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LG Köln: Unterlassungsanspruch gegen Deutsche Telekom wegen Datenweitergabe an Google durch Nutzung von Google Analytics ohne ausreichende Einwilligung

LG Köln
Urteil vom 23.03.2023
33 O 376/22


Das LG Köln hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch gegen die Deutsche Telekom wegen der Datenweitergabe an Google durch Nutzung von Google Analytics ohne ausreichende Einwilligung besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Beklagte hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der bezeichneten Datenübermittlung in die USA nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 11 UKlaG iVm §§ 8, 3 Abs. 1, 3a UWG iVm Art. 44 ff. DSGVO.

Die klägerseits vorgetragene Übermittlung von IP-Adressen sowie Browser- und Geräteinformationen an Google LLC als Betreiberin von Google Analyse- und Marketingdiensten mit Sitz in den USA ist als unstreitig zu behandeln und ist nicht von den Rechtfertigungstatbeständen der DSGVO gedeckt.

a. Die Übermittlung von IP-Adressen an die Google LLC in den USA gilt nach § 138 Abs. 2, 3 ZPO als zugestanden. Der Kläger hat substantiiert zu der Übermittlung vorgetragen. Das darauffolgende Bestreiten der Beklagten im Schriftsatz vom 02.02.2023 ist hingegen nicht hinreichend substantiiert. Vielmehr erschöpft es sich trotz des Aufgreifens einzelner Punkte im Ergebnis in einem pauschalen Bestreiten bzw. Anzweifeln.

Die Substantiierungslast des Bestreitenden hängt davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat. Je detaillierter das Vorbringen des Darlegungsbelasteten ist, desto höher sind die Substantiierungsanforderungen gem. § 138 Abs. 2 ZPO. Substantiiertes Vorbringen kann danach grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden. Vorausgesetzt ist dabei, dass der bestreitenden Partei substantiierter Gegenvortrag möglich und zumutbar ist, wovon in der Regel auszugehen ist, wenn die behaupteten Tatsachen in ihrem Wahrnehmungsbereich gelegen haben (BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 138 Rn. 18; BGH NJW-RR 2019, 1332 Rn. 23 mwN).

So liegt der Fall hier. Die Übertragung und Verarbeitung von Daten liegt im Wahrnehmungs- und Organisationsbereich der Beklagten. Der Beklagten wäre es daher möglich gewesen, substantiiert dazu vorzutragen, unter welchen Voraussetzungen welche Daten an die Google LLC übertragen werden und wo diese verarbeitet werden. Daher genügt es insbesondere nicht, lediglich in Zweifel zu ziehen, ob der Standort der IP-Adresse „142.250.185.228“ in den USA befindlich ist oder ob der Sitz des Unternehmens unabhängig von dem Standort des Servers der IP-Adresse ist. Ebenso wenig genügt es, den Aussagegehalt der Registrierung der IP-Adresse und der Anlagen K11 und K12 in Frage zu stellen.

b. Die übermittelten IP-Adressen stellen sowohl für die Beklagte als auch Google LLC als Verantwortliche der Datenübermittlung personenbezogene Daten dar.

Dynamische IP-Adressen stellen dann personenbezogene Daten dar, wenn dem Verantwortlichen rechtliche Mittel zur Verfügung stehen, die er vernünftigerweise einsetzen könnte, um mit Hilfe Dritter (zB der zuständigen Behörde und des Internetanbieters) die betroffene Person anhand der gespeicherten IP-Adresse bestimmen zu lassen (BGH ZD 2017, 424 = MMR 2017, 605).

Dies ist sowohl hinsichtlich der Beklagten als auch hinsichtlich Google LLC der Fall. Beiden stehen die rechtlichen Mittel zur Verfügung, über Zusatzinformationen von der IP-Adresse einen Rückschluss auf die natürliche Person zu ziehen.

Als Telekommunikationsanbieterin und Websitebetreiberin kann die Beklagte, soweit es sich bei den Besuchern um ihre Kunden handelt, ohne großen Aufwand InternetNutzer identifizieren, denen sie eine IP-Adresse zugewiesen hat, da sie in der Regel in Dateien systematisch Datum, Zeitpunkt, Dauer und die dem Internet-Nutzer zugeteilte dynamische IP-Adresse zusammenführen kann. In Kombination können die eingehenden Informationen dazu benutzt werden, um Profile der natürlichen Personen zu erstellen und sie (sogar ohne Heranziehung Dritter) zu identifizieren (vgl. BeckOK DatenschutzR/Schild DS-GVO Art. 4 Rn. 20).

Gleiches gilt für Google LLC, die als Anbieterin von Online-Mediendiensten ebenso über die Mittel verfügt Personenprofile zu erstellen und diese auszuwerten. Dabei kann gerade die IP-Adresse als personenspezifisches Merkmal dienen (vgl. LG München I, Urteil vom 20.1.2022 – 3 O 17493/20) und etwa in der Kombination mit der Nutzung anderer Onlinedienste zur Identifizierung herangezogen werden (Feldmann, in: Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Auflage 2019, Kapitel 4. Datenschutzkonformer Einsatz von Suchmaschinen im Unternehmen, Rn. 12).

Ob an die Dienste Heap und Xandr ebenfalls Daten in das Ausland übermittelt worden sind, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

c. In den USA ist kein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet (vgl. EuGH Urt. v. 16.7.2020 – C-311/18 – Facebook Ireland u. Schrems, im Folgenden: Schrems II).

Der EuGH hat ausgesprochen, dass der EU-US Angemessenheitsbeschluss („Privacy Shield“) – ohne Aufrechterhaltung seiner Wirkung – ungültig ist. Die gegenständliche Datenübermittlung findet daher keine Deckung in Art. 45 DSGVO.

d. Auch etwaige Standarddatenschutzklauseln vermögen die Datenübermittlung in die USA nicht zu rechtfertigen, da sie nicht geeignet sind ein der DSGVO entsprechendes Datenschutzniveau zu gewährleisten, insbesondere da solche Verträge nicht vor einem behördlichen Zugriff in den USA schützen.

Die Beklagte trägt vor, dass sie Standarddatenschutzklauseln in der bis zum 27.12.2022 gültigen Version mit ihren Dienstleistern und diese wiederum mit ihren Sub-Dienstleistern abgeschlossen hatte. Obschon der Kläger dies bestreitet, würde der Vortrag der Beklagten selbst bei Wahrunterstellung nicht genügen, um eine Rechtfertigung der Datenübermittlung zu begründen.

In Schrems II hat der EuGH zwar ausgeführt, dass Standarddatenschutzklauseln als Instrument für den Internationalen Datenverkehr dem Grunde nach nicht zu beanstanden sind, allerdings hat der EuGH auch darauf hingewiesen, dass Standarddatenschutzklauseln ihrer Natur nach ein Vertrag sind und demnach Behörden aus einem Drittstaat nicht binden können:

„Demnach gibt es zwar Situationen, in denen der Empfänger einer solchen Übermittlung in Anbetracht der Rechtslage und der Praxis im betreffenden Drittland den erforderlichen Datenschutz allein auf der Grundlage der Standarddatenschutzklauseln garantieren kann, aber auch Situationen, in denen die in diesen Klauseln enthaltenen Regelungen möglicherweise kein ausreichendes Mittel darstellen, um in der Praxis den effektiven Schutz der in das betreffende Drittland übermittelten personenbezogenen Daten zu gewährleisten. So verhält es sich etwa, wenn das Recht dieses Drittlands dessen Behörden Eingriffe in die Rechte der betroffenen Personen bezüglich dieser Daten erlaubt.“ (Schrems II, Rn. 126).

Der EuGH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der EU-US Angemessenheitsbeschluss aufgrund des einschlägigen Rechts der USA und der Durchführung von behördlichen Überwachungsprogrammen kein angemessenes Schutzniveau für natürliche Personen gewährleistet (Schrems II, Rn. 180 ff).

Wenn sogar der EU-US Angemessenheitsbeschluss aufgrund der Rechtslage in den USA für ungültig erklärt wurde, so kann erst recht nicht davon ausgegangen werden, dass vertragliche Bindungen zwischen privaten Rechtssubjekten ein angemessenes Schutzniveau nach Art. 44 DSGVO für die gegenständliche Datenübermittlung in die USA gewährleisten können. Denn diese können schon ihrer Natur nach ausländische Behörden nicht in ihrer Handlungsmacht beschränken.

Dies entspricht auch der Wertung des EuGH:

„Da diese Standarddatenschutzklauseln ihrer Natur nach keine Garantien bieten können, die über die vertragliche Verpflichtung, für die Einhaltung des unionsrechtlich verlangten Schutzniveaus zu sorgen, hinausgehen, kann es je nach der in einem bestimmten Drittland gegebenen Lage erforderlich sein, dass der Verantwortliche zusätzliche Maßnahmen ergreift, um die Einhaltung dieses Schutzniveaus zu gewährleisten.“ (Schrems II, Rn. 133).

Zu solchen – nach den „Empfehlungen 01/2020 zu Maßnahmen zur Ergänzung von Übermittlungstools zur Gewährleistung des unionsrechtlichen Schutzniveaus für personenbezogene Daten“ der EDSA wohl vertraglichen, technischen oder organisatorischen Maßnahmen – hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Solche Maßnahmen müssten geeignet sein, die im Rahmen des Schrems II Urteils des EuGH aufgezeigten Rechtsschutzlücken – also die Zugriffs- und Überwachungsmöglichkeiten von US-Nachrichtendiensten – zu schließen. Dies ist hier nicht gegeben.

e. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Einwilligung iSd Art. 49 Abs. 1 lit. a) DSGVO berufen.

Eine „ausdrückliche Einwilligung“ iSd Art. 49 Abs. 1 lit. a) DSGVO auf hinreichender Informationserteilung u.a. über den Empfänger der Informationen wurde schon nicht dargelegt.

Nach Art. 4 Nr. 11 DSGVO ist eine Einwilligung eine unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in der Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung. Für die nach Art. 49 Abs. 1 lit. a) DSGVO erforderliche Einwilligung ist es schon dem Wortlaut nach darüber hinaus erforderlich, dass die Erklärung „ausdrücklich“ abgegeben wird. Angesichts dieser unterschiedlichen Wortwahl sind an die Einwilligung zu Übermittlungen in Drittländer höhere Anforderungen als an sonstige Einwilligungen zu stellen. Insbesondere setzt Art. 49 Abs. 1 lit. a DSGVO schon dem Wortlaut nach eine besondere Informiertheit voraus.

Der Einwilligende muss u.a. darüber informiert worden sein, an welche Drittländer und an welche Empfänger seine Daten übermittelt werden (BeckOK DatenschutzR/Lange/Filip DS-GVO Art. 49 Rn. 7; Klein/Pieper in: Schwartmann/Jaspers/Thüsing/Kugelmann, DS-GVO/BDSG, Artikel 49 Ausnahmen für bestimmte Fälle Rn. 6).

Hier sind die Website-Besucher aber keineswegs über eine Datenübermittlung an Google LLC unterrichtet worden. In den ehemaligen Datenschutzhinweisen wurde lediglich über eine Übermittlung von Daten an Xandr und Heap informiert worden, was ersichtlich nicht den Empfänger Google LLC erfasst.

Dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Datenübertragung an Google LLC am 03.01.2023 geänderte Datenschutzhinweise verwendet hat, die den o.g. Anforderungen genügen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es ist aber gemäß Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 DSGVO an der Beklagten die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung darzulegen und zu beweisen (vgl. BeckOK DatenschutzR/Stemmer DS-GVO Art. 7 Rn. 89-91.1; Diekmann, in: Koreng/Lachenmann, Formularhandbuch Datenschutzrecht, 3. Auflage 2021, 4. Einwilligung der betroffenen Personen, Anm. 1.-12.). Dies ist für den relevanten Zeitpunkt am 03.01.2023 nicht erfolgt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VG Hannover: Ununterbrochene Erhebung von Leistungsdaten der Beschäftigten durch Amazon im Fulfilment Center Winsen kein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen

VG Hannover
Urteil vom 09.02.2023
10 A 6199/20


Das VG Hannover hat entschieden, dass die ununterbrochene Erhebung von Leistungsdaten der Beschäftigten durch Amazon im Fulfilment Center Winsen keinen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen darstellt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Datenerhebung bei Amazon in Winsen ist rechtmäßig

10. KAMMER HAT DER KLAGE VON AMAZON STATTGEGEBEN: DAS PERSÖNLICHKEITSRECHT DER BESCHÄFTIGTEN ÜBERWIEGT HIER NICHT DIE UNTERNEHMERISCHEN INTERESSEN VON AMAZON

Die Klägerin darf weiterhin Handscanner einsetzen, mithilfe derer bestimmte Arbeitsschritte innerhalb der jeweiligen Prozesspfade von Warenein- bis Warenausgang erfasst werden:

Die Klägerin betreibt in Winsen (Luhe) ein Logistikzentrum zur Auslieferung von Waren aus dem Onlineversandhandel von Amazon (sogenanntes „Fulfillment Center“). In bestimmten Arbeitsbereichen benutzen die Beschäftigten Handscanner, mittels derer bestimmte Arbeitsschritte erfasst werden. Die Daten werden mit einer Softwareanwendung ausgewertet und dienen in erster Linie der Steuerung logistischer Prozesse. Daneben werden mit den Daten auch Bewertungsgrundlagen für Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Feedback und Personalentscheidungen gelegt.

Wegen dieser Vorgehensweise leitete die Beklagte ein datenschutzrechtliches Kontrollverfahren gegen die Klägerin ein mit dem Ergebnis, dass sie der Klägerin mit Bescheid von Oktober 2020 untersagte, aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten ihrer Beschäftigten ununterbrochen zu erheben und diese zur Erstellung von Quantitätsleistungs- und Qualitätsleistungsprofilen sowie für Feedbackgespräche und Prozessanalysen zu nutzen. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die ununterbrochene Erhebung der entsprechenden Leistungsdaten der Beschäftigten rechtswidrig sei und gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoße.

Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Klage. Zur Begründung trug sie unter anderem vor, sie verstoße nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Vielmehr habe sie ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung und Datenverarbeitung. So würden aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte bei der Steuerung der Logistikprozesse kurzfristig dazu benötigt, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen reagieren zu können. Anhand der aktuellen Leistungswerte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könne sie erkennen, ob Mitarbeitende an einem bestimmten Tag besonders schnell oder besonders langsam arbeiteten und hierauf durch Umverteilung reagieren. Mittelfristig würden zurückliegende individuelle Leistungswerte benötigt, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden zuverlässig erfassen und bei der flexiblen Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Zudem ermögliche diese Vorgehensweise die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.

Das Gericht hat am 9. Februar 2023 in öffentlicher Sitzung im Amazon Logistikzentrum verhandelt und im Rahmen der Verhandlung das Fulfillment-Center besichtigt. Es hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben.

Das Gericht sieht in der ununterbrochenen Erhebung von Leistungsdaten der Beschäftigten keinen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. In Deutschland gebe es (noch) kein Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes, sodass sich der Beschäftigtendatenschutz weiterhin nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz richte. Danach dürften personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigtenverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Durchführung des Beschäftigtenverhältnisses oder die Beendigung erforderlich sei.

Das Gericht ist der Auffassung, dass die Datenverarbeitung für alle drei Zwecke – Steuerung der Logistikprozesse, Steuerung der Qualifizierung und Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen – erforderlich ist. Hinsichtlich der Optimierung der Logistikprozesse leuchte der Kammer ohne weiteres ein, dass die Klägerin die verarbeiteten Daten dazu nutzen kann, um auf Schwankungen in einzelnen Prozesspfaden durch Verschiebungen von Beschäftigten ad hoc zu reagieren und so den reibungsfreien Ablauf aller Prozesse innerhalb des Fulfillment Centers, das auf die Auslieferung der Ware zu einem genau definierten Zeitpunkt (Cut-Off-Zeitpunkt) ausgerichtet ist, zu garantieren. Auch könne die Klägerin individualisierte Qualifizierungsbedarfe der Beschäftigten schnell detektieren und auf diese reagieren. Schließlich verschafften die erhobenen Daten eine breite und objektive Grundlage für Feedback und Personal- und Beförderungsentscheidungen.

Nach Auffassung des Gerichts steht der durch die Überwachung der Beschäftigten bedingte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Beschäftigten nicht außer Verhältnis zu den schützenswerten Interessen der Klägerin, so dass der Eingriff auch angemessen sei:

Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnisse und nach der Befragung der Zeugen – der früheren Betriebsratsvorsitzenden und des jetzigen Betriebsratsvorsitzenden – in der mündlichen Verhandlung geht nach Auffassung des Gerichts eine Abwägung der gegenläufigen Interessen hier zu Gunsten der Klägerin aus. Das Gericht hat dabei unter anderem berücksichtigt, dass keine heimliche Datenerhebung erfolgt, die Beschäftigten die Datenerhebung vielmehr vorhersehen können und wissen, dass die Klägerin die Daten für die logistischen Prozesse benötigt. Zudem finde keine Verhaltenskontrolle statt, die Kommunikation und physische Bewegungen würden nicht erfasst, vielmehr finde „nur“ eine Leistungskontrolle statt. Die Privatsphäre sei nicht betroffen. Außerdem sei der Hauptzweck der Datenerhebung nicht die Überwachung und Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung der Logistikabläufe. Schließlich werde die Möglichkeit objektiven Feedbacks und fairer Personalentscheidungen von vielen Beschäftigten als positive Wirkung der Überwachung gewertet; dies hätten auch die Zeugen bestätigt, die deutlich gemacht hätten, dass die Überwachung kein besonderes Thema im Betrieb sei.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat demnach die Möglichkeit Berufung gegen das Urteil vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg binnen eines Monats nach Vorliegen der vollständigen Entscheidungsgründe einzulegen.

Urteil vom 9. Februar 2023

Az.: 10 A 6199/20



BVerfG: Die Regelungen zur Bestandsdatenauskunft in § 113 TKG und Parallelvorschriften sind verfassungswidrig

BVerfG
Beschluss vom 27.05.2020
1 BvR 1873/13
1 BvR 2618/13
Bestandsdatenauskunft II

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Regelungen zur Bestandsdatenauskunft in § 113 TKG und den Parallelvorschriften in anderen Gesetzen verfassungswidrig sind.

Leitsätze:

1. Der Gesetzgeber muss bei der Einrichtung eines Auskunftsverfahrens auf Grundlage jeweils eigener Kompetenzen für sich genommen verhältnismäßige Rechtsgrundlagen sowohl für die Übermittlung als auch für den Abruf der Daten schaffen.

Übermittlungs- und Abrufregelungen für Bestandsdaten von Telekommunikationsdiensteanbietern müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, mithin die Datenverwendung an bestimmte Zwecke, tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz binden.

2. Schon dem Gesetzgeber der Übermittlungsregelung obliegt die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung. Eine Begrenzung der Verwendungszwecke erst zusammen mit der Abrufregelung kommt nur in Betracht, wenn die Übermittlungsregelung Materien betrifft, die allein im Kompetenzbereich des Bundes liegen und die Regelungen eine in ihrem Zusammenwirken normenklare und abschließende Zweckbestimmung der Datenverwendung enthalten.

3. Die Befugnis zum Datenabruf muss nicht nur für sich genommen verhältnismäßig sein, sondern ist – auch aus Gründen der Normenklarheit – zudem an die in der Übermittlungsregelung begrenzten Verwendungszwecke gebunden. Dabei steht es dem Gesetzgeber der Abrufregelung frei, den Abruf der Daten an weitergehende Anforderungen zu binden.

4. Trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts bedürfen die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts.

Die Zuordnung dynamischer IP-Adressen muss im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von hervorgehobenem Gewicht dienen. Es bedarf ferner einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen.

Als Eingriffsschwelle kann im Bereich der Gefahrenabwehr und der nachrichtendienstlichen Tätigkeit das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr ausreichen, soweit es um den Schutz von Rechtsgütern oder die Verhütung von Straftaten von zumindest erheblichem Gewicht (allgemeine Bestandsdatenauskunft) oder besonderem Gewicht (Zuordnung dynamischer IP-Adressen) geht.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Eilantrag gegen Nutzung von Daten gesetzlich Krankenversicherter in pseudonymisierter oder anonymisierter Form für digitale Innovationen und medizinischen Forschung abgewiesen

BVerfG
Beschluss vom 19.03.2020
1 BvQ 1/20


Das BVerfG hat bei offenen Erfolgsaussichten in einem etwaigen Hauptsacheverfahren einen Eilantrag gegen die Nutzung von Daten gesetzlich Krankenversicherter in pseudonymisierter oder anonymisierter Form für digitale Innovationen und medizinischen Forschung abgelehnt.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Eilantrag gegen Auswertung von Krankenversicherungsdaten bei offenen Erfolgsaussichten abgelehnt

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats einen Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung des Vollzugs neu in das SGB V eingefügter Vorschriften abgelehnt, die die Nutzung von Daten gesetzlich Krankenversicherter in pseudonymisierter oder anonymisierter Form im Hinblick auf digitale Innovationen und für weitere Zwecke, unter anderem zur medizinischen Forschung, ermöglichen. Das Verfahren wirft schwierige verfassungsrechtliche Fragen auf, über die im Eilverfahren inhaltlich nicht entschieden werden kann. Die Kammer hatte deshalb aufgrund summarischer Prüfung im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden und den für die Prüfung der vorläufigen Außerkraftsetzung eines Gesetzes geltenden strengen Maßstab anzuwenden. Die Nachteile, die sich aus einer vorläufigen Anwendung der Vorschriften ergeben, wenn sich das Gesetz im Nachhinein als verfassungswidrig erwiese, sind nach Ansicht der Kammer zwar von erheblichem Gewicht. Sie überwiegen aber nicht deutlich die Nachteile, die entstünden, wenn die Vorschriften außer Kraft träten, sich das Gesetz aber später als verfassungsgemäß erwiese.

Sachverhalt:

§ 68a Abs. 5 SGB V ermächtigt die gesetzlichen Krankenkassen dazu, versichertenbezogene Daten pseudonymisiert oder, sofern möglich, auch anonymisiert auszuwerten, um den Bedarf nach und mögliche Versorgungseffekte von digitalen Innovationen im Gesundheitsbereich zu evaluieren. Die §§ 303a ff. SGB V sollen die Nutzbarkeit bestimmter Gesundheitsdaten unter anderem für Forschungszwecke verbessern. Sie etablieren zu diesem Zweck ein Datentransparenzverfahren, in dem personenbezogene Daten der gesetzlich Versicherten wie Alter, Geschlecht oder Wohnort sowie bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Datensammelstelle übermittelt und von diesem anschließend an ein noch einzurichtendes Forschungsdatenzentrum weitergegeben werden. Dieser Vorgang wird von einem Pseudonymisierungsverfahren begleitet, wobei die Pseudonyme kassenübergreifend eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden. Das Forschungsdatenzentrum stellt den Nutzungsberechtigten auf Antrag die Datensätze grundsätzlich aggregiert und anonymisiert, gegebenenfalls aber auch pseudonymisiert oder in kleinen Fallzahlen zur Verfügung. Die Nutzungsberechtigten dürfen diese Daten unter anderem für die medizinische Forschung sowie für Planung, Analyse und Evaluation der Gesundheitsversorgung, aber auch zur Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse und für Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung nutzen. Das Gesetz sieht verschiedene Mechanismen zur Einhaltung des Datenschutzes seitens der Nutzungsberechtigten vor. Der gesetzlich versicherte Antragsteller leidet an einer seltenen Erbkrankheit und befürchtet, trotz Pseudo- oder Anonymisierung aus den Datensätzen reidentifiziert werden zu können. Weiter bringt er Bedenken bezüglich der IT-Sicherheit der Daten der gesetzlich Versicherten vor.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

I. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, wenn - wie hier - die Erfolgsaussichten offen erscheinen. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach derzeitigem Stand weder offensichtlich unzulässig noch unbegründet, da aufgrund des sensiblen Charakters vieler erfasster Daten und deren flächendeckender Erhebung tiefe Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht verbunden sein können, deren Rechtfertigung durch die vom Gesetzgeber verfolgten Gemeinwohlziele nur unter näherer Prüfung der Ausgestaltung im Einzelnen möglich ist. Dass sich hier offene Fragen stellen, ergibt sich schon aus den im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Bedenken der angehörten Sachverständigen wie auch seitens der Gesetzgebungsorgane. Ob diese durchgreifen, bedarf einer vertieften Betrachtung, die erst im Hauptsacheverfahren geleistet werden kann. Im Rahmen der daher gebotenen Folgenabwägung muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. Wird die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt, ist bei der Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Das Bundesverfassungsgericht darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines in Kraft getretenen Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, da der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung stets ein erheblicher Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist. Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten Außervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben. Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind, um das Aussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen.

II. Ausgehend von diesen Maßstäben scheidet eine Aussetzung des Vollzugs der verfahrensgegenständlichen Vorschriften aus.

Ergeht eine einstweilige Anordnung nicht, hätte die noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde aber Erfolg, so würden die Daten des Antragstellers sowie aller weiteren gesetzlich Versicherten in Deutschland zu Unrecht für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke genutzt. Darin liegt vor allem in Anbetracht des teils sensiblen und in hohem Maße persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten und der flächendeckenden Erhebung ein erheblicher Grundrechtseingriff. Ein persönlichkeitsrechtlich relevanter Nachteil tritt aber nicht unmittelbar durch den Vollzug der angegriffenen Vorschriften, sondern erst dann ein, wenn trotz Pseudonymisierung oder Anonymisierung durch die datenverarbeitenden Stellen ein Personenbezug zu bestimmten Versicherten hergestellt wird, was das Gesetz durch verschiedene Vorkehrungen gerade verhindern will. Auch ein vom Antragsteller befürchteter missbräuchlicher Zugriff Dritter auf diese Daten kann nicht mit hinreichender Sicherheit als unmittelbar bevorstehend angenommen werden. Im Hinblick auf zu Unrecht erhobene und gespeicherte Daten könnten gegenüber den Nutzungsberechtigten zudem Löschungsanordnungen ergehen, sodass der eingetretene Nachteil nicht irreversibel wäre.

Wird die begehrte einstweilige Anordnung hingegen erlassen, während einer künftigen Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren der Erfolg zu versagen wäre, hätte dies zur Folge, dass im Falle des § 68a Abs. 5 SGB V die Auswertung durch die Krankenkassen und im Falle der §§ 303a ff. SGB V die Übermittlung der genannten Daten an die Datensammelstelle vollständig unterblieben. Die Auswertung der ohnehin bereits bei den Krankenkassen vorhandenen Daten nach § 68a Abs. 5 SGB V wäre zwar grundsätzlich nachholbar, aber die vom Gesetzgeber bezweckte empirische Grundlage für eine Evaluation hinsichtlich digitaler Anwendungen stünde zeitlich erst später bereit, womit auch die Evaluation selbst erschwert würde. Im Falle der §§ 303a ff. SGB V stünden die zu übermittelnden Daten für die nutzungsberechtigten Akteure hingegen überhaupt nicht zentral abrufbar zur Verfügung, sodass sie nicht für wichtige gemeinwohlrelevante Belange wie für die medizinische Forschung genutzt werden könnten.

Angesichts dessen überwiegen die dem Antragsteller bei Nichtergehen einer einstweiligen Anordnung drohenden Nachteile nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit gegenüber den Nachteilen, die bei Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung trotz späterer Erfolglosigkeit einer noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde einzutreten drohen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:





BGH: Kurze Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung kann zulässig sein

BGH
Urteil vom 26.11.2019 - VI ZR 20/19
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass die kurze Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung zulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Zur kurzen Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung.

b) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

BGH, Urteil vom 26. November 2019 - VI ZR 20/19 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben kann ohne Zustimmung des Verfassers zulässig sein

BGH
Urteil vom 26.11.2019
VI ZR 12/19
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben ohne Zustimmung des Verfassers zulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Bestimmungsrecht des Autors über die Veröffentlichung eines von ihm verfassten Schreibens.

b) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

c) Zu dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (hier: Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben).

BGH, Urteil vom 26. November 2019 - VI ZR 12/19 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Dresden: Verwendung von Google-Analytics ohne anonymizeIP ist Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - Unterlassungsanspruch gegen Websitebetreiber

LG Dresden
Urteil vom 11.01.2019
1a O 1582/18


Das LG Dresden hat entschieden, dass die die Verwendung von Google-Analytics ohne anonymizeIP eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Betroffene haben - so das Gericht - gegen den Website-Betreiber einen Unterlassungsanspruch sowie die üblichen Nebenansprüche (Auskunft, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten).

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Unterlassungsanspruch beruht auf §§ 823 Abs. 1 i. V. m. 1004 BGB analog.

I. Die unerlaubte Weitergabe personenbezogener Daten des Klägers durch die Beklagte an Google Inc. stellt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nach § 823 Abs. 1 BGB dar.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht leitet sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ab und stellt ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar; auch der Datenbestand einer Person stellt ein solches sonstiges Recht dar (vgl. Palandt/Sprau,BGB, 77. Auflage 2018, § 823 Rn. 19).

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers – im speziellen das informationelle Selbstbestimmungsrecht – wurde verletzt, als die Beklagte die Daten des Klägers an Google Inc. weitergab.

II. Der Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB umfasst das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner personalen Identität. Damit kann der Inhaber des Rechts Angriffe abwehren; es währt ihm aber auch die aktive Handlungs- und Entschließungsfreiheit, die ihm das Recht gibt, selbstbestimmt zu handeln und sich frei zu entfalten (vgl. dazu Palandt/Sprau, aao. § 823 Rn. 86, 115).

Der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts umfasst auch Daten, die gegenüber Dritten erkennbar einer Person zugeordnet sind. Dabei geht es um die Erhebung der Daten und um die Frage, ob und inwieweit diese Daten gespeichert werden.

III. IP-Adressen stellen personenbezogene Daten i. S. d. § 12 Abs. 1 und Abs. 2 TMGLV m. § 3 Abs. 1 BDSG dar, wenn diese von einem Anbieter von Online-Mediendiensten beim Zugriff auf Internetseiten gespeichert werden (BGH NJW 2017, 2416, zitiert nach juris, dort Rn. 18 ff.).

IV. Die Beklagte verletzt auch das Recht des Klägers: Die Beklagte griff auch zum Nachteil des Klägers in die geschützte Sphäre des Klägers ein: Die Beklagte hat hier die IP-Adresse des Klägers an die Google Inc. weitergeleitet, ohne diese Adresse zu anonymisieren, als der Kläger die Webseite des Beklagten aufsuchte. Denn die Beklagte nutzte den sogenannten Tracking-Dienst Google Analytics, ohne dabei gleichzeitig den Quellcode-Zusatz „anonymisiert“ zu verwenden. Dieser Quellcode-Zusatz hätte es ermöglicht, die IP-Adressen zu anonymisieren.

V. Die Übermittlung der IP-Adresse des Klägers an Google Inc. war unzulässig, da die Verletzungshandlung rechtswidrig war. Denn die Weitergabe der IP-Adresse ist nach dem Datenschutzrecht ein unzulässiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers.




BVerfG: Baden-württembergische und hessische Regelungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle teilweise verfassungswidrig

BVerfG
Beschluss vom 18.12.2018
1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10


Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Baden-württembergische und hessische Regelungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle in Teilen verfassungswidrig

Die polizeirechtlichen Vorschriften zur Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle in Baden-Württemberg und Hessen sind teilweise verfassungswidrig. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss unter Zugrundelegung der Maßstäbe aus dem Beschluss vom selben Tag (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 8/2019) entschieden.

Beide Länder können ihre Regelungen der Kennzeichenkontrollen im Wesentlichen auf ihre Gesetzgebungszuständigkeit für die Gefahrenabwehr stützen. Soweit Baden-Württemberg jedoch automatisierte Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen und Kontrollbereichen erlaubt, die zur Fahndung nach Straftätern und damit zur Strafverfolgung eingerichtet werden, fehlt es dem Land für die Regelungen schon zur Einrichtung dieser Kontrollstellen und Kontrollbereiche selbst an der Gesetzgebungskompetenz. Dementsprechend ist auch die hieran anknüpfende Kennzeichenkontrolle formell verfassungswidrig. Aus formellen Gründen sind auch die hessischen Regelungen zur automatisierten Kennzeichenkontrolle an polizeilichen Kontrollstellen, die zur Verhütung versammlungsrechtlicher Straftaten eingerichtet sind, sowie wiederum auch die Regelung zur Einrichtung dieser Kontrollstellen selbst verfassungswidrig. Als Eingriffe in Art. 8 GG genügen sie nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Regelungen genügen auch nicht in jeder Hinsicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. In beiden Ländern werden Kennzeichenkontrollen nicht umfassend auf den Schutz von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht begrenzt und werden Kennzeichenkontrollen als Mittel der Schleierfahndung ohne eine ausreichend klare grenzbezogene Beschränkung erlaubt. Nicht zu beanstanden sind die Regelungen zum Umfang des Datenabgleichs. Entgegen der Praxis beider Länder sind sie jedoch verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass der Abgleich jeweils auf die Datensätze zu beschränken ist, die für die Erreichung des konkreten Zwecks der Kennzeichenkontrolle geeignet sind.

Der Senat hat die verfassungswidrigen Vorschriften größtenteils übergangsweise für weiter anwendbar erklärt, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2019.

Sachverhalt:

Die Polizei in Baden-Württemberg und Hessen wird mit den angegriffenen Vorschriften dazu ermächtigt, durch den Einsatz von Kennzeichenlesesystemen verdeckt die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen zu erfassen und diese mit zur Fahndung ausgeschriebenen Kennzeichen abzugleichen (vgl. näher Pressemitteilung Nr. 8/2019 vom selben Tag zur entsprechenden Regelung in Bayern). Anders als nach der Verwaltungspraxis in Bayern wird bei Erstellung der Abgleichdatei in Baden-Württemberg und Hessen nicht nach dem Zweck der Kennzeichenkontrolle unterschieden, so dass der zum Abgleich herangezogene Datenbestand, der seine Grundlage insbesondere in den Sachfahndungsdaten des Schengener Informationssystems hat, nicht je nach Zweck der Aufstellung des Kennzeichenlesesystems variiert.

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Regelungen der Kennzeichenkontrolle in den jeweiligen Landespolizeigesetzen selbst (Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Sie seien Halter von Personenkraftwagen, mit denen sie regelmäßig auf den Straßen von Baden-Württemberg und Hessen unterwegs sind, und würden deshalb mit erheblicher Wahrscheinlichkeit unbemerkt in solche Kennzeichenkontrolle geraten. In diesen liege ein Eingriff in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine Rechtfertigung dieser Grundrechtseingriffe scheide aus, da die gesetzlichen Grundlagen der Kennzeichenkontrolle formell verfassungswidrig seien und gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit verstießen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Die Rechtssatzverfassungsbeschwerden sind zulässig, auch wenn die Beschwerdeführer zuvor nicht den fachgerichtlichen Rechtsweg erschöpft haben.

Nach dem Subsidiaritätsgrundsatz sind Beschwerdeführer grundsätzlich dazu verpflichtet, alle Mittel zu ergreifen, die der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abhelfen könnten. Dazu kann bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz auch die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage gehören. Das ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die fachgerichtliche Prüfung für den Beschwerdeführer günstigstenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Entscheidend ist, ob die fachgerichtliche Klärung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage trifft. Die Pflicht zur vorherigen Anrufung der Fachgerichte darf Beschwerdeführer dabei aber nicht vor unabsehbare Risiken hinsichtlich der ihnen zu Gebote stehenden Handlungsmöglichkeiten und der hierbei zu beachtenden Fristen stellen. Es bedarf insoweit einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung.

Grundsätzlich waren die Beschwerdeführer danach verpflichtet, zunächst Unterlassungsklagen gegen die Kennzeichenkontrollen vor den Fachgerichten einzulegen. Dies war ihnen vorliegend jedoch nicht zumutbar, da in der letzten Entscheidung des Ersten Senats zu dem gleichen Thema bei gleicher prozessualer Ausgangslage die Möglichkeit einer Unterlassungsklage noch nicht einmal in Erwägung gezogen wurde. Hinzu kommt, dass inzwischen über den Kern des Beschwerdevorbringens von den Fachgerichten bis hin zum Bundesverwaltungsgericht entschieden wurde und eine Verweisung der Beschwerdeführer auf den Rechtsweg die Entscheidungsgrundlagen für die Beurteilung der Vorschriften heute daher nicht mehr verbreitern könnte.

II. Die Verfassungsbeschwerden sind zudem teilweise begründet.

1. Die Regelungen zur Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle greifen nach den Maßstäben, die der Senat in seinem ebenfalls heute veröffentlichten Beschluss zu entsprechenden Vorschriften des Freistaats Bayerns entwickelt hat, in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 8/2019).

2. Hinsichtlich der Vereinbarkeit der angegriffenen Normen mit den formellen Anforderungen der Verfassung bestehen weithin keine Bedenken. Die Regelungen zur Kennzeichenkontrolle in beiden Ländern sind überwiegend der Gefahrenabwehr zuzuordnen, für welche die Länder die Gesetzgebungskompetenz innehaben.

Aus formellen Gründen nicht mit der Verfassung vereinbar ist jedoch, dass in Baden-Württemberg automatisierte Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen oder Kontrollbereichen zur Fahndung nach Straftätern vorgesehen sind. Hier fehlt dem Land schon für die Bestimmungen, die die Einrichtung solcher Kontrollstellen und -bereiche selbst regeln, die Gesetzgebungskompetenz. Es handelt sich um Regelungen zur Strafverfolgung, für die der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz hat und von der er auch abschließend Gebrauch gemacht hat. Entsprechend ist die Regelung der Kennzeichenkontrolle, die als tatbestandliche Voraussetzung auf diese Regelung verweist, verfassungswidrig. Es fehlt insoweit an einer hinreichend bestimmten und begrenzenden Anknüpfung für die Kennzeichenerfassung.

Formell nicht mit der Verfassung vereinbar sind auch die hessischen Regelungen zu automatisierten Kennzeichenkontrollen, soweit sie zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen zur Verhinderung von versammlungsrechtlichen Straftaten dienen, sowie wiederum auch die Regelung zur Einrichtung solcher Kontrollstellen selbst. Der Gesetzgeber darf solche Kontrollen zwar vorsehen. Weil in ihnen jedoch ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG liegt, muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe dessen Artikels nennen (sogenanntes Zitiergebot, vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Dem genügen die angegriffenen Vorschriften nicht.

3. In materieller Hinsicht sind die angegriffenen Vorschriften mit den aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgenden Anforderungen nicht in jeder Hinsicht vereinbar. Der Senat greift hierfür auf seine Maßstäbe für polizeiliche Kontrollen zurück, die er im ebenfalls heute veröffentlichten Beschluss zu entsprechenden Regelungen in Bayern ausgeführt hat (vgl. dazu Pressemitteilung Nr. 8/2019).

a) Den Regelungen der Kennzeichenkontrolle in Baden-Württemberg und Hessen fehlt es hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzung der allgemeinen Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung an einer Beschränkung auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse.

b) Soweit die Kennzeichenkontrolle als Mittel der Schleierfahndung erlaubt wird, stellen die Regelungen beider Länder nicht sicher, dass derartige Kontrollen nur an Orten mit einem hinreichend klaren Grenzbezug erfolgen dürfen. Indem die Schleierfahndung in Baden-Württemberg allgemein auf Straßen von erheblicher Bedeutung für die grenzüberschreitende Kriminalität im ganzen Land eröffnet wird, ist der Grenzbezug für automatisierte Kennzeichenkontrollen nicht hinreichend bestimmt und begrenzt. Diesen Anforderungen werden auch die hessischen Regelungen nicht gerecht, soweit sie die Schleierfahndung auf allen Straßen im ganzen Land zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität eröffnen.

c) Im Übrigen sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung der Kennzeichenkontrolle in beiden Ländern, die sich wesentlich aus einem Verweis auf die Regelungen zur Identitätsfeststellung ergeben, verfassungsrechtlich weder hinsichtlich der Anforderungen an einen hinreichend bestimmten konkreten Anlass noch hinsichtlich der Anforderungen an einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz zu beanstanden. Dies gilt für die Ermächtigung zur Kontrolle an gefährlichen und gefährdeten Orten, zum Schutz besonders gefährdeter Personen sowie zur Unterstützung polizeilicher Kontrollstellen zur Verhütung besonders schwerer Straftaten, wenn bereits die Einrichtung derartiger Kontrollstellen eine konkrete Gefahr voraussetzt.

d) Einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedürfen allerdings die Regelungen zum Datenabgleich. Sie müssen so verstanden werden, dass sich der Umfang des erlaubten Datenabgleichs jeweils auf diejenigen Fahndungsbestände beschränkt, die für den konkreten Zweck der Kennzeichenkontrolle von Bedeutung sind. Das in den Verfahren zum Ausdruck gekommene gegenläufige Verständnis in der Praxis genügt diesen Anforderungen nicht.

e) Die Vorschriften zur Verwendung der Daten für weitere Zwecke entsprechen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Zweckänderung nicht. Nach dem Kriterium der Datenneuerhebung ist die Verwendung der Informationen nur zulässig, wenn diese auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln neu erhoben werden dürften. Dies stellen weder die baden-württembergischen noch die hessischen Regelungen ausreichend sicher.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BVerfG: Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen nach dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz teilweise verfassungswidrig

BVerfG
Beschluss vom 18.12.2018
1 BvR 142/15



Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen nach dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz in Teilen verfassungswidrig

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle nach dem Bayerischen Polizeiaufgabengesetz als Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Teilen für verfassungswidrig erklärt. In solchen Kontrollen liegen Grundrechtseingriffe gegenüber allen Personen, deren Kraftfahrzeugkennzeichen erfasst und abgeglichen werden, unabhängig davon, ob die Kontrolle zu einem Treffer führt (Änderung der Rechtsprechung). Diese Eingriffe sind nur teilweise gerechtfertigt.

Hinsichtlich der angegriffenen Vorschriften steht dem Freistaat Bayern überwiegend die Gesetzgebungskompetenz zu. Die Regelung von Kennzeichenkontrollen, die als Mittel der Gefahrenabwehr ausgestaltet sind, liegt bei den Ländern, auch wenn sie im Ergebnis zugleich der Strafverfolgung nutzen, für die der Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz hat. Kompetenzwidrig sind die bayerischen Regelungen jedoch, soweit sie Kennzeichenkontrollen unmittelbar zum Grenzschutz erlauben.

Kennzeichenkontrollen bedürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich eines hinreichend gewichtigen Anlasses. Dem genügen die Vorschriften nicht, soweit die Kontrollen nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt sind und als Mittel der Schleierfahndung keinen hinreichend bestimmten Grenzbezug aufweisen. Soweit sie automatisierte Kennzeichenkontrollen zur Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen erlauben, ist das nicht zu beanstanden, weil die Einrichtung solcher Kontrollstellen bei verständiger Auslegung eine konkrete Gefahr und damit selbst einen rechtfertigenden Anlass voraussetzt. Die Vorschriften zum Abgleich der erfassten Kennzeichen müssen verfassungskonform einschränkend so ausgelegt werden, dass jeweils nur die Fahndungsbestände zum Abgleich herangezogen werden dürfen, die zur Abwehr der Gefahr geeignet sind, die Anlass der jeweiligen Kennzeichenkontrolle ist. Im Übrigen fehlt es den Regelungen an einer Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen.

Der Senat hat die verfassungswidrigen Vorschriften größtenteils übergangsweise für weiter anwendbar erklärt, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2019.

Sachverhalt:

In Bayern ist die Polizei dazu ermächtigt, automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen durchzuführen. Dabei wird das Kennzeichen eines vorbeifahrenden Kraftfahrzeugs verdeckt von einem Kennzeichenlesesystem automatisiert erfasst, kurzzeitig gemeinsam mit Angaben zu Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung gespeichert und mit Kennzeichen aus dem Fahndungsbestand abgeglichen. Für den Abgleich wird eine eigene Abgleichdatei erstellt, die nach der bayerischen Praxis nur Kennzeichen enthält, die für den Zweck der jeweiligen Kennzeichenkontrolle zusammengestellt werden. Ergibt der Abgleich des Kennzeichens keinen Treffer, wird der Datensatz mit-samt dem erfassten Kennzeichen unverzüglich und automatisch vom Computer gelöscht (Nichttreffer). Sofern das Kennzeichenlesesystem einen Treffer meldet, überprüft ein Polizeibeamter an einem Computerbildschirm visuell, ob das aufgenommene Bild des Kennzeichens mit dem Kennzeichen aus dem Fahndungsbestand übereinstimmt. Ist dies beispielsweise wegen einer fehlerhaften Ablesung des Kennzeichens nicht der Fall (unechter Treffer), wird der gesamte Vorgang durch den Polizeibeamten manuell gelöscht. Bei einer Übereinstimmung (echter Treffer) werden die Daten gespeichert und gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen eingeleitet.

Der Beschwerdeführer, der seinen Hauptwohnsitz in Bayern und einen weiteren Wohnsitz in Österreich hat, ist Halter eines auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeugs, mit dem er zwischen seinen Wohnsitzen pendelt und auf Bundesautobahnen in Bayern unterwegs ist. Er befürchtete, in die durch das Gesetz ermöglichten Kennzeichenkontrollen zu geraten, und beantragte deshalb beim Verwaltungsgericht, den Freistaat Bayern zu verurteilen, es zu unterlassen, Kennzeichen von seinen Kraftfahrzeugen mit dem Kennzeichenlesesystem zu erfassen und mit den polizeilichen Daten abzugleichen. Mittelbar wendete er sich damit gegen die Normen zur Kennzeichenkontrolle selbst.

Das Verwaltungsgericht und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hielten die Unterlassungsklage für zulässig, aber unbegründet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass im Fall eines Nichttreffers allerdings schon kein Grundrechtseingriff vorliege, da die Daten unverzüglich und automatisiert gelöscht würden. Es bestehe aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem unechten Treffer komme, der einen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht begründe. Dieser Eingriff finde jedoch durch die Vorschriften zur Kennzeichenkontrolle eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision des Beschwerdeführers zurück. Die Klage sei unbegründet. Wie der Nichttreffer sei auch der unechte Treffer nicht als Grundrechtseingriff zu beurteilen. Bei einem unechten Treffer nehme der Polizeibeamte das Kennzeichen nur wahr, um den unvollkommenen Lesemodus des Systems zu korrigieren, indem er vom Kennzeichenlesesystem fehlerhaft als Treffer gemeldete Kennzeichen unverzüglich lösche. Zu einem echten Treffer könne es im Fall des Beschwerdeführers nicht kommen, da sein Kraftfahrzeugkennzeichen in keinem Fahndungsbestand gespeichert sei. Da das Bundesverwaltungsgericht damit einen Eingriff in die Grundrechte des Beschwerdeführers ausschloss, kam es auf die Verfassungsmäßigkeit der mittelbar angegriffenen Vorschriften nicht an und musste es sie in der Sache nicht prüfen.

Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, durch die Entscheidungen in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Die Gerichte hätten den Umfang des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verkannt, indem sie in Fällen des Nichttreffers und des unechten Treffers keinen Grundrechtseingriff angenommen hätten. Ein Grundrechtseingriff liege bereits darin, von einer Kennzeichenkontrolle erfasst zu werden. Die diesbezüglichen Rechtsgrundlagen seien formell verfassungswidrig, da es sich nicht um Regelungen der Gefahrenabwehr, sondern der Strafverfolgung handle, für die der Bund zuständig sei. Ferner verstießen die Rechtsgrundlagen zur Kennzeichenkontrolle gegen die verfassungsrechtlichen Gebote der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

II. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den einzelnen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben. Der Schutzumfang beginnt bereits auf der Stufe der Gefährdung des Persönlichkeitsrechts. Umfasst sind alle personenbezogenen Daten unabhängig davon, ob sie für sich genommen nur einen geringen Informationsgehalt haben, sensibel oder öffentlich zugänglich sind. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin belangloses personenbezogenes Datum.

Grundrechtseingriff

III. Die Kennzeichenkontrolle greift jeweils durch die Erfassung der Kennzeichen, den Abgleich und die darauffolgende Verwendung der Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Ein Eingriff liegt auch im Falle eines unechten Treffers und eines Nichttreffers vor. Soweit dem die Entscheidung des Senats vom 11. März 2008 (BVerfGE 120, 378) entgegensteht, wird daran nicht festgehalten.

Allerdings fehlt es nach der Rechtsprechung des Senats an einer Eingriffsqualität, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert werden. Hieran wird festgehalten. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist.

Dies ist bei einer Kennzeichenkontrolle jedoch gegenüber allen erfassten Personen der Fall. Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungsmaßnahme erst ihren Sinn. Dem steht nicht entgegen, dass den Betroffenen im Nichttrefferfall weder Unannehmlichkeiten noch Konsequenzen erwachsen. Denn das ändert nichts daran, dass die Betroffenen überprüft werden, ob sie behördlich gesucht werden und ihre ungehinderte Weiterfahrt unter den Vorbehalt gestellt wird, dass Erkenntnisse gegen sie nicht vorliegen. Eine solche Maßnahme ist nicht erst hinsichtlich ihrer Folgen, sondern als solche freiheitsbeeinträchtigend. Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein.

Formelle Verfassungsmäßigkeit

IV. In formeller Hinsicht sind die angegriffenen Normen überwiegend mit der Verfassung vereinbar. Da die Regelungen der Gefahrenabwehr zuzuordnen sind, liegt die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern. Insbesondere handelt es sich bei den bayerischen Regelungen zur Kennzeichenkontrolle nicht um Regelungen der Strafverfolgung, für die der Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz hat. Für die Abgrenzung zwischen Regelungen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung kommt es auf eine genaue Bestimmung des Zwecks der Normen an. Die Kennzeichenkontrolle in Bayern ist nur in Fällen erlaubt, in denen eine Identitätsfeststellung zulässig ist und ist dabei auf die Gefahrenabwehr gerichtet. Die Kennzeichenkontrolle dient in Anknüpfung hieran der Abwehr von im Einzelfall auftretenden Gefahren, der Bekämpfung der Herausbildung und Verfestigung gefährlicher Orte, dem Schutz von gefährdeten Orten, der Unterstützung von polizeilichen Kontrollstellen sowie der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität oder der Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts mittels der Schleierfahndung. Darüber hinaus liegt es auch in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, die weitere Nutzung der Daten im Wege der Zweckänderung für andere Zwecke zu regeln. Denn hierin liegt noch keine abschließende Entscheidung, sondern nur eine Öffnung, die weitere gesetzliche Regelungen erfordert.

Dem Freistaat Bayern fehlt allerdings die Gesetzgebungskompetenz, soweit durch einen Verweis auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (BayPAG) die Kennzeichenkontrolle zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze erlaubt ist. Diese Variante der Vorschrift ist eine Frage des Grenzschutzes, für die gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG ausschließlich der Bund die Gesetzgebungskompetenz innehat. Der Einsatz der Kennzeichenkontrollen zur Verhütung oder Unterbindung des unerlaubten Aufenthalts und zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, wie er nach den beiden anderen Varianten des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 BayPAG erlaubt ist, unterliegt keinen kompetenzrechtlichen Bedenken, da es sich um Regelungen der Gefahrenabwehr handelt.

Materielle Verfassungsmäßigkeit

V. Im Hinblick auf die materielle Verfassungsmäßigkeit ergeben sich Maßgaben zur Regelung von Kennzeichenkontrollen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

1. Polizeiliche Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen im öffentlichen Raum setzen danach grundsätzlich einen objektiv bestimmten und begrenzten Anlass voraus. Die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein ist mit dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich unvereinbar. Der Gesetzgeber hat eine Eingriffsschwelle vorzugeben, durch die das staatliche Handeln an vorhersehbare und kontrollierbare Voraussetzungen gebunden wird. Dies können einzelne Gefahren, typisierte Gefahrenlagen oder auch Situationen sein, in denen eine spezifisch gesteigerte Wahrscheinlichkeit besteht, gesuchte Personen oder Sachen aufzufinden. Es muss diesbezüglich aber stets ein auf einer hinreichenden Tatsachenbasis beruhender rechtfertigender Grund vorliegen. Abzugrenzen ist dies von Konstellationen, in denen polizeiliche Kontrollen – anders als hier ‑ an ein gefährliches oder risikobehaftetes Tun anknüpfen wie etwa bei Verkehrskontrollen oder in weiten Bereichen etwa des Umwelt- oder Wirtschaftsverwaltungsrechts. Dort können auch anlasslose Kontrollen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.

2. Kennzeichenkontrollen müssen weiterhin durch einen im Verhältnis zum Grundrechtseingriff hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz gerechtfertigt sein. Angesichts ihres Eingriffsgewichts müssen automatisierte Kennzeichenkontrollen danach dem Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse dienen. Hierzu zählen zunächst Leib, Leben und Freiheit der Person und der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Darüber hinaus kommen aber auch Rechtsgüter wie der Schutz von nicht unerheblichen Sachwerten in Betracht. Der Gesetzgeber kann die Schwelle im einzelnen näher konkretisieren.

3. Schließlich muss sich die gesetzliche Ausgestaltung der Kennzeichenkontrolle in einer Gesamtabwägung als zumutbar im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erweisen. Im Übrigen müssen die Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtsrechtliche Kontrolle erfüllt werden sowie Regelungen zur Datennutzung und -löschung getroffen sein.

VI. Die angegriffenen Vorschriften genügen diesen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht.

1. Soweit das Gesetz die Kennzeichenkontrolle allgemein zur Abwehr einer konkreten Gefahr vorsieht, mangelt es der Regelung an einer Beschränkung auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse.

2. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist – sofern die Vorschriften im Lichte der Verfassung ausgelegt und angewendet werden – die Ermächtigung zu Kennzeichenkontrollen an gefährlichen und gefährdeten Orten.

3. Soweit Kennzeichenkontrollen an polizeilichen Kontrollstellen erlaubt werden, ist das verfassungskonform, weil die gesetzliche Regelung zur Einrichtung der Kontrollstelle ihrerseits bei verständiger Auslegung so zu verstehen ist, dass sie eine konkrete Gefahr voraussetzt. Damit fehlt es nicht an einem hinreichend konkreten Anlass. Dieser Anlass hat auch hinreichendes Gewicht. Kontrollstellen dürfen nach der angegriffenen Bestimmung nur zur Verhinderung schwerer Straftaten oder bestimmter versammlungsrechtlicher Straftaten eingerichtet werden; es handelt sich folglich um den Schutz von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht. Soweit der Zugang zu einer Versammlung kontrolliert wird, greift die Regelung zwar zusätzlich auch in die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG ein; sie genügt aber auch insoweit den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

4. Die automatisierte Kennzeichenkontrolle ist auch als Mittel der Schleierfahndung grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Zwar handelt es sich um eine Befugnis, die allein final durch eine weit gefasste Zwecksetzung definiert ist und mangels näheren Anlasses in dieser Weite grundsätzlich mit verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar ist. Ihre Rechtfertigung ergibt sich hier aber aus den besonderen Bedingungen des Wegfalls der innereuropäischen Grenzkontrollen, für die sie zur Gewährleistung von Sicherheit einen Ausgleich darstellt. Erforderlich ist dafür aber eine hieran orientierte konsequente und klare Begrenzung der Zwecke und Orte solcher Kontrollen. Die angegriffenen Vorschriften genügen diesen Anforderungen nicht vollständig. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Regelung, soweit die Kennzeichenkontrollen in einem Grenzgebiet bis zu einer Tiefe von 30 km oder an öffentlichen Einrichtungen des internationalen Verkehrs durchgeführt werden dürfen. Die Befugnis zu Kontrollen allgemein auf Durchgangsstraßen im ganzen Land ist demgegenüber nicht hinreichend bestimmt und begrenzt und weist nicht den erforderlichen klaren Grenzbezug auf. Für die Beurteilung der Vorschriften als verhältnismäßig fallen überdies die einschränkenden Maßgaben des Unionsrechts ins Gewicht, denen der Gesetzgeber nach dem Stand der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch Rechnung zu tragen hat.

5. Die angegriffenen Vorschriften genügen ferner im Wesentlichen den Maßgaben an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtsrechtliche Kontrolle. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist jedoch, dass das Gesetz keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz der verdeckt erfolgenden automatisierten Kennzeichenkontrollen vorsieht. Eine Dokumentationspflicht befördert die Selbstkontrolle, ermöglicht die Aufsicht durch den Landesdatenschutzbeauftragten und erleichtert die verwaltungsgerichtliche Kontrolle.

6. Für den Kennzeichenabgleich dürfen bei verfassungskonformer Auslegung nicht alle im Gesetz insgesamt zum Abgleich eröffneten Fahndungsbestände herangezogen werden, sondern jeweils nur diejenigen Datensätze, die für den konkreten Zweck der Kennzeichenkontrolle Bedeutung haben können. Bei Zugrundelegung dieser Auslegung sind die angegriffenen Vorschriften zum Datenabgleich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit genügt die durch die angegriffenen Bestimmungen erfolgte abstrakte Umschreibung der zum Abgleich eröffneten Fahndungsbestände verfassungsrechtlichen Anforderungen.

7. Soweit das Gesetz eine Verwendung der Daten für weitere Zwecke als denen, die den Anlass der Kontrolle bildeten, erlaubt und damit insbesondere auch die Verwertung von Zufallserkenntnissen eröffnet, genügt die Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig. Nach verfassungsrechtlichen Maßstäben ist eine Zweckänderung allerdings grundsätzlich zulässig. Die entsprechenden Daten müssten aber neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Ermittlungsmaßnahmen erhoben werden dürfen. Eine weitere Nutzung ist daher nur zulässig, wenn sie dem Schutz von Rechtsgütern dient, die auch die Durchführung einer Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle rechtfertigen könnte. Dies ist bei den bayerischen Regelungen zur weiteren Verwendung der Daten der Kennzeichenkontrolle nicht sichergestellt.

VII. Zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wurden Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen auf Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie auf Art. 38 Abs. 3 BayPAG gestützt. Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 BayPAG und Art. 38 Abs. 3 BayPAG wurden in einem neuen Art. 39 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 bis 3 BayPAG bei geringfügigen redaktionellen Änderungen im Wesentlichen identisch zusammengeführt. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sowohl die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geltenden Normen als auch die Nachfolgeregelungen teilweise für verfassungswidrig erklärt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




AG München: Mutter hat keinen Anspruch gegen Hotel auf Herausgabe der Daten eines Hotelgastes zur Ermittlung des Vaters und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen

AG München
Urteil vom 28.10.16
191 C 521/16


Das AG München hat entschieden, dass eine Mutter keinen Anspruch gegen ein Hotel auf Herausgabe der Daten eines Hotelgastes hat, um die Identität des Vaters zu ermitteln und Unterhaltsansprüche durchzusetzen. Nach der angreifbaren Ansicht des Gerichts geht das Recht des Hotelgastes auf informationelle Selbstbestimmung den Rechten der Mutter vor.

Die Pressemitteilung des AG München:

Väterroulette

Die Klägerin aus Halle mietete in der Zeit vom 04.06.2010 bis 07.06.2010 ein Zimmer in einem Hotel in Halle gemeinsam mit ihrem damaligen männlichen Begleiter mit dem Vornamen Michael. Mit dieser Person nutzte die Klägerin in dem Zeitraum ein Hotelzimmer in der zweiten Etage. Am 14.03.2011 brachte sie den Jungen Joel zur Welt. Ihr Begleiter aus dem Hotel in Halle könnte der Vater des Kindes sein. Die Klägerin möchte von der Hotelleitung Auskunft über die Anschrift und den vollständigen Namen ihres damaligen Begleiters. Sie selbst ist nicht im Besitz von Unterlagen, aus denen sich der vollständige Name ihres Begleiters ergeben könnte. Die Klägerin benötigt die Auskünfte, um Kindesunterhaltsansprüche gegenüber ihrem damaligen Begleiter geltend machen zu können. Sie ist der Meinung, dass ihr gegenüber dem Hotel ein Auskunftsanspruch nach dem Bundesdatenschutzgesetz zusteht.

Das Hotel ist der Ansicht, dass kein Anspruch auf die Weitergabe der persönlichen Daten der Gäste besteht. In dem fraglichen Zeitraum wären insgesamt vier männliche Personen mit dem Vornamen Michael in dem Hotel zu Gast gewesen. Da die Klägerin die genannte Person nicht näher beschreiben könne, sei eine eindeutige Feststellungen der infrage kommenden Personen nicht möglich.

Die Klägerin erhob gegen die Hotelleitung Klage zum Amtsgericht München auf Auskunftserteilung. Die zuständige Richterin wies die Klage ab. Die Klägerin kann nicht die Erteilung der geforderten Auskünfte verlangen.

Das Gericht stellt fest, dass das Recht der betroffenen Männer auf informationelle Selbstbestimmung und auf den eigenen Schutz der Ehe und Familie das Recht der Klägerin auf Schutz der Ehe und Familie und auf den Unterhaltsanspruch überwiegt. Außerdem hätten die betroffenen Männer das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre, das davor schützt, geschlechtliche Beziehungen offenbaren zu müssen. Danach könne jeder selbst darüber befinden, ob und in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Leben gewährt wird. „Dieses Recht ist durch die Preisgabe der Daten betroffen, weil bereits hierdurch die Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung zu der Klägerin als Mutter des Kindes letztlich unwiderlegbar in den Raum gestellt ist, so das Gericht. Für das Gericht steht weiter fest, dass die Gefahr bestehe, dass die Datenübermittlung ins Blaue hinein erfolgen würde. Der Klägerin ist es nicht möglich, weitere Umstände vorzutragen, durch die der unterhaltsverpflichtete Betroffene eingrenzbar wäre. Allein der Vorname, wobei sich die Klägerin nicht sicher ist, ob es sich um den einzigen Vornamen handelt, und die Etagenzahl sind für die erforderliche Eingrenzung nicht ausreichend. Auch ist nicht mit Sicherheit feststellbar, ob es sich bei dem Namen auch tatsächlich um den richtigen Namen des Betroffenen handelt“.


Urteil des Amtsgerichts München vom 28.10.16, Aktenzeichen 191 C 521/16

Das Urteil ist rechtskräftig


OLG Köln: Schmerzensgeldanspruch bei datenschutzwidriger Weitergabe von Gesundheitsdaten - Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung

OLG Köln
Urteil vom 30.09.2016
26 O 251/15


Das OLG Köln hat entschieden, dass bei bei datenschutzwidriger Weitergabe von Gesundheitsdaten, ein Anspruch auf Schmerzensgeld bzw. angemessene Entschädigung wegen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bestehen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Landgericht hat als Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch allein § 7 BDSG geprüft, der – worauf die Beklagte hinweist – keinen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden gewährt (Simitis, Bundesdatenschutzgesetz, 8. Aufl., § 7 Rn. 32). Es kommen daneben aber weitere Anspruchsgrundlagen in Betracht, etwa aus dem bürgerlichrechtlichen Deliktsrecht, wie aus § 823 Abs. 1 BGB, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein sonstiges Recht im Sinne dieser Vorschrift ist, aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes und aus § 826 BGB. Vorliegend kommt vor allem ein Anspruch des Klägers aus einer vertraglichen oder vertragsähnlichen Beziehung mit der Beklagten in Betracht. Insoweit – wie auch bei einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB oder aus § 826 BGB – ist für die Annahme einer Rechts- bzw. Vertragsverletzung unerheblich, ob die Weitergabe des Urteils durch die Beklagte – was diese anzweifelt – unter das Bundesdatenschutzgesetz fällt.

Der durch eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seines PersönIichkeitsrechts Betroffene kann Ersatz des immateriellen Schadens beanspruchen, wenn die Umstände eine solche Genugtuung erfordern (BGH, Urt. v. 19.9.1961 – VI ZR 259/60, BGHZ 35, 363). Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts können auf Grund seines verfassungsrechtlichen Rangs (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) und seiner Ähnlichkeit zum Eingriff in den Körper und die Gesundheit ein Schmerzensgeld begründen (BeckOK BGB/Spindler, Stand 1.5.2016, § 253 Rn. 16 mwN.).

[...]

Die Gesundheitsdaten des Klägers, die der Beklagten durch den geschäftlichen Kontakt der Parteien bekannt geworden waren, durfte sie grundsätzlich nicht an Dritte – und damit auch nicht an die U AG, ihre Konzernmutter und Arbeitgeberin des Klägers, – weitergeben.

Bei den Gesundheitsdaten handelt es sich um besonders sensible Daten, die als eine besondere Art personenbezogener Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 BDSG gesetzlich besonders geschützt sind. Dass sie vom Gesetz als besonders sensibel eingeordnet werden, ergibt sich u.a. aus § 213 VVG, der die Erhebung von Gesundheitsdaten betrifft. Ihre Weitergabe berührt das Persönlichkeitsrecht auf informationelle Selbstbestimmung in besonderem Maße. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die Befugnis des Individuums, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten – hier seiner Gesundheitsdaten – selbst zu bestimmen. Es entfaltet als objektive Norm seinen Rechtsgehalt auch im Privatrecht und strahlt so auf die Auslegung und Anwendung privatrechtlicher Vorschriften aus. Verkennt ein Gericht, das eine privatrechtliche Streitigkeit entscheidet, in grundsätzlicher Weise den Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, verletzt es durch sein Urteil das Grundrecht des Bürgers in seiner Funktion als Schutznorm (BVerfG, Beschl. v. 17.7.2013 – 1 BvR 3167/08, NJW 2013, 3086 mwN.)."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Berlin: Bei der Videoüberwachung durch einen Nachbarn können Unterlassungsansprüche und Ansprüche auf Schadensersatz bzw Schmerzensgeld bestehen

LG Berlin
Urteil vom 18.10.2016
35 O 200/14


Das LG Berlin hat entschieden, dass bei der Videoüberwachung durch einen Nachbarn Unterlassungsansprüche und Ansprüche auf Schadensersatz bzw Schmerzensgeld bestehen können. Im entschiedenen Fall lehnte das Gericht diese jedoch ab, da die Videoüberwachung bzw. dass diese objektiv ernsthaft zu befürchten war, nicht nachgewiesen werden konnte.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Unterlassung der Videoüberwachung, Zahlung eines Schmerzensgeldes oder Leistung von Schadensersatz aus §§ 823, 1004 BGB.

Zwar verletzt eine Überwachung mittels einer Kamera grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung; dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wenn und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und selbst über die Preisgabe und Verwendung öffentlicher Daten zu bestimmen (BVerfGE 65, 1; BGH NJW 2010, 1533). Deshalb besteht ein Unterlassungsanspruch des Betroffenen aus § 1004 BGB analog. Dieser Anspruch setzt allerdings voraus, dass tatsächlich eine Überwachung stattfindet oder dass eine solche zumindest zu befürchten ist, denn eine Videoeoüberwachung, die sich auf den eigenen privaten Bereich der überwachenden Person beschränkt, ist grundsätzlich zulässig (BGH NJW 2013, 3089; BGH NJW-RR 2012, 140). Der Kläger hat nicht zu beweisen vermocht, dass die Videokamera sein Grundstück erfasst oder jemals erfasst hat. Insoweit wird auf das Gutachten des für diese Streitfrage kompetenten Sachverständigen Diezel verwiesen, dem das Gericht nach eigener Prüfung folgt. Der Sachverständige hat bei seiner Inaugenscheinnahme am 1.12.2015 festgestellt, dass die optische Achse des Objektivs auf den Gehweg vor dem Haus des Beklagten und auf die rechte vordere Ecke der 1. Stufe des Hauseingangs des Beklagten ausgerichtet ist. Es finden sich keine Bestandteile, die das Grundstück des Klägers zeigen.

Auch für einen anderen Zeitpunkt hat der Kläger eine Überwachung seines Grundstücks nicht bewiesen. Die von ihm als Beweis hierfür eingereichten Fotografien Anlage K 9 d. A. sind vom Sachverständigen in Augenschein genommen worden. Er hat hierzu ausgeführt, dass die Position der Kamera auf diesen Bildern identisch ist mit derjenigen am 1.12.2015. Zwar kann danach aufgrund des unterschiedlichen Aufnahmewinkels und der unterschiedlichen Fokussierung bei der Herstellung dieser Fotografien der Eindruck entstehen, die Kameraposition sei verändert werden. Der Sachverständige hat aber bei seiner Anhörung im Einzelnen erläutert, weshalb dieser Eindruck falsch ist. Das Gericht folgt nach eigener Prüfung den nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen. Dem Beweisantritt des Klägers - Vernehmung der Zeugen und - war nicht nachzugehen. Denn es ist gänzlich unklar, wie oft, in wie weit, zu welchem Zeitpunkt und über welchen Zeitraum der Beklagte die Kamera abgewinkelt vom Haus positioniert haben soll. Allein der Umstand, dass der Beklagte die Kamera irgendwann einmal verstellt hat, rechtfertigt einen Unterlassungsanspruch nicht, solange nicht feststeht, dass es durch das Verstellen zu einer nicht nur sekundenlangen Aufnahme des Grundstücks des Klägers gekommen ist. Dass die Kamera in diesem Zusammenhang abgewinkelt vom Haus des Beklagten positioniert gewesen sein soll, kann als wahr unterstellt werden, denn das war sie auch zum Zeitpunkt der lnaugenscheinnahme durch den Sachverständigen, ohne dass das Grundstück des Klägers gefilmt wurde. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der Beklagte nach Errichtung des Sichtschutzes die Kamera verstellt hat, denn nach den Feststellungen des Sachverständigen war die Position der Kamera am 26.1.2014, 4.10.2014 und 1.12.2015 identisch, so dass wiederum nicht dargetan ist, wie und für wie lange die Kamera auf das Grundstück des Klägers gerichtet gewesen sein soll. Hierauf ist der Kläger auch mehrfach hingewiesen worden.

Der Kläger hat auch nicht nachgewiesen, dass er hier objektiv ernsthaft eine Überwachung durch den Beklagten zu befürchten hat. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht des Klägers nicht (BGH NJW 2010, 1533). Deshalb reicht es für einen Unterlassungsanspruch nicht aus, dass die Kameraeinstellung verändert werden kann, zumal dies hier wie vom Sachverständigen festgestellt, nicht ohne eine äußerlich sichtbare Veränderung der Verschraubung der Kamera möglich ist (BGH NJW 2010, 1533; BGH NJW-RR 2012, 140; LG Bielefeld NJW-RR 2008, 327; LG Itzehoe NJW-RR 1999, 1394). Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch würde erst dann bestehen, wenn ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, dass der Beklagte sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten werde.



BVerwG: Automatisierte Kennzeichenerfassung von KFZ-Kennzeichen durch sta­tio­nä­re und mo­bi­le Kenn­zei­chen­er­fas­sungs­ge­rä­te in Bayern zulässig

BVerwG
Ur­teil vom 22.10.2014
6 C 7/13


Das BVerwG hat enschieden, dass die automatisierte Kennzeichenerfassung von Auto-Kennzeichen durch sta­tio­nä­re und mo­bi­le Kenn­zei­chen­er­fas­sungs­ge­rä­te in Bayern zulässig ist.

Die Pressemiteilung des BVerwG:

"Klage gegen automatisierte Kennzeichenerfassung in Bayern erfolglos

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig hat heute eine Klage ab­ge­wie­sen, auf die hin der Frei­staat Bay­ern ver­ur­teilt wer­den soll­te, es zu un­ter­las­sen, durch den ver­deck­ten Ein­satz au­to­ma­ti­sier­ter Kenn­zei­chen­er­ken­nungs­sys­te­me Kenn­zei­chen von Kraft­fahr­zeu­gen des Klä­gers zu er­fas­sen und mit po­li­zei­li­chen Da­tei­en ab­zu­glei­chen.

Der be­klag­te Frei­staat Bay­ern setzt seit 2006 sta­tio­nä­re und mo­bi­le Kenn­zei­chen­er­fas­sungs­ge­rä­te ein. Die sta­tio­nä­ren Ge­rä­te sind der­zeit auf zwölf Stand­or­te ins­be­son­de­re an den Au­to­bah­nen in Bay­ern ver­teilt. Die mo­bi­len Ge­rä­te wer­den auf­grund der je­wei­li­gen La­ge­be­ur­tei­lung des Lan­des­kri­mi­nal­am­tes an­lass­be­zo­gen, bei­spiels­wei­se bei in­ter­na­tio­na­len Fuß­ball­tur­nie­ren oder ähn­li­chen Groß­ver­an­stal­tun­gen ein­ge­setzt. Die sta­tio­nä­ren An­la­gen be­ste­hen aus einer Ka­me­ra, die den flie­ßen­den Ver­kehr auf je­weils einer Fahr­spur von hin­ten er­fasst und das Kenn­zei­chen eines jeden durch­fah­ren­den Fahr­zeugs mit­tels eines nicht sicht­ba­ren In­fra­rot­blit­zes auf­nimmt. Aus dem di­gi­ta­len Bild des Kenn­zei­chens wird durch eine spe­zi­el­le Soft­ware ein di­gi­ta­ler Da­ten­satz mit den Zif­fern und Buch­sta­ben des Kenn­zei­chens aus­ge­le­sen und über eine Da­ten­lei­tung an einen sta­tio­nä­ren Rech­ner wei­ter­ge­lei­tet, der am Fahr­bahn­rand in einem ver­schlos­se­nen Be­häl­ter un­ter­ge­bracht ist. Dort wird das er­fass­te Kenn­zei­chen mit ver­schie­de­nen im Rech­ner ge­spei­cher­ten Fahn­dungs­da­tei­en ab­ge­gli­chen. Bei mo­bi­len An­la­gen wer­den die Kenn­zei­chen über am Fahr­bahn­rand auf­ge­stell­te Ka­me­ras er­fasst und über einen mo­bi­len Rech­ner in einem vor Ort ab­ge­stell­ten Po­li­zei­fahr­zeug mit den Fahn­dungs­da­tei­en ab­ge­gli­chen. Der Klä­ger wohnt in Bay­ern mit einem wei­te­ren Wohn­sitz in Ös­ter­reich. Er ist nach sei­nen An­ga­ben häu­fig in Bay­ern mit sei­nem Kraft­fahr­zeug un­ter­wegs. Er hat Klage er­ho­ben mit dem An­trag, die Er­fas­sung und den Ab­gleich sei­ner Kraft­fahr­zeug­kenn­zei­chen zu un­ter­las­sen. Der au­to­ma­ti­sier­te Ab­gleich sei­ner Kraft­fahr­zeug­kenn­zei­chen be­ein­träch­ti­ge sein all­ge­mei­nes Per­sön­lich­keits­recht und grei­fe in sein Grund­recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung ein. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Mün­chen hat die Klage ab­ge­wie­sen, der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Mün­chen hat die Be­ru­fung des Klä­gers zu­rück­ge­wie­sen.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat die Re­vi­si­on des Klä­gers zu­rück­ge­wie­sen. Die er­ho­be­ne Un­ter­las­sungs­kla­ge setzt für ihren Er­folg vor­aus, dass dem Klä­ger durch die An­wen­dung der ge­setz­li­chen Vor­schrif­ten über die au­to­ma­ti­sier­te Kenn­zei­chen­er­fas­sung mit hin­rei­chen­der Wahr­schein­lich­keit ein Ein­griff in sein grund­recht­lich ge­schütz­tes Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung als Un­ter­fall des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts droht. Das ist auf der Grund­la­ge der tat­säch­li­chen Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs, an die das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt als Re­vi­si­ons­ge­richt ge­bun­den ist, nicht der Fall. Wird das Kenn­zei­chen eines vor­bei­fah­ren­den Kraft­fahr­zeugs von dem Gerät er­fasst und mit den dafür her­an­ge­zo­ge­nen Da­tei­en ab­ge­gli­chen, ohne dass eine Über­ein­stim­mung mit Kenn­zei­chen in den Da­tei­en fest­ge­stellt wird, liegt kein Ein­griff in das Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung vor. In die­sem Fall ist recht­lich und tech­nisch ge­si­chert, dass die Daten an­onym blei­ben und so­fort spu­ren­los und ohne die Mög­lich­keit, einen Per­so­nen­be­zug her­zu­stel­len, ge­löscht wer­den. Eben­so wenig liegt ein Ein­griff in den Fäl­len vor, in denen ein Kenn­zei­chen von dem Gerät er­fasst und bei dem Ab­gleich mit den Da­tei­en eine Über­ein­stim­mung mit Kenn­zei­chen in den Da­tei­en an­ge­zeigt wird, der so­dann vor­ge­nom­me­ne ma­nu­el­le Ver­gleich von ab­ge­lich­te­tem Kenn­zei­chen und dem vom Sys­tem aus­ge­le­se­nen Kenn­zei­chen durch einen Po­li­zei­be­am­ten aber er­gibt, dass die Kenn­zei­chen tat­säch­lich nicht über­ein­stim­men. In die­sem Fall löscht der Po­li­zei­be­am­te den ge­sam­ten Vor­gang um­ge­hend durch Ein­ga­be des Be­fehls „Ent­fer­nen“, ohne dass er die Iden­ti­tät des Hal­ters er­mit­telt. Ein Ein­griff liegt nur vor, wenn das Kenn­zei­chen von dem Gerät er­fasst wird und bei dem Ab­gleich mit den Da­tei­en eine Über­ein­stim­mung mit Kenn­zei­chen in den Da­tei­en an­ge­zeigt wird, die tat­säch­lich ge­ge­ben ist. In die­sem Fall wird der Vor­gang ge­spei­chert und steht für wei­te­re po­li­zei­li­che Maß­nah­men zur Ver­fü­gung. Dem Klä­ger droht ein sol­cher Ein­griff je­doch nicht mit hin­rei­chen­der Wahr­schein­lich­keit, weil die Kenn­zei­chen von ihm ge­hal­te­ner Kraft­fahr­zeu­ge nicht in den her­an­ge­zo­ge­nen Da­tei­en ge­spei­chert sind und nur eine hy­po­the­ti­sche Mög­lich­keit dafür be­steht, dass sie künf­tig dort ge­spei­chert wer­den könn­ten.

BVerwG 6 C 7.13 - Ur­teil vom 22. Ok­to­ber 2014"



Bundeskabinett beschließt "Maßnahmen für einen besseren Schutz der Privatsphäre" - Prism - NSA - XKeyscore

Das Bundeskabinett hat einen Maßnahmenkatalog "für einen besseren Schutz der Privatsphäre" beschlossen und einen entsprechenden Fortschrittsbericht veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob die gesetzten Ziele erreicht werden. Papier ist geduldig.

Die dazugehörige Pressemitteilung des Bundeskabinetts finden Sie hier:

OVG Münster: Hygienepranger in NRW ist offline - Gesetzliche Vorgaben verfassungswidrig - www.lebensmitteltransparenz-nrw.de

OVG Münster
Beschlüsse vom 24.04.2013
13 B 192/12, 13 B 215/13, 13 B 238/13
Hygienepranger


Das OVG Münster hat den Hygienepranger in NRW ( www.lebensmitteltransparenz-nrw.de ) gestoppt. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die für die Veröffentlichung erforderliche Befugnisnorm § 40 Abs. 1a LFGB verfassungswidrig ist, da die Vorschrift keine zeitliche Begrenzung für die Veröffentlichung enthält.

Aus der Pressemitteilung des OVG Münster:

"Die beabsichtigte Veröffentlichung sei rechtswidrig. Sie verletze das Recht der Unternehmen auf informationelle Selbstbestimmung und freie Berufsausübung. Es fehle an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, weil § 40 Abs. 1a LFGB verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Die Vorschrift grenze die vorgesehene Information der Öffentlichkeit zeitlich nicht ein. Die Information der Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmers stelle angesichts ihrer weitreichenden Verbreitung, die durch die automatische Abrufbarkeit über das Internet erreicht werde, und ihrer potentiell gewichtigen wirtschaftlichen Auswirkungen eine besonders weitgehende Form eines Eingriffs in die Rechte der betroffenen Unternehmen dar. Deshalb müsse der Gesetzgeber die zeitliche Wirkung dieser Veröffentlichung durch Aufnahme einer Löschungsfrist einschränken."

Die vollständige Pressemitteilung des OVG Münster finden Sie hier:



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