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BGH legt EuGH Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff im Rechtsstreit um das USM Haller Möbelsystem zur Vorabentscheidung vor

BGH
Beschluss vom 21.12.2023
I ZR 96/22


Der BGH hat dem EuGH Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff im Rechtsstreit um das USM Haller Möbelsystem zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum urheberrechtlichen Werkbegriff
vor

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen vorgelegt, mit denen der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelte Begriff des urheberrechtlich geschützten Werks weiter geklärt werden soll.

Sachverhalt:

Die in der Schweiz ansässige Klägerin ist Herstellerin eines von ihr unter der Bezeichnung "USM Haller" seit Jahrzehnten vertriebenen modularen Möbelsystems, bei dem hochglanzverchromte Rundrohre mittels kugelförmiger Verbindungsknoten zu einem Gestell zusammengesetzt werden. In das Gestell können verschiedenfarbige Verschlussflächen aus Metall (sogenannte Tablare) eingesetzt werden. Die so geschaffenen Korpusse können beliebig kombiniert und über- oder nebeneinander angebaut werden.

Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, bietet über ihren Online-Shop Ersatzteile und Erweiterungsteile für das USM Haller Möbelsystem an, die in der Form und überwiegend auch in der Farbe den Original-Komponenten der Klägerin entsprechen. Nachdem sich die Beklagte zunächst - von der Klägerin nicht beanstandet - auf das reine Ersatzteilgeschäft beschränkt hatte, nahm sie in den Jahren 2017/2018 eine Neugestaltung ihres Online-Shops vor, in dem sämtliche Komponenten aufgelistet werden, die für den Zusammenbau vollständiger USM Haller Möbel erforderlich sind. Die Beklagte bietet ihren Kunden einen Montageservice an, bei dem die gelieferten Einzelteile beim Kunden zu einem vollständigen Möbelstück zusammengefügt werden.

Die Klägerin ist der Ansicht, bei dem USM Haller Möbelsystem handele es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst, jedenfalls aber um ein lauterkeitsrechtlich gegen Nachahmung geschütztes Leistungsergebnis. Sie sieht in der Neugestaltung des Online-Shops eine neue Ausrichtung des Geschäftsmodells der Beklagten, die darauf abziele, nicht mehr nur Ersatzteile für das Möbelsystem der Klägerin anzubieten, sondern ein eigenes Möbelsystem herzustellen, anzubieten und zu vertreiben, das mit ihrem Möbelsystem identisch sei.

Die Klägerin hat die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, den Ersatz von Abmahnkosten und die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Sie stützt ihre Klageanträge in erster Linie auf Urheberrecht, hilfsweise auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage aus Urheberrecht überwiegend stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat dagegen urheberrechtliche Ansprüche abgelehnt und lediglich Ansprüche aus Wettbewerbsrecht zuerkannt.

Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, dass es sich bei dem USM Haller Möbelsystem nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG handele. Es erfülle nicht die vom Gerichtshof der Europäischen Union in seiner jüngeren Rechtsprechung gestellten Anforderungen an ein Werk, weil seine Gestaltungsmerkmale - auch nach dem von ihnen vermittelten Gesamteindruck - nicht Ausdruck freier kreativer Entscheidungen seien.

Die von der Klägerin erhobenen Ansprüche seien aber unter dem Gesichtspunkt des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes begründet. Das USM Haller Möbelsystem habe wettbewerbliche Eigenart, weil seine Gestaltungsmerkmale nach ihrem Gesamteindruck auf die Klägerin als Herstellerin hinwiesen. Das Angebot der Beklagten sei gemäß § 4 Nr. 3 Buchst. a UWG unlauter, weil es die Abnehmer in vermeidbarer Weise über die betriebliche Herkunft der angebotenen Produkte täusche.

Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin verfolgt ihre vom Oberlandesgericht abgewiesenen urheberrechtlichen Ansprüche weiter. Die Beklagten erstreben die vollständige Abweisung der Klage.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Auslegung des in Art. 2 Buchst. a, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft enthaltenen Begriffs des Werks vorgelegt. Die richtige Auslegung ist mit Blick auf das beim Gerichtshof der Europäischen Union zum Aktenzeichen C-580/23 anhängige Vorabentscheidungsersuchen des schwedischen Berufungsgerichts für Patente und Märkte ("Svea hovrätt"), das gleichfalls Fragen zum Werkbegriff aufwirft, nicht derart offenkundig, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt.

Zunächst soll durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt werden, ob das Berufungsgericht mit Blick auf den für Werke der angewandten Kunst ebenfalls in Betracht kommenden Schutz als Geschmacksmuster oder Design zutreffend von einem Ausnahmecharakter des Urheberrechtsschutzes mit der Folge ausgegangen ist, dass bei der Prüfung der urheberrechtlichen Originalität dieser Werke höhere Anforderungen an die freie kreative Entscheidung des Schöpfers zu stellen sind als bei anderen Werkarten.

Fraglich ist außerdem, ob bei der urheberrechtlichen Prüfung der Originalität (auch) auf die subjektive Sicht des Schöpfers beim Schöpfungsprozess abzustellen ist und er insbesondere die kreativen Entscheidungen bewusst treffen muss oder aber ob es auf einen objektiven Maßstab ankommt.

Ferner ist bislang nicht eindeutig geklärt, ob bei der Beurteilung der Originalität nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der Gestaltung eingetretene Umstände herangezogen werden können, wie etwa die Präsentation der Gestaltung in Kunstausstellungen oder Museen oder ihre Anerkennung in Fachkreisen.

Vorinstanzen:

LG Düsseldorf - Urteil vom 14. Juli 2020 - 14c O 57/19

OLG Düsseldorf - Urteil vom 2. Juni 2022 - 20 U 259/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: (…)

4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; (…)

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

Art. 2 Buchst. a Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen für die Urheber in Bezug auf ihre Werke das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten.

Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2001/29/EG

Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.


LG Frankfurt: Kunstfreiheit kann Aufgreifen charakteristischer Merkmale markenrechtlich geschützter weltweit bekannter Luxushandtaschen durch fremdes Modelabel rechtfertigen

LG Frankfurt
Beschluss vom 19.09.2023 - 2-06 O 532/23
und
Beschluss vom 19.09.2023 - 2-06 O 533/23

Das LG Frankfurt hat entschieden, dass die Kunstfreiheit das Aufgreifen charakteristischer Merkmale markenrechtlich geschützter und weltweit bekannter Luxushandtaschen durch ein fremdes Modelabel rechtfertigen kann.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kunstfreiheit zieht - Markenrechtlicher Schutz von Luxus-Handtaschen
Eine für das Markenrecht zuständige Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat Eilanträge der Herstellerin einer markenrechtlich geschützten und weltweit bekannten Luxus-Handtasche zurückgewiesen.

Ein Berliner Modelabel stellt unter anderem Kleider, Röcke, Tops und Taschen her, die charakteristische Merkmale der besagten Luxus-Handtasche aufweisen. Das Label führte diese Modekreationen auf einer Fashionshow vor und bewarb die dortigen Darbietungen im Internet sowie auf sozialen Netzwerken.

Die Herstellerin der Luxus-Tasche hat vor dem Landgericht Frankfurt am Main verlangt, dem Berliner Modelabel diese Darstellungen zu untersagen. Die Designerinnen des Berliner Labels haben sich demgegenüber auf ihre Kunst- und Meinungsfreiheit berufen. Ihre Modekreationen, in denen die prägenden Merkmale der Luxus-Handtasche aus dem Modekonzern der Antragstellerin gespiegelt werden, seien Teil einer Inszenierung. Es solle damit unter anderem auf weibliche Klischees hingewiesen werden, wonach sich Frauen diese Luxus-Handtaschen von sog. „Sugar Daddys“ schenken ließen. Die Akzeptanz dieses Vorurteils sei eine Form von Feminismus.

Die Kammer des Landgerichts Frankfurt am Main entschied in zwei Beschlüssen vom 19.09.2023, die Antragstellerin könne sich nicht mit Erfolg auf europäischen Markenrechtsschutz berufen.

Es sei im vorliegenden Fall eine Abwägung erforderlich zwischen dem Eigentumsrecht der Herstellerin der Luxus-Handtasche und der Kunstfreiheit der Antragsgegnerin. „Auch die Beschäftigung mit einer Marke kann von der Kunstfreiheit erfasst sein“, so die Richterinnen und Richter. Und weiter: „Das in der Kunstfreiheit wurzelnde Interesse der Antragsgegnerin an der Darbietung ihrer Fashionshow überwiegt im vorliegenden Fall“.

Die Antragsgegnerin wolle mit ihren Kleidern und Taschen darauf hinweisen, dass Frauen von Männern zum Objekt degradiert und als gesellschaftliche Accessoires angesehen würden. Nach ihrer Ansicht würden sich Frauen emanzipieren, indem sie genau diese Rolle einnähmen. Sie würden Männer als „menschliche Bank“ für ihre Zwecke nutzen, wenn sie sich von ihnen Luxus-Taschen schenken ließen. „In dieser überspitzten gesellschaftlichen Darstellung tragen Frauen die Kleidungsstücke, die an die Luxus-Tasche der Antragstellerin erinnern, in aufreizender und lasziver Art an der Grenze zu Kitsch und Geschmacklosigkeit. (…) Hierbei ist das Spiel zwischen primitiver Direktheit und ultimativen Luxusgütern essenzieller Bestandteil der Darbietung“, erklärte die Kammer in ihrem Beschluss.

