kopie der Daten aus ihrer Patientenakte zu erhalten, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu an ihr vorgenommenen Behandlungen oder Eingriffen umfasst.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Recht auf Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO umfasst originalgetreue und verständliche Reproduktion der personenbezogenen Daten des Betroffenen

EuGH
Urteil vom 04.05.2023
C-487/21
Österreichische Datenschutzbehörde und CRIF


Der EuGH hat entschieden, dass das Recht auf Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO die originalgetreue und verständliche Reproduktion der personenbezogenen Daten des Betroffenen umfasst.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind.

2. Art. 15 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen, dass sich der im Sinne dieser Bestimmung verwendete Begriff „Informationen“ ausschließlich auf personenbezogene Daten bezieht, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß Satz 1 dieses Absatzes eine Kopie zur Verfügung stellen muss.

Die Pressemitteilung des EuGH:
DSGVO: Das Recht, eine „Kopie“ der personenbezogenen Daten zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird

Dieses Recht impliziert das Recht, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn dies unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch die DSGVO verliehenen Rechte zu ermöglichen

CRIF ist eine Kreditauskunftei, die auf Verlangen ihrer Kunden Informationen über die Zahlungsfähigkeit Dritter liefert. Zu diesem Zweck verarbeitete sie die persönlichen Daten des Klägers des Ausgangsverfahrens, einer Privatperson. Letzterer beantragte bei CRIF auf der Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung1 Auskunft über die ihn betreffenden personenbezogenen Daten. Außerdem bat er um Zurverfügungstellung einer Kopie der Dokumente, nämlich E-Mails und Auszüge aus Datenbanken, die u. a. seine Daten enthalten, „in einem üblichen technischen Format“.

Daraufhin übermittelte CRIF dem Kläger des Ausgangsverfahrens in aggregierter Form eine Liste seiner personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung waren. Da der Kläger des Ausgangsverfahrens der Ansicht war, dass CRIF ihm eine Kopie sämtlicher seine Daten enthaltender Dokumente wie E-Mails und Auszüge aus Datenbanken hätte übermitteln müssen, brachte er bei der Österreichischen Datenschutzbehörde eine Beschwerde ein. Diese Behörde wies die Beschwerde mit der Begründung ab, dass CRIF das Recht des Klägers des Ausgangsverfahrens auf Auskunft über die personenbezogenen Daten nicht verletzt habe.

Das Bundesverwaltungsgericht (Österreich), das mit der Klage des Klägers des Ausgangsverfahrens gegen den ablehnenden Bescheid dieser Behörde befasst ist, stellt sich die Frage der Tragweite der in Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO vorgesehenen Verpflichtung, der betroffenen Person eine „Kopie“ ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen. Es fragt sich insbesondere, ob diese Verpflichtung erfüllt ist, wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche die personenbezogenen Daten als Tabelle in aggregierter Form übermittelt, oder ob sie auch die Übermittlung von Auszügen aus Dokumenten oder gar ganzen Dokumenten sowie von Auszügen aus Datenbanken umfasst, in denen diese Daten wiedergegeben werden. Das vorlegende Gericht bittet außerdem um Klarstellung, was der Begriff „Informationen“ in Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO2 genau umfasst.

Mit seinem Urteil erläutert der Gerichtshof den Inhalt und den Umfang des Auskunftsrechts der betroffenen Person über ihre personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Insoweit vertritt er die Auffassung, dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine „Kopie“ der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, nach Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch die DSGVO verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind. Im Übrigen stellt der Gerichtshof klar, dass sich der im Sinne des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO verwendete Begriff „Informationen“ ausschließlich auf personenbezogene Daten bezieht, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß Satz 1 dieses Absatzes eine Kopie zur Verfügung stellen muss.

Würdigung durch den Gerichtshof
In einem ersten Schritt nimmt der Gerichtshof eine grammatikalische, systematische und teleologische Auslegung von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO vor, der das Recht der betroffenen Person vorsieht, eine Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung gestellt zu bekommen. Zum Wortlaut von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO stellt der Gerichtshof fest, dass diese Bestimmung zwar keine Definition des Begriffs „Kopie“ enthält, dass aber der gewöhnliche Sinn dieses Begriffs zu berücksichtigen ist, der die originalgetreue Reproduktion oder Abschrift bezeichnet, so dass eine rein allgemeine Beschreibung der Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, oder ein Verweis auf Kategorien personenbezogener Daten nicht dieser Definition entspräche. Außerdem ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass sich die Mitteilungspflicht auf die personenbezogenen Daten bezieht, die Gegenstand der in Rede stehenden Verarbeitung sind. Nach der grammatikalischen Auslegung dieser Bestimmung geht der Gerichtshof davon aus, dass diese Bestimmung der betroffenen Person das Recht verleiht, eine originalgetreue Reproduktion ihrer personenbezogenen Daten im Sinne einer weiten Bedeutung zu erhalten, die Gegenstand von Vorgängen sind, die als Verarbeitung durch den für diese Verarbeitung Verantwortlichen eingestuft werden müssen.

Zum Kontext, in den Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO eingebettet ist, stellt der Gerichtshof fest, dass Art. 15 Abs. 1 DSGVO Gegenstand und Anwendungsbereich des der betroffenen Person zustehenden Auskunftsrechts festlegt. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der dem Verantwortlichen obliegenden Verpflichtung fest, indem er u. a. in Satz 1 die Form festlegt, in der dieser Verantwortliche die „personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind“, zur Verfügung stellen muss, nämlich in Form einer „Kopie“. Daher kann Art. 15 DSGVO nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 Satz 1 ein anderes Recht als das in seinem Abs. 1 vorgesehene gewährt. Im Übrigen erläutert der Gerichtshof, dass sich der Begriff „Kopie“ nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält und die vollständig sein müssen, bezieht. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind.

