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OLG Köln: Ankerkraut gegen BUTCHER´s by Penny - Keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung der Wortfolge "Beef Booster" und keine wettbewerbswidrige Nachahmung

OLG Köln
Urteil vom 08.09.2023
6 U 39/23


Das OLG Köln hat im Rechtsstreit zwischen Ankerkraut und Penny wegen des Produkts "BUTCHER´s by Penny" entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung durch Verwendung der Wortfolge "Beef Booster" vorliegt. Zudem hat das Gericht auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche abgelehnt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Der Klägerin steht kein Unterlassungsanspruch aus Markenrecht zu. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 5, Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind zwar insoweit erfüllt, als die Klägerin Inhaberin der u.a. für Gewürze und Gewürzmischungen eingetragenen und in Kraft stehenden Wortmarke „Beef Booster“ ist, der trotz der beschreibenden Anklänge eine zumindest geringe Kennzeichnungskraft zukommt, und die Beklagten bei der Trockenmarinade „BEEF BOOSTER“ ein mit der eingetragenen Marke identisches Zeichen für identische Ware verwendet haben. Es fehlt jedoch an der für die Feststellung einer Markenrechtsverletzung erforderlichen markenmäßigen Verwendung des geschützten Zeichens. Für die Beurteilung der - für einen Unterlassungsanspruch aus § 14 Abs. 5 MarkenG stets erforderlichen und unabhängig von der Kennzeichnungskraft der Marke zu prüfenden - markenmäßigen Benutzung kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalles an, auf die konkrete Aufmachung, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt, unter Berücksichtigung der Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor. Dies trägt die Klägerin selbst in der Berufungsbegründung zutreffend vor. Insoweit kann sie aus Urteilen zu anderen Sachverhalten nichts zu ihren Gunsten herleiten. Weder die von ihr angeführte Entscheidung des OLG München (Urteil vom 17.11.2005, 29 U 1927/05: Verwechslungsgefahr zwischen der Wortmarke MEMORY und einem Zeichen mit den Wortbestandteilen EDUCA memory game für Legekartenspiele) noch die Entscheidung des Senats im Verfahren 6 U 203/08 (Urteil vom 20.05.2009: Verwechslungsgefahr zwischen der Wortmarke „Powermoon“ und der Bezeichnung „LED-LENSER V 13 Power Moon" für Beleuchtungsgeräte) sind in tatsächlicher Hinsicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Anders als in den vom OLG München bzw. dem Senat entschiedenen Fällen werden die Marke „BUTCHER´S by PENNY“ und die Bezeichnung „BEEF BOOSTER“ nicht in unmittelbaren Zusammenhang zueinander bzw. als ein Gesamtzeichen verwendet. Die von der Klägerin dafür, dass die Verwendung mehrere Marken zur Kennzeichnung eines Produktes eine weit verbreitete Praxis darstelle, angeführte Entscheidung des OLG Hamburg (Urteil vom 29.01.2009, 3 U 44/07) hat eine markenmäßige Verwendung von „Yoghurt Gums“ für Fruchtgummi mit Schaumzucker in der konkreten Aufmachung als rein beschreibend verneint. Entsprechendes gilt für den vorliegenden Fall. Aus der maßgeblichen Sicht des informierten Durschnittverbrauchers, die der Senat, dessen Mitglieder zum angesprochenen Verkehrskreis gehören, ohne weiteres selbst beurteilen kann, haben die Beklagten „BEEF BOOSTER“ in der angegriffenen Produktausstattung nicht herkunftshinweisend verwendet, sondern zur näheren Beschreibung des Produkts. Die Bezeichnung erfolgt weder an einer Stelle, an der der Verbraucher einen weiteren Herstellerhinweis erwartet, noch in einer Art und Weise, die auf eine markenmäßige Verwendung hindeutet. Die Herstellerangabe „BUTCHERS by Penny“ befindet sich hervorgehoben und als solche eindeutig erkennbar über der Produktangabe „TROCKENMARINADE“. Das angegriffene Zeichen befindet sich getrennt von der prominenten Herstellerangabe unter der ebenfalls groß hervorgehobenen Produktangabe in einem kleinen farbigen Feld. In einem solchen Feld erwartet der Verbraucher keine weitere Herstellerangabe, sondern eine nähere Angabe zur Sorte bzw. dem Verwendungszweck der Trockenmarinade. Dementsprechend fügt sich das angegriffene Zeichen nicht nur in die Produktlinie der Beklagten mit den drei weiteren Sorten-Bezeichnungen „CHICKEN BOOSTER“, „HOT CAJUN“ und „MAJIC DUST“ ein sondern entspricht letztlich auch der Kennzeichnungsgewohnheit der Klägerin selbst, die in einem Farbfeld unter der prominent hervorgehobenen Herstellerangabe „ANKERKRAUT“ die verschiedenen Geschmacksrichtungen bzw. Anwendungsbereiche wie „Rührei Kräuter“, „Chili-Pfeffer Salz“, „Pizza Gewürz“, „Omas Liebling“ pp. anführt er Vortrag der Klägerin, es entspreche den Kennzeichnungsgewohnheiten in der Gewürzmittelbranche, Dachmarken mit Untersorten zu führen, denen unterscheidungskräftige Untermarken/ Zweitmarken zugewiesen seien, ist nicht mit hinreichenden Tatsachen untermauert. Der Verweis auf rund zehn eigene Marken („Bang Boom Bang“, „Mango No. 5“, „Pull that Piggy“, „Smoking Zeus“, „Teufelskerl“, „Cherry Chipotle“, „SPIC KNOCKOUT“, „TERI AKI RUMBLE“, „TONKI-KONG“) sowie die Marken „just egg“ der Just Spice GmbH, „Sweet Tonka Kiss“ der Hartkorn Gewürzmühle GmbH und „Manina D Oro“ der Firma Edo Gewürze genügt für die Feststellung einer allgemeinen Gewohnheit nicht.

Soweit die Klägerin behauptet, ihre Marke erfreue sich so hoher Bekanntheit, dass der Verkehr das Zeichen als Unterscheidungsmittel auffasse, kann nicht festgestellt werden, dass die Klagemarke „Beef Booster“ überhaupt in nennenswertem Umfang für Gewürze / Gewürzmischungen verwendet wird, erst Recht nicht, dass sie eine hohe Bekanntheit genießt. Aus dem unlesbaren Screenshot Bl. 427 eA kann zu Gunsten der Klägerin nichts hergeleitet werden, und ihr Vortrag Bl. 427 f. eA zu 1.370 Kundenrezensionen sowie 300 Verkäufen im letzten Monat ist für Feststellungen zum tatsächlichen Absatz unzureichend. In keinem Fall folgt aus diesen geringen Mengen eine hohe Bekanntheit der Klagemarke.

Im Übrigen sind die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass „Beef Booster“ auch von Mitbewerbern als Geschmacksangabe verwendet wird, nicht zu beanstanden. Die Richtigkeit dieses Vortrags der Beklagten wird durch die Anlagen Schmitt-Teworte (S-T) 31 und B6 („BEEF BOOSTER“ von BBQ / Aldi Süd), die Anlage B7 (Knorr Beef Booster) und die Anlage B8 (Beef Booster von Hanse & Pepper) belegt. Der Begriff „Booster“ wird im Gewürzbereich allgemein für Fleisch und Geflügel (Anl. B8: „FLEISCH BOOSTER“, „Steak Booster“, „BBQ BOOSTER“; Anl. S-T 9: „CHICKEN BOOSTER“), sonstige Produkte (Anl. B8: „BUTTER BOOSTER“) und sogar isoliert (Anl. B8: „Spice Booster“) verwendet.

2. Ein Unterlassungsanspruch folgt auch nicht aus § 8 Abs. 1 UWG. Die Parteien sind zwar Mitbewerber, die Klägerin also nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UGW klagebefugt, und der Vertrieb der angegriffenen Produkte durch die Beklagten stellt eine geschäftliche Handlung dar, diese ist jedoch mangels Unlauterkeit nicht nach § 3 UWG unzulässig. Keiner der von der Klägerin geltend gemachten Unlauterkeitstatbestände ist erfüllt. Es liegt weder eine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG vor noch eine Herkunftstäuschung nach § 5 Abs. 2 UWG a.F. / § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG n.F.

a. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, kann das Anbieten einer Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das Produkt von wettbewerblicher Eigenart ist und besondere Umstände – wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produktes – hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen eine Wechselwirkung. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen (ständige Rechtsprechung, s. zuletzt z.B. BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22 – KERRYGOLD, juris, Tz. 25).

Unter welchen Voraussetzungen wettbewerbliche Eigenart vorliegt, hat das Landgericht ebenfalls bereits zutreffend und umfassend dargelegt. Hierauf kann Bezug genommen werden. Einem verpackten Produkt kann wettbewerbliche Eigenart zukommen, wenn die konkrete Gestaltung oder bestimmte Merkmale der Verpackung des Produkts geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten der darin verpackten Ware hinzuweisen (BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22 – KERRYGOLD, juris, Tz. 34). Dies kann der Senat, dessen Mitglieder zum angesprochenen Verkehrskreis der Verbraucher gehören, ohne weiteres selbst feststellen.

Die Produktverpackung der ANKERKRAUT-Traditionslinie ist von wettbewerblicher Eigenart, die aus der Kombination folgender Gestaltungsmerkmale folgt:

- handelsübliches Korkenglas (Gewürzglas), ca. 10 cm hoch, ca. 170 ml. Füllvolumen;

- Korken und Glas verbunden mit einem kreisförmigen Papiersiegel in der Grundfarbe Schwarz, im Durchmesser etwas kleiner als der Korken, mit zwei seitlichen Streifen, die über den Korken und den oberen Glasrand reichen, so dass das Glas nicht geöffnet werden kann, ohne das Siegel sichtbar zu beschädigen;

- rundes Ankerkraut-Logo (Anker mit Zusatz AK) in der Mitte des Papiersiegels auf farbigem Grund; Farbe entsprechend der im unteren Drittel des Etiketts

- rechteckiges Etikett auf der Schauseite, zweifarbig, oberes Drittel Schwarz, unteres Drittel meist Braunrosa;

- Etikett auf der Schauseite im oberen Drittel unter dem silbernen Ankerkraut-Logo beschriftet jeweils in Silber mit groß „ANKERKRAUT“ und darunter klein „GESCHMACKSMANUFAKTUR“, im unteren Drittel beschriftet jeweils in Schwarz in großer Schreibschrift mit der Geschmacksrichtung (z.B. „Bratkartoffel Gewürz“) und darunter in kleiner Druckschrift einer ergänzenden Charakterangabe (z.B. „WÜRZIG UND RUSTIKAL“);

- rechteckiges Etikett auf der Rückseite, überwiegend Schwarz, mit den Pflichtangaben pp. in silberner Druckschrift.

Besonders prägend für die wettbewerbliche Eigenart ist die Gestaltung des Etiketts auf der Schauseite, an dem sich der angesprochene Verbraucher bei Produkten des täglichen Bedarfs - und so auch hier - in erster Linie orientiert (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000, I ZR 225/98 - Vienetta, juris, Tz. 30, 33). Die Verwendung eines Korkenglases für Gewürze ist eine als solche nicht schutzfähige gestalterische Grundidee. Dass ein Korkenglas gegen Öffnen vor dem Verkauf geschützt werden muss, liegt auf der Hand, so dass die Verwendung eines Papiersigels als einfache und preiswerte Lösung ebenfalls nicht monopolisiert werden darf.

Die wettbewerbliche Eigenart der Produktlinie der Klägerin ist von Hause aus als gering zu bewerten. Das zurückhaltend gestaltete Schauseiten-Etikett mit seinen Angaben zu der Herstellerin und dem Produkt hat letztlich einen rein beschreibenden Charakter, ebenso wie das handelsübliche Korkenglas. Solche Gläser werden regelmäßig für Gewürze verwendet. Dies entspricht der Lebenserfahrung und wird durch das von den Beklagten vorgelegte Produktumfeld belegt. Soweit die Klägerin erstmals in der Berufungsbegründung die Marktrelevanz des Produktumfeldes mit Nichtwissen bestreitet, ist ihr Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Die Beklagten hatten bereits in der Klageerwiderung zur Marktbedeutung vorgetragen und insbesondere für die von Aldi, Lidl und der Altenburger Senf- und Feinkost GmbH & Co. (unter Senfonia Premium) veräußerten Produkte konkrete Verkaufszahlen dargelegt. Die Klägerin hat auf die Berufungserwiderung nicht repliziert und ist dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten. Im Übrigen haben die Beklagten für die von Aldi und Lidl vertriebenen Produkte mit der Berufungserwiderung Belege für erhebliche Verkaufszahlen in Deutschland von insgesamt über 1,5 Mio. Stück im Zeitraum 2020 bis 2022 vorgelegt (s. Anl. B6 für Aldi / BBQ, Anl. B4 für Lidl / Kania; Anl. B5 für Lidl / Grillmeister; das Aldi-Produkt Grillmeister ist ausweislich der Katalogabbildungen Bl. 218 ff. eA außerdem noch im April 2023 veräußert worden). Dass die streitbefangenen Gläser typischerweise für Gewürze verwendet werden, ergibt sich sogar aus dem von der Klägerin selbst angeführten Designpreis red dot award, den sie im Jahr 2014 für das Verpackungskonzept des sich in „klassischen Gewürzgläser(n)“ präsentierenden Sortiments erhalten hat. Dass der Produktausstattung von Hause aus durchschnittliche oder gar überdurchschnittliche wettbewerbliche Eigenart zukommt, folgt aus der Verleihung des Designpreises nicht. Die Begründung zur Preisverleihung stellt im Wesentlichen auf den „unverwechselbaren Namen Ankerkraut“ und den deutlichen Bezug zur Hafenmetropole Hamburg mit dem Logo eines Ankers als traditionelles Seefahrersymbol ab.

Mit dem Landgericht kann von einer Steigerung der wettbewerblichen Eigenart aufgrund der Bekanntheit der Marke „Ankerkraut“ durch die Fernsehsendung „Höhle der Löwen“ ausgegangen werden, jedenfalls in Verbindung mit den von der Klägerin vorgelegten Verkehrsbefragungen (Anlagen K6 bis K8), wobei dahinstehen kann, ob die Gutachten methodisch in jeder Hinsicht einwandfrei sind und/oder alleine für eine Feststellung der Steigerung ausreichend wären.

Dahinstehen kann auch, ob die wettbewerbliche Eigenart durch die von der Klägerin im März 2020 bzw. April 2021 ausdrücklich gebilligten Nachahmungen, die durch Lidl unter „Edle Gewürze … Kania“ (s. Anl. S-T 30) und Aldi unter „BBQ“ (s. Anl. S-T 31) vertrieben worden sind, und/oder die ebenfalls von Lidl unter „Grillmeister“ vertriebenen Gewürzmischungen und/oder das von der Klägerin lizensierte Produkt MOESTA

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wieder verwässert worden ist.

Selbst wenn von einer von Hause aus geringen und durch Verkehrsbekanntheit gesteigerten, mithin durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart ausgegangen würde, wären die allenfalls nachschaffenden Nachahmungen der Beklagten (dazu aa.) nicht zu beanstanden. Bei der nachschaffenden Nachahmung bedarf es nämlich ausgeprägter besonderer Begleitumstände, um von der Unlauterkeit ausgehen zu können (s. Wille in Büscher, UWG, 2. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn. 61), an denen es hier fehlt (dazu bb. und cc.).

aa. Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn das angebotene Produkt nur geringfügige, im Gesamteindruck unerhebliche Abweichungen von den die wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmales des Originalprodukts aufweist. Die sich gegenüberstehenden Produkte müssen ungeachtet kleinerer Abweichungen im Detail im Gesamteindruck einander so ähnlich sein, dass sie vom Verkehr praktisch nicht auseinandergehalten werden können. Eine nachschaffende Nachahmung liegt vor, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild benutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt vorliegt. Dies ist der Fall, wenn das angebotene Produkt sich dem Originalprodukt in seinen die wettbewerbliche Eigenart begründenden Markmalen erkennbar annähert aber deutlich sichtbare Abweichungen im Gesamteindruck bestehen. Weisen die sich gegenüberstehenden Produkte allein in ihrer abstrakten Grundidee, aber nicht in ihrer diese umsetzenden konkreten Gesamterscheinung Übereinstimmungen auf, ist nicht einmal eine nachschaffende Nachahmung gegeben (s. Wille in Büscher, UWG, 2. Aufl., § 4 Nr. 3 Rn. 60 f.).

Im vorliegenden Fall nähern sich die Produktverpackungen der Parteien in erster Linie in der Grundidee der Verwendung eines handelsüblichen Korkenglases mit einer edel wirkenden Aufmachung (Siegel, schwarzes Etikett) an. In der konkreten Umsetzung dieser Grundidee finden sich dagegen so deutliche Unterschiede, dass im Erinnerungseindruck die Konkurrenzprodukte unverwechselbar sind. Insoweit liegt allenfalls eine nachschaffende Nachahmung vor.

Die wettbewerbliche Eigenart der Traditionslinie der Klägerin wird maßgeblich geprägt durch die zweifarbige Gestaltung des Etiketts auf der Schauseite und des Papiersiegels sowie dem bekannten, einprägsamen Namen Ankerkraut und das Ankerkraut-Logo. In diesen Elementen weicht die Produktausstattung der Beklagten deutlich vom Original ab. Die Beklagten verwenden für das Etikett bereits eine andere Grundform mit einer gerundeten Oberkante. Außerdem ist die Grundfarbe des Etiketts und des Siegels ausschließlich Schwarz. Das farbige untere Drittel der Etiketten der Klägerin findet eine allenfalls angedeutete Entsprechung in dem kleinen Farbfeld für die Geschmacksrichtung, wobei das Farbkonzept der Beklagten mit drei verschiedenen Farben für die drei Geschmacksrichtungen nicht dem der Klägerin mit ganz überwiegend einem Farbton entspricht. Die Papiersiegel sind jeweils mit den unverwechselbaren Logos der Parteien beschriftet. Auch die Marken ANKERKRAUT und BUTCHER´S by Penny sind einander in keiner Hinsicht ähnlich. Die Eigenmarke der Beklagten „BUTCHER´S by Penny“ ruft Assoziationen (nur) zum Fleischbereich hervor, das auf die Seefahrt verweisende Zeichen „Ankerkraut“ dagegen Assoziationen zu allen weltweit gehandelten Gewürzen für jedes erdenkliche Gericht. Schließlich fügt sich das angegriffene Design ohne weiteres in das sonstige unter „BUTCHER`S by Penny“ vertrieben Angebot der Beklagten ein. Die Beklagten vertreiben Hamburger-Zubehör (Patties, Brötchen, Fritten, Gewürze, Pommes-Salz), Steaks, Spare Ribs, Würstchen, Saucen etc. unter Verwendung der Grundfarbe Schwarz und des geschwungenen Butcher´s-Emblems mit kleinteiligen Zusätzen und der kleinen Abbildung eines Metzgers. Die entsprechenden typischen Gestaltungen der verschiedenen Produkte des breiten Sortiments folgt aus dem bindenden Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Seite 6 LGU) sowie den von den Beklagten zu Akte gereichten Unterlagen (Präsentation der Eigenmarke und der Produkte 2022, Anl. S-T 5 und S-T 6; Präsentation der Eigenmarke 2023, Anl. B 1). Die Wortmarke „BUTCHER´s by Penny“ ist seit 2017 eingetragen. Ihre aktuelle Verwendung u.a. auf den streitbefangenen Produkten entspricht im Gesamteindruck dem Design, in dem ausweislich der von den Beklagten vorgelegten Prospekte und Fotos aus dem Jahr 2017 (Anl. B 10 und B 11) bereits seit Jahren die Wort-Bildmarke der Beklagten BUTCHER´S Burger (Anl. B 2) verwendet worden ist.

Die Unterschiede in der Gestaltung treten nicht als geringfügig zurück, sondern führen zu einem abweichenden Gesamteindruck. Die Ausstattung der Klägerin wirkt in ihrer klaren Zweifarbigkeit und dem Bezug zur Seefahrt edel, puristisch und hanseatisch-weltoffen. Der Gesamteindruck der angegriffenen Produkte der Beklagten ist zwar auch hochwertig, dabei aber kleinteilig, bodenständig und westernmäßig-rustikal:

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Insgesamt nähern sich die Beklagten dem Produkt der Klägerin nicht dichter an als die von Aldi und Lidl unter „BBQ“ bzw. „Edle Gewürze … Kania“ und „Grillmeister“ vertriebenen Produkte:

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bb. Nach § 4 Nr. 3 lit. a) UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht oder wenn er die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält.

Soll die Annahme einer vermeidbaren Herkunftstäuschung mit dem Argument bejaht werden, die angesprochenen Verkehrskreise könnten annehmen, dass lizenzvertragliche Verbindungen zwischen dem Hersteller des Originalprodukts und dem Anbieter der Nachahmung bestehen, müssen bei einer deutlichen Kennzeichnung der Produkte mit einem abweichenden Herstellerkennzeichen - über die Nachahmung hinausgehende - Hinweise vorliegen, die diese Annahme rechtfertigen. Ein solcher Hinweis kann beispielsweise darin liegen, dass die Beklagte zuvor Originalprodukte der Klägerin vertrieben hat oder die Parteien früher einmal durch einen Lizenzvertrag verbunden waren. Sofern die Gefahr einer Herkunftstäuschung damit begründet werden soll, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck erweckt werde, es handele sich bei dem Produkt des Wettbewerbers um eine neue Serie oder eine Zweitmarke des Unterlassungsgläubigers, müssen entsprechende Feststellungen zu den Kennzeichnungsgewohnheiten auf dem in Rede stehenden Markt und zum Verständnis der von den Produkten angesprochenen Verkehrskreise getroffen werden (BGH, Urteil vom 26.01.2023, I ZR 15/22-KERRYGOLD, juris, Tz. 46).

(1) Eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ist bereits aufgrund der auf den Produkten deutlich aufgebrachten unterschiedlichen Kennzeichen ausgeschlossen. Nicht nur Herstellermarken, auch Handelsmarken/Eigenmarken schließen eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus (vgl. BGH, Urteil vom – Knoblauchwürste, juris, Tz. 14). Der Ansicht der Klägerin, das Zeichen „by Penny“ gehe in der Gesamtgestaltung unter, kann nicht beigetreten werden. Der Zusatz ist unübersehbarer Teil der auf die streitbefangenen Produkte prominent angebrachten Eigenmarke der Beklagten zu 1.

(2) Eine mittelbare Herkunftstäuschung kommt vorliegend insoweit in Betracht, als es sich bei dem Kennzeichen der Beklagten erkennbar um eine Eigenmarke handelt. Bei Eigenmarken ist dem Verkehr bekannt, dass sich dahinter andere Hersteller verbergen können. Insoweit besteht jedenfalls im Ansatz die Möglichkeit, dass der angesprochenen Verbraucher von lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien ausgehen könnte. Dagegen gibt es keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Verbraucher könnte die Produkte der Beklagten als neue Produkte der Klägerin oder die Bezeichnung „BUTCHER´S by Penny“ für einer Zweitmarke der Klägerin halten.

Tatsächlich besteht aber auch keine Gefahr einer mittelbaren Herkunftstäuschung unter dem Gesichtspunkt des Anscheins möglicher lizenz- oder gesellschaftsvertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien. Gegen eine solche Annahme spricht bereits die Tatsache, dass die Klägerin bereits in zwei Fällen den Vertrieb mindestens so deutlicher Nachahmungen ihrer Produktlinie durch große Discounter (Aldi und Lidl) nicht nur toleriert, sondern sogar werbewirksam gutgeheißen hat. Der Verbraucher hat keine Veranlassung davon auszugehen, dass der Discounter Penny – anders als Aldi und Lidl – in einer vertraglichen Beziehung zur Klägerin steht. Außerdem fügt sich die angegriffene Produktaufmachung unverkennbar in die gesamte „BUTCHER´S by Penny“-Serie der Beklagten ein. Der Verbraucher hat keine Veranlassung, auf die Klägerin als mögliche Herstellerin der Gewürzmischungen zu schließen. Das Renommee und die besondere Unternehmensgeschichte legen eine vertragliche Zusammenarbeit mit Discountern nicht nahe, jedenfalls nicht in der Form, dass die Produkte unauffällig in die Eigenmarke eingegliedert werden. Beim Bestehen lizenz- oder gesellschaftsvertraglicher Beziehungen würde der Verbraucher vielmehr eine werbewirksame eindeutige Bezugnahme auf die Klägerin erwarten. Insgesamt betrachtet hält die angegriffene Produktausstattung einen so deutlichen Abstand zum Originalprodukt der Klägerin, dass unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen der wettbewerblichen Eigenart, dem Grad der Nachahmung und den besonderen wettbewerblichen Umständen der Vorwurf einer unlauteren Nachahmung nicht begründet ist.

cc. Eine unangemessene Rufausnutzung oder Rufbeeinträchtigung nach § 4 Nr. 3 lit. b) UWG liegt nicht vor, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass das Produkt der Klägerin einen guten Ruf genießt. Bei durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart und einer allenfalls nachschaffenden Nachahmung gelten nach dem Grundsatz der Wechselwirkung relativ hohe Anforderungen an die Feststellung des Unlauterkeitstatbestandes. Besondere Begleitumstände, die hier ohne das Bestehen von Verwechslungsgefahr zu einer unlauteren Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung führen könnten, sind nicht dargetan. Der angesprochene Verkehr erkennt die Leistungsergebnisse der Parteien als das, was sie sind, nämlich als Konkurrenzprodukte. Dass / in welcher Hinsicht die Nachahmung im Wesentlichen nicht dieselbe Qualität aufweisen soll wie ihre Gewürzmischungen, hat die Klägerin überdies nicht schlüssig vorgetragen. Soweit die angegriffenen Produkte aufgrund der Verwendung von Korkengläsern, Papiersiegeln und schwarzen Etiketten Assoziationen an das Originalprodukt und insoweit Aufmerksamkeit erwecken mögen, genügt dies für eine Rufübertragung i.S.d. § 3 Nr. 3 lit. b) UWG nicht.

b. Aus § 5 Abs. 2 UWG a.F. / § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG n.F., wonach eine geschäftliche Handlung irreführend und insoweit unlauter sein kann, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft, können im vorliegenden Fall keine weitergehenden Rechte hergeleitet werden als aus § 4 Nr. 3 lit. a) UWG, § 14 MarkenG. Dies sieht auch die Klägerin selbst so. Eine irreführende Produktvermarktung als Sonderfall der Irreführung über die betriebliche Herkunft ist aus den o.a. Gründen nicht feststellbar.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Köln: Verpackte Produkte wie Butter können wettbewerbliche Eigenart aufweisen und lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes genießen - KERRYGOLD gegen DAIRYGOLD

OLG Köln
Urteil vom 20.10.2023
6 U 20/21

Das OLG Köln hat im Rechtsstreit KERRYGOLD gegen DAIRYGOLD entschieden, dass auch verpackte Produkte wie Butter wettbewerbliche Eigenart aufweisen und lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes genießen können.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Aktivlegitimation der Klägerin ist gegeben. Wie der BGH bereits in früheren Entscheidungen und auch im hiesigen Revisionsurteil ausgeführt hat, dienen Ansprüche aus wettbewerblichem Leistungsschutz vorrangig dem Schutz individueller Leistungen und daneben dem Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Sie sollen grundsätzlich nur von demjenigen geltend gemacht werden können, der die zu schützende Leistungen erbracht hat. Das ist in der Regel der Hersteller der nachgeahmten Ware. Es kann aber auch der in seinem Vertrieb behinderte Alleinvertriebsberechtigte eines nachgeahmten Erzeugnisses als unmittelbarer Verletzter im Sinne von § 4 Nr. 3 a) UWG anzusehen sein, wenn durch den Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses über die Herkunft aus dem Betrieb eines bestimmten Herstellers und damit auch die Herkunft aus dem Betrieb des ausschließlich Vertriebsberechtigten getäuscht wird (vgl. RU Rn. 12 sowie BGH, Urteil vom 14.04.1988 – I ZR 35/86, GRUR 1988, 620 [juris Rn. 17] – Vespa-Roller; Urteil vom 18.10.2990 – I ZR 283/88, GRUR 1991, 223 [juris Rn. 15] – Finnischer Schmuck; Urteil vom 24.03.1994 – I ZR 42/93, GRUR 1994, 630 [juris Rn. 42] – Cartier-Armreif; Urteil vom 15.07.2004 – I ZR 142/01, GRUR 2004, 941 [juris Rn. 39] – Metallbett).