„Auch wird die Marke der Antragstellerin nicht verunglimpft oder herabgesetzt. Vielmehr dient sie als ein gesellschaftlich angestrebter Bezugspunkt von Luxusgütern“, stellten die Richter weiter fest. Die Anlehnung an die Luxus-Handtasche der Antragstellerin sei dabei nur ein Teil der gesamten Inszenierung.

Die Entscheidungen sind rechtskräftig. Die Aktenzeichen der Beschlüsse vom 19.9.2023 lauten 2-06 O 532/23 und 2-06 O 533/23.


Den Volltext der Entscheidung 2-06 O 533/23 finden Sie hier:


OLG München: Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" ist unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz"

OLG München
Beschluss vom 12.07.2022
29 W 739/22


Das OLG München hat entschieden, dass die Flaschengestaltung des Lidl "Premium Spritz" eine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 UWG zu (b) der Flaschengestaltung des "Chandon Garden Spritz" darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen hat Erfolg.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus Art. 4 Abs. 1 EuGVVO, weil der Sitz der Antragsgegnerinnen in Deutschland liegt.

2. Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSd § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit begehrt wird, es „zu unterlassen, schaumweinhaltige Getränke anzubieten, zu bewerben und zu vertreiben und/oder die vorgenannten Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wenn diese wie (…) abgebildet aufgemacht sind“ [Unterstreichung nur hier zur Verdeutlichung], versteht der Senat den Antrag dahin, dass die Handlungsformen „anbieten“, „bewerben“ und „vertreiben“ in einem Alternativverhältnis zueinander stehen, wie dies üblicherweise durch die Wahl der Formulierung „und/oder“ zum Ausdruck gebracht wird. Auch mit Blick auf die Antragsbegründung kann der Antrag nur so verstanden werden, dass er sich auch gegen das isolierte Anbieten, das isolierte Bewerben und das isolierte Vertreiben des so aufgemachten Produktes richtet.

3. Wettbewerbsstatut ist nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO deutsches Recht, weil nach dem Vortrag der Antragstellerinnen die Wettbewerbsbeziehungen in Deutschland beeinträchtigt werden.

4. Die Antragstellerin zu 1 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF (a)). Ihr steht als Herstellerin des Verfügungsprodukts der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz gem. § 4 Nr. 3 UWG zu (b)).

a) Die Antragstellerin zu 1 erfüllt die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.

aa) Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 I Nr. 3 UWG ist gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen mit der Folge, dass das konkret beanstandete Wettbewerbsverhalten des einen Wettbewerbers den anderen beeinträchtigen, dh im Absatz behindern oder stören kann (vgl. BGH, GRUR 2014, 1114 Rn. 24 mzN - nickelfrei). Dafür ist nicht Voraussetzung, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe tätig sind, solange sie letztlich gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen (vgl. BGH, GRUR 2016, 828 Rn. 19 f. mzN - Kundenbewertung im Internet). Deshalb besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Hersteller einer Ware nicht nur gegenüber anderen Herstellern gleichartiger Waren wie hier der Antragsgegnerin zu 2, sondern auch gegenüber anderen Händlern gleichartiger Waren wie der Antragsgegnerin zu 1, selbst wenn der Hersteller - wie hier in Bezug auf den deutschen Markt - nur über konzernangehörige Gesellschaften vertreibt. Durch eine etwaige unlautere Nachahmung würde auch die Möglichkeit der Antragstellerin zu 1 beeinträchtigt, die von ihr hergestellten Erzeugnisse über ihre Schwestergesellschaften an Endverbraucher zu verkaufen (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 21 - Kundenbewertung im Internet). Entscheidend ist allein, ob die fraglichen Waren mittelbar oder unmittelbar letztlich für Endverbraucher bestimmt sind (vgl. BGH GRUR 2016, 828 Rn. 23 - Kundenbewertung im Internet).

bb) Nach diesen Grundsätzen muss auch für die Erheblichkeit der Markttätigkeit in Deutschland iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF für einen Hersteller mit Sitz im Ausland wie die Antragstellerin zu 1 ein diesen Anforderungen entsprechender Vertrieb in Deutschland über eine Tochter- bzw. Schwestergesellschaft genügen.

cc) Es ist mit der eidesstattlichen Versicherung gemäß Anlage vom 29.04.2022 (AST 12) über den Verkauf von über 175.000 Flaschen des „Chandon Garden Spritz“ an Endkunden in Deutschland und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich auch glaubhaft gemacht, dass die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF erforderliche Schwelle eines Vertriebs in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich überschritten ist.

b) Der Antragstellerin zu 1) steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen unlauterer Nachahmung nach § 4 Nr. 3 lit a) iVm § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im weiteren Sinne zu. Das Verfügungsprodukt „Chandon Garden Spritz“ verfügt in seiner gestalterischen Aufmachung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart. Das angegriffene Produkt „Premium Spritz“ stellt eine nachschaffende Nachahmung dar. Es führt insofern zu einer Herkunftstäuschung, als die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, es handele sich um eine rustikale Variante des Originalprodukts, die von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch verbundenen Unternehmen stammt, weil ein Teil von Gestaltungsmerkmalen, die die wettbewerbliche Eigenart des Originalprodukts prägen, übernommen werden und jegliche abgrenzende Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion auf dem Nachahmungsprodukt fehlt.

aa) Als Herstellerin ist die Antragstellerin aktivlegitimiert für Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz.

bb) Der Vertrieb einer Nachahmung kann nach § 4 Nr. 3 UWG wettbewerbswidrig sein, wenn das nachgeahmte Produkt wettbewerbliche Eigenart aufweist und besondere Umstände - wie eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft (Buchst. a) oder eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (Buchst. b) - hinzutreten, aus denen die Unlauterkeit folgt. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme sind, desto geringere Anforderungen sind an die besonderen Umstände zu stellen, die die Unlauterkeit der Nachahmung begründen und umgekehrt (stRspr. BGH; vgl. BGH GRUR 2021, 1544 Rn. 15 mzN - Kaffeebereiter; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 9 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2016, 730 Rn. 31- Herrnhuter Stern). Abzustellen ist auf die Sicht der angesprochenen Verkehrskreise, das sind hier die Durchschnittsverbraucher. Der Senat kann aufgrund eigener Sachkunde beurteilen, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Vergleichsprodukte wahrnehmen, da die Mitglieder des erkennenden Senats zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und ständig mit Wettbewerbssachen befasst sind (vgl. BGH GRUR 2004, 244, 245 - Marktführerschaft; GRUR 2014, 682 Rn. 29 - Nordjob-Messe).

cc) Das Produkt „Chandon Garden Spritz“ weist in seiner Produktgestaltung eine durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart auf.

(1) Ein Erzeugnis besitzt wettbewerbliche Eigenart, wenn nach der Verkehrsanschauung die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale des Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen. Ein Erzeugnis hat keine wettbewerbliche Eigenart, wenn der angesprochene Verkehr die prägenden Gestaltungsmerkmale des Erzeugnisses nicht einem bestimmten Hersteller oder einer bestimmten Ware zuordnet. Für die wettbewerbliche Eigenart kommt es zwar nicht darauf an, dass der Verkehr den Hersteller der Ware namentlich kennt; erforderlich ist aber, dass der Verkehr annimmt, die Ware stamme von einem bestimmten Hersteller, wie auch immer dieser heißen möge, oder sei von einem mit diesem verbundenen Unternehmen in Verkehr gebracht worden (vgl. BGH GRUR 2006, 79 Rn. 36 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 23 u. 32 - Gartenliege; BGH GRUR 2015, 909 Rn. 11 - Exzenterzähne; BGH GRUR 2018, 311 Rn. 14 - Handfugenpistole). Wettbewerbliche Eigenart setzt nicht Neuheit oder Bekanntheit des Produkts voraus (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 - Gebäckpresse; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.24). Die eine wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale bestimmen nicht nur den wettbewerbsrechtlichen Schutzgegenstand und seinen Schutzumfang, sondern sind auch für die Feststellung einer Verletzungshandlung maßgeblich (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 21 - Flying V).

(2) Hieran gemessen verfügt das Produkt „Chandon Garden Spritz“ in seiner Produktgestaltung über durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart.

(a) Nach Darlegung der Antragstellerinnen zeichne sich die Produktaufmachung insbesondere aus durch
- eine dunkle, für Schaumweine typische Schaumweinflasche mit einem Korken;
- eine beigefarbene Banderole am Flaschenhals mit orangefarbener Umrandung;
- ein vorne mittig auf der Flasche angebrachtes, unregelmäßig ovales Etikett mit beiger Hintergrundfarbe;
- das eine orangefarbene Umrandung mit weißen Textelementen aufweist;
- zentral die naturgetreue Abbildung von Orangen mit Blatt enthält;
- das mittig durch einen vertikal verlaufenden gelben Streifen durchzogen wird;
- bei dem der gelbe Streifen in Teilen transparent wirkt und die Motive im Hintergrund durchscheinen lässt;
- auf dem im gelben Streifen in vertikaler Richtung von unten nach oben verlaufend ein dreidimensional anmutender und haptisch hervorgehobener goldener Schriftzug mit der Produktkennzeichnung aufgebracht ist.