Zu den mit Art. 15 DSGVO verfolgten Zielen weist der Gerichtshof darauf hin, dass es der betroffenen Person durch die Ausübung des in diesem Artikel vorgesehenen Auskunftsrechts nicht nur ermöglicht werden muss, zu überprüfen, ob sie betreffende personenbezogene Daten richtig sind, sondern auch, ob sie in zulässiger Weise verarbeitet werden.

Außerdem ergibt sich laut Gerichtshof aus der DSGVO3, dass der Verantwortliche geeignete Maßnahmen zu treffen hat, um der betroffenen Person alle Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln, und dass die Übermittlung der Informationen schriftlich oder in anderer Form, gegebenenfalls auch elektronisch zu erfolgen hat, es sei denn, die betroffene Person verlangt, dass diese mündlich erteilt werden. Daraus folgt, dass die vom Verantwortlichen zur Verfügung stellende Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, alle Merkmale aufweisen muss, die es der betroffenen Person ermöglichen, ihre Rechte aus der DSGVO wirksam auszuüben, und diese Daten daher vollständig und originalgetreu wiedergeben muss.

Somit kann sich, um zu gewährleisten, dass die so bereitgestellten Informationen leicht verständlich sind, die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. personenbezogene Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, als unerlässlich erweisen. Insbesondere wenn personenbezogene Daten aus anderen Daten generiert werden oder wenn sie auf freien Feldern beruhen, d. h. einer fehlenden Angabe, aus der eine Information über die betroffene Person hervorgeht, ist der Kontext, in dem diese Daten Gegenstand der Verarbeitung sind, unerlässlich, damit die betroffene Person eine transparente Auskunft und eine verständliche Darstellung dieser Daten erhalten kann.

Im Fall eines Konflikts zwischen der Ausübung des Rechts auf vollständige und umfassende Auskunft über die personenbezogenen Daten zum einen und den Rechten oder Freiheiten anderer Personen zum anderen sind die fraglichen Rechte und Freiheiten nach Auffassung des Gerichtshofs gegeneinander abzuwägen. Nach Möglichkeit sind Modalitäten der Übermittlung der personenbezogenen Daten zu wählen, die die Rechte oder Freiheiten anderer Personen nicht verletzen, wobei diese Erwägungen nicht dazu führen dürfen, dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird.

In einem zweiten Schritt befasst sich der Gerichtshof mit der Frage, was unter den Begriff „Informationen“ im Sinne des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO fällt. Diese Bestimmung erläutert zwar nicht, was unter dem Begriff „Informationen“ zu verstehen ist, aber aus ihrem Kontext ergibt sich, dass die von dieser Bestimmung erfassten „Informationen“ zwangsläufig den personenbezogenen Daten entsprechen, von denen der für die Verarbeitung Verantwortliche gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO eine Kopie zur Verfügung stellen muss.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


AG Ludwigsburg: Rechtsmissbrauch durch Google Fonts-Abmahnungen - Kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten

AG Ludwigsburg
Urteil vom 28.02.2023
8 C 1361/22

Das AG Ludwigsburg hat zutreffend entschieden, dass die Google Fonts-Abmahnungen eine Serienabmahners rechtsmissbräuchlich waren. Daher besteht auch kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Widerkläger hat gegen die Widerbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog und auf Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite der Widerbeklagten.

1. Das Landgericht München I (Urteil vom 20.01.2022 -3017493/20 -, juris) hat entschieden, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eines Webseitenbesuchers wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Webseitenbesuchers darstellt und ein Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog sowie ein Schadensersatzanspruch gern. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO bestehen, wenn keine Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen.

14
Unbestritten hat der Widerkläger am 17.09.2022 die Webseite der Widerbeklagten unter Einsatzes eines Webcrawlers aufgesucht. Ob der Besuch mit der IP-Adresse des Widerklägers (…) erfolgte, ob die Widerbeklagte einen Link zugunsten von X. in den USA zur Weiterleitung der IP-Adresse des Besuchers der Webseite eingerichtet hatte und die IP-Adresse des Widerklägers an einen Server von X. in den USA gesandt wurde, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO beim Aufsuchen der Webseite mittels eines Webcrawlers überhaupt in Betracht kommt.

2. Den vom Widerkläger geltend gemachten Ansprüchen steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.

Die Rechtsausübung ist rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., §242 Rn. 50). Das Interesse ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als beherrschendes Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen, wobei eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 28.05.2020 -1 ZR 129/19 -, juris).

In § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist geregelt, dass eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem § 8 Abs. 4 Abs. 1 UWG, der allerdings die Vertragsstrafe nicht erwähnte. Der Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Einnahmeerzielungs- und Kostenbelastungsinteresse ist in der Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht seit langem anerkannt (Köhler-Bornkamm-Feddersen, UWG, 41. AufI. § 8c Rn. 14).

Auch wenn diese Vorschrift mangels eines Wettbewersbverhältnisses der Parteien und einer gewerblichen Tätigkeit des Widerklägers keine direkte Anwendung findet, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsgedanke des § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG auch im Rahmen des § 242 BGB zu berücksichtigen ist (LG Dresden, Urteil vom 11.01.2019 -1a O 1582/18 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint die Rechtsausübung des Widerklägers rechtsmissbräuchlich, da nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände beim Widerkläger nicht das Unterlassungsinteresse, sondern das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund steht.

a. Der Widerkläger hat innerhalb des Zeitraums vom 14.09.2022 bis 20.10.2022 unter Berücksichtigung der nach fortlaufenden Nummern vergebenen Aktenzeichen 217.540 Anschreiben verschickt, welche dem an die Widerbeklagte unter dem Datum vom 20.10.2022 verschickten Anschreiben entsprechen. Dass die Aktenzeichen nach fortlaufenden Nummern vergeben wurden, hat der Widerkläger, der dies vorgerichtlich noch in Abrede gestellt hatte, nicht bestritten.