Vorliegend ist aufgrund der von der Klägerin als Anlagen K 23 a und b vorgelegten Unterlagen sowie der Aussage des Zeugen L. von einer Alleinvertriebsberechtigung der Klägerin für die irische Produktherstellerin auszugehen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 16.06.2023 – dort auf S. 1 ff. – weiter zu ihrer ausschließlichen Vertriebsberechtigung ausgeführt und das Sole Distribution Agreement vom 28.12.2005 (Anlagen K 23 a) nebst deutscher Übersetzung (Anlage K 23 b) sowie als Anlage K 24 ein Amendment to the Sole Distribution Agreement vom 21.12.2017 vorgelegt. Bei dem „Sole Distribution Agreement“ handelt es sich um eine Alleinvertriebsvereinbarung der Klägerin (damals noch J. Deutschland GmbH) mit der Muttergesellschaft (damals noch J. Limited). In der Präambel des Vertrags wird festgehalten, dass die Klägerin eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Klägerin ist. Unter Ziffer 1. der Vereinbarung ist sodann die Ernennung der Klägerin zum exklusiven Alleinvertriebshändler für Verpackung, Vertrieb, Bewerbung und Verkauf der unter Ziffer 2. genannten Vertragsprodukte, worunter alle Milcherzeugnisse irischen Ursprungs und insbesondere Butter und Käse fallen, im unter Ziffer 3. bezeichneten Vertragsgebiet, welches das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland umfasst, geregelt. Unter Ziffer 4. findet sich die Verpflichtung der Muttergesellschaft im Vertragsgebiet die Vertragsprodukte nicht selbst zu vertreiben und keinem anderen die diesbezüglichen Rechte einzuräumen. Unter Ziffer 11. der Vereinbarung ist schließlich geregelt, dass der Vertrag am 01.01.2006 beginnt und auf unbestimmte Zeit geschlossen ist, wobei er von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende des Jahres gekündigt werden kann. Dass dieser Vertrag mit diesen Bestimmungen seinerzeit zwischen den dort genannten Parteien so geschlossen wurde, hat zudem der Zeuge L. glaubhaft im Rahmen seiner Vernehmung bestätigt. Insbesondere hat dieser auch ausgesagt, wofür zudem bereits die Überschriften der einzelnen „geschwärzten“ Passagen sprechen, dass diese Textabschnitte nicht die Frage der Vertriebsberechtigung betrafen, und zudem bekundet, dass die Vereinbarung bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb der Klägerin am 31.12.2019 und damit nach der Klageerhebung im hiesigen Verfahren ungekündigt fortbestand und seines Kenntnisstandes nach immer noch unverändert fortbestehe. Anhaltspunkte dafür, dass dem entgegen zwischenzeitlich eine Kündigung dieser Vereinbarung erfolgt wäre, sind nicht ansatzweise ersichtlich und auch von der insoweit darlegungsbelasteten Beklagten nicht dargetan. Die Richtigkeit des Vertragstextes als solches oder der Umstand, dass es sich bei der Klägerin um das Nachfolgeunternehmen der J. Deutschland GmbH handelt, wird seitens der Beklagten bereits nicht in Abrede gestellt.

Sofern die Beklagte darüber hinaus die Auffassung vertritt, dass auch bei bestehender Alleinvertriebsberechtigung der Klägerin die Aktivlegitimation mangels Vorliegens weiterer hierfür erforderlicher Voraussetzungen nicht gegeben sei, kann sie damit nicht durchdringen. Wie der BGH in seinem Revisionsurteil - dort auf S. 8 - unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung ausgeführt hat, kann der in seinem Vertrieb behinderte Alleinvertriebsberechtigte als unmittelbar Verletzter im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG anzusehen sein, wenn durch den Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses über die Herkunft aus dem Betrieb eines bestimmten Herstellers und damit auch die Herkunft aus dem Betrieb des ausschließlich Vertriebsberechtigten getäuscht wird. Nach diesen Grundsätzen ist ein besonderes schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Unterbindung unlauterer Nachahmungen hier gegeben. Hierbei kann es zunächst entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darauf ankommen, ob es sich um eine nahezu identische Nachahmung handelt, da der Grad der Nachahmung nicht für die Anspruchsberechtigung, sondern nur für die Frage, ob in der Sache überhaupt ein Anspruch besteht, relevant ist. Ferner ist davon auszugehen, dass der Verkehr durch den Vertrieb der nachgeahmten Produkte auch über die Herkunft aus dem Betrieb der Klägerin getäuscht wird, mithin der Verbraucher die unternehmerische Leistung der Herstellerin auch dem Betrieb der Klägerin zuordnet. Bei einem ausschließlich Vertriebsberechtigten ist hiervon in der Regel auszugehen (vgl. Senatsurteil vom 24.07.2020 – 6 U 298/19 -, juris Rn. 50 ff. – Jeanshose mit V-Naht; Spoenle in: Seichter, jurisPK-UWG, 5. Aufl., § 4 Nr. 3 UWG, Stand: 10.01.2023, Rn. 42). Da die Klägerin zudem unstreitig auf jeder einzelnen Produktverpackung namentlich mit ihrer deutschen Adresse angeben ist, wird sie von den Verbrauchern in Deutschland auch als das Unternehmen wahrgenommen werden, von dem die Produkte stammen. Auch kann die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, dass der Klägerin ein für die Aktivlegitimation erforderliches eigenes Leistungsschutzrecht mangels schutzwürdiger Eigenleistung sowie eigenem wirtschaftlichen Interesse nicht zustehe. Dem exklusiven Vertriebsberechtigen steht - anders als einem bloßen Händler - bereits im Hinblick auf seine besondere Eigenleistung für den Vertrieb ein selbständiges wettbewerbsrechtliches Leistungsschutzrecht zu, da er in seinem Individualinteresse an der Vermarktung des Originalprodukts beeinträchtigt ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 41. Auflage, § 4 UWG Rn. 3.85). Sofern die Beklagte meint, dies verhalte sich vorliegend bei der Klägerin ausnahmsweise anders, da diese aufgrund der Konzernstrukturen kein eigenes betriebswirtschaftliches Risiko übernehme und ihr diese Strukturen zudem auch keine eigenen betrieblichen Entscheidungen hinsichtlich des Vertriebs der Produkte erlaubten, ist sie bereits der ihr für diese - klägerseits ausdrücklich bestrittene - Behauptung obliegenden Darlegungslast nicht nachgekommen. Aus den von ihr in Bezug genommenen Unterlagen (Anlagen K 23, K 24, BB 4 und BB5 – Jahresabschlussbericht der Klägerin 2019, 2020), kann dies nicht hergeleitet werden. Alleine der Umstand, dass nach den Jahresabschlussberichten Preis- und Marktschwankungen für den Rohstoff Butter keine Risikoposition für die Klägerin darstellen, vermag keinen Hinweis darauf zu geben, dass die Klägerin generell kein wirtschaftliches Risiko trägt. Weiterer substantiierter Vortrag der Beklagten hierzu fehlt gänzlich, vielmehr mutmaßt sie lediglich, dass der Klägerin durch die als Anlage K 23 vorgelegte Vereinbarung keine eigene Leistungsposition oder Einkommensmöglichkeit eingeräumt werden sollte, sondern diese alleine steuerliche Gründe habe.

2. Im Weiteren ist vorliegend auch eine vermeidbare Herkunftstäuschung anzunehmen.

Auszugehen ist - gemäß den vom BGH nicht beanstandeten Feststellungen des Senats im Hinweisbeschluss vom 25.10.2021 - von einer im durchschnittlichen Bereich liegenden wettbewerbsrechtlichen Eigenart der klägerischen Produktverpackungen und einer jedenfalls nachschaffenden Nachahmung dieser Produktverpackungen durch die Produktverpackungen der Beklagten.

Der Senat hatte ursprünglich offengelassen, ob von einer unmittelbaren Herkunftstäuschung ausgegangen werden kann, und eine mittelbare Herkunftstäuschung angenommen. Hierzu hat der BGH weitere Feststellungen des Senats vermisst, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Verbraucher die „Dairygold“-Produkte der Beklagten als neue Produkte der Klägerin ansehen oder die Bezeichnung „DAIRYGOLD“ für eine Zweitmarke der Klägerin halten.

Hierauf kommt es indes im Weiteren nicht an, da der Senat nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage vorliegend eine unmittelbare Herkunftstäuschung für gegeben erachtet. Aufgrund der hier von der Beklagten vorgenommenen Gestaltung der Produktverpackung ist die Gefahr begründet, dass der angesprochene Verkehrskreis der Endverbraucher, zu dem auch die Mitglieder des Senats gehören, annimmt, bei der Nachahmung handle es sich um das Originalprodukt.

Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten ist grundsätzlich auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln (BGH GRUR 2005, 166 (168) – Puppenausstattungen; BGH GRUR 2005, 600 (602) – Handtuchklemmen; BGH GRUR 2007, 795 Rn. 32 – Handtaschen; BGH GRUR 2009, 1069 Rn. 20 – Knoblauchwürste). Hierbei ist der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung auf Grund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als die Unterschiede ankommt (BGH GRUR 2007, 795 Rn. 34 – Handtaschen; BGH GRUR 2010, 80 Rn. 41 – LIKEaBIKE; BGH GRUR 2016, 730 Rn. 47 – Herrnhuter Stern; BGH WRP 2018, 950 Rn. 65 – Ballerinaschuh). Die Herkunftstäuschung setzt nicht voraus, dass alle Gestaltungsmerkmale des Produkts eines Mitbewerbers übernommen werden. Vielmehr kommt es darauf an, dass gerade die übernommenen Gestaltungsmerkmale geeignet sind, im Verkehr auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen (vgl. hierzu Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 Rn. 3.43-3.43c). Bei - wie vorliegend - Produkten des täglichen Bedarfs, die sich in der äußeren Erscheinungsform und insbesondere in der Gestaltung ihrer Verpackung von ähnlichen Produkten wenig unterscheiden, orientiert sich der Verkehr in erster Linie an der Produktbezeichnung und der Herstellerangabe (BGH GRUR 2001, 443 (445) – Viennetta). Allerdings ist – dies hat der BGH in seinem Revisionsurteil in diesem Verfahren ausdrücklich klargestellt - eine Herkunftstäuschung durch eine nachgeahmte Produktverpackung bei unterschiedlicher Produkt- oder Herstellerbezeichnung nicht stets ausgeschlossen, dies auch dann nicht, wenn keine identische Übernahme aller wesentlicher Gestaltungsmerkmale vorliegt. Sofern der Leitsatz seiner Senatsentscheidung „Vienetta“ in diese Richtung zu verstehen sein sollte, halte er hieran nicht fest. Insoweit müssten vielmehr alle Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden. Insbesondere sei zu berücksichtigen, welche Produkt und Herkunftsbezeichnung auf der Nachahmung verwendet werden und in welcher Weise dies geschehe (BGH RU Rn. 50).

Unter Beachtung dieser Grundsätze besteht vorliegend die Gefahr einer unmittelbaren Herkunftstäuschung. Die Beklagte hat für ihre Produktverpackungen gerade jene Gestaltungselemente übernommen, die die wettbewerbsrechtliche Eigenart der Verpackung der Klägerin begründen. Der BGH hat vor diesem Hintergrund die Beurteilung des Senats, nach der von einer nachschaffenden Übernahme der Butterverpackung der Klägerin durch die Beklagte und darüber hinaus von einer fast identischen Übernahme der Gestaltung der Verpackung der Mischstreichfette auszugehen sei, gebilligt. Überdies hat der BGH auch die Feststellung des Senats bestätigt, dass Butter und Mischstreichfette, die aus Butter und Rapsöl bestehen, Konkurrenzprodukte sind und derselben Warenkategorie angehören. Von der Beklagten ist zwar eine abweichende Produkt- und Herkunftsbezeichnung auf den Verpackungen angebracht worden, was – wie ausgeführt – grundsätzlich einer Herkunftstäuschung entgegenwirken kann, allerdings besteht insoweit – wie auch vom BGH in seinem Revisionsurteil im hiesigen Verfahren (dort Rn. 52) ausgeführt – die Besonderheit, dass die Produkt- und Herstellerbezeichnungen sich nicht deutlich unterscheiden. Die Bezeichnung „DAIRYGOLD“ ist sprachlich vielmehr stark an die Bezeichnung „Kerrygold“ angelehnt, lediglich der Anlaut unterscheidet sie sich, was indes im Gesamteindruck nicht ins Gewicht fällt. Die Ähnlichkeit wird zudem noch dadurch verstärkt, dass die Beklagte unter die Angabe „DAIRYGOLD“ – welche prominent an gleicher Stelle wie die Bezeichnung „Kerrygold“ auf der Verpackung der Klägerin platziert ist - die Herkunftsbezeichnung „From County Kerry“ angebracht und damit beide Wortbestandteile der Produkt- bzw. Herstellerbezeichnung der Klägerin „Kerry“ und „Gold“ aufgegriffen hat. Bezieht man all dies ein, wird sich einem nicht unerheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs der Eindruck aufdrängen, die Produkte stammten von demselben Hersteller.


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BGH: Emotionsschlagwort als Produktname ist kein die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts mitbestimmendes Element im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG - Glück

BGH
Urteil vom 07.12.2023
I ZR 126/22
Glück
UWG § 4 Nr. 3


Der BGH hat entschieden, dass ein Emotionsschlagwort als Produktname (hier: "Glück") ist kein die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts mitbestimmendes Element im Sinne von § 4 Nr. 3 UWG.

Leitsätze des BGH:
a) Das Konzept, ein Emotionsschlagwort als Produktnamen zu verwenden, kann nicht als ein die wettbewerbliche Eigenart eines Produkts mitbestimmendes Element angesehen werden. Gegenstand des wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutzes gemäß § 4 Nr. 3 UWG ist der Schutz von Waren und Dienstleistungen in ihrer konkreten Gestaltung, nicht die dahinterstehende abstrakte Idee.

b) Auch wenn sich die Gestaltung der Verpackung von Produkten des täglichen Bedarfs deutlich vom Marktumfeld abhebt, ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Verkehr auch an darauf angebrachten Produkt- und Herstellerangaben orientiert und deshalb eine Täuschung über die betriebliche Herkunft einer Produktnachahmung auszuschließen ist (Fortführung von BGH, Urteil vom 19. Oktober 2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443 = WRP 2001, 534 - Viennetta).

BGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 - I ZR 126/22 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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EuGH: Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bei Markenfälschung ist unionsrechtswidrig da dies unverhältnismäßig sein kann

EuGH
Urteil vom 19.10.2023
C-655/21
Verhältnismäßigkeit der Strafe bei Markenfälschung


Der EuGH hat entschieden, dass eine nationale Regelung, die eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren bei Markenfälschungen vorsieht, unionsrechtswidrig ist, da dies unverhältnismäßig sein kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren im Falle der Markenfälschung kann sich als unverhältnismäßig herausstellen

Ein Strafverfahren wegen Markenfälschung wurde in Bulgarien gegen eine Eigentümerin eines Unternehmens eingeleitet, das Bekleidung verkauft. Die bulgarischen Behörden führten in einem von diesem Unternehmen gemieteten Geschäftslokal eine Kontrolle durch. Sie stellten fest, dass die auf den Waren angebrachten Zeichen bereits eingetragenen Marken ähnlich waren. Die Händlerin wurde wegen Benutzung der Marken ohne Zustimmung ihrer Inhaber vor das zuständige bulgarische Gericht gestellt. Das bulgarische Recht sieht Vorschriften vor, die dasselbe Verhalten sowohl als Straftat als auch als Ordnungswidrigkeit definieren.

Das bulgarische Gericht ersucht den Gerichtshof um Vorabentscheidung in Bezug auf die Vereinbarkeit des bulgarischen Rechts zur Ahndung der Markenfälschung mit dem Unionsrecht, da die vorgesehenen Sanktionen hoch seien und das Fehlen eines klaren und eindeutigen Kriteriums für die Einstufung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu einander widersprechenden Praktiken und zu einer Ungleichbehandlung von Einzelnen führe, die praktisch die gleichen Handlungen begangen hätten.

Erstens weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Markenfälschung vom nationalen Recht sowohl als Ordnungswidrigkeit als auch als Straftat eingestuft werden kann. Insoweit betont er, dass nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen Strafvorschriften hinsichtlich der Definition sowohl des Straftatbestands als auch des Strafmaßes zugänglich, vorhersehbar und klar sein müssen. So muss jeder Bürger erkennen, welches Verhalten seine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet. Dass Markenfälschung in Bulgarien auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen nach sich ziehen kann, bedeutet keinen Verstoß gegen diesen Grundsatz.

Zweitens verstößt nach Ansicht des Gerichtshofs eine nationale Rechtsvorschrift, die im Fall der wiederholten oder mit schwerwiegenden schädigenden Folgen einhergehenden Benutzung einer Marke eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht, gegen das Unionsrecht. Der Gerichtshof erläutert, dass die Mitgliedstaaten, auch wenn die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums strafrechtlich nicht zur Anwendung kommt, aufgrund des TRIPS-Übereinkommens , das sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten bindet, eine Haftstrafe für bestimmte Markenfälschungsstraftaten vorsehen können. In Ermangelung von Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene sind die Mitgliedstaaten zwar befugt, die Art und Höhe der anwendbaren Sanktionen zu wählen. Diese repressiven Maßnahmen müssen jedoch verhältnismäßig sein. Wird aber für alle Fälle der ohne Zustimmung erfolgten Benutzung einer Marke im geschäftlichen Verkehr eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren vorgesehen, so ist diesem Gebot nicht Genüge getan. Eine solche Regelung berücksichtigt nämlich nicht die etwaigen spezifischen Umstände der Begehung dieser Straftaten.


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LG Köln: Fahrrad kann als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 01.09.2023
14 O 49/22


Das LG Köln hat entschieden, dass ein Fahrrad nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Ein Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1, 15, 16, 17, 23, 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG besteht nicht.

aa) Bei dem klägerischen Fahrradmodell in Form der Designanmeldung im Jahr 2008 ohne elektrische Unterstützung handelt es sich um ein Werk der angewandten Kunst gem. § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG.

(1) Die Kammer hat hierzu kürzlich (Urteil der Kammer vom 23.02.2023, Az. 14 O 39/22) wie folgt ausgeführt:

„a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 15 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 = WRP 2021, 1461 – Zugangsrecht des Architekten, mwN). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 41 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 – Zugangsrecht des Architekten; BGH, GRUR 2022, 899, 902 Rn. 28 – Porsche 911).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks (…). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 36 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 = WRP 2020, 1006 – Brompton Bicycle). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 30 f. – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 23 f. – Brompton Bicycle). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 37 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 – Brompton Bicycle). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 32 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 25 – Brompton Bicycle), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Hiermit steht im Einklang, dass bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 143/12, BGHZ 199, 52 [juris Rn. 26] - Geburtstagszug).

aa) Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist lediglich der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 15 – Vitrinenleuchte). Eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe führt zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes (BGH, GRUR 2014, 175 [179, Rn. 41] – Geburtstagszug, mwN).

bb) Die Kammer geht dabei davon aus, dass mit der Geburtstagszug-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 175 [177, Rn. 26] – Geburtstagszug) jedenfalls eine Absenkung der Schutzuntergrenze bei Werken der angewandten Kunst dergestalt einhergeht, dass keine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe mehr verlangt wird (…)

f) Ob den Anforderungen, die an schutzfähige Werke zu stellen sind, im Einzelfall genügt ist, bleibt weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BGH, Urteil vom 27. Januar 1983 - I ZR 177/80, GRUR 1983, 377 [juris Rn. 15] = WRP 1983, 484 - Brombeer-Muster; Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 [juris Rn. 27] - Le Corbusier-Möbel; Urteil vom 22. Juni 1995 - I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 [juris Rn. 13] = WRP 1995, 908 - Silberdistel).

Dabei sind sämtliche Einzelfallumstände zu berücksichtigen, wobei die Klägerseite die Darlegungslast dafür trägt, dass [die Fahrradmodelle, nur hier angepasst auf den Einzelfall] über individuelle Gestaltungsmerkmale verfügen, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen können. Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 [juris Rn. 23 f.] – Seilzirkus; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 21 – Vitrinenleuchte).

g) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn die bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

h) Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Soweit postuliert wird, über technische Erwägungen (im engeren Sinne) hinaus seien auch jegliche funktional oder sachzweckbezogen determinierten Gestaltungsentscheidungen vom Urheberrechtsschutz auszuklammern ([Privatgutachten im Verfahren…]; Grünberger, ZUM 2020, 175, 180 f.), kann dem nicht gefolgt werden. Diese Interpretation lässt sich der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht entnehmen. Vielmehr ist der Ausschluss vom Urheberrechtsschutz auf ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingte Formen beschränkt (EuGH, GRUR2020, 736, 738, Rn. 33 -- Brompton Bicycle):

„Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig.“

Gestützt wird dieses enge Verständnis, wonach Urheberrechtsschutz lediglich dann ausgeschlossen ist, wenn ausschließlich technische Funktionen für die Gestaltung maßgeblich waren, durch den Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung:

„Where the shape of the product is solely dictated by its technical function, that product cannot be covered by copyright protection.“

„Dans le cas où la forme du produit est uniquement dictée par sa fonction technique, ledit produit ne pourrait relever de la protection au titre du droit d’auteur.“

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Gebrauchszweck nicht vollkommen ausgeschlossen sein, der ästhetische Gehalt noch nicht einmal überwiegen muss (vgl. Kreile, ZUM 2023, 1, 4). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit besteht vielmehr auch bei einem überwiegenden Gebrauchszweck und kann auch etwa dann gegeben sein, wenn der ästhetische Gehalt in die ihrem Zwecke gemäß – in klarer Linienführung ohne schmückendes Beiwerk – gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (BGH, GRUR 2012, 58, 60, Rn. 22 – Seilzirkus). So hat auch bereits das Reichsgericht dafürgehalten, dass Schöpfungen zu praktischen Zwecken nicht vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen sind (RG, Urteil vom 30. Juni 1928 – I 29/28 –, RGZ 121, 357, 358). Zu den Werken der bildenden Kunst zählt jede Gestaltung, in der eine eigenpersönliche geistige Schöpfung sichtbar wird, ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient (RGZ 124, 68, 72 – Besteckmuster). Sachzweckbezogene Erwägungen im Gestaltungsprozess stehen dem Erreichen der relevanten Schutzschwelle daher nicht entgegen. Funktionale Sachzweckbezogenheit kann technischer Bedingtheit von Gestaltungsmerkmalen nicht gleichgesetzt werden. Vom Schöpfer ausgewählten Gestaltungselementen ist in der Konsequenz auch dann der urheberrechtliche Schutz nicht zu versagen, wenn deren Auswahl von der rationellen Umsetzung einer funktionalen Zielsetzung geprägt ist. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsmöglichkeit und der damit verbundene Ausschluss anderer Gestaltungsmöglichkeiten kann bereits eine schöpferische Leistung darstellen. Der Schöpfer besitzt nämlich die prinzipielle Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, auch eine abweichende Gestaltung und Ausführung zu wählen. In einem solchen Fall besteht kein Zwang zu einer bestimmten Gestaltung und damit auch keine Einschränkung des Gestaltungsspielraums (vgl. [Privatgutachten im Verfahren…]). Dies gilt selbst dann, wenn mit einer abweichenden Ausführung eine Modifizierung eines selbstgewählten Gestaltungsziels verbunden wäre.

Die Aussage des EuGH, „[…] dass der Umstand, dass Modelle […] über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, es nicht rechtfertigen [könne], solche Modelle als ,Werke` [...] einzustufen" (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. - Cofemel), kann deshalb nur so verstanden werden, dass allein das Vorhandensein besonders markanter, visueller Effekte für sich genommen die Feststellung von Originalität nicht erlaubt (vgl. [Privatgutachten im Verfahren…]). Das Konzept der Gebrauchskunst beruht vielmehr gerade darauf, dass Dinge geschaffen werden, die gleichermaßen zweckgerichtet gebrauchstauglich und künstlerisch sind. Der künstlerische Aspekt schränkt die Zweckdienlichkeit dabei nicht ein. Eine Antithese zwischen der Nützlichkeit für einen bestimmten Gebrauchszweck und ästhetischer Schönheit ist daher nicht zielführend. Denn ein Werk der Gebrauchskunst verliert diesen Charakter nicht durch seine funktionellen Eigenschaften.

i) Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der Urheber als Anspruchsteller genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten – konkreten Gestaltungselemente – präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III; abweichend wohl Hartwig, GRUR 2022, 1023, 1025). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen. Der Urheber trägt im vorliegenden Zusammenhang also die Darlegungs- und Beweislast nur für die grundsätzliche Behauptung, dass die Schöpfung neuartig war. Für Entgegenhaltungen aus dem allgemeinen Formenschatz trägt dann im Folgenden derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der behauptet, dass die Schöpfung keinen Urheberrechtsschutz beanspruchen kann.

j) Eine subjektive Absicht des Urhebers, künstlerisch tätig zu werden, ist darüber hinaus nicht notwendig. (…)

Demnach ist auch der Gestaltungsspielraum des Schöpfers objektiv zu bestimmen und richtet sich nicht nach einer jederzeit abänderlichen Zielvorstellung oder Zwecksetzung. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsform engt die schöpferische Leistung nicht ein, sondern kann jederzeit modifiziert werden. (…)“

(2) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin hinreichend vorgetragen. Sie hat ihr Fahrradmodell (bzw. die Entwicklung des Herrn N.) dargestellt, vorgelegt und die Besonderheit (das sog. „Treppendesign“) herausgearbeitet. Sie hat zur Substantiierung ihres Vortrags ein Parteigutachten vorgelegt. Dies genügt zunächst für einen schlüssigen Vortrag zur Schutzfähigkeit.

[...]

4) Allerdings ist der Schutzbereich des klägerischen Werks als nur sehr eng anzusehen (vgl. BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 25 – Vitrinenleuchte). Da sowohl die oben geschilderten Schutzanforderungen relativ gering, als auch die gestalterischen Freiräume sehr eng sind und insoweit auch ein gewisses Freihaltebedürfnis für weitere Gestaltungen besteht, kann das Werk der Klägerin nur identische und sehr ähnliche Gestaltungen erfassen. Dies wird nachfolgend bei der Frage der Übernahme noch von Bedeutung sein.

114
bb) Die Kammer geht nach dem Sach- und Streitstand von der Aktivlegitimation der Klägerin aus. Dass Herr N. die klägerische Gestaltung erschaffen hat, wird zwar seitens der Beklagten bestritten. Angesichts der Vorgeschichte der Parteien, bzw. konkret der Beklagten und Herrn N. persönlich, sowie der einhelligen Entwicklernennung des Herrn N. in der Öffentlichkeit hält die Kammer das Bestreiten der Beklagten insoweit für unerheblich. So ist unstreitig, dass die Beklagte von Herrn N. persönlich die Rechte für den Vertrieb einlizensiert hat. In dieser Zeit hat sie die Aktivlegitimation des Herrn N. offenbar nie gerügt. Auch wurde die Entwicklereigenschaft des Herrn N. in der Öffentlichkeit nie in Zweifel gezogen bzw. hat sich jemand anderes der Entwicklung berühmt, was bei dem selbst vom Beklagten vorgetragenen Erfolg der Fahrradmarke „T.“ jedoch zu erwarten wäre.

