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OLG Frankfurt: Wiedergabe eines Zitats ohne Mitteilung des Kontextes in Presseberichtserstattung kann unzulässiges Fehlzitat sein

OLG Frankfurt
Urteil vom 08.05.2024
16 U 169/22

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Wiedergabe eines Zitats ohne Mitteilung des Kontextes in der Presseberichtserstattung ein unzulässiges Fehlzitat sein kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kontextloses Zitat - Zitat ohne Kontext kann unzulässiges Fehlzitat sein

Ein Fehlzitat kann vorliegen, wenn in einer Berichterstattung nur ein Satz eines Facebook-Posts zitiert wird, ohne auch den weiteren Kontext wiederzugeben, in dem der zitierte Satz steht (hier: Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung). Eine an das Zitat anknüpfende Wertung der Aussage als „antisemitisch“ kann dagegen eine zulässige Meinungsäußerung sein. Mit heute veröffentlichter Entscheidung hat der für Presserecht zuständige 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) die landgerichtliche Entscheidung, mit der Unterlassungsansprüche des Klägers abgewiesen worden waren, im Wesentlichen bestätigt.

Der Kläger wendet sich gegen vier Aussagen im Rahmen zweier Berichterstattungen der Beklagten. Er ist stellvertretender Vorsitzender einer kleinen Partei und Mitglied der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. In dem Bericht hieß es u.a., dass der Kläger auf Facebook geschrieben habe: „Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel“.

Der Kläger ist der Ansicht, die Berichterstattung stelle ihn als Antisemiten dar und verletze ihn in seinen Persönlichkeitsrechten.

Das Landgericht hatte seine auf Unterlassung von vier Aussagen gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte vor dem OLG nur hinsichtlich einer Aussage Erfolg.

Drei der angegriffenen Äußerungen enthielten zulässige Meinungsäußerungen, bestätigte der Senat die Entscheidung des Landgerichts. Soweit in den Berichten das Adjektiv „antisemitisch“ verwendet werde, liege eine zulässige Meinungsäußerung vor. Entgegen der Ansicht des Klägers werde nicht er als Person als Antisemit bezeichnet, sondern konkret aufgeführte Äußerungen als antisemitisch. Die Beklagte habe diese Bewertung auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt in Form des vorausgegangenen Posts des Klägers auf Facebook zurückführen können. Der Post biete (noch) einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte diesen Beitrag als antisemitisch habe beurteilen können. Der Kläger habe den Staat Israel durch den Begriff „Virus“ mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt, der - vergleichbar mit dem Corona-Virus - bekämpft und ausgerottet werden müsse. Bei Abwägung der involvierten Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass der Artikel einen Beitrag im geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage darstelle. Für die Öffentlichkeit seien sowohl die kleine Partei als Teil der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung als auch die von ihren Vertretern nach außen vertretenen Ansichten von wesentlichem Interesse.

Mit Erfolg wende sich der Kläger aber gegen die Aussage, dass er auf Facebook das oben wiedergegebene Zitat geschrieben habe. Das Zitat verfälsche die eigentliche Äußerung des Klägers. Im Ursprungspost habe die Äußerung im Kontext mit Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern gestanden. Durch das nicht gekennzeichnete Weglassen dieser Passage erhalte das Zitat eine andere Färbung und entspreche nicht mehr dem, was der Kläger tatsächlich gesagt habe. Mit der Bezeichnung Israels als „wahren Virus“ habe der Kläger Kritik an der Siedlungspolitik des israelischen Staats seit 1948 zum Ausdruck bringen wollen. Es mache einen „Unterschied, ob eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung Israels geäußert wird, wie es die als Zitat des Klägers wiedergegebene Äußerung der Beklagten nahelege, oder ob hierfür ein sachlicher Bezug, nämlich die dortige Siedlungspolitik angeführt wird“, begründete der Pressesenat die Entscheidung.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann der Kläger die Zulassung der Revision beim BGH begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 8.5.2024, Az.: 16 U 169/22

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 28.4.2022, Az.: 2-03 O 367/21)


BVerfG: Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen - Wörtliche Veröffentlichung beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen im CumEx-Skandal zulässig

BVerfG
Beschluss vom 10.04.2024
1 BvR 2279/23


Das BVerfG hat entschieden, dass die wörtliche Veröffentlichung im Rahmen des CumEx-Skandals beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen zulässig ist und eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolglose Verfassungsbeschwerde wegen der wörtlichen Veröffentlichung beschlagnahmter Tagebuchaufzeichnungen

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines Bankiers nicht zur Entscheidung angenommen, mit der sich dieser gegen die Abweisung seiner Klage auf Unterlassung der wörtlichen Wiedergabe von Auszügen aus seinen beschlagnahmten Tagebüchern wendet.

Die Beklagte des Ausgangsverfahrens betreibt eine Internetseite, auf der sie im September 2020 einen Artikel veröffentlichte, in dem Auszüge aus den Tagebüchern des Beschwerdeführers wörtlich wiedergegeben wurden. Diese hatten die Strafverfolgungsbehörden zuvor im Rahmen eines gegen den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften geführten Ermittlungsverfahrens beschlagnahmt. Daraufhin nahm der Beschwerdeführer die Beklagte des Ausgangsverfahrens gerichtlich auf Unterlassen der wörtlichen Wiedergabe der Tagebuchauszüge in Anspruch, blieb jedoch ohne Erfolg. Gegen die schließlich vollständige Abweisung seiner Klage durch den Bundesgerichtshof (Urteil vom 16. Mai 2023 - VI ZR 116/22 -) wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt offensichtlich nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz und eine Verletzung der zu seinen Gunsten bestehenden Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sind nicht hinreichend dargetan.

Soweit der Beschwerdeführer unter anderem beanstandet, dass der Bundesgerichtshof die Vorschrift des § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) nicht als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anerkannt hat, beziehungsweise, dass der Bundesgerichtshof meint, eine etwaige Anwendung von § 353d Nr. 3 StGB als Schutzgesetz setzte für die Zuerkennung zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche jedenfalls eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen voraus, ist eine Missachtung der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung durch den Bundesgerichtshof, die dem Willkürverbot zuwiderliefe, nicht substantiiert vorgebracht. Sie ist auch nicht ersichtlich.

Zudem setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert mit der seitens des Bundesgerichtshofs herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auseinander, der es für die Anwendung eines strafrechtlichen Veröffentlichungsverbots nach portugiesischem Recht – dessen Vergleichbarkeit mit § 353d Nr. 3 StGB der Beschwerdeführer dahingestellt lässt und damit für das vorliegende Verfahren hinnimmt – beanstandet hat, dass es in seiner allgemeinen und absoluten Fassung den Richter an einer Abwägung mit den durch Art. 10 EMRK geschützten Rechten hindere.

Nach § 353d Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer amtliche Dokumente eines Strafverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Urheberrechtsverletzung durch Lichtbildnutzung - Keine nach § 51a UrhG zulässige Parodie wenn sich Beitrag auf bloße Kritik an abgebildeter Person beschränkt

OLG Frankfurt
Urteil vom 02.02.2023
11 U 101/22

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kein nach § 51a UrhG zulässige Parodie vorliegt, wenn sich der Beitrag auf bloße Kritik an abgebildeter Person beschränkt und somit eine Urheberrechtsverletzung durch Verwendung eines Lichtbilds vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 511 I, II, 517, 519, 520 ZPO.

2. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

a) Die Verfügungsklage ist zulässig.

aa) Zunächst ist insbesondere der Streitgegenstand hinreichend bestimmt. Zwar könnte die erstinstanzliche möglicherweise gleichrangige Geltendmachung der Unterlassungsverpflichtungen sowohl aus originär fremdem (Urheber-) Recht, als auch aus originär eigenem (Persönlichkeits-) Recht nicht hinreichend bestimmt gewesen sein. Nachdem das Landgericht sein Verfügungsurteil jedoch ausschließlich auf das Urheberrecht gestützt hat und der Kläger vorrangig das angefochtene Urteil verteidigt, stellt sich die weitere Geltendmachung des Verfügungsanspruchs aus dem Recht am eigenen Bild als nur noch hilfsweise bzw. nachrangig erfolgend dar.

bb) Unterstellt man das Vorbringen des Klägers zum Verfügungsanspruch als schlüssig und wahr, ist auch ein Verfügungsgrund gegeben. Er ergibt sich dann aus der für die Verletzungszeit endgültigen Verletzung der Nutzungsrechte bzw. des Rechts am eigenen Bild.

b) Die Verfügungsklage ist nur teilweise begründet.

aa) Der Kläger kann vom Beklagten nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 97 I UrhG Unterlassung verlangen. Hinsichtlich der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story besteht kein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch.

(1) Der Kläger hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die streitgegenständliche Fotografie von Herrn A angefertigt worden ist und dieser ihm die urheberrechtlichen Nutzungsrechte eingeräumt hat. Für die Anfertigung des Fotos und den Bezug zu dem vorgelegten Fotovertrag folgt dies aus der mit der Berufungserwiderung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Klägers Anlage ASt 16, Bl. 453 d.A., für den Umfang der Rechteübertragung aus dem mit den Anlagen ASt 9, Bl. 77 f. d.A. und ASt 17, Bl. 454 f. d.A., vorgelegten Fotovertrag.

Dem steht nicht entgegen, dass der Fotovertrag die vertraglichen Abreden nur unvollständig wiedergibt, weil er sich nicht zur Vergütung Herrn As verhält. Denn der schriftliche Vertrag dient insbesondere der Absicherung des Klägers und der Geltendmachung der Rechte gegenüber Dritten. Wie im Beschluss des Senats vom 15.08.2022, Bl. 457 d.A., ausgeführt, berücksichtigt der Senat dabei, dass sich das Fotostudio unter der in Anlage ASt9 genannten Adresse befindet und sich auch der Beklagte von Herrn A hat fotografieren lassen. Wegen letzterem überzeugt die Rüge des Beklagten nicht, der Vertrag nenne nicht den Namen des Fotografen, sondern nur ein Fotostudio X, die dem Fotografen zugeordnete Unterschrift verdiene diese Bezeichnung nicht und sei nicht ansatzweise als Namensangabe entzifferbar (Bl. 160 d.A.). Denn es wäre zu erwarten, dass der Beklagte konkretere Einwendungen erheben kann, sollten die Urheberschaft an dem Foto und/oder die Rechtsübertragung tatsächlich zweifelhaft sein.

Mangels Vorlage einer Abbildung des Originallichtbilds und Vortrags zur Schöpfungshöhe kann das Foto allerdings nur als Lichtbild nach § 71 UrhG in entsprechender Anwendung der für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften und nicht unmittelbar als Lichtbildwerk geschützt angenommen werden.

(2) Das Landgericht hat hinsichtlich der urheberrechtlichen Ansprüche zutreffend angenommen, dass der Beklagte im Zuge der Instagram-Story und des Videobeitrags das Foto vervielfältigt (§ 19 UrhG) und öffentlich zugänglich gemacht hat (§ 19a UrhG).

Letzterem steht nicht entgegen, dass der Kläger das Lichtbild schon zuvor auf seiner eigenen Seite öffentlich zugänglich gemacht hatte (vgl. BGH GRUR 2010, 616 - „marions-kochbuch.de“, Rn. 21); das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung kennt, anders als das Verbreitungsrechts bei körperlichen Werkexemplaren, keine Erschöpfung (Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 19a Rn. 11). Es genügt, dass der Kläger - anders als in Fällen des Framings - keine Kontrolle über die weitere Zugänglichmachung durch den Beklagten hat.

Hinsichtlich der Story, in der die Lichtbilder wie im Tenor der Beschlussverfügung wiedergegeben mit Text überlagert sind, liegt auch eine Bearbeitung oder Umgestaltung (§ 23 UrhG) vor. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass der Kläger keine Kopie der Originalfotografie, sondern nur deren möglicherweise bereits veränderte und erkennbar in neuen Kontext gesetzte Wiedergabe auf seiner Homepage vorgelegt hat; die im Klageantrag „wiedergegebene Fotografie“ ist eine Abbildung der Homepage des Klägers nebst eingeblendeter Texte, nicht der von Herrn A gefertigten Fotografie. In dem unstreitig von dem Beklagten zugesetzten Text liegt unabhängig davon eine Bearbeitung (auch) des Originals.

Hinsichtlich des Videobeitrags macht der Kläger eine Verletzung des § 23 UrhG nicht geltend (Berufungserwiderung S. 3 f., Bl. 438 f. d.A.).

(3) Die Übernahme des Fotos ist nicht nach § 51 UrhG (Zitatrecht) rechtmäßig.

Sowohl hinsichtlich der Instagram-Story, als auch des Videobeitrags ist die Übernahme nicht gem. § 51 UrhG zulässig, weil der Beklagte die Quelle und den Urheber/Fotografen, also Herrn A, nicht angegeben hat. Der Zitatbegriff des § 51 UrhG ist unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit Art. 5 III lit. d der „Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ dahin auszulegen, dass es dieser Angabe bedarf. Denn nach Art. 3 III dieser Richtlinie dürfen die Mitgliedsstaaten Ausnahmen von in den Art. 2, 3 der Richtlinie gewährten Rechten (Vervielfältigungsrecht, Recht der öffentlichen Wiedergabe und der öffentlichen Zugänglichmachung) für Zitate nur unter u.a. dieser Voraussetzung vorsehen. Eine Quellenangabe war auch möglich, die Angabe hätte eingeblendet werden oder mündlich erfolgen können.

Hinsichtlich der Instagram-Story scheidet die Annahme eines Zitats außerdem deshalb aus, weil das Foto vom Beklagten bearbeitet wiedergegeben worden ist (vgl. Dreier in dies./Schulze, UrhG, 7. Auflage, § 51 Rn. 7).

Unabhängig davon ist eine Verwendung der Fotografie im Rahmen des Zitatrechts auch deshalb zu verneinen, weil der Beklagte keine hinreichende innere Verbindung zwischen dem zitierten Foto und seinen eigenen Gedanken hergestellt hat und das Foto des Klägers stattdessen nur zur Illustration verwendet worden ist (vgl dazu BGH, Urt. v. 17.12.2015 - I ZR 69/14, GRUR 2016,368 Rn, 25 - „Exklusivinterview“). Die Äußerungen des Beklagten hinsichtlich des Fotos beschränken sich - überdies nur im Videobeitrag - auf die Bemerkung

„(...)“,

wobei der Kläger auf dem Foto allerdings nicht mit der Verteidigung des ... befasst ist - es handelt sich um keine Aufnahme aus dem Gerichtssaal oder im Zuge von den ... betreffenden Interviews. Darauf, dass der Kläger, worauf der Beklagte im Verfügungsverfahren als „berichtenswerten Umstand“ meint abstellen zu können (Bl. 181 d.A.), in seiner „optischen Erscheinung gewissermaßen dem unauffälligen Normalbild entspricht“, obwohl er mit seinen „moralischen Wertvorstellungen“ und den innerhalb seiner „beruflichen Tätigkeit vertretenen Werten von weiten Teilen der Gesellschaft abweicht“ (Schriftsatz vom 17.06.2021, S. 33, Bl. 181 d.A.), beziehen sich Videobeitrag und Story des Beklagten nicht. Erst recht setzt sich der Beklagte nicht mit der Fotografie selbst auseinander. Vielmehr geht es um das Verhalten des ... und des Klägers, dem der Beklagte über die Fotografie nur zu Illustrationszwecken „ein Gesicht zuordnet“.

(4) Die Übernahme des Fotos ist auch nicht nach § 50 UrhG (Berichterstattung über Tagesereignisse) rechtmäßig.

Das Landgericht hat insoweit angenommen, eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG scheide aus, weil das Foto während der den tagesaktuellen Vorgang bildenden Ereignisse nicht wahrnehmbar geworden sei. Dieser Ansatz (vgl. insoweit Dreier in dies./Schulze aaO § 50 Rn. 7) ist vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelhaft. Danach genügt es, dass das fragliche Werk erst durch die Berichterstattung über das Tagesereignis im Zusammenhang mit diesem wahrnehmbar wird (siehe BGH, Urteil vom 30.04.2020 - I ZR 139/15 „Afghanistan Papiere II“, juris Rn. 43 f.; BeckOK-UrheberR/Engels, 36. Ed., Stand: 15.10.2022, § 50 UrhG, Rn. 11a).

Eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG scheidet jedoch unabhängig davon aus.

Für den dauerhaft zugänglich gehaltenen Videobeitrag folgt dies schon daraus, dass es sich bei der Ende April 2021 erfolgten Verurteilung des ... bei Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht über ein Jahr später - und nunmehr vor dem Senat - um kein aktuelles Tagesereignis mehr handelte. Bei einer Einstellung ins Internet muss die Tagesaktualität während der gesamten Dauer des Bereithaltens im Internet fortbestehen (BGH, GRUR 2011, 415 Rn. 13 - „Kunstausstellung im Online-Archiv“).

Für die Instagram-Story scheidet eine Rechtmäßigkeit nach § 50 UrhG deshalb aus, weil der Beklagte das Foto bei der Veröffentlichung durch die Textzusätze entgegen §§ 62 I, 39 UrhG verändert hat, ohne dass der Urheber nach Treu und Glauben gehindert gewesen wäre, seine Einwilligung hierzu zu versagen. Die insoweit vorzunehmende Interessenabwägung muss unter dem Gesichtspunkt der §§ 50, 62 I, 39 UrhG zu Lasten des Beklagten ausfallen. Der Urheber - Herr A - kann nicht nach Treu und Glauben gehalten sein, sein für den Kläger erstelltes Lichtbild entgegen der ursprünglichen Intention nicht zu dessen positiver, sondern zu dessen negativer öffentlichen Darstellung verwenden zu lassen und sich durch die Zustimmung vertraglichen Ersatzansprüchen des Klägers auszusetzen. Der Kläger als urheberrechtlich Nutzungsberechtigter ist nicht nach Treu und Glauben verpflichtet, an seiner eigenen negativen Darstellung in der Öffentlichkeit mitzuwirken.

(5) Dem Unterlassungsanspruch, für den (abgesehen von der Erstbegehung) auf das bei Schluss der mündlichen Verhandlung geltende Recht abzustellen ist, steht jedoch hinsichtlich der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story die mit Wirkung vom 07.06.2021 in Kraft getretene Regelung der §§ 51a, 62 IVa UrhG entgegen. Im Übrigen greifen die §§ 51a, 62 IVa UrhG nicht ein.

(a) Bei Prüfung des § 51a UrhG kommt unter den nicht trennscharf abzugrenzenden Varianten der Norm (Karikatur, Parodie, Pastiche) im Streitfall nur eine Einordnung als Parodie in Betracht. Da die zu prüfenden Beiträge durch sprachliche Äußerungen und nicht bildliche Darstellungen geprägt sind, handelt es sich nicht um Karikaturen (vgl. insoweit Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 9; BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 51a Rn. 14; Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 10). Ein Pastiche (vgl. dazu BeckOK UrhR/Lauber-Rönsberg, 36. Ed. 15.10.2022, UrhG § 51a Rn. 17; Wandtke/Bullinger/Lüft/Bullinger, 6. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 14) setzt ein derivates Schaffen voraus, das sich in irgendeiner Weise an ein Werk anlehnt, wofür die bildliche Wiedergabe und sprachliche Begleitung eines Werks allein nicht ausreichen.

(b) Während dem Videobeitrag der Charakter als Parodie fehlt, ist die Fotowiedergabe im Zuge der Story - jedenfalls zum Teil - im Rahmen einer Parodie erfolgt.

(aa) Der Parodie-Begriff des § 51a UrhG entspricht demjenigen des Art. 5 III lit. k der Richtlinie 2001/29/EG; es handelt sich daher um einen autonomen Begriff des Unionsrechts.

Danach bestehen die wesentlichen Merkmale einer Parodie zum einen darin, an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen.

Demgegenüber setzt eine Parodie nicht voraus, dass es sich um eine antithematische Darstellung handelt. Die Absicht, sich einen „Jux“ auf Kosten einer abgebildeten Person zu machen, genügt schon. Die Parodie muss keinen eigenen ursprünglichen Charakter aufweisen, der über wahrnehmbare Unterschiede zum parodierten ursprünglichen Werk hinausgeht. Sie muss weder das ursprüngliche Werk selbst betreffen, noch das parodierte Werk angeben oder so gestaltet sein, dass sie nicht dem Urheber des parodierten Werkes zugeschrieben werden kann (siehe zum Parodiebegriff EuGH, Urteil vom 3. September 2014 - C-201/13, juris, Rn. 33 „Deckmyn und Vrijheidsfonds“; BGH, GRUR 2016, 1157 Rn. 25 ff. - „auf fett getrimmt“; Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, UrhG § 51a Rn. 13 ). Letztlich kann im Rahmen der Parodie jedes Werk zu jedem humoristischen Zweck genutzt werden (Lüft/Bullinger in Wandtke/Bullinger, UrhR, 6. Auflage, § 51a Rn. 12 aE).

(bb) Die Benutzung der Fotografie in dem Videobeitrag ist nicht im Rahmen einer so verstandenen Parodie erfolgt. Die Bemerkung des Beklagten,

„(...)“,

lässt keinen Humor erkennen. Sie stellt auch keine Verspottung dar, sondern ist nur - gemeinsam mit den sonstigen Äußerungen des Beklagten über den Kläger - Ausdruck der Kritik am Kläger. Dabei kann dahinstehen, ob eine Verspottung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen Unterfall des Humors darstellt. Dagegen spricht die alternative Verknüpfung von „Humor oder Verspottung“ in der Entscheidung „Deckmyn und Vrijheidsfonds“ aaO Rn. 20, die allerdings in der Vorlagefrage angelegt war (EuGH aaO Rn. 13: „Belustigung oder Verspottung“) und vom Gerichtshof nicht erörtert worden ist. Jedenfalls zeichnet sich eine Verspottung dadurch aus, dass es sich um Äußerungen handelt, die mit einer Herabsetzung des Verspotteten einhergehen, Schadenfreude oder Verachtung bekunden oder hervorrufen oder verletzend oder boshaft sind. Das lässt sich weder den einzelnen Elementen der Äußerung des Beklagten über den Kläger (...) noch ihrer Kombination entnehmen. Die Beschreibung des Klägers durch den Beklagten ist auch nicht ironisch. Die Ausführungen gehen nicht dahin, der Kläger stehe gar nicht cool da und sei bei der Verteidigung nicht ganz lässig. Vielmehr beschränkt sich die Äußerung des Beklagten auf die Kritik an diesem Verhalten und darauf, dass das coole und lässige Auftreten des Klägers unangemessen sei, weil er nicht die nach Auffassung des Beklagten gebotenen Skrupel an den Tag legt.

Auch aus dem Zusammenhang des Videos ergibt sich keine andere Bewertung. Die Fotografie wird nicht im Zusammenhang mit einer andere Personen oder Geschehnisse betreffenden Parodie, sondern ausschließlich im Rahmen der Kritik am Kläger verwendet.

(cc) Demgegenüber ist die Verwendung der Fotografie in der Instagram-Story jedenfalls hinsichtlich des unteren Bildes im Rahmen einer Parodie erfolgt. Insoweit ist die als Text hinzugesetzte Wendung „Endlich mal wieder Post vom Anwalt!“ ironisch zu verstehen und damit humorvoll.

Ob dies auch für das erste Bild der Instagram-Story gilt, bei dem der eingeblendete Text

„Vorschläge für einen Anwalt, der einen zu mild verurteilten Kinderporno Besitzer und Versender verteidigt und noch die Zeugin versucht zu verunglimpfen? Diesen Anwalt finde ich...“,

der vom Betrachter im Geiste - möglicherweise humorvoll oder verspottend - zu ergänzen ist, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die beiden Bilder hinsichtlich der Frage der Parodie gemeinsam oder getrennt zu bewerten sind. Denn insoweit scheidet eine Zulässigkeit der Verwendung jedenfalls aufgrund der Abwägung der berechtigten Interessen des urheberrechtlich berechtigten Klägers und des Beklagten aus.

(c) Allein die Einordnung der Instagram-Story als Parodie führt nicht zur Rechtmäßigkeit der Verwendung des Fotos. Vielmehr bedarf es einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte. Insoweit sind auch außerhalb des Urheberrechts liegende Rechte Dritter zu beachten, jedoch nur, soweit der Urheber ein berechtigtes Interesse daran hat, dass sein Werk nicht mit einer solchen Verletzung in Verbindung gebracht werde. Dabei ist wegen der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit, der insbesondere Karikatur und Parodie dienen, nicht jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen von Bedeutung. Die Interessenabwägung darf nicht im Sinne einer „Political-Correctness-Kontrolle“ missverstanden werden (BGH, „auf fett getrimmt“, aaO, Rn. 39).

Bei der auf dieser Grundlage vorzunehmenden Interessenabwägung erscheint die Verwendung in dem zweiten Bild der Story („Endlich mal wieder Post vom Anwalt...“) zulässig, in dem ersten Bild der Story („Diesen Anwalt finde ich...“) aber unzulässig.

(aa) Die urheberrechtlichen Interessen Herrn As und des Klägers stehen der Verwendung des Fotos im Rahmen des zweiten Bildes der Story („Endlich mal wieder Post vom Anwalt...“) nicht entgegen.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte mit der Story am öffentlichen Diskurs über das Verhalten des ..., über die Frage, ob ein Rechtswalt „Leute wie ihn“ vertreten sollte und darüber, wie die Gesellschaft strafrechtlich und allgemein mit Fällen des Besitzes von Kinderpornografie einschließlich dem Vertreten von Täterinteressen durch Dritte, insbesondere Rechtsanwälte, umgehen solle, teilnimmt, mithin die politische Meinungsäußerung und Meinungsbildung betroffen sind. Dass das inhaltliche Niveau der Kritik des Beklagten die Ebene emotionaler Empörung kaum verlässt, lässt die grundsätzliche Schutzwürdigkeit nicht entfallen. Die Privilegierung der Parodien, die sich nicht zwingend durch besondere Tiefsinnigkeit auszeichnen müssen, dient gerade der Gewährleistung der Meinungsfreiheit.

Besondere urheberrechtliche Interessen Herrn As und des Klägers werden demgegenüber im Rahmen des zweiten Bildes nicht verletzt. Die Verwertung und Nutzung der Fotografie für ihren ursprünglichen Zweck - Werbung für den Kläger - wird durch die Verwendung des Bildes durch den Beklagten nicht vereitelt. Der nutzungsberechtigte Kläger hat das Foto durch die Verwendung auf seiner Homepage selbst für jedermann sichtbar gemacht und es dient gerade seiner Identifikation und dem Zweck, mit „dem Namen ein Gesicht zu verbinden“. Damit, dass ein zur (positiven) Werbung dienendes Foto im Wege der Parodie oder Karikatur genutzt wird, um sich über eine beworbene Person (oder ein beworbenes Produkt) lustig zu machen, müssen Urheber, Werbender und Dargestellter immer rechnen. Zugleich ist die Schutzintensität hinsichtlich des streitgegenständlichen Lichtbildes auf Grundlage des Parteivorbringens eher gering einzustufen, weil es für eine Einordnung als Lichtbildwerk und nicht nur als bloß nach § 71 UrhG entsprechend geschütztes Lichtbild am notwendigen Sachvortrag fehlt.

Der Kläger macht als außerhalb des Urheberrechts liegendem rechtlich geschützten Interesse nur sein Recht am eigenen Bild geltend. Er stützt dies darauf, dass er selbst die abgebildete Person (und nicht nur der urheberrechtlich Berechtigte) ist. Daran, nicht mit einer solchen Verletzung in Verbindung gebracht zu werden, hat der Urheber aber kein besonderes Interesse, denn dies ist bei jeder Karikatur und jeder Parodie eines eine bestimmte Person abbildenden Werkes zu befürchten.

(bb) Demgegenüber ist die Verwendung des Fotos im Rahmen des ersten Bildes („Diesen Anwalt finde ich ...“) aufgrund schützenswerter urheberrechtlicher Interessen Herrn As und des Klägers unzulässig.

Zwar gelten die vorgenannten Erwägungen zum zweiten Bild zunächst auch hinsichtlich des ersten Bildes.

Die Unzulässigkeit der Verwendung der Fotografie für das erste Bild der Story folgt jedoch daraus, dass der Lückentext „Diesen Anwalt finde ich ...einen die Auffassung des Beklagten teilenden Betrachter zu einer Schmähkritik geradezu einlädt. Denn sie geht in der Formulierung dahin, den Kläger als Person und nicht nur seine Tätigkeit für den ... zu beurteilen, legt eine Unterstützung von Kinderpornografie durch den Kläger nahe und insinuiert damit eine abfällige Beurteilung seiner Persönlichkeit. Sie lädt dazu ein, dem Kläger seinen sozialen oder ethischen Wert abzusprechen und die Grenzen des - auch nach §§ 185, 196 StGB - bei öffentlichen Äußerungen Vertretbaren bei der (nicht öffentlichen) Vervollständigung im Geiste zu überschreiten.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass Meinungsäußerungen im Lichte des Art. 5 GG im Zweifel so auszulegen sind, dass sie noch zulässig erscheinen. Es geht vorliegend aber nicht um die Zulässigkeit der Meinungsäußerung des Beklagten, sondern darum, ob er dabei das urheberrechtlich geschützte Foto verwenden darf oder die Interessen der urheberrechtlich Berechtigten dem entgegenstehen. Herr A als Urheber und der Kläger als Nutzungsberechtigter haben jedoch ein berechtigtes Interesse, dass das Lichtbild nicht in einer Weise genutzt wird, die Schmähungen des Klägers durch Dritte fördert, weil der typische Betrachter die Äußerung wie soeben dargestellt auffassen wird.

bb) Hinsichtlich des zweiten Bildes der Instagram-Story („...“) ist auch kein - hilfsweise geltend gemachter - quasinegatorischer Unterlassungsanspruch analog § 1004 I 2 BGB aus originär eigenem Recht des Klägers gegeben.

Denn eine Verletzung des Rechts des Klägers an seinem eigenen Bilde gem. § 22 S. 1 des Kunsturhebergesetzes (KUG), dessen einschlägige Regelungen den Rückgriff auf die Rechtsfigur des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Streitfall ausschließen, ist nicht gegeben. Die Verbreitung des Bildes ist nach § 23 I Nr. 1 KUG gerechtfertigt.

(1) Der Prozess gegen den ... ist ein Ereignis der Zeitgeschichte. Zu diesem gehört auch das Auftreten seiner Verteidiger und damit des Klägers, der an dem Strafverfahren in dieser prozessualen Rolle als Medienanwalt des Angeklagten teilgenommen hat. Dabei ist der Kläger öffentlich sichtbar in Erscheinung getreten; er wurde auch im Zuge der allgemeinen Berichterstattung abgebildet.

(2) Es wird kein berechtigtes Interesse des abgebildeten Klägers gem. § 23 II KUG verletzt. Die insoweit vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu seinen Lasten aus.

Zum einen dienen die Beiträge des Beklagten der Meinungsbildung und damit dem Informationsinteresse der Allgemeinheit. Zum anderen hat sich der Kläger mit dem verwendeten Foto auf seiner Homepage selbst der Öffentlichkeit präsentiert; er wird auf ihm also in bildlicher Hinsicht genau so dargestellt, wie er dargestellt sein möchte. Zudem hat er sich im Zuge der Verteidigung des ... selbst in die Öffentlichkeit begeben und ist er unstreitig auch bereits zuvor im Zuge der allgemeinen Berichterstattung über den Prozess abgebildet worden. Der Kläger ist also nicht erst durch die Verwendung des streitgegenständlichen Fotos über seinen Namen hinaus für die breite Öffentlichkeit als anwaltlicher Vertreter des ... erkennbar geworden.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Arzt muss Bezugnahme auf von ihm erfolgte öffentliche Fachaussage in einer Werbeanzeige hinnehmen sofern keine geschäftliche Verbindung suggeriert wird

BGH
Urteil vom 28.07.2022
I ZR 171/21
Reizdarmsyndrom
BGB § 12, § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass ein Arzt die Bezugnahme auf eine von ihm erfolgte öffentliche Fachaussage in einer Werbeanzeige hinnehmen muss, sofern diese für einen Durchschnittsleser keine geschäftliche Verbindung zwischen Arzt und Werbenden suggeriert.

Leitsatz des BGH:
Ein Arzt, der sich mit Fachaussagen selbst in die Öffentlichkeit begeben hat, muss eine Bezugnahme auf diese Fachaussagen in einer Werbeanzeige im Regelfall hinnehmen, soweit er mit den ihm zugeschriebenen Fachaussagen zutreffend zitiert wird und ihn der Durchschnittsleser nicht in einen Zusammenhang mit dem beworbene Produkt bringt, indem dieser etwa von "bezahlten" Äußerungen oder sonstigen geschäftlichen Verbindungen ausginge.

BGH, Urteil vom 28. Juli 2022 - I ZR 171/21 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Köln: Namentliche Nennung und das Zitieren einer Person in der Werbung kann ohne Zustimmung zulässig sein

OLG Köln
Urteil vom 28.10.2021
15 U 230/20


Das OLG Köln hat entschieden, dass die namentliche Nennung und das Zitieren einer Person in der Werbung ohne Zustimmung zulässig sein kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Ungefragt zitiert - Die Wiedergabe von fachlichen Äußerungen in einer Werbeanzeige kann auch ohne Zustimmung dazu zulässig sein

Werden fachliche Äußerungen einer Person unter Nennung ihres Namens in einer Werbeanzeige zutreffend wiedergegeben, kann dies im Einzelfall zulässig sein, auch wenn die Person hiervon keine Kenntnis hat oder dem zugestimmt hat. Das hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln mit Urteil vom 28.10.2021 - 15 U 230/20 - entschieden.

Der Kläger hat sich als Ärztlicher Direktor einer Abteilung einer Universitätsklinik gegen seine namentliche Erwähnung in einer im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Werbeanzeige der Beklagten für ein Produkt gegen das sogenannte Reizdarmsyndrom (RDS) gewandt. Der Kläger war darin mit anlässlich einer Pressekonferenz getätigten allgemeinen Äußerungen zu Diagnose- und Therapieproblemen des RDS unter namentlicher Nennung zitiert und so in einen gewissen werblichen Kontext gesetzt worden. Das Landgericht Köln hatte mit Urteil vom 04.11.2020 (Az. 28 O 69/20) einen entsprechenden Unterlassungsanspruch abgelehnt und die Klage abgewiesen.

Dieser Auffassung hat sich der Senat in seinem Urteil angeschlossen und die seitens des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil eingelegte Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass sowohl ein auf eine unzulässige Verwendung des Namens (§ 12 BGB) als auch ein auf eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gestützter Unterlassungsanspruch ausschieden, weil es im konkreten Fall allein um ein "pseudowissenschaftliches" Zitieren des Klägers und sein so begründetes namentliches Anführen im bloßen räumlichen Kontext einer Produktbewerbung gehe, bei der aber gerade keine wie auch immer gelagerte "Falschbezeichnung" und/oder der Anschein einer Lizenzierung für die Werbemaßnahme usw. hervorgerufen werde. Sowohl für die im Rahmen eines Anspruches wegen unzulässiger Verwendung eines Namens nach § 12 BGB als auch für die im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht anzustellende Interessensabwägung sei hier zudem maßgeblich, dass weder erkennbar sei, dass der Kläger als Person unter Ausnutzung eines eignen Werbewertes für die Anpreisung des Produkts vermarktet wurde, noch, dass etwa seine fachliche Kompetenz auf das konkret beworbene Produkt übertragen wurde. Vielmehr sei er lediglich mit - von ihm selbst im Rahmen einer Pressekonferenz öffentlich getätigten - Äußerungen zu Diagnose- und Therapieproblemen im Zusammenhang mit dem RDS zitiert worden. In der bisherigen Rechtsprechung erörterte Fragen bei einem Verbinden einer werblichen Verwendung eines Namens einer natürlichen Person mit einer satirischen, künstlerischen oder auch journalistisch-redaktionellen Sachaussage (vgl. etwa dazu zuletzt die Pressemitteilung 7/19 vom 27.02.2019 - "Endlich scharf") ließen sich auf den konkreten Fall zwar nicht ohne weiteres übertragen, doch werde auch hier letztlich nur eine zutreffende informative Sachaussage getroffen.

Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.[...]

Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 28.10.2021 - Az. 15 U 230/20.



LG Hamburg: Art. 2 InfoSoc-RL gilt nicht für Lichtbilder im Sinne von § 72 UrhG und Ausschnitte aus Lichtbildwerken die allein keinen Werkscharakter aufweisen

LG Hamburg
Urteil vom 22.05.2020
308 S 6/18


Das LG Hamburg hat entscheiden, dass Art. 2 InfoSoc-RL gilt nicht für Lichtbilder im Sinne von § 72 UrhG und Ausschnitte aus Lichtbildwerken die allein keinen Werkscharakter aufweisen.

Das Gericht hat die Revision zum BGH zugelassen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehen die von ihr geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Sie folgen insbesondere nicht aus §§ 97 ff. UrhG. Der Beklagte hat die ausschließlichen Nutzungsrechte der Klägerin an der streitgegenständlichen Fotografie nicht verletzt.

a) Es liegt keine rechtswidrige Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG vor.

aa) Die von der Klägerin als Klagemuster angeführte Fotografie genießt Schutz als Lichtbildwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG. Die sorgsam gestaltete Bildkomposition, die insbesondere in dem gewählten Bildausschnitt und der offensichtlich gezielt eingesetzten Verteilung von Schärfe im Bildvordergrund und Unschärfe im Bildhintergrund ihren Ausdruck gefunden hat, bringt ein für die Eröffnung von Werkschutz ausreichendes Maß an persönlicher geistiger Schöpfung zum Ausdruck.

Zudem kann sich eine Vervielfältigungshandlung im Sinne des § 16 UrhG auch auf einzelne Teile eines Werkes beschränken, sofern der betreffende Werkteil auch für sich genommen urheberrechtlich schutzfähig ist (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 16, Rn. 9). Letzteres ist vorliegend der Fall. Zwar hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, dass dem fraglichen Bildausschnitt – der aus dem Bildhintergrund herausgelösten Abbildung des Soldaten – für sich genommen kein Werkschutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG zugebilligt werden kann. Die Abbildung des Soldaten weist für sich genommen weder im Hinblick auf das Motiv noch bezüglich des Blickwinkels, der Verteilung von Licht und Schatten, des Zusammenspiels von Schärfen und Unschärfen oder sonstigen gestalterischen Elementen Besonderheiten auf, in denen ein besonderer schöpferischer Gehalt zum Ausdruck kommt. Der fragliche Bildausschnitt genießt jedoch Lichtbildschutz nach § 72 UrhG, denn nach dieser Vorschrift sind auch kleinste Teile eines Fotos urheberrechtlich schutzfähig. Auf eine hinreichende Individualität kommt es insoweit nicht an, es genügt allein die rein technische Leistung (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 72, Rn. 15).

Das Amtsgericht hat ebenfalls zu Recht festgestellt, dass die angegriffene Gestaltung des Beklagten als freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG zulässig ist. Bei der Prüfung, ob eine Bearbeitung i.S.v. § 23 UrhG oder eine freie Benutzung nach § 24 UrhG vorliegt, kommt es auf die Übereinstimmung im Bereich der objektiven Merkmale an, durch die die schöpferische Eigentümlichkeit des Originals bestimmt wird. Es ist deshalb durch Vergleich der sich gegenüberstehenden Werke zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind. Maßgebend dabei ist ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind (BGH GRUR 2016, 1157, Rn. 21 – auf fett getrimmt; BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 41, 72 – Goldrapper; BGH, GRUR 2014, 258, Rn. 40 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm I). Beschränkt sich die Vervielfältigung auf einen Teil des Werkes, ist bei dieser Prüfung nicht das gesamte Werk, sondern allein der vervielfältigte Teil des Werkes der neuen Gestaltung gegenüberzustellen (BGH, GRUR 2017, 390, Rn. 46 - East Side Gallery). Für die Abgrenzung zwischen einer (unfreien) Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG und einem in freier Benutzung geschaffenen Werk gem. § 24 UrhG, das ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf, kommt es auf den Abstand an, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält. Von einer freien Benutzung im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere dann auszugehen, wenn für ein neues Werk zwar eigenpersönliche Züge eines geschützten älteren Werkes übernommen werden, diese aber angesichts der Eigenart des neuen Werkes in der Weise verblassen, dass die Benutzung des älteren Werkes durch das neuere nur noch als Anregung zu einem neuen, selbstständigen Werkschaffen erscheint (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 28.07.2016 – I ZR 9/15, GRUR 2016, 1157, Rn. 19 ff. – Auf fett getrimmt). Darauf kommt es vorliegend allerdings bereits nicht an, da nach den obigen Ausführungen der in Rede stehende Ausschnitt des Klagemusters schon keine eigenpersönlichen Züge aufweist, die einen eigenständigen Werkschutz begründen könnten. Vielmehr kann sich die Klägerin insoweit – wie bereits ausgeführt – nur auf den Lichtbildschutz des § 72 UrhG berufen. Wird eine auf einem bloßen Lichtbild abgebildete Person abgemalt, liegt angesichts des geringen Schutzumfanges des § 72 UrhG regelmäßig eine freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG vor, denn die fotografierte Person hat der Fotograf nicht geschaffen, sodass er an deren Umrissen und Gestalt grundsätzlich keine Rechte besitzt (so: Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 72, Rn. 17, i.V.m. § 24, Rn. 36, unter Berufung auf HansOLG, Urt. v. 12.10.1995 – 3 U 140/95, ZUM 1996, 315, 316 f. – Big Nudes). Eine andere Beurteilung kann insoweit allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn außer der fotografierten Person auch die besonderen Gestaltungsmittel der Fotografie (Licht und Schatten, Grautöne, Schärfen und Unschärfen etc.) und die ggf. individuelle Auswahl und Anordnung des Motivs (Gruppierung von mehreren Personen, Wahl des Blickwinkels etc.) in der Zeichnung wiederkehren (Schulze, a.a.O.). Dies ist vorliegend jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil, wie bereits ausgeführt, die streitgegenständliche Fotoaufnahme des aus dem Bildhintergrund herausgelösten Soldaten keine derartigen besonderen Gestaltungsmittel aufweist. Hinzu kommt, dass der Beklagte durch die Art und Weise seiner „Übersetzung“ des Fotos in eine sehr kontrastreiche Schwarz-Weiß-Zeichnung mit eher geringer Detailgenauigkeit gegenüber der Abbildung des Soldaten im Klagemuster eine erhebliche Abstrahierung und Entpersonalisierung herbeigeführt und zudem durch die Hinzufügung des Textelementes („Und ob ich schon wanderte...“) auch einen neuen Assoziationsansatz geschaffen hat, wodurch sich sein Motiv im Ergebnis noch weiter von der Ausgangsabbildung entfernt hat.

bb) Die Regelungen der InfoSoc-Richtlinie stehen diesem Ergebnis nicht entgegen.

Zwar darf nach der Rechtsprechung des EuGH ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die Vervielfältigungsrechte gemäß Art. 2 InfoSoc-RL vorsehen, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen sind (so in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers gemäß Art. 2 lit. c) der InfoSoc-Richtlinie: EuGH Urt. v. 29.07.2019 – C-476/17, BeckRS 2019, 15823, Rn. 65 – Sampling als unerlaubte Vervielfältigung).

Die vorliegend erfolgte Übernahme der aus dem Bildhintergrund herausgelösten Figur des Soldaten fällt jedoch schon gar nicht in den Schutzbereich des Art. 2 InfoSoc-RL. Zwar betrifft das Vervielfältigungsrecht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 2 InfoSoc-RL auch Vervielfältigungen von Teilen des jeweiligen (Gesamt-)Schutzgegenstands. Dies gilt auch für Werke, da dem Richtlinienrecht insoweit nichts Gegenteiliges zu entnehmen ist. Die vervielfältigten Teile müssen dann jedoch Elemente enthalten, die die eigene geistige Schöpfung des Urhebers zum Ausdruck bringen (vgl. EuGH, EuZW 2009, 655, Rn. 39 - Infopaq; Leenen, in: Wandtke/Bullinger, InfoSoc-RL, 5. Aufl., Art. 2, Rn. 10 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr enthält – wie bereits ausgeführt – die aus dem Bildhintergrund herausgelösten Figur des Soldaten gerade keine eigenschöpferischen Elemente und kann daher keinen Werkschutz, sondern nur den Lichtbildschutz des § 72 UrhG in Anspruch nehmen.

In Art. 2 lit. b)-e) InfoSoc-RL wird das Vervielfältigungsrecht zwar über den Werkschutz hinaus auch auf weitere Schutzgegenstände erstreckt, nämlich auf:


- Aufzeichnungen der Darbietungen ausübender Künstler (lit. b),

- von Tonträgerherstellern hergestellte Tonträger (lit. c),

- Originale und Vervielfältigungsstücke von Filmen (lit. d) und

- Sendungsaufzeichnungen von Sendeunternehmen (lit. e).

Lichtbilder im Sinne des § 72 UrhG sind in diesem Schutzkatalog aber gerade nicht aufgeführt. Darin liegt zugleich der wesentliche Unterschied zum Sachverhalt der oben zitierten Sampling-Entscheidung des EuGH, denn im dortigen Fall unterfiel auch noch das streitgegenständliche Audiofragment dem unmittelbaren Schutz der InfoSoc-RL, nämlich als Teil einer Tonträgeraufnahme im Sinne des Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL.

Eine Übertragung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf reine Lichtbilder ist auch nicht deshalb vorzunehmen, weil Lichtbilder nach § 72 Abs. 1 UrhG „in entsprechender Anwendung der für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften des Teils 1“ geschützt werden. Zwar bringt der Gesetzgeber hierdurch zum Ausdruck, dass der Schutz von Lichtbildwerken und von Lichtbildern – bis auf die in § 72 Abs. 2 und Abs. 3 UrhG enthaltenen Besonderheiten – weitgehend übereinstimmend geregelt werden soll. Dass sich eine in Bezug auf Lichtbildwerke notwendige richtlinienkonforme Auslegung des § 24 UrhG auch auf Lichtbilder erstreckt, folgt hieraus aber nicht. Da der deutsche Gesetzgeber bei den Regelungen zu Lichtbildern nicht die Vorgaben der genannten Richtlinien beachten muss, ist ohne eine Gesetzesänderung nicht davon auszugehen, dass europarechtlich erforderliche Beschränkungen des Anwendungsbereichs des § 24 UrhG auch für Lichtbilder gelten.

b) Aus den gleichen Gründen sind vorliegend auch eine rechtswidrige Verbreitung (§ 17 UrhG) und ein rechtswidriges öffentliches Zugänglichmachen (§ 19a UrhG) durch den Beklagten zu verneinen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revisionszulassung beruht auf § 543 ZPO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Fragen, ob sich der Schutzbereich des Art. 2 InfoSoc-RL auch auf bloße Fragmente aus Lichtbildwerken erstreckt, die für sich genommen nur Schutz gemäß § 72 UrhG beanspruchen können, und wie sich dies auf die Anwendbarkeit des § 24 UrhG auswirkt, können sich in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen, sind höchstrichterlich aber noch nicht geklärt.



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Spiegel Online durfte Auszug aus Buchmanuskript von Politiker Volker Beck im Internet veröffentlichen - Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG

BGH
Urteil vom 30.04.2020
I ZR 228/15
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, Art. 14 Abs. 1; UrhG §§ 50, 51 Satz 1, § 63 Abs. 1 und 2 Satz 1; Richtlinie 2001/29/EG Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 und Buchst. d, Abs. 5
Reformistischer Aufbruch II


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Spiegel Online durfte Auszug aus Buchmanuskript von Politiker Volker Beck im Internet veröffentlichen - Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Das Eingreifen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG setzt nicht voraus, dass es dem Berichterstatter unmöglich oder unzumutbar war, vor der Berichterstattung die Zustimmung des Rechtsinhabers einzuholen (Aufgabe von BGH, Urteil vom 17. Dezember 2015 - I ZR 69/14, GRUR 2016, 368 Rn. 16 - Exklusivinterview).

b) Eine Berichterstattung über Tagesereignisse ist nur dann gemäß § 50 UrhG privilegiert, wenn sie verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.

c) Bei der unionsrechtskonformen Auslegung des § 50 UrhG ist zu berücksichtigen, dass die Reichweite der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG geregelten Ausnahme oder Beschränkung nicht vollständig harmonisiert ist. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind deshalb die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 und 14 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte des Grundgesetzes gegeneinander abzuwägen.

d) Die Privilegierung einer Berichterstattung über Tagesereignisse setzt voraus, dass sie den Anforderungen des Drei-Stufen-Tests des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2002/29/EG genügt.

e) Liegen die Voraussetzungen der Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse gemäß § 50 UrhG vor, ist auch ein Eingriff in das Erstveröffentlichungsrecht (§ 12 UrhG) gerechtfertigt.

BGH, Urteil vom 30. April 2020 - I ZR 228/15 - Kammergericht - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Spiegel Online durfte Auszug aus Buchmanuskript von Politiker Volker Beck im Internet veröffentlichen - Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG

BGH
Urteil vom 30.04.2020
I ZR 228/15
Reformistischer Aufbruch II


Der BGH hat entschieden, dass Spiegel Online Auszüge aus einem Buchmanuskripts des Politikers Volker Beck im Internet veröffentlichen. Es lag eine zulässige Berichterstattung über Tagesereignisse nach § 50 UrhG vor.

Die Pressemitteilung des BGH:

Zur urheberrechtlichen Zulässigkeit der Veröffentlichung von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten durch ein Internet-Nachrichtenportal

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Buchbeiträgen eines Bundestagsabgeordneten auf einem Internet-Nachrichtenportal zulässig war.

Sachverhalt:

Der Kläger war in den Jahren 1994 bis 2016 Mitglied des Bundestags. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die radikale Forderung einer vollständigen Abschaffung des Sexualstrafrechts wandte, aber für eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien im Jahr 1988 als Beitrag in einem Buch. Im Mai 1988 beanstandete der Kläger gegenüber dem Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung Änderungen am Text und an den Überschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren wurde der Kläger mehrfach kritisch mit den Aussagen des Buchbeitrags konfrontiert. Er erklärte daraufhin wiederholt, sein Manuskript sei durch den Herausgeber im Sinn verfälscht worden, weil dieser die zentrale Aussage - die Abkehr von der seinerzeit verbreiteten Forderung nach Abschaffung des Sexualstrafrechts - wegredigiert habe. Spätestens seit dem Jahr 1993 distanzierte sich der Kläger vollständig vom Inhalt seines Aufsatzes.

Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Originalmanuskript des Klägers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl, für die er als Abgeordneter kandidierte, zur Verfügung gestellt. Der Kläger übermittelte das Manuskript an mehrere Zeitungsredaktionen als Beleg dafür, dass es seinerzeit für den Buchbeitrag verändert worden sei. Einer Veröffentlichung der Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Stattdessen stellte er das Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis auf seiner Internetseite ein, er distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite durch die Presse war er einverstanden.

Vor der Bundestagswahl veröffentlichte die Beklagte in ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht vertrat, der Kläger habe die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt. Die Originaldokumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Klägers keineswegs im Sinn verfälscht worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag über einen elektronischen Verweis (Link) herunterladen. Die Internetseite des Klägers war nicht verlinkt.

Der Kläger sieht in der Veröffentlichung der Texte eine Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Kammergericht hat angenommen, die Veröffentlichung der urheberrechtlich geschützten Texte des Klägers ohne seine Zustimmung sei auch unter Berücksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) noch durch das gesetzliche Zitatrecht (§ 51 UrhG) gerechtfertigt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren mit Beschluss vom 27. Juli 2017 ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorgelegt (I ZR 228/15, GRUR 2017, 1027 - Reformistischer Aufbruch I; dazu Pressemitteilung Nr. 124/2017 vom 27. Juli 2017). Diese Fragen hat der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 29. Juli 2019 (C-516/17, GRUR 2019, 940 - Spiegel Online) beantwortet. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin das Revisionsverfahren fortgesetzt.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat durch die Bereitstellung des Manuskripts und des Buchbeitrags in ihrem Internetportal das Urheberrecht des Klägers nicht widerrechtlich verletzt. Zu ihren Gunsten greift vielmehr die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) ein.

Eine Berichterstattung über ein Tagesereignis im Sinne dieser Bestimmung liegt vor. Das Berufungsgericht hat bei seiner abweichenden Annahme nicht hinreichend berücksichtigt, dass es in dem in Rede stehenden Artikel im Schwerpunkt um die aktuelle Konfrontation des Klägers mit seinem bei Recherchen wiedergefundenen Manuskript und seine Reaktion darauf ging. Dies sind Ereignisse, die bei der Einstellung des Artikels ins Internetportal der Beklagten aktuell und im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des erneut als Bundestagsabgeordneter kandidierenden Klägers von gegenwärtigem öffentlichem Interesse waren. Dass der Artikel über dieses im Vordergrund stehende Ereignis hinausgehend die bereits über Jahre andauernde Vorgeschichte und die Hintergründe zur Position des Klägers mitteilte, steht der Annahme einer Berichterstattung über Tagesereignisse nicht entgegen.

Die Berichterstattung hat zudem nicht den durch den Zweck gebotenen Umfang überschritten. Nach der Bestimmung des Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG, deren Umsetzung § 50 UrhG dient und die bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung zu beachten ist, darf die fragliche Nutzung des Werks nur erfolgen, wenn die Berichterstattung über Tagesereignisse verhältnismäßig ist, das heißt mit Blick auf den Zweck der Schutzschranke, der Achtung der Grundfreiheiten des Rechts auf Meinungsfreiheit und auf Pressefreiheit, den Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) entspricht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt es für die Frage, ob bei der Auslegung und Anwendung unionsrechtlich bestimmten innerstaatlichen Rechts die Grundrechte des Grundgesetzes oder die Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union maßgeblich sind, grundsätzlich darauf an, ob dieses Recht unionsrechtlich vollständig vereinheitlicht ist (dann sind in aller Regel nicht die Grundrechte des Grundgesetzes, sondern allein die Unionsgrundrechte maßgeblich) oder ob dieses Recht unionsrechtlich nicht vollständig determiniert ist (dann gilt primär der Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes). Im letztgenannten Fall greift die Vermutung, dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes mitgewährleistet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 16/13, GRUR 2020, 74 Rn. 71 - Recht auf Vergessen I). Da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG dahin auszulegen ist, dass er keine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung der Reichweite der in ihm aufgeführten Ausnahmen oder Beschränkungen darstellt, ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anwendung des § 50 UrhG danach anhand des Maßstabs der Grundrechte des deutschen Grundgesetzes vorzunehmen.

Im Streitfall sind nach diesen Maßstäben bei der Auslegung und Anwendung der Verwertungsrechte und der Schrankenregelungen auf der Seite des Klägers das ihm als Urheber zustehende, durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte ausschließliche Recht der öffentlichen Zugänglichmachung seiner Werke zu berücksichtigen. Außerdem ist das von seinem Urheberpersönlichkeitsrecht geschützte Interesse betroffen, eine öffentliche Zugänglichmachung seines Werks nur mit dem gleichzeitigen Hinweis auf seine gewandelte politische Überzeugung zu gestatten. Für die Beklagte streiten dagegen die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG. Die Abwägung dieser im Streitfall betroffenen Grundrechte führt zu einem Vorrang der Meinungs- und Pressefreiheit. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Beklagten im Rahmen ihrer grundrechtlich gewährleisteten Meinungs- und Pressefreiheit die Aufgabe zukam, sich mit den öffentlichen Behauptungen des Klägers kritisch auseinanderzusetzen und es der Öffentlichkeit durch die Bereitstellung des Manuskripts und des Buchbeitrags zu ermöglichen, sich ein eigenes Bild von der angeblichen inhaltlichen Verfälschung des Aufsatzes und damit von der vermeintlichen Unaufrichtigkeit des Klägers zu machen. Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend von einem hohen Stellenwert des von der Beklagten wahrgenommenen Informationsinteresses der Öffentlichkeit ausgegangen. Im Hinblick auf die Interessen des Klägers ist zu berücksichtigen, dass sein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes ausschließliche Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung des Manuskripts sowie des Buchbeitrags nur unwesentlich betroffen ist, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit einer weiteren wirtschaftlichen Verwertung des Aufsatzes nicht zu rechnen ist. Sein dem Urheberpersönlichkeitsrecht unterfallendes Interesse, zu bestimmen, ob und wie sein Werk veröffentlicht wird, erlangt im Rahmen der Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Die Beklagte hat ihren Lesern in dem mit der Klage angegriffenen Bericht die im Lauf der Jahre gewandelte Meinung des Klägers zur Strafwürdigkeit des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger nicht verschwiegen, sondern ebenfalls zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht. Sie hat der Öffentlichkeit damit den in Rede stehende Text nicht ohne einen distanzierenden, die geänderte geistig-persönliche Beziehung des Klägers zu seinem Werk verdeutlichenden Hinweis zur Verfügung gestellt und seinem urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interesse hinreichend Rechnung getragen.

Vorinstanzen:

LG Berlin - Urteil vom 17. Juni 2014 - 15 O 546/13

Kammergericht - Urteil vom 7. Oktober 2015 - 24 U 124/14

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 50 UrhG

Zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig.




OLG Frankfurt: Wer mehrdeutiges Sharepic postet muss eigene Deutung der enthaltenen Äußerung kenntlich machen wenn andere Auslegung Persönlichkeitsrechtsverletzung ist

OLG Frankfurt
Beschluss vom 16.04.2020
16 U 9/20

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass derjenige, der ein Sharepic postet, bei mehrdeutiger Interpretationsmöglichkeit die eigene Deutung der Äußerung kenntlich machen muss, wenn die andere Auslegung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt. Tut er dies nicht, so haftet er auf Unterlassung.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Interpretation mehrdeutiger Äußerungen muss kenntlich gemacht werden

Kann eine Äußerung unterschiedlich gedeutet werden, ist derjenige, der die Äußerung in einer Veröffentlichung wiedergibt, verpflichtet, die eigene Deutung der Äußerung durch einen Interpretationsvorbehalt kenntlich zu machen. Wenn dies nicht geschieht, ist er zum Unterlassen verpflichtet, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) in einem heute veröffentlichten Beschluss.

Die Klägerin ist Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie nimmt den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Der Beklagte hatte eine Werbeanzeige in Form eines sog. SharePic auf Facebook gepostet. Das SharePic zeigte den Kopf der Klägerin in sprechender Pose mit dem Text: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt.“

Das Landgericht hatte den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, durch diese Darstellung den Eindruck zu erwecken, dass die Klägerin den dort angegebenen Text wörtlich gesagt habe. Das OLG bestätigte die Entscheidung.

Zunächst stellte das OLG klar, dass es sich hier um eine Tatsachenbehauptung und nicht allein eine Meinungsäußerung handele. Der Beklagte habe den Eindruck erweckt, dass er die Klägerin wörtlich zitiere. So sei die Klägerin mit ihrem Kopf und einem zum Sprechen geöffneten Mund dargestellt worden; auch der Beginn des Textes mit dem Wort „Komma“ und die umgangssprachliche Ausdrucksweise unterstrichen diesen Eindruck. Der oberhalb des SharePic vorhandene Verweis auf einen Artikel in der „Welt“

sei angesichts der Plakativität und Auffälligkeit der Darstellung nicht geeignet, der Darstellung ein abweichendes Verständnis zu geben.

Diese Darstellung beeinträchtige das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Der Eindruck, es handele sich um ein Zitat, sei tatsächlich unzutreffend. Dabei wirke der grundrechtliche Schutz auch gegenüber unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergaben einer Äußerung - wie hier. Mit einem Zitat werde nicht eine subjektive Meinung des Kritikers zur Diskussion gestellt, sondern eine objektive Tatsache über den Kritisierten behauptet. „Deswegen ist das Zitat, das als Belegkritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf,“ betont das OLG unter Verweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Hier sei der Eindruck, es handele sich um ein Zitat der Klägerin, bereits deshalb unzutreffend, da die Klägerin die angegriffene Äußerung in der dargestellten Form nicht getätigt habe. Sie habe lediglich die Worte „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“ geäußert.

Ohne Erfolg verweise der Beklagte darauf, dass er den Einwurf der Kläger in einer öffentlichen Debatte so wiedergebe, wie er von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden sei. Vielmehr liege bereits dann eine unrichtige Wiedergabe vor, wenn der Eindruck erweckt werde, der Zitierte habe sich eindeutig in einem bestimmten Sinn geäußert, obwohl mehrere Interpretationen möglich seien und nicht kenntlich gemacht werde, dass es sich hier nur um eine Interpretation einer mehrdeutigen Aussage handele. Maßgeblich sei dabei nicht das vertretbare Verständnis eines Durchschnittslesers. Es komme vielmehr darauf an, „was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat,“ betont das OLG.

Hier habe die Klägerin lediglich die Worte „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“ geäußert. Dies sei für sich gesehen inhaltsleer und könne allein im Zusammenhang einen Sinn erhalten. Die hier streitgegenständliche Äußerung sei im Rahmen einer Sitzung 1986 gefallen, in welcher die damalige Rednerin der Grünen von einem CDU-Abgeordneten gefragt worden sei, wie sie zu einem Beschluss der Grünen in NRW stehe, die Strafandrohung gegen sexuelle Handlungen an Kindern aufzuheben. Dies habe die Klägerin zu dem zitierten Einwurf veranlasst. Ihr Einwurf sei zumindest mehrdeutig. Zwar habe die „Welt“ in dem verlinkten Artikel die Frage aufgeworfen, „klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt o. k.?“ Der Einwurf könne aber auch dahingehend verstanden werden, dass die Klägerin lediglich den Inhalt des angesprochenen

Beschlusses klarstellen wollte. Dafür spreche, „dass sie mit der Formulierung „Komma“ zu erkennen gab, an die Äußerung des CDU-Abgeordneten anschließen und sie vervollständigen zu wollen; eine inhaltliche Positionierung ist damit nicht zwangsläufig verbunden.“

Wenn demnach unterschiedliche Deutungen - wie hier - möglich sind, sei der Zitierende verpflichtet, die eigene Deutung einer Äußerung durch einen Interpretationsvorbehalt als solche kenntlich zu machen, betont das OLG. Dies sei hier nicht geschehen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 16.4.2020, Az. 16 U 9/20 (vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 5.12.2019, Aktenzeichen 2-03 O 194/19)



LG Frankfurt: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Wiedergabe eines verkürzten bzw. falschen Zitats in einem Sharepic

LG Frankfurt
Urteil vom 30.01.2020
2-03 O 90/19


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Wiedergabe eines verkürzten bzw. falschen Zitats in einem Sharepic vorliegen kann.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die Klägerin kann vom Beklagten aus den §§ 823, 1004 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG Unterlassung der angegriffenen Äußerung gemäß dem Antrag zu I.2 („SharePic“) verlangen.

a. Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH NJW 2016, 789 Rn. 20; BGH NJW 2016, 56 Rn. 29; BGH NJW 2014, 2029 Rn. 22; jew. m.w.N.).

Hier ist das Schutzinteresse der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG mit dem Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK abzuwägen.

Stehen sich als widerstreitende Interessen – wie vorliegend – die Meinungs- bzw. Pressefreiheit und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt (LG Köln, Urt. v. 10.06.2015 – 28 O 564/14 Rn. 33).

Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen maßgeblich vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind – jedenfalls, wenn sie nicht die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre, sondern die Sozialsphäre betreffen (BVerfG NJW 1999, 1322, 1324) –, unwahre dagegen nicht (BVerfG NJW 2012, 1643 Rn. 33). Außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 GG stehen – abgesehen von solchen Tatsachenbehauptungen, die von vornherein Dritten nicht zur Meinungsbildung dienen können (BGH GRUR-RR 2008, 257 Rn. 12 m.w.N.) – aber nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung feststeht, denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die als unwahr anzusehen sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit regelmäßig kein schützenswertes Interesse (BGH GRUR 2014, 693 Rn. 23 – Sächsische Korruptionsaffäre). Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (BGH GRUR 2013, 312 – IM Christoph; BGH GRUR 2014, 693 Rn. 23 – Sächsische Korruptionsaffäre).

Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfG AfP 2013, 389, juris-Rn. 18). Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offen steht. Soweit eine Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil verbunden ist bzw. beides ineinander übergeht, ist darauf abzustellen, was im Vordergrund steht und damit überwiegt. Wird eine Äußerung in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt oder ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt, liegt eine Meinungsäußerung vor. Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters ist auszugehen, wenn die Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt (vgl. Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 4 Rn. 50 ff.).

Hierbei sind Äußerungen entsprechend dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsempfängers zu interpretieren (Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 4 Rn. 4; Soehring/Hoene, Presserecht, 6. Aufl. 2019, § 14 Rn. 6; jew. m.w.N.).

b. Bei der angegriffenen Äußerung handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Denn der Durchschnittsbetrachter der angegriffenen Äußerung versteht die Äußerung im Gesamtkontext so, dass die Klägerin die abgebildete Äußerung – gleich eines Zitats – getätigt hat. Der Kammer ist bekannt, dass Bilder wie das hier streitgegenständliche, die eine Person und eine Äußerung enthalten, häufig zur Wiedergabe von Zitaten, auch im kritischen Kontext verwendet werden. Dies entspricht auch dem – vom Beklagten nicht bestrittenen – Sachvortrag der Klägerin.

Die Kammer erachtet dieses Verständnis des Durchschnittslesers auch – im Sinne eines Eindrucks bzw. einer verdeckten Tatsachenbehauptung (vgl. dazu BGH NJW 2000, 656 – Korruptionsvorwurf; BGH NJW 2006, 601; BGH AfP 2017, 48; OLG Köln AfP 2014, 902; OLG Stuttgart NJW-RR 2014, 487, 488; Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 12 Rn. 86 m.w.N.; Soehring/Hoene, a.a.O., § 16 Rn. 84) – als zwingend.

Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Äußerung im Bild nicht in Anführungszeichen gesetzt hat. Denn auch ohne diese Verdeutlichung schreibt der Durchschnittsbetrachter der Klägerin die angegriffene Äußerung als Zitat zu.

Der Eindruck wird auch nicht durch die Wiedergabe eines Ausschnitts des „B“-Beitrags ausgeräumt. Denn dieser ist ersichtlich nur ein Auszug aus dem Beitrag.

Der Eindruck, dass die Klägerin die angegriffene Äußerung so wie abgebildet getätigt hat, wird im konkreten Fall noch dadurch verstärkt, dass das vom Beklagten verwendete Bildnis der Klägerin lediglich den Kopf der Klägerin zeigt und die Klägerin auf dem Bild den Mund geöffnet hat, wodurch im Gesamtkontext der Eindruck wie bei einer Sprechblase (vgl. dazu LG Frankfurt a.M., Urt. v. 07.02.2019 – 2-03 O 190/18, S. 16) erzeugt wird.

Zusätzlich verdeutlicht der Beklagte für den Durchschnittsleser, dass es sich um eine tatsächliche Behauptung handelt, indem er eine Quelle für seine Äußerung angibt. Der Durchschnittsleser wird daher davon ausgehen, dass diese Quelle als Belegfunktion dient und dort die Behauptung des Beklagten bzw. die Äußerung der Klägerin ebenfalls zu finden sein wird.

c. Der vom Beklagten hervorgerufene Eindruck ist falsch und verletzt die Klägerin unzulässig in ihrem Persönlichkeitsrecht."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:





BGH: Kurze Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung kann zulässig sein

BGH
Urteil vom 26.11.2019 - VI ZR 20/19
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass die kurze Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung zulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Zur kurzen Wiedergabe des Inhalts eines Anwaltsschreibens ohne wörtliche Zitate in einer Presseveröffentlichung.

b) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

BGH, Urteil vom 26. November 2019 - VI ZR 20/19 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben kann ohne Zustimmung des Verfassers zulässig sein

BGH
Urteil vom 26.11.2019
VI ZR 12/19
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben ohne Zustimmung des Verfassers zulässig sein kann.

Leitsätze des BGH:

a) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Bestimmungsrecht des Autors über die Veröffentlichung eines von ihm verfassten Schreibens.

b) Zu dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

c) Zu dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (hier: Veröffentlichung von Zitaten aus einem Anwaltsschreiben).

BGH, Urteil vom 26. November 2019 - VI ZR 12/19 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG München: Loriot-Zitat "Früher war mehr Lametta" mangels Schöpfungshöhe nicht urheberrechtlich geschützt

OLG München
Beschluss vom 14.08.2019
6 W 927/19


Das OLG München hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens entschieden, dass das Loriot-Zitat "Früher war mehr Lametta" keinen urheberrechtlichen Schutz genießt. Nach Ansicht des Gerichts fehlt es an der für einen urheberrechtlichen Schutz notwendigen Schöpfungshöhe.

Die Pressemitteilung des OLG München:

„Früher war mehr Lametta“ – kein Urheberschutz für Loriot-Zitat (Az: 6 W 927/19)

Der 6. Senat des Oberlandesgerichts München bestätigt den Beschluss der 33. Zivilkammer des Landgerichts München I im einstweiligen Verfügungsverfahren um den Aufdruck des Loriot-Zitats „Früher war mehr Lametta“ auf T-Shirts.

Die unter anderem auf Urheberrecht spezialisierte 33. Zivilkammer des Landgerichts München I hatte am 18.07.2019 mit Beschluss einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen T-Shirt-Hersteller zurückgewiesen (Az. 33 O 9328/19). Diese Entscheidung hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München mit Beschluss vom 14.08.2019 bestätigt (Az. 6 W 927/19). In der Sache ging es vor allem um die urheberrechtliche Schutzfähigkeit des Ausspruchs „Früher war mehr Lametta“.

Die Antragstellerinnen waren die Alleinerbinnen des unter dem Künstlernamen „Loriot“ bekannten und am 22.08.2011 verstorbenen Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow.

Die Antragsgegnerin vertrieb T-Shirts und andere Produkte mit diversen Aufdrucken, so auch mit dem Aufdruck „Früher war mehr Lametta“.

In den 70er Jahren schuf der Künstler Loriot den Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“, der am 07.12.1978 in der ARD erstausgestrahlt und auch in das 1981 im Diogenes Verlag erschienene Buch „Loriots dramatische Werke“ aufgenommen wurde. In diesem Sketch legte Loriot „Opa Hoppenstedt“ das Zitat „Früher war mehr Lametta“ in den Mund.

Die Antragsstellerinnen waren der Auffassung, dass aufgrund der unbefugten Verwendung des Zitats „Früher war mehr Lametta“ den Antragstellerinnen ein Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin aus § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB zustehe. Das Zitat „Früher war mehr Lametta“ sei urheberrechtlich schutzfähig, da es eine eigene Werkqualität im Sinne des § 2 UrhG aufweise.

Die 33. Zivilkammer wies den Antrag zurück. Sie begründete dies mit der fehlenden urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Spruchs.

Dem kurzen Satz „Früher war mehr Lametta“ fehlt nach Auffassung der 33. Zivilkammer bei der maßgeblichen isolierten Betrachtung die hinreichende Schöpfungshöhe für einen Schutz nach § 2 UrhG: Seine Besonderheit und Originalität erfahre dieser Satz durch die Einbettung in den Loriot-Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ und die Situationskomik. Blende man aber die Einbettung in den Sketch und auch den Umstand aus, dass Sketch samt „Früher war mehr Lametta“ von dem fraglos bekannten und bedeutenden Künstler Loriot stamme, handele es sich um einen eher alltäglichen und belanglosen Satz, der entweder schlicht zum Ausdruck bringe, dass früher mehr Lametta benutzt wurde, oder - unter Verwendung des Wortes „Lametta“ als Metapher - dass früher mehr Schmuck, Glanz, festliche Stimmung oder Ähnliches war. Selbst in der zweiten Deutungsmöglichkeit genüge die Verwendung einer einfachen Metapher im Anschluss an die alltägliche und gängige Eingangswortfolge „Früher war mehr“ nicht, um hier eine Originalität oder Individualität anzunehmen, welche übliche und alltägliche Ausdrucksformen deutlich überrage.

Das Oberlandesgericht München bestätigte das Landgericht München I in seiner Rechtsauffassung zur hier fehlenden urheberrechtlichen Werkqualität.

Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz rechtskräftig beendet.

Die Pressestelle des Landgerichts München I wünscht Ihnen gemeinsam mit der Pressestelle für Zivilrecht des Oberlandesgerichts München frohe Weihnachten!

Zum Hintergrund:

Einstweiliges Verfügungsverfahren:
Die einstweilige Verfügung dient im Zivilprozess dazu, einen Anspruch schnell zu sichern. Das Gericht ordnet vorläufig einen bestimmten Rechtszustand an (§§ 935 ff. Zivilprozessordnung). Eine einstweilige Verfügung ist jedoch nur eine vorläufige gerichtliche Anordnung. Wird die begehrte einstweilige Verfügung nicht erlassen, hat die Antragstellerseite die Möglichkeit das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einzulegen. Sofern das Landgericht der Beschwerde nicht abhilft, geht diese – wie hier - zur Entscheidung an das zuständige Oberlandesgericht.

Hauptsacheverfahren:
Das sog. „Hauptsacheverfahren“ kann sich an ein einstweiliges Verfügungsverfahren anschließen und entspricht dem Klageverfahren. Dem Antragsteller steht es demnach frei, nach Abschluss des Verfügungsverfahrens das Hauptsacheverfahren durch Klageerhebung einzuleiten, um die Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Spruchs abschließend gerichtlich klären zu lassen. In diesem Fall ist beim Landgericht München I derzeit kein Hauptsacheverfahren anhängig.


EuGH: Bei Überwiegen von Informationsfreiheit und Pressefreiheit Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks in Berichterstattung über Tagesereignisse ohne Zustimmung des Urhebers

EuGH
Urteil vom 29.07.2019
C-516/17
Spiegel Online / Volker Beck


Der EuGH hat entschieden, dass bei Überwiegen von Informationsfreiheit und Pressefreiheit die Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks in der Berichterstattung über Tagesereignisse ohne Zustimmung des Urhebers möglich ist.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die Nutzung eines geschützten Werks in der Berichterstattung über Tagesereignisse erfordert grundsätzlich keine vorherige Zustimmung des Urhebers

Außerdem kann das Zitat eines Werks mittels eines Hyperlinks erfolgen, sofern das zitierte Werk der Öffentlichkeit zuvor in seiner konkreten Gestalt mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers, aufgrund einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis zugänglich gemacht wurde.

Volker Beck, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestags, ist Verfasser eines Manuskripts, in dem es um die Strafrechtspolitik im Bereich sexueller Straftaten gegenüber Minderjährigen geht und das unter einem Pseudonym als Aufsatz in einem 1988 veröffentlichten Sammelband veröffentlicht wurde. Im Jahr 2013 wurde bei Recherchen in Archiven das Manuskript von Herrn Beck aufgefunden und ihm vorgelegt, als er für die Bundestagswahl in Deutschland kandidierte.

Herr Beck, der der Auffassung war, dass sein Manuskript vom Herausgeber des Sammelbands im Sinn verfälscht worden war, stellte es verschiedenen Zeitungsredaktionen als Nachweis für diesen Umstand zur Verfügung, ohne jedoch seiner Veröffentlichung durch die Redaktionen zuzustimmen.

Er veröffentlichte das Manuskript und den Aufsatz hingegen auf seiner eigenen Website und vermerkte auf diesen Dokumenten, dass er sich von ihnen distanziere.

Spiegel Online, die im Internet ein Nachrichtenportal betreibt, veröffentlichte einen Beitrag, in dem behauptet wird, dass entgegen der Darstellung von Herrn Beck die zentrale Botschaft in seinem Manuskript nicht verändert worden sei. Spiegel Online stellte in diesem Zusammenhang Hyperlinks bereit, über die ihre Leser die Originalfassung des Manuskripts und des im Sammelband veröffentlichten Aufsatzes herunterladen konnten.

Herr Beck ist der Ansicht, dass die Bereitstellung der Hyperlinks seine Urheberrechte verletze, und beanstandet sie daher vor den deutschen Gerichten als rechtswidrig.

Der Bundesgerichtshof befragt den Gerichtshof vor diesem Hintergrund u. a. über die Reichweite der in der Urheberrechtsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen für die Berichterstattung über Tagesereignisse bzw. für Zitate, die einen Nutzer von der Pflicht befreien, die Zustimmung des Urheberrechtsinhabers einzuholen.

Mit seinem heutigen Urteil entscheidet der Gerichtshof zunächst, dass die Richtlinie die Reichweite der Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die ausschließlichen Rechte des Urhebers zur Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe seines Werks nicht vollständig harmonisiert. Den Mitgliedstaaten verbleibt daher für ihre Umsetzung und Anwendung ein erheblicher, wenn auch streng geregelter Gestaltungsspielraum.

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die Informationsfreiheit und die Pressefreiheit, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, außerhalb der in der Richtlinie dafür vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen keine Abweichung von den ausschließlichen Rechten des Urhebers zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe rechtfertigen können.

Was die Abwägung angeht, die das nationale Gericht zwischen den ausschließlichen Rechten des Urhebers und dem Recht auf freie Meinungsäußerung vornehmen muss, hebt der Gerichtshof hervor, dass der Schutz des Rechts des geistigen Eigentums nicht bedingungslos ist und dass gegebenenfalls zu berücksichtigen ist, dass die Art der betreffenden „Rede“ oder Information insbesondere im Rahmen der politischen Auseinandersetzung oder einer das allgemeine Interesse berührenden Diskussion von besonderer Bedeutung ist.

Zu der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Nutzung geschützter Werke in Verbindung mit der Berichterstattung über Tagesereignisse zu erlauben (soweit es der Informationszweck rechtfertigt und sofern – außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist – die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers, angegeben wird), entscheidet der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer solchen Ausnahme oder Beschränkung diese nicht davon abhängig machen dürfen, dass der Urheber zuvor um seine Zustimmung ersucht
wurde.

Insoweit ist es Sache des Bundesgerichtshofs, zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Originalfassungen des Manuskripts und des Aufsatzes von 1988 im Volltext und ohne die Distanzierungsvermerke von Herrn Beck erforderlich war, um das verfolgte Informationsziel zu erreichen.

Hinsichtlich der von der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme für Zitate stellt der Gerichtshof fest, dass es nicht notwendig ist, dass das zitierte Werk – beispielsweise durch Einrückungen oder die Wiedergabe in Fußnoten – untrennbar in den Gegenstand eingebunden ist, in dem es zitiert wird. Vielmehr kann sich ein solches Zitat auch aus der Verlinkung auf das zitierte Werk ergeben.

Die Nutzung muss jedoch den anständigen Gepflogenheiten entsprechen und durch den besonderen Zweck gerechtfertigt sein. Folglich darf die Nutzung des Manuskripts und des Aufsatzes durch Spiegel Online für Zitatzwecke nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des mit dem Zitat verfolgten Ziels erforderlich ist.

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Ausnahme für Zitate nur unter der Voraussetzung Anwendung findet, dass das fragliche Zitat ein Werk betrifft, das der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht wurde. Das ist der Fall, wenn das Werk der Öffentlichkeit zuvor in seiner konkreten Gestalt mit Zustimmung des Rechtsinhabers,
aufgrund einer Zwangslizenz oder aufgrund einer gesetzlichen Erlaubnis zugänglich gemacht wurde.

Es ist Sache des Bundesgerichtshofs, zu prüfen, ob dem Herausgeber bei der ursprünglichen Veröffentlichung des Manuskripts als Aufsatz in einem Sammelband durch Vertrag oder anderweitig das Recht zustand, die fraglichen redaktionellen Änderungen vorzunehmen. Sollte das nicht der Fall sein, wäre davon auszugehen, dass das Werk, wie es in dem Sammelband veröffentlicht wurde, mangels Zustimmung des Rechtsinhabers der Öffentlichkeit nicht rechtmäßig zugänglich gemacht wurde.

Bei der Veröffentlichung des Manuskripts und des Artikels von Herrn Beck auf dessen eigener Website wurden diese Dokumente hingegen nur insoweit der Öffentlichkeit rechtmäßig zugänglich gemacht, als sie mit den Distanzierungsvermerken von Herrn Beck versehen waren.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Frankfurt: Zitatrecht aus § 51 UrhG kann auch umfangreiche schriftliche Zitate aus einem mündlichen Vortrag abdecken

OLG Frankfurt
Urteil vom 18.04.2019
11 O 107/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Zitatrecht aus § 51 UrhG auch umfangreiche schriftliche Zitate aus einem mündlichen Vortrag abdecken kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Urheberrechtliches Zitatrecht kann auch umfangreiche schriftliche Zitate eines mündlichen Vortrags decken

Hält ein Autor eine frei zugängliche Vorlesung, können auch umfangreiche Zitate aus dieser Rede innerhalb einer sich mit dieser Vorlesung auseinandersetzenden Berichterstattung zulässig sein. Die Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Zitaten (§ 51 UrhG) sind über die gesetzlichen Anforderungen hinaus nicht davon abhängig, ob das in öffentlicher Rede gehaltene Sprachwerk vor der Zitierung schriftlich erschienen ist. Dies gilt auch, wenn das Sprachwerk die Intimsphäre des Urhebers betrifft, urteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichtem Urteil.
Nr. 25/2019

Der Kläger ist Schriftsteller, die Beklagte ist ein Presseunternehmen und betreibt ein Onlinemedium. Der Kläger hielt im Frühjahr 2018 im Rahmen einer Gastdozententätigkeit eine frei zugängliche Vorlesung. Die Beklagte berichtete am Folgetag ausführlich über diesen Vortrag. Dabei gab sie in mehreren Textblöcken wörtliche Zitate aus der Rede wieder, in denen auch persönliche Erlebnisse des Klägers geschildert worden waren.

Der Kläger begehrt nun im Eilverfahren, der Beklagten die Vervielfältigung und Verbreitung konkreter Textpassagen mit seinen Zitaten zu untersagen. Das Landgericht hatte diesem Antrag stattgegeben. Das OLG hat auf die Berufung der Beklagten hin die einstweilige Verfügung aufgehoben. Die Berichterstattung sei rechtmäßig, stellte das OLG fest. Die wiedergegebenen Textpassagen seien zwar als Sprachwerke urheberrechtlich geschützt. Die Veröffentlichung sei jedoch über das sog. urheberrechtliche Zitatrecht (§ 51 UrhG) gerechtfertigt:

Der Kläger habe selbst „das Sprachwerk in freier Rede der Öffentlichkeit in Gestalt der Zuhörer seiner Vorlesung zugänglich gemacht“. Ein Zitat in Schriftform - wie hier - setze nicht voraus, dass die Erstveröffentlichung ebenfalls in Schriftform erfolgte. Die Beklagte habe die Zitate auch im Rahmen eines Artikels verwendet, der seinerseits ein eigentümliches und originelles Sprachwerk darstelle. Schließlich sei die Wiedergabe der Textteile durch den zulässigen Zitatzweck gedeckt. „Die Zitatfreiheit soll die geistige Auseinandersetzung mit fremden Werken erleichtern“, betont das OLG, „sie gestattet es nicht, ein fremdes Werk ... nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen“. Der Zitierenden müsse „eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk... und den eigenen Gedanken herstell(en) und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erschein(en)“ lassen. Dies sei hier der Fall. Der Artikel gebe nicht lediglich den Kern des Vortrags wieder. Er beschreibe vielmehr in eigener Art und Weise, wie der Kläger private Umstände im Rahmen seines Vortrags offenbarte und welche Reaktionen und Fragen er damit beim Publikum und der Autorin des Artikels auslöste. „Die Wiedergabe der Textstellen dient damit nicht lediglich der Illustration der Berichterstattung, sondern beschreibt und erläutert sie und ermöglicht es dem Leser, die Einordnungen der Autorin selbst nachvollziehbar zu machen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen“, urteilt das OLG.

Der Umfang der hier verwendeten Zitate sei ebenfalls noch vom Zitatrecht gedeckt. Zulässig sei das Zitieren in einem insgesamt vernünftigen und sachgerechten Umfang unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände. Dieser Rahmen werde hier eingehalten. Der Artikel stelle „den Versuch dar, sich dem Kläger anzunähern, ihn und sein Leben, insbesondere sein literarisches Schaffen, gerade im Hinblick auf die in der Vorlesung wiedergegebenen Geschehnisse zu verstehen und zu überdenken“. Die Zitate seien hier in die Darstellungen und Erläuterungen der Autorin auf verschiedenen Ebenen einbezogen und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet worden. Der Artikel reihe die Zitate gerade nicht lediglich aneinander, sondern folge einer eigenen Dramaturgie. Insgesamt lägen damit die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Zitierung nach § 51 UrhG vor, die nach dem Gesetz auch nicht anderen Anforderungen unterliege, wenn der Urheber sich – wie hier - entschlossen habe, ein seine Intimsphäre berührendes Sprachwerk zu veröffentlichen.

Dieses Urteil ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18.04.2019, Az. 11 O 107/18
(Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 05.09.2018, Az. 2-06 O 195 /18)

Erläuterungen:
§ 51 [1]UrhG Zitate

1Zulässig ist die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines veröffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. 2Zulässig ist dies insbesondere, wenn

1. einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden,
2. Stellen eines Werkes nach der Veröffentlichung in einem selbständigen Sprachwerk angeführt werden,
3. einzelne Stellen eines erschienenen Werkes der Musik in einem selbständigen Werk der Musik angeführt werden.