Bei den verschickten Anschreiben handelt es sich nicht um klassische Abmahnungen, da nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassung verlangt wird. Vielmehr wird zur umfassenden Abgeltung der datenschutzrechtlichen Ansprüche eine Zahlung von 170,00 Euro als Vergleich angeboten. Hätten alle im oben genannten Zeitraum Angeschriebenen den Betrag von 170,00 Euro bezahlt, hätte der Widerkläger einen Betrag in Höhe von 36.981.800,00 Euro eingenommen.

Der Widerkläger selbst hat angegeben, dass es ihm vorrangig darum ging, Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts zu erzeugen, um hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu er reichen. Dass dies nur dadurch zu erreichen war, dass eine so große Anzahl von Anschreiben verschickt wird verbunden mit der Aufforderung 170,00 Euro an den Widerkläger zu bezahlen, um die Sache auf sich beruhen zu lassen, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Soweit der Widerkläger vorträgt, dass es sich bei diesem Betrag um eine Schmerzensgeldforderung handle, wird darauf hingewiesen, dass dies dem Anschreiben nicht zu entnehmen ist. In dem Anschreiben wird der Betrag in Höhe von 170,00 Euro vielmehr als Ausgleichszahlung zur Abgeltung der vorgenannten Ansprüche gefordert. Im Abmahnschreiben vom 12.12.2022 hat der Widerkläger dann erstmals einen Betrag in Höhe von 170,00 Euro als Schmerzensgeld gefordert.

b. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Unterlassungsinteresse des Widerklägers durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro besänftigt hätte werden können.

Mit Abgabe der Unterlassungserklärung soll zukünftigen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden. Bereits dadurch, dass der Widerkläger im Anschreiben vom 20.10.2022 angeboten hat, bei Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro die Sache auf sich beruhen zu lassen, kommt zum Ausdruck, dass es dem Widerkläger nicht vorrangig darum ging, dass weitere datenschutzrechtliche Verstöße unterbleiben, sondern um die Erzielung von Einnahmen. Der Widerkläger selbst hat ausgeführt, dass die Abgabe einer Unterlassungserklärung zwar zielführender gewesen wäre, diese aber im Zweifel nicht notwendig sei. Dies begründet der Widerkläger damit, dass wer auf seiner Webseite X. Fonts einmal zulässig eingestellt hat, dies kaum wieder rückgängig machen wird. Dies mag zwar so sein, ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Wiederholungsgefahr besteht, welche der Widerkläger in Kauf nimmt, wenn er dafür 170,00 Euro erhält.

Darüber hinaus hat der Widerklägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Widerkläger davon ausgegangen wäre, dass mit der Bezahlung des Betrages von 170,00 Euro durch den Angeschriebenen die Webseite datenschutzkonform ausgerichtet wurde. Dem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass eine Überprüfung stattgefunden hätte, ob tatsächlich eine datenschutzkonforme Ausrichtung erfolgt ist. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es dem Widerkläger in erster Linie darum ging, von den Angeschriebenen die 170,00 Euro zu erhalten.

Dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der Abmahnende seinen Unterlassungsanspruch vom Abgemahnten abkaufen lässt, ist auch im Wettbewerbsrecht anerkannt (OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11-, juris; OLG Hamburg, Urteil vom 07.07.2010 - 5 U 16/10-, juris).

c. Für ein im Vordergrund stehendes Einnahmeerzielungsinteresse spricht auch, dass der Widerkläger bislang nur dann weitere Maßnahmen ergriffen hat, wenn von den Angeschriebenen negative Feststellungsklage erhoben wurde, obwohl nur insgesamt 2.418 Angeschriebene die geforderten 170,00 Euro bezahlt haben. Soweit der Widerklägervertreter ausführt, dass auch im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand die Ansprüche bislang nicht weiter verfolgt worden seien, überzeugt dies nicht. Zum einen gab der Widerklägervertreter an, dass dies „auch“ am hohen Verwaltungsaufwand liege, ohne noch einen weiteren Grund zu nennen. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum nicht jedenfalls gegen eine gewisse Anzahl der Angeschriebenen, welche nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist die Vergleichssumme nicht bezahlt hat und auch keine negative Feststellungsklage erhoben hat, weiter vorgegangen wurde, zumal dem Anschreiben eindeutig zu entnehmen ist, dass nur bei Bezahlung der Vergleichssumme der Widerkläger die Sache auf sich beruhen lässt. Tatsächlich war es aber so, dass - anstatt die Ansprüche der bereits Angeschriebenen weiterzuverfolgen -immer noch weitere Anschreiben verschickt wurden.

d. Für eine rechtsmissbräuchliche Ausübung spricht auch, dass unter Berücksichtigung des Umfangs der Aktion und des Kostenrisikos sowohl auf Seiten des Widerklägers als auch auf Seiten des Widerklägervertreters anzunehmen ist, dass der Widerkläger mit seinem Bevollmächtigten in kollusiver Weise eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart hat.

Es oblag dem Widerkläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzulegen, wie das Mandat abgerechnet wird bzw. was er an seinen Bevollmächtigten bezahlt hat. Der Widerkläger hat trotz des Bestreitens der Widerbeklagten, dass überhaupt eine Beauftragung erfolgt ist und, wenn doch, dass der Widerkläger seinen Bevollmächtigten bezahlt hat, dies weder nachvollziehbar dargelegt noch unter Beweis gestellt. Der Widerkläger hat lediglich ausgeführt, dass er den von ihm beauftragten Anwalt für seine Tätigkeit, und zwar für jedes Mandat, gemäß Gesetzeslage bezahlt. Hinsichtlich der Gesetzeslage hat er auf die Novembermann Entscheidung des BGH (BGH, Urteil vom 06.06.2019 -I ZR 150/18-, juris) hingewiesen und dargelegt, dass ein kumulierter Streitwert aller inhaltsgleicher Verfahren zugrunde zu legen sei. Dies führe unter Berücksichtigung von 217.540 Anschreiben zu einem je Angeschriebenen zu zahlenden Betrag in Höhe von brutto 1,89 Euro (Streitwert 36.981.180,00 Euro, 1,3 Geschäftsgebühr 161.185,70 Euro zzgl. Postkosten 184.909,00 Euro zzgl. 19 % MwSt. ergibt 411.852.69 Euro). Dem Rechenmodell liegt eine ex-post-Betrachtung für den Zeitraum 14.09. - 20.10.2022 zugrunde. Insoweit wurden vom Widerkläger die Angaben der Widerbeklagten hinsichtlich der Anzahl der in diesem Zeitraum verschickten Anschreiben übernommen. Unbestritten verschickte der Widerkläger aber entsprechende Anschreiben über mehrere Monate, also über einen längeren Zeitraum als vom 14.09 - 20.10.2022. Unter Berücksichtigung, dass der Widerkläger den Widerklägervertreter in Bezug auf jedes Mandat vergütet haben will, ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht, auf welchen Betrag sich die Vergütung für das Tätigwerden des Widerklägervertreters beläuft. Des Weiteren mag die aufgrund der vorgenommenen Berechnung pro Anschreiben berechnete Vergütung gering sein, in Anbetracht der großen Anzahl von Anschreiben ist die Vergütung aber hoch und es ist nicht plausibel, dass der Widerkläger dieses Kostenrisiko selbst trägt. Es widerspricht aber auch der Lebenserfahrung, dass der Widerklägervertreter tätig wird, obwohl ihm unter Berücksichtigung der von ihm vorgenommenen Berechnung seiner Vergütung für den Zeitraum 14.09 -20.10.2022 bereits unter Berücksichtigung der Portokosten für die Anschreiben keine kostendeckende Vergütung mehr zustehen dürfte.

3. Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022 teilt das Schicksal der Hauptforderung.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Anbieter öffentlicher Verzeichnisse müssen bei Löschungsantrag durch gelistete Person Betreiber von Suchmaschinen über Löschungsbegehren informieren

EuGH
Urteil vom 27.10.2022
C-129/21
Proximus (Öffentliche elektronische Teilnehmerverzeichnisse)


Der EuGH hat entschieden, dass Anbieter öffentlicher Verzeichnisse bei Löschungsanträgen durch gelistete Person auch Betreiber von Suchmaschinen über das Löschungsbegehren informieren müssen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Der für die Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortliche ist verpflichtet, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, umSuchmaschinenanbieter über einen Löschungsantrag der betroffenen Person zu informieren

Der für die Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortliche muss geeignete technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um die anderen Verantwortlichen, die ihm diese Daten übermittelt haben bzw. denen er die Daten weitergeleitet hat, über den Widerruf der Einwilligung der betroffenen Person zu informieren. Stützen sich verschiedene Verantwortliche auf ein und dieselbe Einwilligung der betroffenen Person, genügt es, wenn sich diese Person an irgendeinen der Verantwortlichen wendet, um ihre Einwilligung zu widerrufen.

Proximus, ein Anbieter von Telekommunikationsdiensten in Belgien, bietet auch Teilnehmerverzeichnisse und Telefonauskunftsdienste an. Die Verzeichnisse enthalten den Namen, die Adresse und die Telefonnummer der Teilnehmer der verschiedenen Anbieter öffentlich zugänglicher Telefondienste. Diese Kontaktdaten werden von den Telefondienstanbietern an Proximus übermittelt, es sei denn, der Teilnehmer hat den Wunsch geäußert, nicht in die Verzeichnisse aufgenommen zu werden. Proximus leitet außerdem die Kontaktdaten, die sie erhält, an einen anderen Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen weiter.

Telenet, ein belgischer Telefondienstanbieter, leitet die Kontaktdaten seiner Teilnehmer an Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen, darunter Proximus, weiter. Einer dieser Teilnehmer forderte Proximus auf, seine Kontaktdaten in den von ihr und von Dritten herausgegebenen Teilnehmerverzeichnissen nicht aufzuführen. Daraufhin änderte Proximus den Status dieses Teilnehmers dahin gehend, dass seine Kontaktdaten nicht mehr zu veröffentlichen waren.

In der Folge erhielt Proximus jedoch von Telenet eine Aktualisierung der Daten des fraglichen Teilnehmers. Diese Daten waren nicht als vertraulich ausgewiesen. Sie wurden von Proximus nach einem automatisierten Verfahren verarbeitet und dergestalt registriert, dass sie erneut in ihren Teilnehmerverzeichnissen erschienen. Auf die erneute Aufforderung des Teilnehmers hin, seine Daten nicht zu veröffentlichen, antwortete Proximus, dass sie die betreffenden Daten aus den Teilnehmerverzeichnissen gelöscht und Google kontaktiert habe, damit die maßgeblichen Links zur Website von Proximus entfernt würden. Proximus teilte dem fraglichen Teilnehmer außerdem mit, dass sie seine Kontaktdaten an andere Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen weitergeleitet habe, die dank der monatlichen Aktualisierungen über sein Begehren informiert worden seien.

Gleichzeitig legte der fragliche Teilnehmer bei der belgischen Datenschutzbehörde eine Beschwerde ein. Die Streitsachenkammer dieser Behörde verpflichtete Proximus zum Ergreifen von Abhilfemaßnahmen und verhängte wegen Verstoßes gegen mehrere Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine Geldbuße in Höhe von 20 000 Euro gegen sie.

Gegen diese Entscheidung legte Proximus beim Appellationshof Brüssel ein Rechtsmittel ein. Sie machte geltend, die Einwilligung des Teilnehmers sei für die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten in Telefonverzeichnissen nicht erforderlich. Vielmehr müssten die Teilnehmer nach einem sogenannten „Opt-out“- System selbst beantragen, in den Teilnehmerverzeichnissen nicht aufgeführt zu werden. Solange kein solcher Antrag vorliege, dürfe der betreffende Teilnehmer in den Verzeichnissen aufgeführt werden. Die Datenschutzbehörde vertrat eine gegenteilige Auffassung und machte geltend, dass nach der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation die „Einwilligung der Teilnehmer“ im Sinne der DSGVO vorliegen müsse, damit die Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen ihre personenbezogenen Daten verarbeiten und übermitteln dürften.

Vor dem Hintergrund, dass der Widerruf dieser Willensäußerung bzw. „Einwilligung“ durch einen Teilnehmer nicht spezifisch geregelt ist, hat der Appellationshof Brüssel dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

In seinem heute verkündeten Urteil bestätigt der Gerichtshof, dass die Einwilligung eines ordnungsgemäß unterrichteten Teilnehmers für die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten in einem öffentlichen Teilnehmerverzeichnis erforderlich ist. Diese Einwilligung erstreckt sich auf jede weitere Verarbeitung der Daten durch dritte Unternehmen, die auf dem Markt für öffentlich zugängliche Telefonauskunftsdienste und Teilnehmerverzeichnisse tätig sind, sofern diese Verarbeitung denselben Zweck verfolgt.

Die Einwilligung erfordert eine „in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene“ Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen „eindeutigen bestätigenden Handlung“, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist. Jedoch setzt eine solche Einwilligung nicht unbedingt voraus, dass die betroffene Person zum Zeitpunkt ihrer Erteilung die Identität aller Anbieter von Verzeichnissen kennt, die ihre personenbezogenen Daten verarbeiten werden.

Der Gerichtshof weist außerdem darauf hin, dass die Teilnehmer die Möglichkeit haben müssen, die Löschung ihrer personenbezogenen Daten aus Teilnehmerverzeichnissen zu erwirken. Er befindet, dass der Antrag eines Teilnehmers auf Entfernung seiner Daten als Ausübung des „Rechts auf Löschung“ im Sinne der DSGVO angesehen werden kann.

Sodann bestätigt der Gerichtshof, dass sich aus den in der DSGVO geregelten allgemeinen Verpflichtungen ergibt, dass ein für die Verarbeitung personenbezogener Daten Verantwortlicher wie Proximus geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ergreifen muss, um die anderen Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen, denen er solche Daten geliefert hat, über den Widerruf der Einwilligung der betroffenen Person zu informieren. Ein solcher Verantwortlicher muss außerdem den Telefondienstanbieter, der ihm die personenbezogenen Daten übermittelt hat, informieren, damit dieser die Liste der personenbezogenen Daten, die er dem Anbieter von Teilnehmerverzeichnissen nach einem automatisierten Verfahren übermittelt, anpasst. Wenn sich nämlich, wie im vorliegenden Fall, verschiedene Verantwortliche auf eine einheitliche Einwilligung der betroffenen Person stützen, genügt es, dass sich die betroffene Person, um ihre Einwilligung zu widerrufen, an irgendeinen der Verantwortlichen wendet.

Abschließend befindet der Gerichtshof, dass ein Verantwortlicher wie Proximus nach der DSGVO angemessene Maßnahmen zu treffen hat, um Suchmaschinenanbieter über den bei ihm eingegangenen Antrag des Teilnehmers eines Telefondienstanbieters auf Löschung seiner personenbezogenen Daten zu informieren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



In der Online-Ausgabe der PZ - Pharmazeutische Zeitung - Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zum Thema Google Fonts, DSGVO und Abmahnungen

In der Online-Ausgabe der PZ - Pharmazeutische Zeitung erschien ein Beitrag von Melanie Höhn mit dem Titel "Google Fonts - Gefahr der Massenabmahnungen für Apotheker" mit einigen Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zu den relevanten rechtlichen Aspekten.

Siehe auch zum Thema: LG München: Unterlassungsanspruch und 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen Verwendung von Google Fonts mit Übermittlung von IP-Daten an Google


BGH legt EuGH vor: Anspruch gegen Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung der Patientenakte nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO und Möglichkeit der Beschränkung nach § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB

BGH
Beschluss vom 29.03.2022
VI ZR 1352/20
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 12 Abs. 5, Art. 15 Abs. 3 Satz 1, Art. 23 Abs. 1; BGB § 630g Abs. 2 Satz 2


Der BGH hat dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob bzw. in welchem Umfang der Anspruch des Patienten gegen seinen Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung der in der Patientenakte gespeicherten personenbezogenen Daten nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO durch § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB beschränkt ist.

Leitsatz des BGH:
Vorlagefragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 5 und Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, DS-GVO, ABl. EU L 119 vom 4. Mai 2016 S. 1) bezüglich der Reichweite des unionsrechtlichen Anspruchs des Patienten gegen den behandelnden Arzt auf kostenfreie Zurverfügungstellung einer ersten Kopie seiner in der Patientenakte verarbeiteten personenbezogenen Daten und der Möglichkeit einer Beschränkung dieses Anspruchs durch § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB.