Auch der Rechteübergang auf die Klägerin kann nicht unqualifiziert bestritten werden. Auch insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin in die Rechtsposition des Herrn N. eingetreten ist und sodann auch Kündigungen gegenüber der Beklagten erfolgt sind. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihre lizenzvertraglichen Verpflichtungen auch gegenüber der Beklagten erfüllt hat.

cc) Es mangelt jedoch an der Übernahme individueller Gestaltungsmerkmale durch die Beklagte bzw. an einem Eingriff in den Schutzbereich des klägerischen Werks.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankfurt: Kunstfreiheit kann Aufgreifen charakteristischer Merkmale markenrechtlich geschützter weltweit bekannter Luxushandtaschen durch fremdes Modelabel rechtfertigen

LG Frankfurt
Beschluss vom 19.09.2023 - 2-06 O 532/23
und
Beschluss vom 19.09.2023 - 2-06 O 533/23

Das LG Frankfurt hat entschieden, dass die Kunstfreiheit das Aufgreifen charakteristischer Merkmale markenrechtlich geschützter und weltweit bekannter Luxushandtaschen durch ein fremdes Modelabel rechtfertigen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kunstfreiheit zieht - Markenrechtlicher Schutz von Luxus-Handtaschen
Eine für das Markenrecht zuständige Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat Eilanträge der Herstellerin einer markenrechtlich geschützten und weltweit bekannten Luxus-Handtasche zurückgewiesen.

Ein Berliner Modelabel stellt unter anderem Kleider, Röcke, Tops und Taschen her, die charakteristische Merkmale der besagten Luxus-Handtasche aufweisen. Das Label führte diese Modekreationen auf einer Fashionshow vor und bewarb die dortigen Darbietungen im Internet sowie auf sozialen Netzwerken.

Die Herstellerin der Luxus-Tasche hat vor dem Landgericht Frankfurt am Main verlangt, dem Berliner Modelabel diese Darstellungen zu untersagen. Die Designerinnen des Berliner Labels haben sich demgegenüber auf ihre Kunst- und Meinungsfreiheit berufen. Ihre Modekreationen, in denen die prägenden Merkmale der Luxus-Handtasche aus dem Modekonzern der Antragstellerin gespiegelt werden, seien Teil einer Inszenierung. Es solle damit unter anderem auf weibliche Klischees hingewiesen werden, wonach sich Frauen diese Luxus-Handtaschen von sog. „Sugar Daddys“ schenken ließen. Die Akzeptanz dieses Vorurteils sei eine Form von Feminismus.

Die Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main entschied in zwei Beschlüssen vom 19.09.2023, die Antragstellerin könne sich nicht mit Erfolg auf europäischen Markenrechtsschutz berufen.

Es sei im vorliegenden Fall eine Abwägung erforderlich zwischen dem Eigentumsrecht der Herstellerin der Luxus-Handtasche und der Kunstfreiheit der Antragsgegnerin. „Auch die Beschäftigung mit einer Marke kann von der Kunstfreiheit erfasst sein“, so die Richterinnen und Richter. Und weiter: „Das in der Kunstfreiheit wurzelnde Interesse der Antragsgegnerin an der Darbietung ihrer Fashionshow überwiegt im vorliegenden Fall“.

Die Antragsgegnerin wolle mit ihren Kleidern und Taschen darauf hinweisen, dass Frauen von Männern zum Objekt degradiert und als gesellschaftliche Accessoires angesehen würden. Nach ihrer Ansicht würden sich Frauen emanzipieren, indem sie genau diese Rolle einnähmen. Sie würden Männer als „menschliche Bank“ für ihre Zwecke nutzen, wenn sie sich von ihnen Luxus-Taschen schenken ließen. „In dieser überspitzten gesellschaftlichen Darstellung tragen Frauen die Kleidungsstücke, die an die Luxus-Tasche der Antragstellerin erinnern, in aufreizender und lasziver Art an der Grenze zu Kitsch und Geschmacklosigkeit. (…) Hierbei ist das Spiel zwischen primitiver Direktheit und ultimativen Luxusgütern essenzieller Bestandteil der Darbietung“, erklärte die Kammer in ihrem Beschluss.

„Auch wird die Marke der Antragstellerin nicht verunglimpft oder herabgesetzt. Vielmehr dient sie als ein gesellschaftlich angestrebter Bezugspunkt von Luxusgütern“, stellten die Richter weiter fest. Die Anlehnung an die Luxus-Handtasche der Antragstellerin sei dabei nur ein Teil der gesamten Inszenierung.

Die Entscheidungen sind rechtskräftig. Die Aktenzeichen der Beschlüsse vom 19.9.2023 lauten 2-06 O 532/23 und 2-06 O 533/23.


Den Volltext der Entscheidung 2-06 O 533/23 finden Sie hier:


LG Köln: Keine wettbewerbsrechtlichen und urheberrechtlichen Ansprüche wenn Kinder-Trolleys mit Tierkopfmotiven von Mitbewerber nachgeahmt werden aber ausreichend abweichen

LG Köln
Urteil vom 25.05.2023
14 O 83/23


Das LG Köln hat entschieden, dass keine wettbewerbsrechtlichen und urheberrechtlichen Ansprüche besteht, wenn Kinder-Trolleys mit Tierkopfmotiven von einem Mitbewerber nachgeahmt werden aber ausreichend abweichen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Es fehlt indes an einem Verfügungsanspruch. Ein solcher steht der Verfügungsklägerin weder aus Urheberrecht, noch aus Lauterkeitsrecht, noch aus anderem Rechtsgrund zu.

A. Der Verfügungsklägerin steht kein urheberrechtlicher Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 16, § 17 UrhG gegen die Verfügungsbeklagten zu.

Dies gilt selbst dann, wenn man zugunsten der Verfügungsklägerin unterstellt, dass den in den Anträgen eingeblendeten Entwürfen, an denen die Verfügungsklägerin Rechte beansprucht, Urheberrechtsschutz als Werke angewandter Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG genießen und die Verfügungsklägerin zur Geltendmachung daran bestehender Rechte aktivlegitimiert ist. Denn jedenfalls greifen die Herstellung und der Vertrieb der Taschen der Verfügungsbeklagten nicht in das der Verfügungsklägerin eingeräumte ausschließliche Recht zur Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und Verbreitung (§ 17 UrhG) ein.

I. Eine Verletzung des Urheberrechts gemäß § 97 UrhG liegt nicht nur bei einer identischen widerrechtlichen Nachbildung eines Werks vor. Aus der Bestimmung des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, nach der Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werks nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden dürfen, ergibt sich, dass der Schutzbereich des Veröffentlichungsrechts im Sinne von § 12 UrhG und der Verwertungsrechte gemäß § 15 UrhG sich - bis zu einer gewissen Grenze - auch auf vom Original abweichende Gestaltungen erstreckt (BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 55] - Porsche 911, mwN; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 27 – Vitrinenleuchte).

Bei der Prüfung, ob eine Veränderung eines Werks in den Schutzbereich des Urheberrechts fällt, ist zu berücksichtigen, dass jede Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG, soweit sie körperlich festgelegt ist, zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Zu den Vervielfältigungen zählen nicht nur Nachbildungen, die mit dem Original identisch sind; vom Vervielfältigungsrecht des Urhebers werden vielmehr auch - sogar in einem weiteren Abstand vom Original liegende - Werkumgestaltungen erfasst, wenn die Eigenart des Originals in der Nachbildung erhalten bleibt und ein übereinstimmender Gesamteindruck besteht (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN). Allerdings führt nicht jede Veränderung eines Werks zu einer Bearbeitung oder anderen Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG. In einer nur unwesentlichen Veränderung einer benutzten Vorlage ist nicht mehr als eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG zu sehen. Eine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG setzt daher eine wesentliche Veränderung der benutzten Vorlage voraus. Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG und keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden darf (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 56] - Porsche 911, mwN).

Aus diesen Grundsätzen ergibt sich folgende Prüfungsfolge: Zunächst ist im Einzelnen festzustellen, welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werks bestimmen. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werks übernommen worden sind. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Stimmt danach der jeweilige Gesamteindruck überein, handelt es sich bei der neuen Gestaltung um eine Vervielfältigung des älteren Werks (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 – Porsche 911, mwN). Weicht hingegen der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise ab, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind, greift die neue Gestaltung nicht in den Schutzbereich des älteren Werks ein (vgl. BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 58 – Porsche 911, mwN). Bei der Feststellung des Gesamteindrucks sowie der Feststellung, in welchem Umfang eigenschöpferische Züge eines Werks übernommen worden sind, handelt es sich um Tatfragen (BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 31 – Vitrinenleuchte). Die Grundsätze, nach denen der Schutzbereich urheberrechtlicher Verwertungsrechte bestimmt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen “Infopaq International" (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009, 6569 = GRUR 2009, 1041) sowie "Pelham u.a." (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2019 - C-476/17, GRUR 36 37 - 19 - 2019, 929 = WRP 2019, 1156) geklärt (vgl. BGH, GRUR 2022, 899 [juris Rn. 100] - Porsche 911).

Eine neue Gestaltung greift allerdings schon dann nicht in den Schutzbereich eines älteren Werks ein, wenn ihr Gesamteindruck vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, also nicht mehr wiederzuerkennen sind. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht mehr darauf an, ob die neue Gestaltung die Anforderungen an ein urheberrechtlich geschütztes Werk erfüllt. Selbst wenn mit der neuen Gestaltung unter Benutzung des älteren Werks ein neues Werk geschaffen worden sein sollte, könnte dieser Umstand für sich genommen einen Eingriff in die Urheberrechte am älteren Werk nicht rechtfertigen. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Einschränkung des Schutzbereichs außerhalb der Schranken nicht allein damit gerechtfertigt werden, dass kulturelles Schaffen nicht ohne ein Aufbauen auf früheren Leistungen anderer Urheber denkbar ist (EuGH GRUR 2019, 929 Rn. 56–65 – Pelham ua).

II. Die Kammer interpretiert dabei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so, dass – ungeachtet des Wortlauts von § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG n.F. – ein Bereich existiert, der außerhalb des Schutzbereichs des älteren Werks liegt, obwohl die neue Gestaltung ihrerseits nicht die Anforderungen an ein urheberrechtliches Werk erfüllt. Dann liegt weder eine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG, noch eine (unfreie) Bearbeitung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG vor. Maßgeblich ist allein, ob der jeweilige Gesamteindruck voneinander abweicht. Eine hinreichende Abweichung liegt dann vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung vom Gesamteindruck des älteren Werks in der Weise abweicht, dass die den Urheberrechtsschutz des älteren Werks begründenden Elemente im Rahmen der Gesamtschau in der neuen Gestaltung verblassen, ohne dass es noch auf die Werkqualität der neuen Gestaltung ankäme (kritisch: Peifer, GRUR 2022, 967, 969; Stieper, GRUR 2023, 575, 576 f., der zutreffend darauf hinweist, dass die Formulierungen in BGH, GRUR 2022, 899, 906, Rn. 57 f. – Porsche 911, einerseits und BGH, GRUR 2023, 571, 574, Rn. 28 f. – Vitrinenleuchte, andererseits voneinander abweichen).

III. Nach Maßgabe dieser Grundsätze greifen die Herstellung und der Vertrieb der angegriffenen Spielzeugtaschen mit Tiergesichtern der Verfügungsbeklagten nicht in das der Verfügungsklägerin eingeräumte ausschließliche Recht zur Vervielfältigung gemäß § 16 UrhG und zur Verbreitung gemäß § 17 UrhG der Gestaltung der Rucksäcke und Koffertrolleys der Verfügungsklägerin ein. Es handelt sich bei den angegriffenen Gestaltungen vielmehr um freie Bearbeitungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG, da sie einen hinreichenden Abstand zum jeweiligen Originalwerk wahren und damit auch keine Vervielfältigungen im Sinne von § 16 UrhG sind.

Der Gesamteindruck der angegriffenen Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten stimmt nicht in einem die Annahme einer Urheberrechtsverletzung tragenden Maße mit den Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin überein. Dazu wird auf die nachfolgende Gegenüberstellung der klägerischen Entwürfe mit den angegriffenen Gestaltungen der Verfügungsbeklagten Bezug genommen:

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

Die Entscheidung enthält an dieser Stelle ein Bild oder eine Grafik.

1. Nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin zeichnen sich ihre Trolleygestaltungen durch folgende übergreifenden schöpferischen Gestaltungsmerkmale aus:

1) Im Verhältnis zur Gesamtgröße des Trolleys sehr großer Kopf;

2) Der Kopf ist als separat auf den Trolley aufgesetzt;

3) Die Tiere sind jeweils im Wesentlichen zweifarbig gehalten und setzen in der Regel einen Teil des Gesichts in der jeweiligen Kontrastfarbe ab;

4) Die Tier-Ohren sind oben und seitlich an dem Trolley angesetzt und stehen über den eigentlichen Trolley hinaus;

5) Die Tiere haben große bzw. prominent auf dem Tiergesicht angebrachte Münder/Schnauzen/Nasen;

6) Die Tiere haben aufgrund ihrer großen, runden Augen und den zum Teil „lächelnden“ Mund-/Schnauzenpartien einen freundlichen Gesichtsausdruck.

Die Kammer legt dabei zugrunde, dass diese Elemente in ihrer konkreten Kombination, in ihrem Zusammenspiel und in ihrer Gesamtheit als hinreichende persönliche geistige Schöpfung anzusehen sind. Ein übereinstimmender Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Gestaltungen ist aber in der Gesamtschau der übernommenen schöpferischen Züge – wenngleich unter Berücksichtigung sowohl der Unterschiede als auch der Gemeinsamkeiten – in tatsächlicher Hinsicht zu verneinen.

2. Die sich gegenüberstehenden Gestaltungen weisen in den Gestaltungsmerkmalen, auf welche die Verfügungsklägerin sich maßgeblich stützt, und welche sie in den angegriffenen Produkten wiederzuerkennen glaubt, zunächst übergreifende Unterschiede auf:

Die Tierkopfpartien fallen bei den angegriffenen Gestaltungen im Verhältnis zur Gesamtgröße der Spielzeugtaschen deutlich kleiner aus als in den Trolley-Entwürfen der Verfügungsklägerin und vermitteln den Gesamtgestaltungen damit eine gänzlich abweichende Proportion. Die klägerischen Tiergesichter wirken daher eher rundlich, wohingegen die Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten eine eher ovale Anmutung erhalten. Die raumgreifende Größe der Tierköpfe bei den klägerischen Gestaltungen führt zu einer klaren Zweiteilung der Trolleys in Kopf und Rumpf- respektive Bauchbereich. Demgegenüber weisen die Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten in der Frontansicht eine Dreiteilung auf: den Rand und die Halterung oberhalb der Tierkopfpartie, den Tierkopf selbst und den darunterliegenden Bauchbereich.

Die Tierköpfe auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind deutlich stärker abgesetzt und separiert als bei den Trolley der Verfügungsklägerin. Auch dies trägt zu einer deutlich unterschiedlichen Proportion bei. Die Tierköpfe der Verfügungsklägerin erscheinen eher als integraler Teil der Trolleys/Rucksäcke und sind auch als eigene Tasche mit separatem Reißverschluss ausgestaltet. Bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind die Tierköpfe hingegen tatsächlich nur aufgesetzt und können nicht befüllt werden. Sie treten dadurch stärker hervor, als würden sie aus den Taschen quasi herausschauen.

Die Tiere in beiden sich gegenüberstehenden Gestaltungen – sowohl bei den Trolleys der Verfügungsklägerin als auch bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind zweifarbig gehalten, wobei Teile der Tiergesichter in Kontrastfarbe abgesetzt sind. Dies gilt indes nicht für die Gestaltung „N.“ der Verfügungsklägerin, welche in Gesicht- und Bauchbereich keine Fläche in Kontrastfarbe aufweist, anders als die „N.“-Spieltasche der Verfügungsbeklagten. Die von beiden Parteien bei den jeweiligenTiermodellen gewählten Kontrastfarben unterscheiden sich zudem.

Die bei den Trolley-Gestaltungen der Verfügungsklägerin oben und seitlich angesetzten und über den eigentlichen Trolley hinausstehenden Tier-Ohren stehen bei den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten nicht über, sondern befinden sich unterhalb der Taschenoberkante inmitten des Taschenkörpers.

Die Tierkopf-Gestaltungen sowohl der Verfügungsklägerin als auch der Verfügungsbeklagten weisen große, prominent angebrachte Münder, Schnauzen und Nasen auf. Die Nasen der Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten sind indes teils kleiner gehalten, ebenso die Mund- und Schnauzenbereiche und verfügen über andersfarbige farbliche Absetzungen.

Die Tiergesichter auf den Spielzeugtaschen der Verfügungsklägerin haben kleinere, runde Augen, die Gesichter durch den Doppelschwung der Mundlinie freundlich bis indifferent. Die Tiergesichter auf den Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin vermitteln durch die hervorgestreckte Zungen und den einfachen, weniger gewölbten Mundbogen hingegen einen frech-freundlichen Eindruck. Die nur bei den Tolley-Gestaltungen der Verfügungsklägerin vorhandene herausziehbare und als Adressanhänger fungierende Zunge wird dabei gerade aus Kindersicht aufgrund der mit dem „Zungeherausstrecken“ verbundenen spielerischen Unartigkeit als besonders markant empfunden.

3. Zu den sich gegenüberstehenden Gestaltungen im Einzelnen:

a) J.:

Die angegriffene Hunde-Gestaltung der Verfügungsbeklagten weist eine andere Grundform auf, nämlich als rund geformter Sack. Die „freche“, herausziehbare Zunge fehlt, dadurch entsteht ein abweichender Gesamtausdruck des Tierkopfes. Die Ohren sind abweichend geformt. Es gibt einen hellen, größeren Fleck am Bauch, nicht zwei helle Flecken an versetzten Positionen seitlich. Die Augenform weicht ab (rund bei der angegriffenen Gestaltung; oval bei der Trolley-Gestaltung der Verfügungsklägerin). Die Nase ist bei der angegriffenen Gestaltung runder und weist einen hellen Lichtreflex auf; bei der Trolley-Gestaltung der Verfügungsklägerin ist die Nase hingegen dreieckiger und ohne Lichtreflex. Die Grundfarben sind in unterschiedlichen Grautönen gehalten und abweichend.

b) N.

Die „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin weist eine andere Grundform auf als diejenige der Verfügungsbeklagten. Die „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin verfügt im Unterschied zu derjenigen der Verfügungsbeklagten über keinen heller kontrastierten, abgesetzten Schnauzen-/Nasenbereich sowie Bauchbereich, demgegenüber aber über eine Art angedeuteten Kinnbart. Diese Abweichungen farblicher und gestalterischer Art im Zusammenspiel mit der allein beim „N.“ der Verfügungsklägerin vorhandenen Zunge vermitteln eine deutlich abweichende Wahrnehmung der Proportion und des Ausdrucks des Gesichtsbereichs. Die Nase der „N.“-Gestaltung der Verfügungsklägerin ist nicht schwarz -- wie beim „N.“ der Verfügungsbeklagten --, sondern grau. Die Nase des Spielzeugtaschen-„Koalas“ der Verfügungsbeklagten ist zudem halbplastisch ausgeformt, was beim Trolley-„N.“ der Verfügungsklägerin nicht der Fall ist.

c) M.

Die angegriffene Tigergestaltung weist eine andere Grundform und Grundfarbe auf, nämlich eher orange statt dunkelgelb beim „M.“ der Verfügungsklägerin. Ins Gewicht fällt weiter die abweichende Augengestaltung: oval beim klägerischen Trolley-„M.“, rund beim „Spieltaschen-„M.“ der Verfügungsbeklagten. Die Färbung der Mundpartie und Ausrichtung der Schnurrbarthaare weicht ab: gelb mit nach oben gerichteten Schnurrbarthaaren beim „M.“-Modell der Verfügungsklägerin; hingegen weiß, mit nach unten gerichteten Schnurrbarthaaren bei der „M.“-Gestatlung der Verfügungsbeklagten. Dadurch wirkt der Gesichtsausdruck des Spielzeugtaschen-„M.“ etwas fragender oder auch trauriger – trotz des freundlichen Mundes – als der kecke klägerische „M.“. Die „M.“-Gestaltung der Verfügungsbeklagten hat zudem – anders als der Konterpart der Verfügungsklägerin keine Streifen im Gesicht und eine hell- bis mittelbraune anstatt einer dunkelbraun-schwarzen Nase.

d) O.

Auch die „Bären“-Trolley-Gestaltung weist eine gegenüber der Spielzeugtaschengestaltung andere Grundform auf. Die Grundfarbe ist blau statt braun. Zudem besteht eine abweichende Nasenform und Farbe der Nasenpartie (hellblau statt hellbraun). Die Augenformen weichen voneinander ab. Der heller abgesetzte Bauchbereich ist beim „Bären“ der Verfügungsklägerin rund/bogenförmig, beim „Bären“ der Verfügungsbeklagten eher eckig statt rund.

Die aufgezeigten Unterschiede und mitbestimmenden Gemeinsamkeiten können nicht derart der Übernahme von schöpferischen Zügen der Gestaltungen der Verfügungsklägerin durch die Verfügungsbeklagte zugeordnet werden, dass noch von einem Eingriff in den urheberrechtlichen Schutzbereich auszugehen wäre.

B. Soweit die Verfügungsklägerin sich in zweiter Linie auf Lauterkeitsrecht stützt, steht ihr weder ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 a) UWG noch ein solcher nach § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 3 b) UWG zu.

I. Die Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die Anwendungsvoraussetzungen des UWG liegen vor. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist zwischen den Parteien gegeben, auch wenn es sich um unterschiedlich Produkte – Spielzeugsäcke einerseits, Trolleys und Rucksäcke andererseits – handelt. Die Produkte zählen jedenfalls zum gleichen Marktsegment und sind substituierbar.

II. Die von der Verfügungsbeklagten vertriebenen Spieltaschen stellen im Ergebnis keine unlautere Nachahmung der
Für die lauterkeitsrechtliche Prüfung sind – im Unterschied zum Urheberrecht – nicht die Entwurfszeichnung und das angegriffene Produkt zu vergleichen, sondern die Produkte selbst gegenüber zu stellen.
[...]

1. Die Trolleys der Verfügungsklägerin verfügen über wettbewerbliche Eigenart.

a) Wettbewerbliche Eigenart setzt voraus, dass die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten eines Produktes hinzuweisen. Dabei geht es um die Frage, ob die Gestaltung des Produktes vom Verkehr auf eine gleichbleibende Herkunftsquelle zurückgeführt wird, was unabhängig davon ist, ob die Herkunftsquelle auch namentlich benannt werden kann (BGH GRUR 2018, 311 R. 14 - Handfugenpistole). Geht es, wie hier, um eine ästhetische Gestaltung, so kommt es auf die Anmutung des Produktes an. Entscheidend ist der Gesamteindruck beim angesprochenen Verkehr (BGH GRUR 2010, 80 Tz. 34 - LIKEaBIKE; GRUR 2013, 951 Tz. 19 - Regalsystem, GRUR 2013, 1052 Tz. 20 - Einkaufswagen III), der auch aus dem Zusammenwirken besonders gestalteter Elemente resultieren kann (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Tz. 26 - Jeans I; GRUR 2008, 1115 Tz. 20 - ICON). Übliche Gestaltungsmerkmale, die für die betreffende Produktkategorie üblich sind, spielen dabei schon deswegen keine Rolle, weil der Verkehr ihre Verwendung nicht auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb bezieht, sondern allen Produkten der betreffenden Gattung unabhängig von ihrem Hersteller zuschreibt.

b) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Kammer aus eigener Sachkunde beurteilen, da sie als auf Urheberrechtsstreitsachen spezialisierter Spruchkörper auch über hinreichende Erfahrung mit in diesem Zusammenhang ebenfalls regelmäßig geltend gemachten Ansprüchen aus unlauterer Nachahmung verfügt. Dies gilt zumal als nur der optische Gesamteindruck zu berücksichtigen ist und sich die Produkte an ein allgemeines Publikum richten (vgl. BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 19 – Leuchtballon).

108
Die Ausstattung der Trolleys der Verfügungsklägerin ist vom Zusammenspiel der unter A. I. 1. vorbeschriebenen charakteristischen Gestaltungsmerkmale geprägt, die ihnen einen sich von der äußeren Gestaltung der Produkte der auf dem bundesdeutschen Markt präsenten Wettbewerber abhebenden hochwertig-modernen und kindgericht-stylischen Gesamteindruck verleihen.

Die wettbewerbliche Eigenart der Trolleygestaltungen der Verfügungsklägerin ist von Hause aus als durchschnittlich zu bewerten. Eine Steigerung der wettbewerblichen Eigenart der Erzeugnisse aufgrund tatsächlicher Bekanntheit im Verkehr (vgl. BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 37 – LIKEaBIKE; BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 24 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 24 – Einkaufswagen III) liegt nicht vor. Die von der Verfügungsklägerin vorgetragenen Tatsachen reichen für eine solche Annahme nicht aus. Die wettbewerbliche Eigenart ist aber trotz der vorgelegten Umsatzzahlen (Bl. 742 f. d.A.) nicht als erhöht anzusehen. Dass die Produkte der Verfügungsklägerin eine hohe Bekanntheit im Markt erlangt haben, ist nicht feststellbar. Die Bekanntheit eines Produktes kann sich zwar neben der Marktpräsenz auch aus Presseberichten und Auszeichnungen pp. ergeben. Dies gilt für letztere jedoch nicht ausschließlich, ohne jegliche tragfähigen Zahlen insbesondere zum Marktanteil. Die Verfügungsklägerin ist kein alteingesessenes Unternehmen, sondern erst 2010 gegründet worden. Die „E.“-Produkte mit Tiermotiven sind seit 2013 im Markt, die hier streitgegenständlichen Trolleys seit 2019 (vgl. Bl. 22 d.A.). Die Verfügungsklägerin vertreibt ihre Produkte über ein eigens Geschäft in Köln, den eigenen Webshop, den stationären Fachhandel, aber auch über die großen Online-Händler wie Q., I. oder große Händler wie LF.. Zur Unternehmensphilosophie zählt eine „nachhaltige“, umweltschonende Produktion und ordentliche Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern sowie ein innovatives T. und eine ausgeklügelte Funktionalität. Die Verfügungsklägerin spricht damit problembewusste Verbraucher und Eltern mit gehobenen Ansprüchen an, die nicht billig konsumieren, sondern auf Nachhaltigkeit achten möchten und bereit sind, dafür einen relativ hohen Preis zu zahlen. Dass über die Verfügungsklägerin und ihre Idee der Verbindung ergonomischer Kinderrucksäcke und Koffer mit „Nachhaltigkeit“ in zahlreichen Presseorganen und Medien berichtet worden ist, genügt für die Feststellung einer erhöhten wettbewerblichen Eigenart nicht. Zu ihrem eigenen Werbeetat und/oder der konkreten Bewerbung der Produkte außerhalb der Medienberichterstattung hat die Verfügungsklägerin nichts vorgetragen. Die Verfügungsklägerin hat zwar Umsatz- und Verkaufszahlen der konkreten Produkte vorgetragen, tragfähige Zahlen zur konkreten Verbreitung des Produktes am Markt fehlen aber. Der Marktanteil der Verfügungsklägerin lässt sich nicht ersehen. Insgesamt ergibt der Vortrag der Verfügungsklägerin zwar einen Einblick in den wachsenden Erfolg ihres Konzeptes, aber kein verwertbares Bild für eine breite tatsächliche Bekanntheit der streitgegenständlichen „E.“-Produkte im Markt. Von einer Stellung als Marktführer ist die Verfügungsklägerin weit entfernt.

2. Die Produktgestaltungen der Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten stellen sich als nachschaffende Nachahmung dar.

Bei der Beurteilung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit von Produkten ist auf den Gesamteindruck abzustellen, den Original und Nachahmung bei ihrer bestimmungsgemäßen Benutzung dem Betrachter vermitteln. Zu berücksichtigen ist der Erfahrungssatz, dass der Verkehr die fraglichen Produkte regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt. Dabei treten regelmäßig die übereinstimmenden Merkmale mehr hervor, so dass es mehr auf die Übereinstimmungen als die Unterschiede ankommt (BGH, GRUR 2007, 795 Rn. 34 – Handtaschen; BGH, GRUR 2010, 80 Rn. 41 – LIKEaBIKE). Dabei kommt es darauf an, ob gerade die übernommenen Gestaltungsmittel die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produktes begründen (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 – Leuchtballon). Entscheidend hierfür ist der Gesamteindruck beider Produkte aus Sicht eines durchschnittlich informierten Verbrauchers.

