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OLG Nürnberg: Plattformbetreiber wie YouTube haften auch nach Art. 6 Abs.1 Digital Services Act (DSA) nur bei unschwer erkennbareren Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf Unterlassung

OLG Nürnberg
Urteil vom 23.07.2024
3 U 2469/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass Plattformbetreiber wie YouTube auch nach Art. 6 Abs.1 Digital Services Act (DSA) nur bei unschwer erkennbareren Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf Unterlassung haften.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Störerhaftung steht in Einklang mit den Vorgaben des nunmehr geltenden Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes über digitale Dienste (DSA), der die bisherigen Haftungsbeschränkungen des § 10 S. 1 TMG ersetzt.

aa) Bei der Beklagten handelt es sich um einen Vermittlungsdienstleister i.S.v. Art. 2 Abs. 1 DSA, weil sie einen „Hosting“- Dienst betreibt, der darin besteht, von einem Nutzer bereitgestellte Informationen in dessen Auftrag zu speichern (Art. 3 lit. g) iii) DSA). Es ist nicht dargetan, dass die Beklagte beim Hochladen des Videos ihre neutrale Rolle verlassen und eine aktive Rolle eingenommen hat (vgl. Erwägungsgrund 18 S. 1 DSA), insbesondere dass sie bewusst mit einem Nutzer zusammenarbeitet, um rechtswidrige Tätigkeiten auszuüben (vgl. Erwägungsgrund 18 S. 1 DSA). Insbesondere genügt allein die Bereitstellung der technischen Infrastruktur samt Such- und Rankingfunktion nicht, um eine aktive Rolle des Diensteanbieters zu begründen (vgl. EuGH GRUR 2021, 1054 Rn. 95, 107 ff. – YouTube und Cyando).

bb) Anbietern von Vermittlungsdiensten wird keine allgemeine Verpflichtung auferlegt, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten (Art. 8 DSA, vgl. § 7 Abs. 2 TMG a.F.).

Darüber hinaus enthält die Vorschrift des Art. 6 DSA einen Haftungsausschluss für Hostingdienste, um die Haftungsrisiken für diese Dienste im Rahmen zu halten. Deren Anwendungsbereich ist eröffnet, da weder der Nutzer Herr J. der Beklagten untersteht oder von ihr beaufsichtigt wird, noch es sich bei dem Video um eigene oder zu eigen gemachte Inhalte der Beklagten handelt. Daher haftet die Beklagte als Diensteanbieterin nicht für die im Auftrag des Nutzers Herrn J. in dem Video gespeicherten Informationen, sofern sie keine tatsächliche Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten hat, und sobald sie diese Kenntnis oder dieses Bewusstsein erlangt, zügig tätig wird, um den Zugang zu den rechtswidrigen Inhalten zu sperren oder diese zu entfernen. Dabei ist die Kenntnis von einer konkreten rechtswidrigen Information erforderlich, weshalb der Hinweis auf eine behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzung so präzise sein muss, dass der Diensteanbieter die beanstandeten Inhalte leicht auffinden und deren Rechtswidrigkeit ohne Weiteres feststellen kann (BeckOK IT-Recht/Sesing-Wagenpfeil, 14. Ed. 1.4.2024, DSA Art. 6 Rn. 52).

Auch nach Art. 6 DSA muss somit ein Anlass für den Diensteanbieter bestehen, einen Inhalt auf seine Rechtswidrigkeit hin zu überprüfen. Ein solcher Anlass kann insbesondere durch hinreichend präzise und begründete Nutzermeldungen im Verfahren nach Art. 16 DSA entstehen, wobei sich die Unaufklärbarkeit der Rechtswidrigkeit nicht zulasten des Diensteanbieters auswirken darf (BeckOK IT-Recht/Sesing-Wagenpfeil, 14. Ed. 1.4.2024, DSA Art. 6 Rn. 41). Auch in einem vorzusehenden Meldeverfahren muss nach Art. 16 Abs. 3 DSA die Information es einem sorgfältig handelnden Anbieter von Hostingdiensten ermöglichen, ohne eingehende rechtliche Prüfung festzustellen, dass die einschlägige Tätigkeit oder Information rechtswidrig ist. Sie darf es nicht erforderlich machen, dass der Hostingdiensteanbieter den Kontext eigenständig einschätzen und einer detaillierten juristischen Prüfung unterziehen muss (NK-DSA/Raue, 1. Aufl. 2023, DSA Art. 16 Rn. 51).

cc) Die Haftungsbeschränkung des § 10 S. 1 TMG galt nicht für Unterlassungsansprüche, die ihre Grundlage in einer vorangegangenen Rechtsverletzung haben (BGH a.a.O. Rn. 21 – Hotelbewertungsportal). Es kann dahinstehen, ob dies auch für Art. 6 DSA angenommen werden kann (vgl. BeckOK IT-Recht a.a.O. Art. 6 Rn. 61 ff.; NK-DSA/F. Hofmann, 1. Aufl. 2023, DSA Art. 6 Rn. 27 f.). Denn jedenfalls lässt Art. 6 Abs. 4 DSA – ebenso wie zuvor schon Art. 14 Abs. 3 der E-Commerce-Richtlinie – die Möglichkeit unberührt, dass eine Justizbehörde nach dem Rechtssystem eines Mitgliedstaats vom Diensteanbieter verlangt, eine Zuwiderhandlung abzustellen oder zu verhindern (vgl. (BGH a.a.O. Rn. 20 – www.jameda.de). Betroffen hiervon sind vor allem zivilrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche. Materiell fußen derartige Anordnungen im deutschen Recht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf den Grundsätzen der Haftung als mittelbare Störer analog § 1004 BGB (BeckOK IT-Recht a.a.O. Art. 6 Rn. 64).

dd) Ob die vom Bundesgerichtshof begründete grundsätzliche Notwendigkeit zur Einholung einer Stellungnahme des Nutzers durch den Hostprovider den Vorgaben des DSA widerspricht (so Müller-Terpitz/Köhler/Barudi, DSA, 1. Aufl. 2024, Art. 16 Rn. 33; auch kritisch zur Vermischung der Kenntniserlangung nach § 10 TMG und den Prüfpflichten im Rahmen der Störerhaftung MüKoStGB/Altenhain, 4. Aufl. 2023, TMG § 10 Rn. 17), kann im Streitfall offenbleiben. Allerdings sprechen nach Auffassung des Senats verschiedene Umstände gegen einen solchen Widerspruch, zumal Erwägungsgrund 50 S. 1 des DSA auf die besonders wichtige Rolle des Hostingdiensteanbieters beim Umgang mit rechtswidrigen Online-Inhalten verweist.

Zum einen steht die Kenntniserlangung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. b DSA in Wechselwirkung mit dem nach Art. 16 DSA einzurichtenden Meldeverfahren. Diese Meldungen von rechtswidrigen Inhalten sollen nach Art. 16 Abs. 3 DSA bewirken, dass für die Zwecke des Art. 6 DSA von einer tatsächlichen Kenntnis oder einem Bewusstsein in Bezug auf die betreffende Einzelinformation ausgegangen wird, wenn sie es einem sorgfältig handelnden Anbieter von Hostingdiensten ermöglichen, ohne eingehende rechtliche Prüfung festzustellen, dass die einschlägige Tätigkeit oder Information rechtswidrig ist. Auch Art. 16 Abs. 6 DSA enthält eine Verpflichtung zu einer Beschwerdeentscheidung, die sorgfältig, frei von Willkür und objektiv ist (vgl. NK-DSA/Raue, a.a.O. Art. 16 Rn. 62). Und die Pflicht zur sorgfältigen Bearbeitung einer Meldung nach Art. 16 Abs. 3 DSA kann eine Beteiligung des Verfassers des Betrags implizieren.

Zum anderen kann diese Obliegenheit zur Einholung einer Stellungnahme des Nutzers durch den Hostprovider unter die Regelung des Art. 6 Abs. 4 DSA subsumiert werden. Nach dieser Vorschrift lässt die in Abs. 1 enthaltene Privilegierung die Möglichkeit unberührt, dass eine Justizbehörde nach dem Rechtssystem eines Mitgliedstaats vom Diensteanbieter verlangt, eine Zuwiderhandlung abzustellen oder zu verhindern. Dies kann auch eine auf der Störerhaftung beruhende und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls begründete Pflicht des Providers zur Klärung der Berechtigung der Beanstandung des Betroffenen unter Einbeziehung einer Stellungnahme des Nutzers umfassen.

c) Vor dem Hintergrund dieser materiellen Anforderungen an ein Tätigwerden des Hostproviders trifft den Portalbetreiber in prozessualer Hinsicht bezüglich der für die Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange maßgeblichen Tatsachen eine sekundäre Darlegungslast, wenn der Klagepartei insoweit eine nähere Darlegung nicht möglich ist und sie auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat. Dabei kann der Portalbetreiber auch eine Recherchepflicht haben. Diese ist ihm grundsätzlich zumutbar, da er auf Grund seiner materiellen Prüfpflicht ohnehin gehalten sein kann, vom User zusätzliche Angaben und Belege zu den Tatsachen zu fordern. Dem entspricht in prozessualer Hinsicht seine Obliegenheit, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vom Nutzer entsprechende Informationen zu fordern. Kommt der Portalbetreiber dieser Obliegenheit nicht nach, sind die Tatsachenbehauptungen der Klagepartei nach den allgemeinen Regeln über die sekundäre Darlegungslast nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu bewerten (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 47-49 – www.jameda.de).

Dieser Grundsatz aus dem „Jameda-Urteil“ zur Darlegungslast entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast dann trifft, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind. Sie führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast hinausgehenden Verpflichtung des Prozessgegners, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (BGH GRUR 2014, 657, Rn. 17, 18 – BearShare; BGH GRUR 2009, 871, Rn. 27 – Ohrclips).

Daraus folgt, dass die sekundäre Darlegungslast des Hostproviders und die daran anknüpfende Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO nicht greifen, wenn entweder die Tatsachen aus dem angegriffenen Beitrag aus der Sphäre des Betroffenen stammen oder dem Betroffenen eine weitere Sachverhaltsaufklärung – beispielsweise durch eine eigene Kontaktierung des Nutzers – möglich und zumutbar ist.

2. Im vorliegenden Fall können unter Berücksichtigung des zugrundezulegenden rechtlichen Maßstabs (nachfolgend unter Buchstabe a)) die behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf der Grundlage der Darlegungen des Klägers nicht unschwer bejaht werden (nachfolgend unter Buchstabe b)). Daher wurde dadurch eine Pflicht der Beklagten, i.S.v. Art. 6 Abs. 1 DSA bzw. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung als mittelbare Störerin tätig zu werden, nicht ausgelöst (nachfolgend unter Buchstabe c)). Eine andere Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der Grundsätze zur sekundären Darlegungslast veranlasst (nachfolgend unter Buchstabe d)).

a) Folgender Rechtsrahmen ist in Bezug auf die Voraussetzungen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung für den Senat streitentscheidend:

Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH a.a.O. Rn. 30 – www.jameda.de). Dabei sind das durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG (auch i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der bewerteten Partei am Schutz ihrer sozialen Anerkennung und ihrer (Berufs) Ehre mit der in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Meinungsäußerungsfreiheit des Bewertenden abzuwägen.

Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen insbesondere vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (BGH GRUR 2013, 312 Rn. 12 – IM „Christoph“). Bei unwahren Tatsachenbehauptungen hat die Meinungsfreiheit des sich Äußernden regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten, denn an der Verbreitung unwahrer Tatsachen besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse.

Bei Meinungsäußerungen verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und dem geschützten Rechtsgut andererseits droht (BVerfG NJW 2018, 770 Rn. 18). Lässt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an (BVerfG NJW 1995, 3303 [3304] – Soldaten sind Mörder).

Bei Äußerungen, in denen sich wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen ist, fällt bei der Abwägung maßgeblich der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile ins Gewicht. Enthält die Meinungsäußerung einen erwiesen falschen oder bewusst unwahren Tatsachenkern, so tritt das Grundrecht der Meinungsfreiheit regelmäßig hinter die Schutzinteressen des von der Äußerung Betroffenen zurück. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden (BGH NZG 2018, 797 Rn. 38).

Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist dabei unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, ist bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, zu berücksichtigen. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH NZG 2018, 797 Rn. 20).

Ein Anspruch steht grundsätzlich nur demjenigen zu, der durch den Beitrag individuell und unmittelbar betroffen ist. Die Äußerung muss sich, so wie sie vom Verkehr verstanden wird, mit dem Anspruchstellenden befassen oder in enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder gewerblichen Leistungen stehen (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 5 Rn. 262). Das ist primär derjenige, der in der Äußerung erwähnt ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann in Konstellationen angenommen werden, die auf einem sehr engen Näheverhältnis beruhen (Ehefrau und Ehemann / Eltern und Kinder), wobei in diesen Fällen nicht jede (ehrverletzende) Äußerung ausreicht, sondern die Äußerung sich auch jeweils auf das Persönlichkeitsbild der mittelbar betroffenen Person auswirken muss. Darüber hinaus kann bei einem Verband auch ein Verbandsmitglied betroffen sein, wenn durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Verbands zugleich auch das eigene Persönlichkeitsbild des Mitglieds mit der Vorstellung eines Minderwertes belastet ist (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 823 Rn. 94). Schließlich kann bei juristischen Personen auch der unmittelbar Verantwortliche wie etwa der Alleingesellschafter und Geschäftsführer anspruchsberechtigt sein (BeckOK InfoMedienR/Söder, 44. Ed. 1.5.2024, BGB § 823 Rn. 74).

b) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs können die angegriffenen Äußerungen nicht als unschwer zu bejahende Persönlichkeitsrechtsverletzungen qualifiziert werden. Entweder handelt es sich dabei um – eine Abwägung notwendig machende – Meinungsäußerungen, keine unzutreffenden Tatsachenbehauptungen oder nicht den Kläger unmittelbar betreffende Aussagen.

aa) Bei der explizit den Kläger namentlich nennenden Aussage
„Herr W., der überall als Manager von W. genannt wird – zusammen mit Herrn Prof. R. – sind nur Teilhaber der Gesellschaft“
handelt es sich um eine zulässige Tatsachenbehauptung. Denn der Kläger behauptet selbst, Gesellschafter der W. GmbH zu sein. Dies entspricht der umgangssprachlichen Formulierung „Teilhaber der Gesellschaft“.

Gleiches gilt für die Behauptung, dass Herr W. nach außen als Manager der W. GmbH auftrete. Auch diese Äußerung ist nach dem Klägervortrag zutreffend, da der Kläger in der Klageschrift ausführt, dass Herr W. in der Außendarstellung der Gesellschaft tätig sei und die Tätigkeiten der Gesellschaft bei Veranstaltungen im Iran vorstelle.

bb) Bei der unmittelbar auf den Kläger bezogenen Äußerung
„Diese Personen (L., R., W.), die in die Taschen (der Menschen im Iran) greifen und ihnen das Geld herausziehen (rauben) […]“
handelt es sich um ein Werturteil, welches – da es nicht als Schmähkritik einzustufen ist – eine Abwägung der Grundrechtsbelange erfordert und deshalb nicht eine unschwer bejahbare Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.

(1) Es handelt sich insgesamt um eine Meinungsäußerung, da die angegriffene Aussage Tatsachen und Meinungen derart vermengt, dass sie insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden und durch die Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ihr Sinn verfälscht würde.

Denn die Ermittlung des objektiven Sinns der Aussagen, deren Unterlassung der Kläger begehrt, aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums, zeigt, dass es dem sich in dem Video Äußernden maßgeblich darum geht, sein subjektives Empfinden über das Geschäftsgebaren der W. GmbH insgesamt auszudrücken. Mit der Aussage wird nicht etwa ein konkreter Sachverhalt geschildert, in dem der Kläger anderen Personen „in die Taschen“ greife und so im Wege des Diebstahls oder Betrugs Geld aus diesen Taschen an sich nehme. Es wird vielmehr deutlich, dass hier eine wertende Äußerung, nämlich die subjektive Ansicht des sich Äußernden zum Ausdruck kommt. Er vermittelt sein eigenes Werturteil, indem er zeigt, dass nach seiner Auffassung das gerügte Verhalten der W. GmbH unredlich ist, weil die Betroffenen keine angemessene Gegenleistung für ihre Bezahlung erhalten. Das ist eine subjektive Einschätzung und damit eine Meinungsäußerung.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass es in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass selbst die Verwendung von Wörtern wie „Betrug“ oder auch „betrügerisch“ oder „Machenschaften“ nicht als Tatsachenbehauptung einer Strafbarkeit anzusehen ist, sondern als Werturteil im alltagssprachlichen Sinne (vgl. nur BGH GRUR 2015, 289, Rn. 10 – Hochleistungsmagneten; OLG Hamburg MMR 2011, 685 [688]; BGH NJW 2002, 1192 [1193]). In seiner Entscheidung Hochleistungsmagneten hielt der BGH etwa die Bezeichnungen als „groß angelegten Schwindel“ oder „Betrug“ für (zulässige) Meinungsäußerungen, da sie die Missbilligung des geschäftlichen Verhaltens der dortigen Klägerin zum Ausdruck brachten und damit eine subjektive Wertung. Selbst wenn man diese Begriffe als Entäußerung einer Rechtsauffassung verstehen wollte, änderte dies nichts an deren Zulässigkeit, denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind rechtliche Bewertungen in der Regel als Meinungsäußerungen und nicht als Tatsachenbehauptung zu qualifizieren (BGH a.a.O. Rn. 10 – Hochleistungsmagneten).

(2) Die für die Feststellung der Persönlichkeitsrechtsverletzung erforderliche Abwägung ist nicht deshalb entbehrlich, weil die angegriffene Äußerung als Schmähkritik zu qualifizieren wäre und deshalb nicht am Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG teilhätte.

Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen formuliert ist; sie kann nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik angesehen werden (BGH a.a.O. Rn. 18 – Hochleistungsmagneten).

Nach diesen Grundsätzen ist die angegriffene Äußerung im Gesamtzusammenhang, in dem sie gefallen ist, nicht als Schmähkritik zu qualifizieren, da ihr ein Sachbezug nicht abgesprochen werden kann. Der Beitrag bezieht sich – für den verständigen Durchschnittsrezipienten erkennbar – insgesamt auf den wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der W. GmbH. Diese Auseinandersetzung in der Sache tritt nicht, wie es bei der Schmähkritik der Fall wäre, vollständig in den Hintergrund, so dass die gesamte Kommentierung sich auch nicht in einer persönlichen Kränkung erschöpft. Die Äußerung stellt ebenso wenig eine Formalbeleidigung oder einen Angriff auf die Menschenwürde des Klägers dar, da sie noch nicht das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts verlässt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15.08.2023 – 204 StRR 292/23, Rn. 30). Gerade im Geschäftsverkehr muss man sich auch scharfe und überzogen formulierte Kritik gefallen lassen (vgl. BGH NJW 2015, 773 Rn. 19).

(3) Über die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Äußerung wäre somit im Rahmen einer Gesamtabwägung der Schutzinteressen des lediglich in seiner Sozialsphäre betroffenen Klägers und dem Recht des sich Äußernden auf Meinungsfreiheit zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund kann der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Klägers nicht unschwer bejaht werden.

cc) Die weitere unmittelbar auf den Kläger bezogene Äußerung
„Noch trauriger ist, dass weder Herr W. noch Prof. R. Fachkenntnisse in Arbeitsvermittlung haben.“
enthält ebenfalls keine unschwer zu bejahende Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Auch wenn die Äußerung insgesamt auf einem – eine Abwägung bedingenden – Werturteil beruht, enthält sie die Tatsachenbehauptung, dass der Kläger über keine (besonderen) Fachkenntnisse in der Arbeitsvermittlung verfüge, weil sie insoweit beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft. Auch wenn der Begriff der „Fachkenntnisse“ nicht eindeutig ist, enthält die Aussage für den angesprochenen Verkehr den nachprüfbaren Tatsachenkern, dass der Kläger keine langjährige Berufserfahrung und/oder Schulung durch umfassende Praxis und fundierte theoretische Kenntnisse im Bereich der Arbeitsvermittlung hat.

Dieser Tatsachenkern ist bereits nach den Darlegungen des Klägers nicht unzutreffend. Denn der Kläger trägt lediglich vor, dass er Professor an der Fakultät Betriebswirtschaft der T. Hochschule und lange Koordinator für die Iran-Aktivitäten der T. Hochschule gewesen sei. Seit 2008 habe er den Iran häufig besucht und sei mit den kulturellen und institutionellen Gegebenheiten im Iran und mit der Lage am deutschen Arbeitsmarkt vertraut. Zudem betreue er in seiner Funktion als Hochschullehrer seit Jahren auch MBA-Studierende aus dem Iran. Aus diesen Darlegungen ergibt sich nicht, dass er über spezifische – entweder durch Schulungen oder langjährige Praxiserfahrungen erworbene – Fachkenntnisse in der Arbeitsvermittlung verfügen würde, mag er auch Kenntnisse und Erfahrungen auf verwandten Gebieten besitzen, die für derartige Tätigkeiten nützlich sind.

Soweit in der Aussage darüber hinaus die fachliche Eignung des Klägers in Frage gestellt wird, handelt es sich um ein Werturteil, bei dem eine umfassende Abwägung der grundgesetzlich geschützten Interessen erforderlich ist (vgl. BVerfG GRUR 2013, 1266 – Winkeladvokat), weshalb keine unschwer zu bejahende Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben ist.

dd) Auch die – nicht den Kläger unmittelbar persönlich, sondern lediglich die W. GmbH betreffende – Äußerung
„Die Katastrophe scheint noch viel größer zu sein, wenn wir feststellen, dass die Firma gar nicht existiert, und die Adresse, die sie auf ihrer Website angibt, eigentlich zu einer Versicherungsfirma gehört“
kann nicht unschwer als Persönlichkeitsrechtsverletzung qualifiziert werden.

Zum einen ist – da der Kläger nur mittelbar betroffen ist – eine komplizierte Rechtsprüfung in Bezug auf dessen Aktivlegitimation veranlasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein entsprechend enges Näheverhältnis zwischen dem Kläger und der W. GmbH weder dargelegt noch erkennbar ist. Vielmehr ist der Kläger unstreitig lediglich Teil des „Teams“ des Unternehmens, hat aber bereits nach seinem eigenen Vortrag keine repräsentative Rolle inne, da nicht er, sondern Herr W. „in der Außendarstellung der Gesellschaft tätig [ist] und […] die Tätigkeiten der Gesellschaft auch bei Veranstaltungen im Iran vor[stellt]“. Auch ist er nicht Geschäftsführer der Gesellschaft. Sonstige Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass der Kläger in einem besonders engen Zusammenhang zu der W. GmbH stehe, sind nicht dargetan. Insbesondere bleibt seine Tätigkeit für die W. GmbH auf seinem eigenen Internetauftritt unerwähnt. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob sich die über die W. GmbH getroffenen Äußerungen abträglich auf das Persönlichkeitsbild des Klägers auswirken.

Zum anderen ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des Videos, dass dieses nicht die rechtliche Existenz der W. GmbH in Abrede stellt, da der Beitrag – indem an anderer Stelle ausdrücklich auf die Handelsregistereintragung Bezug genommen wird – selbst davon ausgeht, dass die W. GmbH im Handelsregister eingetragen ist. Der unvoreingenommene und verständige Durchschnittsempfänger versteht die angegriffene Äußerung daher dahingehend, dass darin als Tatsachenkern behauptet wird, dass der Geschäftsbetrieb der W. GmbH unter der auf der Webseite angegebenen Adresse physisch nicht auffindbar ist. Dieser Tatsachenkern ist nicht offenkundig unzutreffend, da die W. GmbH unstreitig in Bürogemeinschaft mit der Versicherungsfirma O. ansässig ist und sich deren Büroräume mit dieser teilt.

Die in dem Beitrag getroffene Schlussfolgerung in Bezug auf die (physische) Inexistenz der GmbH stellt eine die Abwägung erfordernde Meinungsäußerung dar.

ee) In Bezug auf die Äußerung
„Die W. GmbH verfügt über keine Erlaubnis zur Arbeitsvermittlung in Deutschland. Um dies in Deutschland tun zu dürfen, ist aber eine Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit eine zwingende Voraussetzung, die die W. GmbH jedoch nicht hat“
stehen dem Kläger ebenfalls keine Unterlassungsansprüche gegenüber der Beklagten zu.

Zum einen ist auch hinsichtlich dieser Aussage – da der Kläger nur mittelbar betroffen ist – eine komplizierte Rechtsprüfung zur Aktivlegitimation erforderlich. Auf die obigen Ausführungen unter B.III.2.b) dd) wird Bezug genommen.

Zum anderen ist unstreitig, dass die Aussage, wonach die W. GmbH über keine Erlaubnis zur Arbeitsvermittlung verfüge, an sich zutreffend ist. Zwischen den Parteien steht lediglich im Streit, ob eine solche Erlaubnis für die von der W. GmbH betriebene Arbeitsvermittlung rechtlich erforderlich ist oder nicht. Da die Beurteilung dieser Frage eine nicht unkomplizierte Rechtsprüfung notwendig macht, ist auch aus diesem Grund keine unschwer bejahbare Persönlichkeitsrechtsverletzung gegeben. Darüber hinaus handelt es sich bei der Einschätzung der Erlaubnispflichtigkeit der Tätigkeit der W. GmbH um eine rechtliche Bewertung, somit eine Meinungsäußerung.

ff) Die Äußerung
„Um die Wahrheit zu erfahren, reicht es nur, dass wir die Eintragung im Handelsregister der W. GmbH in Deutschland prüfen. Da entdecken wir einen Haufen Betrügereien und Lügen.“
ist als Meinungsäußerung in Bezug auf die W. GmbH zu qualifizieren, weshalb auch diesbezüglich die Beklagte nicht als mittelbare Störerin haftet. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

c) Vor diesem Hintergrund lag im Streitfall kein Hinweis auf unschwer zu bejahenden Persönlichkeitsrechtsverletzungen des Klägers vor, aufgrund dessen die Beklagte die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Inhalte ohne Weiteres hätte feststellen können. Daher war auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur mittelbaren Störerhaftung keine Bewertung des gesamten Sachverhalts durch die Beklagte einschließlich der Einholung einer Stellungnahme des Journalisten Herrn J. veranlasst, weshalb – wie bereits ausgeführt – der Senat nicht entscheiden muss, ob diese vom Bundesgerichtshof begründete grundsätzliche Notwendigkeit der Durchführung eines „Anhörungsverfahrens“ durch den Hostprovider den Vorgaben des DSA widerspricht.

d) Im vorliegenden Fall kann – entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts – auch nicht angenommen werden, dass die Beklagte in prozessualer Hinsicht ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachkam. Deshalb sind die tatsächlichen vom Kläger vorgetragenen Umstände in Bezug auf die Beanstandungen aus dem streitgegenständlichen Video auch nicht nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu bewerten.

Zum einen fehlt es – wie soeben ausgeführt – an einem die materielle Prüfpflicht auslösenden Hinweis auf eine klare Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Zum anderen ist der Journalist Herr J., der das streitgegenständliche Video auf dem You-Tube-Kanal A. hochlud, den Gesellschaftern der W. GmbH bekannt. Vor Klageerhebung hatten sie mehrere E-Mails an ihn übersandt. Außerdem war das Video bereits zuvor der Geschäftsführerin der W. GmbH zugespielt worden. Anders als bei einem Bewertungsportal – bei dem der Nutzer zulässigerweise anonym auftreten kann, weshalb der bewertete Arzt diesen nicht kennt und sich die für seine Identifizierung erforderlichen Informationen selbst dann, wenn sie dem Portalbetreiber vorliegen sollten, mangels Auskunftsanspruchs gegen den Portalbetreiber jedenfalls nicht auf diesem Weg beschaffen kann (vgl. BGH a.a.O. Rn. 38 f. – www.jamede.de) – stehen dem Kläger in Bezug auf die Äußerungen im Video durchaus Möglichkeiten zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung. Zwar sieht der Senat, dass der Journalist auf die ihm übersandten Mails nicht reagiert hatte. Es besteht jedoch beispielsweise die Möglichkeit, unmittelbar gegen diesen gerichtlich vorzugehen. Dass ein solches Vorgehen gegen den in den USA wohnhaften Journalisten unzumutbar ist, trägt der Kläger nicht vor.

Schließlich handelt es sich bei den streitgegenständlichen Tatsachenbehauptungen – anders als beispielsweise der behauptete Behandlungskontakt eines anonymen Nutzers – um solche aus der Sphäre des Klägers. Der Kläger hat den besten Einblick in die W. GmbH, seinen Aufgaben darin oder seinen Fachkenntnissen in der Arbeitsvermittlung. Ihm ist Vortrag dazu möglich und zumutbar.

Deshalb trifft die Beklagte im vorliegenden Fall keine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die zu treffende Abwägungsentscheidung.

IV. Auch aus Art. 17 DSGVO ergibt sich kein Unterlassungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten.

1. Dabei unterstellt der Senat zugunsten des Klägers, dass sich aus Art. 17 DSGVO grundsätzlich ein Unterlassungsanspruch der betroffenen Person ergeben kann (vgl. dazu Vorlagefrage des BGH in GRUR 2023, 1724 – Bewerbungsprozess).