Im maßgeblichen Gesamteindruck kombiniere der „Chandon Garden Spritz“ in einzigartiger Weise die klassische Produktaufmachung hochwertiger Schaumweine mit in Farbe und Form markanten Gestaltungselementen (insbesondere vertikaler, teilweise transparent anmutender Streifen über das Etikett, orange Farbtöne, als Relief aufgebrachte, spürbare und dreidimensional wirkende Schrift in vertikaler Anordnung) sowie der zentralen Abbildung von Orangen auf dem Etikett, und hebe sich dadurch auch im Gesamteindruck deutlich von anderen Schaumweinen ab, ebenso hebe sich das Produkt dadurch von dem bisher auf dem Markt existierenden „Spritz“- Produkten deutlich ab.

(b) Nach Ansicht des Senats wird der Gesamteindruck des Verfügungsprodukts geprägt durch das Erscheinungsbild einer luxuriös gestalteten Schaumweinflasche mit Korken mit goldfolienumwickeltem Flaschenhals und einer optisch dominierenden vertikal vom Flaschenhals ab über den Flaschenkörper bis kurz über dem Flaschenboden gelegten gelbfarbigen Banderole, auf der markant die Aufschrift „CHANDON“ in großen goldfarbenen und reliefartig gestalteten Lettern hervorsticht. Die Banderole läuft auch über ein ovales in weißbeige und orangefarbenen Tönen gehaltenes Etikett mit orangefarbener Umrandung und auf weißbeigem Hintergrund in kräftigem Orange gemalten durch den Schriftzug durchscheinenden Orangen. Besonders dominant und ins Auge fallend ist die gelbe Banderole mit der großen Goldaufschrift CHANDON. Mitprägend ist auch das orangeumrandete ovalförmige Etikett mit dem Motiv der in kräftigem Orange gemalten Orangen auf weißbeigem Hintergrund. Mitbestimmend für den Gesamteindruck ist schließlich auch die farbliche Dominanz von Orange-, Gelb- und Goldtönen auf einer Schaumweinflasche.

(c) Vom Marktumfeld anderer Flaschen mit Spritz- bzw. (Schaum-)Weinmischgetränken, zu dem beide Seiten vorgetragen und Abbildungen vorgelegt haben (Anlage AST 8, A2. AG 5, Anlage SPB 1), hebt es sich durch das Zusammenspiel dieser Gestaltungsmerkmale derart ab, dass eine originär durchschnittliche wettbewerbliche Eigenart anzunehmen ist. Dies gilt auch im Verhältnis zum Marktumfeld von Schaumweinflaschen (vgl. A2. AG 6 und Abbildungen Rn. 21 im Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 1 vom 01.07.2022). Es kann daher offenbleiben, ob das relevante Marktumfeld aus Spritzgetränken und diese wiederum inklusive oder exklusive der Spritzgetränke auf Weinbasis und/oder anderen Schaumweinmischgetränken besteht und ob auch Schaumweine an sich dazu zählen. Unerheblich für die wettbewerbliche Eigenart der Produktaufmachung ist die Frage., ob es bereits vor dem „Chandon Garden Spritz“ ein Schaumweinmischgetränk mit Orange gab (vgl. Anlage SPB 1).

(d) Der Grad der dem Produkt von Haus aus zukommenden wettbewerblichen Eigenart und die Angaben der Antragstellerin zur Marktpräsenz, zu den Verkaufszahlen, zum Marketingaufwand und zur Medienpräsenz genügen hingegen nicht, um bereits gut ein Jahr nach Markteinführung eine erhöhte wettbewerbliche Eigenart anzunehmen.

dd) Die Produktgestaltung des angegriffenen Produkts „Premium Spritz“ der Antragsgegnerinnen stellt eine nachschaffende Nachahmung des „Chandon Garden Spritz“ dar.

(1) Eine Nachahmung setzt voraus, dass das Produkt oder ein Teil davon mit dem Originalprodukt übereinstimmt oder ihm zumindest so ähnlich ist, dass es sich nach dem jeweiligen Gesamteindruck in ihm wiedererkennen lässt. Dabei müssen die übernommenen Gestaltungsmittel diejenigen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des nachgeahmten Produkts begründen (BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Aufgrund der Merkmale, die die wettbewerbliche Eigenart ausmachen, muss der Grad der Nachahmung festgestellt werden. Bei einer (nahezu) unmittelbaren Übernahme sind geringere Anforderungen an die Unlauterkeitskriterien zu stellen als bei einer lediglich nachschaffenden Übernahme (stRspr; vgl. nur BGH GRUR 2017, 79 Rn. 64 - Segmentstruktur mwN). Eine nahezu identische Nachahmung liegt vor, wenn nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse die Nachahmung nur geringfügige Abweichungen vom Original aufweist; eine nachschaffende Übernahme ist demgegenüber gegeben, wenn die fremde Leistung lediglich als Vorbild genutzt wird und eine bloße Annäherung an das Originalprodukt festzustellen ist (BGH GRUR 2018, 832 Rn. 50 - Ballerinaschuh mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 38 - Flying V). Die Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Erzeugnisse ist aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise nach ihrem Gesamteindruck zu beurteilen, wobei es weniger auf die Unterschiede und mehr auf die Übereinstimmungen der Produkte ankommt, weil der Verkehr diese erfahrungsgemäß nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sofern sie nicht unmittelbar nebeneinander vertrieben werden, sondern seine Auffassung aufgrund eines Erinnerungseindrucks gewinnt, in dem die übereinstimmenden Merkmale stärker hervortreten als die unterscheidenden (BGH GRUR 2017, 1135 Rn. 29 - Leuchtballon mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 40 - Flying V).

(2) Angesprochene Verkehrskreise sind die Durchschnittsverbraucher. Es ist davon auszugehen, dass es auf das Erinnerungsbild ankommt, da die Vergleichsprodukte üblicherweise nicht nebeneinander in denselben Geschäften vertrieben werden. Das angegriffene Produkt wird in Lidl-Discount-Filialen vertrieben. Das Verfügungsprodukt wird nach den glaubhaft gemachten Antragstellerangaben (Anlage AST 12) im „gehobenen Lebensmitteleinzelhandel“, ua bei Feinkost Käfer, Dallmayr, Edeka Simmel, der Kadewe Group, Galeria und Metro sowie im spezialisierten Online-Handel (vgl. Screenshots Anlage AST 13 und Anlage AST 9) vertrieben.
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(3) Eine identische oder nahezu identische Nachahmung scheidet vorliegend aus, weil sich der Gesamteindruck der Vergleichsprodukte - auch nach dem unvollkommenen Erinnerungsbild - über geringfügige Abweichungen hinaus unterscheidet. Insbesondere ist der Flaschenhals gänzlich abweichend gestaltet: Anstelle der den kompletten Flaschenhals bedeckenden luxuriös wirkenden Goldfolienumwicklung des Verfügungsprodukts finden sich beim angegriffenen Produkt nur zwei helle Papieretiketten und vom Glas des Flaschenhalses bleibt ein erheblicher Teil sichtbar, sodass der Flaschenhals des angegriffenen Produkts gänzlich anders, nämlich schlicht und rustikal wirkt. Auch die besonders charakteristische über den gesamten Flaschenkörper vertikal gelegte gelbfarbene Banderole mit dem Aufdruck in Goldlettern findet sich auf dem angegriffenen Produkt lediglich über das Etikett in der Mitte des Flaschenkörpers gelegt. Diese Unterschiede verhindern auch bei dem unvollkommenen Erinnerungsbild des Betrachters, dass eine Identität oder Fast-Identität angenommen werden könnte.

(4) Es liegt allerdings eine nachschaffende Nachahmung vor, weil das angegriffene Produkt einige, die wettbewerbliche Eigenart der Gestaltung des „Chandon Garden Spritz“ prägende Gestaltungselemente, wenn auch mit nicht zu verkennenden Abweichungen, übernimmt. Dies ist vor allem die gelbfarbene vertikal verlaufende Banderole mit einem Aufdruck in reliefartig gestalteten Goldlettern. Zwar liegt diese auf dem angegriffenen Produkt nur über dem Etikett und nicht wie beim Original sowohl über dem Etikett als auch über dem gesamten Flaschenkörper. Sie fällt aber gleichwohl an der prominenten Stelle über dem Etikett markant ins Auge, weist einen ebenfalls kräftigen Gelbton und ebenso eine markante in reliefartig gestalteten großen Goldlettern gehaltene Aufschrift auf und lässt die auf dem Etikett abgebildeten Orangen durchscheinen. Übernommen ist auch die den Gesamteindruck und die wettbewerbliche Eigenart mitprägende Farbgebung in Bezug auf die Farben Orange und Gelb, die auch im Farbton jeweils sehr nahekommen, nur der Goldton fehlt. Übernommen sind auch Gestaltungsmerkmale des Etiketts: die orangefarbene Umrandung, die Abbildung von Orangen auf hellem weißbeige gehaltenem Hintergrund, auch wenn die Etikettenform (rautenförmig) und die Abbildung der Orangen (nur die Struktur skizzierend) abweichen. Alles in allem ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass auf das unvollkommene Erinnerungsbild des Verkehrs abzustellen ist, der die Produkte nicht unmittelbar nebeneinander vergleicht, so dass den Übereinstimmungen ein stärkeres Gewicht zukommt als den Unterschieden, eine Übernahme einiger prägender Gestaltungsmerkmale und eine Annäherung an das als Vorbild dienende Originalprodukt zu erkennen.

ee) Unter Gesamtwürdigung der durchschnittlichen wettbewerblichen Eigenart des Originalprodukts und des Grads der Nachahmung sowie der glaubhaft gemachten hinreichenden Bekanntheit bei nicht unerheblichen Teilen des angesprochenen Verkehrs liegt angesichts einer fehlenden abweichenden Kennzeichnung mit Herkunftsfunktion eine vermeidbare Täuschung über die betriebliche Herkunft im weiteren Sinne nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG vor.

(1) Nach § 4 Nr. 3 lit. a UWG handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft herbeiführt. Dabei ist zwischen einer unmittelbaren Herkunftstäuschung und einer mittelbaren Herkunftstäuschung (einer Herkunftstäuschung im weiteren Sinne) zu unterscheiden. Eine unmittelbare Herkunftstäuschung liegt vor, wenn die angesprochenen Verkehrskreise annehmen, bei der Nachahmung handele es sich um das Originalprodukt. Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN; BGH GRUR 2022, 160 Rn. 46 - Flying V). Voraussetzung hierfür ist auch, dass das Erzeugnis bei nicht unerheblichen Teilen der angesprochenen Verkehrskreise eine solche Bekanntheit erreicht haben muss, dass sich in relevantem Umfang die Gefahr der Herkunftstäuschung ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2005, 166, 167 - Puppenausstattungen; BGH GRUR 2006, 79 Rn. 35 - Jeans I; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 39 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 - Gartenliege; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(2) Vorliegend scheidet zwar eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus. Der angesprochene Durchschnittsverbraucher nimmt angesichts der dargestellten Unterschiede nicht an, dass es sich bei dem angegriffenen Produkt um das Originalprodukt handelt.

(3) Das angegriffene Produkt ruft aber eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne hervor.

(a) Eine Herkunftstäuschung im weiteren Sinne liegt vor, wenn der Verkehr die Nachahmung für eine neue Serie oder ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers hält oder wenn er von geschäftlichen oder organisatorischen - wie lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen - Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht (vgl. BGH GRUR 2019, 196 Rn. 15 - Industrienähmaschinen mwN).

(b) Es für eine Herkunftstäuschung erforderliche hinreichende Bekanntheit des Originalprodukts ist glaubhaft gemacht.

(aa) Die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft eines nachgeahmten Erzeugnisses setzt, sofern nicht Original und Nachahmung nebeneinander vertrieben werden und der Verkehr damit beide Produkte unmittelbar miteinander vergleichen kann, voraus, dass das nachgeahmte Erzeugnis eine gewisse Bekanntheit erlangt hat. Es genügt bereits eine Bekanntheit, bei der sich die Gefahr der Herkunftstäuschung in noch relevantem Umfang ergeben kann, wenn Nachahmungen vertrieben werden (BGH GRUR 2007, 984 Rn. 34 mwN - Gartenliege). Maßgebend ist eine Bekanntheit auf dem inländischen Markt zum Zeitpunkt der Markteinführung der Nachahmung (BGH GRUR 2009, 79 Rn. 35 mwN - Gebäckpresse). Die Bekanntheit kann sich aus entsprechenden Werbeanstrengungen, der Dauer der Marktpräsenz, den hohen Absatzzahlen des Originals oder einem hohen Marktanteil ergeben (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a mzN; BGH GRUR 2007, 339 Rn. 32 - Stufenleitern; BGH GRUR 2007, 984 Rn. 32 - Gartenliege; BGH WRP 2013, 1189 Rn. 27 - Regalsystem). Ein sehr niedriger Marktanteil muss allerdings nicht gegen die Bekanntheit sprechen, zumal bei Luxusprodukten (OLG Hamm WRP 2015, 1374 Rn. 109; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.41a).

(bb) Die erforderliche gewisse Bekanntheit bei einem nicht unerheblichen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise, welche hier die Durchschnittsverbraucher darstellen, kann angesichts der glaubhaft gemachten Angaben zu den Werbe- und Marketingmaßnahmen mit Kosten von über 2,0 Millionen EUR, den Verkaufszahlen von über 175.000 in Deutschland an Endkunden verkauften Flaschen und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich (eidesstattliche Versicherung Anlage AST 12) sowie des durch die Anlagen (Anlage AST 9, Anlage AST 10; Anlage AST 11; Anlage AST 14 und AST 15) hinreichend glaubhaft gemachten Umfangs der Medien- und Marktpräsenz trotz einer nur gut einjährigen Marktpräsenz nicht verneint werden.

(c) Es liegt eine vermeidbare Herkunftstäuschung im weiteren Sinne vor. Es handelt sich zwar angesichts der dargestellten Unterschiede nur um eine nachschaffende Nachahmung, die nur einzelne die wettbewerbliche Eigenart prägenden Gestaltungsmerkmale des Originalprodukts übernimmt. Das Original wird hierdurch aber - insbesondere durch die über die Etikette gelegte gelbe Banderole mit der Aufschrift in reliefartigen Goldlettern und die Farbgestaltung in Orange- und Gelbtönen sowie das orangefarben umrandete Etikett, das auf weißbeigefarbenem Hintergrund Orangen abbildet - deutlich erkennbar in Bezug genommen, ohne dass das im Discount vertriebene Nachahmungsprodukt irgendein deutliches abweichendes Herkunftszeichen tragen würde. Der Verkehr wird unter diesen Umständen annehmen, es handele sich - wie im Lebensmitteldiscount und auch in Bezug auf alkoholische Getränke durchaus üblich und dem Verkehr geläufig - um eine von demselben Hersteller oder von einem mit ihm wirtschaftlich bzw. organisatorisch - zB lizenz- oder gesellschaftsvertraglich - verbundenen Unternehmen stammende günstigere und schlichtere, möglicherweise auch inhaltlich minderwertige, Variante des Originalprodukts, nämlich eine rustikal aufgemachte Variante des Spritz-Mischgetränks für den Discountbetrieb, die an eine rustikale Prosecco-Gestaltung anklingt, gegenüber der luxuriös aufgemachten Gestaltung des Originalprodukts, die eher an eine Sekt- oder Champagner-Gestaltung erinnert. Der Verkehr weiß auch, dass es unmittelbare oder mittelbare Belieferungen von Herstellern und Händlern, die sich dem Luxussegment zuordnen, an Discounter gibt. Unwidersprochen haben die Antragstellerinnen vorgetragen, dass die Antragsgegnerinnen Produkte der Moët Hennessy Gruppe vertreiben.

Diese Herkunftstäuschung im weiteren Sinne wäre leicht und zumutbar vermeidbar, indem das Nachahmungsprodukt mit einer deutlichen abweichenden Herkunftskennzeichnung versehen werden würde. Der generische Begriff „SPRITZ“ genügt hierfür ebenso wenig wie der anpreisende Begriff „Premium“. Beiden Zeichen fehlt sowohl einzeln als auch in der Kombination die Herkunftsfunktion. Nur auf dem Etikett auf der Flaschenrückseite ist im unteren Bereich des Etiketts ein Unternehmen mit Anschrift benannt („AVG V. GmbH, (…)“; vgl. Einlichtung unten Seite 17 dA; Abbildungen Anlage AST 16, Seiten 6/7), bei welchem es sich schon wegen des Firmenbestandteils „Vertriebs“ keinesfalls um den Hersteller handeln muss. Auch wenn der Verkehr diese Aufschrift im maßgeblichen Zeitpunkt der Kaufentscheidung wahrnimmt, nimmt ihm dies nicht die Fehlvorstellung über die Herkunft.

5. Die Antragstellerin zu 2 ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerinnen antragsbefugt und aktivlegitimiert iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Ihr steht als Mitbewerberin und Händlerin der geltend gemachte Anspruch jedenfalls aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu.

a) Die Antragstellerin zu 2 erfüllt mit dem Vertrieb des „Chandon Garden Spritz“ die Voraussetzungen eines Mitbewerbers, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF. Sie steht mit den Antragsgegnerinnen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis iSv § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG iVm § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG, da sie gleichartige Waren an denselben Endkundenkreis vertreibt. Auf die Frage, auf welcher Stufe der Produktions- bzw. Handelskette sie steht, kommt es, wie oben 4. A) aa) ausgeführt, nicht an. Auch die Schwellen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF sind überschritten. Insofern kann auf die Ausführungen unter 4. a) cc) verwiesen werden.

b) Ob die Antragstellerin zu 2 als Händlerin berechtigt ist, einen Anspruch wegen wettbewerbsrechtlichem Nachahmungsschutz nach § 4 Nr. 3 UWG geltend zu machen, obwohl sie weder eine eigene (ergänzende) Leistung noch eine Allein- bzw. Exklusivvertriebsberechtigung darlegt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 4 Rn. 3.85, 3.86 mwN auch zur früheren Rspr.), kann dahinstehen.

c) Der Antragstellerin steht als Mitbewerberin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zumindest aus § 5 Abs. 2 UWG wegen lauterkeitsrechtlicher Herkunftstäuschung zu, auf den sie sich auch als Mitbewerberin, die nicht zugleich Herstellerin ist, berufen kann (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, 40. Aufl. 2022, UWG § 5 Rn. 9.23; Bornkamm, GRUR 2011, 1, 7). Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 UWG wegen des Vertriebs oder des Anbietens einer unlauteren herkunftstäuschenden Nachahmung einer Produktgestaltung sind - trotz des begrifflich abweichenden Gesetzestextes - dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vorliegen (vgl. Bornkamm/Feddersen a.a.O.; Bornkamm, a.a.O.), so dass für die Einzelheiten auf die Ausführungen unter 4. b) bb) - ee) Bezug genommen werden kann.

Auch ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Antragstellerinnen haben glaubhaft gemacht, am 31.03.2022 Kenntnis davon erlangt zu haben, dass die Lidl-Gruppe, zu der die Antragsgegnerin zu 1 gehört, ein als „Premium Spritz“ bezeichnetes Produkt mit Verkaufsstart vom 04.04.2022 anbiete (Eidesstattliche Versicherung vom 29.04.2022 Anlage AST 4; Bl. 16 dA). Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist beim Landgericht am 29.04.2022 und damit innerhalb der für den Bezirk des Oberlandesgerichts München geltenden Monatsfrist eingegangen, bei deren Überschreitung die gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutete Dringlichkeit wegen dringlichkeitsschädlichen Verhaltens als widerlegt angenommen wird. III.


Den Volltext der Entscheidungen mit Produktfotos finden Sie hier:

LG Frankfurt: Streitigkeiten im Zusammenhang mit eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern sind Handelssachen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG

LG Frankfurt
Beschluss vo 19.05.2022
2-03 O 94/22


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass Streitigkeiten im Zusammenhang mit eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern Handelssachen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG sind.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsstreit ist nach § 98 ZPO auf Antrag der Antragsgegnerin an die Kammer für Handelssachen zu verweisen.

Der Antrag gehört nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) GVG (ggf. in analoger Anwendung) vor die Kammer für Handelssachen. Handelssachen sind nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c) bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in denen durch die Klage ein Anspruch aus den „Rechtsverhältnissen, die sich auf den Schutz der Marken und sonstigen Kennzeichen sowie der eingetragenen Designs beziehen“, geltend gemacht wird. Es ist davon auszugehen, dass auch Ansprüche, die ihre Grundlage auf ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nach der VO (EG) Nr. 6/2002 (nachfolgend: GGV) haben, als Handelssachen anzusehen sind. Der Wortlaut steht dem nicht entgegen. Denn die Begriffe „Design“ und „Geschmacksmuster“ sind synonym zu verstehen. Dies ergibt bereits die Gegenüberstellung der entsprechenden Definitionen in § 1 DesignG und Art. 3 Buchst. a) GGV. In § 1 DesignG (bzw. § 1 GeschmMG a.F.) wird bzw. wurde in Nr. 1 ein „Design“ (bzw. ein „Muster“) als „die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt“, definiert. Nach Art. 3 Buchst. a) GGV ist ein Geschmacksmuster „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“. Dass es zwischen den beiden Begriffen einen Unterschied geben soll, ist nicht ersichtlich. So gesehen kann auch ein Anspruch aus einem eingetragen Gemeinschaftsgeschmacksmuster grundsätzlich als ein Anspruch aus einem Rechtsverhältnis, das sich auf den Schutz der eingetragenen Designs bezieht, subsumiert werden. Denn der Wortlaut des GVG stellt nicht auf die Begrifflichkeiten wie „Designstreitsache“ oder „Gemeinschaftsgeschmacksmusterstreitsache“ ab. Im Übrigen wird – insbesondere zur historischen Auslegung – auf den Beitrag Bomba, GRUR-Prax 2014, 452 ff. verwiesen, den sich die Kammer zu eigen macht.

Der Verweisungsantrag ist nach § 101 GVG rechtzeitig gestellt worden. Da die Antragsgegnerin bei Erlass der einstweiligen Verfügung nicht angehört worden ist, ist der Verweisungsantrag mit dem Widerspruch rechtzeitig.




BGH: Zur Auslegung eines Designs und zum Schutzumfang eines Kombinationserzeugnisses - Designrecht kennt keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Designs

BGH
Urteil vom 24.03.2022
I ZR 16/21
Schneidebrett
DesignG § 1 Nr. 1, § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit der Auslegung eines eingetragenen Designs und zum Schutzumfang eines Kombinationserzeugnisses geäußert. Das Designrecht kennt keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Designs.

Leitsätze des BGH:
a) Die Auslegung eines Designs kann zu dem Ergebnis führen, dass Abweichungen der Wiedergaben bei der Bestimmung des Schutzgegenstands außer Betracht bleiben müssen und der Schutzgegenstand gleichsam aus der Schnittmenge der allen Darstellungen gemeinsamen Merkmale besteht (Bestätigung von BGH, Urteil vom 8. März 2012 - I ZR 124/10, GRUR 2012, 1139 [juris Rn. 31] = WRP 2012, 1540 - Weinkaraffe; Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 25/18, BGHZ 220, 344 [juris Rn. 17] - Sporthelm; Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 26/18, GRUR 2019, 835 [juris Rn. 31] = WRP 2019, 1032 - Sportbrille). Das gilt auch dann, wenn eine Darstellung Elemente enthält, die auf den anderen Darstellungen nicht zu sehen sind, so dass das in den anderen Darstellungen zu sehende Erzeugnis vollständig in der einen Darstellung enthalten ist.

b) Die Auslegung eines Designs kann ergeben, dass sich der Schutzgegenstand aus mehreren Gegenständen zusammensetzt, die nach der Verkehrsauffassung ein einheitliches Erzeugnis - ein sogenanntes Kombinationserzeugnis - bilden. Dies liegt insbesondere dann nahe, wenn die abgebildeten Einzelgegenstände ästhetisch aufeinander abgestimmt sind und miteinander in einem funktionalen Zusammenhang stehen (Bestätigung von BGH, GRUR 2012, 1139 [juris Rn. 32] - Weinkaraffe). Die Auslegung kann auch lediglich aufgrund einer dieser Eigenschaften - gegebenenfalls unter Einbeziehung weiterer Umstände - zur Annahme eines Kombinationserzeugnisses führen. Maßgeblich ist, welchen Schutzgegenstand die Fachkreise des betreffenden Sektors aus den Darstellungen und den weiteren aus dem Register ersichtlichen Informationen entnehmen.

c) Im Fall eines Kombinationserzeugnisses ist ein isolierter Schutz für die Komponenten des Kombinationserzeugnisses - ohne eine gesonderte Anmeldung - ausgeschlossen, weil das Designrecht keinen Schutz für Teile oder Elemente eines eingetragenen Designs kennt (Bestätigung von BGH, GRUR 2012, 1139 [juris Rn. 28 und 35 bis 40] - Weinkaraffe).

d) Führt die Auslegung nicht zu einem hinreichend klaren Ergebnis und bleibt offen, ob Schutz für einen Einzelgegenstand oder ein Kombinationserzeugnis beansprucht wird, geht die Unklarheit zu Lasten des Anmelders und ist das Design nichtig.

BGH, Urteil vom 24. März 2022 - I ZR 16/21 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 222/20
Porsche 911
UrhG §§ 16, 17, 23 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 32a Abs. 1; Richtlinie 2001/29/EG Art. 2 Buchst. a


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Der Begriff der Nutzung im Sinne von § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist dahingehend auszulegen, dass Erträge oder Vorteile aus einer Nutzung, die nicht in den Schutzbereich eines Verwertungsrechts des Urhebers eingreifen, keinen Anspruch gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG auf weitere angemessene Beteiligung des Urhebers begründen können.

b) Die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Abgrenzung der freien Benutzung von der (unfreien) Bearbeitung gelten für Werke im Sinne von § 2 UrhG auch nach der durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 31. Mai 2021 (BGBl. I S. 1204) vorgenommenen Streichung des § 24 UrhG aF und der Änderung des § 23 UrhG in der Sache mit der Maßgabe weiter, dass das Kriterium des "Verblassens" unionsrechtskonform im Sinne des Kriteriums einer fehlenden Wiedererkennbarkeit der schutzbegründenden eigenschöpferischen Elemente zu verstehen ist.

BGH, Urteil vom 7. April 2022 - I ZR 222/20 - OLG Stuttgart - LG Stuttgart

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911

BGH
Urteil vom 07.04.2022
I ZR 222/20
Porsche 911


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zum Anspruch eines Konstrukteurs der Porsche AG auf angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 befasst.

