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OLG Hamm: Kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten wenn die Abmahnung keine ausreichenden Angaben zur Aktivlegitimation enthält

OLG Hamm
Urteil vom 03.04.2025
4 U 29/24


Das OLG Hamm hat entschieden, dass kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten besteht, wenn die Abmahnung keine ausreichenden Angaben zur Aktivlegitimation enthält.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen ihre Verurteilung zur Erstattung der Abmahnkosten wendet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten nach § 13 Abs. 3 UWG nicht zu. Die Abmahnung entspricht nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 2 UWG. Sie enthält entgegen § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG keine ausreichenden Angaben zur Anspruchsberechtigung (Aktivlegitimation) der Klägerin.

a) Seit der Neufassung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG mit Wirkung ab dem 01.12.2021 durch das „Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ können Mitbewerber lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche nur noch dann geltend machen, wenn sie „Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreiben oder nachfragen“. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des vorgenannten Gesetzes soll hiermit der Anspruchsgeltendmachung durch Unternehmer entgegengewirkt werden, deren geschäftliche Tätigkeit ihrem Umfang nach die Zubilligung der Anspruchsberechtigung nicht rechtfertigt, etwa weil die Unternehmer nur einige wenige Waren zu überteuerten Preisen auf einem Portal anbieten, kurz nach Anmeldung des Gewerbes bereits eine hohe Anzahl von Abmahnungen ausgesprochen haben oder sich im Insolvenzverfahren befinden; daher muss ein Mitbewerber, der Ansprüche nach § 8 Abs. 1 UWG geltend macht, nachweisen, dass er tatsächlich in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen vertreibt oder nachfragt wie derjenige, der die unzulässige geschäftliche Handlung vorgenommen hat (vgl. BT-Drucksache 19/12084, S. 26). Bereits hieraus folgt, dass bei der Beurteilung der Erheblichkeit und Frequenz der Geschäftstätigkeit nicht auf den Gesamtumfang der unternehmerischen Tätigkeit abzustellen ist, sondern auf den Vertrieb und die Nachfrage gerade derjenigen Waren oder Dienstleistungen, die das Wettbewerbsverhältnis zum Anspruchsgegner begründen sollen. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach durch das Erfordernis der qualifizierten Mitbewerberstellung Missbrauchsmöglichkeiten vorgebeugt werden soll, die sich aus einer nur pro forma, aber nicht ernsthaft und nachhaltig betriebenen Geschäftstätigkeit ergeben und die sich durch ein Missverhältnis der Abmahntätigkeit zur sonstigen Geschäftstätigkeit auszeichnen können (BGH, Urteil vom 24.02.2022 – I ZR 128/21 – [Zweitmarkt für Lebensversicherungen II], juris, Rdnr. 14 m.w.N.). Hieraus ergibt sich, dass die ernsthaft und nachhaltig betriebene Geschäftstätigkeit nicht nur allgemein, sondern konkret im Bereich der vom Abgemahnten vertriebenen oder nachgefragten Waren oder Dienstleistungen bestehen muss. Andernfalls wäre dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, weil dann für einen Abmahner, der hinsichtlich der von ihm nachhaltig vertriebenen oder nachgefragten Waren oder Dienstleistungen nicht in einem Wettbewerbsverhältnis zum Verletzer steht, die Möglichkeit bestünde, durch das gelegentliche oder gar einmalige Vertreiben einer die Mitbewerbereigenschaft begründenden Ware oder Dienstleistung die Aktivlegitimation gegenüber dem Verletzer zu generieren, was ersichtlich vom Gesetzgeber nicht gewollt ist. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof in der oben zitierten Entscheidung auch darauf hingewiesen, dass in dem in dem dortigen Verfahren nach der Zurückverweisung wiedereröffneten Berufungsverfahren anlässlich der Prüfung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG (nur) diejenigen Geschäftstätigkeiten der dortigen Klägerin in den Blick zu nehmen seien, die sich als gleichartig zu den von der dortigen Beklagten angebotenen Dienstleistungen darstellten (BGH, a.a.O., Rdnr. 26).

Weil das Gesetz von „Vertrieb“ und „Nachfrage“ spricht, reicht darüber hinaus das bloße Anbieten von Waren oder Dienstleistungen nicht aus (BT-Drucksache 19/12084, S. 26; Köhler/Feddersen, UWG, 43. Aufl. [2025], § 8 Rdnr. 3.29c m.w.N.).

b) Aus der Verschärfung der materiellen Anforderungen an die Anspruchsberechtigung gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG folgt auch eine Steigerung der Darlegungslast in der Abmahnung. Die Abmahnung muss Angaben zu diesen verschärften Anforderungen enthalten; in der Regel kommen hierzu Angaben über Größenkategorien der Verkaufszahlen in Betracht (vgl. Köhler/Feddersen, a.a.O., § 13 Rdnr. 14).

c) Diesen Anforderungen wird die von der Klägerin ausgesprochene Abmahnung nicht gerecht. Ihr lässt sich nicht entnehmen, in welcher Größenordnung die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt Waren aus dem Produktsegment „E-Zigaretten“ vertrieb. Die Abmahnung enthielt zwar die Angabe eines (früheren) Jahresüberschusses. Der Abmahnung lässt sich indes nicht entnehmen, wie sich der genannte Betrag auf die einzelnen Produktsegmente des durchaus breit gefächerten Warensortiments der Klägerin verteilte. Die Angabe der Internetadresse der Klägerin in der Abmahnung ist ohne Bedeutung: Die gesetzlich erforderlichen Angaben müssen in der Abmahnung selbst enthalten sein, der bloße Hinweis auf Recherchemöglichkeiten reicht nicht aus. Im Ergebnis ohne entscheidende Bedeutung ist auch der Vortrag der Klägerin, sie, die Klägerin, müsse der Beklagten schon zum Zeitpunkt der Abmahnung bekannt gewesen sein, weil die Beklagte schon damals auf der Internetplattform „V.“ „hunderte“ Artikel angeboten habe, die zeitgleich auch von ihr, der Klägerin, angeboten worden seien, und man auf der genannten Internetplattform auch „seine Konkurrenz sehe“. Die Beklagte mag auf diese Weise vielleicht einen Überblick über den Umfang des Angebotes der Klägerin gehabt haben. Dies reicht allerdings, wie oben dargestellt, nicht aus. Dass die Beklagte auch Kenntnisse über den tatsächlichen Vertriebserfolg der Klägerin hatte oder zumindest hätte haben müssen, lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen. Erst recht lässt sich dem Vorbringen der Klägerin nicht entnehmen, woher die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Zuganges der Abmahnung hätte wissen müssen, dass die Klägerin die größte Händlerin für Waren aus dem Produktsegment „E-Zigaretten“ auf der Internetplattform „V.“ ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Erfurt legt EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping vor

LG Erfurt
Beschluss vom 03.04.2025
8 O 895/23


Das LG Erfurt hat dem EuGH Fragen zum Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei Kontrollverlust im Zusammenhang mit Facebook-Scraping zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Tenor:
Das Ausgangsverfahren wird ausgesetzt. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV die folgenden Fragen zur Auslegung von Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorgelegt:

Frage 1
Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht bei einem Verstoß gegen die DSGVO einer betroffenen Person Schadensersatz zusprechen muss, die lediglich nachgewiesen hat, dass ein Dritter (und nicht der beklagte datenschutzrechtlich Verantwortliche) ihre personenbezogenen Daten im Internet veröffentlicht hat? Mit anderen Worten: Stellt der bloße und ggf. nur kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene Daten einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO dar?

Frage 2
Falls Frage 1 bejaht wird: Inwieweit unterscheidet sich die Antwort oder macht es einen Unterschied, wenn die veröffentlichten Daten nur aus bestimmten personenbezogenen Daten bestehen (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), welche die betroffene Person bereits selbst im Internet veröffentlicht hatte, in Verbindung mit der Telefonnummer der betroffenen Person, die ein Dritter (bei dem es sich nicht um den beklagten datenschutzrechtlich Verantwortlichen handelt) mit diesen personenbezogenen Daten verknüpft hat?

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Gegenstand des Ausgangsverfahrens und zugrundeliegender Sachverhalt

Mit ihrer beim Landgericht Erfurt eingereichten Klage - einem Scraping-Fall - macht die Klägerin immateriellen Schadensersatz und eine Reihe weiterer Ansprüche aufgrund von Verstößen der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung („DSGVO“) geltend. Die Beklagte, deren Sitz in Irland ist, betreibt die Social-Media-Plattform Facebook in Europa („Plattform der Beklagten”).

Die Klägerin unterhält ein Nutzerkonto auf der Plattform der Beklagten. Im Rahmen der Registrierung auf der Plattform der Beklagten müssen Nutzer bestimmte Informationen wie Name und Geschlecht angeben. Diese Informationen (zusammen mit der von der Beklagten generierten Nutzer-ID) sind im Rahmen des Nutzerprofils stets öffentlich einsehbar, worüber Nutzer in Kenntnis gesetzt werden. Diese öffentlichen Nutzerinformationen erleichtern die Kontaktaufnahme mit anderen Menschen. Dies entspricht dem Unternehmenszweck der Plattform der Beklagten, nämlich Menschen die Möglichkeit zu geben, Gemeinschaften zu bilden und die Welt näher zusammenzubringen.

Neben den immer öffentlichen Nutzerinformationen können Nutzer in ihrem Profil nach ihrer individuellen Präferenz weitere Informationen angeben. In diesem Zusammenhang können sie festlegen, welche anderen Gruppen von Nutzern diese Informationen sehen können („Freunde“, [auch] „Freunde von Freunden“, „Öffentlich“). Die Beklagte stellt hierfür Privatsphäre-Einstellungen zur Verfügung, durch die Nutzer bestimmen können, inwieweit von ihnen bereitgestellte Informationen öffentlich einsehbar sein sollen (sog. „Zielgruppenauswahl“). Über die Funktion und Bedeutung dieser Privatsphäre-Einstellungen informierte die Beklagte ihre Nutzer in ihrem Hilfebereich.

Entschied sich ein Nutzer - wie die Klägerin - dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Zielgruppenauswahl während des relevanten Zeitraums „Freunde“. Die Telefonnummer war demnach nicht öffentlich einsehbar. Im Hinblick auf die Sichtbarkeit ihrer Handynummer hatte die Klägerin es bei der Standardeinstellung der Beklagten belassen, sodass diese nicht öffentlich sichtbar war.

Die Privatsphäre-Einstellungen auf der Plattform der Beklagten ermöglichten es den Nutzern auch, festzulegen, wer ihre Profile anhand ihrer Telefonnummern suchen kann (sog. „Suchbarkeits-Einstellungen“). Entschied sich ein Nutzer dafür, seine Telefonnummer anzugeben, war die Standard-Suchbarkeitseinstellung während des relevanten Zeitraums „Alle“. Nutzer konnten jedoch ihre Suchbarkeitseinstellungen jederzeit auf „Freunde“, „Freunde von Freunden“ oder (ab Mai 2019) auf „Nur ich“ festlegen. Die letztgenannte Einstellung verhinderte, dass andere Nutzer das betreffende Profil über die Telefonnummer finden konnten.

Die Möglichkeit, das Profil eines Nutzers anhand einer Telefonnummer zu finden, sollte ebenfalls dem Ziel dienen, Menschen miteinander zu verbinden. Die Plattform der Beklagten hat weltweit Milliarden von Nutzern. Die Suche nach einem Nutzerprofil allein anhand des Namens mag daher nicht ausreichen, um einen anderen Nutzer sicher zu identifizieren.

Die Klägerin entschloss sich dazu, ihre Telefonnummer auf der Plattform der Beklagten anzugeben, wobei sie die Standard-Suchbarkeitseinstellung „Alle“ nicht änderte.

Bis September 2019 ermöglichte die sog. Kontakt-Importer-Funktion Nutzern, Kontakte von ihren Mobilgeräten auf der Plattform der Beklagten hochzuladen. Hierdurch konnten die Nutzer diese Kontakte auf der Plattform der Beklagten finden und mit ihnen in Kontakt treten, sofern die Suchbarkeitseinstellungen des gesuchten Nutzers auf „Alle“ eingestellt waren (so wie dies bei der Klagepartei der Fall war).

Über einen bestimmten Zeitraum hinweg haben unbekannte Dritte (sog. „Scraper“), die in keiner Verbindung zur Beklagten standen, über die Kontakt-Importer-Funktion Mobiltelefonnummern hochgeladen. Die Mobiltelefonnummern hatten die Scraper bereits vorher anderweitig (d. h. nicht auf der Plattform der Beklagten) erlangt oder generiert. Wurden beim Hochladen der Telefonnummern Nutzerprofile gefunden, sammelten die unbekannten Dritten die Daten, die in den Profilen der Nutzer öffentlich einsehbar waren, und machten sich diese nutzbar.