Auch sieht der Senat, dass die Anwendbarkeit der DSGVO vom Gesetz über digitale Dienste unberührt bleibt (Art. 2 Abs. 4 lit. g DSA). Der Schutz von Einzelpersonen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten soll sogar einzig durch die Vorschriften des Unionsrechts in diesem Bereich, insbesondere durch die DSGVO, geregelt werden (Erwägungsgrund 10 UA 3 S. 2 DSA).

Schließlich geht der Senat davon aus, dass das von dem Journalisten Herrn J. hochgeladene Video auch personenbezogene Daten des Klägers i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO enthält.

2. Der Senat kann offenlassen, ob das Betreiben einer Videoplattform, auf der Dritte personenbezogene Daten hochladen können, eine Verarbeitung i.S.v. Art. 4 Nr. 2 DSGVO darstellt und der Hostprovider dafür als Verantwortlicher i.S.v. Art. 4 Nr. 7 DSGVO anzusehen ist. Dies könnte deshalb zweifelhaft sein, weil der Provider dadurch in Bezug auf die in dem von dem Nutzer hochgeladenen Video – anders als hinsichtlich der Daten der Nutzer und Besucher der Seiten (vgl. dazu EuGH NJW 2018, 2537 Rn. 30 – ULD/Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein) – lediglich Speicherplatz zur Verfügung stellt. Auch wird der Content vom Provider nicht wie von einer Suchmaschine automatisch indexiert und den Internetnutzern in einer bestimmten Rangfolge zur Verfügung gestellt (vgl. dazu BGH GRUR 2020, 1331 Rn. 13 – Recht auf Vergessenwerden).

3. Die Frage des Vorliegens einer Verarbeitung kann dahinstehen, weil unabhängig davon der Kläger aufgrund der nachfolgend genannten Umstände keinen Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten als Hostproviderin geltend machen kann.

a) Begehrt ein Betroffener von dem Betreiber einer Internet-Suchmaschine wegen der (behaupteten) Unrichtigkeit eines gelisteten Inhalts dessen Auslistung, muss der Betroffene nachweisen, dass die in diesem Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind oder zumindest ein für diesen gesamten Inhalt nicht unbedeutender Teil dieser Informationen offensichtlich unrichtig ist (BGH GRUR 2023, 1218 Rn. 33 – Recht auf Vergessenwerden II). Zwar hat der Bundesgerichtshof den für die Haftung eines Suchmaschinenbetreibers als mittelbarer Störer bestehenden Maßstab – wonach dieser aufgrund eines konkreten Hinweises Kenntnis von einer offensichtlichen und auf den ersten Blick klar erkennbaren Rechtsverletzung erlangt haben muss – für den Auslistungsanspruch nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO zugunsten einer grundsätzlich gleichberechtigten Abwägung der sich gegenüberstehenden Grundrechte aufgegeben (BGH a.a.O. Rn. 36 – Recht auf Vergessenwerden II). Doch entspricht die Voraussetzung des bisher erforderlichen Hinweises auf eine offensichtliche und auf den ersten Blick klar erkennbare Rechtsverletzung letztlich der nunmehr maßgeblichen Voraussetzung eines relevanten und hinreichenden Nachweises, dass die in den gelisteten Inhalten enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind (BGH a.a.O. Rn. 36 – Recht auf Vergessenwerden II).

b) Die Anwendung dieses rechtlichen Maßstabs zum vom Bundesgerichtshof entwickelten Haftungsregime von Suchmaschinenbetreibern nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO auf die Haftung von Hostprovidern führt im Streitfall dazu, dass aufgrund der erforderliche Abwägung der Unionsgrundrechte eine Löschung von der Beklagten nicht verlangt werden kann.

Zum einen gilt auch beim Provider, dass dieser – anders als der Inhalteanbieter, der den von ihm selbst generierten Inhalt unmittelbar zu verantworten hat – wie der Suchmaschinenbetreiber nur einen erleichterten Zugang zu diesem Content verschafft und damit mittelbar dessen Verbreitung fördert. Dieser unterschiedliche Grad an Einflussmöglichkeit auf die Richtigkeit des Inhalts bedingt auch bei der Haftung des Providers nach der DSGVO eine abgestufte, durch unterschiedliche Verhaltenspflichten gekennzeichnete Haftung. Auch beim Plattformprovider ergibt sich eine Auslistungspflicht nur als Folge der Verletzung nachgelagerter, durch eine initiale Meldung von Betroffenen ausgelösten Prüfungs- und Reaktionspflichten.

Zum anderen kann im Rahmen der nach Art. 17 Abs. 3 lit. a DSGVO durchzuführenden Abwägung unter Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information die Vorschrift des Art. 6 DSA – der die Frage der Haftung des Hostproviders explizit regelt – nicht außer Acht gelassen werden. Die darin geregelte Verantwortlichkeit des Plattformbetreibers mit entsprechenden Haftungsprivilegierungen in Gestalt eines notice and take down-Verfahrens – das dem Modell des Bundesgerichtshofs zur Haftung des mittelbaren Störers entspricht – muss auch für das unionale Datenschutzrecht gelten, sollte das Verhalten von Plattformen diesem unterliegen. Andernfalls würden die bewusst differenzierenden Regelungen des DSA umgangen, da bei entsprechendem Verständnis jedes Verhalten eines Host-Providers zugleich eine Datenverarbeitung wäre und damit einen Löschungsanspruch nach Art. 17 Abs. 1 DSA begründen würde.

c) Da – wie bereits ausgeführt – die Beklagte nicht als sogenannte mittelbare Störerin für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in Anspruch genommen werden kann, ist der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht als Auslistungsverlangen in der Sache berechtigt.


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OLG Nürnberg: Keine markenmäßige Verwendung wenn Werbespruch mit einem beschreibenden oder auf aktuellen Anlass hinweisenden Sinn verwendet wird - HAPPY BÄRSDAY

OLG Nürnberg
Hinweisbeschluss vom 19.06.2024
3 U 2541/23


Das OLG Nürnberg hat in einem Hinweisbeschluss ausgführt, dass keine markenmäßige Verwendung vorliegt, wenn ein Werbespruch mit einem beschreibenden oder auf einen aktuellen Anlass hinweisenden Sinn verwendet wird.

Leitsätze des Gerichts:
1. Rechtlich erhebliche Anteile des angesprochenen Verkehrs ziehen aus einem Werbespruch, der überwiegend in einem beschreibenden oder auf einen aktuellen Anlass hinweisenden Sinn zu verstehen ist, grundsätzlich nicht den Schluss, die Botschaft des Slogans solle zugleich auch für das Produkt als Herkunftshinweis dienen.

2. Eine besondere Eigenart und Einprägsamkeit rechtfertigen für sich gesehen noch nicht die Zuerkennung einer erhöhten Kennzeichnungskraft. Der Umstand, dass ein Zeichen bereits bei Eintragung fantasievoll und einprägsam ist, führt per se nicht zu einem erweiterten Schutzumfang.
3. Je mehr bekannte Kennzeichen sich auf einer Produktverpackung finden, desto weniger hat der Verkehr Anlass, nach weiteren zusätzlichen ihm unbekannten Herkunftshinweisen zu suchen. Dies gilt insbesondere, wenn sich diese an markenuntypischen Stellen befinden.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Die Beurteilung der maßgeblichen Einzelumstände in einer Gesamtwürdigung führt im vorliegenden Fall dazu, dass kein nicht unerheblicher Teil der Durchschnittsverbraucher in der gegenständlichen Verwendung der Zeichen „HAPPY BÄRSDAY“ auf der Rückseite verschiedener Goldbären-Verpackungen und mehrerer Werbemaßnahmen sowie „HAPPY 100th BEARSDAY“ auf einer Travel-Edition der „... Goldbears“-Verpackung einen Hinweis auf die Herkunft der Fruchtgummiprodukte aus einem bestimmten Unternehmen sieht.

1. Die sich aus der Natur der Klagemarken ergebenden Gesichtspunkte, die sich auch in den Verletzungszeichen widerspiegeln – insbesondere der Umstand, dass die angegriffenen Wortkombinationen „HAPPY BÄRSDAY“ bzw. „HAPPY 100th BEARSDAY“ im Rahmen ihrer konkreten Benutzung jeweils deutlich beschreibende Anklänge aufweisen – sprechen im Streitfall gegen ein Verständnis als Herkunftshinweis bei den angesprochenen Verkehrskreisen.

a) Die beschreibende Verwendung eines Zeichens stellt im Regelfall keine markenmäßige Benutzung dar, denn wenn ein Wort einen beschreibenden Charakter hat, wird es normalerweise vom Verkehr als Sachhinweis und nicht als Kennzeichen aufgefasst (BGH GRUR 2017, 520 Rn. 26 – MICRO COTTON).

Dabei ist das Vorliegen einer rein beschreibenden Angabe nicht erforderlich. Vielmehr ist bereits die Tatsache, dass das verwendete Zeichen im Rahmen der konkreten Benutzung deutlich beschreibende Anklänge aufweist, ein Umstand, der gegen eine markenmäßige Benutzung sprechen kann (OLG Nürnberg GRUR-RR 2022, 224 Rn. 16 ff. – Bewegte Medizin; OLG Nürnberg GRUR 2023, 75 Rn. 22 – Torjägerkanone). So verletzt der als Bezeichnung für einen Telefontarif verwendete Begriff „Allnet Flat“ mangels kennzeichenmäßigen Gebrauchs nicht ein fremdes Unternehmenskennzeichenrecht an dem Firmenschlagwort „ALLNET“ (OLG Frankfurt a. M. GRUR-RR 2015, 59 Rn. 7 ff. – Allnet Flat), erfolgt die Verwendung der u.a. für Bekleidung geschützten Marke „Think“ auf einem an Lederjacken angebrachten Hang-Tag mit dem Slogan „Think Green“ lediglich als beschreibender Hinweis auf die Eigenschaften bzw. die Herstellungsweise des beworbenen Produkts (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2018, 446 Rn. 33 ff. – Hang-Tag Think Green), sieht der Verkehr die Benutzung des Zeichens „Clown“ im Zusammenhang mit einer bekannten Marke für Fruchtgummi- und Lakritzprodukte auf einer durchsichtigen Verpackung für Fruchtgummiprodukte in Clown-Form nicht als herkunftshinweisend, sondern allein als Beschreibung der Warenform an (OLG Köln GRUR-RR 2020, 308 – CLOWNS) oder hat der Verbraucher bei der Aussage „Ein Herz für Tiere“ auf einem Aufkleber, der auf der Rückseite eines Lebkuchenherzens angebracht ist, keine Veranlassung anzunehmen, es handele sich insoweit um einen Herkunftshinweis, wenn die Aussage inhaltlich mit derjenigen identisch ist, die vorne auf dem Herz angebracht ist, und es sich bei dem Produkt tatsächlich um ein Herz für ein Tier handelt (OLG München GRUR 2021, 1087 Rn. 46 ff. – Ein Herz für Tiere).

Der Markencharakter kann auch dadurch untergehen, dass aufgrund der Eigenart des Zeichens in dem konkreten dekorativen Verwendungszusammenhang eine andere, nicht markenmäßige Bedeutung für den Verkehr ganz in den Vordergrund tritt (OLG Hamburg GRUR-RR 2009, 300 – Baby-Body-Slogan). So wie der Durchschnittsverbraucher regelmäßig in der Formgestaltung einer Ware lediglich eine funktionelle und ästhetische Ausgestaltung des Produkts (BGH GRUR 2016, 197 Rn. 27 – Bounty) oder in der Verwendung einer Farbe nur ein Gestaltungsmittel (BGH GRUR 2016, 1167 Rn. 25 – Sparkassen-Rot), jeweils aber keinen Herkunftshinweis sieht, ist in der Regel auch bei Werbeslogans ein herkunftshinweisender Charakter zu verneinen (Hacker a.a.O. § 14 Rn. 166). Rechtlich erhebliche Anteile des angesprochenen Verkehrs werden aus einem überwiegend in einem beschreibenden oder auf einen aktuellen Anlass hinweisenden Sinn zu verstehenden Werbespruch grundsätzlich nicht den Schluss ziehen, die Botschaft des Slogans solle zugleich auch für das Produkt als Herkunftshinweis dienen.


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OLG Nürnberg: Wettbewerbsverstoß wenn ein Online-Shop Vorkasse verlangt und der Vertragsschluss erst mit Zustellung der Ware erfolgt

OLG Nürnberg
Urteil vom 30.01.2024
3 U 1594/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass eine unangemessene Benachteiligung und somit ein Wettbewerbsverstoß vorliegt, wenn ein Online-Shop Vorkasse verlangt und der Vertragsschluss erst mit Zustellung der Ware erfolgt

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Rechtsmittel des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die in Nr. 6 der AGB für die Zahlungsoption „Vorkasse“ getroffenen Regelungen und die entsprechende Praxis der Beklagten sind mit AGB-rechtlichen Vorgaben nicht vereinbar, wenn zugleich die in Nr. 1 ihrer AGB getroffene Regelung verwendet wird, und stellen damit eine unlautere Handlung i.S.v. § 3a UWG dar. Der Kläger kann deshalb nach § 8 Abs. 1 UWG Unterlassung entsprechender Aufforderungen zur Vorleistung verlangen; ebenso steht ihm ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten zu.

1. Die allgemeinen Voraussetzungen eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs, insbesondere die Aktivlegitimation des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, sind gegeben und werden von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Dahinstehen kann auch, ob das Unterlassungsbegehren des Klägers auch im Wege der Unterlassungsklage nach § 1 oder § 2 UKlaG verfolgt werden könnte, weil das UKlaG keine abschließende Wirkung besitzt und daher den berechtigten Verbänden auch eine Rechtsverfolgung auf Grundlage der lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen eröffnet ist, weil das Verwenden unzulässiger AGB den Tatbestand des § 3a UWG, jedenfalls des § 3 Abs. 2 UWG, verwirklicht; dasselbe muss für entsprechende Praktiken gelten. Anerkannt ist auch, dass an den Maßstäben der §§ 305 ff. BGB nicht nur Regelungen zu messen sind, die den Inhalt der vertraglichen Rechte und Pflichten betreffen, sondern auch Bestimmungen, dazu, wann und wie der Vertrag zustande kommt.

2. Der verfolgte Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt einer Irreführung (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 UWG) darüber, wann der Vertrag geschlossen wird.

a) Der Zeitpunkt, zu welchem der Vertrag zustande kommen soll, ist in Nr. 1 der AGB eindeutig und transparent angegeben.

b) Eine Irreführung der Verbraucher erfolgt nicht dadurch, dass die Beklagte nach Eingang der Bestellung den Kunden automatisiert eine Bestellbestätigung übersendet. Zwar dürfte eine Bestellbestätigung oftmals eine Annahmeerklärung darstellen oder zumindest so empfunden werden; dies gilt allerdings nur, wenn sich nichts Abweichendes aus ihrem Inhalt ergibt. So liegt der Fall hier, weil die Beklagte in der Bestellbestätigung ausdrücklich darauf hinweist, dass die Bestätigung aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen übermittelt wird, aber noch keine Vertragsannahme darstellt, sondern diese erst in der Zustellung der Ware liegt.

c) Ebenso wenig ergibt sich eine Irreführung des Verbrauchers daraus, dass er zuvor im Zuge des Bestellvorgangs den Button „zahlungspflichtig bestellen“ zu betätigen hatte. Der Kunde gibt damit ein verbindliches Angebot zum Kauf einer Ware zu dem angegebenen Preis ab (§ 145 BGB), das (im Fall späterer Annahme gern. §§ 147 ff. BGB) eine Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung nach sich zieht. Der entsprechende Hinweis Ist daher geschuldet und erforderlich, um dem Kunden in der gebotenen Weise klarzumachen, dass er sich bindet und einer Zahlungspflicht aussetzt, deren Entstehen er nicht mehr verhindern kann. Diese Selbstbindung des Kunden, vor der durch den Button gewarnt wird, genügt aber nicht für den Vertragsschluss.

d) Ohne Erfolg bleibt schließlich der in der mündlichen Verhandlung vom Klägervertreter unternommene Hinweis auf die Regelung zum Verzug im vorletzten Absatz der Nr. 6 der AGB. Ein Verzug setzt zwar denknotwendig das Bestehen einer fälligen und auch im Übrigen durchsetzbaren Pflicht voraus, was praktisch bedeutet, dass zuvor ein Kaufvertrag zustande gekommen sein muss. Die Regelung in diesem Absatz ist aber nicht ausdrücklich oder aus systematischen Gründen ausschließlich auf den Fall der Bezahlung per Vorkasse bezogen. Vielmehr finden sich in den vorangegangenen Absätzen der Nr. 6 auch Regelungen zur Bezahlung per Sofortüberweisung, Kreditkarte, Rechnung, Einlösung eines Gutscheins oder Finanzierung. Auch dann, wenn der Vertragsschluss erst mit der Zustellung der Ware erfolgt, kann insbesondere im Fall der Zahlung per Rechnung ein Verzug eintreten; der vorletzte Absatz der Nr. 6 hat dann einen sinnvollen Inhalt. Dasselbe gilt, wenn eine Überweisung oder Kreditkartenbelastung ausnahmsweise keinen Bestand hat.

Unabhängig davon, ob es als Irreführung über den Zeitpunkt des Vertragsschlusses anzusehen wäre, wenn sich aus der Gesamtbetrachtung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ergäbe, dass der Kläger inkonsistente Bestimmungen verwendet, liegt ein solcher Fall somit nicht vor. Vielmehr ist – was insoweit auch nicht gegen den Grundsatz verstößt, dass in Verfahren der vorliegenden Art die „kundenfeindlichste Auslegung“ heranzuziehen ist – die Regelung im vorletzten Absatz der Nr. 6 dahin zu verstehen, dass sie einen wirksamen Vertragsschluss nach Maßgabe der übrigen Bestimmungen voraussetzt, aber gerade keine Geltung beanspruchen soll, wenn sich nach den übrigen Bestimmungen ein Vertragsschluss und damit ein Verzug noch nicht ergab.

3. Ebenso kann der Senat das Vorgehen der Beklagten, die Zustellung der Ware als Annahme zu definieren, nicht als Zugangsfiktion (die nach § 308 Nr. 6 BGB unzulässig wäre) oder als Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung (die an § 307 BGB zu messen wäre, vgl. MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB § 308 Nr. 6 Rn. 5) bewerten.

Die Bestimmung in Nr. 1 führt dazu, dass mit der Zustellung der Ware eine Willenserklärung verbunden wird, was bedeutet, dass eine Annahmeerklärung i.S.v. §§ 147 ff. BGB jedenfalls erfolgen soll. Der Kunde nimmt auch aus den nachfolgend dargestellten Gründen regelmäßig wahr, dass die Ware zugestellt wurde (was bei der „Versendung der Ware“, auf die in dem vom Landgericht München I entschiedenen Sachverhalt abgestellt wurde, gerade nicht der Fall ist).

Fraglich kann daher nur sein, ob diese Gleichsetzung den Kunden gegenüber einer „gewöhnlichen“ Form der Annahme unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB). Dies kann der Senat, wie der mündlichen Verhandlung erörtert, nicht erkennen: Die Zustellung der bestellten Ware, mit der erkennbar die Übergabe nach § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bewirkt werden soll, setzt voraus, dass die Ware in den Besitz des Empfängers gelangt i.S.v. § 854 BGB, also in seine räumliche tatsächliche Herrschaftssphäre verbracht wird. Damit werden auch alle Voraussetzungen erfüllt, die nach den Grundsätzen zu § 130 Abs. 1 S. 1 BGB an den Zugang einer Willenserklärung zu stellen sind. Die Ablieferung oder ggf. eine Information darüber, wo die Ware abgeholt werden kann (z.B. Packstation) ist nicht weniger leicht wahrzunehmen als eine E-Mail, ein Brief o.Ä„in der ausdrücklich erklärt wird, dass das Angebot angenommen worden sei.

Daher kann dahinstehen, ob der formulierte Antrag und das in den Schriftsätzen zum Ausdruck gebrachte Begehren des Klägers, welches sich gegen das Vorkasse-Verlangen richtet, Erfolg haben könnte, wenn die Bestimmung in Nr. 1 aus solchen Gründen unwirksam wäre.

4. Aus demselben Grund muss nicht abschließend darüber befunden werden, ob die Regelung in Nr. 1 generell, d.h. losgelöst von der Situation, dass die Zahlungsoption „Vorkasse“ gewählt wird, zulässig ist. Bedenken ergeben sich insoweit daraus, dass wegen der Bedeutung der Zustellung der Ware die Lieferfrist, die in Nr. 3 behandelt wird, zugleich Bedeutung als Frist für die Annahme des Angebots gewinnt, und wegen der Gestaltung der Nr. 3 der Verbraucher nicht hinreichend sicher feststellen kann, ob sein Angebot angenommen wurde und bis wann er daran gebunden ist.

a) § 308 Nr. 1 BGB verbietet u.a. Bestimmungen, durch die sich der Verwender unangemessen lange oder nicht hinreichend bestimmte Fristen für die Annahme oder Ablehnung eines Angebots oder die Erbringung einer Leistung vorbehält Das Verbot nicht hinreichend bestimmter oder zumindest bestimmbarer Fristen soll gewährleisten, dass der Verbraucher erkennen kann, ob er noch an sein Angebot gebunden ist oder er zur Deckung seines Bedarfs einen anderen Vertrag schließen muss, ohne zu riskieren, zweifach gebunden zu sein. Die Frist für die Annahme des Angebots muss dazu nach Beginn, Dauer und Ende ohne Schwierigkeit oder rechtliche Beratung berechenbar sein (MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 9; BeckOGK/Weiler, 1.9.2023, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 122; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, 7. Aufl. 2020, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 19). Die fehlende Feststellbarkeit kann sich z.B. aus der Verwendung unbestimmter Zeitbegriffe, aus der Anknüpfung an den Eintritt von Bedingungen oder aus der Anknüpfung an Entscheidungen des Verwenders oder Dritter ergeben (Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, 7. Aufl. 2020, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 19). Unwirksam sind danach nicht nur Klauseln, in denen der Verwender sich für die Annahme des von dem Kunden gemachten Angebots eine nicht hinreichend bestimmte Frist ausbedungen hat, wie etwa bei Bindung „bis zum Eingang einer sachlichen Antwort“ oder „bis zum Ende der Saison“, sondern auch, wenn die Bindung „bis zur Versendung der Ware“ bestehen soll (MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 9). Während Höchstfristen („Bindung an Bestellung höchstens 10 Tage“) das Erfordernis der Bestimmtheit oder wenigstens Bestimmbarkeit noch erfüllen, genügen „circa-Fristen“ hierzu nicht (MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB § 308 Nr. 1 Rn. 9). Als unzulässig wurde auch eine Klausel bewertet, nach der die Annahme des Vertragsangebots durch den Unternehmer unter der Bedingung des Zahlungseingangs steht, weil der Kunde nicht in der Lage ist, zu erkennen, wie lange er an sein Angebot gebunden ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 29. August 2012, 6 W 84/12, MMR 2012, 808).

b) Selbst wenn man zugunsten der Beklagten annimmt, dass die „Auslieferung“, zu der sich Nr. 3 verhält, der „Zustellung“ i.S.v. Nr. 1 entspricht, lässt sich damit nicht, d.h. weder für den durchschnittlichen Verbraucher noch für sonstige Personen außerhalb der Sphäre der Beklagten, feststellen, wie lange die Beklagte befugt sein soll, das Angebot noch anzunehmen; wegen der Übereinstimmung von Annahmefrist und Bindung bedeutet dies, dass der Verbraucher nicht erkennen kann, wie lange er an sein Angebot gebunden sein soll. Die in Nr. 3 der AGB enthaltenen Lieferfristen, die insoweit auch den möglichen Zeitraum für die Annahme definieren, sind dort ausdrücklich als ca-Fristen angegeben („ca. 10 Werktage“ bei per Spedition gelieferten Waren; i.Ü. „ca. 1-3 Werktage“). Der Verbraucher hat also auch nach Ablauf der dort genannten Zeiträume keine Gewissheit, dass die Beklagte den Vertragsschluss abgelehnt hat und er deshalb von der Bindung an das Angebot freigeworden ist, sondern muss auch über diese Zeiträume hinaus für eine nicht sicher eingrenzbare Zeitspanne damit rechnen, dass die Beklagte noch durch Bewirkung der Zustellung und die darin liegenden Annahmeerklärung den Vertrag zustande kommen lassen will. Die angegebenen Fristen können gerade nicht als Höchstfristen verstanden werden.

5. Die Klage hat jedenfalls deshalb Erfolg, weil die Vorkasse-Regelung in Nr. 6 aufgrund der Kombination mit der Regelung zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags die Verbraucher unangemessen benachteiligt.

a) Die Bestimmung im 5. Absatz der Nr. 6 der AGB der Beklagten, die das Vorgehen bei Bezahlung per Vorkasse regelt, sieht vor, dass der Kunde den vollen Rechnungsbetrag innerhalb von 7 Tagen nach der Bestellung an die Beklagte zu überweisen hat. Weder bei Beauftragung der Überweisung durch den Kunden noch bei Zahlungseingang bei der Beklagten besteht jedoch bereits ein schuldrechtlicher Kaufvertrag, weil nach Nr. 1 dieser erst mit der mehrere Tage späteren Zustellung der Ware geschlossen wird.

b) Der Senat sieht mit dem Kläger und dem OLG Frankfurt/Main (Beschluss vom 29. August 2012, 6 W 84/12, MMR 2012, 808) einen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung i.S.v. § 397 Abs. 1 Nr. 1 BGB darin, dass Leistungen nur erbracht werden müssen oder sollen, wenn ein Rechtsgrund besteht, und dementsprechend ein Verlangen nach einer Leistung nur geäußert werden darf, wenn bereits eine wirksame rechtliche Verpflichtung begründet worden ist. Hiervon dürfte § 241 Abs. 1 BGB als selbstverständlich ausgehen. Jedenfalls liegt der geltenden Zivilrechtsordnung das Prinzip zugrunde, dass Verträge durch einen Konsens der Parteien geschlossen werden und sich daraus die wechselseitigen Verpflichtungen ergeben (§ 311 Abs. 1 BGB). Umgekehrt ist nicht geschuldeten Leistungen immanent, dass sie nicht erbracht werden müssen; die Rechtsordnung kennt auch keine Fälle, in denen vorgesehen ist, dass solche Leistungen (obwohl nicht geschuldet) erbracht werden, um den anderen zu einer Vertragsannahme zu bewegen. Zu den Grundgedanken gehört somit auch, dass niemand Leistungen erbringen muss, ohne äquivalente Ansprüche auf eine Gegenleistung zu besitzen.

Gegen diese Annahmen sprechen auch nicht die Regelungen zur in der condictio ob rem (§ 812 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB) und/oder der Handschenkung (§ 518 Abs. 2 BGB). Danach ist zwar denkbar, dass jemand im Wissen um das Nichtbestehen einer Schuld leistet, weil er einen Rechtserfolg oder ein tatsächliches Handeln des anderen herbeiführen will (und zwar im klassischen Fall der Handschenkung gerade die Wirksamkeit eines Rechtsverhältnisses). Jedoch geht in diesen Fällen stets die Initiative vom Leistenden aus, während vorliegend der Verwender und Leistungsempfänger ein entsprechendes Verlangen äußert, um sein Absatzgeschäft tätigen zu können. Eine derartige Situation findet sich im BGB an keiner Stelle. Darüber hinaus könnten selbst solche Sondersituationen nicht dazu führen, dass der zuvor beschriebene Mechanismus als Grundgedanke anzusehen wäre.

Der Grundsatz, dass im Zuge von entgeltlichen Austauschverträgen unter nicht persönlich bekannten Parteien Leistungen erst dann zu erbringen sind, wenn eine vertragliche Bindung besteht und damit die wechselseitigen Ansprüche entstanden sind, ist auch keine bloße Verlegenheits- oder Zweckmäßigkeitslösung, sondern Ausdruck eines entsprechenden Gerechtigkeitsgedankens. Es ist bei entgeltlichen Austauschverträgen grundsätzlich keiner Vertragspartei zuzumuten, eine Leistung erbringen zu müssen oder zu sollen, ohne bereits selbst die entsprechenden, synallagmatischen Leistungen beanspruchen zu können.

c) Wegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB impliziert die durch Nr. 1 der AGB bewirkte Abweichung von diesen Grundsätzen die Unangemessenheit der Regelung. Diese wird im vorliegend zu untersuchenden Fall, dass die Zahlungsoption „Vorkasse“ gewählt wird, auch nicht widerlegt:

aa) Die Beklagte besitzt zwar ein legitimes Interesse daran, nicht dem Risiko ausgesetzt zu sein, dass der Besteller den Kaufpreis für die Ware nicht leisten will oder nicht leisten kann; in Fällen, in denen sie sich nicht auf eine Zahlung per Rechnung einlassen will und keine Zahlung durch Einschaltung eines geeigneten Intermediärs sichergestellt ist, bleibt damit nur die Sicherung durch „Vorkasse“. Dies stellt auch der Kläger ausdrücklich nicht in Abrede.

Dieses Interesse rechtfertigt jedoch nur, eine Vorauszahlung zu verlangen. Der anzuerkennende Bedarf nach Absicherung gegen einen Zahlungsausfall kann aber nicht legitimieren, auch den Vertragsschluss hinauszuschieben.

bb) Die vom Gesetz für derartige Fälle zugelassene und vorgesehene Lösung, den Vertrag sogleich zu schließen und sich lediglich (abweichend von § 320 BGB) auszubedingen, die eigene Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung (hier: Zahlungseingang) zurückbehalten zu dürfen, und sich bei Ausbleiben der Zahlung vom Vertrag lösen zu können (§ 323 Abs. 1 BGB) trägt dem beschriebenen Interesse der Beklagten in jeder Hinsicht Rechnung.