BGH, Beschluss vom 29. März 2022 - VI ZR 1352/20 - LG Dessau-Roßlau - AG Köthen

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LG München: Unterlassungsanspruch und 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen Verwendung von Google Fonts mit Übermittlung von IP-Daten an Google

LG München
Urteil vom 20.01.2022
3 O 17493/20


Das LG München hat entschieden, dass der Besucher einer Website gegen den Websitebetreiber einen Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 BGB sowie einen Anspruch auf 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen der Verwendung von Google Fonts in der Variante, bei der eine Übermittlung von IP-Daten an Google erfolgt, hat.

Auch wir raten unseren Mandanten seit Jahren entweder auf Google Fonts komplett zu verzichten oder in der Variante zu verwenden, bei der keine IP-Daten-Übermittlung an Google erfolgt und die Schriftarten auf dem eigenen Server hinterlegt werden.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Weitergabe von IP-Adressen des Klägers an Google aus § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 BGB analog.

Die unerlaubte Weitergabe der dynamischen IP-Adresse des Klägers durch die Beklagte an Google stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes in Form des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB dar. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beinhaltet das Recht des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.

1. Bei der von der Beklagten an Google weitergegebenen dynamischen IP-Adresse handelt es sich um ein personenbezogenes Datum im Sinne von § 12 Abs. 1 und 2 TMG (in der zum Übermittlungszeitraum geltenden Fassung, im weiteren alte Fassung), § 3 Abs. 1 BDSG, Art. 4 Nr. 1 DS-GVO.

Die dynamische IP-Adresse stellt für einen Webseitenbetreiber ein personenbezogenes Datum dar, denn der Webseitenbetreiber verfügt abstrakt über rechtliche Mittel, die vernünftigerweise eingesetzt werden könnten, um mithilfe Dritter, und zwar der zuständigen Behörde und des Internetzugangsanbieters, die betreffende Person anhand der gespeicherten IP-Adressen bestimmen zu lassen (BGH, Urteil vom 16.05.2017 - VI ZR 135/13). Dabei reicht es aus, dass für die Beklagte die abstrakte Möglichkeit der Bestimmbarkeit der Personen hinter der IP-Adresse besteht. Darauf, ob die Beklagte oder Google die konkrete Möglichkeit hat, die IP-Adresse mit dem Kläger zu verknüpfen, kommt es nicht an.

2. Die Beklagte verletzte das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung, indem die Beklagte die dynamische IP-Adresse an Google weiterleitete, als der Kläger die Webseite der Beklagten aufrief.

Die automatische Weitergabe der IP-Adresse durch die Beklagte an Google war ein nach dem Datenschutzrecht unzulässiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers, da der Kläger unstreitig in diesem Eingriff nicht gemäß § 13 Abs. 2 TMG a.F., Art. 6 Abs. 1 a) DSGVO eingewilligt hat.

3. Es liegt auch kein Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Ein berechtigtes Interesse der Beklagten i.S.d. Art. 6 Abs. 1 f) DS-GVO, wie von ihr behauptet, liegt nicht vor, denn Google Fonts kann durch die Beklagte auch genutzt werden, ohne dass beim Aufruf der Webseite eine Verbindung zu einem Google-Server hergestellt wird und eine Übertragung der IP-Adresse der Webseitennutzer an Google stattfindet.

4. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, vor dem Aufrufen der Webseite der Beklagten seine eigene IP-Adresse zu verschlüsseln. Dies vom Kläger zu verlangen, würde dem Zweck des hier betroffenen Datenschutzrechtes, welches in erster Linie den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten vor Beeinträchtigung bezweckt, zuwiderlaufen, sondern diesen vielmehr umkehren, da durch eine solche Verpflichtung der Rechteinhaber bei der Ausübung seiner schützenswerten Rechte eingeschränkt werden würde {LG Dresden, Urteil vom 11.01.2019, Aktenzeichen 1 AO 1582/18).

5. Wiederholungsgefahr ist zu bejahen. Unstreitig wurde die IP-Adresse des Klägers bei Besuchen des Klägers auf der Webseite der Beklagten an Google weitergeleitet. Vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigungen begründen eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr, die durch die Beklagte nicht widerlegt wurde. Die Wiederholungsgefahr wird nicht dadurch ausgeräumt, dass die Beklagte mittlerweile Google Fonts so benutzt, dass eine Kundgabe der IP-Adresse der Webseitenbesucher an Google nicht mehr stattfindet. Die Wiederholungsgefahr kann lediglich durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung beseitigt werden.