Die Pressemitteilungd es BGH:
Bundesgerichtshof zu urheberrechtlichen Ansprüchen eines Konstrukteurs der Porsche AG auf
Fairnessausgleich nach § 32a UrhG

Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat über urheberrechtliche Beteiligungsansprüche des früheren Abteilungsleiters der Karosserie-Konstruktion der Porsche AG am wirtschaftlichen Erfolg des Porsche 911 entschieden.

Sachverhalt:

Die Beklagte ist die Porsche AG. Die Klägerin ist die Tochter eines im Jahr 1966 verstorbenen Abteilungsleiters der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Dieser war im Rahmen seiner Tätigkeit mit der Entwicklung des ab 1950 produzierten Fahrzeugmodells Porsche 356 und dessen seit 1963 gebauten Nachfolgemodells Porsche 911 befasst. Der Umfang seiner Beteiligung an der Gestaltung dieser Modelle ist zwischen den Parteien streitig.

Bisheriger Prozessverlauf:

Die Klägerin verlangt als Erbin ihres Vaters und aus abgetretenem Recht einer weiteren Erbin von der Beklagten gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG ab dem 1. Januar 2014 eine angemessene Beteiligung an den Erlösen aus dem Verkauf der ab 2011 produzierten Baureihe 991 des Porsche 911. Sie meint, bei den Fahrzeugen dieser Baureihe seien wesentliche Gestaltungselemente der unter maßgeblicher Beteiligung ihres Vaters entwickelten Ursprungsmodelle des Porsche 356 und des Porsche 911 übernommen worden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht hat allerdings im Ergebnis mit Recht angenommen, dass der Klägerin keine Ansprüche auf weitere angemessene Beteiligung gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG zustehen, soweit sie geltend macht, die Beklagte habe mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 die Urheberrechte ihres Vaters am Porsche 356 genutzt. Die Gestaltung des Porsche 356 ist zwar als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG). Die Klägerin hat auch nachgewiesen, dass ihr Vater diese Gestaltung geschaffen hat und damit deren Urheber ist (§ 7 UrhG). Die Beklagte hat mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 aber nicht das ihr vom Vater der Klägerin im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eingeräumte Recht zur Verwertung dieses Werkes in körperlicher Form (§ 15 Abs. 1 UrhG) genutzt. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts sind bei einem Vergleich des Gesamteindrucks der beiden Fahrzeugmodelle die den Urheberrechtsschutz des Porsche 356 begründenden Elemente in der Gestaltung des Porsche 911 nicht mehr wiederzuerkennen. Die Beklagte hat daher mit der Herstellung und dem Vertrieb des Porsche 911 nicht in das ausschließliche Recht des Urhebers zur Vervielfältigung (§ 16 Abs. 1 UrhG) und Verbreitung (§ 17 Abs. 1 UrhG) des Porsche 356 eingegriffen. Ein Anspruch auf weitere angemessene Beteiligung scheidet deshalb aus, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei der Gestaltung der Baureihe 991 des Porsche 911 gleichfalls um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt und damit die Voraussetzungen einer freien Benutzung im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG aF/§ 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG nF vorliegen.

Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Klägerin stünden auch keine Ansprüche auf weitere angemessene Beteiligung zu, soweit sie sich darauf berufe, die Beklagte habe mit dem Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 die Urheberrechte ihres Vaters am Ursprungsmodell des Porsche 911 genutzt, hält der rechtlichen Nachprüfung dagegen in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Oberlandesgericht hat Ansprüche der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ihr Vater die äußere Gestaltung der Karosserie des Porsche 911 geschaffen habe. Die Klägerin hatte im Berufungsverfahren allerdings ihren Ehemann als Zeugen dafür benannt, dass ihr Vater diesem bei einem Besuch an seinem Arbeitsplatz klargemacht habe, dass der Porsche 911 und dessen Karosserie "sein Auto, sein Entwurf" gewesen sei. Das Oberlandesgericht hätte sich mit diesem Beweisangebot auseinandersetzen müssen, weil die Zeugenaussage zumindest ein Indiz für die Urheberschaft des Vaters der Klägerin liefern konnte. Die Klägerin hat dieses Beweisangebot zwar erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgebracht. Das Oberlandesgericht hat sich aber nicht damit befasst, ob die Klägerin deshalb mit ihrem Beweisantritt ausgeschlossen ist. Diese Frage kann nur vom Berufungsgericht und nicht vom Revisionsgericht entschieden werden.

Vorinstanzen:

LG Stuttgart - Urteil vom 26. Juli 2018 - 17 O 1324/17

OLG Stuttgart - Urteil vom 20. November 2020 - 5 U 125/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG

(1) Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere: …

4. Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und der angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; …

(2) Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.

§ 7 UrhG

Urheber ist der Schöpfer des Werkes.

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UrhG

(1) Der Urheber hat das ausschließliche Recht, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten; das Recht umfasst insbesondere

1. das Vervielfältigungsrecht (§ 16),

2. das Verbreitungsrecht (§ 17), …

§ 16 Abs. 1 UrhG

(1) Das Vervielfältigungsrecht ist das Recht, Vervielfältigungsstücke des Werkes herzustellen, gleichviel ob vorübergehend oder dauerhaft, in welchem Verfahren und in welcher Zahl.

§ 17 Abs. 1 UrhG

(1) Das Verbreitungsrecht ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen.

§ 23 Abs. 1 UrhG nF

(1) Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes, insbesondere auch einer Melodie, dürfen nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden. Wahrt das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk, so liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des Satzes 1 vor.

§ 24 Abs. 1 UrhG aF

Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.

§ 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG

(1) Hat der Urheber einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung sich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen als unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werkes erweist, so ist der andere auf Verlangen des Urhebers verpflichtet, in eine Änderung des Vertrages einzuwilligen, durch die dem Urheber eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung gewährt wird.

OLG Frankfurt: Unlautere Nachahmung von Swatch-Plastikuhren auch bei anderweitiger Kennzeichnung der Produkte möglich

OLG Frankfurt
Urteil vom 17.02.2022
6 U 202/20


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine unlautere Nachahmung von Swatch-Plastikuhren auch bei anderweitiger Kennzeichnung der Produkte vorliegen kann,

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Kein Vertrieb nachgeahmter „Plastikuhren“ trotz abweichender Kennzeichnung

Der Vertrieb einer nachgeahmten „Plastikuhr“ kann trotz markenähnlicher Kennzeichnung wettbewerbswidrig sein. Es kann zu einer mittelbaren Herkunftstäuschung kommen, wenn dem Verkehr bekannt ist, dass etwa für Mode- und Sportartikelhersteller Uhren in Lizenz hergestellt werden und Kooperationen mit Künstlern im Uhrenmarkt nicht unüblich sind. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beklagte verurteilt, den Vertrieb nachgeahmter Plastikuhren zu unterlassen.

Die Klägerin vertreibt seit 1983 aus Kunststoff hergestellte Uhren. Die streitgegenständliche Modellserie wird in verschiedenen Designvarianten vertrieben, wobei die Klägerin hinsichtlich der farblichen Gestaltung der Uhren auch mit zeitgenössischen Künstlern zusammenarbeitet. Ihre Uhren sind ab einem Preis von 63,00 € erhältlich. Die Beklagte bot über die Plattform www.amazon.de Plastikarmbanduhren in unterschiedlichen Farben mit im Ziffernblatt aufgedruckten - von den klägerischen Bezeichnungen abweichenden - Kennzeichnungen zu Preisen zwischen 12,48 € und 13,67 € an.

Das Landgericht hatte die Klage auf Unterlassen des Anbietens der in der Berufung gegenständlichen Uhrenmodelle abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte vor dem OLG Erfolg. Der Vertrieb der Uhren stelle eine unlautere Nachahmung der klägerischen Uhrenmodelle dar, begründete das OLG seine Entscheidung. Dem Uhrenmodell der Klägerin komme eine gesteigerte wettbewerbliche Eigenart zu. Es handele sich um „eine sehr reduzierte Uhrenserie zu einem vergleichsweise günstigen Preis aus einem damals für Uhren ungewöhnlichen Material ... nämlich Plastik“. Aufgrund der hohen Bekanntheit des Produktes sei hier von einem gesteigerter Grad an Eigenheit auszugehen. Diese wettbewerbliche Eigenart werde nicht durch „wahllos“ von der Beklagten herangezogene andere „Plastikuhren“ in Frage gestellt, die mit dem klägerischen Modell außer dem Material nicht viel Gemeinsames hätten.

Die Beklagte habe das klägerische Modell auch nachgeahmt. Nahezu sämtliche die Eigenart begründenden Merkmale seien von ihr übernommen worden.

Die im Ziffernblatt vorhandene abweichende Kennzeichnung schließe zwar eine unmittelbare Herkunftstäuschung aus. Es liege aber eine sog. mittelbare Herkunftstäuschung vor. Auf dem Uhrenmarkt sei es üblich, dass mit Zweitmarken operiert werde. Verbreitet würden auch Uhren über Lizenzverträge für bekannte Mode- und Sportartikellabel hergestellt. Der Verkehr nehme deshalb hier hinsichtlich der abweichenden Kennzeichnung der Uhren der Beklagten an, dass eine lizenzrechtliche Beziehung zur Klägerin bestehe oder eine Zweitmarke vorliege.

Die Beklagte beute zudem den guten Ruf der Klägerin aus. Dabei komme es nicht darauf an, dass es sich hier nicht um eine Luxus-Uhr handele. Auch niedrigpreisige Produkte könnten einer Rufausbeutung unterliegen, wenn der Verkehr ihnen eine besondere Wertschätzung entgegenbringe. Hier würden die „Plastikuhren“ des streitgegenständlichen Modells einen außerordentlichen Ruf genießen. „Sie sind“, so das OLG, „das Synonym für die Produktgruppe der „Plastikuhren“, die die Klägerin erstmals großflächig auf den Markt gebracht hat“. An dieses positive Image habe sich die Beklagte ohne Grund in so starkem Maße angelehnt, dass sie „unlauter an der von der Klägerin durch eigene langjährige Anstrengungen am Markt erworbenen Wertschätzung profitiert“, stellt das OLG fest.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim Bundesgerichtshof begehren.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 17.2.2022, Az. 6 U 202/20
(vorausgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.11.2020, Az. 2/6 O 78/20)



BGH: Streitwert in einem Designnichtigkeitsverfahren beträgt im Regelfall 50.000 EURO

BGH
Beschluss vom 28.05.2020
I ZB 25/18
DesignG § 34a Abs. 5 Satz 2; RVG § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1, § 33 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass der Streitwert in einem Designnichtigkeitsverfahren im Regelfall 50.000 EURO beträgt.

Leitsätze des BGH:

a) Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist gemäß § 34a Abs. 5 Satz 2 DesignG in Verbindung mit § 23 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 und § 33 Abs. 1 RVG nach billigem Ermessen zu bestimmen.

b) Maßgeblich für die Festsetzung des Gegenstandswerts im Designnichtigkeitsverfahren ist das wirtschaftliche Interesse des Designinhabers an der Aufrechterhaltung seines Designs.

c) Im designrechtlichen Nichtigkeitsverfahren entspricht die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 50.000 € im Regelfall billigem Ermessen.

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2020 - I ZB 25/18 - Bundespatentgericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



OLG München: Wettbewerbliche Eigenart von Bekleidungsmodeerzeugnissen nur wenn das nachgeahmte Produkt eine besonders originelle Gestaltung aufweist

OLG München
Urteil vom 04.07.2019
29 U 3490/17

Das OLG München hat entschieden, dass eine wettbewerbliche Eigenart von Bekleidungsmodeerzeugnissen nur dann zu bejahen ist, wenn das nachgeahmte Produkt eine besonders originelle Gestaltung aufweist.

Leitsätze des Gerichts:

1. Bei Bekleidungsmodeerzeugnissen sind an die Bejahung der wettbewerblichen Eigenart keine zu geringen Anforderungen zu stellen; vielmehr wird diese nur zu bejahen sein, wenn das nachgeahmte Produkt eine besonders originelle Gestaltung aufweist. Da Mode letztlich nur durch Nachahmung der sie charakterisierenden Faktoren (Farbe, Kombination bestimmter Merkmale etc.) entsteht und der angesprochene Verkehr dies auch weiß, kann die wettbewerbliche Eigenart eines Kleidungsstücks nur in Ausnahmefällen und allenfalls dann angenommen werden, wenn anzunehmen ist, dass der Verkehr trotz der Vielzahl unterschiedlichster Gestaltungsformen unabhängig von der Marke der besonderen Ausgestaltung des Produkts als solcher oder aber besonders markanten (und aus seiner Sicht einzigartigen) Merkmalen herkunftshinweisende Funktion zumisst.

2. Bei der nachschaffenden Übernahme kann die Anbringung von Herkunftskennzeichen die Gefahr einer Herkunftstäuschung ausschließen.

3. Zum designrechtlichen Schutz von Bekleidungsstücken.

Den Volltext der Entscheidung finden sie hier:

BGH: Kein einheitlicher Schutzgegenstand eines Einzeldesigns und damit Nichtigkeit wenn beigefügte Schwarz-Weiß-Fotografien des Designs dieses in Hell-Dunkel-Kombination und umgekehrt in Dunkel-Hell

BGH
Beschluss vom 20.12.2018
I ZB 26/18
Sportbrille
DesignG § 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1; DesignV § 7 Abs. 1


Leitsätze des BGH:

a) Ist der Anmeldung eines Designs eine Schwarz-Weiß-Fotografie zur Wiedergabe des Designs mit einer Darstellung eines Farbkontrasts in Graustufen beigefügt, wird der daraus ersichtliche Hell-Dunkel-Kontrast unabhängig von einer konkreten Farbgebung zum Schutzgegenstand gemacht.

b) Ein Einzeldesign lässt keinen einheitlichen Schutzgegenstand erkennen und ist nichtig, wenn seiner Anmeldung Schwarz-Weiß-Fotografien beigefügt sind, in denen Farbkontraste einmal in einer Hell-Dunkel-Kombination, das
andere Mal umgekehrt in einer Dunkel-Hell-Kombination dargestellt werden.

BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 26/18 - Bundespatentgericht

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BGH: Zeigen mehrere Darstellungen eines im Wege der Einzelanmeldung angemeldeten Designs mehrere Ausführungen führt dies nach 33 Abs. 1 Nr. 1 DesignG zur Nichtigkeit

BGH
Sporthelm
Beschluss vom 20.12.2018 - I ZB 25/18
DesignG § 1 Nr. 1, § 12 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 1; DesignV § 7 Abs. 1


Leitsätze des BGH:

a) Zeigen mehrere Darstellungen eines im Wege der Einzelanmeldung angemeldeten Designs verschiedene Ausführungsformen eines Erzeugnisses (hier: Sporthelm) mit unterschiedlichen Merkmalen der Erscheinungsform dieses Erzeugnisses (hier: unterschiedliche Beriemung, Ausstattung mit oder ohne Reiterknopf, verschiedene Farben, Farbkontraste, Dekore), geben sie nicht die Erscheinungsform "eines" Erzeugnisses sichtbar wieder. Das Design lässt in diesem Fall keinen einheitlichen Schutzgegenstand im Sinne von § 1 Nr. 1 DesignG erkennen und ist deshalb nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 DesignG nichtig. Wird vom Designinhaber für die abweichenden Merkmale Designschutz beansprucht, ist es nicht zulässig, einen einheitlichen Schutzgegenstand auf Grundlage der Schnittmenge der allen Darstellungen gemeinsamen Merkmale zu ermitteln (Aufgabe BGH, Urteil vom 15. Februar 2001 - I ZR
333/98, GRUR 2001, 503 = WRP 2001, 946 - Sitz-Liegemöbel).

b) Für die Zusammenfassung unterschiedlicher Ausführungsformen eines Erzeugnisses bietet § 12 Abs. 1 Satz 1 DesignG die Möglichkeit einer Sammelanmeldung mehrerer Designs.

BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 25/18 - Bundespatentgericht

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LG Düsseldorf: Ehemaliger Director bzw. Geschäftsführer einer juristischen Person kann auch nach Ausscheiden für Verletzung eines Designs bzw. Geschmacksmusters auf Unterlassung haften

LG Düsseldorf
Urteil vom 02.03.2017
14c O 98/16


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass ein ehemaliger Director bzw. Geschäftsführer einer juristischen Person auch nach Ausscheiden aus der Gesellschaft für Verletzung eines Designs bzw. Geschmacksmusters auf Unterlassung haften kann, sofern er im Zeitpunkt der Verletzungshandlung seine Position inne hatte.

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Antragsgegner zu 2) ist schließlich aufgrund seiner jedenfalls zeitweisen Stellung als Director der Antragsgegnerin zu 1) zur Unterlassung verpflichtet.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Geschäftsführer bei der Verletzung absoluter Rechte durch die von ihm vertretene Gesellschaft persönlich als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, wenn er in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt und dabei zumutbare Verhaltenspflichten verletzt (vgl. BGH, GRUR 2016, 803 ff., Rz. 61 – Armbanduhr; BGH, Urt. v. 18.06.2014, Az. I ZR 242/12, Rn. 11, zitiert nach juris – Geschäftsführerhaftung, BGH, GRUR 2015, 672 Rn. 81, zitiert nach juris – Videospiel-Konsolen II), beispielsweise Rechtsverstöße nicht verhindert, obwohl er dazu in der Lage ist.

Der Antragsgegner zu 2) war zumindest im Zeitraum 25.05.2016 bis 13.06.2016 Director der Antragsgegnerin zu 1). Dass er damit möglicherweise nicht, wie die Antragsgegner einwenden, den Produktions- und Vertriebsstart der angegriffenen Luftliegen zu verantworten hat, ist im Ergebnis nicht von Relevanz. Denn jedenfalls war er Director der Antragsgegnerin zu 1), als die Antragstellerin am 31.05.2016 ein Angebot der Antragsgegnerin zu 1) auf Amazon löschen ließ und sich daraufhin am 03.06.2016 die jetzigen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner für die Antragsgegnerin zu 1) bestellten und um Mitteilung baten, weshalb man eine Löschung veranlasst habe. Da mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Antragsgegner zu 2) in seiner Eigenschaft als Director die Verfahrensbevollmächtigten mandatiert hat, war ihm jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der Vertrieb der angegriffenen Muster bekannt und er hat es unterlassen, den Vertrieb über die eigene Seite einzustellen. Im Gegenteil haben die Verfahrensbevollmächtigten unter dem 09.06.2016 noch eine Schutzschrift im Zentralen Schutzschriftenregister hinterlegt, in der auch der Antragsgegner zu 2) als „Geschäftsführer“ aufgeführt war.

Die damit durch den Verstoß begründete Wiederholungsgefahr ist nicht dadurch entfallen, dass der Antragsgegner zu 2) nunmehr nicht mehr Director der Antragsgegnerin zu 1) ist. Grundsätzlich vermögen weder ein Wegfall der Störung noch eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Wiederholungsgefahr auszuräumen, vielmehr bedarf es regelmäßig der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung (Köhler/Bornkamm-Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 34. Aufl. 2016, § 8 UWG Rz. 1.38 ff.). So besteht auch hier ohne Weiteres die Gefahr, dass der Antragsgegner zu 2) – wie schon einmal in der Vergangenheit geschehen – wieder Director der Antragsgegnerin zu 1) wird oder aber die angegriffenen Muster über andere Unternehmen vertreibt.


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LG Hamburg: Unberechtigtes „Notice and Take Down“-Verfahren bei Amazon aus löschungsreifem Schutzrecht ist eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung

LG Hamburg
Beschluss vom 02.03.2018
308 O 63/18


Das LG Hamburg hat entschieden, dass ein unberechtigtes „Notice and Take Down“-Verfahren bei Amazon aus einem löschungsreifen Schutzrecht eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung darstellt und einen Unterlassungsanspruch sowie Schadensersatzansprüche gegen den Steller des Antrags auslöst.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die Antragstellerin hat die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Unterlassung der im Tenor genannten Handlung glaubhaft gemacht.

Der Antragstellerin steht ein Unterlassungsanspruch aufgrund eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu, §§ 823 Abs. 1 BGB, 1004 BGB analog. Eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), GRUR 2006, 443, Rn. 13 – Unbegründete Abnehmerverwarnung).

a. Es liegt eine Schutzrechtsverwarnung vor. Eine solche ist bei einem ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehren gegeben (BeckOGK/Spindler, BGB, Stand: 01.05.2017, § 823 Rn. 219). Die Antragsgegnerin hat Abnehmer der Antragstellerin angeschrieben und zur Löschung ihres Angebots auf der Amazon-Plattform mit der Begründung aufgefordert, das jeweilige Angebot verletzte ihr Gemeinschaftsgeschmacksmuster … (Anlagen AST 14 ff.).

b. Die Abmahnung ist unberechtigt, da das Gemeinschaftsgeschmacksmuster löschungsreif ist. Jedenfalls eine offenkundige Löschungsreife führt dazu, dass die Abmahnung unberechtigt ist (vgl. BGH, NJW-RR 1998, 331, 332 – Chinaherde; BeckOGK/Spindler, a.a.O. § 823, Rn. 223).

aa. Das eingetragene Muster war bei seiner Anmeldung im Jahr 2016 weder neu noch eigenartig i.S.d. Art. 5 f. der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV). Ein dem Gesamteindruck des streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster entsprechendes Muster war vielmehr bereits unter der Bezeichnung „Guzzle Buddy“ in der US-Comedy-Serie „ C. T.“ im März 2014 offenbart worden.

(1) Das in der US-Fernsehserie gezeigte Weinglas, das keinen Fuß hat und am Stiel Lamellen aufweist, die es ermöglichen, das Glas direkt auf eine Weinflasche aufzusetzen (Anlage AST 4), vermittelt keinen anderen Gesamteindruck als das streitgegenständliche Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Anlage AST 3).

(2) Offenbarung ist jede Mitteilung an einem Dritten (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2. Aufl., Art. 7 Rn. 7). Auch durch das Zeigen in einer Fernsehserie wird das Muster bekannt gemacht. Das Glas wurde in Episode 9 der fünften Staffel der US-Fernsehserie im März 2014 (Anlagen AST 4 und AST 5) und damit vor der Eintragung des streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gezeigt. Dass es sich dabei um ein damals im Markt noch nicht erhältliches Produkt handelte, ist für die Offenbarung unschädlich.

(3) Dass es sich um eine US-Fernsehserie handelt, steht einer Offenbarung nicht entgegen. Das in der US-Fernsehserie gezeigte Produkt konnte den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverkehr bekannt sein. Auch eine Offenbarungshandlung außerhalb der Gemeinschaft kann neuheitsschädlich sein (BGH, GRUR 2009, 79 Rn. 22 – Gebäckpresse). Bei Veröffentlichungen außerhalb der Gemeinschaft ist die Bedeutung des Staates für Herstellung, Bezug oder Absatz der konkreten Erzeugnisse zu berücksichtigen (Ruhl, a.a.O., Art. 7 Rn. 20 und 23 m.w.N.). Dass die Antragsgegnerin bei der Bewerbung ihres Produkts deutliche Bezüge zu der US-amerikanischen Serie herstellt (AST 7, 8 und 9), zeigt die Bedeutung dieser Offenbarung für den Vertrieb des Produktes der Antragsgegnerin. Außerdem wird der relevante Ausschnitt aus der Serie, in der das Glas zu sehen ist, auf der Plattform YouTube gezeigt und ist damit in der Gemeinschaft abrufbar.

bb. Die Löschungsreife war auch offenkundig. Vorliegend hat die Antragsgegnerin selbst damit geworben, das Glas aus der Serie zu vertreiben (AST 7, 8 und 9).

cc. Ob das 2000 veröffentlichte US Patent … (AST 10) der Neuheit und Eigenart ebenfalls entgegen steht, kann offen bleiben.

c. Die Verwendung des „Notice and Take Down“-Verfahrens gegenüber Amazon stellt ebenfalls eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung dar. Die Nutzung dieser Funktion dient der Löschung des jeweiligen Angebots der Abnehmer der Antragstellerin, die das Produkt der Antragstellerin über die Amazon-Plattform vertreiben.

d. Die unberechtigte Schutzrechtsbehauptung begründet die Vermutung, dass es zu einer wiederholten Verletzung der Rechte der Antragstellerin kommen kann. Zur Ausräumung dieser Vermutung wäre die Abgabe einer ernsthaften, unbefristeten, vorbehaltlosen und hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich gewesen. Die von der Antragstellerin begehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung (AST 12) hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben.

2. Die Antragstellerin hat auch einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin die Beschwerden, die sie bei Amazon im Wege des „Notice and Take Down“-Verfahrens erhoben hat, zurücknimmt. Die Unterlassungspflicht beinhaltet auch die Pflicht zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands (BGH, GRUR 2017, 208, Rn. 24 ff. - Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2016, 720 Rn. 34 – Hot Sox). Ohne die Rücknahme ist es den Abnehmer nicht möglich, ihre Angebote wieder auf der Amazon-Plattform einzustellen."


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BGH: Im Internet angebotene Produkte gehören zum vorbekannten Formenschatz - Bei Prüfung von Schutzumfang eines Geschmacksmusters zu beachten

BGH
Urteil vom 11.01.2018
I ZR 187/16
Ballerinaschuh
VO (EG) Nr. 6/2002 Art. 10 Abs. 2; BGB § 823 Abs. 1, § 826


Der BGH hat entschieden, dass Im Internet zum Kauf angebotene Produkte zum vorbekannten Formenschatz gehören und bei der Prüfung des Schutzumfangs eines Geschmacksmusters zu beachten sind.

Leitsätze des BGH:

a) Modelle, die über eine Internetseite dem allgemeinen Publikum zum Kauf angeboten werden, gehören zum vorbekannten Formenschatz, von dem der interessierte Benutzer Kenntnis nehmen kann, und sind bei der Prüfung des Schutzumfangs eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters zu berücksichtigen.

b) Umstände, die den Schutzumfang eines Geschmacksmusters zu schmälern geeignet sind, gehören grundsätzlich nicht zu den Tatsachen, die der klagende Schutzrechtsinhaber von sich aus offenbaren muss. Es obliegt vielmehr dem aus dem Geschmacksmuster in Anspruch genommenen Beklagten, hierzu vorzutragen.

c) Stellt derjenige, der unberechtigt wegen einer Schutzrechtsverletzung abgemahnt worden ist, infolge der Verwarnung den Vertrieb des beanstandeten Produkts ein, ist wegen des in der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung liegenden Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch der Schaden ersatzfähig, der dem Verwarnten infolge der Vertriebseinstellung nach Erhebung einer Klage wegen der Schutzrechtsverletzung entsteht.

BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 - I ZR 187/16 - OLG Düsseldorf - LG Düsseldorf

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