Insbesondere ist es entgegen der Argumentation des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung nicht so, dass die Beklagte bei dieser Gestaltung zunächst den Kunden auf Kaufpreiszahlung verklagen müsste. Vielmehr kann sie nach Maßgabe des § 323 Abs. 1 BGB den Rücktritt erklären, wenn der Kunde die geschuldete Leistung nicht fristgerecht erbringt.

Richtig ist zwar, dass für einen Rücktritt nach § 323 Abs. 1 BGB eine Fristsetzung oder vergleichbare Aufforderung erforderlich ist, was zum einen voraussetzt, dass der Kunde erreicht werden kann, und zum anderen dazu führt, dass die Beklagte über einen längeren Zeitraum die Ware vorhalten muss, ohne sicher zu sein, ob es zum Vollzug des Vertrags kommt oder nicht. Diese Nachteile sind ihr jedoch grundsätzlich zuzumuten. Insoweit ist zu bedenken, dass die Regelung in § 323 Abs. 1 BGB, nach der es einer entsprechenden Aufforderung bedarf, ebenfalls eine gesetzgeberische Grundentscheidung darstellen dürfte; dies folgt daraus, dass eine formularmäßige Erweiterung der Regelung in § 323 Abs. 2 BGB, wie sie bei einer Abbedingung des Fristsetzungserfordernisses gegeben wäre, nach dem Klauselverbot des § 309 Nr. 4 BGB gegenüber Verbrauchern unzulässig ist (BeckOK BGB/H. Schmidt, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 323 Rn. 23). Der Gesetzgeber wollte dem schuldenden Verbraucher eine erneute Gelegenheit nach vorangegangener Warnung zubilligen, bevor sich der Gläubiger von dem Vertrag lösen kann. Die von der Beklagten gewählte Konstruktion zielt jedenfalls in dieselbe Richtung, da sie der Beklagten eine Möglichkeit verschaffen soll, sich kurzfristig von Zusagen zu lösen, wenn der andere die Leistung nicht erbringt. Im Übrigen muss die Beklagte die Konsequenzen daraus tragen, dass sie im anonymisierten Online-Verkehr Waren absetzt und daher, zumal eine Zug-um-Zug-Ab- wicklung praktisch nicht durchführbar ist, gewissen Solvenzrisiken ausgesetzt ist. Soweit die Beklagte schließlich auf mögliche Schwierigkeiten verweist, eine Nachfrist zu setzen, kann dies allenfalls theoretischer Natur sein, da im Zuge der Online-Bestellung ohnehin eine E-Mail-Adresse abgefragt wird, die für eine entsprechende Kommunikation genutzt werden kann (und für die Bestellbestätigung offenbar auch genutzt wird).

cc) Umgekehrt führt das Zusammenspiel der beiden AGB-Regelungen dazu, dass der Verbraucher über einen gewissen Zeitraum das Insolvenzrisiko der beklagten Verwendern zu tragen hat, ohne dass hiergegen eine Absicherung zu seinen Gunsten erfolgt, und dass der Kunde die Liquidität entbehren muss, ohne sicher sein zu können, dass es zu einem Vertragsschluss kommt und er ggf. Ansprüche auf das positive Interesse besitzt.

Den Nachteil, der sich daraus ergibt, dass der Kunde das Insolvenzrisiko hinsichtlich der Beklagten trägt, wird man dabei zwar grundsätzlich noch als notwendige Kehrseite der Vorauszahlungsabrede begreifen und rechtfertigen können (zu den sich aus § 307 BGB ergebenden Anforderungen an eine Vorleistungsklausel vgl. Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, 7. Aufl. 2020, Teil V Rn. 507; OLG Zweibrücken, Urteil vom 29. Mai 1998 – 2 U 8-98, NJW-RR 1998, 1753), zumal der Kunde auch grundsätzlich andere Möglichkeiten hat, die Zahlung zu bewirken, und gewisse Konsequenzen tragen muss, wenn er hierzu nicht in der Lage ist.

Jedoch bewirkt die Verbindung von Vorkasse-Abrede und spätem Vertragsschluss, dass der Kunde an die Beklagte den Kaufpreis leisten muss, ohne dass bereits ein Vertrag zustande gekommen ist und er seinerseits einen Anspruch auf die Gegenleistung besitzt.

Auch wenn die Beklagte eine Reservierung des Gegenstands verspricht und gewisse Lieferfristen benennt, bietet dies nicht denselben Schutz wie ein vollwirksamer Kaufvertrag. Der Kunde könnte nur das negative Interesse ersetzt verlangen, wenn der Gegenstand doch nicht mehr zur Verfügung steht oder die Beklagte aus anderen Gründen die Lieferung nicht unternimmt, ebenso, wenn die Ware beim Versand verloren geht oder zerstört oder beschädigt wird und die Lieferung eines Ersatzgegenstands wegen Erschöpfung des Vorrats nicht mehr möglich ist. Das gesamte Risiko, dass nur im Umfang der Bevorratung Kaufverträge geschlossen werden, und die eingegangenen und bestätigten Bestellungen tatsächlich durch Auslieferung an den Verbraucher bedient werden können, wird faktisch auf den Kunden überwälzt, wenn erst die Zustellung vertragliche Verpflichtungen begründen soll. Insbesondere stellt auch die Zusage, die Ware über einen gewissen Zeitraum für den Kunden zu reservieren, keine einem Vorvertrag gleichbedeutende Verpflichtung dar, aus der im Fall einer Verletzung Ersatz des positiven Interesses beansprucht werden könnte; jedenfalls käme eine solche unbedingte Bindung nicht mit der nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu fordernden Deutlichkeit zum Ausdruck. Zudem würde diese Reservierung nicht gegen das Risiko eines Verlustes etc. in der Phase des Transports schützen.

Ein vorvertragliche Schuldverhältnis, wie es nach einer der Varianten des § 311 Abs. 2 BGB zustande kommt, wenn ein Kunde zwecks Lieferung und Vertragsschluss eine Bestellung aufgibt, begründet grundsätzlich nur Schutz- und Rücksichtnahmepflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, aber keine Erfüllungsansprüche. Der Kunde könnte daher, wenn die Beklagte – sei es aus willkürlichen Erwägungen, sei es, weil sie versehentlich keine Reservierung der Ware vorgenommen hat oder weil die Lieferung wegen Fehlern beim Transport nicht ankommt – die Zustellung der Ware nicht bewirkt und so einen Kaufvertrag nicht zustande kommen lässt, weder Lieferung in natura noch Schadensersatz statt der Leistung i.S.v. § 280 Abs. 3 BGB verlangen. Aufgrund der vorgenannten Aspekte, die eine Symmetrie der Rechten und Pflichten der Vertragspartner bedingen, erscheint es nicht hinnehmbar, dass der Kunde die volle Leistung erbringen muss, aber keine adäquaten Mittel im Fall einer Pflichtverletzung des Verkäufers besitzt, weil dieser aufgrund der gewählten Gestaltung Verpflichtungen noch nicht eingegangen ist.

Auch aus § 282 BGB ergibt sich nichts anderes. Richtig ist zwar, dass § 311 Abs. 2 BGB Nebenpflichten i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB entstehen lässt und § 282 BGB unter den dort genannten Bedingungen zu Schadenersatz statt der Leistung verpflichtet, wenn solche Pflichten verletzt wurden. Die Anwendung des § 282 BGB setzt aber voraus, dass durch das Schuldverhältnis Leistungspflichten, d.h. Ansprüche auf Erfüllung, an deren Stelle der Schadenersatz statt der Leistung treten kann, anderweitig begründet sind (so ausdrücklich auch BeckOGK/Riehm, 1.8.2023, BGB § 282 Rn. 34; Staudinger/Schwarze (2019), § 282 Rn. 15); die Bestimmung kann solche nicht erst herbeiführen. Dies folgt jedenfalls daraus, dass § 282 BGB dann, wenn der Schuldner seine Leistungspflichten ordnungsgemäßerfüllt und nur Nebenpflichten verletzt hat, einen Übergang vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatzanspruch statt der Leistung eröffnen soll (BeckOK BGB/Lorenz, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 282 Rn. 1; BeckOGK/Riehm, 1.8.2023, BGB § 282 Rn. 3, 8), um einer drohenden Verletzung des Integritätsinteresses zu begegnen (Staudinger/Schwarze (2019), § 282 Rn. 1). Die Bestimmung erweitert insoweit die Haftung des Schuldners auf das Erfüllungsinteresse wegen einer Leistungspflicht über die Fälle des § 281 BGB hinaus (BeckOK BGB/Lorenz, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 282 Rn. 1), indem er eröffnet, eine an sich ordnungsgemäß erbrachte/erbringbare Leistung abzulehnen und statt dessen Geldersatz zu begehren. Dies zeigt, dass die Bestimmung eine solche Leistungspflicht nicht begründen kann, sondern voraussetzt. Insoweit ist nicht denkbar, dass § 282 BGB zu einem Schadenersatz statt einer Leistung, welche nicht bereits rechtsgeschäftlich begründet ist und nicht geschuldet ist, verpflichten soll.

Der Senat legt dabei ausdrücklich zugrunde, dass dem Kunden ein vollwertiger Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Beträge zusteht, und insoweit kein Nachteil für ihn besteht. Ein solcher Anspruch ergibt sich jedenfalls aus § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB bzw. §812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB, die aufgrund der Besonderheiten jeweils auch nicht an den Konditionssperren des § 814, § 815 BGB scheitern. Zudem dürfte Grundlage eines solchen Anspruchs auch entweder § 311 Abs. 2 BGB oder unmittelbar die Vorauszahlungsabrede selbst sein. Die Sicherung der Rückzahlung deckt aber die Interessen des Kunden nicht vollständig ab, weil er ein Interesse an weitergehenden Ansprüchen haben darf, wenn er selbst eine Leistung vollständig und ordnungsgemäß erbracht hat, der Verkäufer dies aber nicht tut.

dd) Die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung bedeutet im Streitfall einen nicht unerheblichen Liquiditätsverlust für den Kunden, ohne dass er Erfüllungs- oder gleichwertige Ersatzansprüche besitzt.

Insoweit sind die Auswirkungen der Regelung in Nr. 1 der AGB bei der Option „Vorkasse“ wesentlich gewichtiger als in den anderen Fällen. Der Kunde, der bei Wahl der „Vorkasse“ typischerweise ohnehin finanziell schlecht aufgestellt sein wird, muss über einen Zeitraum von rund 2 Wochen die Liquidität entbehren, ohne Gewissheit zu haben, die Ware geliefert zu bekommen.

Unerheblich muss sein, dass – wie der Beklagtenvertreter angemerkt hat – der Kunde die Liquidität auch entbehren muss, wenn ein Vertrag geschlossen wurde, der Unternehmer aber nicht liefert. In diesem Fall stehen dem Kunden nämlich jedenfalls Ansprüche aus Verzug oder auf Schadensersatz statt der Leistung zu, woran es vorliegend wegen der von der Beklagten gewählten Gestaltung gerade fehlt.

d) Insgesamt bewirkt daher das Hinausschieben des Vertragsschlusses jedenfalls im vom Kläger angegriffenen Fall, wenn der Kunde die Zahlungsoption „Vorkasse“ gewählt hat/wählen musste, erhebliche Nachteile für den Kunden. Er wird, falls die Beklagte ihren Ankündigungen nicht nachkommt, im Hinblick auf Erfüllungs- und Ersatzansprüche weitgehend schutzlos gestellt; er muss die Liquidität über einen längeren Zeitraum entbehren, ohne sicher sein zu können, dass er die Ware geliefert bekommt. Die Beklagte könnte sich gegen das Risiko, die Leistung zu erbringen, ohne die Gegenleistung zu erhalten, anderweitig absichern; einen Schutz dagegen, hier zuerst das Procedere der Nachfristsetzung durchlaufen zu müssen, kann sie nicht beanspruchen. Die von der Beklagten in Nr. 6 i.V.m. Nr. 1 getroffene und praktizierte Regelung weicht damit in ungerechtfertigter Weise vom gesetzlichen Leitbild ab. Selbst nach dem Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wäre überdies aus den genannten Gründen eine unzumutbare Benachteiligung wider Treu und Glauben gegeben.

Aus diesen Erwägungen folgt zugleich, dass es irrelevant ist, dass der Kunde zunächst nicht verpflichtet ist, die Vorleistung zu erbringen, da eine vertragliche Verpflichtung noch nicht zustande gekommen sei. Daraus, dass ihm die faktische Obliegenheit auferlegt wird, die Zahlung zu leisten, ohne eine ausreichend gesicherte und gleichwertige rechtliche Position zu besitzen, resultiert gerade die Benachteiligung.

e) Der Unterlassungsanspruch mit dem zuletzt genannten Inhalt ist daher gegeben. Der Senat fasst den Tenor geringfügig anders als den Berufungsantrag, um den Inhalt prägnanter zum Ausdruck zu bringen, ohne dass damit eine Einschränkung oder Teilzurückweisung verbunden wäre.

f) Der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ist dementsprechend nach § 13 Abs. 3 UWG dem Grunde nach gerechtfertigt, der Anspruch auf Verzinsung folgt aus § 291 BGB. Der geforderte Betrag von 260,00 € entspricht nach der Erfahrung des Senats, der als Spezialsenat u.a. für UWG-Sachen regelmäßig mit solchen Fragestellungen befasst ist, dem, was üblicherweise von Verbänden wie dem Kläger angesetzt wird; insbesondere fallen zur Bearbeitung derartiger Vorgänge typischerweise die in Ansatz gebrachten Stunden für die jeweiligen Kräfte an, was wiederum entsprechende Personalkosten auslöst.

6. Wegen der Nebenentscheidungen ergibt sich:

a) Die Beklagte hat, da sie unterlegen ist, nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge zu tragen.

b) Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nach § 543 ZPO nicht erkennbar ist. Im Senat ist nicht bekannt, dass auch andere Online-Händler derartige Klauselkombinationen verwenden und das angegriffene Verhalten praktizieren, so dass sich die aufgeworfenen Fragen in einer größeren Vielzahl von Fällen stellen würde; auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung wurde derartiges nicht aufgezeigt. Die Entscheidung beruht auf eine Anwendung des Gesetzes und hierzu ergangener, anerkannter Grundsätze auf den Einzelfall, ohne dass „Neuland“ betreten würde. Der Senat weicht nicht von Entscheidungen anderer Gerichte ab. Es ist auch sonst nicht erkennbar, dass eine höchstrichterliche Entscheidung im vorliegenden Verfahren die Klärung grundsätzlicher Fragen oder die Fortentwicklung der Rechtsprechung bewirken könnte.


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OLG Nürnberg: Kein Verstoß gegen Unterlassungserklärung und keine Vertragsstrafe wenn urheberrechtswidrige Inhalte noch im Internetarchiv Wayback Machine aufrufbar sind

OLG Nürnberg
Hinweisbeschluss vom 19.02.2024
3 U 2291/23


Das OLG Nürnberg führt in einem Hinweisbeschluss aus, dass kein Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung vorliegt und somit keine Vertragsstrafe verwirkt ist, wenn urheberrechtswidrige Inhalte noch im Internetarchiv Wayback Machine aufrufbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
II. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs hat die Klägerin keine Zuwiderhandlungen der Beklagten gegen den Unterlassungsvertrag vom 16.11.2021 dargetan.

1. Bei dem behaupteten Verstoß der weiterhin bestehenden Auffindbarkeit der streitgegenständlichen Kartenausschnitte über Eingabe der genauen URL fehlt es an der Öffentlichkeit der Zugänglichmachung (vgl. BGH GRUR 2021, 1286 Rn. 16 ff. – Lautsprecherfoto). Das Landgericht führte aus, dass bereits auf Grund der eigentümlichen Buchstaben-Zahlen-Kombination, die die Beklagte zur Bezeichnung ihrer Einsatzpläne verwendet hatte und die in dieser Form für den jeweiligen Einsatzplan auch in die längere URL hätte eingegeben werden müssen, nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden könne, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben werden könne, die diese Adresse zuvor – als die Kartenausschnitte noch im Rahmen des Internetauftritts der Beklagten über die Systemnavigation frei zugänglich gewesen seien – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten. Gegen diese zutreffende Einschätzung durch das Erstgericht wendet sich die Berufung nicht. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Wiedergabe gegenüber recht vielen Personen gegeben ist.

2. Eine Zuwiderhandlung nach § 339 S. 2 BGB kann auch nicht in dem Vortrag der Klägerin gesehen werden, dass die Kartenausschnitte auch nach Abschluss des Unterwerfungsvertrags über das Internetarchiv „w...“ abrufbar gewesen seien.

a) Es fehlt zum einen an den – auch für eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag – erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Verletzung des Rechts der öffentlichen Wiedergabe in seiner besonderen Erscheinungsform des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung.

aa) Im Streitfall kann bereits deshalb kein öffentliches Zugänglichmachen i.S.v. § 19a UrhG angenommen werden, weil die Beklagte auf dem Internetarchiv „w...“ nicht die Kontrolle über die Bereithaltung der Kartenausschnitte ausübt und sich diese daher nicht in ihrer Zugriffssphäre befinden (vgl. BGH GRUR 2019, 950 Rn. 44 – Testversion).

bb) Darüber hinaus fehlt es an den Voraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 2 UrhG, da die Beklagte über die „w...“ nicht absichtlich und gezielt Dritten einen Zugang zu den Kartenausschnitten verschafft und auch Umstände, die im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung von Bedeutung sind, gegen eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag sprechen.

In diesem Zusammenhang ist der Zweck der „w...” – eine Internetbibliothek mit dem Ziel zu schaffen, Forschern, Historikern, Wissenschaftlern und allen weiteren Interessierten einen permanenten Zugang insbesondere zu nicht mehr vorhandenen Webseiten zu bieten (Hoeren, MMR 2006, V) – zu berücksichtigen. So wie die fortdauernde Auffindbarkeit einer früheren, mittlerweile zu unterlassenden Werbung in der „w...“ mangels Marktbezugs keine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG darstellt, da die Auffindbarkeit darüber kein denkbarer Kanal zur Absatzförderung ist (LG Karlsruhe GRUR-RS 2023, 2296), liegt kein urheberrechtlich relevantes Verschaffen eines Zugangs zum geschützten Werk vor, da dem durchschnittlichen Internetnutzer bekannt ist, dass es sich bei den von der „w...“ vorgehaltenen Seiten um eine frühere Fassung des Internetauftritts handelt (vgl. zum Speichern im Cache der Suchmaschine Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 19a Rn. 6a). Die Beklagte verschafft somit nicht Dritten in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens Zugang zu den Kartenausschnitten.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die „w...“ nicht von üblichen Internet-Suchmaschinen durchsucht werden kann. Vielmehr muss der Internetnutzer gezielt das Internetarchiv aufrufen und dort – da das Archiv keine eigene Suchfunktion aufweist – gezielt nach Inhalten suchen.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe eine wertende Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände erforderlich macht. Daraus folgt für den Streitfall, dass in die Auslegung des Unterlassungsvertrags eingestellt werden kann, dass die Beklagte keine zentrale Rolle einnahm, um Nutzern über die „w...“ Zugang zu den Kartenausschnitten zu verschaffen, dass die (ursprüngliche) Veröffentlichung der Notfalltreffpunkte im Gemeindegebiet nicht Erwerbszwecken diente, sowie dass bei einer „Wiedergabe“ über die „w...“ nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine aufnahmebereite Öffentlichkeit für die Kartenausschnitte selbst besteht.

b) Zum anderen fehlt es an der Darlegung der Verletzung von Handlungspflichten zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands.

So ist weder dargetan noch ersichtlich, dass eine Abrufbarkeit über die „w...“ der Beklagten (wirtschaftlich) zugutekommt, was aber Voraussetzung für eine Einwirkungspflicht auf Dritte ist.

Außerdem trägt die Beklagte vor, dass sie gegenüber den Betreibern des Internetarchivs entsprechende Löschungsanträge gestellt habe. Damit hätte sie ihren – unterstellten – Handlungspflichten zur Beseitigung des Störungszustandes genügt. Einen Erfolg des Bemühens der Einwirkung auf Dritte schuldet der Unterlassungsschuldner nicht (vgl. BGH GRUR 2018, 292 Rn. 33 – Produkte zur Wundversorgung).

3. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Unterwerfungsvertrag schließlich darauf stützt, dass bei der Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen ein Link zu der Datei mit dem streitgegenständlichen Kartenausschnitt auf der Homepage der Beklagten an erster Stelle der Ergebnisliste erschienen sei, kann dies aus den nachfolgenden beiden Gründen der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen.

a) Zum einen fehlt es beim Vortrag im Zusammenhang mit den Suchmaschinen an der Darlegung des Zugänglichmachens der Kartenausschnitte, also der Wiedergabe, selbst.

Auf den vorgelegten Screenshots mit den Ergebnislisten der Suchmaschinen ist lediglich ein Link zu einem PDF-Dokument auf der von der Beklagten betriebenen Homepage ersichtlich. Die Werke sind in der Ergebnisliste weder als Vorschaubilder (vgl. BGH GRUR 2010, 628 Rn. 19 – Vorschaubilder) noch sonst erkennbar.

Dass beim Klicken auf den Link tatsächlich die Homepage der Beklagten geöffnet und Zugang zu den Kartenausschnitten geschaffen wird, ist weder dargetan noch vor dem Hintergrund des nicht bestrittenen Vortrags der Beklagten des vollständigen Löschens aus dem CMS der Beklagten, weshalb ein Aufruf über die Seitennavigation der URL www.s[…]-m[…].de nicht mehr möglich sei, ersichtlich. Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Kartenausschnitte bei heute abrufbar seien, kann den im Zusammenhang mit diesem Vortrag vorgelegten Anlagen K 15, BK 1 und BK 2 entnommen werden, dass diese Seiten bei der sogenannten „w...“ (https://archive.org/web) aufgerufen wurden. Die Aufrufbarkeit über das Internetarchiv „w...“ kann – wie bereits ausgeführt – eine Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungsvertrag jedoch nicht begründen.

b) Zum anderen fehlt es – wegen der Übertragbarkeit der im Zusammenhang mit der Eingabe der genauen URL gemachten Überlegungen zur Öffentlichkeit der Zugänglichmachung (vgl. dazu die obigen Ausführungen unter Ziffer 1.) auf die im vorliegenden Fall notwendige Eingabe bestimmter Begriffe in Suchmaschinen – an der Darlegung einer öffentlichen Wiedergabe. Aufgrund der vorliegend maßgeblichen Einzelfallumstände ist in der konkreten Situation nicht damit zu rechnen, dass eine entsprechend große Personengruppe die Kartenausschnitte suchen und auffinden könnte.

aa) Im vorliegenden Fall war es erforderlich, bestimmte Begriffe wie „Notfalltreffpunkt O. der S.“, „einsatzplan o. der st.“ oder „einsatzplan r. l.“ in die Suchmaschine einzugeben, um als Suchergebnis einen Link zur Webseite der Beklagten angezeigt zu bekommen. Eine – unterstellte – Zugänglichkeit zu den Kartenausschnitten war daher nur „umständlich“ durch Eingabe genau dieser Wörter möglich. Es fehlt vor diesem Hintergrund an der Öffentlichkeit der Wiedergabe, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass recht viele Personen über diese konkreten Suchbegriffe auf die streitgegenständlichen Notfallpläne Zugriff haben. Es ist auszuschließen, dass Dritte in nennenswerter Zahl von der Möglichkeit des Abrufs Gebrauch machen, weshalb jegliche Relevanz für den Urheber und dessen Möglichkeit, sein Werk wirtschaftlich zu verwerten, fehlt.

bb) Der Senat schließt sich der Einschätzung des Landgerichts an, dass die klägerseits verwendeten Suchmaschinenbegriffe für einen gewöhnlichen Internetnutzer zur Bezeichnung von Einsatzplänen schon deswegen völlig ungewöhnlich sind, weil nicht einmal der Gemeindename der Beklagten in das Suchfeld zusätzlich eingegeben wurde. Die Möglichkeit, dass ein gewöhnlicher Internetnutzer in der Zeit von 2015 bis November 2021 sich die entsprechenden Namen der Einsatzpläne der Beklagten notiert oder abgespeichert hat und sodann bei einer Suchmaschinen-Suche nach diesem Zeitraum direkt den Namen der Pläne ohne Angabe der Gemeinde suchen würde, entspricht nicht der Lebenserfahrung.

Die entsprechenden Namen sind überdies exklusiv auf das Gemeindegebiet der Beklagten – einer kleinen Gemeinde von reichlich 7.000 Einwohnern – zugeschnitten, so dass jedenfalls Nutzer, die nicht schon vor dem Jahr 2021 von der Existenz entsprechender Pläne samt Namen wussten, nunmehr nach Herunternahme der Einsatzpläne vom Internetauftritt der Beklagten von sich aus nicht darauf kommen würden, dass es solche Einsatzpläne womöglich geben könnte und deshalb danach mittels Suchmaschine suchen würden.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es vorliegend um die Bezeichnung von Notfallplänen geht, deren namentliche Existenz überhaupt nur einer ganz kleinen, speziellen Gruppe – nämlich wohl nur Feuerwehr- und Katastrophenschutzbehördenmitarbeitern in der Gemeinde bzw. dem zugehörigen Landkreis – bekannt sein dürfte. Andere Personen, insbesondere Gemeindebürger der Beklagten, würden nach entsprechenden Einsatz-/Notfalltreffpunktplänen wohl ausnahmslos nur im ganz konkreten Brand- und/oder Katastrophenfall suchen, jedoch kaum vorab sich diese insbesondere namentlich (analog oder digital) notieren.

c) Außerdem setzt eine öffentliche Wiedergabehandlung grundsätzlich voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis – also absichtlich und gezielt – der Folgen seines Verhaltens tätig werden muss, woran es im vorliegenden Fall ebenfalls fehlt. Es sind keine Anhaltspunkte gegeben, dass die Kartenausschnitte nach dem Löschen aus dem CMS der Beklagten, weshalb sie nicht (mehr) über die Homepage der Beklagten aufrufbar waren, nach dem Willen der Beklagten – einer Gemeinde – (weiter) für andere Personen verfügbar sein sollten. Der streitgegenständliche Unterlassungsvertrag kann vor dem Hintergrund des Wortlauts, der Art und Weise des Zustandekommens sowie der Anlassverstöße auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Parteien über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen und vom verletzten Verwertungsrecht nicht erfasste Handlungen einbeziehen wollten.

d) In Bezug auf die schließlich notwendige wertende Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls kann auf die obigen Ausführungen unter B.II.2.a) bb) a.E. verwiesen werden.


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OLG Nürnberg: Keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO wenn dies aus datenschutzfremden Motiven erfolgt

OLG Nürnberg
Urteil vom 29.11.2023
4 U 347/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung eines Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO vorliegt, wenn dies aus datenschutzfremden Motive erfolgt.

Aus den Entscheidunsggründen:
2. Die Berufung ist begründet.
a) Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist der Auskunftsantrag hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). In den Fällen der Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs gern. Art. 15 Abs. 1 DSGVO genügt es grundsätzlich, wenn der Klageantrag dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend auf Erteilung einer vollständigen Auskunft über die von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten des Klägers gerichtet ist; eine Spezifizierung dieser Daten ist grundsätzlich nicht erforderlich (so zuletzt OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 16, beck-online).

b) Soweit der Kläger seinen Antrag wegen vorgerichtlich übermittelter Personalstamm- und BAV-Daten bereits beschränkt und wegen zweier Schriftsätze, die ihm im Rahmen des beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesenen Verfahrens zugänglich gemacht wurden, Teilerledigungserklärungen unter Verweis auf diese Schriftsätze abgegeben hat, ändert dies nichts daran, dass „offen“ tenoriert werden kann. Denn es kann – wie auch sonst bei noch teilweise „unerledigten“ im Sinne von noch nicht vollständig erfüllten – Auskunftsansprüchen einfach offen zur geschuldeten Auskunft (als geschuldetem „Enderfolg“) verurteilt werden (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Die Beschränkung im ursprünglichen Antrag bzw. der Verweis auf Teilerledigungen berücksichtigt lediglich die Tatsache, dass die Beklagte bereits gewisse Auskünfte erteilt hat; mit der Beschränkung ist nur klargestellt, dass die Beklagte die bereits erteilten Auskünfte nach Auffassung des Klägers nicht mehr wiederholen muss, dieser die Auskunft ansonsten aber (zu Recht) als unvollständig ansieht und deswegen eine „vollständige“ Auskunft im Übrigen auch weiterhin einklagt (so auch OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online).

Wie das OLG Köln weiter ausgeführt hat, ,,ist eine Beschränkung durch Verweis auf bereits erteilte Teilauskünfte vor bzw. während des Verfahrens und/oder sonstige Klarstellungen prozessual nicht zwingend in Antrag und Tenor aufzunehmen, weil man mit dem oben Gesagten einfach einen weit gefassten Antrag in Anlehnung an den Gesetzeswortlaut stellen kann und alles andere dann nur – wie auch sonst – eine Frage des Erfüllungseinwands (§ 362 Abs. 1 BGB) im gerichtlichen Verfahren bzw. bei entsprechender Titulierung später im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist“ (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 17, beck-online). Dem schließt sich der Senat an. Es ist einem Kläger auch nach Auffassung dieses Senats bei Auskunftsbegehren jedenfalls nicht zuzumuten, die bereits erteilten Auskünfte im Einzelnen in den Klageantrag aufzunehmen. Erforderlich ist nur im Rahmen der Begründetheit der Klage, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung tatsächlich noch keine vollständige Erfüllung des Auskunftsanspruchs i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB feststellbar ist. Eine vollständige Erfüllung ist nicht eingetreten. Die Beklagte macht gerade geltend, dass der Anspruch aufgrund des Umfangs des damit verbundenen unverhältnismäßig hohen Erfüllungsaufwands exzessiv im Sinne von Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ist. Diese Aussage impliziert, dass es bei der Beklagten – wie auch aufgrund der langjährigen Tätigkeit des Klägers im dortigen Unternehmen nicht anders zu erwarten – umfangreiche weitere zu beauskunftende Daten gibt.

c) Art. 15 DSGVO gibt einen umfassenden Auskunftsanspruch über personenbezogene Daten.

aa) Art. 4 Nr. 1 DSGVO definiert den Begriff „personenbezogene Daten“ als alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

Dem Begriff der personenbezogenen Daten ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine weite Bedeutung beizumessen: „Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist“ (EuGH BeckRS 2017, 136145).

bb) Soweit Einschränkungen des umfassenden Auskunftsrechts auf Ewägungsgrund 63 der Verordnung gestützt werden sollen, haben diese Erwägungen in der Verordnung keinen Niederschlag gefunden. Der Anspruch auf Datenauskunft ist vielmehr voraussetzungslos. Der EuGH (Urteil vom 26.10.2023 – C-307/22, BeckRS 2023, 29132, beck-online) hat hierzu im ersten Leitsatz ausgeführt, dass Art. 12 Abs. 5 sowie Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO dahin auszulegen sind, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der Verordnung genannten Zwecken begründet wird.

cc) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der klägerische Anspruch auch nicht nach Art. 12 Abs. 5 S. 2 DSGVO ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung kann der Verantwortliche bei offenkundig unbegründeten oder – insbesondere im Fall von häufiger Wiederholung – exzessiven Anträgen einer betroffenen Person entweder ein angemessenes Entgelt verlangen, bei dem die Verwaltungskosten für die Unterrichtung oder die Mitteilung oder die Durchführung der beantragten Maßnahme berücksichtigt werden, oder sich weigern, aufgrund des Antrags tätig zu werden. Nach Art. 12 Abs. 5 S. 3 DS-GVO hat der Verantwortliche den Nachweis für den offenkundig unbegründeten oder exzessiven Charakter des Antrags zu erbringen.

Nach Wortlaut und Zweck von Art. 12 Abs. 5 S. 1, Art. 15 DSGVO liegt kein Missbrauch vor, wenn ein Betroffener das Auskunftsrecht (auch) für datenschutzfremde Motive verwendet, etwa um Informationen für Vergleichsverhandlungen oder um bei ihm nicht mehr vorhandene Vertragsinformationen zu erhalten (z.B. Auskunft über Konten, Versicherungsbedingungen etc.), da sich eine solche Beschränkung auf eine bestimmte Motivlage nicht in Art. 15 DSGVO findet. Dies gilt auch, wenn die Auskunft gem. Art. 15 DSGVO beim Verantwortlichen sehr viel Aufwand verursacht, da der Aufwand des Verantwortlichen für Art. 15 DSGVO keine Rolle spielt, oder wenn der Betroffene mehrfache Auskunftsansprüche geltend macht, da sie nur im Rahmen des Exzesses einen Rechtsmissbrauch begründen (BeckOK DatenschuteR/Schmidt-Wudy, 45. Ed. 1.8.2023, DS-GVO Art. 15 Rn. 48).

Da die Motivation des Klägers für die Begründetheit des Auskunftsverlangens keine Rolle spielt, kommt es auch nicht darauf an, ob er – jedenfalls ursprünglich – hoffte, durch die Datenauskunft Erkenntnisse für seine beim Landgericht Oldenburg anhängig gewesene Klage zu erlangen. Gleichfalls kommt es nicht darauf an, ob die Datenauskunft für den Beklagten mit viel Mühe oder Zeitaufwand verbunden ist, denn der Aufwand ist unerheblich. Exzessiv ist die Datenauskunft schon deswegen nicht, weil es sich um den ersten Antrag handelt.

dd) Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein Grundrecht. Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 326 vom 26.10.2012, S. 391) hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Der entsprechende Auskunftsanspruch wurde geregelt, um diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen. Seine Geltendmachung kann daher über die gesetzlich geregelten (hier nicht einschlägigen) Tatbestände hinaus nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dass für den Kläger aufgrund der Dauer und Art seiner Tätigkeit sehr viele Daten angefallen sind, steht der Geltendmachung seiner Rechte nicht entgegen.

ee) Da die Datenauskunft voraussetzungslos zu erteilen ist, steht der Beklagten auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen der zu erwartenden Kosten zu, denn diese kann die Beklagte nicht verlangen. Die Auskunft ist kostenlos zu erteilen.

ff) Der streitgegenständliche Antrag erfasst ausdrücklich auch das Recht auf „Kopien“. Nach der Entscheidung des EuGH vom 04.05.2023 (C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 45) ist Art. 15 Abs. 3 DSGVO dahin auszulegen, „dass das Recht, vom für die Verarbeitung Verantwortlichen eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, bedeutet, dass der betroffenen Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten ausgefolgt wird. Dieses Recht setzt das Recht voraus, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die u. a. diese Daten enthalten, zu erlangen, wenn die Zurverfügungstellung einer solchen Kopie unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch diese Verordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, wobei insoweit die Rechte und Freiheiten anderer zu berücksichtigen sind.“ Damit ist die strittige Frage geklärt, was unter „Kopie“ zu verstehen ist.

In der genannten Entscheidung hat der EuGH auch ausgeführt, dass Art. 15 Abs. 3 DSGVO „nur die praktischen Modalitäten für die Erfüllung der aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO folgenden Auskunftspflichtfestlegt. Art. 15 DSGVO kann deshalb gerade nicht so ausgelegt werden, dass er in seinem Abs. 3 S. 1 ein anderes Recht als das in Abs. 1 vorgesehene gewährt“ (vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C-487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f.). Nach dieser Entscheidung ist auch die Frage geklärt, ob ein auf Überlassung einer Datenkopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO gerichteter Antrag erkennen lassen muss, von welchen personenbezogenen Daten eine Kopie verlangt wird. Ein Anspruchsteller, der zu einer genaueren Bezeichnung außerstande ist, ist deswegen auch nicht gehalten, im Wege der Stufenklage zunächst eine Auskunft darüber zu verlangen, welche personenbezogenen Daten der Anspruchsgegner verarbeitet, um auf dieser Grundlage sodann einen Antrag auf Überlassung einer Kopie der sich aus der Auskunft ergebenden Daten stellen zu können (so noch vor der Entscheidung des EuGH das Bundesarbeitsgericht, vgl. BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 2 AZR 235/21, NZA 2022, 362 Rn. 33; Urteil vom 27.04.2021 – 2 AZR 342/20, BAGE 174, 351 Rn. 20 f. = NZA 2021, 1053; kritisch dazu bereits Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (519 f.)). Art. 15 DSGVO enthält vielmehr nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH einen einheitlichen Auskunftsanspruch (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Der Kläger hatte sich zudem auch bereits erstinstanzlich auf sein Recht auf Überlassung einer Kopie berufen. Dieser einheitliche Anspruch muss grundsätzlich ohne eine Spezifizierung der personenbezogenen Daten – wie hier – einheitlich geltend gemacht werden können (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online). Da der Anspruch auf eine unvertretbare Handlung gerichtet ist, ist er nach § 888 ZPO zu vollstrecken (vgl. Lembke/Fischels, NZA 2022, 513 (520)). Erteilt ein zur Auskunftserteilung verurteilter Schuldner (weitere) Auskünfte und stellt dem Gläubiger Datenkopien zur Verfügung, muss gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren geprüft werden, ob der titulierte Auskunftsanspruch dadurch dann endgültig erfüllt worden ist. Daraus möglicherweise resultierende Schwierigkeiten sind keine datenschutzrechtliche Besonderheit, sondern können in ähnlicher Form auch bei anderen Auskunftsansprüchen auftreten (OLG Köln, NZA-RR 2023, 515 Rn. 18, beck-online).


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OLG Nürnberg: Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig nicht dringlichkeitsschädlich

OLG Nürnberg
Urteil vom 24.10.2023
3 U 965/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig nicht dringlichkeitsschädlich ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
"Der Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG.

1. Ein Werbeanruf gegenüber einem Verbraucher ist bei den unstreitig im November 2022 und am 08.12.2022 erfolgten Anrufen jeweils zu bejahen. Dazu genügt es, wenn im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses die Fortsetzung oder Erweiterung der Vertragsbeziehung (vgl. BGH GRUR 1995, 220 – Telefonwerbung V; OLG Frankfurt GRUR-RR 2013, 74 (75)) angestrebt wird; ferner, wenn ein Kunde abgeworben oder ein abgesprungener Kunde zur Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehung bestimmt werden soll (und sei es auch nur durch Befragen nach den Gründen seines Wechsels; vgl. BGH GRUR 1994, 380 (382) – Lexikothek) oder ein Kunde von der Ausübung eines Vertragsauflösungsrechts (Widerruf, Rücktritt, Kündigung, Anfechtung) abgehalten oder abgebracht werden soll (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 7 Rn. 151).

2. Die Verfügungsbeklagte bleibt bei beiden Anrufen glaubhaftmachungsbelastet für das Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Einwilligung trägt der Werbende (BGH GRUR 2004, 517 (519) – E-Mail-Werbung I; BGH WRP 2013, 1579 Rn. 24 – Empfehlungs-E-Mail), im vorliegenden Fall somit die Verfügungsbeklagte. Wer mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher wirbt, hat nach § 7a UWG ab dem 01.10.2021 sogar dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung in angemessener Form zu dokumentieren und gemäß § 7a Abs. 2 S. 1 UWG aufzubewahren.

Hinsichtlich des Anrufs Anfang November 2022 behauptet die Verfügungsbeklagte eine Einwilligung nicht. Vielmehr ist unstreitig, dass Frau B. gegenüber der Verfügungsbeklagten – nachdem sie die Riesterrente im Oktober 2022 beitragsfrei stellte – am 18.10.2022 per E-Mail (Anlage ASt 6) eine etwaig von ihr erteilte Einwilligung zur Kontaktaufnahme widerrief, was der Verfügungsbeklagten auch zuging (Anlage ASt 7). Auf die Anfrage der Verfügungsbeklagten vom 31.10.2022 zur Vereinbarung eines Termins (Anlage AG 1) reagierte Frau B. nicht.

In Bezug auf den zweiten Anruf vom 08.12.2022 steht eine Einwilligung von Frau B. zwischen den Parteien im Streit. Während die Verfügungsbeklagte durch eidesstattliche Versicherung von Frau N. (Anlage AG 3) glaubhaft machte, dass Frau B. beim ersten Anruf im November ihr mitgeteilt habe, dass sie sich im Augenblick des Telefonats in der Arbeit befinde und deshalb um einen weiteren Anruf „in den nächsten Tagen“ bat, machte der Verfügungskläger durch eidesstattliche Versicherung von Frau B. (Anlage ASt 8) glaubhaft, dass ein derartiger Wunsch von ihr nicht geäußert worden sei. Vielmehr habe sie in diesem Telefonat mitgeteilt, dass sie – wie beim letzten Telefonat bereits erwähnt – kein Interesse an einem Termin habe und jetzt nur ran gegangen sei, um nochmal klar zu kommunizieren, dass die Verfügungsbeklagte aufhören solle, sie zu kontaktieren. Aufgrund der sich widersprechenden eidesstattlichen Versicherungen bleibt die Verfügungsklägerin für eine Einwilligung glaubhaftmachungsbelastet, zumal eine hinreichende Dokumentation i.S.v. § 7a UWG von ihr nicht behauptet wird.

II.Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG ist nicht widerlegt.

1. Die Vermutung der Dringlichkeit gilt als widerlegt, wenn der Verfügungskläger durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“. Das ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt. Entscheidend ist dabei allein der Zeitpunkt, zu welchem der Verfügungsklagepartei die maßgeblichen Tatsachen bekannt geworden sind (OLG Nürnberg, GRUR-RR 2019, 131, Rn. 46 – Schnupfenmittel; OLG Nürnberg WRP 2021, 944 Rn. 38).

2. Im vorliegenden Fall ist die Vermutung der Dringlichkeit nicht durch zögerliche Antragstellung (selbst) widerlegt. Der Verfügungskläger führte auf den gerichtlichen Hinweis in der Terminsladung aus, dass er von den beiden Telefonanrufen vom November 2022 und 08.12.2022 am 21.12. oder 22.12. Kenntnis erlangt habe und dass am 23.12. Frau B. dann die Belege (Anlagen ASt 6, 7, 9 sowie den in ihrer eidesstattlichen Versicherung wiedergegebenen Screenshot des Telefonanrufs) übersandt habe. Nachdem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 17.01.2023 datiert, erfolgte die Antragstellung innerhalb der Monatsfrist.

Dass die Verfügungsbeklagte den Zeitpunkt der Kenntniserlangung bestreitet, führt zu keiner anderen Beurteilung. Grundsätzlich ist es Sache der Verfügungsbeklagten, die Dringlichkeitsvermutung zu widerlegen, also eine frühere Kenntnis auf Seiten des Verfügungsklägers darzulegen und glaubhaft zu machen (OLG Hamburg, MDR 2002, 1026, juris-Rn. 26). Nur wenn objektive, darauf hindeutende Umstände vorliegen, dass der Verletzte bereits vor mehr als einem Monat vor Einleitung des Verfügungsverfahrens Kenntnis von der Verletzungshandlung erlangt hat, obliegt es ihm, vorzutragen und glaubhaft zu machen, dass dies nicht zutrifft (OLG München, GRUR 1994, 670 [Leitsatz], MDR 1993, 688, juris-Rn. 5). Derartige objektive Umstände sind im vorliegenden Fall weder von der Verfügungsbeklagten dargetan noch ersichtlich. Zwar erfolgten die streitgegenständlichen Telefonanrufe bereits im November 2022 und 08.12.2022. Es ist jedoch keineswegs unplausibel, dass die Kundin des Verfügungsklägers, Frau S. B., diesen anlässlich eines Kundengesprächs erst am 21.12. oder 22.12.2022 über die Anrufe informierte. Dieses Datum passt auch in den vom Verfügungskläger geschilderten weiteren zeitlichen Ablauf (Übersendung der Belege durch Frau B. am 23.12.2022, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Frau B. am 28.12.2022).

Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der eidesstattlichen Versicherung von Frau N. vom 16.03.2023 veranlasst, in welcher Frau N. ausführte,
„dass Frau B. mir erklärte, dass sie sich unterdessen mit ihrem Berater besprochen hätte, der ihr gesagt habe, dass sie den Riestervertrag beitragsfrei gestellt lassen solle und dass sie sich auf kein Gespräch einlassen solle.“

Zum einen bestätigt Frau B. eine derartige Äußerung in ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht. Zum anderen ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung nicht, ob Frau B. mit Berater den Verfügungskläger meinte. Schließlich kann den Ausführungen nicht entnommen werden, ob Frau B. ihren Berater auch über die unzulässigen Telefonanrufe informierte.

3. Das Ausschöpfen der zur Einlegung und Begründung der Berufung gesetzlich vorgesehenen Fristen (§ 517, § 520 Abs. 2 ZPO) ist im vorliegenden Fall nicht dringlichkeitsschädlich.

Zwar haben die gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen mit der Dringlichkeit an sich nichts zu tun (Teplitzky, WRP 2013, 1414 Rn. 10 ff.). Die Funktion der Rechtsmittelfristen ist es, in Zivilverfahren einen für beide Parteien verlässlichen zeitlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen ein Rechtsmittel zulässig ist. Diese Funktion wird vom Ergebnis der Dringlichkeitsprüfung nicht berührt, da das Rechtsmittel auch dann zulässig bleibt, wenn der Verfügungsgrund verneint wird.

Dennoch schließt sich der Senat der im Wettbewerbsrecht weit überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen in der Regel nicht dringlichkeitsschädlich ist (MüKoUWG/Schlingloff, 3. Aufl. 2022, UWG § 12 Rn. 89; Köhler/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 12 Rn. 2.16; OLG Bremen, GRUR-RR 2015, 345 – rent a rentner; OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 77 – Verkaufsaktion für Brillenfassungen; OLG Hamburg, GRUR-RR 2018, 27 Rn. 36 – HSA FREI). Die Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist ist den Berufungsführern gesetzlich zugestanden; im Hinblick auf die Länge dieser Fristen differenziert das Gesetz – was man rechtspolitisch kritisieren können mag – nicht zwischen Hauptsache- und Eilverfahren. Der Gesetzgeber gibt damit zu erkennen, dass er die Zeit von insgesamt 2 Monaten für ausreichend, aber auch erforderlich hält, um das Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen, was sich mittelbar auch auf die Frage der Dringlichkeitsschädlichkeit auswirkt. Solange die Partei nur die ihr gesetzlich eingeräumten Fristen wahrnimmt, dürfen aus dem damit in Zusammenhang stehenden (zulässigen) prozessualen Verhalten auch aus Rechtssicherheitsgründen grundsätzlich keine Rückschlüsse für die Frage gezogen werden, wie eilig es ihr damit ist, ihr Ziel im einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen.

Entgegen der Argumentation des Vertreters der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung liegt darin auch kein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Senats, dass die Beantragung und Ausnutzung einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist setzt nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO besondere Umstände voraus, insbesondere das Fehlen einer Verzögerung oder erhebliche Gründe. Die Verlängerung stellt damit nach der Gesetzessystematik einen begründungsbedürftigen Ausnahmefall dar. Es gilt in diesem Fall daher nicht mehr die Wertung des Gesetzgebers, dass die in prozessualer Hinsicht zur Berufungsbegründung zur Verfügung stehende Frist auch im Hinblick auf die Dringlichkeit in der Regel als unbedenklich angesehen werden kann.

Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen kann eine Selbstwiderlegung durch verzögertes Betreiben des Verfahrens auch bei der Einhaltung der Rechtsmittelfristen entfallen. Ein solcher Sonderfall kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung allenfalls in Betracht, wenn zum einen eine tatsächlich und rechtlich äußerst einfache Fallgestaltung gegeben ist, bei der keinerlei weitere tatsächliche Ermittlungen anzustellen und keine weiteren Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen sind, und wenn zum anderen der Verfügungskläger auch durch sein sonstiges Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist. Vorliegend handelt es sich weder um eine äußerst einfache Fallgestaltung, da das Landgericht die erlassene einstweilige Verfügung wegen des Nichteinhaltens der Vollziehungsfrist aufhob, noch sind weitere Aspekte dargetan oder ersichtlich, die demonstrieren würden, dass der Verfügungskläger das Verfahren in der Berufungsinstanz nicht mit der gebotenen Zügigkeit betreibt. Insbesondere musste sich die Verfügungsklägerin nach dem die Verfügung aufhebenden Ersturteil erstmals mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Wahrung der Vollziehungsfrist befassen.

III. Die Beschlussverfügung wurde innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ordnungsgemäß zugestellt.

1. Nach § 929 Abs. 2, § 936 ZPO ist die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Arrestbefehl/das Verfügungsurteil verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt wurde, ein Monat verstrichen ist. Bei einer Anordnung durch Beschluss wird diese Frist mit dessen Amtszustellung an den Gläubiger (vgl. § 329 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 ZPO) in Gang gesetzt. In dem Falle, dass der Antragsgegner bereits einen Prozessbevollmächtigten bestellt hatte, kann wirksam nur an diesen zugestellt werden (§ 191, § 172 Abs. 1 ZPO).

Grundsätzlich liegt in dem Umstand, dass ein Anwalt eine Partei im vorgerichtlichen Abmahnverfahren vertritt, nicht automatisch eine Bestellung für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren, auch wenn vorprozessual mitgeteilt wurde, dem Anwalt sei Zustellungsvollmacht erteilt (OLG Düsseldorf, GRUR 2005, 102 – Elektronischer Haartrockner; OLG Hamburg, GRUR-RR 2006, 355 – Stadtkartenausschnitt). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dann, wenn sich ein Prozessvertreter (nur) für das Hauptsacheverfahren angezeigt hat, im Regelfall Zustellungen im Verfügungsverfahren wirksam an die Partei selbst vorgenommen werden können (OLG Nürnberg, NJOZ 2002, 1175).

2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs genügt die nicht näher spezifizierte Mitteilung im anwaltlichen Schreiben vom 09.01.2023 nicht, damit wirksam nur an den Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten zugestellt werden konnte. Das Schreiben erfolgte in Reaktion auf die vorgerichtliche Abmahnung, darin wurde lediglich die (außergerichtliche) anwaltliche Vertretung der Verfügungsbeklagten und die (allgemeine) Zustellungsbevollmächtigung angezeigt.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht wegen des pauschalen Vortrags der Verfügungsbeklagten veranlasst, wonach eine Vielzahl von Parallelverfahren zwischen den Parteien bestünde, bei denen die Verfügungsbeklagte immer von den hiesigen Prozessbevollmächtigten außergerichtlich und gerichtlich vertreten worden sei. Denn der Verfügungskläger trägt unwidersprochen vor, dass es sich bei dem Streitfall um den ersten Aktivprozess handele, den er über seine Prozessbevollmächtigten gegen die hiesige Verfügungsbeklagte eingeleitet habe. Alle vorangehenden Gerichtsverfahren – darunter lediglich zwei Verfügungsverfahren – seien hingegen von der Verfügungsbeklagten eingeleitet worden. Eine tatsächliche Übung, wonach bei einer Anzeige der Bevollmächtigung in einem anwaltlichen Schreiben, die als Reaktion auf eine vorgerichtliche Abmahnung erfolgte, auch eine Prozessvertretung im gerichtlichen Verfahren einschließlich Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes umfasst ist, konnte damit nicht entstehen."


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OLG Nürnberg: Online-Marktplatz haftet für Urheberrechtsverletzungen der Händler nach den Grundsätzen der Intermediärshaftung

OLG Nürnberg
Urteil vom 01.08.2023
3 U 2910/22

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes für Urheberrechtsverletzungen von Händlern nach den Grundsätzen der Intermediärshaftung haftet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Für diese Urheberrechtseingriffe haftet die Beklagte – obwohl als Betreiberin einer Internetplattform nur mittelbare Verletzerin – als Täterin, da sie Verkehrspflichten verletzte.

1. Zwar ist auf die streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzungen nicht das neue Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz anwendbar, weil die Verletzungshandlungen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.08.2021 erfolgten.

2. Die Beklagte haftet auch nicht dadurch, dass sie Drittanbietern ihre Plattform für Onlinehandel zur Verfügung stellte und dort urheberrechtsverletzende Angebote veröffentlicht werden konnten, nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätze als Täterin für die begangene Urheberrechtsverletzung. Denn die fraglichen Fernseher wurden auf der Online-Handelsplattform der Beklagten lediglich durch Dritte unter den Händlerbezeichnungen „I.“ und „T.“ und somit nicht im eigenen Namen und auf eigene Rechnung der Beklagten angeboten. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte tatsächlich und nach außen sichtbar die inhaltliche Verantwortung für die auf der Internetseite veröffentlichten Inhalte übernahm oder den zurechenbaren Anschein erweckte, sich damit zu identifizieren.

Dagegen sprechen auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (Anlage K 30). Danach wird Vertragspartner der Endkunden ausschließlich der Händler und nicht die Beklagte. Die Beklagte bietet lediglich Links zu den Diensten der angeschlossenen Affiliate Stores an und ist weder dafür verantwortlich, die Affiliate Stores oder deren Leistungen zu prüfen oder zu bewerten, noch macht sie irgendwelche Versprechungen in Bezug auf diese. Sie bietet den Drittanbietern in elektronischer Form nur Hilfe bei der Einrichtung ihrer Shops und unterstützt die Verkaufsabwicklung durch einen optionalen Rechnungsservice. Zwar führt die Beklagte für den Händler den Datenimport (Produktdetails, Bilder etc.) auf die Homepage der Beklagten durch; der Händler muss jedoch garantieren, dass die von ihm für die Nutzung auf R. sowie im Rahmen der jeweiligen Vertragserfüllung gegenüber den Endkunden genutzten Inhalte und Artikel frei von Rechten Dritter sind, bzw. er über entsprechende Rechte der Rechteinhaber zur Nutzung und Einräumung entsprechender Rechte in den Lieferländern verfügt. Für die Rechtmäßigkeit der Speicherung und das Vorhalten der Daten soll allein der Händler verantwortlich sein. Die Beklagte macht sich fremde Inhalte unter keinen Umständen zu eigen.

3. Die Beklagte haftet jedoch aufgrund der neueren Rechtsprechung zur urheberrechtlichen Intermediärshaftung wegen der Verletzung von Verkehrspflichten als Täterin einer Handlung der öffentlichen Wiedergabe.

a) Der Gerichtshof der Europäischen Union versteht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ (vgl. § 15 Abs. 2 UrhG) weit und fasst darunter nicht nur den Upload als unmittelbare Wiedergabehandlung, sondern auch mittelbare Handlungen wie den Betrieb von Plattformen (EuGH, GRUR 2021, 1054 Rn. 77 ff. – Y.T. und uploaded). Bei der erforderlichen individuellen Beurteilung, ob neben der „Öffentlichkeit“ der Wiedergabe eine „Handlung der Wiedergabe“ vorliegt, soll nicht nur der „zentralen Rolle“ des Nutzers, sondern vor allem der „Vorsätzlichkeit seines Handelns“ besonderes Gewicht zukommen. Dabei sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die die betreffende Situation kennzeichnen und es ermöglichen, direkt oder indirekt Schlussfolgerungen hinsichtlich der Frage zu ziehen, ob der Plattformbetreiber bei der unerlaubten Wiedergabe dieser Inhalte vorsätzlich tätig wird oder nicht.

Infolgedessen bejaht auch der Bundesgerichtshof eine Haftung derartiger Intermediäre als Täter bei der Verletzung von Verkehrspflichten im Urheberrecht (BGH, GRUR 2022, 1308 Rn. 76 ff. – Y.T. II). In diesem Bereich tritt die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung (BGH, GRUR 2022, 1328 Rn. 42 – uploaded III). Auf die Haftungsprivilegierung, die in der – der Umsetzung des Art. 14 Abs. 1 RL 2000/31/EG dienenden – Vorschrift des § 10 TMG vorgesehen ist, kann sich der täterschaftlich haftende Plattformbetreiber nicht berufen (vgl. BGH GRUR 2022,1328 Rn. 50 – uploaded III).

Nach den Vorgaben des EuGH ergeben sich insbesondere drei Fallgruppen, die eine täterschaftliche Haftung des Plattform-Betreibers begründen können (EuGH a.a.O. Rn. 84 f. – Y.T. und Cyando; BGH a.a.O. Rn. 77 f., Rn. 119 f. – Y.T. II):
- Der Plattformbetreiber weiß oder müsste wissen, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden und er ergreift nicht die geeigneten technischen Maßnahmen, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen;
- Der Betreiber ist an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt, er bietet auf seiner Plattform Hilfsmittel an, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder er fördert ein solches Teilen wissentlich, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen;
- Der Betreiber wurde vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, und ergreift nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern; dabei besteht die Pflicht, auch das fortgesetzte öffentliche Zugänglichmachen rechtsverletzender Inhalte durch gleichartige Verletzungshandlungen im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren zu unterbinden.

b) Diese Rechtsprechung, welche die Video-Sharing-Plattform „Y.T.“ und die Sharehosting-Plattform „up...“ betraf, ist auf den vorliegenden Fall – also auf einen Online-Marktplatz, auf dem Dritte ihre Produkte mittels des vom Plattformbetreiber zur Verfügung gestellten Shopsystems zum Kauf anbieten – übertragbar.

aa) Entscheidend für die Übertragbarkeit ist vor allem die zentrale Rolle des Betreibers der Plattform, auf der Nutzer urheberrechtlich geschützte Werke hochladen und abrufen können. Diese zentrale Rolle der Beklagten ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Zwar besteht die Hauptaufgabe eines Online-Marktplatzes in der Zusammenführung von Verkäufern und Käufern sowie der Abwicklung der einzelnen Verkäufe und – anders als bei Video-Sharing-/Sharehosting-Plattformen – nicht in der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Inhalten. Entscheidend ist jedoch, dass im Streitfall zwei Angebote von Fernsehern mit Produktbildern versehen wurden, welche u.a. das urheberrechtlich geschützte Foto zeigen, und dies über die Webseite der Beklagten öffentlich zugänglich gemacht wurde. Ohne die Bereitstellung und Verwaltung einer Online-Verkaufsplattform wie die der Beklagten wäre es somit unmöglich oder zumindest komplexer, diese potenziell urheberrechtsverletzenden Inhalte im Internet frei zu teilen (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 77 – Y.T. und uploaded).

Ohne Relevanz ist in diesem Zusammenhang, dass die Verwendung des Lichtbildwerks nicht der Hauptzweck des Verkaufsangebots war, sondern nur zu dekorativen Zwecken erfolgte. Denn die Voraussetzungen der Schranke des unwesentlichen Beiwerks nach § 57 UrhG – Austauschbarkeit des Lichtbildes, ohne dass dies dem durchschnittlichen Interessenten für den Kauf eines Fernsehers aufgefallen wäre – sind nicht gegeben.

bb) Dass die Beklagte nicht unter den Geltungsbereich des neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetzes fallen würde, führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Nach § 3 Nr. 5 UrhDaG gilt dieses Gesetz nicht für Online-Marktplätze. Dies beruht darauf, dass der Hauptzweck von Online-Marktplätzen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 regelmäßig darin besteht, Online-Einzelhandel zu betreiben, und nicht darin, urheberrechtlich geschützte Inhalte zugänglich zu machen (Erwägungsgrund 62 UAbs. 1 S. 5 der RL (EU) 2019/790 über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt).

Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass Online-Marktplätze nicht unter die neuere Rechtsprechung zur urheberrechtlichen Intermediärshaftung fallen würden. Denn die in § 3 Nr. 5 UrhDaG gemachte Einschränkung – wonach Online-Marktplätze nicht erfasst werden – findet sich in den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs zur Täterhaftung von Plattformbetreibern nicht. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz eine abschließende Regelung hinsichtlich der für Urheberrechtsverletzungen haftenden Plattformen aufstellen wollte.

cc) Nicht entscheidungserheblich ist darüber hinaus, dass die ersten beiden Fallgruppen, die eine täterschaftliche Haftung des Plattform-Betreibers begründen können, auf Online-Verkaufsplattformen wie die Beklage der Natur der Sache nach in der Regel nicht übertragbar sind. Denn durch diese Fallgruppen wird ein abgestuftes System der täterschaftlichen Verantwortlichkeit von Intermediären geschaffen, welches der unterschiedlichen „Gefahrgeneigtheit“ der Hostprovider für Urheberrechtsverletzungen Rechnung trägt:
- Eine unmittelbare Täterhaftung kommt in Betracht, wenn der Plattformbetreiber weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer urheberrechtlich geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, und dennoch nicht die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreift. Dies gilt im verstärkten Maße, wenn der Betreiber aktive Hilfestellung leistet oder die Plattform gar überwiegend für Urheberrechtsverletzungen genutzt wird.
- Hostprovider wie Online-Marktplätze – die nicht in erster Linie betrieben werden, um Zugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten zu gewähren – kommen dagegen als Nebentäter der Urheberrechtsverletzung erst nach Abschluss eines zweistufigen Verfahrens in Betracht: Sie müssen zum einen auf eine klare Urheberrechtsverletzung hingewiesen worden sein und es zum anderen (pflichtwidrig) unterlassen haben, das konkrete Angebot unverzüglich zu sperren und Vorsorge zu treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzrechtsverletzungen kommt. Bei Verkaufsplattformen wie die der Beklagten ist somit erst das Untätigbleiben auf einen hinreichenden Hinweis haftungsbegündend.

dd) Gegen eine Übertragung der Rechtsprechung spricht auch nicht die zum Markenrecht ergangene Entscheidung „Louboutin“ (EuGH, GRUR 2023, 250), aufgrund der eine Haftung der Beklagten nicht gegeben wäre.

Nach diesem Urteil ist eine Zeichenbenutzung durch das Betreiben eines Internet-Marktplatzes – selbst bei Vorliegen eines eigenen wirtschaftlichen Interesses – zu verneinen, weil damit nur die technischen Voraussetzungen für die Zeichenverwendung durch Dritte geschaffen werden. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck vermittelt wird, dass der M.platz-Betreiber die angebotenen Waren im eigenen Namen und für eigene Rechnung vertreibt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht dargetan, da nicht dargelegt ist, dass die Beklagte eine Plattform betrieb, die nicht nur Dritten den Vertrieb ermöglichte, sondern auch selbst Waren auf eigene Rechnung anbot und vertrieb.

Aufgrund der Eigenständigkeit der rechtlichen Voraussetzungen für eine Haftung für Markenverletzungen einerseits und Urheberrechtsverletzungen andererseits kann aus diesem Urteil nicht der Schluss gezogen werden, dass es auch im Urheberrecht auf den bei den angesprochenen Verkehrskreisen vermittelten Eindruck des Vertreibens im eigenen Namen und für eigene Rechnung entscheidungserheblich ankommt.

ee) Bei der Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur Täterhaftung von Internetplattformen auf den Streitfall kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die Haftungserleichterungen des – Art. 14 RL 2000/31/EG (E-Commerce-RL) umsetzenden – § 10 TMG nach den Erwägungsgründen 42 und 43 der E-Commerce-RL für Tätigkeiten rein technischer, automatischer und passiver Art greifen sollen. Dieser Bereich ist nach der Rechtsprechung des EuGH bereits dann verlassen, wenn der Betreiber eine aktive Rolle spielt, die ihm eine Kontrolle ermöglicht, was insbesondere anzunehmen ist, wenn er Hilfestellung leistet, die Präsentation der fraglichen Verkaufsangebote zu optimieren oder zu bewerben (EuGH, GRUR 2011, 1025 Ls. 6 und Rn. 113 – L'Oréal SA /eBay; BGH, GRUR 2011, 1038 Rn. 24 – Stiftparfüm).

Im vorliegenden Fall existieren zwei Anzeigen des Unternehmens O. – einer Content-Distributions-Plattform – die den streitgegenständlichen Fernseher mit dem Lichtbild „Manhattan Bridge“ auf Drittwebseiten (www.b... .de und www.h .....de) bewerben (Anlagen K 6 und K 17). Ausweislich der auf den Screenshots enthaltenen Bildunterschrift handelt es sich jeweils um eine Werbeanzeige für die Handelsplattform der Beklagten, weil dort diese als „R..de“ bzw. „R.“ genannt wird. Nach den damaligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten konnte diese den Händler bewerben, auch unter konkreter Bezugnahme auf den Händler und/oder konkrete Angebote/Artikel des Händlers; der Händler räumt ihr dafür die entsprechenden Rechte an seinen Inhalten zur Bewerbung ein.

Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass R. nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Verkaufsgebühr, die mit Eingang einer Kundenbestellung fällig wird, zustand, hat die Beklagte nicht hinreichend bestritten, den Händlern Hilfestellung bei der Bewerbung der Verkaufsangebote geleistet zu haben. Vor dem Landgericht hatte die Beklagte ausweislich der für das Berufungsverfahren bindenden Ausführungen des Erstgerichts im angegriffenen Urteil lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass sie das streitgegenständliche Bildmaterial genutzt habe, um im Rahmen von Werbeanzeigen auf Dritt-Webseiten Werbung für ihr Unternehmen zu machen, und ausgeführt, dass der als Anlage K 6 vorgelegte Screenshot nicht den Internetauftritt der Beklagten zeige. Dies ist jedoch – insbesondere da es sich bei der Frage der eigenen Mitwirkungshandlung um einen Gegenstand eigener Wahrnehmung handelt (§ 138 Abs. 4 ZPO) und der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast obliegt – nicht ausreichend. Daher unterfällt der in der Berufungsinstanz erstmalig erfolgte und vom Kläger bestrittene Vortrag, wonach die Beklagte die in den Anlagen K 6 und K 17 wiedergegebenen Werbeanzeigen nicht in Auftrag gegeben habe, auch unter § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO.

c) Im vorliegenden Fall haftet die Beklagte als Täterin, weil die Voraussetzungen der dritten Fallgruppe des EuGH – trotz Hinweises nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergriffen zu haben, um den Zugang zu diesem Inhalt und kerngleichen Verletzungshandlungen zu verhindern – erfüllt sind.

Der Kläger wies die Beklagte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 21.08.2018 (Anlage K 7) darauf hin, dass auf ihrer Plattform ein Verkaufsangebot des Händlers „I.-M.“ sein Urheberrecht an dem verfahrensgegenständlichen Lichtbildwerk verletze. Infolge dieses Hinweises hätte die Beklagte das entsprechende Angebot mit dem Lichtbild des Klägers löschen und im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren dafür Vorkehrungen treffen müssen, dass keine gleichartigen Verletzungshandlungen – also die Veröffentlichung dieser Fotografie im Rahmen anderer Angebote durch weitere Händler – auf ihrer Homepage begangen werden.

Die Beklagte hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen eine Überprüfung bestehender oder zukünftiger Angebote nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere hätte sich die Beklagte an den betreffenden Händler (“I.-M.“) wenden können, um weitere Informationen etwa zur rechtsverletzenden Bilddatei einholen können. Dies ist durch die Beklagte nicht erfolgt. Vielmehr konnte der Kläger unstreitig auf der Plattform „R..de“ kurze Zeit später, am 05.10.2018 (vgl. Screeshot Anlage K 8) und 20.10.2018 (vgl. Anlage K 15) ein weiteres Verkaufsangebot eines anderen Händlers über einen Fernseher der Marke XORO mit der rechtsverletzenden Produktbebilderung auffinden.

V. Vor diesem Hintergrund stehen dem Kläger gegenüber der als Täterin haftenden Beklagten die nachfolgenden Ansprüche zu:

1. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gemäß § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG den Anspruch, es zu unterlassen, das Bildwerk „Manhattan Bridge“ zu vervielfältigen und/oder vervielfältigen zu lassen sowie öffentlich zugänglich zu machen und/oder machen zu lassen. Ein Unterlassungsanspruch in Bezug auf die Verwertungshandlung des Verbreitens besteht hingegen nicht.

Eine Verletzungshandlung begründet die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH, GRUR 2021, 1519 Rn. 33 – Uli-Stein-Cartoon). Dabei stellen im Urheberrecht – anders als etwa im Markenrecht (dazu OLG Nürnberg, GRUR 2023, 260 – E-X-D Extreme Durable) – die einzelnen Verwertungsrechte selbstständige Tatbestände dar (BGH, GRUR 2020, 843 Rn. 81 – Metall auf Metall IV).

Im vorliegenden Fall liegt lediglich ein Eingriff in das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 19a UrhG sowie ein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG vor, da der Kläger lediglich darlegte, dass sein Lichtbild auf der Website der Beklagten zur Bebilderung eines zum Verkauf angebotenen Produktes verwendet wurde, sowie dass auf anderen Internetseiten eine Bewerbung dieses Angebots erfolgte (vgl. die Ausführungen unter Ziffer B.IV.). Dieser Vortrag begründet weder eine Wiederholungs- noch eine Erstbegehungsgefahr dafür, dass die Beklagte als Online-Handelsplattform das gegenständliche Lichtbild in seiner körperlich fixierten Form auch verbreiten (lassen) wird.

Der Unterlassungsanspruch besteht ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte pauschal behauptet (was das Landgericht im unstreitigen Tatbestand übernommen hat), lediglich Rechtsnachfolgerin der die Online-Handelsplattform betreibenden R2. Deutschland GmbH gewesen zu sein. Zwar geht der gesetzliche Unterlassungsanspruch nicht auf den Rechtsnachfolger über, da die Wiederholungsgefahr ein tatsächlicher Umstand ist, der sich der Rechtsnachfolge entzieht (BGH, GRUR 2010, 536 Rn. 40 – Modulgerüst II). Dem Handelsregisterauszug (Anlage K 4) kann jedoch eine Rechtsnachfolge nicht entnommen werden. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Abänderung des Unternehmensgegenstands und der Firma sowie eine Sitzverlagerung.

2. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch, die jeweils im Besitz der Beklagten befindlichen Vervielfältigungsstücke und Daten des Lichtbildwerks „Manhatten Bridge“ zu vernichten und zu löschen, besteht nicht.

Der geltend gemachte Anspruch auf Vernichtung und Löschung kann vorliegend nicht auf den Beseitigungsanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG gestützt werden. Dafür wäre Voraussetzung, dass die Rechtsverletzung zu einer fortdauernden Störung oder Gefährdung geführt hat, die durch ein bloßes Unterlassen nicht beseitigt wird. Vor dem Hintergrund, dass unstreitig die Beklagte ihren Geschäftsgegenstand änderte und die Leiterin der Rechtsabteilung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführte, dass die Beklagten über keinerlei Daten zu dem streitgegenständlichen Lichtbild mehr verfügen würde, sind die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs nicht dargetan.

Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 98 Abs. 1 S. 1 UrhG. Von dieser Vorschrift werden alle rechtswidrig hergestellten, verbreiteten oder zur rechtswidrigen Verbreitung bestimmten Vervielfältigungsstücke i.S.v. § 16 UrhG erfasst. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Beklagte derartige Vervielfältigungsstücke im Eigentum oder Besitz hat, da sie unstreitig nur eine Plattform für Verkaufsangebote von selbständigen Händlern anbot. Für das Darlegen der Voraussetzungen für einen Vernichtungsanspruch ist nicht ausreichend, dass die Beklagte nach deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Händler den Datenimport (Produktdetails, Bilder etc.) auf ihre Homepage durchführte.

3. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Schadensersatzanspruch gemäß § 97 Abs. 2 UrhG auf Zahlung von 6.675,00 € zu.


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OLG Nürnberg: Einmaliges Fordern einer überhöhten Vertragsstrafe führt nicht zum Rechtsmissbrauch nach § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG

OLG Nürnberg
Urteil vom 18.07.2023
3 U 1092/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass das einmalige Fordern einer überhöhten Vertragsstrafe nicht zum Rechtsmissbrauch nach § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG führt.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) Es liegt auch keine Vereinbarung oder Forderung überhöhter Vertragsstrafen i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG vor.

aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung lag ein starkes Indiz für einen Missbrauch im Sinne einer im Vordergrund stehenden Einnahmeerzielungsabsicht vor, wenn der Abmahnende systematisch überhöhte Vertragsstrafen verlangt (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 13 – Falsche Suchrubrik; BGH, GRUR 2016, 961 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Das Regelbeispiel übernimmt die Forderung nach „systematisch“ überhöhten Vertragsstrafen zwar nicht. Nach dem Wortlaut müssen aber (mehrere) „offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen“ vereinbart oder gefordert werden. Es bleibt also unter Geltung des neuen § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG dabei, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe einen Missbrauch nicht indiziert (Goldmann, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 192).

Durch den in § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG verwendeten Begriff „offensichtlich“ soll verdeutlicht werden, dass nur eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fälle erfasst werden sollen und nicht Konstellationen, in denen dem Abmahnenden bloße Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind oder seine Forderung sich aus der Sicht e. noch im üblichen Rahmen hielt (Beschlussempfehlung, BT-Drs. 19/22238, S. 17).

bb) Im vorliegenden Fall fügte die Verfügungsklägerin der Abmahnung zum einen eine vorformulierte Unterlassungserklärung bei, durch welche sich die Verfügungsbeklagte zur Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung zum einen unter Ausschluss der Einrede der natürlichen Handlungseinheit verpflichtete. Bei Vorliegen von natürlicher Handlungseinheit werden mehrere Verhaltensweisen zusammengefasst, die auf Grund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen (BGH, GRUR 2009, 427 Rn. 13 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel).

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen wäre eine Vertragsklausel, nach der eine Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelverstößen von vornherein ausgeschlossen wird, nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich unwirksam, falls nicht besondere Umstände vorliegen, die die Unangemessenheit der Benachteiligung ausschließen (Bornkamm/Feddersen a.a.O. § 13a Rn. 27). Dagegen können die Parteien in einer Individualabrede vereinbaren, dass eine Zusammenfassung mehrerer oder aller Verstöße zu einer einzigen Zuwiderhandlung nach den Grundsätzen der natürlichen Handlungseinheit oder einer Handlung im Rechtssinne nicht erfolgen soll (BGH, GRUR 2009, 181 Rn. 39 – Kinderwärmekissen).

Vor diesem Hintergrund kann das Begehren der Verfügungsklägerin in der Abmahnung, dass die Verfügungsbeklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichten solle, nicht ein Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit darstellen. Zwar mag dieses Ansinnen dazu führen, dass die Verfügungsbeklagte eine derartige Vertragsstrafe gemäß § 13a Abs. 4 UWG nicht schulden würde. Die Schwelle zur Offensichtlichkeit einer überhöhten Vertragsstrafe ist hingegen nicht überschritten, da eine Individualvereinbarung, wonach mehrere Verstöße nicht zu einer Einheit zusammengefasst werden sollen, nicht per se unzulässig ist, zumal es nach der neueren Rechtsprechung für sich allein nicht ausreicht, wenn der Abmahnende einen Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs fordert (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 15 – Falsche Suchrubrik; a.A. BGH, NJW 1993, 721 – Fortsetzungszusammenhang).

cc) Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin im Streitfall gefordert, dass im Fall von Dauerhandlungen, etwa durch eine Zuwiderhandlung im Internet, jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gilt.

(1) Für Rechtsmissbräuchlichkeit spricht, dass diese Forderung über den Verzicht auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit deutlich hinaus geht und einen erheblichen Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des Vertragsstrafenrechts darstellt. Denn in der Regel ist eine einheitliche Handlung anzunehmen, wenn dem Schuldner eine Handlung vorgeworfen wird, wie etwa das Einstellen einer Werbung in das Internet (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 224 Rn. 78 – Arzneimittelfamilie). Durch die ausdrückliche Vereinbarung, dass Dauerhandlungen als ein Verstoß pro Woche anzusehen sein sollen, kann ein potenziell mit leichter Fahrlässigkeit begangener Verstoß – z B. wegen einer versehentlich nicht gelöschten Werbeaussage – als eine Vielzahl von Verstößen mit einer Aufsummierung zu erheblichen Vertragsstrafen geahndet werden.

(2) Gegen Rechtsmissbrauch spricht hingegen, dass nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UWG bei der Festlegung der Angemessenheit einer Vertragsstrafe die Art und das Ausmaß der Zuwiderhandlung maßgeblich sein sollen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Dauer der Verletzungshandlung, weshalb bei einer längeren Zuwiderhandlung im Internet die Vertragsstrafe höher angesetzt werden kann als bei nur kurzen Verstößen von lediglich einer Woche.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei der vorliegenden Vertragsstrafenvereinbarung gemäß § 315 Abs. 1 BGB der Verfügungsklägerin für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach ihrem billigen Ermessen überlassen bleiben sollte („Hamburger Brauch”) und nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB eine gerichtliche Überprüfung der von der Verfügungsklägerin vorgenommenen Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe in der Vereinbarung vorgesehen war (vgl. BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 30 – Testfundstelle). Ihre Festsetzung muss daher insgesamt billigem Ermessen entsprechen (§ 315, § 316 BGB). Ist das nicht der Fall, ist die Festsetzung nicht verbindlich und unterliegt dann der gerichtlichen Bestimmung (§ 315 Abs. 3, § 319 BGB). Diese Art der Vertragsstrafenbestimmung kompensiert in einem gewissen Umfang die willkürliche Aufspaltung von Dauerverstößen pro Woche.

(3) Der Senat kann im Streitfall offenlassen, ob die Aufspaltung einer Dauerhandlung in einzelne Zuwiderhandlungen pro Wocheneinheit den Rechtsmissbrauch indizieren kann. Denn der Verfügungsklägerin kann vorliegend allenfalls ein Fall der Forderung einer überhöhten Vertragsstrafe vorgeworfen werden kann. Und eine einzige (offensichtlich) überhöhte Vertragsstrafe ist kein Indiz für einen Missbrauch i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG.


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OLG Nürnberg: Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG sind regelmäßig dringlich gemäß §§ 935, 940 ZPO - Entfallen der Dringlichkeit bei Fristverlängerungsantrag

OLG Nürnberg
Beschluss vom 06.07.2023
3 U 889/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG regelmäßig dringlich gemäß §§ 935, 940 ZPO sind und im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden können. Allerdings entfällt die Dringlichkeit wenn der ungesicherte Antragsteller bzw. seine Verfahrensbevollmächtigten im Berufungsverfahren eine Fristverlängerung beantragen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG zwar nicht, die Vorschrift des § 12 Abs. 1 UWG ist nicht analog anwendbar. Bei Ansprüchen aufgrund der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ergibt sich der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund jedoch regelmäßig aus der Sache selbst.

a) Der Senat schließt sich der Rechtsmeinung an, die eine analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG auf Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG mangels planwidriger Regelungslücke ablehnt (vgl. MüKoUWG/Krbetschek, 3. Aufl. 2022, GeschGehG § 6 Rn. 40; OLG München, GRUR-RR 2019, 443 Rn. 14 – Medizinisches Fachpersonal). Denn der Gesetzgeber dehnte die Dringlichkeitsvermutung anlässlich der Übernahme der §§ 17-19 UWG a.F. in das am 26.4.2019 in Kraft getretene GeschGehG in Kenntnis dieser Spezialregel nicht auf dieses Gesetz aus. Vielmehr führte er aus, dass es – soweit keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz getroffen wurden – bei den allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen verbleibe (Begründung zum RegE vom 04.10.2018, BT-Drs. 19/4724, S. 34). Daraus ergibt sich, dass er im GeschGehG bewusst von spezifischen Regelungen zum Verfügungsverfahren absah, während er mit Wirkung zum 14.01.2019 – also im engen zeitlichen Zusammenhang zum hiesigen Gesetzgebungsverfahren – eine Dringlichkeitsvermutung in Kennzeichensachen einführte (§ 140 Abs. 3 MarkenG).

b) Darauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Denn bei Ansprüchen aufgrund der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ergibt sich die Dringlichkeit regelmäßig aus der Natur der Sache.

Ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass er aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf. Notwendig ist eine einzelfallorientierte Interessenabwägung. Dabei ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen: Das Interesse des Verfügungsklägers muss die Nachteile eines Zuwartens bis zur Hauptsacheentscheidung so überwiegen, dass der Eingriff in die Sphäre des Verfügungsbeklagten auf Grund eines bloß summarischen Verfahrens gerechtfertigt ist (OLG Nürnberg, GRUR-RR 2019, 64 Rn. 13 – CurryWoschdHaus).

Bei einer Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses ergibt die Abwägung der sich gegenüberstehenden Parteiinteressen, dass regelmäßig der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund zu bejahen ist. Denn ein Geschäftsgeheimnis wird grundsätzlich vor allem dadurch geschützt, dass es Dritten nicht zugänglich gemacht wird, weil es sonst den Charakter eines Geheimnisses verliert. Vor diesem Hintergrund verlangt die Rechtsordnung in der Regel bei einer eingetretenen Verletzung nach einer dringlichen Untersagungsverfügung. Die Dringlichkeit ist somit auf eine gewisse Weise dem Geheimnisschutz inhärent (BeckOK GeschGehG/Spieker, 15. Ed. 15.03.2020, GeschGehG § 6 Rn. 46).

2. Der somit im vorliegenden Fall grundsätzlich zu bejahende Verfügungsgrund fehlt wegen Selbstwiderlegung, da die Verfügungsklägerin durch ihr Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es ihr nicht eilig ist. Die erforderliche Interessenabwägung aller Umstände des Einzelfalles ergibt im Streifall, dass die Verfügungsklägerin das Berufungsverfahren nicht in der erforderlichen Zügigkeit betrieben hat und deswegen die Dringlichkeit entfallen ist.

a) Es besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass der Verfügungsgrund wegen Selbstwiderlegung fehlt, wenn der Verfügungskläger nach Eintritt der Gefährdung mit einem Antrag eine längere Zeit zuwartet oder das Verfahren nicht zügig betreibt, weil er damit zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist. Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der noch ungesicherte Verfügungskläger sich mit der Begründung der Berufung nicht beeilt, sondern die gesetzlich eingeräumte zweimonatige Begründungsfrist verlängern lässt und auch diese Frist vollständig ausschöpft. Hierbei handelt es sich um allgemeine Grundsätze, die nicht nur für Unterlassungsansprüche aus dem UWG gelten, sondern auch für solche, die auf Anspruchsgrundlagen aus dem BGB oder anderen Gesetzen gestützt werden (OLG Nürnberg, GRUR 1987, 727; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.11.2017 – 3 U 1206/17, BeckRS 2017, 153630, Rn. 12).

Dabei muss sich der Verfügungskläger Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dieser hat die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (OLG München, WRP 2021, 1622 Rn. 7). Bei einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bringt der Berufungsführer zum Ausdruck, dass er eine mit der Bewilligung der beantragten Fristverlängerung einhergehende Verfahrensverlängerung in Kauf nimmt und ihm die Sache nicht derart eilig ist, dass sie eine Eilentscheidung rechtfertigen würde (OLG München a.a.Ol. Rn. 10).

b) Gemessen an diesen Maßstäben ist ein Verfügungsgrund vorliegend zu verneinen.

Durch den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat im Schriftsatz vom 15.05.2023 und das Ausschöpfen dieser Frist hat die Verfügungsklägerin zu erkennen gegeben, dass sie nicht derart eilig auf das begehrte Verbot angewiesen ist, dass es ihr nicht zugemutet werden kann, ihr Rechtsschutzziel in einem Hauptsacheverfahren durchzusetzen.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Verfügungsklägerin den einmonatigen Fristverlängerungsantrag mit Arbeitsüberlastung ihres Prozessbevollmächtigten begründete. Der Prozessbevollmächtigte hat jedoch die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grundsätzlich nicht auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung berufen. Vielmehr ist zu erwarten, dass innerhalb eines Eilverfahrens für Vertretung zu sorgen ist oder notfalls weniger eilbedürftige Sachen zurückgestellt werden.

c) Der fehlenden Eilbedürftigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin nicht rechtzeitig auf die Folgen einer Ausschöpfung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden ist. Denn die Rechtsprechung zum Verlust der Dringlichkeit bei Ausschöpfung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist ist als bekannt vorauszusetzen (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2003, 31; OLG Nürnberg, BeckRS 2017, 153630, Rn. 15).


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OLG Nürnberg: Sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung lässt Dringlichkeit für einstweilige Verfügung entfallen

OLG Nürnberg
Beschluss vom 28.02.2023
3 W 290/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein sofortige Beschwerde des Antragstellers ohne Begründung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfallen lässt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 567 Abs. 1 Nr. 2, § 569 ZPO). Eine Begründung der Beschwerde ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Antragstellerin fehlt für die begehrte einstweilige Verfügung der Verfügungsgrund, weshalb es dahinstehen kann, ob ihr der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Eine Dringlichkeitsvermutung besteht für die geltend gemachten Ansprüche nicht, weshalb der Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens einer besonderen Rechtfertigung bedarf (OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2018 – 3 W 1932/18, juris-Rn. 15 – CurryWoschdHaus). Ein dabei maßgebliches Kriterium ist das Zeitmoment: Der Antragsteller bzw. sein Prozessbevollmächtigter hat alles in seiner Macht stehende zu tun, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen. Daher besteht der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund nicht, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt und damit selbst zu erkennen gibt, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2022 – 3 U 2178/22, juris-Rn. 10 – Kontolöschung).

Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände, dass der Verfügungsgrund aufgrund des Prozessverhaltens der Antragstellerin zu verneinen ist.

1. Zum einen ist das erstinstanzliche Verhalten der Antragstellerin zu berücksichtigen.

Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Antragsteller durch sein prozessuales Verhalten zu erkennen geben, dass sein Begehren weiterhin dringlich ist. Dies ist mittels Gesamtbetrachtung seines Verhaltens zu eruieren. Auf einen Hinweis des Gerichts muss der Antragsteller, auch ohne Fristsetzung, so schnell wie möglich und geboten reagieren. Gesetzte Fristen sind einzuhalten (Voß, in Cepl/Voß, Prozesskommentar Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 3. Aufl. 2022, § 940 ZPO Rn. 91 m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund ist es im vorliegenden Fall als dringlichkeitsschädlich anzusehen, dass die Antragstellerin – obwohl ihr mit Verfügung des Landgerichts vom 02.01.2023 aufgegeben wurde, bis zum 09.01.2023 glaubhaft zu machen, Inhaberin der gegenständlichen Domains bzw. E-Mail-Postfächer zu sein – binnen dieser gesetzten Frist kein Mittel der Glaubhaftmachung einreichte. Mit Schriftsatz vom 09.01.2023 kündigte sie lediglich an, eine eidesstattliche Versicherung des Herrn A. nachzureichen. Diese ging jedoch erst nach Fristablauf, mithin am 10.01.2023, beim Erstgericht ein. Eine Berücksichtigung durch das Landgericht konnte nicht mehr erfolgen, da ausweislich der Verfügung der Vorsitzenden Richterin vom 11.01.2023 der Beschluss vom 10.01.2023 bereits vor Kenntnisnahme erlassen worden war.

2. Zum anderen ist in die Gesamtwürdigung das Verhalten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren einzustellen.

a) Die Pflicht zur zügigen Rechtsverfolgung setzt sich für den in erster Instanz unterlegenen Antragsteller in der Beschwerde- oder Berufungsinstanz fort.

So muss der noch ungesicherte Verfügungskläger im Berufungsverfahren den geltend gemachten Anspruch zügig weiterverfolgen. Ihm ist es daher jedenfalls zuzumuten, eine eingelegte Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zu begründen (OLG München, Urteil vom 30.06.2016 – 6 U 531/16, juris-Rn. 95) und nicht durch eigene Fristverlängerungsanträge das Verfahren zu verzögern (OLG Dresden, Beschluss v. 25.07.2019, 4 U 1087/19, juris-Rn. 2). Gleiches gilt für einen Terminsverlegungsantrag (OLG München, Beschluss vom 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, juris-Rn. 8).

Gleiches kann bei der Nichtbegründung einer Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist gelten. Zwar ist die Beschwerde – wenn sie nicht begründet wird – gleichwohl zulässig. Sie soll jedoch nach § 571 Abs. 1 ZPO begründet werden. Es entspricht daher einer sachgerechten Prozessführung, dem Rechtsmittelgericht gegenüber zeitnah zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20). Auch das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet und ob es ihr dementsprechend abhilft. Dies setzt in aller Regel – angesichts der vorangegangenen ablehnenden Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts – eine Beschwerdebegründung voraus (KG Berlin, Beschluss vom 20.09.2016 – 5 W 147/16, juris-Rn. 9). Insbesondere bei einem Rechtsmittelführer, der den Weg des einstweiligen Verfügungsverfahrens eingeschlagen hat, legt eine sachgerechte Prozessführung es nahe, die Beschwerdebegründung innerhalb der Beschwerdefrist oder jedenfalls im engen zeitlichen Zusammenhang mit ihr einzureichen (OLG Frankfurt, Urteil vom 28.05.2013 – 11 W 13/13, juris-Rn. 20).

b) Im vorliegenden Fall ergibt eine Gesamtschau der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, dass die Nichtbegründung der Beschwerde als dringlichkeitsschädlich anzusehen ist.

Das erstinstanzliche Gericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO verpflichtet zu prüfen, ob es die Beschwerde für begründet erachtet (was in aller Regel eine Beschwerdebegründung voraussetzt) und ihr dementsprechend abhilft. Auf diese Weise kann im Eilverfahren der Beschwerdeführer auf raschem Wege zu seinem Ziel – Erlass der zunächst abgelehnten einstweiligen Verfügung – gelangen, ist doch das Erstgericht bereits in den Fall eingearbeitet, kennt die Akten und vermag schnell zu beurteilen, ob und ggf. dass die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe durchgreifen und die Verfügung nunmehr zu erlassen ist. Dieser Möglichkeit des schnellstmöglichen Erreichens des Rechtsschutzziels hat sich die Antragstellerin begeben, indem sie dem Landgericht die Gründe ihrer Beschwerde vorenthalten hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 04.04.2008 – 5 W 51/08, juris-Rn. 7).

Auch gegenüber dem Senat entspricht es den Interessen des Rechtsmittelführers, der die Überprüfung im Rechtsmittelweg beantragt, dass er dem überprüfenden Gericht gegenüber zum Ausdruck bringt, was er an der angefochtenen Entscheidung beanstandet (vgl. Heßler, in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 571 Rn. 1). Dass die Antragstellerin – entgegen dieses Eigeninteresses – keine Beschwerdebegründung einreichte, zeigt, dass es der Antragstellerin mit der Erreichung ihres Rechtsschutzziels nicht (mehr) eilig ist.

Erschwerend kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz angab, dass sie zur Begründung ihrer Anträge mit gesondertem Schriftsatz ausführen werde. Die Antragstellerin sah daher im vorliegenden Fall selbst die Notwendigkeit, zum Ausdruck zu bringen, aus welchen Gründen die Entscheidung angefochten wird.

Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Senat mit Verfügung vom 09.02.2023 beiden Parteien Gelegenheit gab, bis 24.02.2023 zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Antragsgegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Eine Begründung der Beschwerde durch die Antragstellerin ging dagegen nicht ein.

Ein Anlass für die Nichteinreichung der Begründung und die damit entstandene Verzögerung ist von der Antragstellerin nicht dargetan.


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OLG Nürnberg: Keine markenrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Ansprüche des Fußballmagazins kicker wegen Verkaufs eines Fußballpokals unter der Bezeichnung "Torjägerkanone"

OLG Nürnberg
Urteil vom 25.10.2022
3 U 2576/22

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine markenrechtlichen oder wettbewerbsrechtlichen Ansprüche des Fußballmagazins kicker wegen des Verkaufs eines Fußballpokals in der Form einer Kanone unter der Bezeichnung "Torjägerkanone" bestehen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Markenrechtliche Ansprüche stehen der Verfügungsklägerin aufgrund ihrer Wortmarken „Torjägerkanone“ und „kicker Torjägerkanone“ gegenüber der Verfügungsbeklagten nicht zu.

1. Für die angesprochenen Verkehrskreise stellt sich die streitgegenständliche Verletzungshandlung durch die Verfügungsbeklagte nicht als Benutzung der Klagemarke in markenrechtlich relevanter Weise dar.

a) Eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens ist gegeben, wenn es durch Dritte markenmäßig oder - was dem entspricht - als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (BGH, GRUR 2019, 1053 Rn. 27 - ORTLIEB II). Zu den Funktionen der Marke gehören dabei neben der Hauptfunktion der Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung auch deren anderen Funktionen wie etwa die Gewährleistung der Qualität der mit ihr gekennzeichneten Ware oder Dienstleistung oder die Kommunikations-, Investitions- oder Werbefunktion (BGH, GRUR 2020, 1311 Rn. 45 - Vorwerk). Allerdings sind die Rechte aus der Marke nach § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 MarkenG, dessen Anwendung eine Verwechslungsgefahr voraussetzt, auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Herkunftsfunktion der Marke beeinträchtigt oder immerhin beeinträchtigen könnte (BGH, GRUR 2017, 730 Rn. 21 - Sierpinski-Dreieck).

b) Im vorliegenden Fall liegt mangels Warenidentität kein Fall der sogenannten Doppelidentität i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 MarkenG vor, weshalb es auf die Möglichkeit der Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Klagemarke ankommt.

Eine Benutzung für Waren, die mit denjenigen identisch sind, für welche die Marke Schutz genießt, liegt vor, wenn die Waren, für die das angegriffene Zeichen benutzt worden ist, unter die Warenbegriffe im Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen der Klagemarke subsumieren lassen (Hacker, in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 335). Ausreichend ist, dass die auf Seiten des Dritten maßgebliche Ware vollständig unter einen Oberbegriff der geschützten (älteren) Marke fällt (BGH, GRUR 2009, 1055 Rn. 64 - airdsl).

Im vorliegenden Fall sind die Klagemarken u.a. für „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“ eingetragen. Die von der Verfügungsbeklagten vertriebenen Fußballpokale sind hingegen Kunstharz/Polyresin gefertigt. Damit fehlt es an der Warenidentität, weshalb eine mögliche Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Klagemarken erforderlich ist.

c) Ein herkunftshinweisender Gebrauch kann im Streitfall unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht angenommen werden.

aa) Für die Annahme der möglichen Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion ist maßgeblich, ob der angesprochene Verkehr das Zeichen auch als Hinweis auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb versteht. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BGH, GRUR 2019, 1289 Rn. 25 - Damen Hose MO). Abzustellen ist auf die Sicht eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (BGH, GRUR 2012, 1040 Rn. 16 - pjur/pure) und die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor, insbesondere die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet werden (BGH, a.a.O. Rn. 22, Rn. 25 - Damen Hose MO).

Es ist zwar ausreichend, dass die beanstandete Zeichenverwendung die wesentliche Funktion der Marke, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigen kann (BGH, GRUR 2019, 1053 Rn. 27 - ORTLIEB II). Dennoch muss die Tatsache, dass ein Zeichen von einem nicht unerheblichen Teils des angesprochenen Verkehrs als Herkunftshinweis für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen und damit als Marke erkannt wird, anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (BGH, GRUR 2019, 522 Rn. 41 - SAM).

Der Umstand, ob der Verkehr ein Motiv nur als dekoratives Element oder (auch) als Herkunftshinweis auffasst, hängt unter anderem von der Kennzeichnungskraft und dem Bekanntheitsgrad der Klagemarke ab (BGH, GRUR 2012, 618 Rn. 24 - Medusa). Andererseits kann das Vorliegen beschreibender Anklänge gegen die Annahme einer markenmäßigen Benutzung sprechen (OLG Nürnberg GRUR-RR 2022, 224, Rn. 18 ff. - Bewegte Medizin). Bei der Beurteilung sind auch solche Umstände in Betracht zu ziehen, die außerhalb des angegriffenen Zeichens selbst liegen (Hacker, in Stöbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 139). Dabei ist das Verkaufsangebot in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen (BGH, a.a.O. Rn. 33 - Damen Hose MO). Eine blickfangmäßige Herausstellung oder die Verwendung eines Zeichens im Rahmen der Produktkennzeichnung spricht für eine markenmäßige Verwendung (BGH, GRUR 2017, 520 Rn. 26 - MICRO COTTON).

bb) Der Senat kann die Feststellungen zum Verkehrsverständnis selbst treffen, da seine Mitglieder zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 33 - SAM). Die angegriffenen Angebote der Verfügungsbeklagten richten sich ersichtlich an jedermann, weshalb auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist.

cc) Die Beurteilung der maßgeblichen Einzelumstände führt im vorliegenden Fall dazu, dass aus der Sicht des angesprochenen Verkehrs keine herkunftsbeeinträchtigende Benutzung vorliegt.

(1) In die Gesamtwürdigung ist einzustellen, dass - auch wenn der Senat wegen der Bindung der Zivilgerichte im Verletzungsprozess an die Eintragung der Klagemarke dieser grundsätzlich einen gewissen Grad an Kennzeichnungskraft zuerkennen muss - die Bezeichnung „Torjägerkanone“ deutlich beschreibende Anklänge hat.

Bei diesem Begriff handelt es sich um eine Auszeichnung in Form einer Kanone, die einem Torjäger verliehen wird. Die Verfügungsklägerin trägt selbst vor, dass sie seit 1966 eine Trophäe in Form einer mittelalterlichen Bürgerkriegskanone namens „Torjägerkanone“ an sogenannte „Torschützenkönige“ - also Fußballspieler, die in der Saison die meisten Tore erzielten - verleihe. Dieser Sinngehalt kommt in dem zusammengesetzten Begriff „Torjägerkanone“ - der sich aus der Bezeichnung des eigentlichen Gegenstands (Kanone) und seines Empfängers („Torjäger“) zusammensetzt - unmittelbar zum Ausdruck. Bei einem „Torjäger“ handelt es sich gerichtsbekannt um die Bezeichnung eines vielfach erfolgreichen Torschützen (https://de.wikipedia.org/wiki/Torsch%C3%BCtze). Und die gedankliche Verknüpfung zwischen einem Schützen und einer Kanone ist nicht fernliegend.

Ein derartiges Verständnis ergibt sich beispielsweise auch aus dem von der Verfügungsbeklagten vorgelegten Presseartikel (Anlage AG 1) - dem eine dpa-Meldung zugrunde liegt (Anlage ASt 42) - in denen die Angabe „Torjägerkanone“ als beschreibender Begriff für den besten Torschützen der Saison im Handball verwendet wird. Soweit die Verfügungsklägerin die Verspätungsrüge dieses erst in der Berufung vorgelegten Artikel erhebt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass neuer, unstreitiger Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz immer zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, NJW 2005, 291), und zum anderen, dass die Vorschrift des § 531 ZPO in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht anzuwenden ist (Rimmelspacher, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 531 ZPO Rn. 3).

Im Rahmen der Beurteilung kann nicht außer Acht gelassen werden, dass im Bereich des Fußballs die Verwendung von militärbezogenen Metaphern gerichtsbekannt üblich ist und die angesprochenen Verkehrskreise daran gewöhnt sind. So hat ein Spieler eine besondere „Schusstechnik“, muss sich „warmschießen“ und ist ein „Torschütze“, Gerd Müller wurde als „Bomber der Nation“ bezeichnet (https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_M%C3%BCller), und es gibt Angriff und Verteidigung. Gleichermaßen ist die Bezeichnung einer Person als „Kanone“ üblich, um deren guten Leistungen im Sport auszudrücken („Sportskanone“). Vor diesem Hintergrund ist auch die Bezeichnung „Torschützenkanone“ als Auszeichnung für einen erfolgreichen Torjäger im Fußball eine für den Verbraucher nicht völlig fernliegende Betitelung.

Ohne Relevanz ist in diesem Zusammenhang, dass die Verfügungsklägerin für sich beansprucht, dass diese Verbindung - wonach die beteiligten Verkehrskreise bei dem Anblick der Trophäe in Kanonenform an das Wort „Torjägerkanone“ denken würden - allein ihr Verdienst aufgrund der Verleihung dieser Auszeichnung durch sie seit der Saison 1965/66 sei. Denn derartiger Ideenschutz ist dem Markenrecht fremd, zumal die Verfügungsklägerin erst seit dem Jahr 2006 Markeninhaberin ist.

(2) Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund des Vortrags der Verfügungsklägerin zur angeblichen Bekanntheit der Bezeichnung „Torjägerkanone“ veranlasst.

Zwar ist der Vortrag der Verfügungsklägerin zur umfangreichen medialen Berichterstattung über die bereits seit vielen Jahren erfolgte Vergabe der Trophäe „Torjägerkanone“ an den treffsichersten Spieler der unterschiedlichen Fußballligen unstreitig. Darüber hinaus ist auch einem Teil der Mitglieder des Senats die Verleihung dieses Preises bekannt.

Dies ist jedoch nicht ausreichend, um von einer - im Rahmen der markenmäßigen Benutzung zu berücksichtigenden - Markenbekanntheit sprechen zu können. Davon kann vielmehr nur ausgegangen werden, wenn das Zeichen als Herkunftszeichen für die betreffenden Waren und Dienstleistungen Bekanntheit genießt, d.h. in einer Art und Weise verwendet wird, die dazu dient, dass die angesprochenen Verkehrskreise die Ware als von einem bestimmten Unternehmen stammend identifizieren (vgl. BGH, GRUR 2007, 780 Rn. 36 - Pralinenform). Dabei ist bei „eventbezogenen“ Bezeichnungen zu unterscheiden zwischen der Eignung, das jeweilige Ereignis als solches zu bezeichnen, und der Eignung, als Unterscheidungsmittel Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen (vgl. BGH, GRUR 2006, 850 - …06). Erforderlich ist eine Bekanntheit des Zeichens als Marke, d.h. das Zeichen muss als Herkunftshinweis für die betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen bekannt sein; nicht ausreichend ist die „abstrakte” Bekanntheit eines Zeichens, das weder mit bestimmten Waren und Dienstleistungen noch mit einem bestimmten Unternehmen in Verbindung gebracht wird (OLG München, GRUR-RR 2010, 429 - Meisterschale).

Von einer derartigen Bekanntheit als Herkunftszeichen kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Es ist von der Verfügungsklägerin weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass einem großen Teil der angesprochenen Verkehrskreise bekannt ist, dass hinter der streitgegenständlichen Preisverleihung die Verfügungsklägerin oder ein anderes bestimmtes Unternehmen steht. So wussten bis zu diesem Verfahren auch die Mitglieder des Senats nicht, dass die „Torjägerkanone“ vom Sportmagazin „kicker“ und nicht vom „Deutschen Fußball-Bund“ oder einem anderen Fußballverband verliehen wird. Den von der Verfügungsklägerin vorgelegten Presseartikeln lässt sich ebenfalls teilweise kein Hinweis auf das Sportmagazin „kicker“ und/oder die Verfügungsklägerin entnehmen (vgl. Anlagen ASt 5 bis 8). In diesem Zusammenhang kann auch nicht außer Acht bleiben, dass weitgehend unbekannt ist, dass die Verfügungsklägerin als Markeninhaberin hinter der Sportzeitschrift „kicker“ steht. Vor diesem Hintergrund hat die Verfügungsklägerin jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass dem Durchschnittsverbraucher die „Torjägerkanone“ nicht nur als Auszeichnung, sondern auch als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen vertraut ist.

(3) Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall darüber hinaus die konkrete Benutzung des Zeichens durch die Verfügungsbeklagte, insbesondere das Verkaufsangebot in seiner Gesamtheit und die Produktgestaltung.

Dabei spricht eher für eine markenmäßige Benutzung, dass die Verfügungsbeklagte die beanstandete Bezeichnung „Torjägerkanone“ jeweils an prominenter Stelle in der Artikelüberschrift ihrer Verkaufsangebote „Fußballpokal Torjäger-Kanone XL“ und „Fußballpokal Torjägerkanone klein“ verwendete.

Andererseits steht das Zeichen „Torjägerkanone“ in der Überschrift eingerahmt von den beschreibenden Angaben „Fußballpokal“ und „XL“ bzw. „klein“, was einen insgesamt eher generischen Eindruck vermittelt. Darüber hinaus ist das Angebot jeweils mit der Abbildung eines Kanonenmodells versehen; diese Illustration einer Kanone schlüsselt die in der Verkaufsbezeichnung verwendete Angabe „Kanone“ in einem eher beschreibenden Sinne auf. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Begleittext - wonach es sich bei den Verkaufsprodukten um unterschiedlich große „Fußballpokale“ handele, die sich für die Ehrung von „Top-Torjägern“ und „Top-Torschützen“ eignen - die beschreibende Wirkung des Begriffs „Torjägerkanone“ verstärkt. Auch ist zu beachten, dass die Verfügungsbeklagte in ihren Verkaufsangeboten die angegriffene Bezeichnung - markenuntypisch - in unterschiedlichen Schreibweisen (“Torjägerkanone“ bzw. „Torjäger-Kanone“) verwendet und in der Produktbeschreibung die Zeichenbestandteile noch weiter variiert (“Topstürmer“, „Top-Torschützen“, „Echte Torkanonen“). Schließlich kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die von der Verfügungsbeklagten angebotenen Pokale als solche nicht mit dem beanstandeten Kennzeichen „Torjägerkanone“ versehen sind; vielmehr kann darauf eine frei wählbare Gravur angebracht werden.

Das benutzte Zeichen wird daher bei einer Gesamtbetrachtung des Angebots der Verfügungsbeklagten auf der Homepage - insbesondere aufgrund des darin erkennbar assoziativen Zusammenhangs zwischen den Zeichen „Torjägerkanone“ bzw. „Torjäger-Kanone“ und dem angebotenen Produkt - auf einen eher beschreibenden Kern zurückgeführt, bei dem die angesprochenen Verkehrskreise mehr eine Artikel- oder Modellbezeichnung für das angebotene Produkt als einen eigenständigen Herkunftshinweis erkennen.

Gleiches gilt für die Verwendung der Bezeichnung „Fußballpokal Torjäger-Kanone XL“ im Lieferschein und in der Rechnung. Zum einen verstärken auch im Rahmen dieser Benutzung die Attribute „Fußballpokal“ und „XL“ den Eindruck der Verwendung im Sinne einer Artikelbeschreibung. Zum anderen erfolgte die Zusendung der Rechnung zusammen mit einer entsprechenden Kanone, weshalb auch insoweit die gedankliche Brücke naheliegt, dass sich die Angabe „Torjägerkanone“ auf die Gestaltung (Kanone) und den Einsatzzweck des Pokals (Auszeichnung des besten Torjägers) bezieht. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass für die Verkehrsauffassung in erster Linie maßgeblich ist, wie dem Verkehr das Zeichen beim Erwerb der Ware entgegentritt (Hacker, in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 140) und dem Versand des Lieferscheins und der Rechnung die Bestellung im Webshop vorausgegangen ist, für welche die o.g. Kriterien gelten.

(4) Bei der Frage, ob die angesprochenen Verkehrskreise der angegriffenen Zeichenverwendung eine herkunftshinweisende Funktion beimessen, kann schließlich die allgemein bekannte und sich grundlegend von dem Verkaufsangebot der Verfügungsbeklagten unterscheidende Art der Zeichenverwendung durch die Verfügungsklägerin nicht außer Acht gelassen werden, weil die dabei zu Tage tretenden Unterschiede den Eindruck verstärken, dass die auf der Website www.https://p[…].de angebotenen Pokale nicht von der Verfügungsklägerin oder einem mit ihr wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen.

Die Hauptfunktion der Marke der Gewährleistung der Herkunft der Ware ist beeinträchtigt, wenn für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Verbraucher nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die angebotenen Waren oder Dienstleistungen vom Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen (EuGH, GRUR 2010, 445 Rn. 84 - Google und Google France). Diese vom EuGH bei der Benutzung von Marken als Keywords entwickelte Rechtsprechung ist nicht auf diese Fallgruppe beschränkt (vgl. BGH, GRUR 2019, 79 Rn. 20 - Tork).

Im vorliegenden Fall besteht diese Unsicherheit, ob die auf der Website www.https://p[…].de zum Verkauf angebotenen Pokale von der Verfügungsklägerin oder einem mit ihr wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen, für den angesprochenen Verkehr nicht. Die Verfügungsklägerin bietet unstreitig selbst keine Trophäen zum Verkauf an, sondern gibt eine Sportzeitschrift heraus. Dem Teil des Verkehrs, der mit der Auszeichnung „Torjägerkanone“ vertraut ist, ist auch bekannt, dass die als „Torjägerkanone“ bezeichnete Originaltrophäe eine nicht käufliche, sondern verliehene Auszeichnung für den besten Torjäger der deutschen Fußball-Bundesliga, den so genannten Torschützenkönig, ist. Für die angesprochenen Verkehrskreise ist daher unschwer erkennbar, dass die von der Verfügungsbeklagten unter ihrem Namen auf der Homepage www.https://p[…].de angebotenen Pokale nicht von der Verfügungsklägerin oder einem mit ihr wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen. Dieser Eindruck wird durch die Gestaltung der Website - bei der sich an keine Stelle ein Hinweis auf eine Auszeichnung an den besten Torschützen der Fußball-Bundesliga findet, sondern vielmehr klargestellt wird, dass es sich um eine von „Pokale Meier“ käufliche Auszeichnung mit einer frei wählbaren Gravur für den Bereich des Amateur-Fußballs handelt - verstärkt.

(5) Die Verfügungsklägerin hat schließlich keine sich aus dem Warensektor „Skulpturen und Trophäen“ ergebenden Umstände - insbesondere keine entsprechenden Kennzeichnungsgewohnheiten des Verkehrs - vorgetragen, aus denen sich ergibt, ob und warum der Verkehr das in Streit stehende Zeichen „Torjägerkanone“ in der konkret streitgegenständlichen Verwendung als Hinweis auf eine bestimmte betriebliche Herkunft interpretiert.

2. Darüber hinaus greift der Einwand der fehlenden rechtserhaltenden Benutzung der Klagemarken nach § 25 Abs. 1, Abs. 2, § 26 Abs. 1 MarkenG für die maßgebliche Warenkategorie 06 „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“. Denn es fehlt an der Darlegung durch die darlegungsbelastete Verfügungsklägerin, dass die Klagemarken zur Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für die Waren „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“ rechtserhaltend verwendet werden.

a) Die rechtserhaltende Benutzung setzt voraus, dass die Marke für die Waren oder Dienstleistungen verwendet wird, für die sie geschützt ist, um für diese Produkte einen Absatzmarkt zu erschließen oder zu sichern. Die Benutzung muss also erfolgen, um im Inland Marktanteile für die durch die Marke geschützten Waren oder Dienstleistungen zu behalten oder zu gewinnen (BGH, GRUR 2012, 1261 Rn. 12 - Orion). Die Ernsthaftigkeit der Benutzung der Marke ist anhand sämtlicher Tatsachen und Umstände zu beurteilen, durch die die wirtschaftliche Verwertung der Marke im Geschäftsverkehr belegt werden kann (BGH, GRUR 2013, 725 Rn. 38 - Duff Beer).

Für die Ernsthaftigkeit der Benutzung ist eine Gewinnerzielungsabsicht nicht erforderlich. Insoweit kommt es in der Regel nicht darauf an, ob und inwieweit eine mit der Marke gekennzeichnete Ware gegen Entgelt vertrieben wird. Vielmehr kann auch eine unentgeltliche Abgabe von Waren oder Erbringung von Leistungen als rechtserhaltende Benutzung zu bewerten sein, soweit sie einen hinreichenden Bezug zu der eigentlichen geschäftlichen Tätigkeit des Benutzers aufweist, die darin besteht, für seine Waren oder Dienstleistungen einen Absatzmarkt zu erschließen und anschließend zu sichern (EuGH, GRUR 2009, 156 Rn. 16 ff. - Radetzky-Orden/BKFR; OLG Köln, GRUR-RR 2017, 138 Rn. 16 f. - Open-LIMS).

Eine rechtserhaltende Benutzung liegt nicht vor, wenn Werbegegenstände als Belohnung für den Kauf anderer Waren und zur Förderung des Absatzes dieser Waren verteilt werden. Etwas anderes kann sich im Einzelfall nur dann ergeben, wenn der Markeninhaber damit einen Absatzmarkt erschließen möchte, beispielsweise um zu ermitteln, ob für die Waren ein Publikumsinteresse besteht oder um den Verkehr an neue mit der Marke gekennzeichnete Produkte zu gewöhnen und Marktanteile zu gewinnen (BGH, GRUR 2012, 180 Rn. 42 - Werbegeschenke). Allerdings kann bei Produkten, die branchenüblich nur zu Werbe- oder Anerkennungszwecken verteilt werden, insoweit nicht auf den erforderlichen Willen zur Erschließung eines eigenen Absatzmarktes geschlossen werden (Ströbele, in Ströbele/Hacker, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 16).

Die reine Imagewerbung eines Unternehmens reicht für eine rechtserhaltende Markenbenutzung nicht aus (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2017, 426 Rn. 78 ff. - provadis). Denn der Verkehr muss im Allgemeinen aus der Benutzungshandlung als solcher ersehen können, auf welche konkreten Dienstleistungen sich der Kennzeichengebrauch bezieht. Daher muss durch die angegriffene Handlung selbst ein Bezug zwischen dem Zeichen und konkreten Waren oder Dienstleistungen hergestellt werden (BGH, GRUR 2015, 1201 Rn. 73 - Sparkassen-Rot/Santander-Rot).

b) Im vorliegenden Fall ist - wie bereits ausgeführt - unstreitig, dass die Verfügungsklägerin selbst keine Trophäen zum Verkauf anbietet. Vielmehr handelt es sich bei ihrer „Torjägerkanone“ um einen Ehrenpreis für eine besonders herausragende, sportliche Leistung. Die von der Verfügungsklägerin verliehene Auszeichnung an den besten Torschützen des Jahres dient daher nicht der Erschließung oder Sicherung eines Absatzmarktes für die Waren „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“. Noch weniger ist dargetan oder ersichtlich, inwieweit eine Verwendung der Wortmarken „Torjägerkanone“ und/oder „kicker Torjägerkanone“ durch die Verfügungsklägerin erfolgt, um im Inland Marktanteile für derartige Waren zu behalten oder zu gewinnen.

Der Vortrag der Verfügungsklägerin, dass sie mit der medienwirksamen Übergabe der „Torjägerkanone“-Trophäe den Absatz der von ihr herausgegebenen Sportzeitschrift „kicker“ fördern wolle, kann - als wahr unterstellt - dahinstehen. Denn die Feststellung der rechtserhaltenden Benutzung ist für die konkreten Waren zu treffen. Eine unterstellte rechtserhaltende Benutzung für die Warenkategorie 16 „Druckereierzeugnisse“ enthält daher keine Aussage für die in der Warenkategorie 06 enthaltenen „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“. Und aufgrund der absoluten Warenunähnlichkeit zwischen Druckereierzeugnissen und dem Angebot eines aus Kunstharz/Polyresin gefertigten Fußballpokals könnte die Verfügungsklägerin - selbst wenn in Bezug auf Druckereierzeugnisse eine rechtserhaltende Benutzung gegeben wäre - mangels Verwechslungsgefahr die angegriffenen Angebote der Verfügungsbeklagten nicht untersagen (vgl. BGH, GRUR 2015, 176 Rn. 10 - ZOOM/ZOOM).

Soweit die Verfügungsklägerin vorträgt, dass sie sich als Verleiherin der „Torjägerkanone“-Trophäe behaupten möchte, genügt dies ebenfalls nicht den Anforderungen an die Darlegung einer rechtserhaltenden Benutzung der klägerischen Wortmarken. Denn dass die jährliche Verleihung dieses Preises der allgemeinen Imagewerbung für die Verfügungsklägerin dient, ist für die hier maßgebliche Frage der rechtserhaltenden Benutzung der Wortmarken „Torjägerkanone“ und „kicker Torjägerkanone“ für die Waren „Figuren, Statuen, Skulpturen und Trophäen aus Metall“ nicht ausreichend. Denn es fehlt am Bezug zwischen der Preisverleihung, dem Wortzeichen „Torjägerkanone“ und derartigen Waren, mit denen die Verfügungsklägerin am Markt auftritt.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union zur vergleichbaren Wortmarke „BALLON D'OR“ einer französischen Fußballfachzeitschrift hinzuweisen. Das Gericht entschied, dass die Marke, die zugleich den Namen einer Auszeichnung darstelle, zwar ernsthaft für Unterhaltungsdienstleistungen benutzt werde, wenn umfangreich medial über die Verleihungszeremonie berichtet werde und im Rahmen der Zeremonie Wort- und Filmbeiträge gesendet würden, die das Thema ergänzen. Es fehle aber an der rechtserhaltenden Benutzung für weitere Dienstleistungen in der Klasse 38, wie beispielsweise die „Ausstrahlung von Fernsehprogrammen“, weil die dortige Markeninhaberin diese - auch mangels eines eigenen Telekommunikationsnetzwerkes - nicht selbst erbringe (EuG, Urteil vom 06.07.2022 - T-478/21, GRUR-RS 2022, 15535 - BALLON D‘OR). Auch im vorliegenden Fall bietet die Verfügungsklägerin selbst keine Waren der Kategorie 06 an, weshalb eine rechtserhaltende Benutzung insoweit nicht vorliegt.

c) Die pauschale Behauptung der Verfügungsklägerin in der Abmahnung vom 08.06.2022 (Anlage ASt 22) - wonach „der FC Bayern München […], da aus seinen Reihen regelmäßig die erfolgreichsten Torschützen kommen, ein berühmtes Beispiel für einen Lizenznehmer der Marke 'Torjägerkanone'“ sei - genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung einer rechtserhaltenden Benutzung i.S.v. § 26 Abs. 2 MarkenG, da daraus weder der Inhalt der Lizenzvereinbarung noch die Art der Benutzung durch den FC Bayern München als Lizenznehmer hervorgeht.
II.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch kann auch nicht aus lauterkeitsrechtlichen Gesichtspunkten hergeleitet werden.

1. Es fehlt bereits an der Darlegung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG, weshalb die Verfügungsklägerin nicht aktivlegitimiert ist (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG).

a) Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und daher das Wettbewerbsverhalten des einen den anderen beeinträchtigen, d.h. im Absatz behindern oder stören kann. Da im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sind, reicht es hierfür aus, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zu dem Betroffenen stellt. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist daher anzunehmen, wenn zwischen den Vorteilen, die die eine Partei durch eine Maßnahme für ihr Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die die andere Partei dadurch erleidet, eine Wechselwirkung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann und die von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen (BGH, GRUR 2022, 729 Rn. 13 - Zweitmarkt für Lebensversicherungen II).

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht dargetan und glaubhaft gemacht.

Die Parteien stehen nicht im Substitutionswettbewerb zueinander, da sie nicht versuchen, gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen. Bei der Verfügungsklägerin handelt es sich um die Herausgeberin einer Sportzeitschrift, und die Verfügungsbeklagte bietet Pokale, Glastrophäen und Medaillen zum Verkauf an. Damit betätigen sich Parteien nicht auf demselben sachlich relevanten Markt.

Es fehlt auch an der Glaubhaftmachung eines Behinderungswettbewerbs. So ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass eine Wechselwirkung zwischen den Vorteilen, welche die Verfügungsbeklagte durch den Verkauf der streitgegenständlichen Pokale zu ersuchen sucht, und den Nachteilen, welche die Verfügungsklägerin beim Vertrieb ihrer Zeitschrift erleidet, besteht. Jedenfalls fehlt es an der Darlegung eines wettbewerblichen Bezugs der von den Parteien angebotenen Waren oder Dienstleistungen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass zwischen den Parteien irgendeine Konkurrenz im Angebotswettbewerb bestehen würde. Die pauschal behauptete (und nicht glaubhaft gemachte) Beeinträchtigung der Wertschätzung der Auszeichnung „Torjägerkanone“ durch den Vertrieb der Pokale durch die Verfügungsbeklagte und die pauschale Behauptung einer Lizenzvereinbarung mit dem FC Bayern München sind dafür nicht ausreichend.

2. Darüber hinaus ist nicht hinreichend dargetan, dass das Verhalten der Verfügungsbeklagten als unlauter anzusehen ist.

a) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG.

Die Verfügungsklägerin begehrt das Verbot, Fußballpokale unter der Bezeichnung „Torjägerkanone“ […] anzubieten, zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen. Da sich somit das Unterlassungsbegehren auf die Benutzung konkreter Zeichen bezieht, ist maßgeblich, ob die Voraussetzungen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes in Bezug auf das Zeichen „Torjägerkanone“ vorliegen.

Zwar kann grundsätzlich auch eine Kennzeichnung als solche ein Leistungsergebnis sein, das lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz genießt (OLG Nürnberg, GRUR 2022, 1228 Rn. 14 - Streifen „rot-orange-gelb“; BGH, GRUR 2003, 973 juris-Rn. 22 - Tupperwareparty). Es bestehen jedoch insoweit sehr hohe Anforderungen an einen lauterkeitsrechtlichen Schutz, um nicht die markenrechtlichen Schutzvoraussetzungen zu unterlaufen.

Im vorliegenden Fall hat die Verfügungsklägerin keine konkreten Tatsachen zur wettbewerblichen Eigenart des Wortzeichens „Torjägerkanone“ vorgetragen. Gleiches gilt für die konkrete Ausgestaltung des Erzeugnisses, also der Trophäe selbst. Es ist nicht dargelegt, inwieweit das Design der Kanone geeignet wäre, auf seine betriebliche Herkunft (oder seine Besonderheiten) hinzuweisen.

b) Es sind auch die Voraussetzungen einer Irreführung wegen Verwechslungsgefahr nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG (bis 27.05.2022: § 5 Abs. 2 UWG) nicht dargetan, wonach eine geschäftliche Handlung irreführend ist, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft.

Die lauterkeitsrechtliche Verwechslungsgefahr ist im Sinne einer Irreführungsgefahr zu verstehen. Das bedeutet, dass sie nicht abstrakt zu beurteilen ist, sondern darauf abgestellt werden muss, ob es tatsächlich zu Verwechslungen kommt (OLG Frankfurt, GRUR-RR 2018, 18 Rn. 28 - notebooksbilliger.de). Daher kann auch eine - an sich bestehende - Verwechslungsgefahr durch aufklärende Hinweise oder durch sonstige Umstände (etwa den verräterisch niedrigen Preis) beseitigt werden (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 9.6). Entsprechendes gilt, wenn der Verkehr aufgrund der Aufmachung des Produkts erkennt, dass der beanstandete Zeichenbestandteil beschreibend verwendet wird (vgl. BGH, GRUR 2013, 631 Rn. 72 - AMARULA/Marulablu).

Im vorliegenden Fall hat die Verfügungsklägerin nicht dargetan, dass es tatsächlich zu Verwechslungen zwischen der von der Verfügungsklägerin verliehenen Trophäe namens „Torjägerkanone“ und den von der Verfügungsbeklagten vertriebenen „Fußballpokal Torjägerkanone klein“ und „Fußballpokal Torjäger-Kanone XL“ gekommen ist. Dies erscheint dem Senat aufgrund der Gesamtumstände auch eher fernliegend. Dem Teil des Verkehrs, der mit der Auszeichnung „Torjägerkanone“ vertraut ist, ist auch bekannt, dass die „Originaltrophäe“ nicht käuflich erwerblich, sondern für besondere sportliche Leistungen - nämlich das Erzielen der meisten Tore in der Saison - verliehen wird. Eine tatsächliche Verwechslung mit dem aus Kunstharz/Polyresin gefertigten und zu einem Preis von 14,99 € mit einer Gravur seiner Wahl käuflichen Pokal der Verfügungsbeklagten ist nur schwer vorstellbar, zumal auf der Angebotsseite der Verfügungsbeklagten deutlich erkennbar der Hinweis auf „Pokale MEIER“ enthalten ist.

c) Soweit sich die Verfügungsklägerin in der Berufungserwiderung (erstmals) pauschal auf eine Irreführung über die Qualität der Trophäe beruft, fehlt es jedenfalls am Verfügungsgrund. In der ersten Instanz hatte die Verfügungsklägerin lediglich auf den wettbewerbsrechtlichen Verwechslungsschutz nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG abgestellt. Eine Täuschung über die Qualität ist hingegen nicht Gegenstand von § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die Geltendmachung dieses neuen Streitgegenstandes ist nicht mehr eilbedürftig. Darüber hinaus ist eine derartige behauptete Irreführung über die Qualität der Trophäe nicht vom Verfügungsklageantrag - mit dem der Vertrieb von Fußballpokalen unter einer bestimmten Bezeichnung untersagt werden soll - umfasst. Schließlich ist eine qualitätsbezogene Irreführung nicht hinreichend dargetan.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Nürnberg: Schadensersatzanspruch einer GmbH gegen Geschäftsführer bei unzureichender Einrichtung eines Compliance Management Systems - Vier-Augen-Prinzip im schadensträchtigen Bereich

OLG Nürnberg
Urteil vom 30.03.2022
12 U 1520/19


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch einer GmbH gegen den Geschäftsführer bei unzureichender Einrichtung eines Compliance Management Systems besteht. Hierzu kann auch die Einführung eines Vier-Augen-Prinzip im schadensträchtigen Bereich gehören.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Geschäftsführer ist gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Er hat daher für eine nachhaltige Rentabilität der Gesellschaft Sorge zu tragen und Verluste tunlichst zu vermeiden. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers gebietet hierbei - gerade, wenn der Geschäftsführer nicht sämtliche Maßnahmen selbst beschließt und selbst durchführt -, eine interne Organisationsstruktur der Gesellschaft zu schaffen, die die Rechtmäßigkeit und Effizienz ihres Handelns gewährleistet. Insoweit konkretisiert die Sorgfaltspflicht sich zu Unternehmensorganisationspflichten. Der Geschäftsführer muss das von ihm geführte Unternehmen so organisieren, dass er jederzeit Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft hat. Dies erfordert ggf. ein Überwachungssystem, mit dem Risiken für Unternehmensfortbestand erfasst und kontrolliert werden können (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.1995 - II ZR 9/94, ZIP 1995, 560, Rn. 7 bei juris; Beurskens in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 43 Rn. 29, § 37 Rn. 11). Aus der Legalitätspflicht folgt die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Einrichtung eines Compliance Management Systems, also zu organisatorischen Vorkehrungen, die die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter verhindern. Dabei ist der Geschäftsführer nicht nur verpflichtet, den Geschäftsgang so zu überwachen oder überwachen zu lassen, dass er unter normalen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann; er muss vielmehr weitergehend sofort eingreifen, wenn sich Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zeigen. Zwar haftet der Geschäftsführer nicht für fremdes Verschulden. Eine Pflichtverletzung liegt jedoch schon dann vor, wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Mitarbeitern der Gesellschaft Straftaten oder sonstige Fehlhandlungen ermöglicht oder auch nur erleichtert werden. Diesbezüglichen Verdachtsmomenten muss der Geschäftsführer unverzüglich nachgehen; weiterhin muss der Geschäftsführer geeignete organisatorische Vorkehrungen treffen, um Pflichtverletzungen von Unternehmensangehörigen hintanzuhalten (BGH, Urteil vom 08.10.1984 - II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143, Rn. 13 bei juris; KG, NZG 1999, 400, Rn. 41 bei juris; Fleischer in: MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl., § 43 Rn. 134ff., 138; jeweils m.w.N.).

Zur Überwachungspflicht gehört außerdem eine hinreichende Kontrolle, die nicht erst dann einsetzen darf, wenn Missstände entdeckt worden sind. Ihre Intensität darf sich je nach Gefahrgeneigtheit der Arbeit und Gewicht der zu beachtenden Vorschriften nicht in gelegentlichen Überprüfungen erschöpfen. Über diese allgemeine Kontrolle hinaus muss der Geschäftsführer die Aufsicht so führen, dass Unregelmäßigkeiten auch ohne ständige unmittelbare Überwachung grundsätzlich unterbleiben. Danach sind stichprobenartige, überraschende Prüfungen erforderlich und regelmäßig auch ausreichend, sofern sie den Unternehmensangehörigen vor Augen halten, dass Verstöße entdeckt und geahndet werden können. Ist allerdings abzusehen, dass stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen, um die genannte Wirkung zu erzielen, so bedarf es anderer geeigneter Aufsichtsmaßnahmen. In solchen Fällen kann es geboten sein, überraschend umfassendere Geschäftsprüfungen durchzuführen. Eine äußere Grenze finden alle Aufsichtsmaßnahmen an ihrer objektiven Zumutbarkeit. Dazu gehören auch die Beachtung der Würde der Unternehmensangehörigen und die Wahrung des Betriebsklimas, die überzogenen, von zu starkem Misstrauen geprägten Aufsichtsmaßnahmen entgegenstehen, vor allem für Maßnahmen, die ausdrücklich oder erkennbar mit der nicht durch Tatsachen belegten Befürchtung begründet werden, die Arbeitnehmer könnten vorsätzliche Gesetzesverstöße begehen. Weitere Zumutbarkeitsschranken ergeben sich aus der Eigenverantwortlichkeit der Unternehmensangehörigen und dem bei Arbeitsteilung geltenden Vertrauensgrundsatz. Infolgedessen wird den Geschäftsführern nicht abverlangt, ein nahezu flächendeckendes Kontrollnetz aufzubauen (Fleischer in: MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl., § 43 Rn. 139 m.w.N.).

Eine gesteigerte Überwachungspflicht, bei der intensivere Aufsichtsmaßnahmen notwendig sind, besteht, wenn in einem Unternehmen in der Vergangenheit bereits Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind (Fleischer a.a.O. Rn. 140 m.w.N.).

Delegiert der Geschäftsführer seine Überwachungsaufgabe, reduziert sich die effektive Überwachungspflicht des Geschäftsführers auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter und deren Führungs- und Überwachungsverhalten („Überwachung der Überwacher“). Man spricht insoweit von einer Meta-Überwachung. Ausdrücklich angesprochen wird diese mehrstufige Verteilung der Aufsichtspflichten in § 130 Abs. 1 Satz 2 OWiG, wonach zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen gehören. Auch bei mehrstufiger Verteilung der Aufsichtspflichten verbleibt die sog. Oberaufsicht aber unentrinnbar bei dem Geschäftsführer. Zu diesen unübertragbaren Kernpflichten gehört insbesondere die Organisations- und Systemverantwortung für die unternehmensinternen Delegationsprozesse (Fleischer a.a.O. Rn. 141 m.w.N.).
[...]
3. Eine Pflichtverletzung des Beklagten ist bereits deshalb gegeben, weil dieser es unterlassen hat, im Rahmen der internen Unternehmensorganisation der Klägerin Compliance-Strukturen zu schaffen, die ein rechtmäßiges und effektives Handeln gewährleisten und die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter - auch mittels Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen - verhindern.

Dies zeigt sich insbesondere daran, dass der Beklagte keine Maßnahmen ergriffen hat, um das (von ihm selbst als relevant erkannte) Vier-Augen-Prinzip im schadensträchtigen Bereich der Ausgabe von Tankkarten sowie deren EDVmäßige Verbuchung und Zuordnung an Kartenkunden einzuhalten.

a) Das Vier-Augen-Prinzip (englisch two-man rule) ist in der Organisationslehre eine präventive Kontrolle, bei der bestimmte Ablaufabschnitte, Arbeitsabläufe, Arbeitsprozesse, Arbeitsvorgänge, Aufgaben, Entscheidungen, Handlungen oder Prozesse nur durch gleichlautende Entscheidungen von mindestens zwei Personen durchgeführt werden dürfen. Ziel des Vier-Augen-Prinzips ist es, das Risiko von Fehlern und Missbrauch zu reduzieren. Die Vier-Augen-Kontrolle ist branchenübergreifend bei einer Vielzahl von unternehmensinternen Arbeitsprozessen zu finden, die als kritisch gewertet werden. Kritisch sind Prozesse immer dann, wenn sie bei einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung Personenschäden oder erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben können.

b) Bei der Klägerin war für die vom Mitarbeiter H. ausgeführte Tätigkeit der Verwaltung von Tankkarten und Kartenkunden die Wahrung des Vier-Augen-Prinzips erforderlich. Diese Tätigkeit konnte zu weitreichenden finanziellen Folgen für die Klägerin führen und stellt seitens der Klägerin auch eine Art der Kreditgewährung an ihre Kunden dar. Hinsichtlich der Regularien der Kreditgewährung an Kunden geben die Schulungsunterlagen der Klägerin vom 20./21.09.2012 sowie vom 19./20.11.2012 die Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips vor (vgl. Anlage K20, Seiten 4ff.; Anlage K21, Seiten 13ff., 41f.).

Jedenfalls soweit es um die Ausgabe von Tankkarten sowie deren EDVmäßige Verbuchung und Zuordnung an Kartenkunden ging, war deshalb bei der Klägerin für die vom Mitarbeiter H. ausgeübte Tätigkeit die Wahrung des Vier-Augen-Prinzips erforderlich. Hiervon geht selbst der Beklagte aus, der vortragen lässt, er habe sich bemüht, einen weiteren Mitarbeiter für diesen Tätigkeitsbereich zu finden, „damit das Vier-Augen-Prinzip gewahrt bleibt“ (Seite 3 der Klageerwiderung = Bl. 24 d.A.). Unerheblich ist, dass der Beklagte nach seinem Vortrag kein hierfür geeignetes Personal gefunden haben will; soweit aus diesem Grund eine Überwachung nicht delegiert werden konnte, hätte der Beklagte selbst die notwendigen Überwachungstätigkeiten durchführen müssen.


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OLG Nürnberg: Bei objektiv unwahrer Werbebehauptung ist eine Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung für eine wettbewerbswidrige Irreführung

OLG Nürnberg
Urteil vom 24.05.2022
3 U 4652/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass nach RL 2005/29/EG bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung die Eignung zur Täuschung keine Voraussetzung für eine wettbewerbswidrige Irreführung ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Werbebehauptung ist irreführend gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG.

a) Die Werbung der Beklagten ist objektiv unwahr.

aa) Nach § 5 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält. Dies setzt zum einen voraus, dass es sich bei der streitgegenständliche Angabe um eine Tatsachenbehauptung handelt, über die Beweis erhoben werden kann (BGH, GRUR 2020, 886 Rn. 38 - Preisänderungsregelung). Zum anderen muss die Angabe unwahr sein. Das ist dann der Fall, wenn das Verständnis, das sie bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. Dabei kommt es für diese Beurteilung darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft (BGH, GRUR 2019, 1202 Rn. 18 - Identitätsdiebstahl).

Die Verkehrsauffassung kann durch gesetzliche Vorschriften grundsätzlich in der Form beeinflusst werden, dass sie den bestehenden Normen entspricht (BGH, GRUR 2009, 970 Rn. 25 - Versicherungsberater; KG, GRUR 1989, 850 [851] - Speisequarkzubereitung; vgl. auch BGH, GRUR 2020, 432 Rn. 30 - Kulturchampignons II). Wird das Verständnis einer Angabe durch gesetzliche Definitionen beeinflusst, leitet der angesprochene Verkehr sein Verständnis aus diesen Prägungen ab. Denn regelmäßig formuliert der Verkehr seine Vorstellungen nicht eigenständig, sondern normativ aufgrund der Vorgaben durch Dritte (Pfeifer/Obergfell, in Fezer/Büscher/ Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 241).

bb) Im vorliegenden Fall erwecken die angegriffenen Werbebehauptungen bei einem maßgeblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck, als führte die Beklagte Krankentransporte mit medizinisch-fachlicher Betreuung durch.

(1) Die streitgegenständliche Werbung wendet sich an Verbraucher, die sich für Fahrten in das Krankenhaus durch einen Dienstleister interessieren, somit an das allgemeine Publikum. Dessen Verständnis kann der Senat als Mitglied der angesprochenen Verkehrskreise aus eigener Sachkunde selbst beurteilen.

(2) Der von der Beklagten in der Werbung mehrfach verwendete Begriff des Krankentransportes ist gesetzlich definiert. Nach Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayRDG ist ein Krankentransport „der Transport von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die keine Notfallpatienten sind, aber während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung durch nichtärztliches medizinisches Fachpersonal oder der besonderen Einrichtungen des Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen solches aufgrund ihres Zustands zu erwarten ist. Er wird vorwiegend mit Krankentransportwagen durchgeführt.“ Für die Durchführung von Krankentransporten in diesem Sinne ist gemäß Art. 21 Abs. 1 BayRDG eine Genehmigung erforderlich, über die die Beklagte nicht verfügt.

Unter den Begriff der Krankenfahrten fällt hingegen die „Beförderung von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen, die während der Fahrt nicht der medizinisch fachlichen Betreuung durch medizinisches Fachpersonal oder der besonderen Einrichtungen eines Krankenkraftwagens bedürfen und bei denen solches auf Grund ihres Zustands nicht zu erwarten ist“ (Art. 3 Nr. 6 BayRDG).

Vor diesem Hintergrund versteht im vorliegenden Fall ein nicht unmaßgeblicher Teil der Verbraucher die streitgegenständliche Werbung auf der Homepage, in der die Beklagte unter der Überschrift „Krankenhaustransporte“ zweimal den Begriff „Krankentransporte“ verwendet, dahingehend, dass die Beklagte auch Transporte mit medizinisch-fachlicher Betreuung während der Fahrt durchführt. Dies ergibt sich insbesondere auch aus der klaren gesetzlichen Definition, die insoweit die Verkehrsauffassung mit beeinflusst. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Zusatz in der Werbung, in welcher der Leser aufgefordert wird, „die gesetzlichen Vorgaben bzw. ggf. Anpassungen“ zu beachten. Gleiches gilt für die Verwendung der Formulierung, dass „als Krankentransporte […] aktuell Fahrten zu ambulanten Behandlungen, ambulanten Operationen oder in die Tagesklinik, stationären Behandlungen, Chemo- oder Strahlentherapie [gelten]; damit wird der Anschein einer gesetzlichen Definition hervorgerufen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher, die im konkreten Fall nach der Dienstleistung eines Krankentransportes nachfragen, aufgrund beispielsweise vorangegangener Korrespondenz mit der Krankenkasse über die gesetzlichen Begrifflichkeiten informiert sind.

(3) Dieser durch die mehrfache Verwendung des Begriffs „Krankentransport“ erweckte Eindruck wird nicht durch die sonstigen für die Beurteilung maßgeblichen Gesamtumstände durch eine irrtumsausschließende Aufklärung korrigiert.

In der Leistungsbeschreibung - wonach als Krankentransporte „aktuell Fahrten zu ambulanten Behandlungen, ambulanten Operationen oder in die Tagesklinik, stationären Behandlungen, Chemo- oder Strahlentherapie“ gelten - wird nicht darauf hingewiesen, dass eine medizinische Betreuung während der Fahrt nicht erfolgt.

Das von der Beklagten verwendete Lichtbild mit einem Großraumtaxi mit einer in einem Rollstuhl sitzenden Patientin, die gerade in dieses Taxi verbracht werden soll, ist ebenfalls nicht geeignet, aus der entstandenen Irreführung heraus zu führen, weil daraus nicht mit der notwendigen Klarheit ersichtlich ist, dass eine medizinische Betreuung während der Fahrt nicht erfolgt. Vielmehr kann der Fotografie nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden, ob es sich um ein „normales“ Taxi und bei der abgebildeten Person nicht um medizinisch geschultes Personal handelt.

Auf die Firmierung der Beklagten sowie die Tatsache, dass die streitgegenständliche Werbung lediglich in einem untergeordneten Abschnitt unter dem Menüpunkt „Leistungen“ auf der Homepage der Beklagten auftaucht, kommt es dabei entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht an.

cc) Dieser erweckte Eindruck ist objektiv unzutreffend. Denn die Beklagte bietet unstreitig keine Krankentransporte i.S.v. Art. 2 Abs. 5 S. 1 BayRDG an und hat auch nicht die dafür erforderliche Genehmigung nach Art. 21 Abs. 1 BayRDG.

b) Bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung ist eine Eignung zur Täuschung keine Tatbestandsvoraussetzung von § 5 UWG.

aa) Die vom Bundesgerichtshof bislang offengelassene Frage, ob auch unwahre Angaben zur Täuschung geeignet sein müssen oder ob bei unwahren Angaben das Erfordernis der Täuschungseignung entfällt (vgl. BGH, GRUR 2022, 170 Rn. 14 - Identitätsdiebstahl II), ist umstritten.

Nach einer Ansicht entfällt bei unwahren Angaben das Erfordernis der Täuschungseignung. Dies soll sich aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der RL 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken vom 11.05.2005 (UGP-RL) ergeben, der ausdrücklich unterscheidet zwischen einer Geschäftspraxis, die „falsche Angaben enthält und somit unwahr ist“ und einer Geschäftspraxis, die „in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist“ (Dreyer, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/, UWG, 5. Aufl. 2021, § 5 Rn. 316; Pfeifer/Obergfell, in Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Aufl. 2016, § 5 Rn. 231).

Nach einer anderen Auffassung würde ein derartiges Verständnis auf ein - wenig sinnvolles - per-se-Verbot unwahrer Angaben hinauslaufen (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/ Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.52). Vielmehr komme es immer auf das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise an; wird eine objektiv unrichtige Angabe richtig verstanden, bestehe daher kein Grund, sie zu verbieten (Diekmann, in Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., Stand 15.01.2021, § 5 UWG Rn. 120). Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 UWG, der sich auf unwahre und sonstige zur Täuschung geeignete Angaben bezieht, sei daher - da die zur Täuschung geeigneten Angaben als „sonstige“ bezeichnet werden - dahingehend auszulegen, dass die Eignung zur Täuschung in beiden Fällen gegeben sein muss (Sosnitza, in Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Aufl. 2016, § 5 Rn. 158).

bb) Der Senat schließt sich der erstgenannten Ansicht an, wonach bei einer objektiv unwahren Werbebehauptung eine Eignung zur Täuschung keine Tatbestandsvoraussetzung von § 5 UWG ist. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der § 5 UWG zugrundeliegenden Richtlinie.

Die UGP-RL strebt für den Bereich der unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmern gegenüber Verbrauchern eine Vollharmonisierung des Lauterkeitsrechts an. Sie enthält daher in Art. 6 Mindest- und Maximalstandards, von denen die Mitgliedstaaten weder in die eine noch in die andere Richtung abweichen dürfen (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 0.27).

Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 UGP-RL kommt es, wenn die Geschäftspraxis falsche Angaben enthält und somit unwahr ist, nicht darauf an, ob sie den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist. Diese Unterscheidung zwischen falschen und täuschenden Angaben, wobei das Erfordernis der Täuschungseignung nur für Letztere besteht, ergibt nur Sinn, wenn bei unwahren Angaben die Prüfung entbehrlich ist, ob diese geeignet sind, den Verbraucher zu täuschen. Ob sich diese Unterscheidung - aufgrund der Verwendung des Wortes „sonstige“ - so in § 5 Abs. 1 S. 2 UWG wiederfindet, kommt es aufgrund der Vollharmonisierung durch die UGP-RL nicht an.

Den von der Gegenansicht verwendeten Argumenten - insbesondere, dass ein per-se-Verbot unwahrer Angaben wenig sinnvoll ist - ist dadurch Rechnung zu tragen, dass auch bei unwahren Angaben das Relevanzerfordernis gilt. Versteht ein durchschnittlich informiertes, verständiges und aufmerksames Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises eine unwahre Angabe richtig, kann es an der geschäftlichen Relevanz fehlen (vgl. dazu nachfolgend unter Ziffer III.2.)

c) Die Täuschung bezieht sich auf wesentlichen Merkmale der von der Beklagten angebotenen Dienstleistung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG, nämlich den Umfang der im Zusammenhang mit Kranken verfügbaren Transportdienstleistungen.

2. Die streitgegenständliche Werbung ist auch geeignet, die angesprochenen Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

a) Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG muss die geschäftliche Handlung geeignet sein, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Erforderlich ist, dass die betroffene Angabe geeignet ist, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über marktrelevante Umstände hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflussen (BGH, GRUR 2021, 1422 Rn. 16 - Vorstandsabteilung).

b) Im vorliegenden Fall ist die angegriffene Werbung geeignet, die Verbraucher über die Leistungen der Beklagten zu täuschen. Denn es wird damit suggeriert, dass die Beklagte auch die gesondert genehmigungsbedürftige Dienstleistung der Durchführung von Krankentransporten durchführt. Anhaltspunkte dafür, dass die angesprochenen Verkehrskreise die - objektiv unrichtige - Werbung der Beklagten zutreffend verstehen, bestehen nicht.

In diesem Zusammenhang ist zum einen zu berücksichtigen, dass bei objektiv falschen Angaben schon niedrigere Irreführungsquoten genügen, um die Verbotsfolge der §§ 3, 5 UWG auszulösen. Denn es ist schwer vorstellbar ist, wie mit einer objektiv unzutreffenden Angabe gleichwohl ein schutzwürdiges Kommunikations- und Informationsinteresse verbunden sein soll (Ruess, in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, § 5 UWG Rn. 188).

Zum anderen muss der Werbende im Fall der Mehrdeutigkeit seiner Werbeaussage die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen (BGH, GRUR 2012, 1053 Rn. 17 - Marktführer Sport). Selbst wenn daher die Bezeichnung „Krankentransport“ die Beförderung von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen sowohl mit als auch ohne medizinisch-fachlicher Betreuung während der Fahrt verstanden werden kann, muss die Beklagte die ungünstigere, aber verständigerweise mögliche Auslegung - nämlich, dass damit ein Krankentransport i.S.v. Art. 2 Abs. 5 S. 1, Art. 21 Abs. 1 BayRDG gemeint ist - gegen sich gelten lassen.

Schließlich ist zu beachten, dass - wie bereits ausgeführt - sich die streitgegenständliche Werbung an Verbraucher wendet, die sich für Fahrten in das Krankenhaus durch einen Dienstleister interessieren. Diesen sind oftmals - beispielsweise aufgrund vorangegangener Korrespondenz mit der Krankenkasse - die gesetzlichen Begrifflichkeiten bekannt. Dieser informierte angesprochene Personenkreis interpretiert das Dienstleistungsangebot der Beklagten falsch und vermutet, dass die Beklagte Krankentransporte - als die im Vergleich zur einfachen Krankenfahrt höherwertige Leistung - anbietet.

c) Die hervorgerufenen irrigen Vorstellungen können die angesprochenen Verbraucher auch zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlassen, die sie andernfalls nicht getroffen hätten.

aa) Als geschäftliche Entscheidung ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG jede Entscheidung darüber anzusehen, ob, wie und unter welchen Bedingungen der Verbraucher ein Geschäft abschließen will, unabhängig davon, ob er sich entschließt, tätig zu werden. Erfasst ist nicht nur die Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Dienstleistung, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts (EuGH, GRUR 2014, 196 Rn. 36 - Trento Sviluppo) oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet (BGH, GRUR 2017, 1269 Rn. 19 - MeinPaket.de II). Nach diesen Maßgaben kann also auch eine Irreführung relevant sein, die lediglich einen „Anlockeffekt“ bewirkt, selbst wenn es nicht zur endgültigen Marktentscheidung - etwa dem Kauf der Ware oder der Inanspruchnahme der Dienstleistung - kommt (Bornkamm/Feddersen, in Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 5 Rn. 1.195).

bb) Die Klägerin legte im vorliegenden Fall als Anlage K 7 ein Suchergebnis auf Google vor. Dieser erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Vortrag der Klägerin ist - da unstreitig - zu berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 2018, 2269 Rn. 25). Diesem Suchergebnis ist zu entnehmen, dass wenn ein Verbraucher im Internet-Browser Google nach „Krankentransporten Ostbayern“ sucht, sich die Beklagte neben anderen Unternehmen wie dem Deutschen Roten Kreuz als Anlaufstelle für die Durchführung von Krankentransporten wiederfindet. Der Verbraucher, der auf der Suche nach einem Unternehmen ist, welches Krankentransporte durchführt ist, stößt also auch auf die Beklagte, nicht jedoch auf deren Wettbewerber, welche ihre Leistung (zutreffend) als Krankenfahrten bezeichnen. Bei der Trefferliste auf Google wird auch ein Auszug der Homepage der Beklagten mit der streitgegenständlichen Werbeanzeige, welche die Durchführung von Krankentransporten bewirbt, gezeigt.

Daraus folgt, dass die Verwendung des Begriffs Krankentransport in der streitgegenständlichen Werbung zu einem Anlockeffekt führt, da der nach Krankentransporten im Internet suchende Verbraucher über die Suchmaschine Google auch auf die Homepage der Beklagten verwiesen wird. Dies führt dazu, dass sich der Verbraucher mit dem Dienstleistungsangebot der Beklagten befasst, was für die geschäftliche Relevanz der Irreführung ausreicht.

IV. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob ein Unterlassungsanspruch auch auf der Grundlage einer Zuwiderhandlung gegen die Marktverhaltensvorschrift des Art. 21 Abs. 1 BayRDG und damit eines unlauteren Verhaltens nach § 3a UWG gegeben ist.


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OLG Nürnberg: Rechtsmissbrauch wenn Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen verlangt wird

OLG Nürnberg
Urteil vom 14.03.2022
8 U 2907/21


Auch das OLG Nürnberg hat entschieden, dass Rechtsmissbrauch vorliegt, wenn Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO nicht aus den in Erwägungsgrund 63 der DSGVO genannten Gründen verlangt wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
(4) Der geltend gemachte Auskunftsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO. Denn der Beklagten steht ein Weigerungsrecht aus Art. 12 Abs. 5 Satz 2 lit. b) DS-GVO zu. Die Vorschrift führt zwar lediglich die häufige Wiederholung als Beispiel für einen „exzessiven“ Antrag auf. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ macht aber deutlich, dass die Vorschrift auch andere rechtsmissbräuchliche Anträge erfassen will (vgl. Heckmann/Paschke in: Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl., Art. 12 Rn. 43; Paal/Hennemann in: Paal/Pauly, DS-GVO BDSG, 3. Aufl., Art. 12 DS-GVO Rn. 66 m.w.N.).

Bei der Auslegung, was in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich ist, ist auch der Schutzzweck der DS-GVO zu berücksichtigen. Wie sich aus dem Erwägungsgrund 63 der Verordnung ergibt, ist Sinn und Zweck des in Art. 15 DS-GVO normierten Auskunftsrechts, es der betroffenen Person problemlos und in angemessenen Abständen zu ermöglichen, sich der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu werden und die Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung überprüfen zu können (vgl. auch BGH, Urteil vom 15.06.2021 - VI ZR 576/19, VersR 2021, 1019 Rn. 23). Um ein solches Bewusstwerden zum Zweck einer Überprüfung der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten geht es dem Kläger aber ersichtlich nicht. Sinn und Zweck der von ihm begehrten Auskunftserteilung ist vielmehr - wie sich aus der Koppelung mit den unzulässigen Klageanträgen auf Feststellung und Zahlung zweifelsfrei ergibt - ausschließlich die Überprüfung etwaiger von der Beklagten vorgenommener Prämienanpassungen wegen möglicher formeller Mängel nach § 203 Abs. 5 WG. Eine solche Vorgehensweise ist vom Schutzzweck der DS-GVO aber nicht umfasst (vgl. OLG Hamm, BeckRS 2021,40312 Rn. 11; LG Wuppertal, r+s 2021, 696 Rn. 33).

(5) Auch soweit die Beklagte als Versicherer gesetzlich zur Aufbewahrung von Unterlagen verpflichtet ist, folgt daraus kein Auskunftsanspruch des Klägers. Denn der Gesetzgeber verfolgt mit der Aufbewahrungspflicht kein Anliegen des Versicherungsnehmers, insbesondere soll sie dem jeweiligen Geschäftsgegner nicht die spätere Durchsetzung eigener Rechte ermöglichen (vgl. OLG München, r+s 2022, 94 Rn. 52).


OLG Nürnberg: Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung einer Zeichenfolge mit beschreibenden Anklängen als Verzeichnispfad in einer URL - Bewegte Medizin

OLG Nürnberg
Urteil vom 15.02.2022
3 U 2794/21


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung vorliegt, wenn eine Zeichenfolge mit beschreibenden Anklängen, die als Marke eingetragen istm als Verzeichnispfad in einer URL verwendet wird. Es ging um die Wortfolge "Bewegte Medizin".

Aus den Entscheidungsgründen:
Eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens ist gegeben, wenn es durch Dritte markenmäßig oder - was dem entspricht - als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke und insbesondere ihre wesentliche Funktion, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (BGH, Urteil vom 25.07.2019 - I ZR 29/18, GRUR 2019, 1053, Rn. 27 - ORTLIEB II). Damit die Marke nämlich ihre Aufgabe als wesentlicher Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs erfüllen kann, muss sie die Gewähr bieten, dass alle Waren oder Dienstleistungen, die sie kennzeichnet, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann (EuGH, Urteil vom 12.11. 2002 - Rs. C-206/01, GRUR 2003, 55, Rn. 48 - Arsenal FC).

Maßgeblich ist, ob der angesprochene Verkehr das Zeichen auch als Hinweis auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb versteht. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (BGH, Urteil vom 11.04.2019 - I ZR 108/18, GRUR 2019, 1289, Rn. 25 - Damen Hose MO). Abzustellen ist auf die Sicht eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (BGH, Urteil vom 09.02.2012 - I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 16 - pjur/pure). Die Tatsache, dass ein Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen und damit als Marke erkannt wird, muss anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (BGH, Urteil vom 07.03.2019 - I ZR 195/17, GRUR 2019, 522, Rn. 41 - SAM).
II.
15
Im vorliegenden Fall sieht der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher - wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können - die angegriffene Benutzung auf der Homepage des Beklagten nicht als einen Hinweis auf die Herkunft einer Dienstleistung. Für den Senat ist es unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten maßgeblichen Umstände des Einzelfalls vielmehr fernliegend, dass die angesprochenen Verkehrskreise beim Lesen des streitgegenständlichen Hinweises auf den in Regensburg gehaltenen Vortrag davon ausgehen, dass dieser Vortrag in Verbindung mit den Klägern als Markeninhabern steht und deshalb mit dem angegriffenen Zeichen einen Herkunftshinweis verbinden.

1. Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Umstand ist die Tatsache, dass die Wortkombination „Bewegte Medizin“ im Rahmen der konkreten Benutzung deutlich beschreibende Anklänge hat.

a) Bei dem Gebrauch einer beschreibenden Angabe kann eine markenmäßige Benutzung grundsätzlich nicht angenommen werden (BGH, Urteil vom 22.01. 2009 - I ZR 139/07, GRUR 2009, 502, Rn. 29 - pcb). Denn bestimmte Arten der Benutzung zu rein beschreibenden Zwecken können keine Funktionen der geschützten Marke beeinträchtigen (EuGH, Urteil vom 18.06.2009 - C-487/07, GRUR 2009, 756, Rn. 61 - L’Oréal/Bellure). Hat ein Wort beschreibenden Charakter, wird es vom Verkehr eher als Sachhinweis und nicht als Kennzeichen aufgefasst (BGH, Teilurteil vom 03.11.2016 - I ZR 101/15, GRUR 2017, 520, Rn. 26 - MICRO COTTON). Dabei ergibt sich der beschreibende Charakter in erster Linie aus dem Sinngehalt der betreffenden Bezeichnung. Maßgeblich für die Frage, ob der Verkehr das Zeichen nur beschreibend versteht, ist jedoch auch der Kontext, in der die gerügte Benutzungshandlung erfolgte.

b) Im vorliegenden Fall ist der Gesamtbegriff „Bewegte Medizin“ zwar nicht rein beschreibend, sondern weist - wie auch die Eintragung als Marke zeigt - aufgrund der vom Wortlaut keinen Sinn ergebenden Kombination insgesamt Unterscheidungskraft auf. Für die angesprochenen Verkehrskreise enthält er jedoch wegen seiner Einzelbestandteile, die für das Verkehrsverständnis nicht völlig außer Acht gelassen werden dürfen, deutlich beschreibende Anklänge.

Zwar nimmt der Durchschnittsverbraucher eine Marke regelmäßig als Ganzes wahr und achtet nicht auf die verschiedenen Einzelheiten. Dieser Gesamteindruck wird jedoch geprägt durch die Bestandteile des zusammengesetzten Zeichens. Und im vorliegenden Fall handelt sich bei diesen Einzelbestandteilen - „Bewegte“ und „Medizin“ - um unmittelbar beschreibende Sachaussagen für den darunter veröffentlichten Beitrag zum medizinischen Vortrag des Beklagten. Denn der auf der Website vorgestellte Vortrag des Beklagten setzt sich mit der medizinischen Bedeutung von Bewegung auseinander. Und die Einzelbegriffe „Bewegung“ bzw. „bewegen“ und „Medizin“ sind für diese Thematik als Zusammenfassung des Inhalts aus der Sicht des Verkehrs beschreibend.

Aber auch in der Verknüpfung der Einzelbestandteile zur Kombination „Bewegte Medizin“ entnehmen die angesprochenen Verkehrskreise im konkreten Verwendungsfall - insbesondere vor dem Hintergrund des unmittelbaren räumlichen Zusammenhangs zwischen der Zeichenverwendung und der Beschreibung der Veranstaltung - einen Bezug zum Inhalt des gehaltenen Vortrags und können somit das Zeichen als Thematisierung der Bedeutung körperlicher Bewegung im Büroalltag verstehen. Die beschreibenden Angaben der einzelnen Worte erfahren durch die Kombination vor diesem Hintergrund nicht eine ungewöhnliche Änderung, die derart weit von der Sachangabe wegführt (vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2014 - I ZB 29/13, GRUR 2014, 1204, Rn. 16 - DüsseldorfCongress), dass die deutlich beschreibenden Anklänge in Wegfall geraten würden.

2. Ein weiterer im Rahmen der Gesamtwürdigung zu beachtender Umstand ist das durch die Art und Weise der Zeichenverwendung hervorgerufene Gesamterscheinungsbild der streitgegenständlichen Anzeige, insbesondere die konkrete Gestaltung der Internetseite.

a) Die Verkehrsauffassung wird auch durch die konkrete Aufmachung bestimmt, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt (BGH, Urteil vom 09.02.2012 - I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 - pjur/pure). Maßgeblich für die Frage der markenmäßigen Benutzung ist, wie der Verkehr die beanstandete Verwendung des Zeichens auf der Internetseite versteht (OLG Köln, Urteil vom 24.10.2014 - 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 35 - Kinderstube). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine kennzeichenmäßige Benutzungshandlung vorliegt, ist somit die Einbettung des Zeichens in sein Umfeld.

Eine blickfangmäßige Herausstellung oder die Verwendung eines Zeichens im Rahmen der Produktkennzeichnung spricht für eine markenmäßige Verwendung (BGH, Teilurteil vom 03.11.2016 - I ZR 101/15, GRUR 2017, 520, Rn. 26 - MICRO COTTON). Erfolgt die Bezeichnung auf dem Produkt in schriftbildlich hervorgehobener und blickfangmäßiger Weise nach Art einer Marke und an einer Stelle, an der eine Produktkennzeichnung erwartet wird, fassen beachtliche Teile des angesprochenen Verkehrs die Bezeichnung als Herkunftshinweis auf (BGH, Urteil vom 09.02.2012 - I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 - pjur/pure).

Dagegen stellt eine rein titelmäßige Verwendung eines Zeichens regelmäßig keine markenmäßige Benutzung dar. Denn Werktitel dienen grundsätzlich nur zur Unterscheidung eines Werkes von einem anderen Werk; einen Hinweis auf den Hersteller oder Inhaber des Werkes - und damit auf eine bestimmte betriebliche Herkunft - ist ihnen in der Regel nicht zu entnehmen (BGH, Beschluss vom 17.10.2013 - I ZB 65/12, GRUR 2014, 483, Rn. 29 - test). Nur im Falle periodisch erscheinender Druckschriften oder Fernsehserien, die über eine hinreichende Bekanntheit verfügen, kommt einem Werktitel ein weitergehender Schutz gegen die Gefahr der betrieblichen Herkunftstäuschung zu (BGH, Urteil vom 28.04.2016 - I ZR 254/14, GRUR 2016, 1300, Rn. 22, 41 - Kinderstube). Titel von Einzelwerken vermitteln eine derartige Vorstellung hingegen regelmäßig nicht (OLG München, Urteil vom 09.06.2011 - 29 U 79/11, GRUR-RR 2011, 466, juris-Rn. 35 - Moulin Rouge Story I).

b) Im vorliegenden Fall gehen die angesprochenen Verkehrskreise der streitgegenständlichen Unterseite der Homepage des Beklagten davon aus, dass die angegriffene Bezeichnung der Titel eines in Regensburg gehaltenen, medizinischen Vortrags ist, dass also die Darstellung nach Art eines Werktitels erfolgte. Für eine inhaltsbezogene Verwendung ähnlich einem Werktitel spricht insbesondere, dass die Wortkombination „Bewegte Medizin“ als „Hauptüberschrift“ in einen Artikel, welcher den gehaltenen Vortrag näher beschreibt, eingefügt ist.

Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb veranlasst, weil die Wortkombination „Bewegte Medizin“ in leicht größerer Schrift als die vorangegangene Angabe „Die Bedeutung von Bewegung und Gesundheitsvorsorge“ und die nachfolgende Beschreibung „Medizinischer Vortrag in Regensburg“ dargestellt ist. Denn der Verkehr geht aufgrund dieser optischen Hervorhebung davon aus, dass die angegriffene Bezeichnung den schlagwortartigen Haupttitel der in dem Beitrag beschriebenen Veranstaltung darstellt, und die anderen Angaben - wie bei einem Vortrag üblich - im Wege von Zwischenüberschriften weitere Erläuterungen beinhalten.

c) Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise der Verwendung eines Zeichens nach Art eines Werktitels eine herkunfthinweisende Bedeutung zukommt, sind vorliegend nicht gegeben.

Zum einen handelt es sich bei der angegriffenen Verwendung nicht um eine periodisch erscheinende Druckschrift oder bekannte Fernsehserie, bei denen die Rechtsprechung einer werktitelmäßigen Verwendung ausnahmsweise einen weitergehenden Schutz gegen die Gefahr der betrieblichen Herkunftstäuschung zusprach, sondern nach dem Wortlaut der Anzeige um die Beschreibung eines (einmaligen) medizinischen Vortrags in Regensburg. Wissenschaftliche Vorträge werden jedoch üblicherweise nicht mit Marken versehen. Vielmehr bezieht sich gerichtsbekannt der Titel eines Vortrags in der Regel auf dessen Inhalt und nicht auf dessen Herkunft.

Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Webseite www.kardiologie-mit-herz.de, auf welcher die streitgegenständliche Zeichenverwendung erfolgte, vor allem der Vorstellung der Person des Beklagten und der Darstellung seiner Dienstleistungen dient. Vor diesem Hintergrund und bei Beachtung des Textes zum Inhalt des medizinischen Vortrags in Regensburg wird für den durchschnittlichen Verbraucher als Leser der Homepage ohne weiteres ersichtlich, dass mit dem streitgegenständlichen Interneteintrag keine Verbindung zwischen den Klägern als Inhaber der Marke und den Dienstleistungen des Beklagten hergestellt werden sollte.
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d) Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Vortrag in Regensburg tatsächlich unter der Bezeichnung „Bewegte Medizin“ gehalten wurde, kommt es nicht an. Denn selbst wenn - worauf die Kläger nunmehr in der Berufung abstellen - der Vortrag damals einen anderen Titel als „Bewegte Medizin“ hatte, stellt sich dies in dem - hier allein maßgeblichen - angegriffenen Internetbeitrag anders dar. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Leser der Werbeanzeige aufgrund anderer Umstände Kenntnis von dem tatsächlichen Titel des gehaltenen Vortrags hatte und aufgrund dessen der hier streitgegenständlichen Verwendung keine Benutzung des Zeichens nach Art eines Werktitels beimessen würde.

3. Bei der Frage der Geeignetheit zur Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion darf schließlich die Tatsache der fehlenden Bekanntheit der Klagemarke nicht vernachlässigt werden.

a) Bei nicht-traditionellen Markenformen kommt es bei der Beurteilung der rechtsverletzenden Benutzung auch darauf an, wie bekannt das Klageform- oder -farbzeichen ist (Hacker, in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Aufl. 2021, § 14 Rn. 166). So hängt die Frage, ob der Verkehr ein Motiv nur als dekoratives Element oder (auch) als Herkunftshinweis auffasst, (auch) von der Kennzeichnungskraft und dem Bekanntheitsgrad der Klagemarke ab (BGH, Urteil vom 24.11.2011 - I ZR 175/09, GRUR 2012, 618, Rn. 24 - Medusa). Auch bei dreidimensionalen Marken kann aus dem Umstand, dass ein erheblicher Teil der Verkehrskreise das dargestellte Produkt nur einem bestimmten Unternehmen zuordnet, grundsätzlich auf die Bekanntheit der Warenform auch als Herkunftshinweis geschlossen werden (BGH, Beschluss vom 09.07.2009 - I ZB 88/07, GRUR 2010, 138, Rn. 34 - ROCHER-Kugel). Gleiches gilt bei abstrakten Farbmarken (BGH, Beschluss vom 09.07.2015 - I ZB 65/13, GRUR 2015, 1012, Rn. 34 - Nivea-Blau).

b) Diese Maßstäbe lassen sich auf die angegriffene Bezeichnung übertragen. Zum einen handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz, dass der Verkehr einem Kollisionszeichen eher eine kennzeichnende Funktion beimisst, wenn die Klagemarke über eine gesteigerte Kennzeichnungskraft verfügt (BGH, Urteil vom 23.09.2015 - I ZR 78/14, GRUR 2015, 1201, Rn. 93 - Sparkassen-Rot). Zum anderen handelt es sich auch bei der streitgegenständlichen Benutzung um die Verwendung einer Wortkombination mit deutlich beschreibenden Anklängen, die ähnlich einem Werktitel auf einen konkret gehaltenen Vortrag Bezug nimmt. Da auch in diesem Fall - ähnlich wie bei dreidimensionalen Marken oder Farbmarken - eine markenmäßige Benutzung nur ausnahmsweise in Betracht kommt, setzt die positive Feststellung, dass das Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis erkannt wird, eine gewisse Bekanntheit der Klagemarke voraus. Allenfalls unter dieser Voraussetzung könnten die Besucher der Website www.kardiologie-mit-herz.de sowie potentielle Seminarteilnehmer die Vorstellung haben, dass der Vortrag in Verbindung mit den Klägern steht.

Es ist im vorliegenden Fall weder dargetan noch ersichtlich, dass die Klagemarken eine gewisse Bekanntheit genießen. Dies spricht dagegen, dass der Verkehr die angegriffene Verwendung als Herkunftshinweis auffasst.

III. Der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher sieht - wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können - auch in der Verwendung der URL „www.kardiologie-mit-herz.de/aktuelles/ bewegte-medizin“ keinen Herkunftshinweis.

1. In der Benutzung eines Domainnamens kann eine kennzeichenmäßige Verwendung liegen, wenn der Verkehr darin keine bloße Adressbezeichnung, sondern den Hinweis auf das Unternehmen oder auf die betriebliche Herkunft von Waren oder Dienstleistungen sieht. An einer kennzeichenmäßigen Verwendung der angegriffenen Bezeichnung kann es dagegen fehlen, wenn sie vom Verkehr als beschreibende Angabe und nicht als Hinweis auf ein Unternehmen oder auf eine bestimmte betriebliche Herkunft der im Zusammenhang mit der Bezeichnung angebotenen Produkte verstanden wird (BGH, Urteil vom 13.03.2008 - I ZR 151/05, GRUR 2008, 912, Rn. 19 - Metrosex). Allerdings kommt Domainnamen, die zu einer aktiven, im geschäftlichen Verkehr verwendeten Homepage führen, in der Regel neben der Adressfunktion eine kennzeichnende Funktion zu (BGH, Urteil vom 02.10.2012 - I ZR 82/11, GRUR 2013, 638, Rn. 27 - Völkl). Bei einem derartigen Domainnamen ist daher davon auszugehen, dass der angesprochene Verkehr den Domainnamen als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der unter dieser Domain vorgehaltenen Dienstleistungsangebote verstehen wird (OLG Köln, Urteil vom 24.10.2014 - 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 36 - Kinderstube).

Dagegen liegt bei der Verwendung eines Zeichens in der URL (uniform resource locator) als Post-Domain-Pfad regelmäßig keine kennzeichenmäßige Verwendung vor. Es gibt keine vernünftigen Anhaltspunkte dafür, dass Internetnutzer Angaben in einer Internetadresse, die sich an den Namen der Top-Level-Domain anschließen auch herkunftshinweisende Bedeutung beimessen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.02.2006 - 20 U 195/05, GRUR-RR 2006, 265, juris-Rn. 20 - Post-DomainPfad). Eine andere Beurteilung kann veranlasst sein, wenn - wie bei der für jeden erkennbaren Nennung einer vollständigen Unternehmensbezeichnung in der URL - der Verwendung nach den konkreten Umständen aus der Sicht des Nutzers eine Kennzeichenfunktion zukommt (OLG Hamburg, Beschluss vom 02.03.2010 - 5 W 17/10, GRUR-RR 2010, 476, juris-Rn. 8 ff. - Kennzeichen in URL).

2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabs entnimmt im vorliegenden Fall der angesprochene Verkehr der verwendeten URL keinen Hinweis auf die Herkunft der Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb.

a) Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Begriffskombination „Bewegte Medizin“ nicht als Domainname, sondern als Teil des nachfolgenden Verzeichnispfads - im Anschluss an den der Top-Level-Domain nachfolgenden Begriff „/aktuelles/“ - verwendet wurde. Daher versteht der angesprochene Verkehr die Bezeichnung „Bewegte Medizin“ nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der unter der Domain www.kardiologie-mit-herz.de vorgehaltenen Dienstleistungsangebote.

Wie die Bezeichnung „Pfad“ bereits nahelegt, erfüllt dieser eine rein richtungsweisende Funktion und stellt eine Art Inhaltsverzeichnis der verschiedenen Ebenen der Website dar. Dies zeigt sich bereits daran, dass sich der Pfad - im Gegensatz zur feststehenden Domain - mit Aufruf einer neuen Unterseite verändert. Deshalb nimmt der angesprochene Verkehr den an die Domain anschließenden Pfad lediglich als Darstellung darüber wahr, wie die Daten der besuchten Internetseite innerhalb des Hostrechners organisiert sind.

b) Zwar kann im Einzelfall auch der Verwendung eines Zeichens in der URL im Anschluss an den Domainnamen aus der Sicht des Nutzers eine Kennzeichenfunktion zukommen. Diese Voraussetzungen sind jedoch vorliegend nicht gegeben. Zum einen ist für den Durchschnittsverbraucher nicht erkennbar, dass es sich bei der Wortkombination „Bewegte Medizin“ um ein markenrechtlich geschütztes Zeichen handelt. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Begriffskombination nicht im räumlich unmittelbaren Zusammenhang zum Domainnamen steht, sondern vielmehr als Unterpunkt an die Rubrik „aktuelles“ anschließt. Durch diesen Einschub ist dem Betrachter klar, dass es sich um einen Beitrag unter einer bestimmten Rubrik - hier „Aktuelles“ bzw. sinngemäß aktuelle Meldungen und Artikel - handelt. Schließlich können die bereits erwähnten Umstände wie die beschreibenden Anklänge der Wortkombination „Bewegte Medizin“ im Rahmen der konkreten Benutzung (dazu unter Ziffer C.II.1) und die fehlende Bekanntheit der Klagemarke (dazu unter Ziffer C.II.3) nicht außer Acht gelassen werden.

Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger lässt sich auch aus der von ihnen zitierten Entscheidung des OLG Hamburg (Beschluss vom 02.03.2010 - 5 W 17/10, GRUR-RR 2010, 476 - Kennzeichen in URL) kein Umstand entnehmen, der als Argument für eine kennzeichenmäßige Benutzung der hier streitgegenständlichen Verwendung herangezogen werden kann. Denn für das OLG Hamburg war für die Annahme eines kennzeichenmäßigen Gebrauchs vor allem der Umstand entscheidend, dass ein Unternehmenskennzeichen verwendet wurde, welches für jeden erkennbar - aufgrund der Nennung der Rechtsform „GmbH“, aber auch aufgrund der Angabe des Geschäftsgegenstandes - eine vollständige Firmenbezeichnung darstellte. Eine solche Konstellation ist in dem hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht gegeben.

IV. Eine Verletzungshandlung durch den Beklagten kann auch nicht wegen der behaupteten Nutzung des Zeichens im Rahmen eines Title-Tags bzw. Meta-Tags angenommen werden, weil das darauf gestützte streitige Vorbringen erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte und weder dargelegt noch ersichtlich ist, warum dieses Angriffsmittel nicht bereits in erster Instanz gebracht wurde.

1. Eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion kann anzunehmen sein, wenn ein als Suchwort verwendetes verwechslungsfähiges Zeichen als Metatag im HTML-Code dazu benutzt wird, das Ergebnis des Auswahlverfahrens in Gestalt der Trefferliste einer Internetsuchmaschine zu beeinflussen und den Nutzer auf diese Weise zu der Internetseite des Verwenders zu führen. Bei den Ergebnissen der Trefferliste wird für den Internetnutzer in der Regel nicht hinreichend deutlich, ob der Verwender eines mit einer geschützten Marke übereinstimmenden Metatags, der identische oder ähnliche Produkte anbietet, im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder vielmehr mit diesem wirtschaftlich verbunden ist. Es besteht die Gefahr, dass der Internetnutzer das Angebot in der Trefferliste auf Grund der dort gegebenen Kurzhinweise mit dem Angebot des Markeninhabers verwechselt und sich näher mit ihm befasst (BGH, Urteil vom 13.1.2011 - I ZR 46/08, MMR 2011, 608, Rn. 25 - Impuls II). Wird der Begriff im Quelltext dagegen allein in einem beschreibenden Zusammenhang verwendet, fehlt es an einer markenmäßigen Benutzung (BGH, Urteil vom 07.10.2009 - I ZR 109/06, GRUR 2009, 1167 Rn. 18 - Partnerprogramm; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 06.10.2016 - 6 U 17/14, GRUR-RR 2017, 60, Rn. 17 - scan2net).

2. Im vorliegenden Fall stützen die Kläger ihre markenrechtlichen Ansprüche erstmals mit Berufungserwiderungsschriftsatz vom 23.11.2021 auf die Tatsache, dass der Beklagte die vollständige Markenbezeichnung der Kläger auch in den Title-Tag/Meta-Tag seiner Webseite übernommen habe. Zum Beweis legten die Kläger Screenshots des Quellcodes der Bildersuche bei Bing.com (Anlagenkonvolut BB 1) vor.

Dem widerspricht der Beklagte. Er trägt vor, dass es sich bei dem von den Klägern beanstandeten „Title Tag“ um den anklickbaren Titel einer Website handele, der in der Ergebnisseite der Suchmaschine erscheine. Es handele sich dabei nicht um MetaTags. Außerdem sei die auf dem Anlagenkonvolut BB 1 markierte Verwendung des Zeichens von den Klägern selbst durch die Eingabe in der Suchmaschine generiert worden und nicht auf den Beklagten zurückzuführen.

Beide Parteien stellen ihren Vortrag unter Sachverständigenbeweis.

3. Nach § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO sind neue Angriffsmittel nur zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Erstmals in der Berufungsinstanz stützen die Kläger ihre markenrechtlichen Ansprüche auf eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion, da die Bezeichnung „bewegte Medizin“ als Metatag im HTML-Code verwendet worden sei. Die dieser rechtlichen Bewertung zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände sind zwischen den Parteien streitig. Bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte den Klägern die Relevanz dieser tatsächlichen Umstände bekannt sein müssen, zu deren Geltendmachung waren sie im ersten Rechtszug auch imstande


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