Identisch hat die Verfügungsbeklagte die als solche lauterkeitsrechtlich nicht schutzfähige Grundidee einer Tasche mit einem aufgesetzten kindlich stilisierten Tierkopf-Motiv übernommen. Sie hat sich damit den Gestaltungen der Verfügungsklägerin zwar deutlich angenähert. Dennoch weicht die Gestaltung der Spielzeugtaschen der Verfügungsbeklagten im maßgeblichen Gesamteindruck erheblich von derjenigen der Verfügungsklägerin ab. Insoweit wird auf die urheberrechtlichen Ausführungen unter A. I. 2. und 3. Bezug genommen.
3. Soweit eine nachschaffende Übernahme in Bezug auf die angegriffenen Gestaltungen vorliegt, fehlt es aber an der Unlauterkeit des Verhaltens. Besondere, die Unlauterkeit der Nachahmung begründende Umstände liegen nicht vor, weder in Form einer vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft, noch einer unangemessenen Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts, noch in der unredlichen Erlangung von für die Nachahmung erforderlicher Kenntnisse oder Unterlagen. Bei durchschnittlicher wettbewerblicher Eigenart und einer nur nachschaffenden Nachahmung müssten unter Berücksichtigung der Wechselwirkungslehre schon erhebliche Gründe vorliegen, um überhaupt zu einer wettbewerblichen Unzulässigkeit der – grundsätzlich zulässigen – Nachahmung gelangen zu können.

a) Eine vermeidbare Herkunftstäuschung gemäß § 4 Nr. 3 a) UWG liegt nicht vor.

Im Rahmen einer Gesamtabwägung zwischen Grad der Eigenart, Typus der Nachahmung und sonstiger Umstände ist die Gefahr einer Herkunftszuordnung zu verneinen. Zwar mag eine gewisse Bekanntheit vorhanden sein, diese würde aber nur unlauter ausgenutzt, wenn eine identische Übernahme vorliegt. Eine vermeidbare Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 3 a) UWG) liegt nicht vor. Für den angemessen gut informierten und angemessen aufmerksamen und kritischen durchschnittlichen Verbraucher, auf den es ankommt (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4 Rn. 3.41, mwN), kommt es jedenfalls nicht zu einer erheblichen Täuschungsgefahr. Bei einer nachschaffenden Übernahme liegt die Gefahr einer Herkunftstäuschung nur nahe, wenn ergänzende Umstände vorliegen, die entweder auf eine mittelbare Beziehung zwischen den Unternehmen hinweisen oder die die Gefahr begründen, dass der Verkehr das Nachahmerprodukt dem Hersteller des nachgeahmten Produkts zuschreibt. Mittelbare Beziehungen dürfen nicht unterstellt werden, für sie müsste es einen Anhaltspunkt geben (so BGH GRUR 2019, 196 Rn. 20 - Industrienähmaschinen). Eine mittelbare Herkunftstäuschung erfordert eine Prüfung der Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Intensität der Übernahme sowie den besonderen Umständen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443 - Viennetta).

Die Übernahme der Grundidee von Taschen, Rucksäcken, Beuteln oder Trolleys in Tierform mit aufgesetzten Tierköpfen ist nicht geeignet, Herkunftserwartungen zu begründen, weil diese Idee frei ist und auch zum Standardrepertoire von Kinderartikeln gehört. Hohe Kennzeichnungskraft und Wiedererkennbarkeit bei den Produkten der Verfügungsklägerin kommt der herausziehbaren und beschriftbaren Zunge an den Tiergesichtern zu, die bei den angegriffenen Gestaltungen gerade fehlt. Die angegriffenen Gestaltungen der Verfügungsbeklagten werden auf Hangtags zudem mit dem Zeichen „H. IN L.“ gekennzeichnet.

b) Auch eine unlautere Rufausbeutung gemäß § 4 Nr. 3 b) UWG liegt nicht vor.

Eine unlautere Rufausnutzung kann auch ohne Herkunftstäuschung der angesprochenen Verkehrskreise auf einer Anlehnung an eine fremde Leistung beruhen, sofern eine erkennbare Bezugnahme auf den Mitbewerber oder seine Produkte vorliegt. Die Frage, ob dadurch eine Gütevorstellung im Sinne des § 4 Nr. 3 b) UWG unangemessen ausgenutzt wird, ist jeweils im Wege einer Gesamtwürdigung zu beantworten, bei der alle relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Grad der Anlehnung sowie die Stärke des Rufs des nachgeahmten Produkts, zu berücksichtigen sind. Dabei kann grundsätzlich schon die Annäherung an die verkehrsbekannten Merkmale eines fremden Produkts als solche zu einer für die Annahme einer Rufausbeutung erforderlichen Übertragung der Gütevorstellung führen (BGH, GRUR 2010, 1125 Rn. 42 – Femur-Teil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 38 – Einkaufswagen III; BGH, GRUR 2015, 909 Rn. 40 – Exzenterzähne; Senat, GRUR-RR 2006, 278 [279 f.] – Arbeitselement für Resektoskopie; Senat, GRUR-RR 2014, 65 [68] – Pandas).

Die besondere Wertschätzung der Produkte der Verfügungsklägerin knüpft nach ihrer eigenen Darstellung maßgeblich an ergonomischen und ökologischen Aspekten an. (vgl. Bl. 18 f. d.A.). Ein für die Rufausbeutung erforderlicher Transfer des Images vom Originalprodukt auf das Nachahmungsprodukt ist nicht feststellbar. Es ist nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Produkte ebenfalls an ein Image von Ergonomie, Nachhaltigkeit und Ökologie anknüpfen würden. Dass mit der Produktaufmachung und der Werbung der Verfügungsbeklagten eine Assoziation an das Produkt und eventuell an das Marketingkonzept der Verfügungsklägerin verbunden sein mag, genügt für den Tatbestand der Rufausbeutung nicht.


Den Volltext der Entscheidung mit Abbildungen der streitgegenständlichen Produkte finden Sie hier:

LG Köln: Sandalen können als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 11.05.2023
14 O 41/22

Das LG Köln hat entschieden, dass Sandalen als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ der Klägerin stellen persönliche geistige Schöpfungen dar und sind als Werke der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 15 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 = WRP 2021, 1461 – Zugangsrecht des Architekten, mwN). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = GRUR 2014, 175 Rn. 41 – Geburtstagszug; BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 57 – Zugangsrecht des Architekten; BGH, GRUR 2022, 899, 902 Rn. 28 – Porsche 911).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks im Sinne der RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (BGH GRUR 2021, 1290 Rn. 58 – Zugangsrecht des Architekten) entsprechen. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden ist (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 33 = WRP 2019, 55 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 = WRP 2019, 1449 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 36 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 = WRP 2020, 1006 – Brompton Bicycle). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 30 f. – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 23 f. – Brompton Bicycle). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 37 – Levola Hengelo; EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 29 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 22 – Brompton Bicycle). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH GRUR 2019, 1185 Rn. 32 – Cofemel; EuGH GRUR 2020, 736 Rn. 25 – Brompton Bicycle), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH GRUR 2019, 73 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Hiermit steht im Einklang, dass bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGH, Urteil vom 13. November 2013 - I ZR 143/12, BGHZ 199, 52 [juris Rn. 26] - Geburtstagszug).

aa) Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen, ist lediglich der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 15 – Vitrinenleuchte). Eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe führt zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes (BGH, GRUR 2014, 175 [179, Rn. 41] – Geburtstagszug, mwN).

bb) Die Kammer geht dabei davon aus, dass mit der Geburtstagszug-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, GRUR 2014, 175 [177, Rn. 26] – Geburtstagszug) jedenfalls eine Absenkung der Schutzuntergrenze bei Werken der angewandten Kunst dergestalt einhergeht, dass keine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe mehr verlangt wird (in diesem Sinne Gutachten PV., S. 17; Gutachten SM., S. 45; RW./PV., in: Schricker/PV., Urheberrecht, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 184; a.A. Gutachten RW., S. 29). Soweit angenommen wird, bei Gebrauchsgegenständen – namentlich Schuhen --, die in besonderem Maße vom funktionalen Gebrauchszweck geprägt seien, führe das Geburtstagszug-Urteil eher zu strengeren Maßstäben als zuvor, da in diesem Fall – auch trotz den Durchschnitt überragender Gestaltungsleistung – regelmäßig keine ausreichend erkennbare künstlerische Gestaltung vorliege; die Änderung führe eher im Bereich der dekorativen Gestaltungen, etwa im Rahmen der Gestaltung von Applikationen für Bekleidungsstücke oder auch bei Schmuck zu einer gewissen Absenkung der Maßstäbe (Gutachten RW., S. 30 unter Verweis auf A. Nordemann, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 12. Aufl. 2018, § 2, Rn. 150), kann dem nicht gefolgt werden. Das Gutachten RW. erweist sich insoweit auch als widersprüchlich, als dort an anderer Stelle (S. 23) gerade verlangt wird, einfachere und klarere Designs dürften bei der Beurteilung urheberrechtlicher Schutzfähigkeit tendentiell gegenüber ornamentalen, gleichsam barock geschmückten Gestaltungen nicht benachteiligt werden. Der Bundesgerichtshof hat erhöhte Anforderungen an die Gestaltungshöhe bei Werken der angewandten Kunst ausdrücklich aufgegeben (BGH, GRUR 2021, 1290 [1296, Rn. 60] – Zugangsrecht des Architekten). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ist – ebenso wie für alle anderen Werkarten – lediglich eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH, GRUR 2015, 1189, Rn. 44 – Goldrapper). Einer schutzaffirmativen Bewertung rein dekorativer oder ornamentaler Elemente hat jedenfalls der Gerichthof der Europäischen Union gerade eine Absage erteilt (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. – Cofemel).

cc) Die Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Geburtstagszug“ finden dabei auch auf Werke der angewandten Kunst – wie die hier streitgegenständlichen Sandalenmodelle – Anwendung, die vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes vom 12.03.2004, nämlich vor dem 01.06.2004, geschaffen worden sind (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 24 – Geburtstagszug). Eine Änderung der Rechtsprechung erfasst auch vor dem Zeitpunkt der Änderung liegende, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte. Eine Rechtsprechungsänderung ist insoweit nicht mit einer Gesetzesänderung gleichzusetzen (BGH, NJW 2007, 2987, Rn. 28). Gründe des Vertrauensschutzes, die dem hier entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Die in Rede stehenden, angegriffenen Verwertungshandlungen sind nach diesem Zeitpunkt erfolgt.

d) Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in der „Cofemel"-Entscheidung ausführt, der Umfang des Schutzes eines Werks der angewandten Kunst sei nicht geringer als bei anderen unter die Richtlinie 2001/29/EG fallenden Werken (EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 35] - Cofemel), ist damit allein gesagt, dass bei Werken der angewandten Kunst dieselben Ausschließlichkeitsrechte (umfassend die positiven Nutzungsrechte und die negativen Verbietungsrechte) gewährt werden müssen und hinsichtlich der Reichweite dieser Rechte dieselben Rechtsmaßstäbe anzulegen sind wie bei allen anderen Werkkategorien. Gegenstand der Vorlage in der Rechtssache „Cofemel" war allein die Frage, ob bestimmten Erzeugnissen (Werken der angewandten Kunst, Modellen und Designs) der urheberrechtliche Schutz in gleicher Weise zugutekomme wie Werken der Literatur und Kunst (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 24] - Cofemel). Die Aussage des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet vor diesem Hintergrund, dass der urheberrechtliche Schutz für alle Kategorien von Werken, die den unionsrechtlichen Werkbegriff erfüllen (dazu EuGH, GRUR 2019, 1185 [juris Rn. 29 und 48] - Cofemel), nach demselben rechtlichen Maßstab zu bestimmen ist (vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - C-145/10, Slg. 2011, I-12533 = GRUR 2012, 166 [juris Rn. 97 f.] - Painer; ferner auch Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-683/17 vom 2. Mai 2019 Rn. 31). Auf die im Einzelfall vorzunehmende Bestimmung des konkreten urheberrechtlichen Schutzbereichs eines Werks, der sich aus seiner Gestaltungshöhe ergibt, bezieht sich diese Aussage hingegen nicht (BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 17 – Vitrinenleuchte).

e) Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton). Der Umstand, dass mit den Verfassern der vorgelegten Rechtsgutachten SM., RW. und PV. drei ausgewiesene urheberrechtliche Experten auf Basis des unionsrechtlichen Werkbegriffs zu teils diametral entgegengesetzten Ergebnissen im Einzelfall gelangen, zeigt ohnehin, dass die übergeordneten Kriterien des EuGH lediglich als weitgefasste Leitlinien gelten können, deren Gewinn für die konkrete Betrachtung nicht zu hoch eingeschätzt werden darf.

Ausweislich des Vorschlags für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über den rechtlichen Schutz von Designs (Neufassung) vom 28.11.2022, COM(2022) 667 final 2022/0392 (COD), soll der Grundsatz des kumulierten Designschutzes und des Schutzes des Urheberrechts in Art. 23 Designrichtlinie ausdrücklich beibehalten werden. Nach Erwägungsgrund 12 des Entwurfs sollen Designs, die durch Rechte an Designs geschützt sind, ebenfalls als urheberrechtlich geschützte Werke geschützt werden können, sofern die Anforderungen der „Urheberrechtsvorschriften der Union“ erfüllt sind.

f) Ob den Anforderungen, die an schutzfähige Werke zu stellen sind, im Einzelfall genügt ist, bleibt weitgehend eine Frage tatrichterlicher Würdigung (BGH, Urteil vom 27. Januar 1983 - I ZR 177/80, GRUR 1983, 377 [juris Rn. 15] = WRP 1983, 484 - Brombeer-Muster; Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 [juris Rn. 27] - Le Corbusier-Möbel; Urteil vom 22. Juni 1995 - I ZR 119/93, GRUR 1995, 581 [juris Rn. 13] = WRP 1995, 908 - Silberdistel).

Dabei sind sämtliche Einzelfallumstände zu berücksichtigen, wobei die Klägerseite die Darlegungslast dafür trägt, dass die Sandalenmodelle „IA.“ und „PC.“ über individuelle Gestaltungsmerkmale verfügen, die über die Verwirklichung einer technischen Lösung hinausgehen und dadurch den Schutz des Urheberrechts begründen können. Die Klägerseite trägt im urheberrechtlichen Verletzungsprozess die Darlegungslast für das Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung. Sie hat daher nicht nur das betreffende Werk vorzulegen, sondern grundsätzlich auch die konkreten Gestaltungselemente darzulegen, aus denen sich der urheberrechtliche Schutz ergeben soll (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 [juris Rn. 23 f.] – Seilzirkus; BGH, Urt. v. 15.12.2022 – I ZR 173/21 –, Rn. 21 – Vitrinenleuchte).

g) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn die bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (RW., in: Schricker/PV., 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

h) Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Soweit postuliert wird, über technische Erwägungen (im engeren Sinne) hinaus seien auch jegliche funktional oder sachzweckbezogen determinierten Gestaltungsentscheidungen vom Urheberrechtsschutz auszuklammern (so Gutachten RW., S. 9 f., Fn. 18; Grünberger, ZUM 2020, 175, 180 f.), kann dem nicht gefolgt werden. Diese Interpretation lässt sich der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht entnehmen. Vielmehr ist der Ausschluss vom Urheberrechtsschutz auf ausschließlich durch ihre technische Funktion bedingte Formen beschränkt (EuGH, GRUR2020, 736, 738, Rn. 33 -- Brompton Bicycle):

„Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig.“

Gestützt wird dieses enge Verständnis, wonach Urheberrechtsschutz lediglich dann ausgeschlossen ist, wenn ausschließlich technische Funktionen für die Gestaltung maßgeblich waren, durch den Vergleich mit der englischen und französischen Sprachfassung:

„Where the shape of the product is solely dictated by its technical function, that product cannot be covered by copyright protection.“

„Dans le cas où la forme du produit est uniquement dictée par sa fonction technique, ledit produit ne pourrait relever de la protection au titre du droit d’auteur.“

Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Gebrauchszweck nicht vollkommen ausgeschlossen sein, der ästhetische Gehalt noch nicht einmal überwiegen muss (vgl. Kreile, ZUM 2023, 1, 4). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit besteht vielmehr auch bei einem überwiegenden Gebrauchszweck und kann auch etwa dann gegeben sein, wenn der ästhetische Gehalt in die ihrem Zwecke gemäß – in klarer Linienführung ohne schmückendes Beiwerk – gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (BGH, GRUR 2012, 58, 60, Rn. 22 – Seilzirkus). So hat auch bereits das Reichsgericht dafürgehalten, dass Schöpfungen zu praktischen Zwecken nicht vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen sind (RG, Urteil vom 30. Juni 1928 – I 29/28 –, RGZ 121, 357, 358). Zu den Werken der bildenden Kunst zählt jede Gestaltung, in der eine eigenpersönliche geistige Schöpfung sichtbar wird, ohne Rücksicht darauf, ob das Werk neben dem ästhetischen Zweck noch einem praktischen Gebrauchszweck dient (RGZ 124, 68, 72 – Besteckmuster). Sachzweckbezogene Erwägungen im Gestaltungsprozess stehen dem Erreichen der relevanten Schutzschwelle daher nicht entgegen. Funktionale Sachzweckbezogenheit kann technischer Bedingtheit von Gestaltungsmerkmalen nicht gleichgesetzt werden. Vom Schöpfer ausgewählten Gestaltungselementen ist in der Konsequenz auch dann der urheberrechtliche Schutz nicht zu versagen, wenn deren Auswahl von der rationellen Umsetzung einer funktionalen Zielsetzung geprägt ist. Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungsmöglichkeit und der damit verbundene Ausschluss anderer Gestaltungsmöglichkeiten kann bereits eine schöpferische Leistung darstellen. Der Schöpfer besitzt nämlich die prinzipielle Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit, auch eine abweichende Gestaltung und Ausführung zu wählen. In einem solchen Fall besteht kein Zwang zu einer bestimmten Gestaltung und damit auch keine Einschränkung des Gestaltungsspielraums (vgl. Gutachten PV., S. 38). Dies gilt selbst dann, wenn mit einer abweichenden Ausführung eine Modifizierung eines selbstgewählten Gestaltungsziels verbunden wäre.

Die Aussage des EuGH, „[…] dass der Umstand, dass Modelle […] über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, es nicht rechtfertigen [könne], solche Modelle als ,Werke` [...] einzustufen" (EuGH, GRUR 2019, 1185, Rn. 54 f. - Cofemel), kann deshalb nur so verstanden werden, dass allein das Vorhandensein besonders markanter, visueller Effekte für sich genommen die Feststellung von Originalität nicht erlaubt (vgl. Gutachten RW., S. 11). Das Konzept der Gebrauchskunst beruht vielmehr gerade darauf, dass Dinge geschaffen werden, die gleichermaßen zweckgerichtet gebrauchstauglich und künstlerisch sind. Der künstlerische Aspekt schränkt die Zweckdienlichkeit dabei nicht ein. Eine Antithese zwischen der Nützlichkeit für einen bestimmten Gebrauchszweck und ästhetischer Schönheit ist daher nicht zielführend. Denn ein Werk der Gebrauchskunst verliert diesen Charakter nicht durch seine funktionellen Eigenschaften.


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OLG Hamburg: Urheberrechtlicher Schutz als Werk der angewandten Kunst für Heizstrahler in Pyramidenform

OLG Hamburg
Urteil vom 30.03.2023
5 U 77/21


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass ein Heizstrahler in Pyramidenform als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das Landgericht hat dem Verfügungsmuster zutreffend urheberrechtlichen Schutz zugebilligt.
aa) Im Ausgangspunkt sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, an den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens (BGH, Urteil vom 13. 11. 2013 - I ZR 143/12, GRUR 2014, 175 Rn. 26 - Geburtstagszug; Senat, Beschluss vom 14.10.2021 - 5 W 40/21, GRUR 2022, 565 Rn. 17 ff. - Grand Step Shoes; Senat, Urteil vom 25.11.2021 - 5 U 12/20, GRUR-RS 2021, 58851 Rn. 50 ff. - Leuchte Doo). Eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 15 - Geburtstagszug). Auch wenn bei Werken der angewandten Kunst keine höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werkes zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst, ist bei der Beurteilung, ob ein solches Werk die für einen Urheberrechtsschutz erforderliche Gestaltungshöhe erreicht, zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht (vgl. BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 - Geburtstagszug). Maßgeblich ist der Gesamteindruck, der sich aus dem Zusammenwirken aller wesentlichen Eigenschaften ergibt.

Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers setzt voraus, dass ein Gestaltungsspielraum besteht und vom Urheber dafür genutzt wird, seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2011 - C-403, 429/08, GRUR 2012, 156 Rn. 98 – Football Association Premier League und Murphy; EuGH, Urteil vom 02.05.2012 - C-406/10, GRUR 2012, 814 Rn. 67 – SAS Institute). Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen müssen, ist der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maß die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.2011 - I ZR 53/10, GRUR 2012, 58 Rn. 25 - Seilzirkus, mwN; BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 - Geburtstagszug). Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine zwar Urheberrechtsschutz begründende, gleichwohl aber geringe Gestaltungshöhe zu einem entsprechend engen Schutzbereich des betreffenden Werkes führt (vgl. BGH, GRUR 2014, 175 Rn. 41 - Geburtstagszug).

bb) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hat der Begriff „Werk“ zwei Bestandteile. Zum einen muss es sich um ein Original handeln, das eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers ist, und zum anderen muss eine solche Schöpfung zum Ausdruck gebracht werden (vgl. EuGH, Urteil vom 12.09.2019 - C-683/17, GRUR 2019, 1185 Rn. 29 - Cofemel/G-Star; EuGH, Urteil vom 11.06.2020 - C-833/18, GRUR 2020, 736 Rn. 22 - Brompton/Get2Get).

Was den ersten Bestandteil angeht, kann nach der Rechtsprechung des EuGH ein Gegenstand erst bzw. bereits dann als Original angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (EuGH, GRUR 2019, 1185 Rn. 30 - Cofemel/G-Star; EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 23 - Brompton/Get2Get). Wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist und folglich urheberrechtlich geschützt werden kann (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1185 Rn. 31 - Cofemel/G-Star; EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 24 - Brompton/Get2Get). Hinsichtlich des zweiten Bestandteils hat der EuGH klargestellt, dass der Begriff „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zwangsläufig einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand voraussetzt (EuGH, GRUR 2019, 1185 Rn. 32 - Cofemel/G-Star; EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 25 - Brompton/Get2Get). Daraus ergibt sich, dass ein Gegenstand, der der Voraussetzung der Originalität genügt, auch dann urheberrechtlich geschützt sein kann, wenn seine Schaffung durch technische Erwägungen bestimmt wurde, sofern dies seinen Urheber nicht daran hindert, seine Persönlichkeit in diesem Gegenstand widerzuspiegeln, indem er freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 26 - Brompton/Get2Get).

cc) Um festzustellen, ob das betroffene Erzeugnis nach dem Urheberrecht schutzfähig ist, ist zu bestimmen, ob der Urheber des Erzeugnisses mit der Wahl von dessen Form seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, indem er freie und kreative Entscheidungen getroffen und das Erzeugnis dahin gehend gestaltet hat, dass es seine Persönlichkeit widerspiegelt (EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 34 - Brompton/Get2Get). Die Prüfung ist unter Berücksichtigung aller einschlägigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits durchzuführen (vgl. EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 38 - Brompton/Get2Get). Es ist die Frage zu beurteilen, von welchen Faktoren sich der Schöpfer in seiner Wahl leiten lassen hat (EuGH, GRUR 2020, 736 Rn. 35 - Brompton/Get2Get). Weiter ist eine differenzierte merkmalsbezogene Analyse vorzunehmen und unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zu prüfen, welche formprägenden Merkmale technisch bedingt und welche frei wählbar sind (Senat, GRUR-RS 2021, 58851 Rn. 55 - Leuchte Doo).

dd) Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze sind hier die Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes - auch bei der für Gebrauchskunst gebotenen Zurückhaltung – aus Sicht des erkennenden Senats zu bejahen. Entscheidend ist, dass trotz des zweifelsfreien Gebrauchszwecks des Heizstrahlers für den Entwerfer nicht nur hinreichende Spielräume für freie, kreative Entscheidungen bestanden, in denen sich die Persönlichkeit des Schöpfers widerspiegelt, und von diesem in individueller Weise ausgefüllt wurden, sondern auch ein erheblicher Abstand vom vorbekannten Formenschatz realisiert worden ist. Im vorliegenden Fall wird dabei eine Gestaltungshöhe erreicht, die die Gewährung von Urheberrechtsschutz rechtfertigt.

(1) Das Verfügungsmuster weist eine dreieckige - möglicherweise auch dreibeinige - Grundform auf, die pyramidenhaft nach oben hin schmaler wird und einen fließenden Übergang vom Unterteil - zur Aufnahme der nicht sichtbaren Gasflasche - ohne ein Mittelstück in die Brennkammer als Oberteil aufweist. Dabei ist das etwa ein Drittel ausmachende Unterteil geschlossen und das etwa zwei Drittel ausmachende Oberteil durch eine offene Gitterstruktur mit quer verlaufenden Gitterstäben gestaltet. Hinter dem Gitter findet sich ein senkrechtes Glasrohr, durch welches die Heizflamme geleitet wird. Oberhalb des Oberteils wird das Verfügungsmuster abgeschlossen durch einen die Grundform widerspiegelnden dreieckigen Deckel. Der Gesamteindruck des Verfügungsmusters wird durch die klare geometrische Form einer Pyramide - oder eines dreikantigen Kegels - geprägt, die einen fließenden Übergang vom Unterteil mit der Gasflasche ohne ein Mittelstück unmittelbar in die Brenneinheit aufweist und in der die Funktion der Brenneinheit mittels eines Glaskolbens für den Betrachter durch die Gitterstruktur hindurch sichtbar gemacht wird. Es wird ein Gesamteindruck einer klaren geometrischen Form aus einem Guss kreiert mit einer unterbrechungsfreien Linienführung zwischen dem Unterteil - zur Aufnahme der nicht sichtbaren Gasflasche - und der vertikal angeordneten, transparenten Brennkammer, die durchaus als minimalistisch zu bezeichnen ist und auch im ausgeschalteten Zustand eine künstlerisch ansprechende Gestaltung aufweist. Diese Gestaltung ist nicht dem Gebrauchszweck geschuldet, sondern beruht auf einer künstlerischen Idee des Schöpfers. Der Schöpfer des Verfügungsmusters hat im Rahmen des bestehenden weiten Gestaltungsspielraums seine originelle Idee zur Gestaltung eines Gas-Heizstrahlers umgesetzt.

(2) Zwar dienen wesentliche Teile der Gestaltung, insbesondere die Trennung in ein Unterteil - zur Aufnahme der Gasflasche - und in ein Oberteil - mit einer Brenneinheit - dem Gebrauchszweck eines Heizstrahlers. Daraus folgt aber nicht, dass eine persönliche geistige Schöpfung ausgeschlossen ist. Gebrauchsform und künstlerische Lösung können in einer Form verschmelzen (Senat, GRUR 2022, 565 Rn. 24 - Grand Step Shoes). Auch nach der Auffassung des EUIPO (vgl. Anlage K 26, S. 4) bestanden trotz des Gebrauchszwecks weite Auswahlmöglichkeiten an Formen, Materialien oder Verzierungen. Vorliegend hat der Schöpfer einen über die durch die Funktion vorgegebene Form hinaus bestehenden Gestaltungsspielraum individuell in origineller Weise genutzt. Denn entscheidende Merkmale des Heizstrahlers sind gerade nicht durch den Gebrauchszweck bestimmt. Vielmehr sticht die dreieckige Grundform, die pyramidenhaft ohne Unterbrechung nach oben hin schmaler wird, und der Wechsel aus geschlossenem Unterteil und vergittertem Oberteil mit dem senkrechten Glasrohr, das die Arbeit der Flammen erkennbar macht, unverwechselbar hervor. Dadurch werden Aufbau, Konstruktion und auch die Funktion des Heizstrahlers für jeden Betrachter offengelegt. Der Schöpfer hat insoweit einen Heizstrahler geschaffen, der die Brennkammer als ästhetisch ansprechendes Gestaltungselement verwendet, die dem Betrachter - anders als bei dem geschlossenen Heizpilz - das Flammenspiel zugänglich macht und dies über einen Großteil des Musters hinweg. Hierfür bestand vom Gesamteindruck her zum Zeitpunkt der Schöpfung im Jahre 2006 kein Vorbild. Gegenteiliges, nämlich dass eine Gestaltung eines Heizstrahlers mit den Formmerkmalen des Verfügungsmusters im vorbekannten Formenschatz enthalten wäre, macht auch die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg geltend. Die von ihr angeführten aktuellen Produkte lassen keinen Rückschluss auf deren Vorhandensein im Jahre 2006 zu. Dasselbe gilt für das - für nichtig erklärte - Muster gemäß Anlage AG 1 aus dem Jahr 2007. Das Verfügungsmuster mit der dreieckigen Grundform, die pyramidenhaft nach oben hin schmaler wird, und dem Wechsel aus geschlossenem Unterteil und vergittertem Oberteil mit senkrechtem Glasrohr weicht ganz erheblich von der Gestaltung gewöhnlicher „Heizpilze“ - zur Zeit der Schöpfung des Verfügungsmusters im Jahr 2006 - ab. „Heizpilze“ sind gekennzeichnet durch einen zylinderförmigen breiten Fuß, in dem sich meist die Gasflasche befindet. Darauf steht ein Rohr, an dessen oberem Ende sich der Brennkopf befindet, auf dem ein Schirm angebracht ist. Diese an die Form eines Pilzes erinnernde Gestaltung unterscheidet sich deutlich von dem hier streitgegenständlichen Heizstrahler.

(3) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin sind als technisch notwendig zur Herstellung eines gasbetriebenen Heizstrahlers tatsächlich lediglich eine Gasflasche und eine damit (z.B. durch einen Schlauch) verbundene Verbrennungseinheit zur Abstrahlung der Verbrennungswärme einzustufen. Wie diese im Einzelnen angeordnet und gestaltet werden, blieb dem Schöpfer des Heizstrahlers überlassen, so dass ein weiter Gestaltungsspielraum bestand. Dass es verschiedene Möglichkeiten zur Gestaltung eines Heizstrahlers gibt, hat das Landgericht zutreffend auch durch das als Anlage K 25 vorgelegte Rechercheergebnis einer Google Bildersuche zu dem Begriff „Heizstrahler“ als belegt angesehen. Der Einwand der Antragsgegnerin, die vom Schöpfer gewählte Grundform sei die sicherheitstechnisch überlegene und rein technisch bedingt, verfängt schon mit Blick auf die Anlage K 25 nicht. Auch diese Übersicht enthält zweifelsohne Modelle, die Sicherheitsbedingungen in puncto Standsicherheit gerecht zu werden vermögen. Dass ein Gerät oben schmaler werden müsse, um die Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten, wird hierdurch im Zweifel widerlegt. Diese Übersicht zeigt vielmehr, dass es durchaus auch zahlreiche quaderförmige Heizstrahler gibt und somit die Form der Pyramide nicht als technische Notwendigkeit im Bereich von Heizstrahlern zu werten ist. Weder die eckige Grundform noch der pyramidenhaft nach oben hin schmaler werdende Korpus mit dem senkrechten Glasrohr hinter den querverlaufenden Gitterstäben noch der eckige Schirm am oberen Ende der Pyramide sind erkennbar technisch bedingt. Dass der Brenner eine Durchbrochenheit wegen der Luftdurchlässigkeit benötige, um die Flamme aufrechtzuerhalten, sagt noch nichts über deren Ausgestaltung. Zwar mag eine Turmstruktur bei einem Heizstrahler für den technischen Effekt der sicheren Nutzung der Heizung und der Strahlungswärmeausbreitung sinnvoll sein; zwingend ist die konkrete Ausgestaltung aber keineswegs. Auch der Umstand, dass der Sockel konstruktionsbedingt Platz für eine Gasflasche bieten müsse, sagt noch nichts über das Verhältnis von Sockel zum Rest des Musters und den Linienverlauf aus.

(4) Zwar lässt sich nach der Rechtsprechung des Senats aus einem Abstand zum Formenschatz allein noch nicht schließen, dass der Urheber bei der Erstellung „frei kreative Entscheidungen“ treffen konnte, die eine Originalität des Werkes vermitteln und die Persönlichkeit des Urhebers widerspiegeln (vgl. Senat, GRUR-RS 2021, 58851 Rn. 64 - Leuchte Doo). Insoweit wären etwaige Vorgaben, Aufträge oder Aufgabenstellungen berücksichtigungsfähig, die den Gestaltungsspielraum für kreative Entscheidungen betreffend die Formgestaltung einschränken können. Dasselbe gilt, wenn es ein etwaiges Vorgängermodell gibt, um dessen Fortentwicklung es bei der Kreation lediglich ging. Denn u.a. einer objektiv vorbekannten Gestaltung kann keine schöpferische Eigentümlichkeit zuerkannt werden (vgl. Senat, GRUR-RS 2021, 58851 Rn. 66 f. - Leuchte Doo). Vorliegend sind jedoch keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die für eine solche Einengung des Gestaltungsspielraums des Schöpfers sprächen.

d) Die Antragsgegnerin hat das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht der Antragstellerin gemäß §§ 16, 17 Abs. 1 UrhG verletzt. Der angegriffene Heizstrahler übernimmt die wesentlichen Gestaltungsmerkmale des Verfügungsmusters.

aa) Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Mustern in der Grundform besteht. Denn während das Verfügungsmuster eine dreieckige Grundform hat, hat das Verletzungsmuster eine quadratische Grundform. Dies betrifft dann auch den Deckel oberhalb des Oberteils. Außerdem weist das Verletzungsmuster einen ringförmigen Wärmeabzug unter dem Dach auf, welcher bei dem Verfügungsmuster nicht vorhanden ist, und die Füße sind stärker sichtbar. Weitere Abweichungen gibt es nicht. Beide Muster haben mit Ausnahme des Grundrisses dieselben Proportionen und eine metallische Farbe des Korpus.

bb) Auch unter Berücksichtigung dieser - geringen - Abweichungen liegt eine Verletzung ohne Weiteres vor. Denn auch das Verletzungsmuster wird geprägt durch die geometrische Form einer Pyramide, die zwar in der Grundfläche über mehr Ecken als das Verfügungsmuster verfügt, nämlich vier, aber in der eben auch ohne ein Mittelteil ein Übergang vom Unterteil verjüngend in die Brennkammer des Oberteils erfolgt und in der die Funktion der Brennkammer und das Flammenspiel durch einen vertikalen Glaskolben durch das Gitter hindurch sichtbar gemacht werden. Demgegenüber treten die metallischen, besser sichtbaren Füße in den Hintergrund. Ebenfalls kein besonderes Gewicht misst der für Kunst empfängliche Betrachter dem ringförmigen Wärmeabzug unter dem Dach bei. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Verfügungsmuster eben einen erheblichen Abstand zur vorbekannten Formgestaltung von Heizstrahlern aufweist und daher keinen ganz geringen Schutzumfang beanspruchen kann. Zwar besteht ein Unterschied in der Anzahl an Ecken, nämlich vier statt drei. Bei diesem Merkmal handelt es sich indes nicht um einen Umstand, der einen anderen Gesamteindruck zu bewirken vermag. Vielmehr erzeugt auch das Verletzungsmuster den gleichen Gesamteindruck, weil der Charakter der Erscheinung hierdurch nicht verändert wird. Insoweit kommt auch der keineswegs nur unterdurchschnittliche Schutzbereich des Verfügungsmusters zum Tragen, mit der Folge, dass lediglich das Hinzufügen einer vierten Ecke bei im Übrigen gleichbleibender Gestaltung nicht aus der Verletzung herausführt (vgl. auch die designrechtliche Entscheidung des EUIPO in Anlage K 26, S. 4). Denn beide Muster teilen sich die nach oben verjüngende, metallene Gestaltung mit einem offenen Gitter, horizontalen Lamellen und einem sichtbaren Gaskolben aus Glas.

e) Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Schrankenbestimmung der freien Benutzung berufen. Weder sind die Voraussetzungen der bis zum 07.06.2021 geltenden Regelung des § 24 Abs. 1 UrhG a.F. im Streitfall erfüllt, noch die des § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 UrhG in der seit dem 07.06.2021 geltenden Fassung (n.F.).

aa) Das Recht, das Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen, erstreckt sich nicht nur auf das Original des Werkes, sondern auch auf Vervielfältigungsstücke des Werkes iSv § 16 UrhG sowie Bearbeitungen und Umgestaltungen des Werkes iSv § 23 UrhG. Dabei handelt es sich bei der Bearbeitung und Umgestaltung um besondere Fälle der Vervielfältigung des Werkes (BGH, Urteil vom 16.05.2013 - I ZR 28/12, GRUR 2014, 65 Rn. 36 - Beuys-Aktion, mwN). Das Recht, das Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen, sperrt dagegen nicht freie Benutzungen des Werkes iSv § 24 Abs. 1 UrhG a.F. (BGH, GRUR 2014, 65 Rn. 37 – Beuys-Aktion, mwN). Die in freier Benutzung eines geschützten Werkes geschaffene Gestaltung ist nach § 24 Abs. 1 UrhG a.F. selbstständig, also unabhängig vom benutzten Werk. Ihre Verwertung kann nicht nach § 97 Abs. 1 UrhG untersagt werden (Senat, Urteil vom 10.6.2021 – 5 U 80/20, GRUR-RR 2022, 116 Rn. 46 - Ottifanten in the city).

bb) Für die Frage, ob die Übernahme gestalterischer Elemente eine Vervielfältigung (§ 16 UrhG), eine (unfreie) Bearbeitung (§ 23 UrhG) oder eine freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) darstellt, kommt es entscheidend auf den Abstand an, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält. Die für eine freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG a.F. erforderliche Selbständigkeit des neuen Werkes gegenüber dem benutzten Werk setzt voraus, dass das neue Werk einen ausreichenden Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält, wobei dies nur dann der Fall ist, wenn die entlehnten eigenpersönlichen Züge des älteren Werkes angesichts der Eigenart des neuen Werkes verblassen (Senat, GRUR-RS 2022, 9866 Rn. 53 - Metall auf Metall III; Senat, GRUR-RR 2022, 116 Rn. 47 - Ottifanten in the city). Diese Beurteilung ist von einer Feststellung der objektiven Merkmale, die die schöpferische Eigentümlichkeit des benutzten Werkes bestimmen, abhängig. Sodann ist durch Vergleich der einander gegenüberstehenden Gestaltungen zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang in der neuen Gestaltung eigenschöpferische Züge des älteren Werkes übernommen worden sind (Senat, GRUR-RR 2022, 116 Rn. 49 - Ottifanten in the city). Für die Rechtslage nach dem 07.06.2021 gilt in der Sache nichts anderes. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 UrhG n.F. dürfen Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes, insbesondere auch einer Melodie, nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden. Wahrt das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk, so liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des Satzes 1 vor. Für die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale kann auf die zum bisherigen Recht ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

cc) Im Streitfall rechtfertigen die Abweichungen der Gestaltung des Verletzungsmusters von derjenigen des Verfügungsmusters und die dadurch begründeten nur geringfügigen Unterschiede des Gesamteindrucks nicht die Annahme, die entlehnten eigenpersönlichen Züge des älteren Werkes seien angesichts der Eigenart des neuen Werkes verblasst.


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OLG Düsseldorf: Eierlikörhersteller Verpoorten hat weder markenrechtliche noch wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen Mitbewerber wegen Verwendung des Slogans "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei"

OLG Düsseldorf
Urteil vom 27.04.2023
20 U 41/22


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass der Eierlikörhersteller Verpoorten weder markenrechtliche noch wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen einen Mitbewerber wegen Verwendung des Slogans "Ei, Ei, Ei, Ei, Ei" hat.

Aus den Entscheidungsgründen:
Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Gestalt von Abmahnkosten besteht nicht.

1. Mit Recht hat das Landgericht entschieden, dass § 14 Abs. 6 MarkenG in Verbindung mit §§ 683 Satz 1, 677, 670 BGB als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht kommt.

1.1. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass im Kennzeichen- und Wettbewerbsrecht Abmahnkosten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag unter der Voraussetzung erstattungsfähig sind, dass die Abmahnung begründet war (vgl. BGH GRUR 2012, 304 Rn. 21 - Basler Haar-Kosmetik; GRUR 2011, 617 Rn. 15 - Sed;Ingerl/Rohnke, MarkenG, 4. Auflage, Vor §§ 14 - 19d Rn. 296 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

1.2. Dies war hier nicht der Fall, denn der Klägerin stand der mit den ausgesprochenen Abmahnungen wegen der streitgegenständlichen Zeichenverwendung geltend gemachte Unterlassungsanspruch weder aufgrund einer Verwechselungsgefahr (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) noch aufgrund eines Bekanntheitsschutzes (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG) zu. Die Beklagte hat die Klagemarke „Eieiei“ nicht verletzt.

a. Eine beeinträchtigende Benutzung des Zeichens ist gegeben, wenn es durch Dritte markenmäßig oder – was dem entspricht – als Marke verwendet wird und diese Verwendung die Funktionen der Marke und insbesondere ihre wesentliche Funktion, den Verbrauchern die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu garantieren, beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann (vgl. BGH GRUR 2019, 1053 Rn. 27 – ORTLIEB II). Damit die Marke nämlich ihre Aufgabe als wesentlicher Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs erfüllen kann, muss sie die Gewähr bieten, dass alle Waren oder Dienstleistungen, die sie kennzeichnet, unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens hergestellt oder erbracht worden sind, das für ihre Qualität verantwortlich gemacht werden kann (vgl. EuGH GRUR 2003, 55 Rn. 48 – Arsenal FC). Maßgeblich ist, ob der angesprochene Verkehr das Zeichen auch als Hinweis auf die Herkunft der Ware oder Dienstleistung aus einem bestimmten Betrieb versteht. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH GRUR 2019, 1289 Rn. 25 - Damen Hose MO). Abzustellen ist auf die Sicht eines normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (vgl. BGH GRUR 2012, 1040 Rn. 16 - pjur/pure). Die Tatsache, dass ein Zeichen vom angesprochenen Verkehr als Herkunftshinweis für die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen und damit als Marke erkannt wird, muss anhand der Umstände des Einzelfalls positiv festgestellt werden (vgl. BGH GRUR 2019, 522 Rn. 41 - SAM).

b. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen und ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher - wie die Mitglieder des Senats als Teil der angesprochenen Verkehrskreise selbst feststellen können - in der streitgegenständlichen Zeichenverwendung keinen Hinweis auf die Herkunft einer Ware sieht. Die Klägerin beanstandet die fünffache Aufzählung des Begriffs „Ei“ jeweils im Rahmen einer Internet-Werbung für ein Produkt-Paket, das fünf verschiedene Sorten Eierlikör enthält. Angesichts dessen ist es für den Senat - ebenso wie für das Landgericht - unter Berücksichtigung der nachfolgend dargestellten maßgeblichen Umstände des Einzelfalls fernliegend, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ einen Herkunftshinweis erblicken. Die Ausführungen der Berufung führen zu keiner abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage.

aa. Ein in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Umstand ist die Tatsache, dass der angegriffene Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ im Hinblick auf die Beschaffenheit des beworbenen Produkts - nämlich als Kernzutat von Eierlikör - glatt beschreibend ist.

(1) Bei dem Gebrauch einer beschreibenden Angabe kann eine markenmäßige Benutzung grundsätzlich nicht angenommen werden (vgl. BGH GRUR 2009, 502 Rn. 29 - pcb). Denn bestimmte Arten der Benutzung zu rein beschreibenden Zwecken können keine Funktionen der geschützten Marke beeinträchtigen (vgl. EuGH GRUR 2009, 756 Rn. 61 - L’Oréal/Bellure). Hat ein Wort beschreibenden Charakter, wird es vom Verkehr eher als Sachhinweis und nicht als Kennzeichen aufgefasst (so BGH GRUR 2017, 502 Rn. 26 - MICRO COTTON). Dabei ergibt sich der beschreibende Charakter in erster Linie aus dem Sinngehalt der betreffenden Bezeichnung. Maßgeblich für die Frage, ob der Verkehr das Zeichen nur beschreibend versteht, ist jedoch auch der Kontext, in der die gerügte Benutzungshandlung erfolgte.

(2) Mit dieser Maßgabe ordnen die angesprochenen Verkehrskreise dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ ohne besonderen gedanklichen Aufwand lediglich einen beschreibenden Begriffsinhalt zu und fassen ihn nicht als Hinweis auf die Herkunft aus einem bestimmten Unternehmen auf. Die Wortfolge besteht aus der fünffachen Wiederholung des Wortes „Ei“, jeweils getrennt durch ein Komma und Leerzeichen.

(a) Das Substantiv „Ei“ bezeichnet unter anderem eine „befruchtete oder nicht befruchtete weibliche tierische oder menschliche Keimzelle, ein „(von bestimmten Tieren, besonders Vögeln, gelegtes) von einer Schale umschlossenes, die Eizelle und meist Dotter und Eiweiß enthaltendes kugeliges, oft länglich ovales Gebilde“ oder ein „Hühnerei (als Nahrungsmittel)“ (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Ei). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter „Ei“ das Hühnerei verstanden, das vom Menschen als Nahrungsmittel benutzt wird. Dies spiegelt sich auch in Lebensmittelverordnungen wieder, die das Ei als Lebensmittel bei fehlender Angabe der Tierart als Hühnerei definieren (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ei). Darüber hinaus hat das Ei für den Menschen auch eine kulturelle Bedeutung als Osterei (BPatG, Beschluss vom 21. September 2022, Az.: 29 W (pat) 508/21, zitiert nach juris). Das Nomen „Ei“ ist ferner Bestandteil zahlreicher Redensarten, so wie „jemanden mit [faulen] Eiern bewerfen (als Ausdruck starken Missfallens)“, „jemanden, etwas wie ein rohes Ei (sehr vorsichtig) behandeln“ oder „ach, du dickes Ei! (umgangssprachlich: Ausruf der Überraschung)“ (https://www.duden.de/ rechtschreibung/Ei) (BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris).

(b) In Alleinstellung ist das Wort „Ei“ für eine große Anzahl der in Warenklasse 33 beanspruchten Waren („Spirituosen“) ein schlagwortartiges Beschaffenheitsmerkmal und stellt als Zutatenangabe einen engen beschreibenden Bezug zu diesen Waren her. Eier oder Eierprodukte können nämlich Bestandteile alkoholischer Getränke sein, was den angesprochenen Verkehrskreisen auch bekannt ist. Dies rechtfertigt die Annahme, dass der Verkehr den glatt beschreibenden Begriffsinhalt ohne weiteres erfasst und in dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ eine bloße Sachangabe erblickt, wobei dieses Verkehrsverständnis durch die Großschreibung des Wortes „Ei“ maßgeblich verstärkt wird.

bb. Im Hinblick auf die Frage der Geeignetheit zur Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion ist weiter festzustellen, dass das fünffache Aneinanderreihen des Wortes „Ei“ - durch Kommata und Leerzeichen getrennt - keine semantische oder syntaktische Besonderheit darstellt, die von einer Sachangabe wegführt und den angesprochenen Verkehrskreisen die Bedeutung eines betrieblichen Herkunftshinweises vermittelt.

(1) Die Wiederholung eines Wortes oder einer Wortgruppe ist ein werbeübliches rhetorisches Stilmittel, das der Rede Nachdruck verleihen soll. Es wird seit langem in der modernen Werbepsychologie verwendet, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und den werbemäßig auffordernden Charakter zu unterstreichen, ohne dass der Verkehr dies als herkunftshinweisend wahrnimmt (vgl. BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris mit Hinweis auf BPatG, 30 W (pat) 566/20 – My-My/MY-MY; 29 W (pat) 36/20 – Vino WEINLOFT; 27 W (pat) 65/09 – AUTOAUTO!; 29 W (pat) 148/95 – Leute LEUTE; 29 W (pat) 198/92 – FalzFalz). Hervorzuheben ist, dass sowohl die Verdoppelung als auch die Verdreifachung des Wortes „Ei“ insbesondere in dem hier einschlägigen Produktbereich festzustellen ist (dazu ausführlich BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris). Ist dem Verkehr sowohl die Verdoppelung als auch die Verdreifachung des Wortes „Ei“ bzw. „ei“ bekannt, führt die hier in Rede stehenden fünfte Wiederholung nicht zu einer entscheidenden Änderung des Verkehrsverständnisses, sondern wird nur als eine weitere Verstärkung des Aufmerksamkeitseffekts wahrgenommen.

(2) Daneben wird die Interjektion „ei“ oft in der Kindersprache als Ausdruck der Verwunderung oder Überraschung verwendet, wie beispielsweise „ei, wo kommst du denn her?“ bzw. „Ei, der Daus“ oder als „Ausdruck der Zärtlichkeit“, wie zum Beispiel „ei [ei] machen (streicheln, liebkosen)“ (vgl. BPatG, BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris mit Hinweis auf https://www.duden.de/rechtschreibung/ei; https://de.wiktionary.org/wiki/ei).

(3) Dies zugrunde gelegt, entnehmen die angesprochenen Verkehrskreise dem angegriffenen Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ - soweit ihnen dieser in Alleinstellung entgegentritt - in Bezug auf die Waren der Warenklasse 33 entweder eine fünffach wiederholte und auf diese Weise besonders einprägsame schlagwortartige Zutatenangabe und/oder einen durch die Verfünffachung besonders eindringlich wirkenden Ausdruck des Erstaunens, der nur der werbemäßigen Anpreisung der vorgenannten Waren dient. Sie fassen den angegriffenen Text daher wahlweise als Beschaffenheitsangabe oder als werbliche Anpreisung, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Unternehmen auf (vgl. BPatG, Beschluss vom 18. Juli 2021, Az.: 26 W (pat) 514/21, zitiert nach juris). Die gegenteiligen Ausführungen der Berufung verfangen nicht.

cc. Ein weiterer im Rahmen der Gesamtwürdigung zu beachtender Umstand ist das durch die Art und Weise der Zeichenverwendung hervorgerufene Gesamterscheinungsbild der streitbefangenen Online-Werbung.

(1) Die Verkehrsauffassung wird auch durch die konkrete Aufmachung bestimmt, in der die angegriffene Bezeichnung dem Publikum entgegentritt (BGH, Urteil vom 09. Februar 2012, Az.: I ZR 100/10, GRUR 2012, 1040, Rn. 19 - pjur/pure). Maßgeblich für die Frage der markenmäßigen Benutzung ist, wie der Verkehr die beanstandete Verwendung des Zeichens auf der Internetseite versteht (OLG Köln, Urteil vom 24. Oktober 2014, Az.: 6 U 211/13, GRUR 2015, 596, Rn. 35 - Kinderstube). Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine kennzeichenmäßige Benutzungshandlung vorliegt, ist somit die Einbettung des Zeichens in sein Umfeld. Dabei ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten in dem maßgeblichen Warensektor abzustellen, insbesondere auf die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet werden.

(2) Vorliegend bestärkt das Präsentationsumfeld die angesprochenen Verkehrskreise in der Annahme, dass es sich bei der beanstandeten Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ um einen rein beschreibenden Hinweis dergestalt handelt, dass die in den beworbenen Eierlikör-Päckchen enthaltenen fünf Liköre allesamt die Zutat „Ei“ enthalten.

(a) Dies gilt in besonderer Weise für diejenige Präsentation, bei der der angegriffene Text „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ mit einem Osternest bebildert ist. Vor dem Hintergrund, dass Eier die Hauptzutat von Eierlikör sind und angesichts der kulturellen Bedeutung von Ostereiern, die - woran der Verkehr gewöhnt ist - eingebettet in Osternester dargestellt werden, erfasst der Verkehr den beschreibenden Begriffsinhalt als Zutatenhinweis ohne weiteres und auf den ersten Blick. Die Annahme, der Verkehr erblicke in den angegriffenen Zeichen ein Unterscheidungsmittel für deren Herkunft ist fernliegend.

(b) Nichts anderes gilt für die Weihnachtswerbung. Hervorzuheben ist, dass die beanstandete Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ nicht in Alleinstellung - gewissermaßen zusammenhanglos - verwendet wird, sondern in der konkreten Aufmachung jedem „Ei“ jeweils bildlich eine Eierlikörflasche zugeordnet ist. Die fünffache Wiederholung des Wortes „Ei“ als rhetorisches Stilmittel findet gemäß der graphischen Anordnung ihre Entsprechung in den fünf beworbenen Eierlikörflaschen in fünf verschiedenen Geschmacksrichtungen. Zu betonen ist weiter, dass die fünf Eierlikörflaschen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen jeweils ei-förmig umrahmt und damit eine auch nur bei flüchtigem Blick erkennbare optische Betonung erfahren haben. Hierzu hat das Landgericht in den Gründen der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass sowohl die Farbgebung als auch die Positionierung der Flasche innerhalb der Eiform jeweils den Eindruck eines dottergelben Eigelbs erwecken und dadurch den rein beschreibenden Charakter des Begriffs „Ei“ nochmals verstärken. Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an. Hiergegen bringt auch die Klägerin nichts Substantielles vor. Entgegen der Berufung wird die rein beschreibende Verwendung der beanstandeten Wortfolge auch nicht dadurch zum Herkunftshinweis, dass damit zwei unterschiedliche Eierlikör-Päckchen - eins für Ostern, eins für Weihnachten - beworben wurden.

(3) Schließlich ist zu würdigen, dass oberhalb der beanstandeten Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ - wenn diese nicht in Alleinstellung auf der Produktverpackung angebracht ist - das eigene Unternehmenskennzeichen der Beklagten („Firma D.“) in einer den Gesamteindruck prägenden Art und Weise abgebildet ist. Die Klägerin irrt, wenn sie meint, das Unternehmenskennzeichen der Beklagten sei kaum wahrnehmbar. Dies trifft nicht zu. Der Schriftzug „Firma D.“ wird durch seine goldglänzende Farbe optisch betont und hebt sich zusätzlich dadurch vom Hintergrund ab, dass er in eine Art „Strahlen“ eingebettet ist. Auch diese hervorgehobene Platzierung des Unternehmenskennzeichens spricht gegen eine markenmäßige Verwendung der beanstandeten Wortfolge. Ohne Erfolg macht die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz geltend, aufgrund ihrer Bekanntheit und der jahrzehntelangen Kooperation mit unterschiedlichen Unternehmen sei es der Verkehr gewöhnt, auf Produktverpackungen neben der Klagemarke oder dem Unternehmenskennzeichen weitere Marken vorzufinden. Damit dringt sie nicht durch.

(a) Die Klägerin ist mit diesem neuen Vortrag, der von der Beklagten zulässigerweise bestritten worden ist, präkludiert. Neuer, streitiger Vortrag ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig. Diese liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat schon nicht dargetan, aus welchem Grund ihr entsprechendes Vorbringen nicht im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens möglich war. Angesichts dessen, dass die Parteien von Anfang an um die Frage der markenmäßigen Verwendung der beanstandeten Wortfolge gestritten haben, hätte für sie hinreichend Anlass bestanden, zu den Kennzeichnungsgewohnheiten der Lebensmittel- und Getränke- sowie insbesondere der Spirituosen-Branche vorzutragen. Dies war offenbar aus Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht geschehen.