Bei der Kontakt-Importer-Funktion handelte es sich um eine regulär vorgesehene Funktion der Plattform der Beklagten. Die Scraper wandten automatisierte Tools an, um diese Funktion auszunutzen und um auf Daten zuzugreifen, die in diesem Fall öffentlich einsehbar waren. Diese ohne Erlaubnis erfolgte Datenerhebung mit automatisierten Tools und Methoden fand während des relevanten Zeitraums statt und war (und ist immer noch) durch die Nutzungsbedingungen der Beklagten untersagt.

Die Scraper sammelten unzulässigerweise öffentlich einsehbare Daten zahlreicher Nutzer, fügten diese den Telefonnummern dieser Nutzer hinzu und veröffentlichten diese Daten in einer Datenbank im Internet bzw. Darknet. Dieses Vorgehen umfasste auch personenbezogene Daten der Klägerin, nämlich deren Telefonnummer in Verbindung mit den aus ihrem öffentlich einsehbaren Profil abgegriffenen Informationen (Nutzer-ID, Vorname, Nachname und Geschlecht).

Die Klägerin fordert unter anderem immateriellen Schadensersatz auf der Grundlage von Art. 82 DSGVO. Sie bringt vor, sie habe allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Daten abgegriffen und in einer Datenbank veröffentlicht wurden, die Kontrolle über diese Daten verloren. Nach Ansicht der Klägerin stellt dieser Kontrollverlust schon als solcher einen immateriellen Schaden dar.

Die Beklagte macht demgegenüber geltend, dass Art. 82 DSGVO nicht dazu diene, vom Scraping betroffenen Personen Schadensersatz zu gewähren, die zwar von Datenschutzverletzungen betroffen sind, aber keinen konkreten, über den bloßen Kontrollverlust hinausgehenden Schaden erlitten haben. Dabei ist die Beklagte der Auffassung, dass der Scraping-Sachverhalt bereits keinen „Datenschutzverstoß“ darstelle. Die Beklagte macht ferner geltend, dass die bloße erneute Veröffentlichung der Daten der Klagepartei – die gemäß ihren individuellen Privatsphäre-Einstellungen bereits vorher öffentlich einsehbar waren – keinen immateriellen Schadensersatz begründen könne.


II. Einschlägige unionsrechtliche Bestimmungen

Art. 82 DSGVO (Haftung und Recht auf Schadensersatz)

Erwägungsgrund 75 DSGVO (Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen)

Erwägungsgrund 83 S. 3 DSGVO (Sicherheit der Verarbeitung)

Erwägungsgrund 85 S. 1 DSGVO (Pflicht zur Meldung von Datenschutzverletzungen an die Aufsichtsbehörde)

III. Relevante nationale Rechtsprechung

Die deutsche Rechtsprechung divergiert zu der Frage, ob der bloße Kontrollverlust einen immateriellen Schaden darstellt. Die bereits vorliegenden Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union werden unterschiedlich interpretiert.

In nahezu identischen Verfahren haben mehrere deutsche Oberlandesgerichte Klagen auf immateriellen Schadensersatz abgewiesen. Sie haben dabei festgestellt, dass die auf Scraping beruhende erneute oder erstmalige Veröffentlichung von Daten und der damit einhergehende Kontrollverlust allein nicht ausreichen, um einen immateriellen Schaden zu begründen.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings kürzlich in einem Verfahren wegen des unzulässigen Datenscrapings judiziert, dass ein bloßer und selbst kurzzeitiger Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten schon an sich als immaterieller Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO einzuordnen ist und zu einem, wenn auch überschaubaren, Geldanspruch führt (BGH, Urteil vom 18.11.2024 - VI ZR 10/24). Dies soll somit unabhängig davon gelten, ob die Klagepartei individuelle immaterielle Beeinträchtigungen und Nachteile aufgrund des Kontrollverlusts darlegt und nachweist. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung der Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein, wie ein Identitätsdiebstahl, noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Zu dem jedenfalls erforderlichen „Kontrollverlust“ fehlt es allerdings an einer Definition oder näheren Maßgaben.

IV. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefragen

Die Antworten des Gerichtshofes der Europäischen Union zu den Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Das vorlegende Gericht geht von einem Datenschutzverstoß der Beklagten mit negativen Folgen aus. Es ist jedoch zweifelhaft, ob ein immaterieller Schaden zu bejahen ist. Abhängig davon, ob die bloße - erneute oder erstmalige - Veröffentlichung von personenbezogenen Daten im Internet als immaterieller Schaden eingestuft wird oder nicht, kann das Gericht dem Klageantrag auf immateriellen Schadenersatz entweder (zumindest teilweise) stattgeben oder ihn abweisen.

Insbesondere hält das Gericht eine Klarstellung des Gerichtshofs für erforderlich, ob Art. 82 Abs. 1 DSGVO es einem nationalen Gericht ermöglicht, einer betroffenen Person Schadensersatz zuzusprechen, obwohl diese keinen konkreten und individuellen materiellen oder immateriellen Schaden nachgewiesen hat, wie begründete Befürchtungen eines Missbrauchs oder andere psychische Beeinträchtigungen, sondern sich lediglich darauf beruft, dass ihre Daten im Internet veröffentlicht wurden und sie somit die Kontrolle hierüber verloren habe. Dieser Klarstellung dient die Vorlagefrage zu 1.

Für den Fall, dass die Vorlagefrage zu 1 bejaht wird, ersucht das Gericht mit der Vorlagefrage zu 2. den Gerichtshof um Klärung, ob der Gerichtshof zu einer anderen Einschätzung gelangt, wenn die (erneut) veröffentlichten Daten lediglich aus solchen personenbezogenen Daten bestehen, deren Veröffentlichung im Internet die betroffene Person vorher selbst veranlasst hatte (einschließlich allenfalls numerische Nutzer-ID, Name und Geschlecht), sowie der Telefonnummer der betroffenen Person.

Bei dieser Bewertung könnte zu berücksichtigen sein, dass die unzulässiger Weise abgegriffenen Daten der Klägerin auf deren Nutzerprofil öffentlich einsehbar waren, während die Mobiltelefonnummer der Klägerin weder abgegriffen noch anderweitig aus dem Nutzerprofil der Klagepartei abgerufen wurde. Damit unterscheidet sich dieser Sachverhalt wohl von den Fällen, die bisher Gegenstand von Vorabentscheidungsverfahren zu Art. 82 DSGVO waren. Es stellt sich die Frage, ob die Klägerin nicht bereits vor dem Datenschutzverstoß die Kontrolle über ihre vom Scraping betroffenen personenbezogenen Daten verloren hatte, was zu einem Ausschluss von Ersatzansprüchen führen könnte.

Nach alledem bestehen Zweifel, ob es sich bei der Problematik des „bloßen Kontrollverlustes“ bereits um einen „acte éclairé“ handelt. Die bisherigen Urteile des Gerichtshofes könnten jedenfalls so verstanden werden, dass ein bloßer Kontrollverlust als solcher noch keinen Schaden darstellt, vielmehr - mit höherem Begründungs- und Beweisaufwand - weitere Voraussetzungen und Umstände hinzutreten müssen, wie etwa psychische Beeinträchtigungen oder ein tatsächlicher Missbrauch von Daten (s. nur EuGH, Urteil vom 25.01.2024, C-687/21, Rn. 67, EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-340/21, Rn. 84, und EuGH, Urteil vom 14.12.2023, C-456/22, Rn. 22).

Den Parteien des Ausgangsverfahrens wurde ausgiebig rechtliches Gehör gewährt. Die Befugnis des Einzelrichters, unionsrechtliche Fragestellungen zu würdigen und vor den Gerichtshof zu bringen, beruht auf Art. 267 AEUV (eingehend LG Erfurt, Hinweisbeschluss vom 4. Februar 2025 - 8 O 211/24, juris). Ein Einzelrichter ist nicht gehalten, gemäß § 348 Abs. 3 ZPO seine Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme anzurufen. Dies hat Generalanwalt Rantos in einem Dieselfall herausgestellt (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022, C-100/21, Rn. 75 ff.):

„Daher bin ich der Ansicht, dass Art. 267 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die, wenn ein Einzelrichter meint, dass sich im Rahmen einer bei ihm anhängigen Rechtssache eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts stellt, die eine Entscheidung des Gerichtshofs erfordert, diesem vorschreibt, diese Frage einer Zivilkammer vorzulegen, und er folglich daran gehindert ist, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.“


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände können DSGVO-Verstöße abmahnen und als Wettbewerbsverstoß gerichtlich geltend machen

BGH
Urteil vom 27.03.2025
I ZR 186/17
App-Zentrum III
Verordnung (EU) 2016/679 Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e, Art. 80 Abs. 2;
UWG § 5a Abs. 1, § 8 Abs. 3 Nr. 3; UKlaG §§ 1, 2 Abs. 2 Nr. 13, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände können Datenschutzverstöße abmahnen und als Wettbewerbsverstoß gerichtlich geltend machen über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Qualifizierten Einrichtungen steht gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG die Befugnis zu, wegen Verstößen gegen Informationspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO unabhängig von der konkreten Verletzung von Rechten einzelner betroffener Personen und ohne Auftrag einer betroffenen Person wegen Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 13 UKlaG, und der Verwendung einer unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung gemäß § 1 UKlaG im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.

b) In dem Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Informationspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO liegt zugleich ein Verstoß gegen Lauterkeitsrecht unter dem Gesichtspunkt des Vorenthaltens einer wesentlichen Information gemäß § 5a Abs. 1 UWG.

c) Ausgehend von der wirtschaftlichen Bedeutung der Verarbeitung von personenbezogenen Daten für internetbasierte Geschäftsmodelle, deren Nutzung der Verbraucher mit der Preisgabe personenbezogener Daten vergütet, kommt den Unterrichtungspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO zentrale Bedeutung zu, um sicherzustellen, dass der Verbraucher bei seiner mit einer Nachfrageentscheidung verknüpften Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten über Umfang und Tragweite dieser Einwilligungserklärung möglichst umfassend ins Bild gesetzt wird, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

BGH, Urteil vom 27. März 2025 - I ZR 186/17 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände können Datenschutzverstöße abmahnen und als Wettbewerbsverstoß gerichtlich geltend machen

BGH
Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 186/17
Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 222/19
Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 223/19


Der BGH hat entschieden, dass Mitbewerber und Verbraucherschutzverbände Datenschutzverstöße abmahnen und als Wettbewerbsverstoß gerichtlich geltend machen können.

Die Pressemitteilung des BGH:
Verbraucherschutzverbände und Mitbewerber sind befugt, Verstöße gegen das Datenschutzrecht im Wege einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten zu verfolgen

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein Verstoß des Betreibers eines sozialen Netzwerks gegen die datenschutzrechtliche Verpflichtung, die Nutzer dieses Netzwerks über Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten zu unterrichten, wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche begründet und von Verbraucherschutzbänden im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann.

Sachverhalt:

Die in Irland ansässige Beklagte betreibt das soziale Netzwerk "Facebook". Auf der Internetplattform dieses Netzwerks befindet sich ein "App-Zentrum", in dem die Beklagte den Nutzern ihrer Plattform kostenlos Online-Spiele anderer Anbieter zugänglich macht. Im November 2012 wurden in diesem App-Zentrum mehrere Spiele angeboten, bei denen unter dem Button "Sofort spielen" folgende Hinweise zu lesen waren: "Durch das Anklicken von ‚Spiel spielen" oben erhält diese Anwendung: Deine allgemeinen Informationen (?), Deine E-Mail-Adresse, Über Dich, Deine Statusmeldungen. Diese Anwendung darf in deinem Namen posten, einschließlich dein Punktestand und mehr." Bei einem Spiel endeten die Hinweise mit dem Satz: "Diese Anwendung darf Statusmeldungen, Fotos und mehr in deinem Namen posten."

Der Kläger ist der Dachverband der Verbraucherzentralen der Bundesländer. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte die Nutzer ihres Netzwerks mit den unter dem Button "Sofort spielen" gegebenen Hinweisen nicht hinreichend über Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung ihrer personenbezogenen Daten unterrichtet und damit gegen die gesetzlichen Anforderungen an die Einholung einer wirksamen datenschutzrechtlichen Einwilligung verstößt. Er sieht darin zugleich ein wettbewerbswidriges Verhalten und hat die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. In dem abschließenden Hinweis bei einem Spiel sieht der Kläger eine den Nutzer unangemessen benachteiligende Allgemeine Geschäftsbedingung.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Berufungsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschlüssen vom 28. Mai 2020 und vom 10. November 2022 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union jeweils Fragen zur Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO) zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 28. Mai 2020 - I ZR 186/17, GRUR 2020, 896 = WRP 2020, 1182 - App-Zentrum I; Beschluss vom 10. November 2022 - I ZR 186/17, GRUR 2023, 193 = WRP 2023, 189 - App-Zentrum II). Dieser hat die Fragen mit Urteilen vom 28. April 2022 und vom 11. Juli 2024 beantwortet (Urteil vom 28. April 2022, C-319/20, GRUR 2022, 920 = WRP 2022, 684 - Meta Platforms Ireland I; Urteil vom 11. Juli 2024, C-757/22, GRUR 2024, 1357 = WRP 2024, 1049 - Meta Platforms Ireland II).

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Art. 80 Abs. 2 DSGVO bildet eine geeignete Grundlage für die Verfolgung von Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung durch Verbände nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und dem Unterlassungsklagengesetz. Den genannten Verbraucherverbänden steht daher nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG die Befugnis zu, gegen Verletzungen von Informationspflichten gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Buchst.?c und e DSGVO wegen Verstößen gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und gegen ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 13 UKlaG sowie der Verwendung einer unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung gemäß § 1 UKlaG im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen. Unschädlich ist insoweit, dass der Kläger seine Klage unabhängig von der konkreten Verletzung von Datenschutzrechten einer betroffenen Person und ohne Auftrag einer solchen Person erhoben hat. Da von einer Einrichtung im Sinne von Art. 80 Abs. 2 DSGVO nicht verlangt werden kann, dass sie diejenige Person im Voraus individuell ermittelt, die von einer Verarbeitung von Daten, die mutmaßlich gegen die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung verstößt, konkret betroffen ist, ist die Benennung einer Kategorie oder Gruppe von identifizierbaren natürlichen Personen für die Erhebung einer solchen Verbandsklage ausreichend. Es genügt außerdem, wenn sich die Einrichtung darauf beruft, dass die Verletzung der Rechte dieser Person anlässlich einer Verarbeitung personenbezogener Daten geschieht und auf einer Missachtung der Pflicht beruht, die dem Verantwortlichen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO obliegt, weil im Streitfall nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger mit seiner Klage rein hypothetische Verstöße geltend macht.

Die Präsentation von Spielen im App-Zentrum der Beklagten verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO, weil der Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs nicht über Art, Umfang und Zweck der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten in allgemein verständlicher Form sowie über die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung und die Empfänger der persönlichen Daten unterrichtet wird.

In dem Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Informationspflichten liegt zugleich ein Verstoß gegen Lauterkeitsrecht unter dem Gesichtspunkt des Vorenthaltens einer wesentlichen Information gemäß § 5a Abs. 1 UWG. Ausgehend von der wirtschaftlichen Bedeutung der Verarbeitung von personenbezogenen Daten für internetbasierte Geschäftsmodelle, deren Nutzung der Verbraucher mit der Preisgabe personenbezogener Daten vergütet, kommt den datenschutzrechtlichen Unterrichtungspflichten zentrale Bedeutung zu. Sie sollen sicherstellen, dass der Verbraucher bei seiner Nachfrageentscheidung, die mit einer Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten verknüpft ist, möglichst umfassend über Umfang und Tragweite dieser Einwilligungserklärung ins Bild gesetzt wird, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.

Der abschließende Hinweis "Diese Anwendung darf Statusmeldungen, Fotos und mehr in deinem Namen posten" stellt eine den Nutzer wegen des Verstoßes gegen die datenschutzrechtlichen Informationspflichten unangemessen benachteiligende und daher unwirksame Allgemeine Geschäftsbedingung dar, deren Verwendung der Kläger nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG untersagen lassen kann.

Urteile vom 27. März 2025 - I ZR 222/19 und ZR 223/19

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in diesen beiden Revisionsverfahren entschieden, dass ein Apotheker, der auf einer Internet-Verkaufsplattform Arzneimittel vertreibt, wobei ohne ausdrückliche Einwilligung von Kunden deren Bestelldaten (Name des Kunden, Lieferadresse und Informationen zur Individualisierung des Medikaments) erhoben werden, gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verstößt, und dass ein solcher Verstoß von einem anderen Apotheker mit einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann.

Sachverhalt:

Die Parteien in beiden Verfahren sind Apotheker. Die beklagten Apotheker vertreiben Arzneimittel über die Plattform des Anbieters Amazon.

In beiden Verfahren beanstanden die klagenden Apotheker, dass die Beklagten gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen verstoßen, weil die von Kunden bei der Bestellung eingegebenen Daten wie der Name des Kunden, die Lieferadresse und Informationen zur Individualisierung des Medikaments ohne ausdrückliche Einwilligung erhoben, verarbeitet und genutzt werden.

Im Verfahren I ZR 222/19 rügt der Kläger darüber hinaus, der Vertrieb apothekenpflichtiger Arzneimittel über die Plattform verstoße gegen den Vertrieb von Arzneimitteln reglementierende Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Heilmittelwerbegesetzes, des Apothekengesetzes und der Apothekenbetriebsordnung sowie die Berufsordnung für Apotheker.

Die Kläger haben die Beklagten in beiden Verfahren auf Unterlassung und im Verfahren I ZR 222/19 auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

In beiden Verfahren haben die Berufungsgerichte der Klage insoweit stattgegeben, als sie den jeweiligen Beklagten wegen Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen zur Unterlassung verurteilt haben. Soweit der Kläger im Verfahren I ZR 222/19 auch Verstöße gegen weitere Vorschriften geltend gemacht und Schadensersatz beansprucht hat, hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren I ZR 223/19 mit Beschluss vom 12. Januar 2023 (GRUR 2023, 264 - Arzneimittelbestelldaten I) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Verfahren I ZR 222/19 hat der Bundesgerichtshof bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen in der Sache I ZR 223/19 ausgesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die ihm vorgelegten Fragen mit Urteil vom 4. Oktober 2024 - C-21/23 (GRUR 2024, 1721 = GRUR 2024, 1318 - Lindenapotheke) beantwortet.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die von den Beklagten in beiden Verfahren eingelegten Revisionen gegen ihre Verurteilung zur Unterlassung wegen Verstoßes gegen die für Gesundheitsdaten geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen hatten keinen Erfolg. Die vom Kläger im Verfahren I ZR 222/19 eingelegte Revision hatte Erfolg, soweit der Kläger die Verurteilung des Beklagten zum Schadensersatz erstrebte, sie hatte keinen Erfolg, soweit er die Verurteilung des Beklagten wegen Verstößen gegen weitere Vorschriften begehrte.

Die Datenschutz-Grundverordnung steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die Mitbewerbern die Befugnis einräumt, wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung gegen den mutmaßlichen Verletzer im Wege einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten vorzugehen.

Die Verarbeitung und Nutzung der von Kunden der Beklagten bei der Onlinebestellung eines Arzneimittels über den Account eines Apothekers beim Amazon-Marketplace eingegebenen Daten wie der Name des Kunden, die Lieferadresse und die für die Individualisierung des bestellten Medikaments notwendigen Informationen verstößt, wenn sie - wie im Streitfall - ohne ausdrückliche Einwilligung der Kunden erfolgt, gegen Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Bei den Bestelldaten handelt es sich um Gesundheitsdaten im Sinne dieser Vorschrift und zwar auch dann, wenn das Arzneimittel keiner ärztlichen Verschreibung bedarf.

Art. 9 Abs. 1 DSGVO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG, so dass der Verstoß gegen diese Vorschrift von einem Mitbewerber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG im Wege einer wettbewerbsrechtlichen Klage vor den Zivilgerichten verfolgt werden kann. Die Bestimmungen zum Erfordernis der Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten dienen dem Schutz der Persönlichkeitsrechtsinteressen der Verbraucher gerade auch im Zusammenhang mit ihrer Marktteilnahme. Die Verbraucher sollen frei darüber entscheiden können, ob und inwieweit sie ihre Daten preisgeben, um am Markt teilnehmen und Verträge abschließen zu können.

Vorinstanzen:

I ZR 186/17

LG Berlin - Urteil vom 28. Oktober 2014 - 16 O 60/13

Kammergericht Berlin - Urteil vom 22. September 2017 - 5 U 155/14

und

I ZR 222/19

LG Magdeburg - Urteil vom 18. Januar 2019 - 36 O 48/18

OLG Naumburg - Urteil vom 7. November 2019 - 9 U 6/19

und

I ZR 223/19

LG Dessau-Roßlau - Urteil vom 28. März 2018 - 3 O 29/17

OLG Naumburg - Urteil vom 7. November 2019 - 9 U 39/18

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 und 3 UWG

(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. [...]

(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu:

1. jedem Mitbewerber, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt, [...]

3. den qualifizierten Verbraucherverbänden, die in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind, [...]

§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG

(1) Die in den §§ 1 bis 2a bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung, auf Widerruf und auf Beseitigung stehen zu:

1. den qualifizierten Verbraucherverbänden, die in der Liste nach § 4 eingetragen sind, [...]

Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a DSGVO

(1) Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer natürlichen Person ist untersagt.

(2) Absatz 1 gilt nicht in folgenden Fällen:

a) Die betroffene Person hat in die Verarbeitung der genannten personenbezogenen Daten für einen oder mehrere festgelegte Zwecke ausdrücklich eingewilligt, [...]

Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO

(1) Der Verantwortliche trifft geeignete Maßnahmen, um der betroffenen Person alle Informationen gemäß den Artikeln 13 und 14 und alle Mitteilungen gemäß den Artikeln 15 bis 22 und Artikel 34, die sich auf die Verarbeitung beziehen, in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln; [...]

Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO

(1) Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten Folgendes mit: [...]

c) die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung; [...]

e) ob die Bereitstellung der personenbezogenen Daten gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben oder für einen Vertragsabschluss erforderlich ist, ob die betroffene Person verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche mögliche Folgen die Nichtbereitstellung hätte [...]

Artikel 80 Abs. 1 und 2 DSGVO

(1) Die betroffene Person hat das Recht, eine Einrichtung, Organisationen oder Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die ordnungsgemäß nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist, deren satzungsmäßige Ziele im öffentlichem Interesse liegen und die im Bereich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen in Bezug auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten tätig ist, zu beauftragen, in ihrem Namen eine Beschwerde einzureichen, in ihrem Namen die in den Artikeln 77, 78 und 79 genannten Rechte wahrzunehmen und das Recht auf Schadensersatz gemäß Artikel 82 in Anspruch zu nehmen, sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist.

(2) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass jede der in Absatz 1 des vorliegenden Artikels genannten Einrichtungen, Organisationen oder Vereinigungen unabhängig von einem Auftrag der betroffenen Person in diesem Mitgliedstaat das Recht hat, bei der gemäß Artikel 77 zuständigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzulegen und die in den Artikeln 78 und 79 aufgeführten Rechte in Anspruch zu nehmen, wenn ihres Erachtens die Rechte einer betroffenen Person gemäß dieser Verordnung infolge einer Verarbeitung verletzt worden sind.



BGH: Zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung

BGH
Beschluss vom 10.12.2024
VI ZR 7/24


Der BGH hat sich in diesem Beschluss zur Bemessung des Streitwerts in Facebook-Scraping-Fällen für Ansprüche auf Unterlassung, Zahlung, Auskunft und Feststellung geäußert.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Senat hat den Streitwert für das Revisionsverfahren auf die Gebührenstufe bis 4.000 € festgesetzt und die Klageanträge dabei - wie zuvor das Berufungsgericht - wie folgt bemessen: 1.000 € (Zahlungsantrag) + 500 € (Feststellungsantrag) + 1.500 € (Unterlassungsanträge) + 500 € (Auskunftsantrag) = 3.500 €. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers wendet sich allein gegen die Wertfestsetzung für die Unterlassungsanträge, die er - wie zuvor das Landgericht - mit insgesamt 5.000 € (2 x 2.500 €) bemessen haben möchte.

Eine Höherfestsetzung des Streitwerts für die Unterlassungsanträge ist nicht veranlasst. Der Streitwert ist nach allgemeinen Regeln unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Maßgeblich bei einem Unterlassungsantrag nach - wie im Streitfall geltend gemacht - bereits erfolgter Verletzungshandlung ist das Interesse des Anspruchstellers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße, welches maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für den Inhaber des verletzten Rechts bestimmt wird. Allerdings kann auch anderen, von der bereits erfolgten Verletzungshandlung unabhängigen Faktoren - etwa dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Zuwiderhandlungen - Rechnung zu tragen sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 33 ff. mwN). Das Gefährdungspotential ist dabei allein mit Blick auf das konkrete Streitverhältnis zu bestimmen. Für generalpräventive Erwägungen ist bei der Bewertung eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs ebenso wenig Raum (BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - I ZR 1/15, NJW 2017, 814 Rn. 42 mwN) wie für eine Orientierung an einem etwaigen (Gesamt-)Schaden unter Einbeziehung anderer Betroffener (vgl. Senat, Beschluss vom 30. November 2004 - VI ZR 65/04, juris Rn. 2; OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 277; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673). Schließlich darf das Gesamtgefüge der Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstände nicht aus den Augen verloren werden (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, K&R 2021, 127 Rn. 11).

Nach diesen Grundsätzen ist die erfolgte Festsetzung des Wertes der Unterlassungsanträge auf insgesamt 1.500 € (2 x 750 €) sachgerecht (vgl. zu Parallelfällen auch OLG Hamm, Urteil vom 15. August 2023 - 7 U 19/23, juris Rn. 279 ff.; OLG Frankfurt/M., K&R 2024, 673: jeweils insgesamt 1.000 €). Der Kläger selbst hat seinen Zahlungsanspruch auf Ersatz des bereits eingetretenen Schadens auf 1.000 € beziffert. Der Senat hat hierzu in einem weiteren Parallelverfahren näher ausgeführt, dass er auch eine Bemessung in der Größenordnung von 100 € für den bloßen Kontrollverlust von Rechts wegen nicht beanstanden würde (Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24, juris Rn. 100). Seinen Antrag auf Feststellung hinsichtlich etwaiger zukünftiger Schäden hat auch der Kläger mit 500 € bewertet; dies erscheint angesichts der absehbaren Schwierigkeiten beim Nachweis der Ursächlichkeit künftiger Schäden auch sachgerecht. Die Verletzungshandlung liegt bereits fünf Jahre zurück, ohne dass es bislang jenseits des bloßen Kontrollverlustes zum Eintritt nachweisbarer Schäden oder einer weiteren Verletzungshandlung gekommen wäre; die Beklagte hat die Suchbarkeitsfunktion in der dem Streitfall inmitten stehenden Ausgestaltung vielmehr zwischenzeitlich deaktiviert. Beide Unterlassungsanträge nehmen ihren Ausgangspunkt in derselben Verletzungshandlung und hängen in der Sache eng zusammen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH liegt vor: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes soferm keine wirksame Einwilligung vorlag

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24
DS-GVO Art. 82 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung sein. Weder muss eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

BGH, Urteil vom 18. November 2024 - VI ZR 10/24 - OLG Köln - LG Bonn

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten nach § 13 Abs. 3 UWG wenn Anspruch innerhalb der Frist zur Unterwerfung verjähren würde

OLG Karlsruhe
Urteil vom 13.11.2024
6 U 38/24

Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass kein Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten nach § 13 Abs. 3 UWG besteht, wenn der Anspruch innerhalb der Frist zur Unterwerfung verjähren würde.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Auch der vom Landgericht zuerkannte Anspruch auf Zahlung einer Kostenpauschale in Höhe von 243,51 € zuzüglich der nach §§ 288, 291 BGB ab Rechtshängigkeit geschuldeten Zinsen ist unbegründet.

a) Ein solcher Anspruch folgt hier nicht aus § 13 Abs. 3 UWG.

aa) Es fehlt schon an den Anspruchsvoraussetzungen nach dieser Vorschrift.

Im Fall einer berechtigten Abmahnung (d.h. einer berechtigten Aufforderung zur Unterlassung, die dem Schuldner Gelegenheit gibt, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen, § 13 Abs. 1 UWG), kann der Abmahnende nach § 13 Abs. 3 UWG vom Abgemahnten Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn die Abmahnung den Anforderungen nach § 13 Abs. 2 UWG entspricht. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Die Abmahnung konnte sich zwar auf einen Verletzungsunterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG stützen, der dem Kläger gegen den Beklagten wie ausgeführt zusteht (deren Erfüllung der Beklagte aber inzwischen wegen Verjährung verweigern darf).

(2) Sie hielt auch die Anforderungen nach § 13 Abs. 2 UWG ein, was der Beklagte nicht in Abrede stellt.

(3) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Beklagten, der Kläger habe eine zu kurze Frist gesetzt; die Abmahnung entfaltet unabhängig davon ihre rechtliche Wirkung, zumal lediglich statt einer unangemessen kurzen Frist eine angemessene Frist in Lauf gesetzt würde (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 22 unter Hinweis auf u.a. BGH, GRUR 1990, 381, 382 - Antwortpflicht des Abgemahnten).

(4) Die beanspruchte Kostenpauschale entspricht auch der Höhe nach den Aufwendungen, die im Sinn von § 13 Abs. 1 UWG bei einer berechtigten Abmahnung erforderlich für den Kläger sind. Auch dies wird vom Beklagten nicht bezweifelt. Der Kläger hat unter Bezugnahme auf die substantiierten tatsächlichen Ausführungen der Abmahnung (Anlage K 3, dort S. 3) unwidersprochen dargelegt, dass die geltend gemachte Pauschale dem durchschnittlichen Personalkostenaufwand entspricht, der ihm bei selbst verfassten Abmahnungen in der Höhe entstehen würde.

(5) Die Abmahnung erweist sich aber schon deshalb als im Ergebnis nicht berechtigt, weil bei der Abmahnung feststand, dass der Unterlassungsanspruch verjähren würde, bevor die eingeräumte Frist zur Unterwerfung endet.

(a) Allein der Umstand, dass der Unterlassungsanspruch im Zeitpunkt der darüber zu treffenden gerichtlichen Entscheidung wegen Verjährung nicht (mehr) durchsetzbar ist, mag allerdings entgegen der Ansicht des Beklagten nicht dazu führen, dass die Kostenerstattungsforderung nicht (mehr) durchzusetzen wäre. Eine solche Akzessorietät zwischen nachträglichem Verjährungseintritt des Unterlassungsanspruchs und der Kostenerstattungsforderung besteht möglicherweise nicht.

(aa) Der Anspruch nach § 13 Abs. 3 UWG ist allein auf die geschehene Zuwiderhandlung, den deshalb bei Abmahnung bestehenden Unterlassungsanspruch und die daran geknüpfte Abmahnung gestützt. Der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten hängt namentlich davon ab, ob die Abmahnung berechtigt ist. Soweit dies insbesondere vom Bestehen des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs abhängt (vgl. nur BGH, GRUR 2016, 412 Rn. 11 mwN - lernstark; jurisPK-UWG/Spoenle, 5. Aufl., § 13 Rn. 35), ist der Erstattungsanspruch kein im Verhältnis dazu unselbstständiger Nebenanspruch, der als solcher das Schicksal des Hauptanspruchs teilt. Der Anspruch ist nur insofern unselbstständig, als er dann nicht entsteht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung kein Unterlassungsanspruch (mehr) besteht und die Abmahnung daher unberechtigt ist. Der beim Vorliegen eines Unterlassungsanspruchs im Zeitpunkt der Abmahnung entstandene Erstattungsanspruch besteht dagegen alsdann unabhängig davon fort, ob der mit der Abmahnung geltend gemachte Unterlassungsanspruch fortbesteht, durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erloschen ist oder der späteren gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs die Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage entgegensteht (vgl. BGH, GRUR 2021, 752 Rn. 32 ff - Berechtigte Gegenabmahnung; GRUR 2022, 658 Rn. 12 - Selbstständiger Erstattungsanspruch).

(bb) Insbesondere mag der Zahlungsanspruch nach § 13 Abs. 3 UWG daher gegebenenfalls mit Erfolg auch noch geltend gemacht werden, wenn der Unterlassungsanspruch verjährt, nachdem die Abmahnung ausgesprochen wurde.

Der Beklagte stützt seine abweichende Auffassung zu Unrecht auf die – allerdings mindestens im Ergebnis zutreffende – Kommentierung von Bornkamm/Feddersen (in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 103), wonach die Abmahnung aufgrund eines nach § 11 UWG verjährten, mithin (nur) einredebehafteten Unterlassungsanspruchs im Sinn von § 13 Abs. 3 UWG berechtigt sein könne, solange die Verjährungseinrede nicht erhoben sei, aber als von Anfang an unberechtigt zu behandeln sei, sobald der Schuldner die Verjährungseinrede erhebe, mit der Folge, dass ein Ersatzanspruch nach § 13 Abs. 3 UWG dann nicht (mehr) bestehe (ebenso MünchKomm UWG/Ottofülling, 3. Aufl., § 13 Rn. 266, 269 mwN; im Ergebnis dahin neigend BeckOK-UWG/Scholz, Stand Juli 2024, § 13 Rn. 135; siehe auch Senat, Urteil vom 12. Oktober 1983 - 6 U 250/82, WRP 1984, 100, 102, zu § 683 BGB). Diese Auffassung betrifft einen bereits im Abmahnzeitpunkt verjährten Unterlassungsanspruch. Sie enthält keine Aussage dazu, welche Auswirkungen eine erst nach Zugang der Abmahnung eingetretene Verjährung des Unterlassungsanspruchs auf den Ersatzanspruch nach § 13 Abs. 3 UWG hat. Die angeführte Kommentierung (Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 104) teilt im Übrigen gerade die Auffassung des Bundesgerichtshofs, dass der Kostenerstattungsanspruch nicht davon abhängt, ob der Unterlassungsanspruch nach Zugang der Abmahnung entfällt.

Jedenfalls unter dem in der vom Beklagten angeführten Literaturstelle angesprochenen Gesichtspunkt, dass es an der Berechtigung der Abmahnung, die nach Verjährung des Unterlassungsanspruchs erfolgt (also zugeht, s.o.), zumindest dann (rückwirkend) fehlt, wenn die Verjährungseinrede anschließend erhoben wird (Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 103), erweist sich die vorliegende Abmahnung nicht als unberechtigt. Umstände, wonach der damit geltend gemachte Verletzungsunterlassungsanspruch schon bei Zugang der Abmahnung am 24. Mai 2023 verjährt gewesen wäre, sind nicht vorgetragen. Der Beklagte behauptet keinen konkreten Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers vor Ende November 2022 oder gar vor dem 24. November 2023. Für eine dahingehende Mutmaßung lägen auch keine greifbaren Anhaltspunkte vor, zumal S mit E-Mail vom letztgenannten Tag die – offenbar noch ausstehende – Einschaltung einer Verbraucherschutzeinrichtung angedroht hat.

(cc) Eine andere Frage ist in diesem Zusammenhang indes, ob die Verjährungsfrist betreffend den Kostenerstattungsanspruch selbst zwischenzeitlich abgelaufen ist. Allerdings beginnt auch diese nicht etwa gleichzeitig mit der Verjährungsfrist für den Unterlassungsanspruch schon mit Kenntnis von der Zuwiderhandlung (vgl. nur BeckOK-UWG/Scholz, Stand Juli 2024, § 13 Rn. 136; aA Ungewitter, GRUR 2012, 697, 698 f; Teplitzky/Bacher, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 13. Aufl., Kap. 41 Rn. 166). Nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung in §§ 194 ff BGB und § 11 Abs. 1 UWG beträgt die Verjährungsfrist (auch) bei dem Ersatzanspruch nach § 13 Abs. 3 UWG sechs Monate (§ 11 Abs. 1 UWG) und beginnt nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 UWG nicht, bevor „der Anspruch“, also der auf Verjährung zu prüfende Ersatzanspruch entstanden ist. Dieser Ersatzanspruch kann erst mit der Abmahnung entstehen.

(dd) Allerdings wird die Ansicht vertreten, der Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten verjähre – gegebenenfalls schon vor Vollendung der ihn selbst betreffenden Verjährungsfrist – gemäß § 217 BGB mit dem Unterlassungsanspruch, der mit der Abmahnung geltend gemacht wurde, sofern der Schuldner sich nicht vorher unterwerfe (LG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2015 - 324 O 62/14, juris Rn. 55; Ahrens/Bornkamm, Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 33 Rn. 23 f; wohl auch Ungewitter, GRUR 2012, 697, 698 Fn. 13). Ob dem zu folgen ist, also im Sinn dieser Vorschrift der Anspruch auf Kostenersatz nach §13 Abs. 3 UWG (wie) ein Anspruch auf eine Nebenleistung ist, die von einem als Hauptanspruch anzusehenden Unterlassungsanspruch abhängt und daher mit diesem verjährt, kann hier dahinstehen. Denn aus den nachfolgenden Gründen ist der Ersatzanspruch schon als nicht entstanden anzusehen.

(b) An der Berechtigung der Abmahnung fehlt es jedenfalls entsprechend den allgemeinen Erwägungen der oben zitierten Kommentierung (Bornkamm/Feddersen (in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 103) im Ergebnis unter dem Gesichtspunkt einer Verjährung des Unterlassungsanspruchs. Dies folgt daraus, dass die Verjährung des Unterlassungsanspruchs im Zeitpunkt der Abmahnung nicht nur unmittelbar bevorstand, sondern die dem Beklagten eingeräumte Gelegenheit zur Unterwerfung sich über den Zeitpunkt des Verjährungseintritts hinaus erstreckte.

(aa) Sinn der vorgerichtlichen Abmahnung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 UWG ist, dem Schuldner Gelegenheit zu geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungserklärung außergerichtlich beizulegen (vgl. BT-Drucks. 15/1487, S. 25). Die Abmahnung soll dem Schuldner den Weg weisen, wie er den Gläubiger klaglos stellen kann, ohne dass die Kosten eines Gerichtsverfahrens anfallen. Nur wenn die Abmahnung diese Funktion erfüllt, handelt es sich um eine berechtigte Abmahnung im Sinn von § 13 Abs. 3 UWG. Denn der gesetzliche Kostenerstattungsanspruch rechtfertigt sich daraus, dass die Abmahnung auch im Interesse des Schuldners liegt (vgl. BGH, GRUR 2010, 354 Rn. 8 - Kräutertee; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 99). Insbesondere eine entbehrliche Abmahnung ist in diesem Sinn nicht berechtigt und erlaubt nicht, Kostenerstattung zu verlangen (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 13 Rn. 56 ff; 100 f).

(bb) Eine Abmahnung ist dementsprechend nicht berechtigt, wenn eine außergerichtliche Streitbeilegung durch Unterwerfung deshalb – aus Sicht des Gläubigers erkennbar – nicht im Interesse des Schuldners ist und damit vernünftigerweise auch nicht zu rechnen ist, weil im Rahmen der Abmahnung bereits aus Sicht des Schuldners erkennbar feststeht, dass der Schuldner im Fall einer anschließenden gerichtlichen Inanspruchnahme auf Unterlassung nicht zu unterliegen fürchten muss, da dieser wegen bis dahin eigetretener Verjährung nicht mehr durchsetzbar sein würde. Dies gilt namentlich für den Fall, dass der Gläubiger in der Abmahnung eine Frist zur Unterwerfung einräumt, die sich für den Schuldner erkennbar über den unmittelbar bevorstehenden Ablauf der Verjährungsfrist hinaus erstreckt.

Mit einer vor Vollendung der Verjährungsfrist eintretenden Hemmung der Verjährung dadurch, dass der Gläubiger noch vor Ablauf der gesetzten Frist Klage erheben würde, muss der Schuldner dann nicht rechnen. Der Gläubiger kann daher nicht, schon gar nicht redlicherweise darauf hoffen, dass der Schuldner sich schon allein wegen des theoretischen Risikos, dass der Gläubiger doch vor Ablauf der selbst gesetzten Frist Klage erheben könnte, noch vor Ablauf jener Frist und insbesondere der Verjährungsfrist unterwerfen werde. Eine Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens vor Ablauf der mit der Abmahnung gesetzten Frist stünde auch in Widerspruch zu dem Zweck, dem Schuldner Gelegenheit zu geben, den Streit außergerichtlich beizulegen, und würde die Abmahnung als objektiv nutzlos erscheinen lassen. Der Gläubiger kann auch nicht ernsthaft darauf hoffen, dass der Schuldner sich schon allein aus dem Grund unterwirft, einer erst nach Verjährung zu erwartenden Inanspruchnahme zuvorzukommen, die ihm lediglich Aufwendungen verursachen würden, die er vorbehaltlich der fernliegenden Möglichkeit einer gerichtlichen Fehlbeurteilung oder des Risikos der Zahlungsunfähigkeit des Abmahnenden vom – dann wegen Verjährung unterliegenden – Gegner nach § 91 ZPO ersetzt erwarten könnte. Der Unterlassungsgläubiger kann auch vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Schuldner die Möglichkeit der Erhebung einer Verjährungseinrede übersieht oder darauf gar bewusst verzichtet. Er kann auch redlicherweise nicht darauf setzen, dass Schuldner mangels sicherer Kenntnis vom genauen Zeitpunkt des Verjährungseintritts die Gefahr sieht, eine – in Wirklichkeit und aus Sicht der besseren Erkenntnis des Gläubigers vor Ablauf der gesetzten Frist eintretende – Verjährung nicht verlässlich geltend machen zu können und deshalb zur Unterwerfung bereit sein wird. In dem Fall, dass eine Frist zur Unterwerfung auf einen Zeitpunkt gesetzt wird, der für den Gläubiger erkennbar nach Verjährungseintritt liegt, unterscheidet sich die Interessenlage daher nicht wesentlich von dem Fall, dass die Verjährung bereits im Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung abgelaufen war.

All dies gilt namentlich dann, wenn – wie hier – die Verjährungseinrede im späteren Unterlassungsprozess auch tatsächlich erhoben wird. Ebenso wie im Fall eines bereits bei Abmahnung verjährten Unterlassungsanspruchs ist die Abmahnung dann als (gegebenenfalls rückwirkend) unberechtigt anzusehen.

(cc) So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat dem Beklagten nämlich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung eine Frist bis zum 5. Juni 2023 eingeräumt. Wie ausgeführt stand bei der hier festzustellenden Kenntnis des Klägers von den den Unterlassungsanspruch begründenden Umständen spätestens Ende November 2022 objektiv fest, dass die Verjährungsfrist dafür mit dem 30. Mai 2022 enden würde. Er musste auch damit rechnen, dass der Beklagte erkennen oder zumindest vermuten würde, dass der Kläger noch im November 2022, jedenfalls aber mehr als sechs Monate vor Ablauf der gesetzten Frist die verjährungsauslösende Kenntnis erlangt hat. Der Kläger konnte damit insbesondere nach seinen eigenen Erkenntnissen nicht damit rechnen, dass der Beklagte, der wegen der eingeräumten Frist keine verjährungshemmenden Schritte des Klägers vor objektivem Verjährungseintritt fürchten musste, sich dem Unterlassungsanspruch unterwerfen würde.

bb) Nach alledem kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob ein Ersatzanspruch, wäre er entstanden, verjährt wäre. Dies wäre allerdings – selbst für einen der kurzen Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 11 Abs. 1 UWG unterfallenden Anspruch nach § 13 Abs. 3 UWG – nicht der Fall, weil der Ersatzanspruch jedenfalls nicht vor Versendung der Abmahnung frühestens am 22. Mai 2023 entstanden ist und somit bei der – die Verjährung spätestens seither hemmenden (§ 204 Abs. 1 Nr. 2 BGB) – Klagezustellung im Juli 2023 nicht verjährt war.

b) Aus den zuvor angegebenen Gründen ist auch ein Ersatzanspruch nach §§ 667, 670, 683 Satz 1 BGB wegen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag nicht entstanden, weil die Abmahnung nicht dem Interesse und dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprach. Auf die Anwendbarkeit dieser Anspruchsgrundlage neben § 13 Abs. 3 UWG kommt es daher nicht an.

4. Dahinstehen kann, ob im Übrigen dem Verletzungsunterlassungsanspruch und der Kostenersatzforderung ein Unzulässigkeitseinwand nach § 8c UWG wegen Missbrauchs unter dem Gesichtspunkt entgegenstünde, dass der Kläger mit der späten Abmahnung mangelndes Interesse an einer in der Sache erfolgversprechenden Durchsetzung der Unterlassung gezeigt haben könnte.

Wollte man die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs mit der vorliegenden Abmahnung aus diesem Grund für unzulässig erachten, hätte dies allerdings nicht nur zur Folge, dass die Abmahnung nicht berechtigt im Sinn von § 13 Abs. 3 UWG wäre und daher der Erstattungsanspruch auch aus diesem Grund unbegründet wäre (vgl. BGH, GRUR 2019, 199 Rn. 40 mwN - Abmahnaktion II), sondern würde darüber hinaus auch zur Unzulässigkeit der gerichtlichen Geltendmachung desselben Unterlassungsanspruchs führen (vgl. BGHZ 149, 371, 379 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; BGH, GRUR 2012, 730 Rn. 47 mwN - Bauheizgerät; GRUR 2023, 1116 Rn. 14 mwN - Aminosäurekapseln). Da die Rechtsprüfung vorliegend ergibt, dass der Verletzungsunterlassungsanspruch jedenfalls als unbegründet abzuweisen ist, kann indes die Zulässigkeitsfrage, ob seine gerichtliche Durchsetzung missbräuchlich im Sinn von § 8c Abs. 1 UWG ist, offenbleiben (vgl. BGH, GRUR 1999, 509 - Vorratslücken; Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl., § 8c Rn. 3).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: 100 EURO Schadensersatz in Facebook-Scraping-Fällen aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes sofern keine wirksame Einwilligung vorlag - dann auch Unterlassungsanspruch

BGH
Urteil vom 18.11.2024
VI ZR 10/24


Der BGH hat im Leitentscheidungsverfahren nach § 552b ZPO entschieden, dass in Facebook-Scraping-Fällen ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO wegen Kontrollverlustes in Höhe von 100 EURO angemessen sein dürfte, sofern keine wirksame Einwilligung in die Datenverarbeitung vorlag. Dies hat die Vorinstanz nunmehr zu prüfen. Der BGH hat zudem entschieden, dass dann auch Unterlassungsanspruch und ein Feststellungsinteresse für einen Schadensersatzfeststellungsanspruch besteht.

Die Pressmeiteilung des BGH:
Bundesgerichtshof entscheidet über Ansprüche im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall beim
sozialen Netzwerk Facebook (sog. Scraping)

Sachverhalt:

Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook. Anfang April 2021 wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebook-Nutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte Dritte hatten sich zuvor den Umstand zu Nutze gemacht, dass die Beklagte es in Abhängigkeit von den Suchbarkeits-Einstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglicht, dass dessen Facebook-Profil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden kann. Die unbekannten Dritten ordneten durch die in großem Umfang erfolgte Eingabe randomisierter Ziffernfolgen über die Kontakt-Import-Funktion Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab (sog. Scraping).

Von diesem Scraping-Vorfall waren auch Daten des Klägers (Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht) betroffen, die auf diese Weise mit dessen Telefonnummer verknüpft wurden. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um eine Ausnutzung des Kontakt-Tools zu verhindern. Ihm stehe wegen des erlittenen Ärgers und des Kontrollverlusts über seine Daten Ersatz für immaterielle Schäden zu. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm in diesem Zusammenhang auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, und nimmt die Beklagte auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO Schadensersatz in Höhe von 250 € zugesprochen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers insgesamt abgewiesen. Weder reiche der bloße Kontrollverlust zur Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus noch habe der Kläger hinreichend substantiiert dargelegt, über den Kontrollverlust als solchen hinaus psychisch beeinträchtigt worden zu sein.

Mit Beschluss vom 31. Oktober hat der Bundesgerichtshof das Revisionsverfahren zum Leitentscheidungsverfahren gemäß § 552b ZPO n.F. bestimmt (Pressemitteilung 206/24). Nachdem die Revision nicht zurückgenommen wurde oder sich anderweitig erledigt hat, hat der Bundesgerichtshof jedoch am 11. November 2024 mündlich zur Sache verhandelt und nach allgemeinen Regeln durch Urteil über die Revision des Klägers entschieden.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Klägers war teilweise erfolgreich.

Der Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens lässt sich mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht verneinen. Nach der für die Auslegung des Art. 82 Abs. 1 DSGVO maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH kann auch der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten infolge eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung ein immaterieller Schaden im Sinne der Norm sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten zum Nachteil des Betroffenen erfolgt sein noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.

Erfolg hatte die Revision auch, soweit das Berufungsgericht die Anträge des Klägers auf Feststellung einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden, auf Unterlassung der Verwendung seiner Telefonnummer, soweit diese nicht von seiner Einwilligung gedeckt ist, und auf Ersatz seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse des Klägers, da die Möglichkeit des Eintritts künftiger Schäden unter den Umständen des Streitfalles ohne Weiteres besteht. Der genannte Unterlassungsanspruch ist hinreichend bestimmt und dem Kläger fehlt insoweit auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen (weiterer Unterlassungsantrag und Auskunftsantrag) blieb die Revision hingegen ohne Erfolg.

Im Umfang des Erfolges der Revision hat der Bundesgerichtshof die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Für die weitere Prüfung hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht zum einen darauf hingewiesen, dass die von der Beklagten vorgenommene Voreinstellung der Suchbarkeitseinstellung auf "alle" nicht dem Grundsatz der Datenminimierung entsprochen haben dürfte, wobei das Berufungsgericht ergänzend die Frage einer wirksamen Einwilligung des Klägers in die Datenverarbeitung durch die Beklagte zu prüfen haben wird. Zum anderen hat der Bundesgerichtshof Hinweise zur Bemessung (§ 287 ZPO) des immateriellen Schadens aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO erteilt und ausgeführt, warum unter den Umständen des Streitfalles von Rechts wegen keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 € zu bemessen.

Vorinstanzen:

LG Bonn - Urteil vom 29. März 2023 - 13 O 125/22

OLG Köln - Urteil vom 7. Dezember 2023 - 15 U 67/23

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

Artikel 82 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) - Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(…)



EuGH: Mitbewerber können DSGVO-Verstöße abmahnen - Art. 9 DSGVO gilt auch für Kundendaten bei Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Online-Apoheke

EuGH
Urteil vom 04.10.2024
C-21/23


Der BGH hat entschieden, dass Mitbewerber DSGVO-Verstöße abmahnen können. Ferner hat der EuGH entschieden, dass Art. 9 DSGVO auch für Kundendaten bei Bestellung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel in einer Online-Apoheke gilt.

Tenor der Entscheidung:
1. Die Bestimmungen des Kapitels VIII der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die – neben den Eingriffsbefugnissen der zur Überwachung und Durchsetzung dieser Verordnung zuständigen Aufsichtsbehörden und den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Personen – Mitbewerbern des mutmaßlichen Verletzers von Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten die Befugnis einräumt, wegen Verstößen gegen die DSGVO gegen den Verletzer im Wege einer Klage vor den Zivilgerichten unter dem Gesichtspunkt des Verbots der Vornahme unlauterer Geschäftspraktiken vorzugehen.

2. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr sowie Art. 9 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 sind dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem der Betreiber einer Apotheke über eine Onlineplattform apothekenpflichtige Arzneimittel vertreibt, Daten, die seine Kunden bei der Onlinebestellung dieser Arzneimittel eingeben müssen (wie z. B. Name, Lieferadresse und für die Individualisierung der Arzneimittel notwendige Informationen), Gesundheitsdaten im Sinne dieser Bestimmungen darstellen, auch wenn der Verkauf dieser Arzneimittel keiner ärztlichen Verschreibung bedarf.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Verbandsklagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden bei DSGVO-Verstößen - hier: Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO

EuGH
Urteil vom 11.07.2024
C‑757/22
Meta Platforms Ireland Ltd, vormals Facebook Ireland Ltd
gegen
Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V
.

Der EuGH hat die Verbandsklagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden bei DSGVO-Verstößen abermals bejaht und seine Rechtsprechung weiter präzisiert. Vorliegend ging es um Verstöße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e DSGVO.

Tenor der Entscheidung:
Art. 80 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

die Voraussetzung, wonach eine befugte Einrichtung, um eine Verbandsklage im Sinne dieser Bestimmung erheben zu können, geltend machen muss, dass ihres Erachtens die in dieser Verordnung vorgesehenen Rechte einer betroffenen Person „infolge einer Verarbeitung“ im Sinne dieser Bestimmung verletzt wurden, erfüllt ist, wenn sich diese Einrichtung darauf beruft, dass die Verletzung der Rechte dieser Person anlässlich einer Verarbeitung personenbezogener Daten geschieht und auf einer Missachtung der Pflicht beruht, die dem Verantwortlichen gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c und e der Verordnung obliegt, der betroffenen Person spätestens bei dieser Datenerhebung Informationen über den Zweck der Datenverarbeitung und die Empfänger der Daten in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache zu übermitteln.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Streitwert von 500.000 EURO für Unterlassungsanspruch bei Anbieten unzulässiger Nachahmungen hochpreisiger Uhren in Online-Shop nicht übersetzt

OLG Frankfurt
Beschluss vom 08.03.2024
6 W 84/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, das ein Streitwert von 500.000 EURO für einen Unterlassungsanspruch, der sich gegen das Anbieten unzulässiger Nachahmungen hochpreisiger Uhren in einem Online-Shop richtet, nicht übersetzt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Streitwertbeschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Streitwert zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen auf 500.000 Euro festgesetzt.

1. Nach § 51 Abs. 2 GKG ist, soweit nichts Anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Festsetzung des Streitwerts kann nicht anhand von Regelstreitwerten erfolgen, weil dies mit den Vorschriften des § 3 ZPO und des § 51 Abs. 2 GKG nicht vereinbar ist, die eine Ermessensausübung des Gerichts vorsehen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 08.11.2022 - I ZR 62/22, juris Rn. 6 mwN). Entscheidend ist bei Unterlassungsanträgen das Interesse des Klägers an der Unterbindung weiterer gleichartiger Verstöße. Dieses wird maßgeblich durch die Art des Verstoßes, insbesondere seine Gefährlichkeit und Schädlichkeit für die Träger der maßgeblichen Interessen, bestimmt (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 15.09.2016 - I ZR 24/16, GRUR 2017, 212 Rn. 8 mwN - Finanzsanierung). Dabei sind unter anderem die Unternehmensverhältnisse des Verletzten und des Verletzers (etwa Art, Größe, Umsatz und Marktbedeutung), die Art, Intensität, Zielrichtung und Dauer der Verletzungshandlung, insbesondere deren Gefährlichkeit für den Wettbewerber oder Verbraucher unter Berücksichtigung der drohenden Schäden sowie der Grad des Verschuldens unter Bewertung auch des nachträglichen Verhaltens zu berücksichtigen (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 30.11.2021 - 6 W 89/21, juris Rn. 8 mwN).

Ist die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten als der nach § 51 Abs. 2 GKG ermittelte Streitwert, ist der Streitwert angemessen zu mindern (§ 51 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Der sich aus § 51 Abs. 2 und 3 GKG ergebende Wert ist im Eilverfahren in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen.

2. Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass für eine Herabsetzung des Streitwerts keine Grundlage besteht.

a) Das Landgericht hat den Streitwert gemäß § 51 Abs. 2 und 4 GKG ermessensfehlerfrei und zutreffend auf 500.000 Euro festgesetzt.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats kommt der Streitwertangabe des Klägers zu Beginn des Verfahrens erhebliche indizielle Bedeutung für den Wert des von diesem verfolgten Interesses zu. Da der Kläger bei Einreichung der Klage- bzw. Antragsschrift noch nicht sicher wissen kann, ob sein Antrag Erfolg haben wird, ist er von sich aus gehalten, sein wirtschaftliches Interesse an der Verfolgung des Wettbewerbsverstoßes realistisch einzuschätzen. Eine Abweichung von der Streitwertangabe kommt daher im Regelfall nur in Betracht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass diese Angabe erheblich über- oder untersetzt ist. Dies gilt insbesondere im Anwendungsbereich von § 51 Abs. 2 GKG, da nach dieser Norm auf die sich aus dem Antrag des Klägers für diesen ergebende Bedeutung abzustellen ist (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.12.2022 - 6 W 77/22, WRP 2023, 358 Rn. 4 mwN - Penthouse in Erstbezug).

bb) Vorliegend besteht kein Anlass, von der Streitwertangabe der Antragstellerin im Eilantrag abzuweichen, zumal nach den zutreffenden Rechtsausführungen des Landgerichts nicht erkennbar ist, dass es sich dabei nicht um den bereits gemäß § 51 Abs. 4 GKG ermäßigten Wert des Eilverfahrens handelte.

Der Angriffsfaktor ist hoch.

Die Antragstellerin hat sich auf eine Nachahmung durch vermeidbare (unmittelbare, jedenfalls aber mittelbare) Herkunftstäuschung sowie auf eine Rufausbeutung gestützt. Sie hat substantiiert dargetan und mit eidesstattlichen Versicherungen unterlegt, dass sie zwischen 2018 und 2023 in Deutschland mit den „IWC Pilot’s Chronographen“ knapp 27 Millionen Euro umgesetzt und gut 3,5 Millionen Euro in Werbung investiert habe. Die von ihr hergestellten Uhren sind mit Verkaufspreisen mit zwischen 6.800 Euro und 13.700 Euro dem Luxussegment zuzuordnen. Nach Vortrag der Antragstellerin handelt es sich um eine der erfolgreichsten Uhrenmarken der Welt; die „IWC Pilotenuhren“ gehörten im Jahr 2019 zu den 10 beliebtesten Luxusuhren. Der Umstand, dass die Antragstellerin im Jahr 2022 von dem Uhrenmodell W377714 nur 191 Stück in Deutschland verkauft hat, reduziert den Angriffsfaktor entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht. Damit hat die Antragstellerin nach eigener Angabe 602.197 Euro Umsatz erwirtschaftet.

Die Antragsgegnerin bot das streitgegenständliche Uhrenmodell in verschiedenen Farben unter Hinweis auf ein „hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis“ für 1.200 Euro an (vgl. S. 2 ff., 12 des Eilantrags, GA 4 ff., 12). Dabei war (u.a.) das Logo mit dem Schweizer Wappen und dem Wortbestandteil „swiss made“ geeignet, auf eine besondere Qualität der Uhr hinzuweisen. Diese ist nach ihrer Behauptung nicht schlechter als der Chronograph der Antragstellerin, zumal er über das gleiche, für die Qualität einer Uhr maßgebliche Uhrwerk verfügt.

Soweit die Antragsgegnerin behauptet hat, „FESTINA“ sei in Deutschland mit 57 % dreimal so bekannt wie „IWC“ mit einem Anteil von 17,4 %, mag dies zwar zutreffen. Letzteres gilt auch, soweit sie geltend gemacht hat, die „FESTINA“-Uhren zeichneten sich durch ein außergewöhnliches Preis-Leistungsverhältnis und einen guten After-Sales-Service aus, zwischen dem Jahr 2000 und Ende 2022 seien rund 6 Millionen Uhren unter dieser Marke in Deutschland verkauft und rund 382 Millionen Umsatz damit erwirtschaftet worden. „FESTINA“ verkaufe unter dieser Marke 100.000 Uhren pro Jahr (teils auch schon 300.000). Auch ergreife „FESTINA“ Werbe- und Sponsoring-Maßnahmen und gebe allein für Erstere in Deutschland hohe sechs- bis siebenstellige Beträge pro Jahr aus. Allerdings erhöht dies - ebenso wie der große Preisunterschied zwischen den sich gegenüberstehenden Uhren - den für den Streitwert maßgeblichen Angriffsfaktor eher. Je attraktiver das Angebot der beanstandeten Nachahmung ist, desto mehr kann es die Wettbewerbsinteressen der Antragstellerin beeinträchtigen.

b) Nach zutreffender Auffassung des Landgerichts kommt eine Streitwertherabsetzung nach § 51 Abs. 3 GKG nicht in Betracht.

aa) Die Antragsgegnerin macht zu Recht nicht geltend, dass vom Auffangstreitwert von 1.000 Euro auszugehen sei (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 GKG; zu letzterer Norm, vgl. BT-Drucks. 19/12084 S. 40).

bb) Es besteht auch kein Anlass, den Streitwert nach § 51 Abs. 3 Satz 1 GKG angemessen zu mindern. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Bedeutung der Sache für die Antragsgegnerin erheblich geringer zu bewerten wäre als der vom Landgericht auf 500.000 Euro festgesetzte Streitwert.

Dafür besteht auch kein Anhaltspunkt. Bereits ausgehend von den unstreitig jedenfalls durch die Antragsgegnerin in Deutschland verkauften 95 Uhren des streitgegenständlichen Modells hat diese einen Bruttoumsatz von 114.000 Euro erzielt (95 x 1.200 Euro).

Der Umstand, dass das Landgericht Stadt1 den Streitwert im Hauptsacheverfahren mit umgekehrtem Rubrum entsprechend der Angabe der Antragsgegnerin vorläufig auf 100.000 Euro festgesetzt hat, führt entgegen deren Ansicht nicht dazu, dass vorliegend nur von einem Wert von 50.000 Euro auszugehen wäre. Wie oben dargetan wurde, kommt es im Streitfall maßgeblich auf den Wert des von der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung verfolgten Interesses an.

c) Für einen rechtsmissbräuchlich überhöhten Streitwert besteht kein Anhaltspunkt.

Zwar hat die Antragstellerin wegen desselben Uhrenmodells auch andere (jedenfalls indirekt mit der Antragsgegnerin verbundene) Vertriebsunternehmen abgemahnt und/oder im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen. Schon angesichts der unterschiedlichen Daten besteht aber kein Hinweis darauf, dass die gesonderten gerichtlichen Inanspruchnahmen allein im Kosteninteressen der Antragstellerin (aus einem überhöhten Streitwert) erfolgt wären.

d) Die Vorschrift des § 15 Abs. 2 RVG ist allenfalls im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aber bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen (vgl. insofern z.B. BGH, Beschluss vom 22.01.2019 - VI ZR 402/17, GRUR 2019, 763 Rn. 24 - Ermittlungen gegen Schauspielerin; Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 403/17, juris Rn. 24; Beschluss vom 15.05.2014 - I ZB 71/13, GRUR 2014, 1239 Rn. 15-18 - Deus Ex).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Köln: Verfolgung unterschiedlicher Streitgegenstände in separaten Klageverfahren begründet keinen Rechtsmissbrauch gemäß § 8c UWG

LG Köln
Urteil vom 13.12.2023
84 O 132/23


Das LG Köln hat entschieden, dass die Verfolgung unterschiedlicher Streitgegenstände in separaten Klageverfahren begründet keinen Rechtsmissbrauch gemäß § 8c UWG

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Kläger handelt bei der Geltendmachung seiner Ansprüche nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8c UWG.

1) Ein derartiger Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv des Verfahrens erscheint (vgl. BGH GRUR 2000, 1089, 1090 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik; BGH GRUR 2015, 694 Tz. 16 – Bezugsquellen für Bachblüten; OLG Köln, Urteil vom 21.08.2015 – 6 U 41/15 – S. 6; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Auflage 2022, § 8c Rn.11).

Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände, wobei vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses und anderer Verstöße abzustellen ist. Wenn nach dieser Prüfung der Schluss gerechtfertigt ist, dass der klagende Gläubiger neben dem Interesse an einer Untersagung des Wettbewerbsverstoßes die Absicht verfolgt, durch die Rechtsverfolgung vorwiegend Gebühren zu erzielen und/oder den Schuldner beispielsweise durch eine – der Sache nach unnötige – Belastung mit Kosten und Gebühren zu schädigen und ihn dadurch im Wettbewerb zu behindern, ist sein Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu bewerten (BGHZ 144, 165 = GRUR 2000, 1089, 1091 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung). Dabei setzt die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht voraus, dass die Rechtsverfolgung ohne jedes wettbewerbsrechtliche Interesse betrieben wird. Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten wettbewerbsrechtlicher Absichten hinter die vom Gesetzgeber missbilligte Ziele ist nicht zu verlangen (BGH, GRUR 2001, 82 – Neu in Bielefeld I; GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik).

Neben dem im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen stellt sich die Rechtsverfolgung auch dann als missbräuchlich dar, wenn sie maßgeblich von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern (KG, GRUR-RR 2010, 22, 23 – JACKPOT!; OLG Saarbrücken, GRUR-RR 2011, 20 – Behinderungsabsicht; vgl. auch BGH, GRUR 2006, 243 Tz. 19 – MEGA SALE). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es dem Anspruchsberechtigten zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend darum geht, den Verletzer mit möglichst hohen Prozesskosten und Risiken zu belasten und seine personellen und finanziellen Kräfte zu binden (BGH, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld) oder wenn durch das Vorgehen in erster Linie ein Druckmittel z.B. im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen geschaffen werden soll (OLG Hamm, Urt. v. 8. 11. 2012 – 4 U 86/12 – juris Tz. 27 f.; Fritzsche, MünchKomm-UWG, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 471).

Darüber hinaus stellt das novellierte UWG mit dem neu gefassten § 8c UWG in dessen Abs. 2 Nrn. 1–7 nunmehr typische, für einen Rechtsmissbrauch sprechende tatsächliche und rechtliche Umstände/Indizien auf, die von dem Anspruchsberechtigten zu widerlegen sind. Sodann ist zu prüfen, ob der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nach einer Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände zutrifft oder von dem Anspruchsberechtigten entkräftet ist.

2) Unter Berücksichtigung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände stellt sich das Verhalten des Klägers nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

Der Umstand, dass der Kläger die Abmahnung der Beklagten vom 27.07.2023 zum Anlass genommen hat, seinerseits den Internetauftritt der Beklagten zu überprüfen und sodann zwei Gegenabmahnungen ausgesprochen hat (sog. Retourkutsche), ist für sich genommen nicht zu beanstanden (BGH WRP, 2021, 746 Rn. 44 – Berechtigte Gegenabmahnung).

Mit den beiden Abmahnungen hat der Kläger entgegen dem Vortrag der Beklagten auch Nichts gefordert, was nicht zulässigerweise gefordert werden kann. In der Abmahnung vom 07.09.2023 begehrt der Kläger die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nur hinsichtlich des angegriffenen Aspektes der unlauteren Behinderung/Irreführung zu Tenor A. I. 1., nicht aber hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen gesetzliche Informationspflichten. Die Abmahnkosten werden ebenfalls nur hinsichtlich des Aspektes der unlauteren Behinderung/Irreführung zu Tenor A. I. 1. geltend gemacht, nicht aber hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen gesetzliche Informationspflichten. Mit der Abmahnung vom 02.08.2023 wird lediglich die Abgabe einer einfachen (nicht strafbewehrten) Unterlassungserklärung begehrt. Auch werden keine Abmahnkosten geltend gemacht, da ein Verstoß gegen gesetzliche Informationspflichten Gegenstand der Abmahnung war.

Das weitere Schreiben des Klägers vom 02.08.2023 (Anlage B 2 Akte 84 O 132/23), mit dem der Kläger einen außergerichtlichen Lösungsvorschlag unterbreitet hat, vermag den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht zu begründen. Der BGH hat hierzu in seinem o.g. Urteil in Rn. 45 ausgeführt:

„Gegen den Schluss auf ein im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF (§ 8c Abs. 1 und 2 UWG) missbräuchliches Verhalten des Klägers spricht schließlich dessen in dem Schreiben vom 21. Januar 2015 gemachter Vorschlag, die Parteien sollten die wechselseitig gerügten Verstöße einstellen und bei von ihnen in der Zukunft festgestellten Verstößen versuchen, diese ohne kostenauslösende Abmahnungen abzustellen. Dieser Vorschlag zielte als pragmatische Lösung darauf ab, künftig ein beiderseits wettbewerbskonformes Verhalten zu erreichen, ohne dass die Parteien dabei darauf verzichteten, Ansprüche im Falle des Nichtzustandekommens einer Einigung doch noch gerichtlich geltend zu machen.“

Der Umstand, dass der Kläger zwei getrennte Prozesse gegen die Beklagte angestrengt hat, vermag den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht zu begründen. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass der Kläger seine Klage zu 31 O 234/23 (jetzt 84 O 165/23, verbunden mit 84 O 132/23) – hätte erweitern können statt zum Sachverhalt, der Gegenstand des Rechtsstreits 84 O 132/23 ist, eine neue Klage zu erheben. Dies fällt jedoch zum einen nicht unter § 8c Abs. 2 Nr. 7 UWG, da hier mehrere Zuwiderhandlungen im Raum stehen. Zum anderen ist es nicht zu beanstanden, in jedem Fall aber nicht rechtsmissbräuchlich, unterschiedliche Streitgegenstände in separaten Klageverfahren zu verfolgen.

Da keiner der o.g. Umstände für sich genommen rechtsmissbräuchlich ist, vermag auch eine Gesamtschau aller o.g. Umstände den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht zu begründen.

3) Dem (bestrittenen) Vortrag der Beklagten, der Kläger habe Dritte dazu angestiftet, von der Beklagten genutzte U.-Angebote abzuändern, war nicht nachzugehen.

Würde dieser Vortrag zutreffen, wäre dies selbstverständlich rechtsmissbräuchlich.

Die Beklagte hat ihren Vortrag aber nicht in zulässiger Weise unter Beweis gestellt. Zeugenbeweis, z.B. durch Benennung des Zeugen M., hat die Beklagte nicht angetreten, sondern lediglich Parteivernehmung ihres Geschäftsführers. Da die Beklagte für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs beweispflichtig ist, könnte der Geschäftsführer der Beklagten gemäß § 447 ZPO nur mit Einverständnis des Klägers als Partei vernommen werden. Eine Vernehmung vom Amts wegen nach § 448 ZPO kommt nicht in Betracht, da vorliegend kein „nicht ausreichendes Beweisergebnis“ im Raum steht. Darüber hinaus wäre es der Beklagten ja möglich gewesen, den Zeugen M. auch entgegen dessen Willen als Zeugen zu benennen. Insoweit mag § 448 ZPO nicht über den fehlenden, aber möglichen, Beweisantritt hinweg zu helfen.


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BGH: Rechtsmissbrauch liegt nicht allein dann schon vor wenn Vielfachabmahner trotz ausgebliebener Unterlassungserklärungen viele Fälle nicht gerichtlich weiterverfolgt

BGH
Urteil vom 07.03.2024 - I ZR 83/23
Vielfachabmahner II
BGB § 242


Der BGH hat entschieden, dass Rechtsmissbrauch nicht allein deshalb angenommen werden kann, wenn ein Vielfachabmahner trotz ausgebliebener Unterlassungserklärungen viele Fälle nicht gerichtlich weiterverfolgt.

Leitsätze des BGH:
a) Der Geltendmachung einer Vertragsstrafe wegen Verstoßes gegen die Unterlassungspflicht aus einem aufgrund einer missbräuchlichen Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertag kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2019 - I ZR 6/17, GRUR 2019, 638 [juris Rn. 33 f.] = WRP 2019, 727 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung).

b) Die Frage, ob die Geltendmachung der auf einer Unterlassungsvereinbarung beruhenden Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wobei die Umstände, die im Rahmen des § 8c Abs. 1 UWG nF (§ 8 Abs. 4 UWG aF) einen Rechtsmissbrauch begründen, auch im Rahmen der Prüfung des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB herangezogen werden können (vgl. BGH, GRUR 2019, 638 [juris Rn. 17 f. und 33 f.] - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung).

c) Von einem rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhalten ist auszugehen, wenn sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs überwiegend von sachfremden Gesichtspunkten leiten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 111/22, GRUR 2023, 585 [juris Rn. 40] = WRP 2023, 576 - Mitgliederstruktur, mwN). Ohne Hinzutreten weiterer Indizien kann dies regelmäßig nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Gläubiger die geltend gemachten Unterlassungsansprüche in einer Vielzahl von Fällen trotz ausgebliebener Unterwerfungserklärungen der Schuldner nicht gerichtlich weiterverfolgt hat.

BGH, Urteil vom 7. März 2024 - I ZR 83/23 - OLG Hamm - LG Essen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Paderborn: Widerspruch gegen weitere Zusendung von Werbung per E-Mail muss vom Versender sofort umgesetzt werden

LG Paderborn
Urteil vom 12.03.2024
2 O 35/23


Das LG Paderborn hat entschieden, dass ein Widerspruch gegen die weitere Zusendung von Werbung per E-Mail vom Versender sofort umgesetzt werden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
Letztlich kann aber dahinstehen, ob die Beklagte einen hinreichenden Werbehinweis gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 UWG erteilt hat, da das anwaltliche Schreiben vom 14.09.2023 jedenfalls als Widerspruch im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 UWG gegen (weitere) Werbe-E-Mails zu verstehen war.

Die Verwendung der Adresse für die eigene Direktwerbung des Unternehmers ist ausgeschlossen, wenn der Kunde ihrer Verwendung zu Werbezwecken widersprochen hat. Der Widerspruch gegen die Verwendung der elektronischen Postadresse zum Zwecke der Übersendung von Werbung nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 UWG ist formlos möglich und setzt nicht voraus, dass der Kunde selbst bestimmte Einstellungen im “Kundenverwaltungssystem” des Unternehmens tätigt.

Hat der Beworbene einer Werbung mittels elektronischer Post wirksam iSd § 7 Abs. 3 Nr. 3 widersprochen, so ergibt sich die Unzulässigkeit der Werbung, weil dem Unternehmer der entgegenstehende Wille des Beworbenen dann erkennbar ist.

Soweit sich die Beklagte hiernach gem. Art. 12 Abs. 3 DSGVO eine Bearbeitungsdauer von bis zu einem Monat ausbedingen will, kann sie damit nicht durchdringen.

Art. 21 Abs. 3 DSGVO stellt klar, dass nach Widerspruch gegen die Verarbeitung zu Zwecken der Direktwerbung, die Daten für diese Zwecke nicht mehr verarbeitet werden dürfen. Art. 12 Abs. 3 DSGVO sieht hingegen lediglich eine Bearbeitungsdauer von bis zu einem Monat für die Bereitstellung von Informationen vor; nicht für die Umsetzung des Widerspruchs. Ein datenschutzrechtliches Informationsrecht nimmt die Klägerin aber nicht für sich in Anspruch.

Der Verwender ist gehalten, den Widerspruch umgehend zu respektieren, d.h., dass die Umsetzung unverzüglich zu erfolgen hat. Diesem Maßstab hat die Beklagte nicht genügt. Nach dem Werbewiderspruch vom 14.09.2023 hat die Beklagte noch 5 (weitere) Werbe-E-Mails an die Klägerin versandt.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass eine bereits angelaufene Werbeaktion nicht mehr gestoppt werden könne. Wenn durch die Betätigung des Abmeldelinks die Zusendung weiterer Werbe-E-Mails verhindert werden kann, dann muss dieses für die Beklagte nach Eingang des Widerspruchs erst Recht – unverzüglich - möglich sein. Die durch die Beklagte zu Rate gezogene Orientierungshilfe der DSK zur Umsetzungsfrist des Werbewiderspruchs nach Art. 21 Abs. 3 DSGVO bezieht sich unzweifelhaft auf postalische Werbung. Ein

Bearbeitungszeitraum hinsichtlich des Werbewiderspruchs in Bezug auf E-Mail-Werbung kann daraus nicht abgeleitet werden.

Der entscheidende Referenzrahmen für die Beklagte war nicht, dass diese nach Betätigung des Abmeldelinks durch die Klägerin am 26.09.2023, den Stopp weiterer Werbe-E-Mails bis zum 04.10.2023 umsetzte, sondern inwieweit die Beklagte auf den Widerspruch vom 14.09.2023 tätig geworden ist. Die Umsetzung des Werbewiderspruchs vom 14.09.2023 war auf vor dem Hintergrund der selbst skizierten Anforderungen der Beklagten unzureichend. Insbesondere die Zusendung von insgesamt drei (weiteren) Werbe-E-Mails nach Betätigung des Abmeldelinks ist mit einer zügigen Umsetzung des Werbewiderspruchs nicht in Einklang zu bringen.

Da die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 UWG nicht vorliegen und die Klägerin der Zusendung (weiterer) Werbe-E-Mails widersprochen hat, war im Unterlassungstenor auch keine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass Bestandskundenwerbung grds. erlaubt ist.

Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch das festgestellte rechtsverletzende Verhalten der Beklagten indiziert. (vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2017, Az. VI ZR 721/15). Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung hat die Beklagte nach den Feststellungen der Kammer abgelehnt.

Die Klägerin kann auch die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten iHv 652,60 € von der Beklagten verlangen.

Der Verletzte, der seinen Unterlassungsanspruch auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 2

BGB stützt, hat einen Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten, wenn die Abmahnung begründet war. Lässt sich der Verletzte bei der Abmahnung anwaltlich vertreten, so hat der Verletze die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu tragen, wenn die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig war. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Abmahnung eines Verstoßes gegen einen deliktsrechtlichen Tatbestand ist nur dann nicht notwendig, wenn der Abmahnende selbst über eine hinreichende eigene Sachkunde zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung eines unschwer zu erkennenden Verstoßes verfügt (vgl. BGH, Urt. v. 12.09. 2013 – I ZR 208/12 = GRUR 2013, 1259).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Lizenzschaden bei urheberrechtswidriger Nutzung hochwertiger Fotografien im Internet kann auf Grundlage der MFM-Richtlinien berechnet werden

LG Hamburg
Urteil vom 15.02.2024
310 O 221/23

Das LG Hamburg hat entschieden, dass der Lizenzschaden bei urheberrechtswidriger Nutzung hochwertiger Fotografien im Internet auf Grundlage der MFM-Richtlinien berechnet werden kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Beklagte hat die fünf streitgegenständlichen Fotos durch Einstellung auf ihrer Internetseite ohne die erforderliche Zustimmung des Klägers als deren Urheber i.S.d. § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht und i.S.d. § 16 UrhG vervielfältigt. Eine Zustimmung zu einer solchen Nutzung durch die Beklagte hat der Kläger insbesondere nicht im Rahmen der Nutzungseinräumung gegenüber der B. S. GmbH erklärt.

Der Umfang der der B. S. GmbH an den in deren Auftrag erstellten Fotografien eingeräumten Nutzungsrechte ergibt sich bei verständiger Würdigung allein aus den auf der Vorderseite der hierüber erstellten Rechnung (Anlage B1) aufgeführten Positionen, während die Ausführungen auf der Rückseite dieser Rechnung lediglich die vom Kläger grundsätzlich angebotenen Nutzungspakete näher definieren, ohne diese unabhängig vom konkret vereinbarten Leistungsumfang dem jeweiligen Kunden einzuräumen. Damit beschränkten sich die von der B. S. GmbH erworbenen Nutzungsrechte auf die „Basis-Bildnutzungsrechte“ ‒ in den Erläuterungen auf der Rückseite der Rechnung definiert als einfaches, nicht-exklusives Bildnutzungsrecht zur zeitlich und räumlich uneingeschränkten Verwendung durch den Auftraggeber selbst ‒ sowie „erweiterte Bildnutzungsrechte für Presse & PR“ ‒ in den Erläuterungen auf der Rückseite der Rechnung definiert als Recht zur Weitergabe der Aufnahmen an beliebige Presse- und PR-Medien. Ein Recht zur Weitergabe der Bilder an Projektpartner hat die B. S. GmbH hingegen nicht erworben.

Bei der Beklagten handelt es sich unstreitig nicht um ein Presse- oder PR-Unternehmen. Allein der Umstand, dass sie die Bilder zu eigenen PR-Zwecken genutzt hat, genügt dafür ersichtlich nicht.

2. Die Beklagte schuldet dem Kläger für die streitgegenständlichen Verletzungshandlungen ein fiktives Lizenzhonorar in Höhe von 9.150,- € nebst Zinsen sowie Erstattung der für die ausgesprochene vorgerichtliche Abmahnung sowie die Dokumentation des Verstoßes angefallenen Kosten.

a) Der Anspruch auf Zahlung eines fiktiven Lizenzhonorars in der geltend gemachten Höhe ergibt sich aus § 97 Abs. 2 UrhG und § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB i.V.m. § 102a UrhG.

aa) Der Anspruch auf Zahlung eines fiktiven Lizenzhonorars bei unberechtigter Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks ergibt sich verschuldensunabhängig bereits unter dem Gesichtspunkt der Eingriffskondiktion, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB i.V.m. § 102a UrhG. Darüber hinaus ist der Beklagten aber auch ein Verschuldensvorwurf i.S.d. § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG zu machen. Es entspricht der verkehrsüblichen Sorgfaltspflicht bei Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken, dass man die Berechtigung zur Nutzung eines Werks prüft und sich darüber Gewissheit verschafft (BGH, Urt. v. 18.03.1960, Az. I ZR 75/58 – Eisrevue II, Rn. 41 f. (juris)). Dass die Beklagte ihre Berechtigung zur Nutzung der streitgegenständlichen Fotografien in diesem Sinne geprüft habe, trägt sich selber bereits nicht vor. Sie beruft sich vielmehr allein darauf, dass sie seitens der B. S. GmbH im Rahmen der Weitergabe der Bilder nicht explizit auf die Urheberschaft des Klägers hingewiesen worden sei. Dies genügt zur Wahrung der insoweit anzuwendenden Sorgfaltsanforderungen ersichtlich nicht.

bb) Der klägerseits geltend gemachte Lizenzschaden in Höhe von 915,- € pro Bild zuzüglich eines 100 %igen Zuschlags für die unterlassene Urheberbenennung ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist dieser Berechnung – auch nach gerade zu diesem Zweck erteiltem Hinweis (vgl. Bl. 32 a.E.) – nicht entgegen getreten. Im Übrigen hat der Kläger durch Vorlage entsprechender Rechnungen (Anlagen K6-K11) auch belegt, die von der MFM empfohlenen Honorare (Anlage K12) tatsächlich am Markt für seine Fotografien durchsetzen zu können. Diese weisen bereits für eine dreijährige Nutzung auf einer Homepage unter Urhebernennung ein Honorar von 915,- € aus. Die entsprechende Honorarhöhe erscheint dabei im Hinblick auf die unstreitige professionelle Qualität der streitgegenständlichen Bilder auch für diese durchaus angemessen. Für die unterlassene Urheberbenennung rechtfertigt sich schließlich ein 100 %iger Zuschlag auf das üblicherweise zu zahlende Honorar (BGH, Urt. v. 15.01.2015, Az. I ZR 148/13 – Motorradteile, Rn. 36 ff. (juris)).

cc) Das fiktive Lizenzhonorar ist seit Nutzungsbeginn mit neun Prozentpunkten über Basiszins zu verzinsen. Nach den im Rahmen der Schadensbemessung anzuwendenden Grundsätzen der Lizenzanalogie muss sich der Verletzer so behandeln lassen, als habe er eine vertragliche Lizenz zu angemessenen Bedingungen am Klageschutzrecht erworben. Träfe daher den vertraglichen Lizenznehmer bei verspäteter Lizenzzahlung eine gesetzlich oder vertraglich begründete Verzinsungspflicht, so muss diese Zinspflicht auch für den Verletzer gelten (BGH, Urt. v. 24.11.1981, Az. X ZR 36/80 – Fersenabstützvorrichtung, Rn. 49 (juris)). Der Kläger hat vorliegend unter Vorlage seiner AGB schlüssig dargelegt, bei Lizenzierung seiner Fotos eine Fälligkeit des Lizenzhonorars mit Überlassung der lizenzierten Fotografie zu vereinbaren. Die Beklagte wäre damit bei Nichtzahlung ohne Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB in Verzug geraten. Da es sich insoweit um eine Entgeltforderung gehandelt hätte, beläuft sich die Zinshöhe nach § 288 Abs. 2 BGB auf neun Prozentpunkte über Basiszins.

b) Der Anspruch auf Erstattung der für die (berechtigterweise) ausgesprochene Abmahnung angefallenen Kosten ergibt sich in der geltend gemachten Höhe aus § 97a Abs. 3 UrhG.

Der insoweit angesetzte Gegenstandswert von 10.000- € pro Bild für den Unterlassungsanspruch erscheint angemessen. Der Bundesgerichtshof hat bei einer gewerblichen Nutzung eines einfachen Fotos ohne kompositorische Inszenierung, wie es ohne Weiteres im Wege eines Schnappschusses hätte erstellt werden können, im Wege des öffentlich Zugänglichmachens i.S.v. § 19a UrhG einen Unterlassungswert in Höhe von 6.000,- € in der Hauptsache nicht beanstandet (BGH, Urt. v. 13.09.2018, Az. I ZR 187/17 – Sportwagenfoto). Die streitgegenständlichen Fotografien heben sich von einem bloßen Schnappschuss insbesondere durch eine sorgfältige Ausschnittwahl und präzise Ausleuchtung deutlich erkennbar als hochprofessionelle Aufnahmen ab.

Auch der Ansatz einer 1,5-fachen Gebühr ist nicht zu beanstanden. Zum einen erscheint der Ansatz einer 1,5-fachen Gebühr im Hinblick darauf, dass es sich beim Urheberrecht um eine Spezialmaterie handelt, durchaus angemessen. Zum anderen ist die Unbilligkeit nach § 14 Abs. 1 S. 3 RVG im gerichtlichen Verfahren nur auf Rüge zu prüfen (BGH, Urt. v. 17.09.2015, Az. IX ZR 280/14, Rn. 26 (juris)); eine solche Rüge wurde beklagtenseits nicht erhoben.

Soweit die vorgerichtlich angefallenen Kosten auf die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche entfallen, erfolgt eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach Ziff. 3100 VV-RVG. Insoweit ist, wie beantragt, eine gesonderte Tenorierung veranlasst.

Der Anspruch auf Verzinsung des entsprechenden Betrags ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB. Die Beklagte ist mit Ablauf der mit Schreiben vom 08.11.2022 gesetzten Zahlungsfrist in Verzug geraten.

c) Schließlich besteht nach § 97 Abs. 2 UrhG auch der geltend gemacht Anspruch auf Erstattung von Dokumentationskosten der Firma R. in Höhe von 110,- €. Der Kläger durfte die Einschaltung eines Unternehmens zur professionellen Dokumentation des erfolgten Verstoßes als zur Rechtsverfolgung sachdienlich erachten. Einwendungen werden beklagtenseits insoweit auch nicht erhoben.


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