II. Der Auskunftsanspruch des Klägers folgt aus Art. 15, Art. 4 Nr. 2 DS-GVO.

III. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO zu. Der Begriff des Schadens i.S.d. Art. 82 DS-GVO ist nach dem Erwägungsgrund 146 S. 3 dabei weit auszulegen. Die Auslegung soll den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entsprechen, auch dem Ziel der Sanktion und Prävention (BeckOK Datenschutzrecht, Wolff/Bring, 38. Edition, DS-GVO Art. 82, Rn. 24). Ausreichend ist gern. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO dabei auch ein immaterieller Schaden. Ob eine Erheblichkeitsschwelle erreicht bzw. überschritten sein muss und so genannte Bagatellschäden auszuschließen sind, ist umstritten (vgl. BVerfG NJW 2021, 1005,Rz. 20 m.w.N.; Kohn ZD 2019, 498 (501); Paal MMR 2020, 14 (16)), kann aber im hiesigen Fall dahingestellt bleiben. Die Beklagte räumt ein, dass sie vor der Modifizierung ihrer Webseite bei den Besuchen des Klägers auf ihrer Webseite dessen IP-Adresse an Google übermittelt hat. Die Übermittlung der IP-Adresse erfolgte damit nicht nur einmalig. Der damit verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist im Hinblick auf den Kontrollverlust des Klägers über ein personenbezogenes Datum an Google, ein Unternehmen, das bekanntermaßen Daten über seine Nutzer sammelt und das damit vom Kläger empfundene individuelle Unwohlsein so erheblich, dass ein Schadensersatzanspruch gerechtfertigt ist. Berücksichtigt werden muss dabei auch, dass unstreitig die IP-Adresse an einen Server von Google in den USA übermittelt wurde, wobei dort kein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 16.7.2020 - C-311/18 (Facebook Ireland u. Schrems), NJW 2020, 2613) und die Haftung aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO präventiv weiteren Verstößen vorbeugen soll und Anreiz für Sicherungsmaßnahmen schaffen soll. Die Hohe des geltend gemachten Schadensersatzes ist im Hinblick auf die inhaltliche Schwere und Dauer der Rechtsverletzung angemessen und wird von der Beklagten auch nicht angegriffen.


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OLG Dresden: Geschäftsführer ist neben der GmbH Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 DSGVO und haftet als Gesamtschuldner mit der GmbH für Ansprüche aus Art. 82 DSGVO

OLG Dresden
Urteil vom 30.11.2021
4 U 1158/21


Das OLG Dresden hat entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH neben der GmbH Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 DSGVO ist und persönlich als Gesamtschuldner mit der GmbH für Ansprüche aus Art. 82 DSGVO haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Nach Rücknahme der Berufungen durch die Beklagten und deren Streithelfer steht ein jeweils selbstständiger Verstoß gegen die Vorschriften der DS-GVO durch die Beklagten rechtskräftig fest. Sowohl der Beklagte zu 1) als auch der Beklagte zu 2) sind verantwortlich im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DS-GVO, denn Anknüpfungspunkt für einen Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ist zunächst die „Verantwortlichkeit“, die immer dann zu bejahen ist, wenn eine natürliche oder juristische Person alleine oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und die Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheiden kann und entscheidet (Gola, Bearb. Gola, DS-GVO-Kommentar, 2. Aufl. 2018, Art. 4 Rz. 48; Ambrock ZD 2020, S. 429 - nach beck-online). Damit entfällt zwar in aller Regel die Verantwortlichkeit weisungsgebundener Angestellter oder sonstiger Beschäftigter, für den Geschäftsführer, wie es der Beklagte zu 2) zum Zeitpunkt der Beauftragung des Streithelfers war, gilt dies allerdings nicht.

Die Beklagten haben auch personenbezogene Daten im Sinne des Art. 4 Ziff. 1 DS-GVO verarbeitet. Denn nach Art. 4 Ziff. 2 DS-GVO fällt hierunter das Erheben und Erfassen von Daten ebenso wie die Offenlegung durch Übermittlung oder das Abfragen sowie die Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung.

Die in dieser Weise durch die Beklagten als Verantwortliche durchgeführte Datenverarbeitung war unrechtmäßig. Dabei ist unerheblich, dass der Kläger seine Einwilligung nur im Hinblick auf die Weitergabe seiner Daten zu werblichen Zwecken ausdrücklich untersagt hat. Nach der Regelungsstruktur der DS-GVO ist jede Verarbeitung personenbezogener Daten ohne aktiv erteilte Einwilligung rechtswidrig, es sei denn, es greift einer der in Art. 6 DS-GVO genannten Rechtfertigungsgründe. Allerdings ist auch dies vorliegend nicht der Fall, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat. Eine Rechtfertigung nach Art. 6 Abs. 1f DS-GVO kommt vorliegend nicht in Betracht. Dabei bedarf es noch nicht einmal der bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 f DS-GVO erforderlichen Interessenabwägung, denn die im Ausspähen des Klägers liegende und dem Beklagten zuzurechnende Datenverarbeitung war bereits nicht erforderlich. Der Erforderlichkeitsgrundsatz ist ein Ausfluss des Zweckbindungsgrundsatzes im Sinne von Art. 5 Abs. 1 b DS-GVO, der der Ausfüllung und Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Er darf zwar nicht im Sinne einer zwingenden Notwendigkeit überinterpretiert werden, verlangt werden muss indessen, dass die Datenverarbeitung zur Erreichung des Zweckes nicht nur objektiv tauglich ist, sondern dass eine für die betroffene Person weniger invasive Alternative entweder nicht vorliegt oder für den Verantwortlichen nicht zumutbar ist (Gola-Schulz, a.a.O., Art. 6 Rz. 20 m.w.N.). Dies war hier nicht der Fall. Dabei kann offenbleiben, ob nach § 2 Abs. 2 der Satzung des Beklagten zu 1) grundsätzlich nicht auch ehemaligen Straftätern oder nicht einwandfrei beleumundeten Personen die Möglichkeit einer Vereinsmitgliedschaft - in Abhängigkeit von der Art der zuvor begangenen Verfehlungen - zu gewähren wäre. Auch wenn es danach gerechtfertigt wäre, extremistische politische Gesinnungen aus dem Verein fernzuhalten oder Personen allein wegen eines gegen diese geführten Ermittlungsverfahrens von vornherein auszuschließen, so hätte es vorliegend genügt, den Kläger zunächst zur ergänzenden Selbstauskunft, gegebenenfalls Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses aufzufordern, nachdem dieser auch nach Behauptung des Beklagten zu 1) von sich aus ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren angesprochen haben soll. Die durch den Streithelfer abzuklärenden etwaigen Vorstrafen des Klägers verstoßen darüber hinaus auch gegen Art. 10 DS-GVO, der die Verarbeitung personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Straftaten oder damit zusammenhängende Sicherungsmaßregeln grundsätzlich nur unter behördlicher Aufsicht gestattet.

2. Die unzulässige Datenverarbeitung durch die Beklagten zu 1) und 2) rechtfertigt einen immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 DS-VGO allerdings lediglich in der vom Landgericht ausgeurteilten Höhe. Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Klägers in der Berufungsbegründung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat greifen nicht durch.

Im Einzelnen:

a) Entgegen der Auffassung der Beklagten überschritt die Ausspähung des Klägers eindeutig die Bagatellschwelle. Die Datenweitergabe mit den daraus resultierenden Folgen ging über die reine Privatsphäre oder das Privatverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten zu 2) weit hinaus, denn nachdem dieser die Weitergabe der erhobenen Daten angeordnet hatte, wurden die hieraus gewonnenen Ergebnisse den übrigen Vorstandsmitgliedern des Beklagten zu 1) bekannt gegeben. Des Weiteren wurde dem Kläger die Mitgliedschaft im Verein versagt, was zwar nicht unmittelbar zu wirtschaftlichen Einbußen geführt, aber sein Interesse beeinträchtigt hat, als Autohändler auch durch die Mitorganisation der Oldtimer-Ausfahrten auf sich aufmerksam zu machen. Des Weiteren musste der Kläger subjektiv damit rechnen, dass die über ihn eingeholten Daten nicht lediglich an zwei Vorstandsmitglieder gelangt sind und damit Details aus seiner Vergangenheit möglicherweise in einem größeren Umfeld bekannt geworden sind.

Damit ist unabhängig von der Frage, wie glaubwürdig die Einlassungen des Klägers zu seinen negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit DDR-Recht sind, die Schwelle zur Bagatellverletzung überschritten und handelt es sich nicht um eine völlig unerhebliche Beeinträchtigung.

Im Rahmen der nach § 287 ZPO vorzunehmenden Schadensschätzung sind auch i.R.d. Art. 82 DS-VGO allgemein die Art, Schwere, Dauer des Verstoßes, Grad des Verschuldens, Maßnahmen zur Minderung des den betroffenen Personen entstandenen Schadens, frühere einschlägige Verstöße sowie die Kategorien der betroffenen personenbezogenen Daten in die Erwägung mit einzubeziehen (vgl. Arbeitsgericht Düsseldorf, Urt. v. 05.03.2020 - 9 Ca 6557/18, juris, Rz. 104; Albrecht, Urteilsanmerkung in juris PR-ITR 19/20 vom 18.09.2020; Pahl-Alibrandi, ZD 2021 „auch immaterieller Schadensersatz bei Datenschutzverstößen - Bestandsaufnahme und Einordnung der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 82 DS-GVO, S. 241 - 247). Nach Erwägungsgrund Nr. 146 der DS-GVO soll der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des EuGH weit und auf eine Art und Weise ausgelegt werden, „die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht“. Nach dem Effektivitätsprinzip (effet utile) ist insoweit - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch eine abschreckende Sanktion nicht ausgeschlossen (Gola, a.a.O., Art. 82 Rz. 3 m.w.N.). Dies bedeutet aber nicht, dass die Geldentschädigung zwingend „Strafcharakter“ haben muss, sondern die Höhe des Anspruchs muss auf der Basis des Effektivitätsprinzips eine abschreckende Wirkung haben (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2015 - C 407/14 Rz. 44). Vorliegend handelte es sich aber lediglich um einen einmaligen Verstoß, dass bei der Beklagten regelhaft Daten über alle Antragsteller durch Einschaltung eines Detektivbüros erhoben werden, hat der Kläger zu beweisen, die Beklagtenseite hat insoweit unwidersprochen vorgetragen, dass frühere „Ausspähungen“ nur im Rahmen von Arbeitsverhältnissen und zur Überprüfung konkreter Verdachtsmomente im Hinblick auf Straftaten erfolgt sind. Ebenso wenig ist der Senat von den Darlegungen des Klägers im Hinblick auf seine persönliche besondere Betroffenheit wegen vorheriger traumatischer Erfahrungen seiner Familie im Rahmen des DDR-Regimes überzeugt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach den insoweit ebenfalls unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Beklagten zu 2) in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2021 der Beklagte zu 1) insoweit Konsequenzen gezogen hat, als er den Beklagten zu 2) von sämtlichen leitenden Funktionen bei der Beklagten zu 1) u. a. wegen des streitgegenständlichen Vorfalls ausgeschlossen hat. Umgekehrt ist allerdings zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass es sich bei den erhobenen Daten mit Strafrechtsbezug um besonders sensible Daten handelte, so dass insofern der Verstoß, auch wenn die über den Kläger erhobenen Daten nicht weitergegeben worden sein sollten, hinreichend schwer wiegt. In der Gesamtabwägung hält der Senat das bereits vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € für angemessen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt er auf die umfassende Abwägung in der angefochtenen Entscheidung Bezug.


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LG Heidelberg: Kein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gegen verarbeitende Stelle wenn der Aufwand unverhältnismäßig ist - Sichtung und Anonymisierung von über 10.000 E-Mails

LG Heidelberg
Urteil vom 06.02.2020
4 O 6/19


Das LG Heidelberg hat entschieden, dass kein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO gegen die verarbeitende Stelle besteht, wenn der Aufwand unverhältnismäßig ist. Vorliegend hat das Gericht eine Unverhältnismäßigkeit bejaht, da die Sichtung und Anonymisierung von über 10.000 E-Mails erforderlich gewesen wäre.