(b) Im Übrigen sind die von der Klägerin in Bezug genommenen Beispiele (siehe Seiten 11 bis 17 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022) auch in der Sache nicht geeignet, ein herkunftshinweisendes Verständnis des Wortes „Ei“ oder der Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ zu belegen. Im Gegenteil: Der Umstand, dass bei sämtlichen abgebildeten Beispielen explizit und graphisch hervorgehoben auf das Unternehmenskennzeichen „B.“ verwiesen wird, zeigt vielmehr, dass der Verkehr die von der Klägerin verwendete Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ - in Alleinstellung - gerade nicht als Herkunftshinweis versteht. Nichts anderes gilt für die beanstandete Wortfolge „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“. Auf Grundlage des von der Klägerin gehaltenen Sachvortrages erschließt sich auch nicht, weshalb die angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen sollten, dass die Parteien über eine Kooperationsvereinbarung oder ähnliches miteinander verbunden sein sollen. Dafür spricht angesichts der Tatsache, dass sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Eierlikör herstellen nichts, denn eine Kooperation wird der Verkehr nur bei Unternehmen vermuten, die unterschiedliche Produkte herstellen. Die Annahme, die Beklagte würde Eierlikör der Klägerin vertreiben, liegt danach aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers fern. Der Umstand, dass der beanstandeten Wortfolge drei Punkte nachgestellt sind („Ei, Ei, Ei, Ei, Ei…“), führt zu keiner anderen Beurteilung. Weil aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nichts dafür spricht, dass die Parteien über eine Kooperationsvereinbarung oder ähnliches miteinander verbunden sein könnten, werden sie auch die drei Punkte nicht als - versteckten - Hinweis auf die Klägerin begreifen. Eine solchermaßen interpretierende und mehrere gedankliche Zwischenschritte voraussetzende Betrachtungsweise nehmen sie nicht vor.

c. Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, das Landgericht habe verkannt, dass es sich bei der Klagemarke um eine bekannte Marke handele mit der Folge, dass für eine markenmäßige Verwendung eine gedankliche Verknüpfung ausreichend sei. Dem folgt der Senat nicht.

aa. Es kann schon im Ausgangspunkt nicht angenommen werden, dass es sich bei der Klagemarke „Eieiei“ um eine bekannte Marke handelt. Die Behauptung der Klägerin, auf jeder Eierlikörflasche befinde sich mindestens eine in das Glas eingearbeitete Prägung, die die Klagemarke „Eieiei“ wiedergebe, wird durch die von ihr vorgelegten Lichtbilder nicht gestützt. Im Gegenteil: Die Darstellung auf Seite 44 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022 zeigt, dass die Wortfolge „Ei, ei, ei…“ - mit Kommata und Leerzeichen - in das Glas geprägt ist. Dass die Klagemarke bekannt ist, folgt nicht allein daraus, dass auf den Kartons, die bei Abgabe mehrerer Eierlikörflaschen verwendet werden, sowie in Flyern und Broschüren stets der Domainname „eieiei.B.“ abgedruckt ist (siehe dazu Verpackungsbeispiele auf Seite 47 der Berufungsbegründung vom 08. April 2022 sowie Anlage K 17). In der Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise liegt darin eine für das Internet typische und übliche Verkürzung unter Weglassung von Leerzeichen und Kommata.

bb. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen belegen allenfalls eine umfangreiche Verwendung des Werbeslogans „Ei, Ei, Ei B.“, was jedoch gerade keine besondere Bekanntheit der Klagemarke „Eieiei“ begründet.

(1) Zu betonen ist, dass in den von der Klägerin umfangreich verwendeten Werbeslogan („Ei, Ei, Ei B.“) die Klagemarke („Eieiei“) keinen Eingang gefunden hat. In der Klagemarke findet - anders als im Werbeslogan - gerade keine Trennung zwischen den „Ei“-Elementen statt. Damit nimmt die Klagemarke Bezug auf die Interjektion „ei“, die von den angesprochenen Verkehrskreisen - wie bereits dargetan - als Ausdruck der Verwunderung und Überraschung verstanden wird. Genau diese Bezugnahme fehlt dem Zeichen „Ei, Ei, Ei“, das als glatt beschreibende Aufzählung einer Zutatenangabe verstanden wird.

(2) Überdies hat die Klägerin das Zeichen „Ei, Ei, Ei“, der sich - wie zuvor ausgeführt - wesentlich von der Klagemarke „Eieiei“ unterscheidet, in dem Werbeslogan mit dem Unternehmenskennzeichen „B.“, also einem Wortelement mit eigenständiger Kennzeichnungskraft, verbunden, womit eine Veränderung des kennzeichnenden Charakters bewirkt wird. Dies gilt hier umso mehr, als dass es sich bei dem Element„B.“ um den einzigen kennzeichnungskräftigen Bestandteil in dieser Wortkombination handeln dürfte (siehe dazu BPatG, Beschluss vom 21. September 2022, Az.: 29 W (pat) 508/21, zitiert nach juris).

(3) Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich der Werbeslogan („Ei, Ei, Ei B.“) unstreitig an den in den 1960er Jahren populären Schlager „Ay, Ay, Ay, Maria aus Bahia“ anlehnt. Durch die Kombination der Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ mit dem Zeichen„B.“ und die dadurch entstehende Bezugnahme auf diesen Schlagertitel erhält der Werbeslogan einen eigenständigen kennzeichnenden Charakter. Aus der maßgeblichen Verkehrssicht sind die verbundenen Teile zu einer Einheit verschmolzen mit der Folge, dass der Verkehr darin ein einheitliches Zeichen erkennt. Das gilt auch für die Mitglieder der angesprochenen Verkehrskreise, denen der Schlager „Ay, Ay, Ay, Maria aus Bahia“ unbekannt ist. Auch von ihnen wird der Werbeslogan („Ei, Ei, Ei“ und „B.“) als Werbeaussage verstanden, mit der - unter Verwendung werbeüblicher Stilmittel - im Sinne eines Beschaffenheitsmerkmals darauf hingewiesen wird, dass Eier wesentlicher Bestandteil der von der Klägerin hergestellten und vertriebenen Produkte sind. Die Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ verbindet sich mit dem Zeichen „B.“ zu einem Gesamtbegriff, der als Einheit wahrgenommen wird.

2. Davon ausgehend, dass eine kennzeichenmäßige Benutzung des angegriffenen Zeichen „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“ zu verneinen ist, bedarf es keiner Ausführungen des Senats zur markenrechtlichen Verwechselungsgefahr im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Gleiches gilt, soweit die Parteien über den markenrechtlichen Bekanntheitsschutz im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG streiten und zwar unabhängig davon, dass in Bezug auf die Klagemarke „Eieiei“ - wie dargetan - nicht feststellbar ist, dass es sich um eine bekannte Marke handelt.

3. Auch aus dem Schutz von Unternehmenskennzeichen ergibt sich kein Unterlassungsanspruch der Klägerin. Sie kann nicht mit Erfolg geltend machen, die in Rede stehende Bezeichnung „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“ sei als Geschäftsabzeichen im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 MarkenG geschützt. Nach Maßgabe der bereits angestellten Erwägungen kann nicht von einem kennzeichenmäßigen Gebrauch der in Rede stehenden Zeichen (ohne den Zusatz „B.“) ausgegangen werden, denn es handelt sich - wie dargetan - um eine schlichte Zutatenangabe, der aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittsverbrauchers keine betriebliche Herkunftshinweisfunktion zukommt. Der Senat verkennt nicht, dass bei bekannten Unternehmenskennzeichen die Einbeziehung von Benutzungshandlungen geboten sein kann, die eine gedankliche Verknüpfung mit dem bekannten Unternehmenskennzeichen hervorrufen, auch wenn darin noch keine klassische kennzeichenmäßige Benutzung zu sehen ist. Hieraus ergibt sich jedoch keine für die Klägerin günstige Rechtsfolge, da dem Verbraucher die in Rede stehende Bezeichnung „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“ stets und nur in Kombination mit dem Zusatz „B.“ geläufig ist. Der bekannte Werbeslogan lautet nun einmal „Ei, Ei, Ei B.“ (und eben nicht „Eieiei“ bzw. „Ei, Ei, Ei“).

4..Auf Grundlage der vorstehenden Ausführungen ergibt sich schließlich auch kein Unterlassungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten aus § 4 Nr. 3 UWG. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutz für nicht gegeben erachtet hat. Das Landgericht ist aufgrund der zur markenmäßigen Verwendung des angegriffenen Zeichens angestellten Erwägungen folgerichtig zu dem Ergebnis gelangt, dass der Wortfolge „Ei, Ei, Ei“ schon keine wettbewerbliche Eigenart zukommt. Dies hält der Nachprüfung durch den Senat stand. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz gibt keinen Anlass zu ergänzenden Ausführungen. Die Berufung irrt, wenn sie meint, der Werbeslogan „Ei, Ei, Ei“ (wohlgemerkt ohne den Zusatz „B.“) habe sich aufgrund der intensiven und langjährigen Benutzung als Herkunftshinweis auf das Unternehmen der Klägerin etabliert. Diese Ansicht teilt der Senat - ebenso wie das Landgericht - aus den bereits dargelegten Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nicht.

5. Es bedarf keiner Entscheidung des Senats, ob als Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Unterlassungsanspruch die von der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 18. Februar 2020 abgegebene Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung in Betracht kommt. Die Klägerin hat ihren Unterlassungsbegehren im Rahmen dieses Rechtsstreits auf eine Markenverletzung gestützt und sich hilfsweise auf die Verletzung wettbewerbsrechtlichen Vorschriften aus dem UWG berufen, sich mithin eines gesetzlichen Unterlassungsanspruches berühmt. Will die Klägerin den Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte auch aus einem Unterlassungsvertrag ableiten, so liegt ein eigener Streitgegenstand vor (siehe dazu Thiering, in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Auflage, § 14 Rn. 641 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), der jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Auch verpackte Produkte wie Butter können wettbewerbliche Eigenart aufweisen und lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes genießen - KERRYGOLD

BGH
Urteil vom 26.01.2023
I ZR 15/22
KERRYGOLD
UWG § 4 Nr. 3


Der BGH hat entschieden, dass auch verpackte Produkte wie Butter wettbewerbliche Eigenart aufweisen und lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes genießen können.

Leitsätze des BGH:
a) Verpackte Produkte - wie Butter und Mischstreichfette - können Gegenstand des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes sein. Einem verpackten Produkt kann wettbewerbliche Eigenart zukommen, wenn die äußere Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale der Verpackung des Produkts geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten der darin verpackten Ware hinzuweisen.

b) Eine Herkunftstäuschung durch eine nachgeahmte Produktverpackung ist bei unterschiedlichen Produkt- oder Herstellerbezeichnungen nicht stets ausgeschlossen, wenn nicht alle wesentlichen Gestaltungsmerkmale des Originals identisch übernommen werden. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Herkunftstäuschung vorliegt, müssen vielmehr alle Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen werden, insbesondere ist zu berücksichtigen, welche Produkt- und Herkunftsbezeichnungen auf der Nachahmung verwendet werden und in welcher Weise dies geschieht (Fortführung von BGH, Urteil vom 19. Oktober 2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443 = WRP 2001, 534 - Viennetta).

BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - I ZR 15/22 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Braunschweig: Keine Markenrechtsverletzung durch Nutzung einer fremden Marke beim Keyword-Advertising bzw. bei Google Ads

OLG Braunschweig
Urteil vom 09.02.2023
2 U 1/22


Das OLG Braunschweig hat entschieden, dass keine Markenrechtsverletzung durch Nutzung einer fremden Marke beim Keyword-Advertising bzw. bei Google Ads vorliegt, sofern die Leistungen des Markeninhabers nicht nachgeahmt oder verunglimpft werden.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Zulässige Nutzung einer fremden Marke beim Keyword-Advertising

Bei dem „Keyword-Advertising“ buchen Werbende sogenannte Keywords bei einem Suchmaschinenbetreiber, bei deren Eingabe die von ihnen erworbenen Werbeanzeigen in der Ergebnisliste angezeigt werden. Nutzt der Werbende für seine Anzeige dabei eine Marke oder eine kennzeichenrechtlich geschützte Bezeichnung Dritter als Keyword, stellt sich oftmals die Frage, ob darin eine Verletzung der Marke oder des Unternehmenskennzeichens liegt.

Mit dieser Frage hat sich der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig in seinem Urteil vom 9. Februar 2023 (Az. 2 U 1/22) befasst, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Die Beklagte, eine Betreiberin eines Vergleichsportals für Kreditvermittlungsangebote im Internet, nutzte den Begriff „smava“ als Keyword u. a. bei der Suchmaschine Google. Ihre Werbeanzeige erschien daraufhin in der Liste der Suchergebnisse an zweiter Stelle nach einer Anzeige der Klägerin, die Inhaberin der Wortmarke „smava“ ist und unter ihrer geschäftlichen Bezeichnung „smava GmbH“ ebenfalls ein Online-Vergleichsportal für Ratenkredite betreibt. Die Klägerin sah darin eine Verletzung ihrer Markenrechte sowie eine unlautere Werbung. Ihrer Klage auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gab das Landgericht Braunschweig weitestgehend statt.

Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat nunmehr Erfolg. Das Oberlandesgericht Braunschweig wies die Klage mit Urteil vom 9. Februar 2023 (Az. 2 U 1/22) ab.

Es liege keine Verletzung der Marke oder Unternehmenskennzeichnung vor. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne der Inhaber einer Marke der Benutzung eines mit dieser Marke identischen Zeichens nur dann widersprechen, wenn damit eine der Funktionen der Marke beeinträchtigte würde. Eine der Hauptfunktionen einer Marke sei es, den Verbraucher auf die Herkunft der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen hinzuweisen, um es ihm zu ermöglichen, Produkte unterschiedlicher Unternehmen voneinander zu unterscheiden.

Eine solche Beeinträchtigung sei vorliegend gerade nicht gegeben. Der verständige Internetnutzer könne anhand der Werbeanzeige erkennen, dass die von der Beklagten angebotene Dienstleistung – nämlich die Vermittlung von Kreditangeboten – nicht von der Markeninhaberin stamme. Zunächst ergebe sich aus der Kennzeichnung als „Anzeige“ über dem Text, dass es sich um eine bezahlte Werbeanzeige handele. Es werde darin auch weder die Marke „smava“ genannt noch gebe es in dem Text einen Hinweis auf die Klägerin. Auch weise der Domainname der Beklagten auf eine andere betriebliche Herkunft der angebotenen Dienstleistung hin. Da die Dienstleistung der Klägerin nicht verunglimpft oder nachgeahmt werde, liege auch keine unzulässige Nutzung der Marke vor.

Schließlich lasse sich auch kein unlauterer Wettbewerb in der Form feststellen, dass unangemessen auf Kunden eingewirkt werde, um sie für sich zu gewinnen.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.

LG Düsseldorf: Keine Herkunftstäuschung gem. § 4 Nr. 3 lit. a) UWG hinsichtlich einer für Massenmarkt produzierten Lichterkette mangels wettbewerblicher Eigenart

LG Düsseldorf
Urteil vom 03.11.2022
14c O 21/21


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass keine Herkunftstäuschung gem. § 4 Nr. 3 lit. a) UWG hinsichtlich einer für den Massenmarkt produzierten Lichterkette mangels wettbewerblicher Eigenart vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin stehen keine Ansprüche aus wettbewerblichem Nachahmungsschutz gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 9 Satz 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 3 lit. a) UWG zu. Es liegt keine unlautere Nachahmung durch Herbeiführung einer vermeidbaren Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft der Lichterketten im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vor.

Im Einzelnen:

1. Die Kammer unterstellt zugunsten der Klägerin, dass diese Herstellerin der von ihr vertriebenen Lichterkette ist. Dann ist sie als Mitbewerberin der Beklagten gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert.

2. Bei dem gewerblichen Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Lichterketten durch die Beklagte handelte es sich auch um geschäftliche Handlungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

3. Indes lag keine vermeidbare Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vor.

Gemäß § 4 Nr. 3 lit. a) UWG handelt unlauter, wer Waren anbietet, die eine Nachahmung der Waren eines Mitbewerbers sind, wenn er dadurch eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt.

Der Vertrieb eines nachahmenden Erzeugnisses kann wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt über wettbewerbliche Eigenart verfügt und besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen. So verhält es sich, wenn die Nachahmung geeignet ist, eine Herkunftstäuschung hervorzurufen und der Nachahmer geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Herkunftstäuschung unterlässt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen, so dass bei einer größeren wettbewerblichen Eigenart und einem höheren Grad der Übernahme geringere Anforderungen an die besonderen Umstände zu stellen sind, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2021, I ZR 137/20, Rn. 15 – Kaffeebereiter; BGH, Urt. v. 20.09.2018, Az. I ZR 71/17, Rn. 11 – Industrienähmaschinen; BGH, Urt. v. 16.11.2017, Az. I ZR 91/16, Rn. 13 – Handfugenpistole).

a. Die Lichterkette der Klägerin weist schon nicht die erforderliche wettbewerbliche Eigenart auf, weil es sich um eine „Massenware“ handelt, bei der der Verkehr keinen Wert auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb legt.

aa. Einem Erzeugnis kommt wettbewerbliche Eigenart zu, wenn seine konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale geeignet sind, die angesprochenen Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Maßgeblich für die Bestimmung der wettbewerblichen Eigenart ist der Gesamteindruck des nachgeahmten Erzeugnisses. Dieser kann auch durch Gestaltungsmerkmale bestimmt oder mitbestimmt werden, die zwar nicht für sich genommen, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet sind, im Verkehr auf die Herkunft des nachgeahmten Produkts aus einem bestimmten Unternehmen hinzuweisen (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2021, I ZR 137/20, Rn. 20 – Kaffeebereiter; BGH, Urt. v. 16.11.2017, Az. I ZR 91/16, Rn. 14 – Handfugenpistole; BGH, Urt. v. 15.12.2016, Az. I ZR 197/15, Rn. 19 – Bodendübel).

Für die wettbewerbliche Eigenart kommt es nicht darauf an, dass die angesprochenen Verkehrskreise den Hersteller der Ware namentlich kennen; erforderlich ist aber, dass sie annehmen, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden (BGH, Urt. v. 16.11.2017, Az. I ZR 91/16, Rn. 14 – Handfugenpistole).

Auf die Neuheit der Gestaltung kommt es ebenso wenig an, wie darauf, ob die zur Gestaltung eines Produktes verwendeten Einzelmerkmale originell sind. Entscheidend ist vielmehr, ob sie in ihrer Kombination den Produkten ein Gepräge geben, das dem angesprochenen Verkehr einen Rückschluss auf die betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten ermöglicht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.11.2018, Az. I-15 U 74/17, Rn. 60, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.1.2012, Az. I-20 U 175/11, Rn. 111 – Tablet-PC, zitiert nach juris). Eine hohe Bekanntheit im Verkehr ist dabei nicht Voraussetzung; eine hohe Bekanntheit des Erzeugnisses kann aber das Vorliegen wettbewerblicher Eigenart indizieren oder deren Grad steigern (BGH, Urt. v. 28.05.2009, Az. I ZR 124/06, Rn. 37 – LIKEaBIKE; OLG Düsseldorf, Urt. v. 22.11.2018, Az. I-15 U 74/17, Rn. 61, zitiert nach juris).

Wettbewerbliche Eigenart liegt insbesondere dann vor, wenn sich das Erzeugnis aufgrund besonderer Gestaltungsmerkmale von anderen Produkten im Marktumfeld so abhebt, dass der Verkehr es einem bestimmten Hersteller zuordnet (BGH, Urt. v. 24.01.2013, Az. I ZR 136/11, Rn. 24 – Regalsystem). Ein Erzeugnis hat hingegen keine wettbewerbliche Eigenart, wenn der angesprochene Verkehr die prägenden Gestaltungsmerkmale des Erzeugnisses nicht (mehr) einem bestimmten Hersteller oder einer bestimmten Ware zuordnet (BGH, Urt. v. 16.11.2017, Az. I ZR 91/16, Rn. 14 – Handfugenpistole). Insoweit ist es erforderlich, dass der Verkehr – anders als dies bei „Allerweltserzeugnissen” oder „Dutzendware” der Fall ist – auf die betriebliche Herkunft des Erzeugnisses Wert legt und gewohnt ist, aus bestimmten Merkmalen auf die betriebliche Herkunft zu schließen (BGH, Urt. v. 15.12.2016, Az. I ZR 197/15, Rn. 38 – Bodendübel; BGH, Urt. v. 22.03.2012, Az. I ZR 21/11, Rn. 34 – Sandmalkasten; BGH, Urt. v. 02.04.2009, Az. I ZR 199/06, Rn. 10 – Ausbeinmesser; BGH, Urt. v. 21.09.2006, Az. I ZR 270/03,Rn. 26 – Stufenleitern; BGH, Urt. v. 03.05.1968, Az. I ZR 66/66, Rn. 41 – Pulverbehälter, zitiert nach juris). Denn die Funktion des (ungeschriebenen) Tatbestandsmerkmals der wettbewerblichen Eigenart besteht darin, den Schutz vor Nachahmung auf solche Leistungsergebnisse zu beschränken, die unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher, der sonstigen Marktteilnehmer und der Allgemeinheit schutzwürdig sind (vgl. Köhler in: Köhler/ Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 4 Rn. 3.30).

Angesprochene Verkehrskreise sind hier die Endverbraucher, die die Lichterkette erwerben. Die Kammermitglieder sind in der Lage, die sich insbesondere aus der Gestaltung ergebenden Herkunftsvorstellungen dieses Verkehrskreises aus eigener Sachkunde und Erfahrung zu beurteilen, da sie selbst Teil des angesprochenen Verkehrskreises sind und überdies als Mitglieder einer Spezialkammer für Wettbewerbssachen über besondere Expertise verfügen, die es ihnen ermöglicht, die Herkunftsvorstellungen des gesamten angesprochenen Verkehrskreises im Hinblick auf die streitgegenständlichen Produkte zu beurteilen.

bb. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt der Lichterkette der Klägerin keine wettbewerbliche Eigenart zu.

Zwar ist die Klägerin ihrer Darlegungslast nachgekommen und hat zu dem Produkt und dessen Merkmalen, die seine wettbewerbliche Eigenart begründen sollen, konkret vortragen und dies mit Abbildungen veranschaulicht. Insoweit wird auf die im Tatbestand wiedergegebenen Abbildungen und die Merkmalsgliederung Bezug genommen. Beim Markteintritt gab es auch keine Entgegenhaltungen, die dem Entstehen einer wettbewerblichen Eigenart der Lichterketten mit ihren zehn Sternen, die eine Kombination von 14 vierkantigen, spiegelsymmetrisch angeordneten Zacken und einer siebenkantigen Zacke sowie einem siebenkantigen Zackenstumpf aufweisen, entgegenstanden.

Gleichwohl vermochten die Lichterketten keine wettbewerbliche Eigenart zu erlangen, weil es sich um ein „Allerweltserzeugnis“ handelt, bei dem der Verkehr keinen Wert auf die betriebliche Herkunft legt. Die Lichterkette ist ein eher niedrigpreisiger, saisonaler Dekorationsartikel, der beim Discounter ALDI vertrieben wurde. Bei einem solchen Produkt steht für den Verkehr im Vordergrund, zu einem niedrigen Preis ein Erzeugnis zu erwerben, das nur vorübergehend (saisonal) genutzt wird, der Mode unterliegt und vielleicht schon im Folgejahr durch einen anderen Dekorationsartikel ersetzt wird. Es bedarf deshalb auch keiner hervorgehobenen Qualität, sondern vornehmlich eines gefälligen Designs und eines nicht zu hohen Preises. Die Lichterkette wird daher – wie auch die Klägerin annimmt – ohne größere Prüfung und Beschäftigung erworben. Für den Verkehr, der davon ausgeht, dass die notwendige Produktsicherheit und ein Mindestmaß an Qualität durch die Einkaufsabteilung des Discounters sichergestellt werden, ist unerheblich, woher das Produkt kommt. So wird er zwar annehmen, dass das Produkt – wie solche Erzeugnisse häufig – wahrscheinlich in Fernost produziert wurde, sich über die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb aber gerade keine Vorstellung machen. Damit geht auch einher, dass die Verpackung zwar einen Hinweis auf den Importeur aufweist, dies aber gänzlich untergeordnet, da die Herkunft den Verkehr regelmäßig nicht interessiert. Auffällig sind vielmehr die Handelsmarke des Discounters und die sich in die Produktlinie der unter dieser Handelsmarke vertriebenen Produkte einfügende Aufmachung, die der Verkehr ebenfalls dem Discounter und nicht etwa dem Hersteller des jeweiligen Erzeugnisses zuordnet.

Insoweit weiß der Verbraucher auch, dass Discounter nicht nur einige wenige Lieferanten haben, sondern mit wechselnden Vertragspartnern erst niedrige Preise im Einkauf erzielen und an die Endkunden weitergeben können. Die üblichen Lieferantenwechsel zeigen sich auch darin, dass auch die Klägerin nunmehr ihr Produkt bei dem Discounter LIDL platziert hat und dort den Lieferanten ersetzt, während 2020 die Lichterkette der Beklagten das Produkt der Klägerin bei dem Discounter ALDI ersetzte, hiernach aber wieder die Klägerin lieferte.

Zurecht weist die Beklagte darauf hin, dass mit den „solange der Vorrat reicht“-Angeboten saisonaler Artikel beim Discounter, grundsätzlich die Erwartung ausgeschlossen wird, dasselbe Erzeugnis in der Folgesaison zu erwerben. Kommt es ihm ausnahmsweise darauf an, wird er mit erhöhter Aufmerksamkeit die Produktübereinstimmung prüfen und die Unterschiede feststellen, wobei es ihm auch dann nicht auf den Hersteller, sondern eben die Produktübereinstimmung ankommt.


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OLG München: Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" ist unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz"

OLG München
Beschluss vom 12.07.2022
29 W 739/22


Das OLG München hat entschieden, dass die Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" eine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz" darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen hat Erfolg.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, weil der Sitz der Antragsgegnerinnen in Deutschland liegt.

2. Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSd § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit begehrt wird, es „zu unterlassen, schaumweinhaltige Getränke anzubieten, zu bewerben und zu vertreiben und/oder die vorgenannten Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wenn diese wie (…) abgebildet aufgemacht sind“ [Unterstreichung nur hier zur Verdeutlichung], versteht der Senat den Antrag dahin, dass die Handlungsformen „anbieten“, „bewerben“ und „vertreiben“ in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, wie dies üblicherweise durch die Wahl der Formulierung „und/oder“ zum Ausdruck gebracht wird. Auch mit Blick auf die Antragsbegründung kann der Antrag nur so verstanden werden, dass er sich auch gegen das isolierte Anbieten, das isolierte Bewerben und das isolierte Vertreiben des so aufgemachten Produktes richtet.

3. Wettbewerbsstatut ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht, weil nach dem Vortrag der Antragstellerinnen die Wettbewerbsbeziehungen in Deutschland beeinträchtigt werden.

4. Die Antragstellerin zu 1 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF (a)). Ihr steht als Herstellerin des Verfügungsprodukts der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 3 UWG zu (b)).

a) Die Antragstellerin zu 1 erfüllt die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.

aa) Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, dh im Absatz behindern oder stören kann (vgl. BGH, GRUR 2014, 1114 Rn. 24 mzN - nickelfrei). Dafür ist nicht Voraussetzung, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe tätig sind, solange sie letztlich gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen (vgl. BGH, GRUR 2016, 828 Rn. 19 f. mzN - Kundenbewertung im Internet). Deshalb besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Hersteller einer Ware nicht nur gegenüber anderen Herstellern gleichartiger Waren wie hier der Antragsgegnerin zu 2, sondern auch gegenüber anderen Händlern gleichartiger Waren wie der Antragsgegnerin zu 1, selbst wenn der Hersteller - wie hier in Bezug auf den deutschen Markt - nur über konzernangehörige Gesellschaften vertreibt. Durch eine etwaige unlautere Nachahmung würde auch die Möglichkeit der Antragstellerin zu 1 beeinträchtigt, die von ihr hergestellten Erzeugnisse über ihre Schwestergesellschaften an Endverbraucher zu verkaufen (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 21 - Kundenbewertung im Internet). Entscheidend ist allein, ob die fraglichen Waren mittelbar oder unmittelbar letztlich für Endverbraucher bestimmt sind (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 23 - Kundenbewertung im Internet).

bb) Nach diesen Grundsätzen muss auch für die Erheblichkeit der Markttätigkeit in Deutschland iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF für einen Hersteller mit Sitz im Ausland wie die Antragstellerin zu 1 ein diesen Anforderungen entsprechender Vertrieb in Deutschland über eine Tochter- bzw. Schwestergesellschaft genügen.

cc) Es ist mit der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage vom 29.04.2022 (AST 12) über den Verkauf von über 175.000 Flaschen des „Chandon Garden Spritz“ an Endkunden in Deutschland und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich auch glaubhaft gemacht, dass die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF erforderliche Schwelle eines Vertriebs in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich überschritten ist.

b) Der Antragstellerin zu 1) steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen unlauterer Nachahmung nach § 4 Nr. 3 lit a) iVm § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im weiteren Sinne zu. Das Verfügungsprodukt „Chandon Garden Spritz“ verfügt in seiner gestalterischen Aufmachung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart. Das angegriffene Produkt „Premium Spritz“ stellt eine nachschaffende Nachahmung dar. Es führt insofern zu einer Herkunftstäuschung, als die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, es handele sich um eine rustikale Variante des Originalprodukts, die von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch verbundenen Unternehmen stammt, weil ein Teil von Gestaltungsmerkmalen, die die wettbewerbliche Eigenart des Originalprodukts prägen, übernommen werden und jegliche abgrenzende Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion auf dem Nachahmungsprodukt fehlt.

aa) Als Herstellerin ist die Antragstellerin aktivlegitimiert für Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz.

bb) Der Vertrieb einer Nachahmung kann nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände - wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft (Buchst. a) oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (Buchst. b) - hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (stRspr. BGH; vgl. BGH GRUR 2021, 1544 Rn. 15 mzN - Kaffeebereiter; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 9 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2016, 730 Rn. 31- Herrnhuter Stern). Abzustellen ist auf die Sicht der angesprochenen Verkehrskreise, das sind hier die Durchschnittsverbraucher. Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Vergleichsprodukte wahrnehmen, da die Mitglieder des erkennenden Senats zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und ständig mit Wettbewerbssachen befasst sind (vgl. BGH GRUR 2004, 244, 245 - Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 - Nordjob-Messe).

cc) Das Produkt „Chandon Garden Spritz“ weist in seiner Produktgestaltung eine durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart auf.

(1) Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn nach der Verkehrsanschauung die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Ein Erzeugnis hat keine wettbewerbliche Eigenart, wenn der angesprochene Verkehr die prägenden Gestaltungsmerkmale des Erzeugnisses nicht einem bestimmten Hersteller oder einer bestimmten Ware zuordnet. Für die wettbewerbliche Eigenart kommt es zwar nicht darauf an, dass der Verkehr den Hersteller der Ware namentlich kennt; erforderlich ist aber, dass der Verkehr annimmt, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Rn. 36 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 23 u. 32 - Gartenliege; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 11 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2018, 311 Rn. 14 - Handfugenpistole). Wettbewerbliche Eigenart setzt nicht Neuheit oder Bekanntheit des Produkts voraus (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 - Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.24). Die eine wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale bestimmen nicht nur den wettbewerbsrechtlichen Schutzgegenstand und seinen Schutzumfang, sondern sind auch für die Feststellung einer Verletzungshandlung maßgeblich (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 21 - Flying V).

(2) Hieran gemessen verfügt das Produkt „Chandon Garden Spritz“ in seiner Produktgestaltung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart.

(a) Nach Darlegung der Antragstellerinnen zeichne sich die Produktaufmachung insbesondere aus durch
- eine dunkle, für Schaumweine typische Schaumweinflasche mit einem Korken;
- eine beigefarbene Banderole am Flaschenhals mit orangefarbener Umrandung;
- ein vorne mittig auf der Flasche angebrachtes, unregelmäßig ovales Etikett mit beiger Hintergrundfarbe;
- das eine orangefarbene Umrandung mit weißen Textelementen aufweist;
- zentral die naturgetreue Abbildung von Orangen mit Blatt enthält;
- das mittig durch einen vertikal verlaufenden gelben Streifen durchzogen wird;
- bei dem der gelbe Streifen in Teilen transparent wirkt und die Motive im Hintergrund durchscheinen lässt;
- auf dem im gelben Streifen in vertikaler Richtung von unten nach oben verlaufend ein dreidimensional anmutender und haptisch hervorgehobener goldener Schriftzug mit der Produktkennzeichnung aufgebracht ist.

Im maßgeblichen Gesamteindruck kombiniere der „Chandon Garden Spritz“ in einzigartiger Weise die klassische Produktaufmachung hochwertiger Schaumweine mit in Farbe und Form markanten Gestaltungselementen (insbesondere vertikaler, teilweise transparent anmutender Streifen über das Etikett, orange Farbtöne, als Relief aufgebrachte, spürbare und dreidimensional wirkende Schrift in vertikaler Anordnung) sowie der zentralen Abbildung von Orangen auf dem Etikett, und hebe sich dadurch auch im Gesamteindruck deutlich von anderen Schaumweinen ab, ebenso hebe sich das Produkt dadurch von dem bisher auf dem Markt existierenden „Spritz“- Produkten deutlich ab.

(b) Nach Ansicht des Senats wird der Gesamteindruck des Verfügungsprodukts geprägt durch das Erscheinungsbild einer luxuriös gestalteten Schaumweinflasche mit Korken mit goldfolienumwickeltem Flaschenhals und einer optisch dominierenden vertikal vom Flaschenhals ab über den Flaschenkörper bis kurz über dem Flaschenboden gelegten gelbfarbigen Banderole, auf der markant die Aufschrift „CHANDON“ in großen goldfarbenen und reliefartig gestalteten Lettern hervorsticht. Die Banderole läuft auch über ein ovales in weißbeige und orangefarbenen Tönen gehaltenes Etikett mit orangefarbener Umrandung und auf weißbeigem Hintergrund in kräftigem Orange gemalten durch den Schriftzug durchscheinenden Orangen. Besonders dominant und ins Auge fallend ist die gelbe Banderole mit der großen Goldaufschrift CHANDON. Mitprägend ist auch das orangeumrandete ovalförmige Etikett mit dem Motiv der in kräftigem Orange gemalten Orangen auf weißbeigem Hintergrund. Mitbestimmend für den Gesamteindruck ist schließlich auch die farbliche Dominanz von Orange-, Gelb- und Goldtönen auf einer Schaumweinflasche.

(c) Vom Marktumfeld anderer Flaschen mit Spritz- bzw. (Schaum-)Weinmischgetränken, zu dem beide Seiten vorgetragen und Abbildungen vorgelegt haben (Anlage AST 8, A2. AG 5, Anlage SPB 1), hebt es sich durch das Zusammenspiel dieser Gestaltungsmerkmale derart ab, dass eine originär durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart anzunehmen ist. Dies gilt auch im Verhältnis zum Marktumfeld von Schaumweinflaschen (vgl. A2. AG 6 und Abbildungen Rn. 21 im Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 1 vom 01.07.2022). Es kann daher offenbleiben, ob das relevante Marktumfeld aus Spritzgetränken und diese wiederum inklusive oder exklusive der Spritzgetränke auf Weinbasis und/oder anderen Schaumweinmischgetränken besteht und ob auch Schaumweine an sich dazu zählen. Unerheblich für die wettbewerbliche Eigenart der Produktaufmachung ist die Frage., ob es bereits vor dem „Chandon Garden Spritz“ ein Schaumweinmischgetränk mit Orange gab (vgl. Anlage SPB 1).

(d) Der Grad der dem Produkt von Haus aus zukommenden wettbewerblichen Eigenart und die Angaben der Antragstellerin zur Marktpräsenz, zu den Verkaufszahlen, zum Marketingaufwand und zur Medienpräsenz genügen hingegen nicht, um bereits gut ein Jahr nach Markteinführung eine erhöhte wettbewerbliche Eigenart anzunehmen.

dd) Die Produktgestaltung des angegriffenen Produkts „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen stellt eine nachschaffende Nachahmung des „Chandon Garden Spritz“ dar.

(1) Eine Nachahmung setzt voraus, dass das Produkt oder ein Teil davon mit dem Originalprodukt übereinstimmt oder ihm zumindest so ähnlich ist, dass es sich nach dem jeweiligen Gesamteindruck in ihm wiedererkennen lässt. Dabei müssen die übernommenen Gestaltungsmittel diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts begründen (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Aufgrund der Merkmale, die die wettbewerbliche Eigenart ausmachen, muss der Grad der Nachahmung festgestellt werden. Bei einer (nahezu) unmittelbaren Übernahme sind geringere Anforderungen an die Unlauterkeitskriterien zu stellen als bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2017, 79 Rn. 64 - Segmentstruktur mwN). Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist; eine nachschaffende Übernahme ist demgegenüber gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (BGH GRUR 2018, 832 Rn. 50 - Ballerinaschuh mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse ist aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach ihrem Gesamteindruck zu beurteilen, wobei es weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Übereinstimmungen der Produkte ankommt, weil der Verkehr diese erfahrungsgemäß nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sofern sie nicht unmittelbar nebeneinander vertrieben werden, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 - Leuchtballon mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 40 - Flying V).

(2) Angesprochene Verkehrskreise sind die Durchschnittsverbraucher. Es ist davon auszugehen, dass es auf das Erinnerungsbild ankommt, da die Vergleichsprodukte üblicherweise nicht nebeneinander in denselben Geschäften vertrieben werden. Das angegriffene Produkt wird in Lidl-Discount-Filialen vertrieben. Das Verfügungsprodukt wird nach den glaubhaft gemachten Antragstellerangaben (Anlage AST 12) im „gehobenen Lebensmitteleinzelhandel“, ua bei Feinkost Käfer, Dallmayr, Edeka Simmel, der Kadewe Group, Galeria und Metro sowie im spezialisierten Online-Handel (vgl. Screenshots Anlage AST 13 und Anlage AST 9) vertrieben.
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(3) Eine identische oder nahezu identische Nachahmung scheidet vorliegend aus, weil sich der Gesamteindruck der Vergleichsprodukte - auch nach dem unvollkommenen Erinnerungsbild - über geringfügige Abweichungen hinaus unterscheidet. Insbesondere ist der Flaschenhals gänzlich abweichend gestaltet: Anstelle der den kompletten Flaschenhals bedeckenden luxuriös wirkenden Goldfolienumwicklung des Verfügungsprodukts finden sich beim angegriffenen Produkt nur zwei helle Papieretiketten und vom Glas des Flaschenhalses bleibt ein erheblicher Teil sichtbar, sodass der Flaschenhals des angegriffenen Produkts gänzlich anders, nämlich schlicht und rustikal wirkt. Auch die besonders charakteristische über den gesamten Flaschenkörper vertikal gelegte gelbfarbene Banderole mit dem Aufdruck in Goldlettern findet sich auf dem angegriffenen Produkt lediglich über das Etikett in der Mitte des Flaschenkörpers gelegt. Diese Unterschiede verhindern auch bei dem unvollkommenen Erinnerungsbild des Betrachters, dass eine Identität oder Fast-Identität angenommen werden könnte.

(4) Es liegt allerdings eine nachschaffende Nachahmung vor, weil das angegriffene Produkt einige, die wettbewerbliche Eigenart der Gestaltung des „Chandon Garden Spritz“ prägende Gestaltungselemente, wenn auch mit nicht zu verkennenden Abweichungen, übernimmt. Dies ist vor allem die gelbfarbene vertikal verlaufende Banderole mit einem Aufdruck in reliefartig gestalteten Goldlettern. Zwar liegt diese auf dem angegriffenen Produkt nur über dem Etikett und nicht wie beim Original sowohl über dem Etikett als auch über dem gesamten Flaschenkörper. Sie fällt aber gleichwohl an der prominenten Stelle über dem Etikett markant ins Auge, weist einen ebenfalls kräftigen Gelbton und ebenso eine markante in reliefartig gestalteten großen Goldlettern gehaltene Aufschrift auf und lässt die auf dem Etikett abgebildeten Orangen durchscheinen. Übernommen ist auch die den Gesamteindruck und die wettbewerbliche Eigenart mitprägende Farbgebung in Bezug auf die Farben Orange und Gelb, die auch im Farbton jeweils sehr nahekommen, nur der Goldton fehlt. Übernommen sind auch Gestaltungsmerkmale des Etiketts: die orangefarbene Umrandung, die Abbildung von Orangen auf hellem weißbeige gehaltenem Hintergrund, auch wenn die Etikettenform (rautenförmig) und die Abbildung der Orangen (nur die Struktur skizzierend) abweichen. Alles in allem ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass auf das unvollkommene Erinnerungsbild des Verkehrs abzustellen ist, der die Produkte nicht unmittelbar nebeneinander vergleicht, so dass den Übereinstimmungen ein stärkeres Gewicht zukommt als den Unterschieden, eine Übernahme einiger prägender Gestaltungsmerkmale und eine Annäherung an das als Vorbild dienende Originalprodukt zu erkennen.

ee) Unter Gesamtwürdigung der durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des Originalprodukts und des Grads der Nachahmung sowie der glaubhaft gemachten hinreichenden Bekanntheit bei nicht unerheblichen Teilen des angesprochenen Verkehrs liegt angesichts einer fehlenden abweichenden Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft im weiteren Sinne nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG vor.

(1) Nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung (einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinne) zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 46 - Flying V). Voraussetzung hierfür ist auch, dass das Erzeugnis bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise eine solche Bekanntheit erreicht haben muss, dass sich in relevantem Umfang die Gefahr der Herkunftstäuschung ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2005, 166, 167 - Puppenausstattungen; BGH GRUR 2006, 79 Rn. 35 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 39 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 - Gartenliege; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(2) Vorliegend scheidet zwar eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus. Der angesprochene Durchschnittsverbraucher nimmt angesichts der dargestellten Unterschiede nicht an, dass es sich bei dem angegriffenen Produkt um das Originalprodukt handelt.

(3) Das angegriffene Produkt ruft aber eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne hervor.

(a) Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN).

(b) Es für eine Herkunftstäuschung erforderliche hinreichende Bekanntheit des Originalprodukts ist glaubhaft gemacht.

(aa) Die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft eines nachgeahmten Erzeugnisses setzt, sofern nicht Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden und der Verkehr damit beide Produkte unmittelbar miteinander vergleichen kann, voraus, dass das nachgeahmte Erzeugnis eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Es genügt bereits eine Bekanntheit, bei der sich die Gefahr der Herkunftstäuschung in noch relevantem Umfang ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 mwN - Gartenliege). Maßgebend ist eine Bekanntheit auf dem inländischen Markt zum Zeitpunkt der Markteinführung der Nachahmung (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 mwN - Gebäckpresse). Die Bekanntheit kann sich aus entsprechenden Werbeanstrengungen, der Dauer der Marktpräsenz, den hohen Absatzzahlen des Originals oder einem hohen Marktanteil ergeben (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a mzN; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 32 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 32 - Gartenliege; BGH WRP 2013, 1189 Rn. 27 - Regalsystem). Ein sehr niedriger Marktanteil muss allerdings nicht gegen die Bekanntheit sprechen, zumal bei Luxusprodukten (OLG Hamm WRP 2015, 1374 Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(bb) Die erforderliche gewisse Bekanntheit bei einem nicht unerheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise, welche hier die Durchschnittsverbraucher darstellen, kann angesichts der glaubhaft gemachten Angaben zu den Werbe- und Marketingmaßnahmen mit Kosten von über 2,0 Millionen EUR, den Verkaufszahlen von über 175.000 in Deutschland an Endkunden verkauften Flaschen und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich (eidesstattliche Versicherung Anlage AST 12) sowie des durch die Anlagen (Anlage AST 9, Anlage AST 10; Anlage AST 11; Anlage AST 14 und AST 15) hinreichend glaubhaft gemachten Umfangs der Medien- und Marktpräsenz trotz einer nur gut einjährigen Marktpräsenz nicht verneint werden.

(c) Es liegt eine vermeidbare Herkunftstäuschung im weiteren Sinne vor. Es handelt sich zwar angesichts der dargestellten Unterschiede nur um eine nachschaffende Nachahmung, die nur einzelne die wettbewerbliche Eigenart prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalprodukts übernimmt. Das Original wird hierdurch aber - insbesondere durch die über die Etikette gelegte gelbe Banderole mit der Aufschrift in reliefartigen Goldlettern und die Farbgestaltung in Orange- und Gelbtönen sowie das orangefarben umrandete Etikett, das auf weißbeigefarbenem Hintergrund Orangen abbildet - deutlich erkennbar in Bezug genommen, ohne dass das im Discount vertriebene Nachahmungsprodukt irgendein deutliches abweichendes Herkunftszeichen tragen würde. Der Verkehr wird unter diesen Umständen annehmen, es handele sich - wie im Lebensmitteldiscount und auch in Bezug auf alkoholische Getränke durchaus üblich und dem Verkehr geläufig - um eine von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch - zB lizenz- oder gesellschaftsvertraglich - verbundenen Unternehmen stammende günstigere und schlichtere, möglicherweise auch inhaltlich minderwertige, Variante des Originalprodukts, nämlich eine rustikal aufgemachte Variante des Spritz-Mischgetränks für den Discountbetrieb, die an eine rustikale Prosecco-Gestaltung anklingt, gegenüber der luxuriös aufgemachten Gestaltung des Originalprodukts, die eher an eine Sekt- oder Champagner-Gestaltung erinnert. Der Verkehr weiß auch, dass es unmittelbare oder mittelbare Belieferungen von Herstellern und Händlern, die sich dem Luxussegment zuordnen, an Discounter gibt. Unwidersprochen haben die Antragstellerinnen vorgetragen, dass die Antragsgegnerinnen Produkte der Moët Hennessy Gruppe vertreiben.

Diese Herkunftstäuschung im weiteren Sinne wäre leicht und zumutbar vermeidbar, indem das Nachahmungsprodukt mit einer deutlichen abweichenden Herkunftskennzeichnung versehen werden würde. Der generische Begriff „SPRITZ“ genügt hierfür ebenso wenig wie der anpreisende Begriff „Premium“. Beiden Zeichen fehlt sowohl einzeln als auch in der Kombination die Herkunftsfunktion. Nur auf dem Etikett auf der Flaschenrückseite ist im unteren Bereich des Etiketts ein Unternehmen mit Anschrift benannt („AVG V. GmbH, (…)“; vgl. Einlichtung unten Seite 17 dA; Abbildungen Anlage AST 16, Seiten 6/7), bei welchem es sich schon wegen des Firmenbestandteils „Vertriebs“ keinesfalls um den Hersteller handeln muss. Auch wenn der Verkehr diese Aufschrift im maßgeblichen Zeitpunkt der Kaufentscheidung wahrnimmt, nimmt ihm dies nicht die Fehlvorstellung über die Herkunft.

5. Die Antragstellerin zu 2 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Ihr steht als Mitbewerberin und Händlerin der geltend gemachte Anspruch jedenfalls aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu.

a) Die Antragstellerin zu 2 erfüllt mit dem Vertrieb des „Chandon Garden Spritz“ die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, da sie gleichartige Waren an denselben Endkundenkreis vertreibt. Auf die Frage, auf welcher Stufe der Produktions- bzw. Handelskette sie steht, kommt es, wie oben 4. A) aa) ausgeführt, nicht an. Auch die Schwellen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF sind überschritten. Insofern kann auf die Ausführungen unter 4. a) cc) verwiesen werden.

b) Ob die Antragstellerin zu 2 als Händlerin berechtigt ist, einen Anspruch wegen wettbewerbsrechtlichem Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 UWG geltend zu machen, obwohl sie weder eine eigene (ergänzende) Leistung noch eine Allein- bzw. Exklusivvertriebsberechtigung darlegt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.85, 3.86 mwN auch zur früheren Rspr.), kann dahinstehen.

c) Der Antragstellerin steht als Mitbewerberin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zumindest aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu, auf den sie sich auch als Mitbewerberin, die nicht zugleich Herstellerin ist, berufen kann (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 5 Rn. 9.23; Bornkamm, GRUR 2011, 1, 7). Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 UWG wegen des Vertriebs oder des Anbietens einer unlauteren herkunftstäuschenden Nachahmung einer Produktgestaltung sind - trotz des begrifflich abweichenden Gesetzestextes - dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vorliegen (vgl. Bornkamm/Feddersen a.a.O.; Bornkamm, a.a.O.), so dass für die Einzelheiten auf die Ausführungen unter 4. b) bb) - ee) Bezug genommen werden kann.

Auch ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, am 31.03.2022 Kenntnis davon erlangt zu haben, dass die Lidl-Gruppe, zu der die Antragsgegnerin zu 1 gehört, ein als „Premium Spritz“ bezeichnetes Produkt mit Verkaufsstart vom 04.04.2022 anbiete (Eidesstattliche Versicherung vom 29.04.2022 Anlage AST 4; Bl. 16 dA). Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist beim Landgericht am 29.04.2022 und damit innerhalb der für den Bezirk des Oberlandesgerichts München geltenden Monatsfrist eingegangen, bei deren Überschreitung die gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutete Dringlichkeit wegen dringlichkeitsschädlichen Verhaltens als widerlegt angenommen wird. III.


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LG Köln: Schuhe bzw. Sandalen können als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein

LG Köln
Urteil vom 03.03.2022
14 O 366/21


Das LG Köln hat entschieden, dass Schuhe bzw. Sandalen als Werke der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG urheberrechtlich geschützt sein können.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Verfügungsklägerin hat das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 Abs. 1 UrhG folgenden Unterlassungsanspruchs gegen die Verfügungsbeklagte dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Die streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ stellen persönliche geistige Schöpfungen im Sinne des § 2 Abs. 2 UrhG dar.

a) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG gehören Werke der bildenden Kunst einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke zu den urheberrechtlich geschützten Werken, sofern sie nach § 2 Abs. 2 UrhG persönliche geistige Schöpfungen sind. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer »künstlerischen« Leistung gesprochen werden kann (BGH, Urteil vom 29.4.2021 – I ZR 193/20, ZUM 2021, 1040, 1047 – Zugangsrecht des Architekten; st. Rspr.; vgl. BGH GRUR 1983, 377, 378, juris Rn. 14 – Brombeer-Muster; GRUR 1987, 903, 904, juris Rn. 28 – Le-Corbusier-Möbel; ZUM-RD 2011, 457, Rn. 31 – Lernspiele; ZUM 2012, 36 Rn. 17 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 15 – Geburtstagszug). Dabei kann die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz nur begründen, soweit sie auf einer künstlerischen Leistung beruht und diese zum Ausdruck bringt (BGH ZUM 2012, 36 Rn. 36 – Seilzirkus; BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 41 – Geburtstagszug). Mit Blick auf die Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts durch das Geschmacksmusterreformgesetz vom 12.03.2004 und auf die europäische Urheberrechtsentwicklung hat der BGH seine zuvor bestehende Rechtsprechung aufgegeben, wonach bei Werken der angewandten Kunst höhere Anforderungen an die Gestaltungshöhe eines Werks zu stellen sind als bei Werken der zweckfreien Kunst (BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 17 bis 41 – Geburtstagszug). Für einen urheberrechtlichen Schutz von Werken der angewandten Kunst und der bildenden Kunst ebenso wie für alle anderen Werkarten ist allerdings gleichwohl eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern (vgl. BGHZ 199, 52 = ZUM 2014, 225 Rn. 40 – Geburtstagszug; BGH ZUM 2015, 996 Rn. 44 – Goldrapper).

b) In der Sache sollen diese Maßstäbe dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft entsprechen (vgl. Koch GRUR 2021, 273 [274 f.]).

Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, der in der gesamten Union einheitlich auszulegen und anzuwenden sein soll (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 33 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel). Für eine Einstufung eines Objekts als Werk müssen danach zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt (EuGH, ZUM 2019, 56 Rn. 36 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Ein Gegenstand kann erst dann, aber auch bereits dann als ein Original in diesem Sinne angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidung zum Ausdruck bringt. Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (EuGH ZUM 2019, 834 Rn. 30 f. – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 23 f. – Brompton). Zum anderen ist die Einstufung als Werk Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 37 – Levola Hengelo; ZUM 2019, 834 Rn. 29 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 22 – Brompton). Dafür ist ein mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbarer Gegenstand Voraussetzung (EuGH, ZUM 2019, 834 Rn. 32 – Cofemel; ZUM 2020, 609 Rn. 25 – Brompton), auch wenn diese Ausdrucksform nicht notwendig dauerhaft sein sollte (EuGH ZUM 2019, 56 Rn. 40 – Levola Hengelo).

c) Gegen die Annahme eines unionsrechtlich vereinheitlichten Werkbegriffs bestehen jedoch – jedenfalls für den Bereich der angewandten Kunst – grundsätzliche Bedenken. Die Richtlinie 2001/29/EG regelt in ihren Art. 2 bis 4, dass die Mitgliedstaaten ausschließliche Rechte für die Urheber in Bezug auf ihre „Werke“ vorsehen. Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nennt eine Reihe von Ausnahmen und Beschränkungen dieser Rechte. Soweit der EuGH davon ausgeht, aus dem Umstand, dass die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft für die Ermittlung des Sinnes und der Tragweite des Begriffs „Werk“ nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, müsse im Hinblick auf die Erfordernisse sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes gefolgert werden, dass dieser Begriff in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse, überschreitet er seine Kompetenzen (Schack, GRUR 2019, 75). Denn die Mitgliedsstaaten wollten den Werkbegriff in der Richtlinie 2001/29/EG gerade nicht vereinheitlichen. Generell einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten zu fordern, ist mit den in Art. 5 EU-Vertrag niedergelegten Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität nicht vereinbar (vgl. Röthel, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 4. Aufl. 2021, § 11 Rn. 7). Andernfalls ließe sich aus jeder Teilregelung in einer Richtlinie oder Verordnung praktisch stets eine vollständige Rechtsvereinheitlichung folgern, was offensichtlich nicht gewollt sein kann. Die Erwägungsgründe 21 ff. Richtlinie 2001/29/EG führen nur einzelne Verwertungsrechte auf und erwähnen mit keinem Wort eine Vereinheitlichung des Werkbegriffs über die in Erwägungsgrund 20 genannten Richtlinien hinaus.

Für den vorliegend relevanten Schutz von Werken der angewandten Kunst ist zudem Art. 17 Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen zu berücksichtigen, der das Verhältnis zum Urheberrecht regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Folglich sind die nationalen Gerichte zur Beurteilung der für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst maßgeblichen Gestaltungshöhe und der Werkqualität kompetent. Jedenfalls steht den nationalen Gerichten – auch wenn man einen einheitlichen, unionsweiten Werkbegriff grundsätzlich anerkennt – bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten ein umfassender Beurteilungsspielraum zu. Denn mit der autonomen Auslegung des unionsrechtlichen Werkbegriffs steht es im Einklang, wenn ein Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte bei der Anwendung des Werkbegriffs bei den einzelnen Werkarten anerkannt wird (vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2010, 273). Wann Spielräume im Einzelfall in individueller Weise genutzt werden, überlässt der EuGH den nationalen Gerichten (EuGH, GRUR 2020, 736, Rn. 38 – Brompton).

d) Das Vorhandensein einer Schöpfung, von Individualität und Originalität lässt sich nicht allein aus den objektiven Eigenschaften des jeweiligen Werkes herleiten. Vielmehr sind diese Merkmale anhand ihrer Relation zum konkreten Schaffensprozess zu betrachten. Die Werk-Schöpfer-Beziehung kann weder aus einer einseitigen Betrachtung der Person des Urhebers heraus noch durch Analyse seines Werkes allein adäquat erfasst werden (grundlegend Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1251; Barudi, Autor und Werk – eine prägende Beziehung?, 2013, 32 f.). Maßgeblich ist vielmehr, nach welchen Regeln der Urheber eines bestimmten Werkes gearbeitet hat, wohingegen keine Rolle spielt, ob er sich dessen bewusst war. Erst dann, wenn keine bestehenden Regeln vorgeben, wie der Erschaffer eines Produkts auf einem bestimmten Gebiet dieses zu fertigen hat – etwa anhand von erlernten Verarbeitungstechniken und Formgestaltungsregeln – bestehen keine Gestaltungsspielräume mehr, mit der Folge, dass die Entfaltung von Individualität dann nicht mehr möglich ist, selbst wenn ein handwerklich in Perfektion gefertigtes Produkt neu und eigenartig ist, also durchaus Designschutz beanspruchen könnte. Die rein handwerkliche oder routinemäßige Leistung trägt nicht den Stempel der Individualität, mag sie auch noch so solide und fachmännisch erbracht sein (Leistner, in: Schricker/Loewenheim, 6. Aufl. 2020, § 2, Rn. 53). Der Hersteller muss den bestehenden Gestaltungsspielraum indes auch durch eigene kreative Entscheidungen ausfüllen, um zum Urheber zu werden (BGH, GRUR 2014, 175, Rn. 41 – Geburtstagszug). Dies bedeutet, dass das schöpferische Individuum kein Produkt aus Regeln ist, sondern selbst eine Regel für das Urteil über andere Produkte, also exemplarisch sein muss.

Die technische Bedingtheit eines Produkts durch die Anwendung technischer Regeln und Gesetzmäßigkeiten kann den Spielraum des Gestalters beschränken, wenn eine technische Idee mit einer bestimmten Ausdrucksform zusammenfällt, diese Ausdrucksform technisch notwendig ist und damit schöpferisches Gestalten unmöglich macht (vgl. Zech, ZUM 2020, 801, 803). Technische Lehren können Spielräume des Gestalters aber auch erweitern, etwa, wenn dieser sich die kausalen Eigenschaften bestimmter Materialien oder vorhandener Gegenstände gerade zunutze macht, um mit diesen zu experimentieren, sie zu kombinieren und auszuloten, welche Gestaltungsmöglichkeiten sie bieten (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1253). So kann beispielsweise die Licht- und Farbwirkung von geschliffenem Kristallglas dazu beitragen, Tierfiguren als schutzfähig anzusehen (BGH, GRUR, 1988, 690, 692 f.).

Technische Regeln und Gesetzmäßigkeiten stehen einer schöpferischen Gestaltung also nur dann entgegen, wenn sie zwingende Wirkung entfalten, indem der Gestalter sich an bestehende Konventionen hält und diese befolgt, ohne von ihnen abzuweichen, sie zu modifizieren oder sich über sie hinwegzusetzen. Der Gestalter eines Produkts nutzt die ihm eröffneten Gestaltungsspielräume nicht, wenn er sich an vorgegebenen Techniken und Regeln orientiert. Zu einem schöpferischen Werk wird sein Produkt erst dann, wenn er von vorhandenen und praktizierten Gestaltungsgepflogenheiten abweichende Regeln in das jeweils in Anspruch genommene Kommunikationssystem explizit oder implizit einführt und danach handelt, indem er ein materielles Erzeugnis produziert, das als Beispiel oder Muster für seine selbstgesetzten Regeln dienen kann (Haberstumpf, GRUR 2021, 1249, 1256). Abzustellen ist nicht in erster Linie auf einzelne Gestaltungselemente, sondern auf den Gesamteindruck, den das Werk dem Betrachter vermittelt (OLG Hamburg, GRUR 2002, 419, 420).

Der Schöpfungsprozess ist daraufhin zu analysieren, ob der Urheber sich ausschließlich an Vorgegebenem orientiert und die Spielräume nicht durch eigene Entscheidungen ausgefüllt hat. Lässt sich ausschließen, dass ein Gestalter vollständig nach vorgegebenen Regeln gearbeitet hat, ist zu folgern, dass er jedenfalls in gewissem Umfang eigene schöpferische Entscheidungen getroffen hat. Dann spricht eine Vermutung dafür, dass er den gegebenen Gestaltungsspielraum tatsächlich genutzt hat, um sein geistiges Produkt hervorzubringen. Der anspruchstellende Urheber genügt danach seiner Obliegenheit, die Schutzfähigkeit seines Werkes darzulegen, und glaubhaft zu machen, regelmäßig dadurch, dass er ein Werkexemplar vorlegt und seine Besonderheiten präsentiert (vgl. BGH, GRUR 1981, 820, 822 – Stahlrohrstuhl III). Verteidigt sich der wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch Genommene mit dem Einwand, das streitgegenständliche Werk sei nicht schutzfähig oder der Schutzumfang sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekannte Gestaltungen zurückgegriffen habe, muss dieser die Existenz und das Aussehen solcher Gestaltungen darlegen und beweisen.

e) Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind streitgegenständlichen Sandalenmodelle „B “ und „H “ urheberrechtlich geschützt. Die Einwände der Verfügungsbeklagten aus der Widerspruchsbegründung und dem Schriftsatz vom 10.01.2022 sowie dem vorgelegten Gutachten von Frau Dr. O vermögen dies im Ergebnis nicht in Zweifel zu ziehen. L C hat mit bestimmten Materialien und Gestaltungselementen derart experimentiert und diese miteinander kombiniert, dass sein jeweiliges Ergebnis schöpferischen Charakter besitzt. Die gilt unabhängig davon, dass einzelne dieser Gestaltungselemente bereits vorbekannt waren und sich in Sandalenmodellen anderer Hersteller wiederfanden. Denn in ihrer einheitlichen Zusammenführung liegt die Originalität der von L C ersonnenen Gestaltung. Er hat sich dabei individuell hinreichend von den auf seinem Schaffensgebiet bestehenden, üblichen und bekannten Darstellungsformen für Sandalenmodelle entfernt und über die von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerische Gestaltungen vorgenommen. Die von der Verfügungsbeklagten eingewandten anderweitigen Sandalenmodelle, die der Schutzfähigkeit der Modelle „B “ und „H “ entgegenstehen sollen, illustrieren vielmehr, dass es im Bereich der Sandalen vielfältige Gestaltungsspielräume und zahlreiche Möglichkeiten zu deren Ausfüllung gibt. L C hat insoweit eigenständige Regeln der Sandalengestaltung gefunden und sie u.a. in seinen Sandalenmodellen „B “ und „H “ umgesetzt.

Folgende Gestaltungsmerkmale sind prägend für das Sandalen-Konzept der Verfügungsklägerin und damit auch für die hier streitgegenständlichen Modelle „B “ und „H “ (Gutachten C2, S. 6; Gutachten O, S. 11).

1.) Das Fußbett

a. Eine gerade innere Sohlenkante

b. Eine Laufsohle aus Kunststoff mit C -Linienprofil

c. Veloursleder-bezogene Sohlenbahn

d. Zehengreifer / Bestandteil der Sohlenplastik

e. Fersenmulde / Bestandteil der Sohlenplastik

f. Tieffußbett aus Korkschrotmischung / unverkleideter Sohlenschnitt

2.) Das Befestigungssystem

a. Offenkantige, ungefütterte Schaft-Verarbeitung

b. Schaft im Cutout-Schnitt / aus einem Stück Leder geschnitten

c. Zwischen Tieffußbett und Laufsohle gefasster Zwickeinschlag des Oberleders

d. Eckige Schnalle mit geprägtem C -Schriftzug sowie

e. Oberteil mit zwei breiten Riemen in Cut-out-Schnittführung für das Modell „B “

f. Asymmetrisch geformter Y-Schaft für das Modell H

g. Gegossener Zehensteg mit Niete für das Modell H

Dass gerade diese hervorgehobenen Gestaltungsmerkmale ausschließlich technisch bedingt oder sonst durch handwerkliche Regeln und Konventionen erzwungen sein sollten, ist nicht erkennbar. Die Schöpfung trägt eine persönliche Handschrift, die sich auch bei weiteren – hier nicht streitgegenständlichen – von L C geschaffenen Sandalenmodellen wiederfindet.

Keines der von der Verfügungsbeklagten als vorbekannt angeführten Sandalenmodelle Dritter entspricht in der konkreten Kombination der Gestaltungsmerkmale den Modellen „B “ und „H “ der Verfügungsklägerin. Die Modelle „B “ und „H “ heben sich demgegenüber von der Formensprache vorbekannter Sandalen – auch bereits zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung – ab.

Die als Beleg für eine vorbekannte gerade Sohleninnenkantenlinie angeführten antiken und traditionellen Sandalen:

[...]

verfügen jedenfalls nicht über ein Tieffußbett und zeichnen sich durch teils überbordende Ornamentik und Zierelemente aus, die schon dem schlichten, schnörkellosen Eindruck der Modelle der Verfügungsklägerin diametral entgegenstehen.

Die „C3 des Friedens-Sandale:

[...]

verfügt zwar über eine mit Velourleder ummantelte Sohlenbahn, die aber bereits optisch deutlich breiter und markanter ausfällt als bei „B “ und „H “, wo der bezogene Sohlenteil deutlich schmaler ausfällt als der unverkleidete Sohlenschnitt aus der Korkschrotmischung.

Bei den von der Verfügungsbeklagten eingewandten Fußgymnastik und Fussformsandalen:

[...]

lässt sich deren tatsächliches Aussehen und Gestaltung anhand der vorgelegten Katalogzeichnungen nicht eindeutig bestimmen. Die einschnallige Befestigungsvorrichtung weicht jedenfalls deutlich von den hier streitgegenständlichen Modellen „B “ und „H “ ab.

Gleiches gilt für die ornamentalistisch verzierten und an der Ferse geschlossenen WeekendSneaker:

[...]

und die kreuzriemengeschnürten Plastikfußbettsandalen:

[...]

Auch wenn diese über ein Naturkork-Fußbett oder eine Plastiksohle aus Korkschrot verfügen, haben die jeweiligen Gestalter völlig unterschiedliche Befestigungs- und Riemenkonstruktionen im Vergleich zu den Modellen der Verfügungsklägerin gewählt.

Der Umstand, dass sowohl die Sohlenschnitte den Sohlen antiker Sandalen entsprächen als auch der Velourlederbezug von Fußbrandsohlen sowie die Merkmale der Tieffußbettsohle aus Korkschrot mit Zehengreifer jeweils als Einzelelemente vorbekannt gewesen sein sollen, belegt nicht, dass die Kombination dieser Elemente, für deren Vorbekanntheit die Verfügungsbeklagte keine Anhaltspunkte liefert, bereits vorgegebenen Konventionen oder Regeln technischer respektive ästhetischer Art entsprochen hätte.

Gleichermaßen ist der von der Verfügungsbeklagten hervorgehobene Umstand, dass das Material Kork bereits für Schuhsohlen:

[...]

Verwendung fand und auch bei Sandalen eingesetzt wurde:

[...]

per se unbehelflich, da die angeführten Schuhmodelle sich in ihrem durch die Verwendung von Block- und Keilabsätzen geprägten Gesamteindruck deutlich von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen unterscheiden.

Die technischen Darstellungen aus der eingewandten Patentschrift Nr. 0000 vom 07.04.1942 (Anlage SSM21):

[...]

illustrieren ein von den streitgegenständlichen Sandalenmodellen deutlich abweichendes Fußbett. Ausweislich der Patentansprüche (Bl. 769 d.A.) handelt es sich um eine Sandale zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Fußes mit nach den Rändern zu abfallender Sohlenoberfläche und einem von dem Fersenende aus bis etwa zur Fußmitte parallel zur Sohlenunterseite verlaufenden Einschnitt oder entsprechenden Abstufungen, dadurch gekennzeichnet, dass für die Zehen ein vertieftes Bett in der Oberfläche der Sohle vorgesehen ist, welches, an der Zehenwurzel beginnend, eine steil nach unten abfallende Fläche aufweist. Die Sandale der Patentschrift sollte dadurch gekennzeichnet sein, dass für die Großzehe, den Ballen und die Ferse ein besonderes Bett vorgesehen ist. Weiterhin sollte die Sandale dadurch gekennzeichnet sein, dass die Sohlenoberfläche mit quer zur Fußrichtung verlaufenden Aufrauhungen versehen ist. Diese Betten sollten zwar in einem besonderen weichen Stoff, beispielsweise Kork, angebracht sein, welcher in die Sohle eingelassen ist. Die vorangegangene Beschreibung und die Zeichnung zeigen aber, dass es sich um eine gänzlich andere Ausformung der Sohle handelt als das typische C -Tieffußbett, dass bei den streitgegenständlichen Sandalen der Verfügungsklägerin Verwendung findet. Die innere Sohlenkannte ist zudem nicht gerade gehalten, sondern weist eine deutlich Krümmung auf. Eine Fersenmulde scheint nicht vorgesehen.

Für die Gebrauchsmusteranmeldung Anlage SSM22 (Bl. 771 ff. d.A.):

[...]

gelten vergleichbare Erwägungen. Die Neuerung sollte hier einen Zehengreifwulst für das Fußbett von Gymnastik-Sandalen betreffen, die aus einem einstückigen Schuhboden aus Holz, Kunststoff oder ähnlichem Material und einem einzigen Halteriemen etwa in der Gegend der Zehengrundgelenke des Fußes bestehen. Das Halten der Sandale am Fuß sollte hierbei nicht allein durch den einzigen, in der Gegend der Grundgelenke vorgesehenen Riemen gewährleistet werden, sondern vielmehr sollte es dazu einer zusätzlichen Greifbewegung und Greifkraft der Zehen gegen den vorderen Teil des Schuhbodens bedürfen. Durch das Greifen und Entspannen beim Aufsetzen des Fußes sollte eine ständige gymnastische Übung und daher eine günstige therapeutische Wirkung erzielt werden. Einen vergleichbaren Zehengreifwulst weisen die streitgegenständlichen Sandalen schon nicht auf und unterscheiden sich optisch deutlich von der Skizze der Gebrauchsmusteranmeldung.

Auch hinsichtlich des Befestigungssystems zeigt die Verfügungsbeklagte nicht auf, dass vorbekannte Gestaltungsmuster der Schutzfähigkeit der Sandalenmodelle „B “ und „H “ entgegenstehen würden.

Die von der Verfügungsbeklagten angeführten Drei- und Mehrbandsandalen weichen von den hier streitgegenständlichen Modellen deutlich ab:

[...]

Soweit C selbst Dreibandmodelle hergestellt hat, sind diese hier nicht streitgegenständlich.

Die von der Verfügungsbeklagten bemühten Zweibandmodelle sind weitestgehend gänzlich abweichend von den C -Modellen gestaltet:

[...]

Einzig ein Zweiriemen-Model der „sandali per l’uomo sportiva“:

[...]

kommt der Riemengestaltung des streitgegenständlichen Modells „B “ nahe, weist aber wiederum ein deutlich abweichendes Fußbett und eine stark unterschiedliche Sohle auf.

Schließlich vermag auch die vermeintliche Vorbekanntheit der T- respektive Y-Gestaltung des Sandalenmodells „H “ nicht zu belegen, dass hier kein Gestaltungsspielraum bestanden und von L C individuell-schöpferisch ausgefüllt worden wäre.

Die entgegengehaltenen altägyptischen Sandalentypen:

[...]

weisen zwar bereits die Typik auf, dass die Sandale hoch auf dem Rist durch eine Querbandage fest am Fuß gehalten wird. Keines der Beispiele vereint aber die Charakteristika der streitgegenständlichen Sandale „H “, da zumeist bereits das Fußbett, aber auch die Schnallenbindung abweichend gestaltet ist.

Nicht anders verhält es sich mit den moderneren Varianten, die zwar durchaus im Grundsatz vergleichbare Bindungsriemen, aber im Übrigen stark unterschiedliche Sohlenplastiken und Fußbettgestaltungen aufweisen:

[...]

oder aber eine abweichende Gestaltung mit Fersenriemen:

[...]

f) Subjektive Verlautbarungen der Verfügungsklägerin oder ihrer Rechtsvorgänger sind für die Beurteilung der eigenschöpferischen Qualität – wie aufgezeigt – unbeachtlich, wenn gleichwohl ein künstlerischer Gestaltungsspielraum bestand und im Rahmen des Schaffensprozesses genutzt wurde, auch wenn dies möglicherweise zunächst als rein handwerklich wahrgenommen wurde. Ein zusätzlicher Nachweis einer bestimmten Motivation des Schöpfers würde die Anforderungen an den Schutz eines Werkes der angewandten Kunst gegenüber einem solchen der bildenden Kunst erhöhen. Dies erscheint mit einem gleichrangigen Beurteilungsmaßstab kaum vereinbar. Die Aussage des Schöpfers L C , Mode habe ihn überhaupt nicht interessiert, gibt vor diesem Hintergrund keinen Anlass für eine abweichende Bewertung.

2. Die Verfügungsklägerin ist zur Geltendmachung der hier streitgegenständlichen urheberrechtlichen Ansprüche aktivlegitimiert.

a) Dazu hat sie durch Vorlage der Anlage ASt 8 (Bl. 161 f. d.A.) glaubhaft gemacht, dass der ehemalige Geschäftsführer und Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Verfügungsklägerin, Herr L C , allein verantwortlicher Gestalter und damit alleiniger Schöpfer der hier gegenständlichen Schuhmodelle war und alle damit zusammenhängenden Immaterialgüterrechte an die C Sales GmbH übertragen hat. Die weitere Übertragung von der C Sales GmbH auf die Verfügungsklägerin ist ebenfalls durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Legal Counsel IP der C Gruppe in Anlage ASt 6 (Bl. 157 d.A.) glaubhaft gemacht.

Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, weder aus dem Vortrag der Verfügungsklägerin noch aus den Feststellungen in der angegriffenen Beschlussverfügung sei erkennbar, ob Herr L C der weiteren Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte auf die Verfügungsklägerin gemäß § 34 Abs. 1 UrhG zugestimmt habe, dringt sie damit nicht durch.

In der Erklärung vom 05.11.2020 heißt es:

„Wir bestätigen uns wechselseitig dass alle etwaigen uns allen (zusammen oder einzelnen von uns) zustehenden Marken-, Design-, Patent-, Urheber- und sonstige Rechte des geistigen Eigentums an allen C -Produkten von jeher exklusiv der C Sales GmbH bzw. den jeweiligen Vorgängergesellschaften (wie etwa der C.B. Orthopädie GmbH und der C Orthopädie GmbH) übertragen wurden und die C -Gruppe daher ausschließlich legitimiert ist, Rechte hieran auszuüben und zu verwerten. Dies umfasst die, soweit noch nicht geschehen hiermit exklusiv der C GmbH & Co. KG eingeräumten, auf Dritte (weiter)übertragbaren, ausschließlichen sowie zeitlich, inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte, insbesondere entsprechende Produkte herzustellen, zu vervielfältigen, auf der gesamten Welt zu vertreiben, zu vermarkten sowie weiter zu entwickeln und zu bearbeiten. Selbstverständlich sind hiervon auch damals noch unbekannte Vertriebsformen und Nutzungsarten, wie bspw. der Online-Vertrieb, erfasst. Anderen Personen oder Unternehmen wurden keine Rechte an C -Produkten eingeräumt.“

Daraus geht hervor, dass die Weiterübertragung auf Dritte bereits von der ursprünglichen Rechteeinräumung an die C Sales GmbH umfasst war, so dass es jedenfalls keiner Zustimmung zur weiteren Übertragung an die Verfügungsklägerin durch L C bedurfte.

b) Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, es sei fraglich, ob es sich bei den streitgegenständlichen Modellen um die Sandalen handele, die von Herrn L C ursprünglich entworfen worden seien; es fehle an einer Darstellung der „Ur-Werke“, vermag dies keine erheblichen Zweifel an der Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin zu begründen. Nach dem von der Verfügungsbeklagten selbst vorgelegten und zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Gutachten Dr. O s wurde das streitgegenständliche Sandalenmodell „B “ im Jahr 0000 von der Fa. C in den Markt eingeführt, sowie das Modell „H “ im Jahr 0000. Grundlage für beide Modelle bilde die kurz nach 0000 durch D C entwickelte und seit 0000 – mit der Einbandsandale „N“ auf den Markt gebrachte – in Schuhen fest verbaute Korkinnensohle (vgl. Bl. 717 d.A.). Danach ergeben sich keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die ursprünglich hergestellten Sandalenmodelle in streiterheblichem Umfang von den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Modellen abwichen, und solche Anhaltspunkte werden von der Verfügungsbeklagten auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der Vortrag der Verfügungsklägerin deckt sich insoweit mit den Aussagen in den beiderseits vorgelegten Gutachten. Jedenfalls für den Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens besteht daher ein überwiegendes Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, dass die aktuell vorgelegten Modelle den ursprünglich hergestellten und vertriebenen Modellen entsprechen.

3. Der Vertrieb der angegriffenen, streitgegenständlichen Sandalenmodelle:
[...]

durch die Verfügungsbeklagte verletzt die ausschließlichen Verbreitungsrechte der Verfügungsklägerin aus § 17 Abs. 1 UrhG an den urheberrechtlich geschützten Sandalenmodellen „B “ und „H “. Die angegriffenen, von der Verfügungsbeklagten angebotenen Sandalen übernehmen sämtliche relevanten Gestaltungsmerkmale der Sandalenmodelle „B “ und „H “.

Die Abweichung zwischen den Sandalenmodellen der Verfügungsklägerin „B “ und „H “ und den angegriffenen Sandalenmodellen der Verfügungsbeklagten im Laufsohlenprofil führt nicht schon aus deren Schutzbereich heraus. Der neuartige Gesamteindruck der streitgegenständlichen Schuhmodelle „B “ und „H “ wird nach dem Vorgesagten nicht in einem Maße durch die Sohlengestaltung mitgeprägt, dass die Abweichung hiervon bei den angegriffenen Sandalenmodellen allein die im Wesentlichen fast identische Übereinstimmung in den übrigen, den Gesamteindruck maßgeblich prägenden Gestaltungsmerkmalen ausgleichen könnte.

4. Die für das Bestehen des Unterlassungsanspruchs erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch die vorangegangene Rechtsverletzung indiziert. Diese Gefahr kann grundsätzlich nur durch Abgabe einer geeigneten, strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung ausgeräumt werden. Eine solche hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.

II. Es besteht auch ein Verfügungsgrund.

1. Die Dringlichkeit wird im Urheberrecht – anders als im Lauterkeitsrecht nach § 12 Abs. 1 UWG – zwar nicht vermutet. Der Antragsteller hat vielmehr darzutun und gegebenenfalls glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO vorliegen und der Weg ins Hauptsacheverfahren unzumutbar ist (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Nürnberg GRUR-RR 2019, 64; OLG München BeckRS 2008, 42109). Bei einer fortbestehenden Rechtsverletzung wird sich die Dringlichkeit aber auch ohne Vermutung des § 12 Abs. 1 UWG in der Regel aus der Lage des Falles selbst ergeben (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2021, 431 f.; OLG Köln, BeckRS 2016, 09601; OLG München BeckRS 2008, 42109; GRUR 2007, 184; OLG Köln, WRP 2014, 1085). So liegt der Fall hier. Die Rechtsverletzung dauert noch an.

2. Soweit die Verfügungsbeklagte geltend macht, die Verfügungsklägerin versuche erst in jüngerer Zeit, auf Grundlage urheberrechtlicher Vorschriften gegen Konkurrenzprodukte vorzugehen, so steht dies der Dringlichkeit nicht entgegen. Der Anspruchsteller ist zunächst frei darin, auf welche Rechtsgrundlagen er sich beruft und mögen hier auch taktische Erwägungen – etwa aufgrund von Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – eine Rolle spielen. Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin zunächst gegen ein an den Endverbraucher gerichtetes Angebot im Onlineshop der P C1G GmbH & Co. KG vorgegangen ist, und nicht unmittelbar gegen den Hersteller, ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Dafür, dass die Verfügungsklägerin sicher wusste, dass die streitgegenständlichen Sandalen von der Verfügungsbeklagten für P produziert wurden, bestehen keine aktenkundigen Anhaltspunkte. Es war der Verfügungsklägerin also nicht verwehrt, zunächst einen Testkauf zu lancieren und Auskunft über den Lieferanten zu begehren. Für ihre Vermutung, dass die Verfügungsklägerin weit länger als einen Monat vor der Abmahnung vom 12.10.2021 bereits Kenntnis von der Verfügungsbeklagten als Hersteller der angegriffenen Sandalen hatte respektive hätte haben müssen, bestehen keine handfesten Anhaltspunkte. Eine generelle Marktbeobachtungspflicht des Antragstellers besteht auch im Urheberrecht nicht (Rojahn/Rektorschek, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrecht, 3. Aufl. 2021, § 98, Rn. 20).

Die Verfügungsklägerin hat durch eidesstattliche Versicherung ihres Legal Counsel IP vom 22.10.2021 (Anlage ASt 6) glaubhaft gemacht, Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung erstmals am 24.09.2021 erlangt zu haben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 22.10.2021 bei Gericht eingegangen. Die Verfügungsbeklagte zeigt keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass tatsächlich bereits zuvor Kenntnis vorlag, ebenso wenig ist dargetan, dass und weshalb die Verfügungsklägerin bereits zuvor Kenntnis von dem Herstellerhinweis auf den Kartons der angegriffenen Sandalen genommen haben sollte. Dafür, dass die Verfügungsklägerin im vorliegenden Fall zugewartet hätte, während sie gegen Dritte unmittelbar vorging, fehlen ebenso konkrete Anhaltspunkte.

3. Schließlich fällt auch eine Interessenabwägung nicht dergestalt zu Gunsten der Verfügungsbeklagten aus, dass ein Verfügungsgrund hier zu verneinen wäre.

a) Die einstweilige Verfügung muss notwendig sein, um wesentliche Nachteile in Bezug auf das Rechtsverhältnis abzuwenden oder um die Vereitelung bzw. wesentliche Erschwerung der Rechtsverwirklichung zu verhindern. Hierauf kann auch bei (vermeintlich) einfach festzustellenden Rechtsverletzungen nicht verzichtet werden. Dies setzt nicht nur eine Dringlichkeit im zeitlichen Sinne, sondern grundsätzlich auch eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Antragstellers und den schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners voraus. Im Rahmen der Interessensabwägung ist eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Einerseits ist zu fragen, welche Folgen beim Antragsteller eintreten, wenn die einstweilige Verfügung nicht erlassen wird. Hierbei steht im Vordergrund, welche konkreten (wirtschaftlichen) Nachteile dem Antragsteller (nicht einem Dritten) aus der Rechtsverletzung bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache erwachsen, ob diese Nachteile bzw. Schäden nachträglich angemessen kompensiert werden können und wann mit einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu rechnen ist. Andererseits sind die Folgen, die auf den Antragsgegner bei Erlass der einstweiligen Verfügung zukommen, zu berücksichtigen. Bei der Interessensabwägung sind überdies das Verhalten der Parteien und der Umstand in Rechnung zu stellen, dass es sich bei dem einstweiligen Verfügungsverfahren um ein summarisches Verfahren handelt, das nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stellt. Je stärker der Eingriff in die Rechtspositionen des Antragsgegners ist, desto sicherer muss festgestellt werden und desto schwerer müssen die Gründe wiegen, die für den Erlass der einstweiligen Verfügung sprechen (Voß, in: Cepl/Voß Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl. 2018, § 940 ZPO, Rn. 64).

b) Ein Überwiegen der Interessen der Verfügungsbeklagten im vorstehenden Sinne kann die Kammer hier nicht erkennen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsbeklagte durch das Verbot im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits einen Schaden erlitte, der auch im Falle eines späteren abweichenden Ausgangs des Hauptsacheverfahrens nicht mehr – nach § 945 ZPO – kompensiert werden könnte und etwa existenzgefährdend wäre, ist nichts dargetan. Dass die Verfügungsbeklagte ihrer Geschäftstätigkeit durch das Verbot nicht mehr nachgehen könnte oder darin durch das Verbot ganz erheblich eingeschränkt wäre, ist nichts ersichtlich. Soweit die Verfügungsbeklagte auf eine etwaig zu leistende nachträgliche Kompensation gegenüber der Verfügungsklägerin hinweist, macht sie ebenfalls nicht geltend, dass diese eine existenzbedrohende Größenordnung erreichen könnte.

Ein Vertrauensschutz in eine bestimmte Rechtsprechung besteht für Wettbewerber ebenfalls nicht. So konnten konkurrierende Anbieter von Sandalen nicht darauf vertrauen, dass die Verfügungsklägerin nach dem erfolglosen Versuch, in der Vergangenheit auf lauterkeitsrechtlicher Grundlage gegen Nachahmungen vorzugehen, sich damit dauerhaft zufrieden geben und auch von der Rechtsdurchsetzung mittels urheberrechtlicher Ansprüche Abstand nehmen würde. Vielmehr steht es jedem Rechteinhaber selbstverständlich offen, Spielräume, die sich durch Entwicklungen in einem Rechtsgebiet – hier namentlich die unionsrechtliche Ausformung des Werkbegriffs durch den EuGH und die dadurch angestoßene Diskussion in Rechtsprechung und Lehre – eröffnen, auch nach einem Unterliegen vor Gericht zukünftig für sich zu nutzen. Dies kann weder die Annahme einer Verwirkung rechtfertigen, noch konnten andere Marktteilnehmer nach einer für die Verfügungsklägerin abschlägigen erstinstanzlichen Entscheidung einen „relevanten Besitzstand“ erwerben, der sie gegenüber einer Inanspruchnahme auf urheberrechtlicher Grundlage „absichern“ würde.

Zur effektiven Rechtsdurchsetzung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums ist die Erlangung von einstweiligem Rechtsschutz auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Werkes – hier im Bereich der angewandten Kunst – und damit der langfristige Rechtsbestand höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: