Skip to content

EuGH-Generalanwalt: Zu den Voraussetzungen der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 08.05.2025
C‑580/23 und C‑795/23

Der EuGH-Generalanwalt hat sich in seinen Schlussanträgen mit den Voraussetzungen der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst befasst.

Ergebnis:
1. Im Unionsrecht besteht zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz kein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit der Folge, dass bei der Prüfung der Originalität von Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen zu stellen sind als bei anderen Werkarten.

2. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind dahin auszulegen, dass ein Werk im Sinne dieser Bestimmungen ein Gegenstand ist, der die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (origineller Gegenstand). Nicht kreativ sind nicht nur Entscheidungen, die durch verschiedene Zwänge vorgegeben sind, die den Urheber bei der Schaffung des fraglichen Gegenstands gebunden haben, sondern auch Entscheidungen, die zwar frei, nicht aber Ausdruck der Persönlichkeit des Urhebers sind, indem sie diesem Gegenstand einen einzigartigen Aspekt verleihen. Insbesondere begründet die Möglichkeit, bei der Schaffung freie Entscheidungen zu treffen, keine Vermutung für deren Kreativität. Umstände wie die Absichten des Urhebers beim Schaffensprozess, seine Inspirationsquellen und die Verwendung bekannter Formen, die Wahrscheinlichkeit einer unabhängigen ähnlichen Schöpfung oder die Anerkennung des Gegenstands in Fachkreisen können bei der Beurteilung der Originalität des fraglichen Gegenstands berücksichtigt werden. Diese Umstände sind jedoch keinesfalls entscheidend, da sich das angerufene Gericht selbst davon überzeugen muss, dass ein origineller Gegenstand vorliegt, um ihn für urheberrechtlich geschützt erklären zu können.

3. Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 sind dahin auszulegen, dass das angerufene Gericht, um eine Urheberrechtsverletzung feststellen zu können, ermitteln muss, ob kreative Elemente des geschützten Werks wiedererkennbar in den als verletzend beanstandeten Gegenstand übernommen worden sind. Das bloße Fehlen eines anderen Gesamteindrucks zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Gegenständen kann für die Feststellung einer solchen Verletzung nicht als ausreichend angesehen werden. Der Begriff „Grad an Originalität“ des geschützten Werks ist für die Zwecke dieser Prüfung irrelevant. Eine unabhängige ähnliche Schöpfung stellt zwar keine Urheberrechtsverletzung dar, doch kann die bloße Möglichkeit einer solchen unabhängigen Schöpfung dann keine Versagung des urheberrechtlichen Schutzes rechtfertigen, wenn eine Vervielfältigung kreativer Elemente des geschützten Werks festgestellt worden ist.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Comiczeichnung einer liegenden Katze mit Mittelfinger-Geste ("Katze NÖ") als Werk nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 UrhG urheberrechtlich geschützt

OLG Frankfurt
Urteil vom 13.02.2025
11 U 10/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Comiczeichnung einer liegenden Katze mit Mittelfinger-Geste ("Katze NÖ") als Werk nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 UrhG urheberrechtlich geschützt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der auf Unterlassung der Vervielfältigung und Verbreitung von Tassen und Fußmatten mit dem streitgegenständlichen Design gerichtete Klageantrag zu 1.) ist begründet (§ 97 I UrhG). Die Klägerin hat das eingangs des Tatbestands abgebildete und am 24. Juni 2018 auf www.spreadnet.de veröffentlicht Design der „Katze NÖ“ geschaffen. Das Landgericht hat bereits die Urheberschaft der Klägerin im Tatbestand seines Urteils verbindlich festgestellt. Soweit die Beklagten dies erstmals in der Berufungserwiderung vom 17.8.2023 (Bl. 887 d. A.) in Frage gestellt haben, müssen sie sich die Beweiskraft des Tatbestands des angefochtenen Urteils entgegenhalten lassen (§ 314 ZPO). Die Klägerin hat den Herstellungsprozess ihres Werks, wie er im obigen Tatbestand wiedergegeben worden ist, in ihrer Anhörung vor dem Senat nochmals überzeugend geschildert (Bl. 1060 d.A.). Die Beklagten sind dem nicht entgegengetreten, sondern haben selbst im Schriftsatz vom 17.8.2023 das klägerische Motiv als „handgezeichnete Katze“ bezeichnet (aaO, S. 9, Bl.886 d.A.).

2. Die Illustration der Klägerin hat Werkcharakter i.S. von § 2 I Nr. 4, II UrhG.

Werke im Sinne dieser Vorschrift sind nur persönliche geistige Schöpfungen. Für das Vorliegen von Urheberrechtsschutz kommt es - unabhängig von der Frage, ob die Gestaltung der zweckfreien oder der angewandten Kunst zuzurechnen ist - darauf an, ob eine Gestaltungshöhe erreicht wird, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise gerechtfertigt erscheint, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 143/12, Rn. 26 - Geburtstagszug).

Als Werke der bildenden Kunst können auch Trivialfiguren, wie z.B. Comiczeichnungen geschützt sein. Die Klägerin hat die Figur anfangs zweckfrei entworfen. Auch wenn eine gewerbliche Verwertung bei der streitgegenständlichen Gestaltung nicht fernliegt und die Zeichnung dann auch von ihr auf der Website einer print-on-demand - Anbieterin eingestellt wurde, kann der Gebrauchszweck daher nicht von vorn herein bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit berücksichtigt werden (vgl. dazu Senat, Urteil vom 12.6.2018, 11 U 51/18- Logo).

Die Eigentümlichkeit des reklamierten Werks kann nicht allein darin bestehen, dass einer Tierfigur menschliche Züge vermittelt worden sind. Die schöpferische Leistung kann vielmehr nur in der konkreten Umsetzung einer Gestaltungsidee liegen. Bei der Beurteilung der Schutzfähigkeit müssen demnach die schöpferischen Elemente der Gestaltung in ihrer Gesamtheit ins Auge genommen und es muss geprüft werden, ob die Antragstellerin möglicherweise den vorbekannten Formenschatz (lediglich) handwerklich überarbeitet hat, was einer Schutzunfähigkeit entgegenstehen könnte (vgl. Senat vom 15.9.2020, 11 U 76/19 - Powerherz). Dies ist hier aber nicht der Fall:

Die streitgegenständliche Darstellung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine auf der linken Körperhälfte liegende Katze mit wenigen Strichen (stilisiert) von hinten abgebildet wird. Die Umrisszeichnung ist in unterschiedlicher Strichdicke ausgeführt und betont die Rundung des Bauchs und den in den Bildvordergrund weisenden und mit gezackten Linien und feinen Strichen am Ende versehenen Schwanz des Tieres, das beim Betrachter einen „entspannten“ Eindruck hinterlässt. Im Kontrast zu der verniedlichten Darstellung des Subjekts durch die herausgearbeiteten Tierkonturen (z.B. buschiger Schwanz, runder Bauch, Barthaare, gestrichelter Kopf und gestrichelte Rückenpartie) steht die erhobene Pfote mit einem nach oben ausgestreckten „Mittelfinger“, was landläufig als menschliches Zeichen einer Schmähung oder zumindest einer Abwehr verstanden wird (vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschluss vom 8.2.2017, 1 BvR 2973/14 - juris).

Die erforderliche Originalität kann daher darin gesehen werden, dass die zentrale Bildaussage - die dem Betrachter eine Abwehrhaltung vermitteln will - durch die Kombination einer lediglich konturenhaft dargestellten und als niedlich empfundenen Katzenfigur mit einer konkret dargestellten als negativ empfundenen Gestik visualisiert worden ist.

Dass eine derartige Gestaltung dem vorbekannten Formenschatz entnommen und lediglich handwerklich überarbeitet worden ist, lässt sich nicht feststellen. Die Beklagten tragen zwar zutreffend vor, dass Katzenmotive und deren graphische Gestaltungen bereits seit etlichen Jahren in den verschiedensten Ausprägungen bekannt sind. Die von den Beklagten vorgelegten Beispiele aus dem vorbekannten Formenschatz sind aber weder in ihrer Darstellungsweise noch in ihrer oben zusammengefassten Bildaussage mit der Illustration der Klägerin vergleichbar:

Soweit die Beklagte ursprünglich auf die vorbekannte „vermenschlichte“ Comicfigur einer Katze (Garfield) hingewiesen und Bildbeispiele präsentiert hat (Anlage BRP 4 - Bl. 597 d.A.), sieht der Senat im Hinblick auf deren deutlich abweichende Gestaltungsmerkmale und Bildaussage keine Verbindung zur Darstellung der Klägerin. Die im Schriftsatz vom 16.11.2021 als Anlage BRP 5 - BRP 8 vorgelegten weiteren „Katzenmotive“ sind unstreitig erst nach 2019 d.h. auch erst nach der von Frau B geschaffenen Illustration veröffentlicht worden und - soweit sie nicht als Kopien des klägerischen Motivs erscheinen - im Übrigen auch so „schlicht“ und phantasielos gehalten, dass sie das klägerische Motiv gar nicht hätten stimulieren können.

Die anschließend von den Beklagten vorgelegten vorveröffentlichten Motive „Mother of Cats“, „Best Cat Mom Ever“ oder „Mr. & Mrs. Panda“ (Anlagen BRP 11 - 13, Bl. 669 ff. d.A.) sind ebenfalls mit einer schlichten Linienführung ausgestaltet und vor allem mit völlig anderen Bildaussagen konzipiert. Dies gilt auch für die von der Zeugin B im Beweisaufnahmetermin vor dem Landgericht vorgelegten Übersicht „Ideenfindung visuell“, die in der oberen Bildhälfte verschiedene stilisierte Darstellungen von Katzen enthält, von denen allerdings keine dem streitgegenständlichen Original nahekommt (Bl. 726 d. A.). Das gilt zuletzt auch für die im Schriftsatz vom 16. Oktober 2024 auf Seiten 5 / 6 vorgelegten Abbildungen der von den Beklagten so genannten „Fluffy-Cat“, eine einfache Konturzeichnung einer „aufgerichteten Katze in Vorderansicht“ mit zwei erhobenen Pfoten, die schon auf den ersten Eindruck einen völlig abweichenden Eindruck hinterlässt.

3. Die von den Beklagten als Aufdruck von Tassen, Fußabtretern etc. verwendete und von der Klägerin angegriffene Illustration verletzt das Schutzrecht der Klägerin, woraus sich der zuerkannte Unterlassungsanspruch gem. § 97 I UrhG ergibt.

a) Gegenstand des Urheberrechtsschutzes sind die individuellen Züge eines Werks. Nur sie sind vor Benutzung und Nachahmung geschützt. Der Schutzumfang wird durch den Grad seiner Individualität, d.h. durch seine Gestaltungshöhe bestimmt. Je stärker die Individualität des Schöpfers im Werk zum Ausdruck kommt, d.h. je größer die Gestaltungshöhe ist, desto größer ist der Schutzumfang. Umgekehrt folgt aus einem nur geringen Grad an schöpferischer Eigentümlichkeit auch ein entsprechend geringer Schutzbereich des betreffenden Werks (vgl. KG GRUR-RR 2002, 40, 50 - Vaterland; Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 6. Aufl., Rn 36 zu § 2 UrhG m.w.N.).

Der Senat kann sich der Einschätzung des Landgerichts, das Werk der Klägerin liege an der Grenze zwischen Schutzfähigkeit und Schutzlosigkeit, nicht anschließen. Die Klägerin hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ihre in der Tradition des Comic-Zeichnens stehende Illustration den Charakter und die Figur der abgebildeten Katze kurz und pointiert, zugleich aber auch anatomisch korrekt wiedergibt, was auch im Vergleich mit den weiteren beispielhaft vorgelegten Illustrationen der Klägerin deren individuelle Handschrift offenbart und sich deutlich von den anderen in diesem Rechtsstreit vorgelegten Mustern unterscheidet (Anlage K 10, Bl. 194ff d.A.). Auch das als qualifizierter Parteivortrag zu bewertende Privat-Kurzgutachten des Herrn C vom 28. November 2022 bestätigt dem Design der Klägerin eine eigenständige illustrative Handschrift, die prägnant, konsistent und im zeichnerischen Duktus durchgängig ist (Anlage K 18 - Bl. 840 d.A.). Dem sind die Beklagten durch die Vorlage des vorbekannten Formenschatzes nicht in substantiierter Weise entgegengetreten.

Aber selbst wenn man annimmt, dass der schöpferische Gehalt des Originals im unteren Bereich des Werkschutzes liegt, so ist das von der Klägerin geschaffene Motiv der Katzen-Silhouette in stilisierter Form mit emporgehobenen Mittelfinger aufgrund ihrer oben dargestellten individuellen Züge jedenfalls nicht nur gegen identische Kopien geschützt. Der Schutzbereich schließt auch solche Gestaltungen ein, die nur in kleinen Details vom Original abweichen und damit einen identischen Gesamteindruck vermitteln (vgl. zum Prüfungsumfang BGH GRUR 2023, 571, Rn 29 - Vitrinenleuchte; BGH GRUR 2005, 855, 856 - Hundefigur).

Dies trifft für die angegriffene Gestaltung der Beklagten zu, denn sie weicht lediglich in marginalen und für den Gesamteindruck unerheblichen Details der Strichführung, wie beispielsweise bei der etwas spitzer zulaufenden Pfote / Hand der Katze und des „Mittelfingers“ von dem Original ab. Das Landgericht hat diese minimalen, und für den Gesamteindruck unmaßgeblichen Abweichungen in seinem Urteil zutreffend aufgeführt (LGU S. 17). Ergänzend wird auf die von den Beklagten mit der Klageerwiderung eingereichte unmittelbare Gegenüberstellung der Motive verwiesen, die zur Überzeugung des Senats bei einem verständigen Betrachter keine für den Gesamteindruck relevanten Abweichungen erkennbar machen (Bl. 61 d. A.).

b) Die Vervielfältigung und Verbreitung des Motivs der Beklagten ist nicht aufgrund einer sog. Doppelschöpfung gerechtfertigt. Nach den eigenen Angaben der Beklagten und nach der insoweit glaubhaften Aussage der Zeugin B ist das von ihr geschaffene Motiv erst Anfang 2019, also nach dem von der Klägerin geschaffenen Original erstellt worden. Es lässt sich nicht feststellen, dass die angegriffene Gestaltung aus einer Doppelschöpfung von Frau B hervorgegangen ist.

aa) Eine Doppelschöpfung liegt vor, wenn mehrere Urheber unabhängig voneinander übereinstimmende Werke geschaffen haben, ohne dass der eine bewusst oder unbewusst auf das Werk des anderen zurückgegriffen hat. Eine hundertprozentige Übereinstimmung wird zwar nach menschlicher Erfahrung kaum eintreten. Im Ähnlichkeitsbereich liegende Gestaltungen sind aber durchaus möglich, besonders wenn der Spielraum für individuelles Schaffen begrenzt ist und die Individualität nur in bescheidenem Maße zutage tritt. Am ehesten finden sich solche Fälle im Bereich der kleinen Münze, etwa bei Prospekten, Tabellen und dgl. oder bei leichter Unterhaltungsmusik, ferner dann, wenn die beteiligten Urheber auf gemeinfreies Kulturgut zurückgreifen, das sie in eigenschöpferischer, aber ähnlicher Weise zu einem Werk formen (Loewenheim in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl., Rn 34 zu § 23 UrhG m.w.N.; Senat GRUR-RS 2015, 15366 = WRP 2015, 1253 - Tapetenmuster).

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Doppelschöpfung vorliegt, ist davon auszugehen, dass angesichts der Vielfalt der individuellen Schaffensmöglichkeiten auf literarischem und künstlerischem Gebiet eine weitgehende Übereinstimmung von Werken, die auf selbständigem Schaffen beruhen, nach menschlicher Erfahrung nahezu ausgeschlossen erscheint. Weitgehende Übereinstimmungen legen deshalb in der Regel die Annahme nahe, dass der Urheber des jüngeren Werkes das ältere Werk bewusst (Plagiat) oder unbewusst (unbewusste Entlehnung) benutzt hat, insoweit kann man von einem Anscheinsbeweis ausgehen (Loewenheim aaO., Rn 35 zu § 23 UrhG).

Derjenige, der sich auf die Doppelschöpfung beruft, hat den Anscheinsbeweis gegen sich, dass er zu dem Werk durch das ältere inspiriert worden ist, d.h. dass tatsächlich keine Doppelschöpfung vorliegt (h.M. Wandtke/Bullinger, UrhR, 6. Aufl, Rn 49 zu § 23 UrhG m.w.N.; a.A. OLG Köln GRUR 2000, 43, 44 - Klammerpose: volle Beweislast beim Anspruchsgegner).

Die Berufung auf eine Doppelschöpfung kann in der Regel nur dann gelingen, wenn sich die übereinstimmenden Elemente auch in anderen Werken wiederfinden bzw. wenn das ältere Werk unveröffentlicht war. Im letzteren Fall hat der Urheber des jüngeren Werkes die Möglichkeit zu belegen, dass ihm das ältere Werk nicht bekannt war. Praktisch relevanter sind die Fallgestaltungen, bei denen sich beide Autoren aus den gleichen gemeinfreien Quellen bedient haben und der als Verletzer in Anspruch genommene Autor durch Bezugnahme den Anscheinsbeweis entkräften kann, dass die Parallelen auf einer Bearbeitung oder Umgestaltung beruhen (vgl. Wandtke/Bullinger aaO, Senat aaO - Tapetenmuster).

Die Beklagten haben den gegen sie sprechenden Anschein weder erschüttern noch widerlegen können. Anders als das Landgericht hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass die bei der Beklagten angestellte Designerin B das angegriffene Motiv ohne Kenntnis des Originals selbständig entworfen hat.

bb) Die Zeugin B hat zwar vor dem Senat erneut bekundet, das Motiv der Klägerin vor der Anfertigung ihrer Illustration nicht gekannt zu haben. Die Illustration von Frau B ist von den Beklagten als Produktaufdruck vorgelegt worden (vgl. Anlage BRP 2 - Bl. 27 d. A.). Frau B hat ferner bekundet, die Web-Site www.(...).de vor Anfertigung ihrer Illustration nicht gekannt zu haben. Sie hat außerdem ausgesagt, ihr eigenes Motiv sei aus einem Arbeitsauftrag der Geschäftsleitung an die Grafiker der Beklagten hervorgegangen, für Tassen ein Design zu entwerfen, bei dem Katzen vorkommen und freche Aussagen; auch das Thema „Mittelfinger“ sei damals im Trend gewesen. Sie habe ihre eigene Illustration mit Hilfe des Software-Programms „ADOBE Illustrator“ und den bei der Beklagten zu 1) elektronisch vorhandenen Vorlagen aus der Sammlung „Colorbox“ in mehreren Schritten entwickelt.

cc) Der Senat hat zwar keine Zweifel daran, dass Frau B bzw. das Designerteam der Beklagten von der Geschäftsleitung den oben geschilderten Arbeitsauftrag erhalten hatte. Es bestehen aber durchgreifende Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben von Frau B soweit sie angegeben hat, dass sie ihre Illustration ohne Kenntnis von dem klägerischen Original geschaffen hat.

Diese Zweifel gründen sich in erster Linie auf die nahezu vollständige Übereinstimmung der angegriffenen Verletzungsform mit dem Original der Klägerin. Die Gegenüberstellung in der Klageerwiderung (Anlage BRP 8) ebenso wie die Darstellung in der Berufungsbegründung mit den „übereinandergelegten Katzen“ (Bl. 828 d. A.) zeigt die nur minimalen Abweichungen beider Motive ebenso wie die identische Platzierung und Gestaltung des unter der Katzenfigur befindlichen Worts „NÖ“.

Der Senat hält es auch unter Berücksichtigung des nachfolgend dargestellten weiteren gesamten Beweisergebnisses für ausgeschlossen, dass Frau B ohne Kenntnis von dem klägerischen Original eine so weitgehend identische Linienführung der Katzensilhouette hat erschaffen können.

Frau B hat ihren „Schaffensprozess“ nicht konsistent geschildert. Es lässt sich nicht nachvollziehen, wie Frau B mit Hilfe des von ihr bekundeten bzw. beim Landgericht präsentierten Vorlagenmaterials zu dem streitgegenständlichen Endprodukt gelangt ist. So hat sie u.a. beim Landgericht und beim Senat angegeben, als Vorbild habe die Darstellung einer niedlichen Katze „Fluffy Cat“ mit einem gestreckten Mittelfinger gedient. Dieses Vorbild war nie präsentiert worden. Die erst nach der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme von den Beklagten mit Schriftsatz vom 16.10.2024 (dort S. 5) vorgelegte Konturenzeichnung eines Katzengesichts mit zwei Pfoten „Fluff You“ hat nach Einschätzung des Senats nicht einmal ansatzweise etwas mit dem streitgegenständlichen Motiv zu tun und kann daher auch nicht als Vorlage oder Inspiration taugen.

Soweit die Zeugin in ihrer Vernehmung beim Landgericht als Anlage zum Protokoll eine Zusammenstellung von Illustrationen vorgelegt hat (ein Blatt mit Überschrift „Ideenfindung visuell“, ein Blatt ohne Überschrift), ist diese Zusammenstellung nach ihren eigenen Angaben vor dem Senat von ihr selbst erst nachträglich erstellt worden und die Entwicklungsgeschichte ihres Produkts lässt sich nach ihrer eigenen Angabe daraus auch nicht schrittweise entnehmen. Das in dieser Zusammenstellung am Ende des nicht betitelten Blattes mit dem Zusatz „NÖ“ wiedergegebene Design entspricht im Übrigen auch nicht der angegriffenen Verletzungsform, so dass Frau B selbst jedenfalls niemals das Endprodukt ihres Schöpfungsvorgangs und damit das vermeintlich „doppeltgeschöpfte zweite Original“ vorgelegt hat. Auf die Ausführungen der Klägerin auf Seiten 20 ff. der Berufungsbegründung, denen der Senat folgt, wird verwiesen (Bl. 826 ff. d.a.). Frau B hat in ihrer letzten Vernehmung klargestellt, es sei ihr nahezu unmöglich, den konkreten Entstehungsprozess ihrer Zeichnung vor dem Gericht zu erläutern.

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat auch keinen Anlass, der erstmals nach der Zeugenvernehmung unter Sachverständigenbeweis aufgestellten Behauptung der Beklagten nachzugehen, es existiere noch eine Adobe Illustrator Datei, aus der die Bearbeitungsschritte zu entnehmen und zu erkennen sei, dass nicht die Zeichnung eines Dritten Ausgangspunkt des Schaffensvorgangs von Frau B gewesen sei. Da Frau B am Ende ihrer Aussage vor dem Senat eine solche Datei erwähnt, aber trotz ausführlicher Erörterung dieses Themas mit keinem Wort angesprochen hat, dass dieser Datei irgendwelche „Entwicklungsschritte“ zu entnehmen wären, die den Entstehungsprozess erklären könnten, ist dieser neue Sachvortrag als Behauptung „ins Blaue hinein“ anzusehen und das Beweisangebot als unzulässiger Ausforschungsbeweis zu bewerten. Wenn man das anders sehen wollte, so wäre dieser Vortrag und das zugehörige Beweisangebot jedenfalls gem. § 531 II ZPO präkludiert.

Weitere Ungereimtheiten ergeben sich aus den unterschiedlichen Angaben von Frau B, die in ihrer ersten eidesstattlichen Versicherung angegeben hatte, den Entwurf zunächst mit Bleistift angefertigt und dann mit dem Computer nachgearbeitet zu haben, während sie in einer späteren eidesstattlichen Versicherung und in ihren Zeugenvernehmungen bekundet hat, sie habe ihre Illustration ausschließlich mit dem genannten Computerprogramm und einer Computermaus erstellt. Die Zeugin hat zwar in ihrer Vernehmung vor dem Landgericht erläutert, wie es zu den unterschiedlichen Versionen der auf denselben Tag datierten eidesstattlichen Versicherungen gekommen ist. Dennoch bleiben gerade auf die Ausführungen von C in dessen Privatgutachten Zweifel, ob es überhaupt möglich sein kann, eine solch komplexe Zeichnung ohne Kenntnis des Originals nur mit Hilfe einer Computermaus erschaffen zu können. Die entsprechende Rückfrage des Klägervertreters im Senatstermin, wie es dazu kommen kann, dass sich beispielsweise die Streifen am Schwanz der Katze oder Details an deren Hals bei beiden Zeichnungen an genau derselben Stelle befinden, konnte die Zeugin nicht beantworten.

Im Ergebnis gilt das gleiche für das identisch positionierte und mit identischer Schrifttype gefertigte Wort „NÖ“ unterhalb der Katzenfigur. Auf Frage des Gerichts, wie sich die Zeugin dies erklärt, hat sie geantwortet, diese Schrifttype sei damals für sie „gängig“ gewesen, was aber schon nicht die identische (!) Positionierung des Worts erklärt und auch deshalb zweifelhaft war, weil Frau B trotz ihrer beruflichen Erfahrung als Grafikerin nicht in der Lage war, die Schrifttype zu benennen.

Die minimalen Abweichungen der angegriffenen Verletzungsform von dem Original lassen sich ohne weiteres mit dem Arbeitsauftrag von Frau B erklären. Sie war verpflichtet, eine Vorlage zu erstellen, die auf Folien, Textilien, Kaffeetassen oder Fußabtreter aufgedruckt werden konnte, was es erforderlich machte, ein möglichst klares und starkes Konturenbild zu zeichnen, dass gut durch den Drucker (Plotter) erfasst werden konnte (vgl. ihre Zeugenaussage vor dem Senat Bl. 1061 d.A.). Hiermit lässt sich ohne weiteres erklären, warum die Katze bei Frau B einen durchgängigen Strich als „Schädeldecke“ bzw. als Schwanzende erhalten hat bzw. warum deren Katze einen deutlicher konturierten Übergang vom Rücken zum Schwanz aufweist. Die Beklagten haben in ihrem jüngsten Schriftsatz vom 16. 10. 2024 selbst dargestellt, dass es mit dem von Frau B benutzten Software-Programm „Adobe Illustrator“ ohne weiteres möglich ist, einfache Strichzeichnungen mit unterschiedlichen Linienstärken zu versehen und nachträglich zu verändern.

Unerheblich bleibt die Angabe der Zeugin B, sie habe damals den Anbieter „A AG“ und dessen Web-Sites www.(...).de bzw. www.(...).de nicht gekannt. Dies scheint schon deshalb fragwürdig, weil sowohl die Beklagte zu 1) als auch die A AG in derselben Branche der Print-on-demand - Anbieter tätig sind und weil letztere nach eigenem Vortrag der Beklagten in dieser Branche eine erhebliche Marktbedeutung hatte. Letztlich spielt diese Bekundung von Frau B aber auch keine Rolle, weil das Katzenmotiv der Klägerin - wie die Zeugin selbst angegeben hat - u.a. auch über eine Google Bildersuche ohne weiteres aufgefunden werden konnte. Dies widerlegt auch den Einwand der Beklagten, die Web-Site www.(...).de sei offenbar nicht suchmaschinenoptimiert und daher seien dort eingestellte Bilder nur für Nutzer der Web-Site auffindbar gewesen.

Die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben von Frau B werden nicht dadurch ausgeräumt, dass sie „Auslöser“ der hiesigen Auseinandersetzung war, in dem sie sich in einem unternehmensinternen Chat vom Freitag, 29.5.2020 bei Kollegen über die Illustration eines auf www.(...).de abgebildeten T-Shirt mit dem Motiv der Klägerin aufgeregt hat, was zu der Aufforderung eines Kollegen geführt hat, den Beklagten zu 4) zu kontaktieren (Anlage BRP 3 zur Berufungserwiderung). Eine Stunde später hat dann der Beklagte zu 4) die Fa. A AG elektronisch abgemahnt (Anlage BRP 4 zur Berufungserwiderung).

Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass ein solches Verhalten einer Designerin nicht verständlich ist, wenn diese zuvor das fremde Motiv übernommen hat. Letztlich muss aber auch die Vorgeschichte dieses unternehmensinternen Chats beleuchtet werden, die aus unterschiedlichen, jeweils nicht völlig fernliegenden Gründen das Verhalten von Frau B nachvollziehbar macht. Sie hat beim Landgericht und gleichermaßen beim Senat bekundet, zuvor privat einen sog. Facebook - Post mit einer Abbildung des Tassendesigns der Katze NÖ erhalten zu haben, das sie den Kollegen habe zeigen wollen. Da es ihr nicht gelungen sei, diesen wiederzufinden, habe sie einen Kollegen gebeten, ihr bei der Suche zu helfen und mit Hilfe der Google-Bildersuche sei man dann auf Abbildungen des klägerischen Designs auf Kapuzenpullovern und T-Shirts gestoßen.

Nach der gemeinsam mit dem Kollegen gefundenen „Entdeckung“, dass es auch ein „fremdes“ Design der „Katze NÖ“ als Konkurrenzprodukt und Aufdruck auf Gebrauchsartikeln gab, hätte Frau B ihr Wissen unternehmensintern ohnehin nicht mehr geheim halten können. Es ist daher denkbar und auch nicht ganz fernliegend, dass sie im Wissen von ihrem eigenen Plagiat nun „die Flucht nach vorne“ ergriffen und in dem unternehmenseigenen Chat die fremde Illustration als Kopie des eigenen Entwurfs angeprangert hat. Nachdem dann ein Kollege geraten hatte, sofort die Geschäftsleitung zu informieren, gab es für Frau B auch keinen Anlass mehr, dies wieder zurückzunehmen.

Ebenso denkbar und nicht ganz fernliegend ist die Erklärung, dass sich Frau B im Zeitpunkt der „Entdeckung“ auch gar nicht mehr konkret daran erinnern konnte, die Illustration der Klägerin als Vorlage für das eigene Motiv verwendet zu haben. Immerhin lag dies damals schon deutlich mehr als ein Jahr zurück und die Zeugin hat angegeben, während ihrer Tätigkeit für die Beklagten ca. 10.000 Designs angefertigt zu haben. Die Klägerin hat ferner durch Vorlage eines anderen Tassendesigns aus dem Jahr 2021 („Älter werden ist nix für Pussies“), das von der Zeugin B stammt, und durch Vorlage eines älteren Motivs mit derselben Wort- und Bildaussage und auch derselben verwendeten Schrifttype des Anbieters D belegen können, dass es auch einen anderen Fall gegeben hat, bei dem sich die Zeugin B an ein fremdes (allerdings wohl nicht geschütztes) Design angelehnt hat (Gegenüberstellung im Schriftsatz vom 21.3.2024, S. 4-5).

Aus den dargelegten Gründen vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass Frau B kein eigenes Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits hätte und deshalb als besonders glaubwürdig anzusehen wäre.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext BGH liegt vor: Birkenstock-Sandalen sind nicht als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt

BGH
Urteil vom 20.02.2025 - I ZR 16/24
Birkenstocksandale
UrhG § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Birkenstock-Sandalen sind nicht als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann. Die ästhetische Wirkung der Gestaltung kann einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt. Für die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes muss eine gestalterische Freiheit bestehen, die in künstlerischer Weise ausgenutzt wird. Eine persönliche geistige Schöpfung ist ausgeschlossen, wo für eine künstlerische Gestaltung kein Raum besteht, weil die Gestaltung durch technische Erfordernisse vorgegeben ist. Mit einer künstlerischen Leistung ist nicht mehr und nicht weniger als eine schöpferische, kreative, originelle, die individuelle Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelnde Leistung auf dem Gebiet der Kunst gemeint.

b) Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist - wie für alle anderen Werkarten auch - eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität überhaupt erkennen lässt.

c) Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll. Bei Gebrauchsgegenständen muss genau und deutlich dargelegt werden, inwieweit sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind.

BGH, Urteil vom 20. Februar 2025 - I ZR 16/24 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Birkenstock-Sandalen sind nicht als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt

BGH
Urteil vom 20.02.2025 - I ZR 16/24
Urteil vom 20.02.2025 - I ZR 17/24
Urteil vom 20.02.2025 - I ZR 18/24


Der BGH hat entschieden, dass Birkenstock-Sandalen nicht als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sind.

DIe Pressemitteilung des BGH:
Kein Urheberrechtsschutz für Birkenstock-Sandalen

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in drei Revisionsverfahren über den Urheberrechtsschutz von Birkenstock-Sandalen entschieden.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist Teil der Birkenstock-Gruppe. Sie vertreibt verschiedene Sandalenmodelle. Die Beklagten bieten über das Internet ebenfalls Sandalen an oder stellen Sandalen als Lizenznehmer her.

Die Klägerin ist der Auffassung, bei ihren Sandalenmodellen handele es sich um urheberrechtlich geschützte Werke der angewandten Kunst. Die Angebote und Produkte der Beklagten verletzten das an ihren Sandalenmodellen bestehende Urheberrecht. Sie hat die Beklagten in allen Verfahren auf Unterlassung, Auskunft, Schadensersatz sowie Rückruf und Vernichtung der Sandalen in Anspruch genommen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat den Klagen jeweils stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klagen dagegen abgewiesen und einen urheberrechtlichen Schutz der Sandalenmodelle der Klägerin als Werke der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG verneint.

Mit den vom Oberlandesgericht zugelassenen Revisionen hat die Klägerin ihre Ansprüche weiterverfolgt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revisionen der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Ansprüche sind unbegründet, weil die Sandalenmodelle der Klägerin keine nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützten Werke der angewandten Kunst sind.

Das Oberlandesgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass Urheberrechtsschutz voraussetzt, dass ein gestalterischer Freiraum besteht und in künstlerischer Weise genutzt worden ist. Ein freies und kreatives Schaffen ist ausgeschlossen, soweit technische Erfordernisse, Regeln oder andere Zwänge die Gestaltung bestimmen. Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst ist - wie für alle anderen Werkarten auch - eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität erkennen lässt. Wer urheberrechtlichen Schutz beansprucht, trägt die Darlegungslast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen.

Das Oberlandesgericht hat sich mit sämtlichen Gestaltungsmerkmalen auseinandergesetzt, die nach Auffassung der Klägerin den Urheberrechtsschutz ihrer Sandalenmodelle begründen. In rechtsfehlerfreier tatgerichtlicher Würdigung ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht festgestellt werden kann, dass der bestehende Gestaltungsspielraum in einem Maße künstlerisch ausgeschöpft worden ist, das den Sandalenmodellen der Klägerin urheberrechtlichen Schutz verleiht.

Vorinstanzen:

im Verfahren I ZR 16/24

LG Köln - Urteil vom 11. Mai 2023 - 14 O 39/22

OLG Köln - Urteil vom 26. Januar 2024 - 6 U 86/23

und

im Verfahren I ZR 17/24

LG Köln - Urteil vom 11. Mai 2023 - 14 O 41/22

OLG Köln - Urteil vom 26. Januar 2024 - 6 U 85/23

und

im Verfahren I ZR 18/24

LG Köln - Urteil vom 11. Mai 2023 - 14 O 121/22

OLG Köln - Urteil vom 26. Januar 2024 - 6 U 89/23

Die maßgebliche Vorschrift lautet:

§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: […]

4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; […]

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.


EuGH: EU-Mitgliedstaaten müssen Designklassikern die als Werk der angewandten Kunst gelten unabhängig von der Herkunft urhberrechtlichen Schutz gewähren

EuGH
Urteil vom 24.10.2024
C-227/23
Kwantum Nederland BV, Kwantum België BV gegen Vitra Collections AG


Der EuGH hat entschieden, dass die EU-Mitgliedstaaten Designklassikern, die als Werk der angewandten Kunst gelten, unabhängig von der Herkunft urhberrechtlichen Schutz gewähren müssen.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Geistiges Eigentum: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Kunstwerke im Gebiet der Union zu schützen – unabhängig vom Ursprungsland dieser Werke oder der Staatsangehörigkeit ihres Urhebers

Vitra, eine schweizerische Gesellschaft, die Designermöbel herstellt, ist Inhaberin von Rechten des geistigen Eigentums an Stühlen, die von den inzwischen verstorbenen Eheleuten Charles und Ray Eames, Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika, entworfen wurden. Unter diesen Möbeln befindet sich u. a. der Dining Sidechair Wood, der im Rahmen eines vom Museum of Modern Art in New York (Vereinigte Staaten) ausgeschriebenen Wettbewerbs für Möbeldesign geschaffen und ab dem Jahr 1950 in diesem Museum ausgestellt wurde.

Die Gesellschaft Kwantum, die in den Niederlanden und in Belgien eine Kette von Geschäften für Innenmobiliar betreibt, vermarktete einen Stuhl mit der Bezeichnung „Paris-Stuhl“ und missachtete dabei vorgeblich Urheberrechte von Vitra am Dining Sidechair Wood. Vitra rief die niederländischen Gerichte an, um u. a. die Unterlassung dieser Vermarktung zu erreichen. Vor diesem Hintergrund hat der Oberste Gerichtshof der Niederlande beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zum Schutz nach der Richtlinie 2001/291 , Art. 17 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen vorzulegen, der in der Union einem Werk der angewandten Kunst, das aus einem Drittstaat stammt und dessen Urheber nicht Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, zugutekommen kann.

Im Völkerrecht sieht die Berner Übereinkunft2 vor, dass Urheber, die Staatsangehörige der Unterzeichnerländer sind, in den anderen Unterzeichnerländern grundsätzlich die gleichen Rechte genießen wie inländische Urheber. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz betrifft jedoch den Schutz von Werken der angewandten Kunst. Insoweit haben die Vertragsparteien eine Klausel der materiellen Gegenseitigkeit geschaffen, nach der Werke der angewandten Kunst mit Ursprung in Ländern, in denen solche Werke nur als Muster oder Modelle geschützt werden, in den anderen Unterzeichnerländern keinen Anspruch auf Kumulierung dieses Schutzes mit dem Urheberrechtsschutz haben.

Insofern möchte der Oberste Gerichtshof der Niederlande mit seiner dem Gerichtshof vorgelegten Frage wissen, ob es den Mitgliedstaaten noch freisteht, die in der Berner Übereinkunft enthaltene Klausel der materiellen Gegenseitigkeit auf Werke der angewandten Kunst mit Ursprung in Drittstaaten anzuwenden, die diese Werke lediglich aufgrund einer besonderen Regelung schützen, auch wenn der Unionsgesetzgeber eine solche Einschränkung nicht vorgesehen hat.

In seinem Urteil verneint der Gerichtshof dies: Im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29 sind die Mitgliedstaaten nicht mehr für die Umsetzung der einschlägigen Vorschriften der Berner Übereinkunft zuständig.

Hierzu weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass eine Situation, in der eine Gesellschaft urheberrechtlichen Schutz eines in einem Mitgliedstaat vermarkteten Gegenstands der angewandten Kunst beansprucht, in den ateriellen Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, sofern dieser Gegenstand als „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 eingestuft werden kann.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass dieser Richtlinie zwangsläufig sämtliche Werke berücksichtigt hat, deren Schutz im Gebiet der Union begehrt wird, und dass die Richtlinie im Übrigen kein Kriterium hinsichtlich des Ursprungslandes dieser Werke oder der Staatsangehörigkeit ihres Urhebers enthält. Der Gerichtshof führt weiter aus, dass die Anwendung der in der Berner Übereinkunft enthaltenen Klausel der materiellen Gegenseitigkeit das Ziel der Richtlinie 2001/29, das in der Harmonisierung des Urheberrechts im Binnenmarkt liegt, untergraben würde, da durch die Anwendung dieser Klausel Werke der angewandten Kunst mit Ursprung in Drittstaaten in verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich behandelt werden könnten.

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass, da die in Rede stehenden Rechte des geistigen Eigentums durch Art. 17 Abs. 2 der Charta geschützt sind, jede Einschränkung dieser Rechte gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen sein muss. Es ist aber allein Sache des Unionsgesetzgebers, zu bestimmen, ob die Zuerkennung der in der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Rechte in der Union einzuschränken ist.

Unter diesen Umständen kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf die Berner Übereinkunft berufen, um von den Verpflichtungen aus der Richtlinie freigestellt zu werden.

Ein Mitgliedstaat kann daher nicht abweichend von den Bestimmungen des Unionsrechts die in der Berner Übereinkunft enthaltene Klausel der materiellen Gegenseitigkeit auf ein Werk anwenden, dessen Ursprungsland die Vereinigten Staaten von Amerika sind.


Tenor der Entscheidung:
1.Eine Situation, in der eine Gesellschaft urheberrechtlichen Schutz eines in einem Mitgliedstaat vermarkteten Gegenstands der angewandten Kunst beansprucht, fällt in den materiellen Anwendungsbereich des Unionsrechts, sofern dieser Gegenstand als „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft eingestuft werden kann.

2. Art. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 in Verbindung mit Art. 17 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts den Mitgliedstaaten verwehren, das in Art. 2 Abs. 7 Satz 2 der am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in der Fassung der Änderung vom 28. September 1979 vorgesehene Kriterium der materiellen Gegenseitigkeit im nationalen Recht auf ein Werk der angewandten Kunst anzuwenden, dessen Ursprungsland ein Drittstaat und dessen Urheber ein Drittstaatsangehöriger ist. Es ist allein Sache des Unionsgesetzgebers, gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte durch Rechtsvorschriften der Union vorzusehen, ob die Zuerkennung der in Art. 2 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Rechte in der Union einzuschränken ist.

3. Art. 351 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, abweichend von den Bestimmungen des Unionsrechts das in Art. 2 Abs. 7 Satz 2 der am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in der Fassung der Änderung vom 28. September 1979 enthaltene Kriterium der materiellen Gegenseitigkeit auf ein Werk anzuwenden, dessen Ursprungsland die Vereinigten Staaten von Amerika sind.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Rechtliche Beratung beim Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz (KI) im Unternehmen - Rechtsanwälte - Rechtsanwalt - Anwalt - Anwälte

Bei der Nutzung generativer Künstlicher Intelligenz (KI) entstehen spezifische urheberrechtliche Probleme, die Unternehmen beachten müssen. Generative KI-Modelle haben die Fähigkeit, neue Inhalte, wie Texte, Bilder, Musik oder Videos, zu erstellen, die dem Stil oder Muster der Trainingsdaten entsprechen. Hier sind einige urheberrechtliche Aspekte, die beim Einsatz generativer KI relevant sind:

Generative KI-Modelle können Inhalte erstellen, die auf vorhandenen Werken basieren oder stark von ihnen inspiriert sind. Falls die KI auf urheberrechtlich geschützten Inhalten basiert, könnte es zu rechtlichen Konflikten kommen, insbesondere wenn die generierten Werke eine gewisse Originalität aufweisen.

Unternehmen müssen sicherstellen, dass die Nutzung generativer KI keine Rechte Dritter verletzt. Das bedeutet, dass die KI keine geschützten Materialien wie Bilder, Texte oder Musik ohne die entsprechenden Genehmigungen reproduzieren oder verwenden darf. Es ist wichtig, die Quellen und Rechte der Trainingsdaten zu überprüfen und sicherzustellen, dass die generierten Inhalte frei von Rechtsverletzungen sind.

Ob die von einem Unternehmen generierten Inhalten selbst urheberrechtlichen Schutz genießen ist noch nicht abschließend geklärt. Derzeit geht die Tendenz dahin, das maschinell erstelle Inhalte keinen eigenen urheberrechtlichen Schutz genießen, da es an der dafür notwendigen geistigen Schöpfung fehlt. Zudem schließt sich die Frage an, wem Rechte an generierten Inhalten zustehen. Dem Unternehmen als Nutzer oder dem Anbieter der verwendeten KI-Lösung. Letztlich ist der Gesetzgeber gefragt, um für die notwendige Klarstellung zu sorgen.

Unternehmen sollten klare Richtlinien und Verfahren für die Nutzung von generativen KI-Ergebnissen entwickeln. Dies umfasst die Lizenzierung, den Schutz und die Verwaltung der generierten Inhalte. Es ist ratsam, Nutzungsbedingungen und Vereinbarungen festzulegen, um die Rechte und Pflichten der Beteiligten zu definieren und potenzielle rechtliche Probleme zu vermeiden.

Insgesamt müssen Unternehmen, die generative KI-Modelle einsetzen, die urheberrechtlichen Aspekte sorgfältig prüfen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um potenzielle rechtliche Probleme zu vermeiden.

Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Beratung:

Telefon 0521-98628-0
email info@beckmannundnorda.de

BGH legt EuGH Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff im Rechtsstreit um das USM Haller Möbelsystem zur Vorabentscheidung vor

BGH
Beschluss vom 21.12.2023
I ZR 96/22


Der BGH hat dem EuGH Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff im Rechtsstreit um das USM Haller Möbelsystem zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff
vor

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelte Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks weiter geklärt werden soll.

Sachverhalt:

Die in der Schweiz ansässige Klägerin ist Herstellerin eines von ihr unter der Bezeichnung "USM Haller" seit Jahrzehnten vertriebenen modularen Möbelsystems, bei dem hochglanzverchromte Rundrohre mittels kugelförmiger Verbindungsknoten zu einem Gestell zusammengesetzt werden. In das Gestell können verschiedenfarbige Verschlussflächen aus Metall (sogenannte Tablare) eingesetzt werden. Die so geschaffenen Korpusse können beliebig kombiniert und über- oder nebeneinander angebaut werden.

Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, bietet über ihren Online-Shop Ersatzteile und Erweiterungsteile für das USM Haller Möbelsystem an, die in der Form und überwiegend auch in der Farbe den Original-Komponenten der Klägerin entsprechen. Nachdem sich die Beklagte zunächst - von der Klägerin nicht beanstandet - auf das reine Ersatzteilgeschäft beschränkt hatte, nahm sie in den Jahren 2017/2018 eine Neugestaltung ihres Online-Shops vor, in dem sämtliche Komponenten aufgelistet werden, die für den Zusammenbau vollständiger USM Haller Möbel erforderlich sind. Die Beklagte bietet ihren Kunden einen Montageservice an, bei dem die gelieferten Einzelteile beim Kunden zu einem vollständigen Möbelstück zusammengefügt werden.

Die Klägerin ist der Ansicht, bei dem USM Haller Möbelsystem handele es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst, jedenfalls aber um ein lauterkeitsrechtlich gegen Nachahmung geschütztes Leistungsergebnis. Sie sieht in der Neugestaltung des Online-Shops eine neue Ausrichtung des Geschäftsmodells der Beklagten, die darauf abziele, nicht mehr nur Ersatzteile für das Möbelsystem der Klägerin anzubieten, sondern ein eigenes Möbelsystem herzustellen, anzubieten und zu vertreiben, das mit ihrem Möbelsystem identisch sei.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, den Ersatz von Abmahnkosten und die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Sie stützt ihre Klageanträge in erster Linie auf Urheberrecht, hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage aus Urheberrecht überwiegend stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat dagegen urheberrechtliche Ansprüche abgelehnt und lediglich Ansprüche aus Wettbewerbsrecht zuerkannt.

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass es sich bei dem USM Haller Möbelsystem nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG handele. Es erfülle nicht die vom Gerichtshof der Europäischen Union in seiner jüngeren Rechtsprechung gestellten Anforderungen an ein Werk, weil seine Gestaltungsmerkmale - auch nach dem von ihnen vermittelten Gesamteindruck - nicht Ausdruck freier kreativer Entscheidungen seien.

Die von der Klägerin erhobenen Ansprüche seien aber unter dem Gesichtspunkt des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes begründet. Das USM Haller Möbelsystem habe wettbewerbliche Eigenart, weil seine Gestaltungsmerkmale nach ihrem Gesamteindruck auf die Klägerin als Herstellerin hinwiesen. Das Angebot der Beklagten sei gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a UWG unlauter, weil es die Abnehmer in vermeidbarer Weise über die betriebliche Herkunft der angebotenen Produkte täusche.

Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin verfolgt ihre vom Oberlandesgericht abgewiesenen urheberrechtlichen Ansprüche weiter. Die Beklagten erstreben die vollständige Abweisung der Klage.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung des in Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft enthaltenen Begriffs des Werks vorgelegt. Die richtige Auslegung ist mit Blick auf das beim Gerichtshof der Europäischen Union zum Aktenzeichen C-580/23 anhängige Vorabentscheidungsersuchen des schwedischen Berufungsgerichts für Patente und Märkte ("Svea hovrätt"), das gleichfalls Fragen zum Werkbegriff aufwirft, nicht derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt.

Zunächst soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob das Berufungsgericht mit Blick auf den für Werke der angewandten Kunst ebenfalls in Betracht kommenden Schutz als Geschmacksmuster oder Design zutreffend von einem Ausnahmecharakter des Urheberrechtsschutzes mit der Folge ausgegangen ist, dass bei der Prüfung der urheberrechtlichen Originalität dieser Werke höhere Anforderungen an die freie kreative Entscheidung des Schöpfers zu stellen sind als bei anderen Werkarten.

Fraglich ist außerdem, ob bei der urheberrechtlichen Prüfung der Originalität (auch) auf die subjektive Sicht des Schöpfers beim Schöpfungsprozess abzustellen ist und er insbesondere die kreativen Entscheidungen bewusst treffen muss oder aber ob es auf einen objektiven Maßstab ankommt.

Ferner ist bislang nicht eindeutig geklärt, ob bei der Beurteilung der Originalität nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der Gestaltung eingetretene Umstände herangezogen werden können, wie etwa die Präsentation der Gestaltung in Kunstausstellungen oder Museen oder ihre Anerkennung in Fachkreisen.

Vorinstanzen:

LG Düsseldorf - Urteil vom 14. Juli 2020 - 14c O 57/19

OLG Düsseldorf - Urteil vom 2. Juni 2022 - 20 U 259/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: (…)

4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; (…)

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

Art. 2 Buchst. a Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen für die Urheber in Bezug auf ihre Werke das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten.

Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.


LG Berlin: Urheberrechtsverletzung durch Verwendung eines Zertifizierungssiegels nebst Urkunde bei Instagram ohne Lizenz Rechteinhabers

LG Berlin
Beschluss vom 27.09.2023
15 O 464/23

Das LG Berlin hat entschieden, dass die Verwendung eines Zertifizierungssiegels nebst Urkunde bei Instagram ohne Lizenz des Rechteinhabers eine Urheberrechtsverletzung darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Antragstellerin steht ein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1 S. 1, 31, 15 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 16 Abs. 1, 19a UrhG zu.

a) Das Siegel und die Urkunde sind jeweils persönliche geistige Schöpfungen, die die Schutzhöhe des § 2 UrhG erreichen. Die designte Gestaltung beider Grafiken erreicht die erforderliche Schöpfungshöhe jedenfalls im Sinne der sogenannten „kleinen Münze“. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist bei Gestaltungen, welche auch Schutz nach dem Designgesetz beanspruchen können, keine gesteigerte Gestaltungshöhe mehr zu fordern (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug, Rn 26 ff.; Schulze, in: Dreier/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 2 Rn. 160).

b) Die Antragsgegnerin hat in die ausschließlichen Verwertungsrechte der Antragstellerin eingegriffen oder dies zumindest willentlich ermöglicht, indem sie das Siegel und die Urkunde eigenmächtig im Internet abrufbar gemacht oder abrufbar machen lassen hat (§§ 19a, 16 Abs. 1 UrhG).

Soweit die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 1.8.2023 (vorgelegt als Anlage Ast 7) vorgerichtlich behauptet hat, die verfahrensgegenständliche Urkunde sei kurzfristig lediglich „im Status“ ihrer 13-jährigen Tochter erschienen, steht dies der Passivlegitimation der Antragsgegnerin für den verfahrensgegenständlichen Unterlassungsanspruch nicht entgegen.

Mit dem als Anlage AST5 vorgelegten Screenshot der Antragstellerin wurde glaubhaft gemacht, dass die verfahrensgegenständliche Urkunde auf dem gewerblichen Instagram-Account der Antragsgegnerin sichtbar war. Dem Screenshot ist zu entnehmen, dass der Account „xxxxxx“ einer „zertifzierte[n] Wimpernstylistin“ zuzuordnen ist. Soweit die Antragsgegnerin behaupten wollte, dass die Urkunde lediglich über ein anderes soziales Medium veröffentlicht worden sei, wäre dies - insbesondere unter Beachtung des Screenshots - unsubstantiiert. Soweit die Antragsgegnerin behaupten wollte, dass der aus S. 2 der Anlage AST 5 ersichtliche Post von ihrer Tochter stammt, haftete sie insoweit jedenfalls als Störerin. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, „der (...) in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat“ (vgl. BGH, Urteil vom 18. 10. 2001 - I ZR 22/99). Die Tochter der Antragsgegnerin hätte die Urkunde nur dann auf dem Account der Antragsgegnerin posten können, wenn diese ihr sowohl die entsprechenden Zugangsdaten als auch die Urkunde zur Verfügung stellte. Beides setzt ein willentliches Handeln der Antragsgegnerin voraus. Zudem liegt es bei Zurverfügungstellung sowohl der Zugangsdaten als auch der Urkunde nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, dass die Urkunde dort eingestellt wird.

Eine Berechtigung zu dieser Verwertung ist nicht festzustellen. Die Antragstellerin hatte eine Benutzung des Siegels und der Urkunde nur als Bestandteil eines entgeltlichen Vertrages, den die Antragsgegnerin erst mit ihr abschließen müsste, angeboten. Die Antragsgegnerin hat einen solchen Vertrag nicht abgeschlossen. Die mit anwaltlichem Schreiben vom 7.9.2023 (Anlage Ast 12) erklärte Anfechtung ist für den Unterlassungsanspruch irrelevant.

Auch auf ein Verschulden kommt es für den Unterlassungsanspruch nicht an.

c) Dem Unterlassungsanspruch stehen auch keine Erwägungen nach § 242 BGB entgegen. Die Frage, ob der Antragstellerin ein Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG zustünde, ist nicht verfahrensgegenständlich.

Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin läge lediglich vor, wenn es nach sorgfältiger Abwägung der beteiligten Interessen als untragbar erschiene, das aus der Gesetzesanwendung folgende Resultat zu akzeptieren (vgl. Staudinger/Looschelders/Olzen (2019) BGB § 242, Rn. 219). So liegt der Fall hier nicht. Zur Überzeugung der Kammer könnte ein etwaig wettbewerbswidriges Verhalten der Antragstellerin allenfalls der Durchsetzung ihres urheberrechtlichen Unterlassungsanspruchs entgegenstehen, wenn insoweit Schutzzwecke des § 5 UWG berührt wären (vgl. auch zur Relevanz von gesetzlichen Wertungen bei der gebotenen Abwägung: Olzen, a.a.O., Rn. 221). Dies ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Gegenüber der Marktgegenseite soll das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot verhindern, dass diese durch irreführende Angaben zu wirtschaftlich relevanten Dispositionen veranlasst werden (vgl. Ruess, in: MüKo zum Lauterkeitsrecht, 3. Auflage 2020, § 5 UWG, Rn. 21 m.w.N.). Die Antragsgegnerin hat zur Überzeugung der Kammer vorliegend keine vom Schutzzweck des § 5 UWG erfasste vermögensrechtliche Disposition vorgenommen. Selbst wenn man in der Veröffentlichung der Urkunde ohne Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit der Antragstellerin eine vermögensrechtliche Disposition sehen wollte, weil sich die Antragsgegnerin dem Risiko der Abmahnung aussetzt, hätte die Antragstellerin sie insoweit jedenfalls nicht irregeführt. Zur Überzeugung der Kammer wäre die Geltendmachung von urheberrechtlichen Unterlassungsansprüchen durch die Antragstellerin vorliegend allenfalls rechtsmissbräuchlich, wenn sie über die Bedingungen der Lizenzerteilung getäuscht hätte. Dies ist indes nicht der Fall. In dem als Anlage AST 4 vorgelegten Schreiben wird bereits auf der ersten Seite darauf hingewiesen, dass das Zertifikat „bestellt“ werden müsste. Am Ende der nächsten Seite wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Nutzung des Siegels und der Urkunde ohne Bestellung nicht gestattet ist. Die sich über eine ganze Seite erstreckende Übersicht unterschiedlicher buchbarer Pakete auf S. 4 verdeutlicht anschaulich, dass das übersandte Siegel und die Urkunde nur gegen Zahlung benutzt werden dürfen.

c) Die Wiederholungsgefahr wird durch die Rechtsverletzung indiziert. Sie entfällt auch nicht durch bloßes Entfernen des Siegels und der Urkunde aus dem Instagram-Auftritt; es hätte eine ernsthafte und strafbewehrte Unterlassungserklärung hinzukommen müssen, um die Antragstellerin abzusichern. Die dem auf den 7.9.2023 datierten anwaltlichen Schreiben beigefügte Unterlassungserklärung vom 8.9.2023 beseitigt die Wiederholungsgefahr nicht. Es fehlt insoweit an der notwendigen verhaltenssteuernden Vertragsstrafendrohung, die die Antragsgegnerin als Schuldnerin von zukünftigen Verstößen abhalten soll (vgl. BGH, Vers.-Urt. v. 1.12.2022 – I ZR 144/21, Rn. 41 m.w.N.; zitiert nach: GRUR 2023, 255). Zudem hat die Antragstellerin mit Einreichung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung konkludent erklärt, die Unterlassungserklärung nicht annehmen zu wollen.

2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Verletzungsgeschehen. Die Antragstellerin ist hinsichtlich ihrer Rechte nicht lediglich auf die Geltendmachung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens beschränkt. Sie muss die Verletzung ihrer Rechte nicht hinnehmen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Datenschutzerklärung kann als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

OLG München
Beschluss vom 03.03.2023
6 W 1491/22


Das OLG München hat entschieden, dass eine Datenschutzerklärung als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
b) So verhält es sich hier. Während alle übrigen Voraussetzungen für den Unterlassungsanspruch nach § 97 UrhG nach summarischer Prüfung zu Beginn des Verfahrens vorgelegen haben (dazu aa bis dd), kann die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO nicht abschließend beurteilt werden, da diese von Fragen des österreichischen Rechts abhängt (dazu ee).

aa) Vom Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werks nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG kann nach summarischer Prüfung ausgegangen werden.

Hinsichtlich des rechtlichen Maßstabs hat die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren unter Verweis auf die Entscheidung des KG vom 11.05.2011 – 24 U 28/11 (GRUR-RS 2011, 14067) ausgeführt, bei Schriftwerken der infrage stehenden Art erfordere die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials. Das KG stützt sich hierbei auf die (älteren) Entscheidungen des BGH „Bedingungsanleitung“ (GRUR 1993, 34) und „Anwaltsschriftsatz“ (BGH GRUR 1986, 739). Zwar hat der BGH diese Rechtsprechung – soweit ersichtlich – in der Folge nie ausdrücklich aufgegeben. Gleichwohl hat er in späteren Entscheidungen an diesem strengen Prüfungsmaßstab ersichtlich nicht festgehalten (vgl. etwa BGH, GRUR 2002, 958 – Technische Lieferbedingungen). Auch die Entscheidung „Geburtstagszug“ (BGH, 2014, 175) spricht dafür, dass der BGH für jegliche Arten von Werken einen einheitlichen – niederschwelligen – Prüfungsmaßstab anlegen möchte, wonach auch die „kleine Münze“ stets geschützt ist (vgl. zum Ganzen ausführlich auch: Nordemann, in: Loewenheim, UrhR-HdB, 3. Aufl., § 9 Die Werkarten Rn. 18 ff.).

Gemessen hieran kann das Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werks vorliegend nicht verneint werden. Der Senat schließt sich insoweit nach summarischer Prüfung den Ausführungen des Landgerichts (LGU S. 2 ff. unter b) an. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Landgericht habe keine Subsumtion vorgenommen, sondern bloße Behauptungen aufgestellt, kann dem nicht gefolgt werden. Die Ausführungen des Landgerichts sind im Zusammenhang mit dem Vortrag der Parteien, insbesondere demjenigen im Schriftsatz der Beklagtenseite vom 14.02.2022 (S. 20 ff. und 31 ff.) zu sehen. Dem Leser, der mit dem Verfahrensstoff vertraut ist, erschließt sich daher ohne Weiteres, was mit den Ausführungen des Landgerichts jeweils konkret gemeint ist.

Die Werkqualität kann auch nicht mit dem Argument der Klägerin in der Beschwerdebegründung verneint werden, sofern die Klägerin stets betont habe, sie habe die Texte in leicht verständlicher Art verfasst, komme die Klägerin damit nur dem aus Art. 13 Abs. 1 DSGVO (sic, gemeint wohl Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO) folgenden Gebot nach. Zum einen handelt es sich bei der verständlichen sprachlichen Umsetzung nur um ein zusätzliches Kriterium neben der Art der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffs (vgl. BGH, GRUR 2002, 958 – Technische Lieferbedingungen). Zum anderen schließt die Erfüllung dieser gesetzlichen Anforderungen es nicht aus, dass darin zugleich eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG liegt, zumal Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO nur eine Zielvorgabe enthält, dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen aber nicht vorgibt, wie er dieses Ziel konkret zu erreichen hat, so dass diesem hierbei ein erheblicher Gestaltungsspielraum verbleibt.

bb) Das Landgericht hat ferner zu Recht eine Verletzungshandlung im Inland und insoweit die Anwendbarkeit des deutschen Rechts bejaht (LGU S. 4 unter c), was von der Beschwerde auch nicht angegriffen wird.

cc) Auch soweit das Landgericht angenommen hat, dass dem Beklagten kein Nutzungsrecht zustand, ist dem nach summarischer Prüfung zu folgen. Auf die ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts zu diesem Punkt (S. 4 f. unter d), welchen sich der Senat anschließt, wird Bezug genommen.

Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass Ziff. 10 der AGB von einem objektiven Empfänger so verstanden werden konnte, dass die kostenlose Nutzung ohne Quellverweis und Link (ebenfalls) berechtigt erfolgt, die Klägerin in diesem Fall aber (nur) einen einklagbaren vertraglichen Anspruch auf Anbringung eines Quellverweises und Links erwirbt und einen vertraglichen Schadensersatzanspruch bei Nichterfüllung dieser schuldrechtlichen Verpflichtung. Vielmehr konnte ein objektiver Empfänger die entsprechende Klausel nur so verstehen, dass die Nutzung ohne Quellverweis und Link nicht erlaubt ist, eine solche Nutzung also rechtswidrig erfolgt, und deshalb (gesetzliche) Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann. Dass der hier inmitten stehende Unterlassungsanspruch dabei nicht ebenfalls ausdrücklich genannt wurde, ist unschädlich, da sich dieser aus dem Gesetz ergibt und sein Entstehen nicht von einem vorherigen Hinweis durch den Rechtsinhaber abhängig ist.

dd) Zum Zeitpunkt der Einreichung bzw. Erhebung der Klage lag auch die erforderliche Wiederholungsgefahr nach § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor, da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte.

ee) Nicht abschließend beurteilt werden kann im Rahmen der Entscheidung nach § 91a ZPO indessen die Frage der Aktivlegitimation.

(1) Auf die Vermutung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 UrhG kann sich die Klägerin hierbei nach summarischer Prüfung nicht stützen. Selbst wenn man hinsichtlich der Üblichkeit der inhaltlichen Gestaltung der Angabe einen großzügigen Maßstab anlegt (vgl. Thum, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 6. Aufl., UrhG § 10 Rn. 26), geht aus der Angabe „Quelle: Erstellt mit dem Datenschutz Generator von A in Kooperation mit …“, auf die sich der Beklagte für die Vermutungswirkung beruft, inhaltlich nicht mit der hinreichenden Klarheit die Aussage hervor, dass die Klägerin Inhaberin eines ausschließlichen Nutzungsrechts an den streitgegenständlichen Texten ist (vgl. zu den betreffenden Anforderungen im Einzelnen: Thum, in: Wandtke/Bullinger, a.a.O., § 10 Rn. 115 ff.).

Nachdem somit die Vermutung nach § 10 Abs. 3 UrhG nicht greift, trägt hinsichtlich der materiellen Anspruchsberechtigung grundsätzlich die Klägerin als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast.

(2) Die Klägerin hat vorgetragen, die Texte seien von ihrem Geschäftsführer Herrn O erstellt worden. Nach dessen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 06.07.2022 ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch Herr G bereits inhaltlich an den Texten mitgearbeitet hatte. Herr O hat jedoch weiter ausgeführt, es gebe nur ihn und Herrn G. Nur sie beide würden an den Texten arbeiten.

Hierin ist ein hinreichend substanziierter Sachvortrag der Klägerin für eine Urheberschaft des Herrn O und – nicht ausschließbar – eine Miturheberschaft des Herrn G zu sehen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall auch von der Konstellation in der von der Beklagtenseite zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 02.06.2022 – 20 U 293/20 (GRUR-RS 2022, 17241), da dort – anders als hier – auf Grund des unstreitigen Vortrags beider Parteien weitere Personen, nämlich die ehrenamtlichen Ausschussmitglieder, konkret als Miturheber in Betracht kamen, welche der dortige Kläger nicht näher benannt hatte.

Wird die Urheberschaft bestimmter Personen – wie hier – substanziiert behauptet, genügt es jedoch nicht, sie mit Nichtwissen (oder einfach) zu bestreiten, sondern der Verletzer muss substanziiert darlegen, wer weshalb Urheber sein soll (OLG Köln, NJW-RR 2016, 165 Rn. 23; Thum, in: Wandtke/Bullinger, a.a.O., UrhG § 7 Rn. 45, Loewenheim/Peifer, in: Schricker/Loewenheim, UrhR, 6. Aufl., UrhG § 10 Rn. 1; vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 24.06.2008 – 4 U 25/08, BeckRS 2009, 6891). Ein solches substanziiertes Bestreiten des Beklagten ist vorliegend nicht erkennbar.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Köln: Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels kann nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein

LG Köln
Urteil vom 10.08.2023
14 O 144/23


Das LG Köln hat entschieden, dass die Veränderung eines als Sprachwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützten Zeitungsartikels nach § 14 UrhG und § 39 UrhG unzulässig sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Köln gem. § 32 ZPO örtlich zuständig. Erfolgsort der von dem Verfügungskläger vorgetragenen unerlaubten Handlung i. S. d. § 32 ZPO war auch der Bezirk des Landgerichts Köln, da der Online-Artikel der Verfügungsbeklagten jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts Köln bestimmungsgemäß abrufbar war (s. schon die Beschlussverfügung der Kammer, Bl. 135 d. A.).

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch begründet.

1. Es besteht ein Verfügungsanspruch. Der Verfügungskläger hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus §§ 97 Abs. 1, 14, 19a, 39 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

Zunächst wird auf die Ausführungen der Kammer in der Beschlussverfügung zu der Schutzfähigkeit des streitgegenständlichen Artikels und der im Rahmen der §§ 14, 39 UrhG erforderlichen Interessenabwägung verwiesen. Das Vorbringen der Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung verändert die Einschätzung der Kammer in diesem Zusammenhang nicht.

Bei dem Artikel des Verfügungsbeklagten handelt es sich um ein geschütztes Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Ein Sprachwerk genießt dann urheberrechtlichen Schutz, wenn es auf einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG beruht. Diese kann sowohl in der von der Gedankenführung geprägten Gestaltung der Sprache als auch in der Sammlung, Auswahl, Einteilung und Anordnung des Stoffes zum Ausdruck kommen (BGH GRUR 1997, 459, 460 – CB-infobank I; OLG Düsseldorf ZUM 2014, 242, 243). Je länger dabei ein Text ist, desto größer ist der Spielraum für Gestaltungsmöglichkeiten bei der individuellen Wortwahl und Darstellungsform und kann deshalb umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung erkannt werden (OLG Köln GRUR-RR 2016, 59, 60 – Afghanistan Papiere). Aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten, ein Thema darzustellen, und der Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten ist bei Zeitungsartikeln in aller Regel von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Autors auszugehen (Loewenheim/Leistner, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl. 2020, § 2 Rn. 142).

Nach diesen Grundsätzen ist bei dem streitgegenständlichen Artikel ohne Weiteres von einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsklägers und damit einer Schutzfähigkeit des Artikels auszugehen. Die Länge des Artikels, die Gedankenführung des Verfügungsbeklagten in Bezug auf ein mögliches „Greenwashing“ von B. sowie die politischen Kontakte, die das Unternehmen unterhält, sowie die Originalität von Wortwahl, Satzbau und sprachlichen Bildern („Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“) gehen weit über eine bloße Aneinanderreihung vorgegebener Fakten, die ggf. nicht schutzfähig wäre, hinaus.

Die Verfügungsbeklagte hat das Werk des Verfügungsklägers durch die Entfernung der im Tenor der Beschlussverfügung genannten Passagen ohne dessen Zustimmung verändert und es damit beeinträchtigt (§ 14 UrhG) bzw. in unzulässiger Weise verändert (§ 39 Abs. 1 UrhG). Die durch die Verfügungsbeklagte vorgenommenen Änderungen sind insbesondere nicht im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung bzw. über § 39 Abs. 2 UrhG als gerechtfertigt anzusehen.

Wie bereits in der Beschlussverfügung angesprochen ist das Verhältnis zwischen § 14 UrhG und § 39 UrhG nicht abschließend geklärt (vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967 – Z. Hauptbahnhof). Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, weil der Artikel durch die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Auslassungen i. S. d. § 14 UrhG beeinträchtigt wird. Von einer Entstellung bzw. sonstigen Beeinträchtigung gem. § 14 UrhG ist auszugehen, wenn der geistig-ästhetische Gesamteindruck des Werks beeinträchtigt wird, die Beeinträchtigung geeignet ist, die Interessen des Urhebers zu gefährden und eine Interessenabwägung zulasten des Beeinträchtigenden ausfällt (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227; vgl. LG Berlin GRUR 2007, 964, 967). Eine Beeinträchtigung liegt bei jeder objektiv nachweisbaren Änderung des vom Urheber bestimmten Gesamteindrucks vor (OLG Köln GRUR 2023, 1012, 1015 – Moschee-Vordach; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 14 Rn. 10). Bei der sodann vorzunehmenden Interessenabwägung kommt es insbesondere darauf an, festzustellen, welchen Einfluss die Veränderungen auf den künstlerischen bzw. hier journalistischen Gesamteindruck des Werks haben. Beziehen sich die Änderungen nur auf ganz untergeordnete Werkelemente oder sind sie sonst von nicht nennenswerter Relevanz für das gesamte Werk, kommt ihnen in der Interessenabwägung auch weniger Gewicht zu. Umgekehrt führen erhebliche Änderungen im Gesamteindruck zu einer entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigung der Urheberinteressen (LG Köln ZUM-RD 2023, 224, 227).

Nach diesen Maßstäben liegt bei den im Tenor aufgeführten Auslassungen ein hinreichend relevanter Eingriff in den Gesamteindruck des Sprachwerks vor. In objektiver Hinsicht fehlen in der angegriffenen Fassung zum einen Ausführungen zur bekannten Verteidigungspolitikerin H.-Y. und zum anderen das abschließende Fazit zu dem Themenkomplex der politischen Verflechtungen von B.. Das Fazit „Wendehälse mit schlechtem Gewissen sind für Richtungswechsel besonders geeignet“ zeichnet sich zudem – jedenfalls im Kontext des Gesamtwerks – durch eine besondere sprachliche Individualität und Originalität aus. Diese fußt auf einer persönlichen geistigen Schöpfung des Verfügungsbeklagten und verstärkt den Eindruck einer individuellen Stellungnahme zum Thema. Durch die Auslassungen geht ein maßgeblicher Teil der Aussage des Artikels verloren, zumal die Verknüpfungen des Konzerns zu verschiedenen Personen des politischen Lebens in einer vom Verfügungskläger individuell und ohne Sachzwänge gewählten Abfolge dargestellt worden sind. Diese Teile waren gerade auch für die Verfügungsbeklagte von besonderer Bedeutung, hatte Herr T. den Verfügungsbeklagten doch explizit mit der Durchdringung der politischen Beziehungen von B. beauftragt („Wer stürzt [sic] sie politisch?“). Insofern erscheint der Vortrag der Verfügungsbeklagten, die Änderungen seien geringfügig gewesen und hätten sich auf den unbedingt erforderlichen Umfang beschränkt, nicht tragfähig und sogar widersprüchlich.

Die Streichungen beeinträchtigen die Interessen des Verfügungsklägers. Dem Verfügungskläger wurde durch die veränderte Fassung ein Text zugeordnet, der in dieser Fassung nicht von ihm stammt. Aufgrund dessen muss er ggf. mit Kritik rechnen, etwa weil er nicht ausreichend recherchiert und die Beziehungen von Frau H.-Y. zu B. nicht ausreichend kritisch beleuchtet hätte. Damit könnte der vom Antragsteller nicht gewünschte Eindruck entstehen, er wäre parteiisch oder wollte bestimmte Personen schützen. Durch den Hinweis der Verfügungsbeklagten unter dem Artikel, dass die entfernten Teile irreführend gewesen seien, drohte dem Verfügungskläger zudem der Vorwurf der unsachgemäßen, ggf. tendenziösen Berichterstattung. Beides muss er grundsätzlich vor dem Hintergrund seiner urheberpersönlichkeitsrechtlichen Beziehung zu dem Sprachwerk nicht hinnehmen.

Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die Interessen des Verfügungsklägers die der Verfügungsbeklagten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Gesamteindruck des Werks durch die Änderungen in journalistisch-erzählerischer wie in sprachlicher Hinsicht erheblich verändert wurde (s. o.) und die Urheberinteressen des Verfügungsklägers entsprechend schwerwiegend beeinträchtigt wurden. Die von der Verfügungsbeklagten vorgetragenen Gegeninteressen können diesen Eingriff nicht rechtfertigen.

Zu berücksichtigen sind vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin, nicht durch Frau H.-Y. verklagt zu werden und diesbezüglich eine Opportunitätsentscheidung treffen zu können, und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Frau H.-Y. – insoweit hat die Verfügungsbeklagte entsprechende Gegendarstellungsverlangen von Frau H.-Y. nach Ansicht des Gerichts hinreichend glaubhaft gemacht. Das Interesse der Verfügungsbeklagten, einen Prozess zu vermeiden, ist im Wesentlichen wirtschaftlicher Natur und damit nach Auffassung des Gerichts nicht besonders gewichtig. Insbesondere sind auch die Prozessaussichten von Frau H.-Y. völlig unklar. Der Verfügungskläger bezeichnet Frau H.-Y. im Originalartikel als „Rüstungs- und Kriegslobbyistin“. Diese Bezeichnung könnte ggf. eine Ehrverletzung darstellen und einen Unterlassungsanspruch von Frau H.-Y. rechtfertigen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Frau H.-Y. unstreitig nicht im Lobbyregister des Bundestags eingetragen ist. Auf der anderen Seite ist fraglich, ob dem Lobbyregister in diesem Zusammenhang ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann und es sich nicht gerade mit Blick auf den Begriff der „Kriegslobbyistin“ um eine Meinungsäußerung des Verfügungsklägers handelt. An dieser Frage hängen das Prozessrisiko der Verfügungsbeklagten und das Gewicht der zu berücksichtigenden Interessen von Frau H.-Y.. Letztlich kann die Frage jedoch dahinstehen. Denn jedenfalls wäre es aus Sicht der Verfügungsbeklagten geboten gewesen, den Verfügungskläger vor der Entfernung der beiden Textstellen um seine Zustimmung zu bitten. Hätte er zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte die Kürzungen unproblematisch vornehmen können. Hätte er nicht zugestimmt, hätte die Verfügungsbeklagte den Artikel im Gesamten von ihrem Online-Auftritt entfernen können. Der Beklagten wäre in diesem Fall lediglich ein Schaden in Höhe des an den Kläger gezahlten Honorars von 400,00 EUR entstanden. Indem sie eine entsprechende Nachfrage unterließ, gewährte sie ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen eigenständig Vorrang vor den urheberrechtlichen Interessen des Verfügungsklägers. Sie beeinträchtigte damit das Urheberrecht des Verfügungsklägers in so schwerwiegender Weise, dass sein Interesse die Interessen der Verfügungsbeklagten und die Interessen von Frau H.-Y. nach Auffassung des Gerichts überwiegt. Da also bereits das Gesetz die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen verbietet, kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Verfügungsklägers, dass alle Änderungen an dem Artikel mit ihm abgesprochen werden müssten, noch Vertragsbestandteil geworden ist. Insofern ist aber darauf hinzuweisen, dass Urheberpersönlichkeitsrechte im Grundsatz aufgrund ihrer engen persönlichen Verbundenheit zum Werk die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu bleiben (vgl. zu § 13 UrhG: BGH, GRUR 1995, 671 – Namensnennungsrecht des Architekten). Ein wirksamer Verzicht auf die Ausübung von solchen urheberrechtlichen Positionen ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Dabei trägt vorliegend jedoch die Verfügungsbeklagte bereits keinen schuldrechtlichen Verzicht auf urheberrechtliche Positionen bzw. eine schuldrechtliche Einigung hinsichtlich zukünftiger einseitiger Änderungen am Text durch sie vor.

Weil bereits eine Beeinträchtigung des Werks i. S. d. § 14 UrhG vorliegt, kann die Verfügungsbeklagte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Verfügungskläger seine Einwilligung zu den Änderungen nach Treu und Glauben nicht hätte versagen können, § 39 Abs. 2 UrhG. Im Übrigen erlaubt § 39 Abs. 2 UrhG bei Printmedien lediglich die Korrektur von Schreib- oder Interpunktionsfehlern, ggf. auch die Verbesserung sprachlicher Ausdrücke etwa eines nicht muttersprachlichen Autors. Die sinnentstellende Kürzung von Beiträgen ist jedoch nicht von § 39 Abs. 2 UrhG umfasst (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 7. Aufl. 2022, § 39 Rn. 19; Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 6. Aufl. 2022, § 39 Rn. 26). Auch aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, es entspreche ständiger Branchenübung im Zeitungswesen, dass redaktionelle Änderungen ohne weitere Absprachen zulässig seien, folgt nichts anderes. Denn nach den vorstehenden Ausführungen handelt es sich bei den von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Änderungen gerade nicht um redaktionelle Änderungen, also die Berichtigung von offensichtlichen Schreib- oder Interpunktionsfehlern, sondern die Beeinträchtigung des Werks in seinem journalistischen und sprachlichen Kern.

Der veränderte Artikel wurde sodann über die Webseite der Verfügungsbeklagten öffentlich zugänglich gemacht, § 19a UrhG. Dies war angesichts der von der Verfügungsbeklagten vorgenommen Veränderungen nicht mehr von der ursprünglich eingeräumten Lizenz des Verfügungsklägers gedeckt, mithin rechtswidrig. Die für die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeignet strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung beseitigt werden. Eine solche hat die Antragsgegnerin auf die Abmahnung des Verfügungsklägers vom 14.04.2023 nicht abgegeben.

2. Es besteht auch ein Verfügungsgrund. Die Dringlichkeit als Voraussetzung des Verfügungsgrunds wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109). So liegen die Dinge hier. Die Rechtsverletzung dauerte im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch an. Aufgrund der Aktualität des Artikels und der schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner Urheberinteressen musste der Verfügungskläger sich vorliegend nicht auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen.

III. Die durch §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vorgesehene Vollziehungsfrist von einem Monat ab Zustellung der einstweiligen Verfügung beim Verfügungskläger ist durch die Zustellung der Beschlussverfügung vom 28.04.2023 bei der Verfügungsbeklagten am 25.05.2023 (vgl. Bl. 190 d. A.) gewahrt.

IV. Auch war die Beschlussverfügung nicht wegen eines Gehörsverstoßes des Gerichts aufzuheben. Die Kammer hat bereits mit Verfügung vom 09.06.2023 darauf hingewiesen, dass der Verfügungsbeklagten die Antragsschrift vom 19.04.2023 und der Hinweisbeschluss vom 19.04.2023 per E-Mail am 20.04.2023 übersendet worden sind. Gegen eine Unkenntnis der Verfügungsbeklagten spricht zudem die E-Mail von Herrn T. an den Verfügungskläger vom 05.05.2023, in der Herr T. dem Verfügungskläger eine außergerichtliche Beilegung des Streits vorschlug (Bl. 246 d. A.). Jedenfalls wirkt sich ein etwaiger Gehörsverstoß durch die Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2023 und die damit einhergehende Möglichkeit zur rechtlichen Stellungnahme für das weitere Verfahren nicht aus (vgl. ausführlich Urteil der Kammer vom 03.03.2022, Az. 14 O 419/21).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Auftragsmaler Götz Valien ist Miturheber der Gemälde "Paris Bar 1" und "Paris Bar 2" des Künstlers Martin Kippenberger

LG München
Urteil vom 07.08.2023
42 O 7449/22


Das LG München hat entschieden, das Auftragsmaler Götz Valien Miturheber der Gemälde "Paris Bar 1" und "Paris Bar 2" des Künstlers Martin Kippenberger ist.

„Urheberschaft der Gemälde Paris Bar Version 1-3“
Die für das Urheber- und Designrecht zuständige 42. Zivilkammer des Landgerichts München I hat heute im Rechtsstreit zwischen dem Künstler Götz Valien und der Nachlassverwalterin des Künstlers Martin Kippenberger ein Urteil gefällt (Az. 42 O 7449/22).

Sie hat entschieden, Götz Valien ist neben Martin Kippenberger nach § 8 Abs. 1 UrhG Miturheber verschiedener Versionen des Gemäldes „Paris Bar“ und daher als solcher namentlich zu nennen, § 13 UrhG. Ob sich aus der festgestellten Miturheberschaft weitere Ansprüche ergeben, ist nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen und folglich ist hierüber auch keine Entscheidung getroffen worden. Auf die Widerklage der Beklagten hin hat der Kläger den Anspruch der Beklagten anerkannt, das Gemälde „Paris Bar Version 3“ nicht als Alleinurheber auszustellen.

Folgender Sachverhalt lag dem Rechtsstreit zugrunde: Martin Kippenberger beauftragte ein Berliner Kinoplakatmalunternehmen, seine auf einem Foto festgehaltene Ausstellungshängung in der Paris Bar in Berlin auf eine große Leinwand zu malen. Der Kläger, Götz Valien, fertigte 1992 das gewünschte Gemälde („Paris Bar Version 1“), welches bis 2004 in der Paris Bar hing.


„Paris Bar Version 1“, Kippenberger / Valien (Bild am Ende der PM)

Ein halbes Jahr später erstellte er im Auftrag nach Fotovorlage ein weiteres Gemälde, das das erste Gemälde als Bild-im-Bild an der Wand der Paris Bar darstellt („Paris Bar Version 2“).

„Paris Bar Version 2“, Kippenberger / Valien (Bild am Ende der PM)

Der Kläger malte ab 1993 ein drittes Gemälde, „Paris Bar Version 3“, das geringfügige Änderungen gegenüber der „Paris Bar Version 1“ enthält. Dieser stellte er 2022 in einer Ausstellung in Berlin aus, wobei er sich als Alleinurheber des Gemäldes benannte.

Die Beklagte nannte weder den Kläger in dem von ihr herausgegebenen Werksverzeichnis zum Oeuvre Kippenbergers noch in ihren im Internet wiedergegebenen Reproduktionsgenehmigungen zu Werken Kippenbergers als Miturheber der Gemälde „Paris Bar 1“ und „Paris Bar 2“.

Die erkennende Kammer urteilte, der Kläger sei neben Kippenberger als Miturheber der Gemälde im Sinne des § 8 Abs. 1 UrhG anzusehen. Dem Kläger sei bei der Schaffung der Gemälde ein hinreichend großer Spielraum für eine eigenschöpferische Leistung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG geblieben, welcher von ihm genutzt worden sei. Er habe mit dem Gemälde „Paris Bar Version 1“ eine einladende, lebendige und warme Atmosphäre der Ausstellung in der Paris Bar gefertigt, die sich so auf der fotografischen Vorlage der Ausstellung nicht finde und ihm auch nicht von Kippenberger vorgegeben worden sei. Diese eigentümliche Atmosphäre habe der Kläger bei der Erstellung des Gemäldes „Paris Bar Version 2“ wieder aufgegriffen und damit auch diesem Werk seine individuelle Handschrift verliehen.

Als Folge des Urteils hat die Beklagte bei Verwertungshandlungen in Bezug auf die Werke „Paris Bar Version 1“ und „Paris Bar Version 2“ den Kläger neben Kippenberger als Miturheber namentlich anzuführen. Weitere Ansprüche hat der Kläger gegenüber der Beklagten nicht geltend gemacht.

Der Kläger seinerseits hat anerkannt, das Gemälde „Paris Bar 3“ nicht als Alleinurheber ausstellen zu dürfen.

Zum Hintergrund:

Martin Kippenberger, geboren am 25.02.1953, gestorben am 07.03.1997, war ein deutscher Maler, Installationskünstler sowie u.a. Fotograf und Bildhauer. Die Gemälde „Paris Bar Version 1“ und „Paris Bar Version 2“ sind als Werke Kippenbergs bekannt geworden. Bei einer Auktion durch das Auktionshaus Christie’s erzielte die „Paris Bar Version 1“ einen Versteigerungspreis von 2.281.250 englischen Pfund.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG Köln: Schuhe bzw. Sandalen können als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 03.03.2022
14 O 366/21


Das LG Köln hat entschieden, dass Schuhe bzw. Sandalen als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Die streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ stellen persönliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG dar.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer »künstlerischen« Leistung gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 29.4.2021 – I ZR 193/20, ZUM 2021, 1040, 1047 – Zugangsrecht des Architekten; st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 1983, 377, 378, juris Rn. 14 – Brombeer-Muster; GRUR 1987, 903, 904, juris Rn. 28 – Le-Corbusier-Möbel; ZUM-RD 2011, 457, Rn. 31 – Lernspiele; ZUM 2012, 36 Rn. 17 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 15 – Geburtstagszug). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH ZUM 2012, 36 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 41 – Geburtstagszug). Mit Blick auf die Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12.03.2004 und auf die europäische Urheberrechtsentwicklung hat der BGH seine zuvor bestehende Rechtsprechung aufgegeben, wonach bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werks zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 17 bis 41 – Geburtstagszug). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ebenso wie für alle anderen Werkarten ist allerdings gleichwohl eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH ZUM 2015, 996 Rn. 44 – Goldrapper).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen (vgl. Koch GRUR 2021, 273 [274 f.]).

Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 33 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen jedoch – jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst – grundsätzliche Bedenken. Die Richtlinie 2001/29/EG regelt in ihren Art. 2 bis 4, dass die Mitgliedstaaten ausschließliche Rechte für die Urheber in Bezug auf ihre „Werke“ vorsehen. Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nennt eine Reihe von Ausnahmen und Beschränkungen dieser Rechte. Soweit der EuGH davon ausgeht, aus dem Umstand, dass die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft für die Ermittlung des Sinnes und der Tragweite des Begriffs „Werk“ nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, müsse im Hinblick auf die Erfordernisse sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes gefolgert werden, dass dieser Begriff in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse, überschreitet er seine Kompetenzen (Schack, GRUR 2019, 75). Denn die Mitgliedsstaaten wollten den Werkbegriff in der Richtlinie 2001/29/EG gerade nicht vereinheitlichen. Generell einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten zu fordern, ist mit den in Art. 5 EU-Vertrag niedergelegten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität nicht vereinbar (vgl. Röthel, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 7). Andernfalls ließe sich aus jeder Teilregelung in einer Richtlinie oder Verordnung praktisch stets eine vollständige Rechtsvereinheitlichung folgern, was offensichtlich nicht gewollt sein kann. Die Erwägungsgründe 21 ff. Richtlinie 2001/29/EG führen nur einzelne Verwertungsrechte auf und erwähnen mit keinem Wort eine Vereinheitlichung des Werkbegriffs über die in Erwägungsgrund 20 genannten Richtlinien hinaus.

Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton).

d) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn keine bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der anspruchstellende Urheber genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, und glaubhaft zu machen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen.

e) Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind streitgegenständlichen Sandalenmodelle „B “ und „H “ urheberrechtlich geschützt. Die Einwände der Verfügungsbeklagten aus der Widerspruchsbegründung und dem Schriftsatz vom 10.01.2022 sowie dem vorgelegten Gutachten von Frau Dr. O vermögen dies im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. L C hat mit bestimmten Materialien und Gestaltungselementen derart experimentiert und diese miteinander kombiniert, dass sein jeweiliges Ergebnis schöpferischen Charakter besitzt. Die gilt unabhängig davon, dass einzelne dieser Gestaltungselemente bereits vorbekannt waren und sich in Sandalenmodellen anderer Hersteller wiederfanden. Denn in ihrer einheitlichen Zusammenführung liegt die Originalität der von L C ersonnenen Gestaltung. Er hat sich dabei individuell hinreichend von den auf seinem Schaffensgebiet bestehenden, üblichen und bekannten Darstellungsformen für Sandalenmodelle entfernt und über die von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerische Gestaltungen vorgenommen. Die von der Verfügungsbeklagten eingewandten anderweitigen Sandalenmodelle, die der Schutzfähigkeit der Modelle „B “ und „H “ entgegenstehen sollen, illustrieren vielmehr, dass es im Bereich der Sandalen vielfältige Gestaltungsspielräume und zahlreiche Möglichkeiten zu deren Ausfüllung gibt. L C hat insoweit eigenständige Regeln der Sandalengestaltung gefunden und sie u.a. in seinen Sandalenmodellen „B “ und „H “ umgesetzt.

Folgende Gestaltungsmerkmale sind prägend für das Sandalen-Konzept der Verfügungsklägerin und damit auch für die hier streitgegenständlichen Modelle „B “ und „H “ (Gutachten C2, S. 6; Gutachten O, S. 11).

1.) Das Fußbett

a. Eine gerade innere Sohlenkante

b. Eine Laufsohle aus Kunststoff mit C -Linienprofil

c. Veloursleder-bezogene Sohlenbahn

d. Zehengreifer / Bestandteil der Sohlenplastik

e. Fersenmulde / Bestandteil der Sohlenplastik

f. Tieffußbett aus Korkschrotmischung / unverkleideter Sohlenschnitt

2.) Das Befestigungssystem

a. Offenkantige, ungefütterte Schaft-Verarbeitung

b. Schaft im Cutout-Schnitt / aus einem Stück Leder geschnitten

c. Zwischen Tieffußbett und Laufsohle gefasster Zwickeinschlag des Oberleders

d. Eckige Schnalle mit geprägtem C -Schriftzug sowie

e. Oberteil mit zwei breiten Riemen in Cut-out-Schnittführung für das Modell „B “

f. Asymmetrisch geformter Y-Schaft für das Modell H

g. Gegossener Zehensteg mit Niete für das Modell H

Dass gerade diese hervorgehobenen Gestaltungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt oder sonst durch handwerkliche Regeln und Konventionen erzwungen sein sollten, ist nicht erkennbar. Die Schöpfung trägt eine persönliche Handschrift, die sich auch bei weiteren – hier nicht streitgegenständlichen – von L C geschaffenen Sandalenmodellen wiederfindet.

Keines der von der Verfügungsbeklagten als vorbekannt angeführten Sandalenmodelle Dritter entspricht in der konkreten Kombination der Gestaltungsmerkmale den Modellen „B “ und „H “ der Verfügungsklägerin. Die Modelle „B “ und „H “ heben sich demgegenüber von der Formensprache vorbekannter Sandalen – auch bereits zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung – ab.

Die als Beleg für eine vorbekannte gerade Sohleninnenkantenlinie angeführten antiken und traditionellen Sandalen:

[...]

verfügen jedenfalls nicht über ein Tieffußbett und zeichnen sich durch teils überbordende Ornamentik und Zierelemente aus, die schon dem schlichten, schnörkellosen Eindruck der Modelle der Verfügungsklägerin diametral entgegenstehen.

Die „C3 des Friedens-Sandale:

[...]

verfügt zwar über eine mit Velourleder ummantelte Sohlenbahn, die aber bereits optisch deutlich breiter und markanter ausfällt als bei „B “ und „H “, wo der bezogene Sohlenteil deutlich schmaler ausfällt als der unverkleidete Sohlenschnitt aus der Korkschrotmischung.

Bei den von der Verfügungsbeklagten eingewandten Fußgymnastik und Fussformsandalen:

[...]

lässt sich deren tatsächliches Aussehen und Gestaltung anhand der vorgelegten Katalogzeichnungen nicht eindeutig bestimmen. Die einschnallige Befestigungsvorrichtung weicht jedenfalls deutlich von den hier streitgegenständlichen Modellen „B “ und „H “ ab.

Gleiches gilt für die ornamentalistisch verzierten und an der Ferse geschlossenen WeekendSneaker:

[...]

und die kreuzriemengeschnürten Plastikfußbettsandalen:

[...]

Auch wenn diese über ein Naturkork-Fußbett oder eine Plastiksohle aus Korkschrot verfügen, haben die jeweiligen Gestalter völlig unterschiedliche Befestigungs- und Riemenkonstruktionen im Vergleich zu den Modellen der Verfügungsklägerin gewählt.

Der Umstand, dass sowohl die Sohlenschnitte den Sohlen antiker Sandalen entsprächen als auch der Velourlederbezug von Fußbrandsohlen sowie die Merkmale der Tieffußbettsohle aus Korkschrot mit Zehengreifer jeweils als Einzelelemente vorbekannt gewesen sein sollen, belegt nicht, dass die Kombination dieser Elemente, für deren Vorbekanntheit die Verfügungsbeklagte keine Anhaltspunkte liefert, bereits vorgegebenen Konventionen oder Regeln technischer respektive ästhetischer Art entsprochen hätte.

Gleichermaßen ist der von der Verfügungsbeklagten hervorgehobene Umstand, dass das Material Kork bereits für Schuhsohlen:

[...]

Verwendung fand und auch bei Sandalen eingesetzt wurde:

[...]

per se unbehelflich, da die angeführten Schuhmodelle sich in ihrem durch die Verwendung von Block- und Keilabsätzen geprägten Gesamteindruck deutlich von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen unterscheiden.

Die technischen Darstellungen aus der eingewandten Patentschrift Nr. 0000 vom 07.04.1942 (Anlage SSM21):

[...]

illustrieren ein von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen deutlich abweichendes Fußbett. Ausweislich der Patentansprüche (Bl. 769 d.A.) handelt es sich um eine Sandale zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Fußes mit nach den Rändern zu abfallender Sohlenoberfläche und einem von dem Fersenende aus bis etwa zur Fußmitte parallel zur Sohlenunterseite verlaufenden Einschnitt oder entsprechenden Abstufungen, dadurch gekennzeichnet, dass für die Zehen ein vertieftes Bett in der Oberfläche der Sohle vorgesehen ist, welches, an der Zehenwurzel beginnend, eine steil nach unten abfallende Fläche aufweist. Die Sandale der Patentschrift sollte dadurch gekennzeichnet sein, dass für die Großzehe, den Ballen und die Ferse ein besonderes Bett vorgesehen ist. Weiterhin sollte die Sandale dadurch gekennzeichnet sein, dass die Sohlenoberfläche mit quer zur Fußrichtung verlaufenden Aufrauhungen versehen ist. Diese Betten sollten zwar in einem besonderen weichen Stoff, beispielsweise Kork, angebracht sein, welcher in die Sohle eingelassen ist. Die vorangegangene Beschreibung und die Zeichnung zeigen aber, dass es sich um eine gänzlich andere Ausformung der Sohle handelt als das typische C -Tieffußbett, dass bei den streitgegenständlichen Sandalen der Verfügungsklägerin Verwendung findet. Die innere Sohlenkannte ist zudem nicht gerade gehalten, sondern weist eine deutlich Krümmung auf. Eine Fersenmulde scheint nicht vorgesehen.

Für die Gebrauchsmusteranmeldung Anlage SSM22 (Bl. 771 ff. d.A.):

[...]

gelten vergleichbare Erwägungen. Die Neuerung sollte hier einen Zehengreifwulst für das Fußbett von Gymnastik-Sandalen betreffen, die aus einem einstückigen Schuhboden aus Holz, Kunststoff oder ähnlichem Material und einem einzigen Halteriemen etwa in der Gegend der Zehengrundgelenke des Fußes bestehen. Das Halten der Sandale am Fuß sollte hierbei nicht allein durch den einzigen, in der Gegend der Grundgelenke vorgesehenen Riemen gewährleistet werden, sondern vielmehr sollte es dazu einer zusätzlichen Greifbewegung und Greifkraft der Zehen gegen den vorderen Teil des Schuhbodens bedürfen. Durch das Greifen und Entspannen beim Aufsetzen des Fußes sollte eine ständige gymnastische Übung und daher eine günstige therapeutische Wirkung erzielt werden. Einen vergleichbaren Zehengreifwulst weisen die streitgegenständlichen Sandalen schon nicht auf und unterscheiden sich optisch deutlich von der Skizze der Gebrauchsmusteranmeldung.

Auch hinsichtlich des Befestigungssystems zeigt die Verfügungsbeklagte nicht auf, dass vorbekannte Gestaltungsmuster der Schutzfähigkeit der Sandalenmodelle „B “ und „H “ entgegenstehen würden.

Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Drei- und Mehrbandsandalen weichen von den hier streitgegenständlichen Modellen deutlich ab:

[...]

Soweit C selbst Dreibandmodelle hergestellt hat, sind diese hier nicht streitgegenständlich.

Die von der Verfügungsbeklagten bemühten Zweibandmodelle sind weitestgehend gänzlich abweichend von den C -Modellen gestaltet:

[...]

Einzig ein Zweiriemen-Model der „sandali per l’uomo sportiva“:

[...]

kommt der Riemengestaltung des streitgegenständlichen Modells „B “ nahe, weist aber wiederum ein deutlich abweichendes Fußbett und eine stark unterschiedliche Sohle auf.

Schließlich vermag auch die vermeintliche Vorbekanntheit der T- respektive Y-Gestaltung des Sandalenmodells „H “ nicht zu belegen, dass hier kein Gestaltungsspielraum bestanden und von L C individuell-schöpferisch ausgefüllt worden wäre.

Die entgegengehaltenen altägyptischen Sandalentypen:

[...]

weisen zwar bereits die Typik auf, dass die Sandale hoch auf dem Rist durch eine Querbandage fest am Fuß gehalten wird. Keines der Beispiele vereint aber die Charakteristika der streitgegenständlichen Sandale „H “, da zumeist bereits das Fußbett, aber auch die Schnallenbindung abweichend gestaltet ist.

Nicht anders verhält es sich mit den moderneren Varianten, die zwar durchaus im Grundsatz vergleichbare Bindungsriemen, aber im Übrigen stark unterschiedliche Sohlenplastiken und Fußbettgestaltungen aufweisen:

[...]

oder aber eine abweichende Gestaltung mit Fersenriemen:

[...]

f) Subjektive Verlautbarungen der Verfügungsklägerin oder ihrer Rechtsvorgänger sind für die Beurteilung der eigenschöpferischen Qualität – wie aufgezeigt – unbeachtlich, wenn gleichwohl ein künstlerischer Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen des Schaffensprozesses genutzt wurde, auch wenn dies möglicherweise zunächst als rein handwerklich wahrgenommen wurde. Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst erhöhen. Dies erscheint mit einem gleichrangigen Beurteilungsmaßstab kaum vereinbar. Die Aussage des Schöpfers L C , Mode habe ihn überhaupt nicht interessiert, gibt vor diesem Hintergrund keinen Anlass für eine abweichende Bewertung.

2. Die Verfügungsklägerin ist zur Geltendmachung der hier streitgegenständlichen urheberrechtlichen Ansprüche aktivlegitimiert.

a) Dazu hat sie durch Vorlage der Anlage ASt 8 (Bl. 161 f. d.A.) glaubhaft gemacht, dass der ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Verfügungsklägerin, Herr L C , allein verantwortlicher Gestalter und damit alleiniger Schöpfer der hier gegenständlichen Schuhmodelle war und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte an die C Sales GmbH übertragen hat. Die weitere Übertragung von der C Sales GmbH auf die Verfügungsklägerin ist ebenfalls durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Legal Counsel IP der C Gruppe in Anlage ASt 6 (Bl. 157 d.A.) glaubhaft gemacht.

Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, weder aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin noch aus den Feststellungen in der angegriffenen Beschlussverfügung sei erkennbar, ob Herr L C der weiteren Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte auf die Verfügungsklägerin gemäß § 34 Abs. 1 UrhG zugestimmt habe, dringt sie damit nicht durch.

In der Erklärung vom 05.11.2020 heißt es:

„Wir bestätigen uns wechselseitig dass alle etwaigen uns allen (zusammen oder einzelnen von uns) zustehenden Marken-, Design-, Patent-, Urheber- und sonstige Rechte des geistigen Eigentums an allen C -Produkten von jeher exklusiv der C Sales GmbH bzw. den jeweiligen Vorgängergesellschaften (wie etwa der C.B. Orthopädie GmbH und der C Orthopädie GmbH) übertragen wurden und die C -Gruppe daher ausschließlich legitimiert ist, Rechte hieran auszuüben und zu verwerten. Dies umfasst die, soweit noch nicht geschehen hiermit exklusiv der C GmbH & Co. KG eingeräumten, auf Dritte (weiter)übertragbaren, ausschließlichen sowie zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte, insbesondere entsprechende Produkte herzustellen, zu vervielfältigen, auf der gesamten Welt zu vertreiben, zu vermarkten sowie weiter zu entwickeln und zu bearbeiten. Selbstverständlich sind hiervon auch damals noch unbekannte Vertriebsformen und Nutzungsarten, wie bspw. der Online-Vertrieb, erfasst. Anderen Personen oder Unternehmen wurden keine Rechte an C -Produkten eingeräumt.“

Daraus geht hervor, dass die Weiterübertragung auf Dritte bereits von der ursprünglichen Rechteeinräumung an die C Sales GmbH umfasst war, so dass es jedenfalls keiner Zustimmung zur weiteren Übertragung an die Verfügungsklägerin durch L C bedurfte.

b) Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, es sei fraglich, ob es sich bei den streitgegenständlichen Modellen um die Sandalen handele, die von Herrn L C ursprünglich entworfen worden seien; es fehle an einer Darstellung der „Ur-Werke“, vermag dies keine erheblichen Zweifel an der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu begründen. Nach dem von der Verfügungsbeklagten selbst vorgelegten und zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Gutachten Dr. O s wurde das streitgegenständliche Sandalenmodell „B “ im Jahr 0000 von der Fa. C in den Markt eingeführt, sowie das Modell „H “ im Jahr 0000. Grundlage für beide Modelle bilde die kurz nach 0000 durch D C entwickelte und seit 0000 – mit der Einbandsandale „N“ auf den Markt gebrachte – in Schuhen fest verbaute Korkinnensohle (vgl. Bl. 717 d.A.). Danach ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die ursprünglich hergestellten Sandalenmodelle in streiterheblichem Umfang von den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Modellen abwichen, und solche Anhaltspunkte werden von der Verfügungsbeklagten auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der Vortrag der Verfügungsklägerin deckt sich insoweit mit den Aussagen in den beiderseits vorgelegten Gutachten. Jedenfalls für den Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht daher ein überwiegendes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die aktuell vorgelegten Modelle den ursprünglich hergestellten und vertriebenen Modellen entsprechen.

3. Der Vertrieb der angegriffenen, streitgegenständlichen Sandalenmodelle:
[...]

durch die Verfügungsbeklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Verfügungsklägerin aus § 17 Abs. 1 UrhG an den urheberrechtlich geschützten Sandalenmodellen „B “ und „H “. Die angegriffenen, von der Verfügungsbeklagten angebotenen Sandalen übernehmen sämtliche relevanten Gestaltungsmerkmale der Sandalenmodelle „B “ und „H “.

Die Abweichung zwischen den Sandalenmodellen der Verfügungsklägerin „B “ und „H “ und den angegriffenen Sandalenmodellen der Verfügungsbeklagten im Laufsohlenprofil führt nicht schon aus deren Schutzbereich heraus. Der neuartige Gesamteindruck der streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ wird nach dem Vorgesagten nicht in einem Maße durch die Sohlengestaltung mitgeprägt, dass die Abweichung hiervon bei den angegriffenen Sandalenmodellen allein die im Wesentlichen fast identische Übereinstimmung in den übrigen, den Gesamteindruck maßgeblich prägenden Gestaltungsmerkmalen ausgleichen könnte.

4. Die für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeigneten, strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden. Eine solche hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.

II. Es besteht auch ein Verfügungsgrund.

1. Die Dringlichkeit wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64; OLG München BeckRS 2008, 42109). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln, BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109; GRUR 2007, 184; OLG Köln, WRP 2014, 1085). So liegt der Fall hier. Die Rechtsverletzung dauert noch an.

2. Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, die Verfügungsklägerin versuche erst in jüngerer Zeit, auf Grundlage urheberrechtlicher Vorschriften gegen Konkurrenzprodukte vorzugehen, so steht dies der Dringlichkeit nicht entgegen. Der Anspruchsteller ist zunächst frei darin, auf welche Rechtsgrundlagen er sich beruft und mögen hier auch taktische Erwägungen – etwa aufgrund von Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine Rolle spielen. Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin zunächst gegen ein an den Endverbraucher gerichtetes Angebot im Onlineshop der P C1G GmbH & Co. KG vorgegangen ist, und nicht unmittelbar gegen den Hersteller, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Dafür, dass die Verfügungsklägerin sicher wusste, dass die streitgegenständlichen Sandalen von der Verfügungsbeklagten für P produziert wurden, bestehen keine aktenkundigen Anhaltspunkte. Es war der Verfügungsklägerin also nicht verwehrt, zunächst einen Testkauf zu lancieren und Auskunft über den Lieferanten zu begehren. Für ihre Vermutung, dass die Verfügungsklägerin weit länger als einen Monat vor der Abmahnung vom 12.10.2021 bereits Kenntnis von der Verfügungsbeklagten als Hersteller der angegriffenen Sandalen hatte respektive hätte haben müssen, bestehen keine handfesten Anhaltspunkte. Eine generelle Marktbeobachtungspflicht des Antragstellers besteht auch im Urheberrecht nicht (Rojahn/Rektorschek, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrecht, 3. Aufl. 2021, § 98, Rn. 20).

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung ihres Legal Counsel IP vom 22.10.2021 (Anlage ASt 6) glaubhaft gemacht, Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung erstmals am 24.09.2021 erlangt zu haben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 22.10.2021 bei Gericht eingegangen. Die Verfügungsbeklagte zeigt keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass tatsächlich bereits zuvor Kenntnis vorlag, ebenso wenig ist dargetan, dass und weshalb die Verfügungsklägerin bereits zuvor Kenntnis von dem Herstellerhinweis auf den Kartons der angegriffenen Sandalen genommen haben sollte. Dafür, dass die Verfügungsklägerin im vorliegenden Fall zugewartet hätte, während sie gegen Dritte unmittelbar vorging, fehlen ebenso konkrete Anhaltspunkte.

3. Schließlich fällt auch eine Interessenabwägung nicht dergestalt zu Gunsten der Verfügungsbeklagten aus, dass ein Verfügungsgrund hier zu verneinen wäre.

a) Die einstweilige Verfügung muss notwendig sein, um wesentliche Nachteile in Bezug auf das Rechtsverhältnis abzuwenden oder um die Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung zu verhindern. Hierauf kann auch bei (vermeintlich) einfach festzustellenden Rechtsverletzungen nicht verzichtet werden. Dies setzt nicht nur eine Dringlichkeit im zeitlichen Sinne, sondern grundsätzlich auch eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus. Im Rahmen der Interessensabwägung ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Einerseits ist zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller eintreten, wenn die einstweilige Verfügung nicht erlassen wird. Hierbei steht im Vordergrund, welche konkreten (wirtschaftlichen) Nachteile dem Antragsteller (nicht einem Dritten) aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile bzw. Schäden nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist. Andererseits sind die Folgen, die auf den Antragsgegner bei Erlass der einstweiligen Verfügung zukommen, zu berücksichtigen. Bei der Interessensabwägung sind überdies das Verhalten der Parteien und der Umstand in Rechnung zu stellen, dass es sich bei dem einstweiligen Verfügungsverfahren um ein summarisches Verfahren handelt, das nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stellt. Je stärker der Eingriff in die Rechtspositionen des Antragsgegners ist, desto sicherer muss festgestellt werden und desto schwerer müssen die Gründe wiegen, die für den Erlass der einstweiligen Verfügung sprechen (Voß, in: Cepl/Voß Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 940 ZPO, Rn. 64).

b) Ein Überwiegen der Interessen der Verfügungsbeklagten im vorstehenden Sinne kann die Kammer hier nicht erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte durch das Verbot im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits einen Schaden erlitte, der auch im Falle eines späteren abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht mehr – nach § 945 ZPO – kompensiert werden könnte und etwa existenzgefährdend wäre, ist nichts dargetan. Dass die Verfügungsbeklagte ihrer Geschäftstätigkeit durch das Verbot nicht mehr nachgehen könnte oder darin durch das Verbot ganz erheblich eingeschränkt wäre, ist nichts ersichtlich. Soweit die Verfügungsbeklagte auf eine etwaig zu leistende nachträgliche Kompensation gegenüber der Verfügungsklägerin hinweist, macht sie ebenfalls nicht geltend, dass diese eine existenzbedrohende Größenordnung erreichen könnte.

Ein Vertrauensschutz in eine bestimmte Rechtsprechung besteht für Wettbewerber ebenfalls nicht. So konnten konkurrierende Anbieter von Sandalen nicht darauf vertrauen, dass die Verfügungsklägerin nach dem erfolglosen Versuch, in der Vergangenheit auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage gegen Nachahmungen vorzugehen, sich damit dauerhaft zufrieden geben und auch von der Rechtsdurchsetzung mittels urheberrechtlicher Ansprüche Abstand nehmen würde. Vielmehr steht es jedem Rechteinhaber selbstverständlich offen, Spielräume, die sich durch Entwicklungen in einem Rechtsgebiet – hier namentlich die unionsrechtliche Ausformung des Werkbegriffs durch den EuGH und die dadurch angestoßene Diskussion in Rechtsprechung und Lehre – eröffnen, auch nach einem Unterliegen vor Gericht zukünftig für sich zu nutzen. Dies kann weder die Annahme einer Verwirkung rechtfertigen, noch konnten andere Marktteilnehmer nach einer für die Verfügungsklägerin abschlägigen erstinstanzlichen Entscheidung einen „relevanten Besitzstand“ erwerben, der sie gegenüber einer Inanspruchnahme auf urheberrechtlicher Grundlage „absichern“ würde.

Zur effektiven Rechtsdurchsetzung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ist die Erlangung von einstweiligem Rechtsschutz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Werkes – hier im Bereich der angewandten Kunst – und damit der langfristige Rechtsbestand höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Stuttgart: Zum Urheberrechtsschutz von Liedtexten - banale Textzeilen aus allgemeinen sprachlichen Begriffen ohne besondere Originalität und ohne Schöpfungshöhe nicht geschützt

OLG Stuttgart
Urteil vom 28.10.2020 und Berichtigungsbeschluss vom 17.03.2021
4 U 656/19
Geburtstagslied

Das OLG Stuttgart hat zum Urheberrechtsschutz von Liedtexten befasst und entschieden, dass banale Textzeilen aus allgemeinen sprachlichen Begriffen ohne besondere Originalität und ohne Schöpfungshöhe nicht urheberrechtlich geschützt sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die - wenn auch mehrfache (dreifache) - Übernahme der Worte „zum Geburtstag“ aus dem vom Vater der Beklagten erstellten Liedtext-Version „Zum Geburtstag viel Glück“ kann danach ein etwaiges diesem erwachsenes Bearbeiter-Urheberrecht an dem Liedtext von „Zum Geburtstag viel Glück ...“ nicht verletzen, weil die allein übernommenen Worte „zum Geburtstag“ kein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG schutzfähiges Sprachwerk darstellen und auch keinen Schutz als Übersetzung (§ 3 Satz 1 UrhG) genießen:

(1) Als Liedtext sind die allein übernommenen Worte „Zum Geburtstag“ nicht schutzfähig:

(a) Zwar sind an die Schutzfähigkeit von Liedtexten nur geringe Anforderungen zu stellen, so dass bspw. auch der dreizeilige banale Text eines Schlager-Refrains als sog. „kleine Münze“ noch Urheberrechtsschutz genießen kann (BGH GRUR 1991, 531 - Brown Girl I; Dreier/Schulze, a.a.O., § 2 Rn. 87). Banale Textzeilen, solche, bei denen es sich um allgemein sprachliche Begriffe ohne besondere Originalität oder Schöpfungshöhe handelt oder ganz kurze Textteile einzelner Lieder bleiben jedoch schutzlos. So hat die Rechtsprechung die Schutzfähigkeit verneint für die Liedtextteile „No where to wash my clothes. Remember one Saturday night, fried Fish and Johnny cake.“ (BGH, a.a.O., 532); „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ (OLG Düsseldorf GRUR 1978, 640, 641), „Alles ist gut so lange Du wild bist“ (OLG Hamburg ZUM-RD 2010, 467 juris Rn. 5), „Tausend mal berührt, tausend Mal ist nix passiert“ (LG Frankfurt a. M. GRUR 1996, 125); „Samba – hai que – Samba de Janeiro“ (OLG Hamburg ZUM 1998, 1041).

Die Regel, dass sehr kleine Teile eines Sprachwerkes wie einzelne Wörter oder knappe Wortfolgen für sich genommen nicht hinreichend individuell und damit nicht schutzfähig sein werden (BGH GRUR 2011, 134 Rn. 54 - Perlentaucher), gilt auch für Liedtextteile (BGH, Beschl. v. 18.10.2012, I ZA 2/12, ZUM-RD 2013, 241 Rn. 8; OLG Hamburg ZUM-RD 2010, 467 juris Rn. 5).

(b) Nach diesen Maßstäben sind die von der Klägerin allein dem Lied „Zum Geburtstag viel Glück“ entnommenen Worte „Zum Geburtstag“ als knappe Wortfolge aus lediglich zwei Worten nicht geschützt. Es handelt sich um allgemein sprachliche Begriffe ohne besondere Originalität oder Schöpfungshöhe. In den Worten „Zum Geburtstag“ allein kommt auch kein mit Mitteln der Sprache ausgedrückter Gedanken- und / oder Gefühlsinhalt zum Ausdruck (zu diesem Kriterium etwa OLG Hamburg ZUM-RD 2010, 467 Rn. 5). An der fehlenden Schutzfähigkeit der von der Klägerin dem Liedtext „Zum Geburtstag viel Glück“ entlehnten Teile ändert sich auch nichts dadurch, dass die Worte „Zum Geburtstag“ mehrfach wiederholt werden, denn ein wiederholter Textteil ist nicht allein aufgrund der Wiederholung schutzfähig (OLG Hamburg ZUM 1998, 1041 juris Rn. 12, 20).

(2) An der fehlenden Schutzfähigkeit der aus dem vom Vater der Beklagten geschaffenen Text allein in den Werbespot übernommenen Worte „Zum Geburtstag“ ändert sich auch nichts dadurch, dass der vom Vater der Beklagten geschaffene Text des Liedes „Zum Geburtstag viel Glück“ (also: „Zum Geburtstag viel Glück! Zum Geburtstag viel Glück! Zum Geburtstag, liebe(r) N. N., zum Geburtstag viel Glück!“) eine Übersetzung des englischen Originaltextes „Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday, dear …, happy birthday to you“ darstellt.

(a) Auch die Übersetzung ist nur dann als selbständiges Werk geschützt, wenn sie die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt, also für sich genommen eine persönliche geistige Schöpfung darstellt (BGH GRUR 2000, 144 – Comic-Übersetzungen II Wandtke/Bullinger-Bullinger, a.a.O., § 3 Rn. 6 m.w.N.). Bei Übersetzungen urheberrechtlich geschützter Sprachwerke ist dies i.d.R. der Fall (BGH, ebenda; Bullinger, a.a.O., § 3 Rn. 7). Eine persönliche geistige Schöpfung setzt jedenfalls voraus, dass die Übersetzung Einfühlungsvermögen und stilistische Fähigkeiten erfordert und damit den individuellen Geist des Übersetzers zum Ausdruck bringt, während eine solche auch bei Übersetzungen bei rein handwerklicher Tätigkeit nicht vorliegt (OLG Zweibrücken GRUR 1997, 363 – Jüdische Friedhöfe BeckOK UrhR / Ahlberg, 28. Edition (20.04.2018), § 3 UrhG Rn. 15 m.w.N.; Schricker/Loewenheim-Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl., § 3 Rn. 22). Der Bereich der „kleinen Münze“ muss jedenfalls erreicht sein (BGH GRUR 2000, 144, 145 – Comic-Texte II), so dass routinemäßige Übersetzungen oder solche, bei denen der Urheber keinen eigenen Spielraum hat, keine schutzfähige Bearbeitung i. S. v. § 3 Satz 1 UrhG darstellen (Loewenheim, ebenda; OLG München ZUM 2004, 845, 847).

(b) Danach mag die Übersetzung des Liedtextes insgesamt geschützt sein, weil sie sich – worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat – nicht auf eine exakte wörtliche Übersetzung beschränkt, da der Vater der Beklagten „happy birthday to you“ nicht mit „glücklicher (oder fröhlicher) Geburtstag für Dich“ übersetzt hat, sondern nicht völlig inhaltsgleich mit „Zum Geburtstag viel Glück“. Es mag eine ausreichende schöpferische Leistung zu bejahen sein, weil in der freieren Übersetzung von „happy“ mit „viel Glück“ Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse und Üblichkeiten der deutschen Sprache zum Ausdruck kommt, weil man „happy birthday to you“ auch mit „Alles Gute zum Geburtstag“ (so der Übersetzungsvorschlag bei „google translate“) hätte übersetzen können, so dass zugunsten der Beklagten anzunehmen ist, dass für ihren Vater ein Spielraum bei der Übersetzung bestand, den er auch genutzt hat, und weil die Wendung „viel Glück“ eher in die Zukunft bezogen sein mag, während mit dem englischen „happy birthday“ der Geburtstag selbst gemeint sein mag (vgl. LGU S. 9 Abs. 1). Doch ist eine darin liegende schöpferische Leistung des Vaters der Beklagten als Übersetzer von der Klägerin in ihren Werbespot gerade nicht übernommen worden, weil sie in diesen allein die Worte „Zum Geburtstag“ und nicht auch die Worte „viel Glück“ übernommen hat. Wie oben unter aa) dargestellt, gilt für Übersetzungen wie auch für alle anderen (auch Bearbeitungs-) Werke, dass keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, wenn lediglich ein schutzunfähiger Teil übernommen wird. Die Worte „Zum Geburtstag“ sind jedoch – auch als Übersetzung von „birthday (to you)“ – für sich genommen nicht schutzfähig.

cc) Die Frage der Schutzfähigkeit des entlehnten Textteils „Zum Geburtstag“ vermag der Senat auch aus eigener Sachkunde zu beurteilen. Für Sprachwerke und damit auch Liedtexte gilt nicht der für Werke der Musik vom Bundesgerichtshof (siehe BGH GRUR 2015, 1189 Rn. 64 - Goldrapper) entwickelte Grundsatz, dass für eine tatrichterliche Würdigung im Regelfall die Hilfe eines Sachverständigen unerlässlich sei (BGH GRUR 2015, 1189 Rn. 64 - Goldrapper). Insbesondere bei nur aus einzelnen Wörtern oder knappen Wortfolgen und bei alltäglichen Texten bzw. Textteilen kann die Schutzfähigkeit von einer Urheberrechtskammer oder einem Urheberrechtssenat – wie dem erkennenden Senat - aus eigener Sachkunde beurteilt werden (siehe BGH ZUM-RD 2013, 241 Rn. 9; OLG München ZUM 2004, 845, 847; OLG Hamburg ZUM-RD 2016, 576, 603 f.; OLG Frankfurt ZUM 1995, 795).

Daran ändert auch das von der Beklagten vorgelegte private „Kurzgutachten“ (Anl. B 4, Bl. 46) nichts, denn dieses enthält keinerlei Begründung dafür, warum die übernommenen Worte „Zum Geburtstag“ für sich schutzfähig sein sollen. Ein derartiges Gutachten bedarf aber einer überprüfbaren Begründung (BGH GRUR 1988, 812, 814 – Ein bisschen Frieden). Auch das in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagten vorgelegte Schreiben des Herrn Dx vom Musikwissenschaftlichen Dienst der GEMA vom 07.06.2005 besagt lediglich, dass der Titel „Zum Geburtstag viel Glück“ in der GEMA-Datenbank als Bearbeitung der freien Melodie und für den Text als Neutext als geschütztes Werk registriert ist, verhält sich also bereits nicht zur Frage der Schutzfähigkeit der Worte „Zum Geburtstag“.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankenthal: Mangels Schöpfungshöhe kein urheberechtlicher Schutz für Produktbeschreibung bei eBay-Kleinanzeigen die Funktionsweise eines Spurhalteassistenten beschreibt

LG Frankenthal
Urteil vom 03.11.2020
6 O 102/20


Das LG Frankenthal hat entschieden, dass eine einfache Produktbeschreibung bei eBay-Kleinanzeigen, welche die Funktionsweise eines Spurhalteassistenten beschreibt, mangels Schöpfungshöhe nicht urheberrechtlich geschützt ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs gemäß § 97 Abs. 1 UrhG sind nicht erfüllt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob der Kläger Urheber des streitgegenständlichen Textes ist, da es bereits an einem schutzwürdigen Schriftwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG fehlt.

Schriftwerke sind Sprachwerke, bei denen der sprachliche Gedankeninhalt durch Schriftzeichen oder andere Zeichen äußerlich erkennbar gemacht wird (BGH Urt. v. 21.11.1980 - I ZR 106/78, GRUR 1981, 352, 353 - Staatsexamensarbeit). Vom Urheberrechtsschutz sind aufgrund des seit langem anerkannten Schutzes der "kleinen Münze" auch einfache, aber gerade noch geschützte geistige Schöpfungen mit nur geringem Schöpfungsgrad umfasst (BGH Urt. v. 26.09.1980 - I ZR 17/78, GRUR 1981, 267, 268 - Dirlada).

Trotz der geringen Anforderungen an den Schöpfungsgrad ist aber ein Werk, das als persönlich geistige Schöpfung zu bewerten ist, erforderlich. Hierbei erlangen frei erfundene Sprachwerke leichter Urheberrechtsschutz als solche Texte, bei denen der Stoff durch organisatorische Zwecke oder wissenschaftliche und andere Themen vorgegeben ist, da diesen durch die übliche Ausdrucksweise vielfach die urheberrechtschutzfähige eigenschöpferische Prägung fehlt (LG Stuttgart Urt. v. 04.11.2010 - 17 O 525/20, ZUM-RD 2011, 649). Solche Texte können aber aufgrund einer eigenschöpferischen Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts und/oder der besonders geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs schutzfähig sein (BGH Urt. v. 29.03.1984 - I ZR 32/82, GRUR 1984, 659, 660 - Ausschreibungsunterlagen). Werbeslogans oder Werbetexte müssen über die üblichen Anpreisungen hinausgehen, um Urheberrechtsschutz zu erlangen (Dreier/Schulze/Schulze, 6. Aufl. 2018, UrhG § 2 Rn. 106). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit erfordert bei Gebrauchszwecken dienendem Schriftgut grundsätzlich ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials (BGH Urt. v. 10.10.1991 - I ZR 147/89, GRUR 1993, 34, 36 - Bedienungsanweisung). Gebrauchstexte, deren Formulierungen zwar in ihrer Art und Weise ansprechend sind, aber sich ansonsten durch nichts von den üblicherweise in Modekatalogen und Bestellprospekten von Versandhäusern verwendeten Beschreibungen unterscheidet, genießen keinen urheberrechtlichen Schutz (LG Stuttgart Urt. v. 04.11.2010 - 17 O 525/20, ZUM-RD 2011, 649). Je länger ein Text ist, desto größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten, so dass umso eher eine hinreichende eigenschöpferische Prägung anzuerkennen ist (OLG Köln Urt. v. 30.09.2011 - 6 U 82/11, ZUM-RD 2012, 35).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass dem streitgegenständlichen Text kein Urheberrechtsschutz zuzusprechen ist. Bei diesem Text handelt es sich um das Angebot und die Beschreibung von Spurhalteassistenten, wobei sowohl der Spurhalteassistent an sich als auch die Aktivierung eines solchen durch den Kläger beworben wird. Zwar ist zumindest nach der Länge des Textes ein urheberrechtlicher Schutz in Betracht zu ziehen. Dem Gesamteindruck der konkreten Textgestaltung nach lässt sich die erforderliche schöpferische Eigenart jedoch nicht feststellen. Der Text besteht überwiegend aus kurzen Sätzen, mit denen zum größten Teil lediglich die Funktion und die Vorteile eines Spurhalteassistenten unter Verwendung einfacher Formulierungen und üblicher Werbefloskeln beschrieben werden. Der letzte Teil des Textes besteht sodann lediglich aus der Aufzählung von Fahrzeugtypen.

Der Text zeichnet sich weder durch eine besonders ansprechende Formulierung aus noch begründet die teilweise falsche Orthographie eine besondere schöpferische Eigenart. Vielmehr ist die einfache Aneinanderreihung von technischen Informationen zumeist begrifflich vordefiniert und eröffnet keinerlei sprachlichen Gestaltungsspielraum. Eine spezielle, von kaufpsychologischen Überlegungen getragene Anordnung der Sätze vermag die Kammer nicht zu erkennen. Eine "Suchmaschinenoptimierung" des Textes im Hinblick auf die Verwendung auf Internetplattformen wurde von der Klägerseite nicht vorgetragen. Zudem liegt gerade keine unverwechselbare Wortfolge vor, da sich die gewählte Reihenfolge der Sätze variieren lässt, ohne dass ein erheblicher inhaltlicher Unterschied entstünde. Eine eigenschöpferische Gedankenführung ist ebenso wie eine besonders geistvolle Form und Art nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht der Text nach seinem Gesamteindruck einem üblichen Beschreibungstext für Fahrzeugausstattungen mit gängigen technischen Formulierungen. Im Hinblick auf die oben dargestellten Anforderungen stellt der Text somit kein urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG dar, weswegen keine Urheberrechtsverletzung vorliegt.

b) Ebenso kommt kein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG in Betracht. Zwar können Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz wegen der Verwertung eines fremden Leistungsergebnisses unabhängig vom Bestehen von Ansprüchen aus einem Schutzrecht gegeben sein, wenn besondere Begleitumstände vorliegen, die außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestands liegen (BGH Urt. v. 12.05.2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58, 63 - Seilzirkus), jedoch fehlt es vorliegend gerade an solchen besonderen Umständen, die außerhalb des Bereiches urheberechtlich geschützter Tatbestände liegen. Der streitgegenständliche Text ist mangels wettbewerblicher Eigenart nicht dazu geeignet, eine Herkunftstäuschung gemäß § 4 Nr. 3 UWG bei Verbrauchern hervorzurufen, da die konkrete Textausgestaltung nicht ausreicht, um die angesprochenen und interessierten Verkehrskreise auf dessen betriebliche Herkunft hinzuweisen. Eine gezielte Behinderung des Klägers durch die Textnutzung des Beklagten gemäß § 4 Nr. 4 UWG ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Zudem führt der Beklagte zurecht aus, dass die Parteien keine Mitbewerber gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG sind, da sich die geschäftlichen Aktivitäten der Parteien in räumlicher Hinsicht nicht überschneiden. Dabei kommt es darauf an, ob sich die Gebiete decken oder überschneiden, in denen die Beteiligten Kunden haben oder zu gewinnen suchen, wobei sich die Ermittlung des räumlich relevanten Marktes nach der Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmers richtet (BGH, Urt. v. 05.10.2000 - I ZR 237/98, GRUR 2001, 260, 261). Der Kläger ist nach eigenen Angaben lediglich in einem Umkreis von 100 km um Ort tätig, während der Beklagte in Ort gewerblich aktiv ist. Die Luftlinie von Ort nach Ort beträgt ca. 470 km. Eine Überschneidung ist daher nicht ersichtlich.

2. Aufgrund der fehlenden Urheberrechtsverletzung steht dem Kläger auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG nicht zu.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Hamburg: Art. 2 InfoSoc-RL gilt nicht für Lichtbilder im Sinne von § 72 UrhG und Ausschnitte aus Lichtbildwerken die allein keinen Werkscharakter aufweisen

LG Hamburg
Urteil vom 22.05.2020
308 S 6/18


Das LG Hamburg hat entscheiden, dass Art. 2 InfoSoc-RL gilt nicht für Lichtbilder im Sinne von § 72 UrhG und Ausschnitte aus Lichtbildwerken die allein keinen Werkscharakter aufweisen.

Das Gericht hat die Revision zum BGH zugelassen.

Aus den Entscheidungsgründen:

1. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehen die von ihr geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Sie folgen insbesondere nicht aus §§ 97 ff. UrhG. Der Beklagte hat die ausschließlichen Nutzungsrechte der Klägerin an der streitgegenständlichen Fotografie nicht verletzt.

a) Es liegt keine rechtswidrige Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG vor.

aa) Die von der Klägerin als Klagemuster angeführte Fotografie genießt Schutz als Lichtbildwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG. Die sorgsam gestaltete Bildkomposition, die insbesondere in dem gewählten Bildausschnitt und der offensichtlich gezielt eingesetzten Verteilung von Schärfe im Bildvordergrund und Unschärfe im Bildhintergrund ihren Ausdruck gefunden hat, bringt ein für die Eröffnung von Werkschutz ausreichendes Maß an persönlicher geistiger Schöpfung zum Ausdruck.

Zudem kann sich eine Vervielfältigungshandlung im Sinne des § 16 UrhG auch auf einzelne Teile eines Werkes beschränken, sofern der betreffende Werkteil auch für sich genommen urheberrechtlich schutzfähig ist (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 16, Rn. 9). Letzteres ist vorliegend der Fall. Zwar hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, dass dem fraglichen Bildausschnitt – der aus dem Bildhintergrund herausgelösten Abbildung des Soldaten – für sich genommen kein Werkschutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG zugebilligt werden kann. Die Abbildung des Soldaten weist für sich genommen weder im Hinblick auf das Motiv noch bezüglich des Blickwinkels, der Verteilung von Licht und Schatten, des Zusammenspiels von Schärfen und Unschärfen oder sonstigen gestalterischen Elementen Besonderheiten auf, in denen ein besonderer schöpferischer Gehalt zum Ausdruck kommt. Der fragliche Bildausschnitt genießt jedoch Lichtbildschutz nach § 72 UrhG, denn nach dieser Vorschrift sind auch kleinste Teile eines Fotos urheberrechtlich schutzfähig. Auf eine hinreichende Individualität kommt es insoweit nicht an, es genügt allein die rein technische Leistung (Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 72, Rn. 15).

Das Amtsgericht hat ebenfalls zu Recht festgestellt, dass die angegriffene Gestaltung des Beklagten als freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG zulässig ist. Bei der Prüfung, ob eine Bearbeitung i.S.v. § 23 UrhG oder eine freie Benutzung nach § 24 UrhG vorliegt, kommt es auf die Übereinstimmung im Bereich der objektiven Merkmale an, durch die die schöpferische Eigentümlichkeit des Originals bestimmt wird. Es ist deshalb durch Vergleich der sich gegenüberstehenden Werke zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind. Maßgebend dabei ist ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind (BGH GRUR 2016, 1157, Rn. 21 – auf fett getrimmt; BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 41, 72 – Goldrapper; BGH, GRUR 2014, 258, Rn. 40 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm I). Beschränkt sich die Vervielfältigung auf einen Teil des Werkes, ist bei dieser Prüfung nicht das gesamte Werk, sondern allein der vervielfältigte Teil des Werkes der neuen Gestaltung gegenüberzustellen (BGH, GRUR 2017, 390, Rn. 46 - East Side Gallery). Für die Abgrenzung zwischen einer (unfreien) Bearbeitung i.S.d. § 23 UrhG und einem in freier Benutzung geschaffenen Werk gem. § 24 UrhG, das ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf, kommt es auf den Abstand an, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält. Von einer freien Benutzung im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere dann auszugehen, wenn für ein neues Werk zwar eigenpersönliche Züge eines geschützten älteren Werkes übernommen werden, diese aber angesichts der Eigenart des neuen Werkes in der Weise verblassen, dass die Benutzung des älteren Werkes durch das neuere nur noch als Anregung zu einem neuen, selbstständigen Werkschaffen erscheint (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 28.07.2016 – I ZR 9/15, GRUR 2016, 1157, Rn. 19 ff. – Auf fett getrimmt). Darauf kommt es vorliegend allerdings bereits nicht an, da nach den obigen Ausführungen der in Rede stehende Ausschnitt des Klagemusters schon keine eigenpersönlichen Züge aufweist, die einen eigenständigen Werkschutz begründen könnten. Vielmehr kann sich die Klägerin insoweit – wie bereits ausgeführt – nur auf den Lichtbildschutz des § 72 UrhG berufen. Wird eine auf einem bloßen Lichtbild abgebildete Person abgemalt, liegt angesichts des geringen Schutzumfanges des § 72 UrhG regelmäßig eine freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG vor, denn die fotografierte Person hat der Fotograf nicht geschaffen, sodass er an deren Umrissen und Gestalt grundsätzlich keine Rechte besitzt (so: Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 72, Rn. 17, i.V.m. § 24, Rn. 36, unter Berufung auf HansOLG, Urt. v. 12.10.1995 – 3 U 140/95, ZUM 1996, 315, 316 f. – Big Nudes). Eine andere Beurteilung kann insoweit allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn außer der fotografierten Person auch die besonderen Gestaltungsmittel der Fotografie (Licht und Schatten, Grautöne, Schärfen und Unschärfen etc.) und die ggf. individuelle Auswahl und Anordnung des Motivs (Gruppierung von mehreren Personen, Wahl des Blickwinkels etc.) in der Zeichnung wiederkehren (Schulze, a.a.O.). Dies ist vorliegend jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil, wie bereits ausgeführt, die streitgegenständliche Fotoaufnahme des aus dem Bildhintergrund herausgelösten Soldaten keine derartigen besonderen Gestaltungsmittel aufweist. Hinzu kommt, dass der Beklagte durch die Art und Weise seiner „Übersetzung“ des Fotos in eine sehr kontrastreiche Schwarz-Weiß-Zeichnung mit eher geringer Detailgenauigkeit gegenüber der Abbildung des Soldaten im Klagemuster eine erhebliche Abstrahierung und Entpersonalisierung herbeigeführt und zudem durch die Hinzufügung des Textelementes („Und ob ich schon wanderte...“) auch einen neuen Assoziationsansatz geschaffen hat, wodurch sich sein Motiv im Ergebnis noch weiter von der Ausgangsabbildung entfernt hat.

bb) Die Regelungen der InfoSoc-Richtlinie stehen diesem Ergebnis nicht entgegen.

Zwar darf nach der Rechtsprechung des EuGH ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die Vervielfältigungsrechte gemäß Art. 2 InfoSoc-RL vorsehen, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen sind (so in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers gemäß Art. 2 lit. c) der InfoSoc-Richtlinie: EuGH Urt. v. 29.07.2019 – C-476/17, BeckRS 2019, 15823, Rn. 65 – Sampling als unerlaubte Vervielfältigung).

Die vorliegend erfolgte Übernahme der aus dem Bildhintergrund herausgelösten Figur des Soldaten fällt jedoch schon gar nicht in den Schutzbereich des Art. 2 InfoSoc-RL. Zwar betrifft das Vervielfältigungsrecht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 2 InfoSoc-RL auch Vervielfältigungen von Teilen des jeweiligen (Gesamt-)Schutzgegenstands. Dies gilt auch für Werke, da dem Richtlinienrecht insoweit nichts Gegenteiliges zu entnehmen ist. Die vervielfältigten Teile müssen dann jedoch Elemente enthalten, die die eigene geistige Schöpfung des Urhebers zum Ausdruck bringen (vgl. EuGH, EuZW 2009, 655, Rn. 39 - Infopaq; Leenen, in: Wandtke/Bullinger, InfoSoc-RL, 5. Aufl., Art. 2, Rn. 10 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr enthält – wie bereits ausgeführt – die aus dem Bildhintergrund herausgelösten Figur des Soldaten gerade keine eigenschöpferischen Elemente und kann daher keinen Werkschutz, sondern nur den Lichtbildschutz des § 72 UrhG in Anspruch nehmen.

In Art. 2 lit. b)-e) InfoSoc-RL wird das Vervielfältigungsrecht zwar über den Werkschutz hinaus auch auf weitere Schutzgegenstände erstreckt, nämlich auf:


- Aufzeichnungen der Darbietungen ausübender Künstler (lit. b),

- von Tonträgerherstellern hergestellte Tonträger (lit. c),

- Originale und Vervielfältigungsstücke von Filmen (lit. d) und

- Sendungsaufzeichnungen von Sendeunternehmen (lit. e).

Lichtbilder im Sinne des § 72 UrhG sind in diesem Schutzkatalog aber gerade nicht aufgeführt. Darin liegt zugleich der wesentliche Unterschied zum Sachverhalt der oben zitierten Sampling-Entscheidung des EuGH, denn im dortigen Fall unterfiel auch noch das streitgegenständliche Audiofragment dem unmittelbaren Schutz der InfoSoc-RL, nämlich als Teil einer Tonträgeraufnahme im Sinne des Art. 2 lit. c) InfoSoc-RL.

Eine Übertragung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auf reine Lichtbilder ist auch nicht deshalb vorzunehmen, weil Lichtbilder nach § 72 Abs. 1 UrhG „in entsprechender Anwendung der für Lichtbildwerke geltenden Vorschriften des Teils 1“ geschützt werden. Zwar bringt der Gesetzgeber hierdurch zum Ausdruck, dass der Schutz von Lichtbildwerken und von Lichtbildern – bis auf die in § 72 Abs. 2 und Abs. 3 UrhG enthaltenen Besonderheiten – weitgehend übereinstimmend geregelt werden soll. Dass sich eine in Bezug auf Lichtbildwerke notwendige richtlinienkonforme Auslegung des § 24 UrhG auch auf Lichtbilder erstreckt, folgt hieraus aber nicht. Da der deutsche Gesetzgeber bei den Regelungen zu Lichtbildern nicht die Vorgaben der genannten Richtlinien beachten muss, ist ohne eine Gesetzesänderung nicht davon auszugehen, dass europarechtlich erforderliche Beschränkungen des Anwendungsbereichs des § 24 UrhG auch für Lichtbilder gelten.

b) Aus den gleichen Gründen sind vorliegend auch eine rechtswidrige Verbreitung (§ 17 UrhG) und ein rechtswidriges öffentliches Zugänglichmachen (§ 19a UrhG) durch den Beklagten zu verneinen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

3. Die Revisionszulassung beruht auf § 543 ZPO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Fragen, ob sich der Schutzbereich des Art. 2 InfoSoc-RL auch auf bloße Fragmente aus Lichtbildwerken erstreckt, die für sich genommen nur Schutz gemäß § 72 UrhG beanspruchen können, und wie sich dies auf die Anwendbarkeit des § 24 UrhG auswirkt, können sich in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen, sind höchstrichterlich aber noch nicht geklärt.



Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: