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OLG Stuttgart: Herausgabe von auf Server gespeicherten Daten eines Dritten und Verpflichtung zur Verschwiegenheit keine Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO und unzulässig

OLG Stuttgart
Beschluss vom 19.05.2021
2 Ws 75/21


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Aufforderung zur Herausgabe von auf Server gespeicherten Daten eines Dritten und Verpflichtung zur Verschwiegenheit keine Onlinedurchsuchung nach § 100b StPO. Eine derartige Emittlungsmaßnahme gegen einen IT-Dienstleister ist mangels Befugnisnorm unzulässig.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die von der Staatsanwaltschaft Mannheim beantragte Ermittlungsmaßnahme entspricht nicht einer in § 100b StPO normierten Onlinedurchsuchung, sondern stellt sich im Hinblick auf den mitbetroffenen IT-Servicedienstleister als Maßnahme sui generis dar, die der Gesetzgeber (bislang) nicht vorgesehen hat. Insbesondere besteht keine Rechtsgrundlage dafür, den IT-Servicebetreiber zu einer Mitwirkung (1.) an einer gegenüber dem Beschuldigten heimlichen Ausforschung des IT-Systems und zum Stillschweigen (2.) darüber zu verpflichten.

1. § 100b StPO regelt den verdeckten Zugriff der Ermittlungsbehörden auf ein vom Beschuldigten genutztes informationstechnisches System mit technischen Mitteln und sieht keine heimlich auszuübende Mitwirkungsverpflichtung eines Dritten vor.

Bereits vor Normerlass war nach der Rechtsprechung des BGH die Beschlagnahme und Auswertung eines Computers und dessen vollständigen Datenbestandes nach §§ 94 ff., 102 ff. StPO mit den entsprechenden Herausgabepflichten aus § 95 StPO möglich; eine verdeckte Online-Durchsuchung war demgegenüber wegen der damit aufgrund der Heimlichkeit der Maßnahme gesteigerten Eingriffsintensität und mangels gesetzlicher Grundlage nicht zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 31.01.2007 - StB 18/06). Mit Einführung der Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO wollte der Gesetzgeber die diesbezüglich erkannte Regelunglücke schließen und den Ermittlungsbehörden verdeckte Durchsuchungsmaßnahmen unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen mit technischen Mitteln ermöglichen, wie sich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/12785) entnehmen lässt. Die Gesetzesmotive (aaO, Seite 54) verdeutlichen, dass der Gesetzgeber eine Online-Durchsuchung im Sinne eines verdeckten, d.h. heimlichen, staatlichen Zugriffs auf ein fremdes informationstechnisches System mit dem Ziel, dessen Nutzung zu überwachen und gespeicherte Inhalte auszuleiten, verstanden wissen wollte. Da er nach der damaligen Rechtslage eine „offene“ Durchsuchung und Beschlagnahme der auf informationstechnischen Geräten gespeicherten Daten nach den §§ 94 ff., 102 ff. StPO jedoch bereits als grundsätzlich legitimiert ansah, stellte er mit der Schaffung des § 100b StPO einerseits die Heimlichkeit der Maßnahme in den Mittelpunkt und wollte zur Wahrung derselben den Einsatz technischer Instrumentarien erlauben. Er wollte staatlichen Ermittlungsbehörden ermöglichen, das IT-System eines Beschuldigten ohne dessen Wissen zu infiltrieren. Zwar lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, wie hiernach zum Einsatz kommende technische Mittel ausgestaltet sein sollten; die Gesetzesbegründung geht jedoch erkennbar davon aus, dass solche Mittel angewendet werden müssen, um die heimliche Datenerhebung zu erreichen. Deutlich wird in den Gesetzesmaterialien auch, dass die Informationsbeschaffung im Rahmen des § 100b StPO deutlich weiter reichen sollte, als dies bis dahin auf Grundlage einer - ausschließlich Kommunikationsinhalte umfassenden - Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO möglich war; nicht nur neu hinzukommende Kommunikationsinhalte, sondern alle auf einem informationstechnischen System gespeicherten Inhalte sowie das gesamte Nutzungsverhalten einer Person sollten überwacht werden können.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Gesetzesbegründung auch intensiv mit der Frage auseinander, dass die Ausforschung und Untersuchung aller Daten und Aktivitäten eines IT-Systems über die reinen Kommunikationsinhalte hinaus den von Art. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich besonders geschützten Kernbereich der privaten Lebensführung betreffen kann. Dementsprechend hat der Gesetzgeber sich hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen und der verfahrensrechtlichen Sicherungen des § 100b StPO an den Regelungen zur akustischen Wohnraumüberwachung orientiert. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte von der Online-Durchsuchung den verfassungsrechtlichen Vorgaben folgend restriktiv Gebrauch gemacht werden, was auch durch die Subsidiaritätsklausel in § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO zum Ausdruck kommt.

Diesem gesetzgeberischen Willen und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend ist bei der Anwendung und Auslegung der Norm nach Ansicht des Senats Zurückhaltung geboten. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung der einzelnen Ermittlungsmaßnahmen und der ihnen jeweils innewohnende Charakter muss im Blick behalten werden: Im Ausgangspunkt erfährt daher eine Onlinedurchsuchung gemäß § 100b StPO im Gegensatz zur Durchsuchung und Beschlagnahme nach §§ 94 ff., 102 ff. StPO ihre spezifische Prägung durch die Heimlichkeit der Maßnahme. Daher sind in § 100b StPO anders als bei der Telefonüberwachung nach § 100a StPO, der Bestandsdatenauskunft nach § 100j StPO oder der Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten gem. § 100k StPO gerade keine Mitwirkungspflichten von Providern vorgesehen. Das Fehlen einer vergleichbaren Ermächtigungsnorm im Bereich des § 100b StPO zeigt, dass der Fall einer offenen Maßnahme gegenüber dem Diensteanbieter gerade nicht geregelt ist.

Die Anordnung einer Onlinedurchsuchung durch das Gericht erlaubt den Ermittlungsbehörden, ein bestimmtes IT-System des Beschuldigten oder eines Dritten, dessen IT-System der Beschuldigte nutzt, zu infiltrieren, um Daten aus diesem System zu erheben. Die Ausführung der Maßnahme obliegt zwar der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen. Dabei ist es nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich auch denkbar, dass die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ eine gerichtlich angeordnete Ermittlungsmaßnahme nicht oder nur teilweise ausführen lässt, etwa, wenn der Vollzug der angeordneten Maßnahme aufgrund von aktuellen Entwicklungen nicht (mehr) zweckmäßig erscheint. Auch ist es zulässig, eine gerichtlich angeordnete Maßnahme nur teilweise auszuführen, wenn sich eine in der Anordnung vorgesehene Zwangsmaßnahme durch die freiwillige Mitwirkung der betroffenen Person erübrigt.

Für nicht zulässig hält es der Senat allerdings, im Wege eines Erst-Recht-Schlusses - wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde argumentiert - die Verpflichtung eines Dritten zur Mitwirkung als vermeintlich milderes Mittel gegenüber einer technischen Infiltration auf Grundlage von § 100b StPO anzuordnen; hierin ist kein Minus, sondern vielmehr ein Aliud zu sehen. Die Vorschrift des § 100b StPO behandelt nämlich nur das Verhältnis von staatlichen Ermittlungsbehörden gegenüber Beschuldigten und nicht auch gegenüber Dritten. Hätte der Gesetzgeber über das in § 100b Abs. 3 S. 2 StPO bereits vorgesehene Maß hinaus in Rechte Dritter eingreifen und sie etwa zur Mitwirkung verpflichten wollen, hätte dies bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

Denn eine offene, den Diensteanbieter verpflichtende Maßnahme nach § 100b StPO würde neben dem Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme und dem Eingriff in das Fernmeldegeheimnis auch einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Diensteanbieters darstellen, der nach Art. 12 Abs.1 S.2 GG einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2015 – StB 7/15 –, juris zu § 100a und 100b Abs. 3 S.1 a.F.). Insoweit stellt auch § 95 StPO mit der dort normierten Herausgabepflicht keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage dar, da dieser allein die Herausgabe von (beschlagnahmefähigen) Gegenständen betrifft, worunter zwar grds. die vorliegend zu erhebenden (Bestands-) Daten fallen, nicht aber die auch dem § 100b StPO unterfallende laufende Kommunikation nebst Überwachung des Nutzungsverhaltens.

Eine gegenüber dem Diensteanbieter - und nicht einem Beschuldigten - als Eingriffsadressaten nach § 100b Abs. 3 S. 2 StPO offene Maßnahme nach § 100b StPO käme darüber hinaus vor dem Hintergrund der Subsidiaritätsklausel des § 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht in Betracht. Insoweit stellt die im vorliegenden Fall zur Erhebung von Bestandsdaten ausreichende analoge Durchsuchung und Beschlagnahme nach §§ 102 ff., 94 ff. StPO den geringeren Eingriff bei gleichem Erfolg der Maßnahme (einmalige Erhebung der zum Zeitpunkt der Durchsuchung vorhandenen Daten) dar.

2. Darüber hinaus ergibt sich aus § 100b i.V.m. § 101 Abs. 4 S. 3 u. 4 StPO, genauso wenig wie (bislang) aus den §§ 94 ff. StPO, eine Ermächtigung, den betroffenen Diensteanbieter zur Verschwiegenheit gegenüber seinem Kunden, dem Beschuldigten, zu verpflichten. Die durch § 101 Abs. 4 S. 3 u. 4 StPO ermöglichte Zurückstellung der Benachrichtigung des Betroffenen stellt lediglich eine Ausnahme von der ansonsten nach § 35 StPO spätestens mit Beginn einer Maßnahme durch die staatlichen Organe vorzunehmende Benachrichtigung dar; keinesfalls kann hierüber ein Dritter - noch dazu in Bezug auf seine Berufsausübung - zum Stillschweigen verpflichtet werden. Eine Stillschweigeverpflichtung ergibt sich für (deutsche) Diensteanbieter allein aus § 113 Abs. 6 S. 2 TKG (bzw. § 17 G 10), der aber seinerseits keine Ermächtigungsnorm für die Strafverfolgungsbehörden darstellt und dessen Reichweite sich überdies auf den Anwendungsbereich des TKG beschränkt, das auf den vorliegend in Rede stehenden Anbieter von Cloud-Diensten keine Anwendung findet.

3. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift zu bedenken gibt, dass der Einsatz qualifizierter technischer Mittel (Überwachungssoftware) im Rahmen der sog. Quellen-TKÜ auf praktische Probleme stoße und die Ermittlungsbehörden darauf angewiesen seien, auf andere Art Zugriff auf Kommunikationsplattformen oder Cloud-Dienste zu nehmen, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob die Ausnutzung solcher Zugangsdaten sich als Einsatz technischer Mittel im Sinne des § 100b StPO darstellt. Da sich weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien konkrete Festlegungen zur Ausgestaltung der technischen Mittel entnehmen lassen, erscheint es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass andere Eingriffe - etwa durch Verwendung eines heimlich erlangten Zugangspassworts -, die sich aus Sicht eines Systembetreibers jedenfalls als systemfremder Zugriff von außen darstellen dürften, unter § 100b StPO bzw. § 100a Abs. 1 Satz 2 StPO fallen können. In diesem Fall würden sich, solange die Maßnahme durch die Ermittlungsbehörden selbst vorgenommen wird, die in der vorliegend zu entscheidenden Konstellation maßgeblichen Probleme der mangelnden Heimlichkeit sowie der Mitwirkungspflicht eines Dritten nicht stellen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankfurt: Vereinsvorstand muss Administratorenrechte an Facebook-Seite an Verein herausgeben auch wenn diese unter Nutzung eines privaten Accounts erstellt wurde

LG Frankfurt
Urteil vom 24.07.2020
2-15 S 187/19


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass das Vorstandsmitglied eines Vereins, welches für den Verein eine Facebook-Seite erstellt hat, nach § 27 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 667 BGB die Administratorenrechte an der Facebook-Seite an den Verein herausgeben muss, auch wenn die Facebook-Seite unter Nutzung des privaten Accounts eingerichtet wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:

Dem Kläger stand, wie das Amtsgericht zu Recht und mit überzeugender Begründung angenommen hat, ein Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe der Facebook-Seite zu, und zwar in der Weise wie beantragt, d.h. durch Übertragung der Administrationsrechte auf den von dem Kläger bezeichneten Mitglied seines Vorstands.

aa) Zu Recht hat das Amtsgericht diesen Anspruch auf § 27 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 667 BGB gestützt. Danach hat das Vorstandsmitglied eines Vereins wie ein Beauftragter dasjenige herauszugeben, was es zur Ausführung seines Amtes erhält oder daraus erlangt (vgl. BeckOGK/Segna, 01.07.2020, § 27 BGB Rn. 102). Die Herausgabepflicht erstreckt sich auf jeden erlangten Vorteil, einschließlich solcher Gegenstände, die der Beauftragte selbst hervorgebracht, d.h. angefertigt oder erworben hat (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 667 Rn. 17).

Auch Online-Konten, beispielsweise ein Facebook-Account, zählen dazu, wenn sie in Ausübung des Amtes geschaffen worden sind (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 667 Rn. 21 m.w.N.). Hiervon abzugrenzen sind privat genutzte, aber mit Bezügen zu dem Auftraggeber angelegte Facebook-Konten, die von der Herausgabepflicht dann ausgenommen sind, wenn sie einen substanziellen privaten Anteil aufweisen (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 667 Rn. 21 unter Verweis auf AG Brandenburg, NZA-RR 2018, 364).

In Anwendung dieser Grundsätze sind Administrationsrechte an einer Facebook-Seite jedenfalls dann von der Herausgabepflicht umfasst, wenn ein Vorstandsmitglied, wenn auch systembedingt unter Nutzung eines privaten Accounts, im Auftrag des Vereins für diesen einen Facebook-Auftritt geschaffen hat.

bb) Um einen solchen Fall handelt es sich hier.

Dies ist in tatsächlicher Hinsicht freilich streitig. Das Amtsgericht hat aber zu Recht das wechselseitige Parteivorbringen, die vorgelegten Unterlagen und die Angaben der Beklagten im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung in der Gesamtschau in diesem Sinne ausgewertet.

(1) Die genannten Angaben der Beklagten sprechen am stärksten für diese Wertung. Sie hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Folgendes erklärt: „Ich habe für den Verein die Facebook-Seite errichtet und habe meine Vorstandskollegen in der Sitzung darüber informiert. Da diese keine Ahnung von Facebook haben, haben sie mir vertraut und haben dem sozusagen zugestimmt“ (Sitzungsniederschrift vom 28.10.2019, S. 2; Bl. 455 R d.A.). Aus diesen Worten spricht das Verständnis, eine Tätigkeit in der Eigenschaft als Vorstandsmitglied ausgeübt zu haben. Inwieweit die Beklagte durch einen förmlichen Beschluss hiermit im engeren Sinne beauftragt wurde, ist nicht entscheidend. Denn § 27 Abs. 3 S. 1 verweist zwar auf das Auftragsrecht, setzt für Herausgabeansprüche aus § 667 BGB aber nicht voraus, dass das einzelne Vorstandsmitglied i.S.v. § 662 BGB beauftragt wurde, sondern allein, dass es aus der Ausübung seines Amtes etwas erlangt hat (vgl. BeckOGK/Segna, 01.07.2020, § 27 BGB Rn. 102).

Mit diesen Angaben hat die Beklagte eine zentrale Behauptung der Klägerseite wirksam zugestanden. Dass diese Behauptung in Widerspruch zu dem schriftsätzlichen Vorbringen steht, ist unschädlich, denn die Partei kann auch im Anwaltsprozess Tatsachen zugestehen, die ihr Anwalt vorher bestritten hatte (Zöller/Althammer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 85 Rn. 9).

(2) Dass die Facebook-Seite, zunächst von der Beklagten allein gepflegt, eine Seite des Vereins sein sollte und es nach ihrem Verständnis auch war, wird zusätzlich daran anschaulich, dass sämtliche Posts in der Wir-Form gehalten sind und vielfach auf diese oder andere Weise ausdrücklich auf Veranstaltungen des Vereins oder auf den Verein selbst hinweisen, z.B. am 23.10.2011: „Es ist wichtig, daß diese Seite bekannter wird. …“ (vgl. dazu und zu weiteren Beispielen Anlage K 11; Bl. 128 ff. d.A.).

(3) Ohne den Beweisantritten des Klägers zu Inhalt und Verlauf von Vorstandssitzungen nachgehen zu müssen, ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen weitere Hinweise darauf, dass es dem Verständnis sämtlicher Vorstandsmitglieder entsprach, dass es sich bei der Seite um den Facebook-Auftritt des Vereins handeln sollte, namentlich die Tagesordnung vom 06.01.2011 („Facebook-Bearbeitung X…“; Anlage K 10; Bl. 127 d.A.) und die Verweise auf die Facebook-Seite in dem Flyer des Vereins (Anlage K 12; Bl. 400 f. d.A.) und in der von der Beklagten erstellten Vereinschronik (Anlage K 13; Bl. 402 f. d.A.).

(4) Auch die Äußerungen der Beklagten nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand bilden ein wichtiges Indiz in diesem Sinne. So spricht sie im Jahr 2019 davon, auf Facebook eine „Vereinsseite“ eingerichtet zu haben (Anlage K 7; Bl. 66 f. d.A.) und von dem Wunsch, „mit der Facebook-Seite des Vereins“ jetzt nichts mehr zu tun zu haben (Anlage K 17; Bl. 407 d.A.), weil sie sich in die passive Mitgliedschaft zurückziehen wolle und kein Interesse mehr an der Kontrolle der Seite habe (Anlage K 16; Bl. 406 d.A.). Diese Äußerungen sind mit der Annahme, es habe sich bei der Seite um die eigene und private Seite der Beklagten gehandelt, unvereinbar.

Dass die Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen seien, wie die Beklagte pauschal vorträgt, ist bei der Lektüre der Äußerungen im Zusammenhang, wie er durch die vorgelegten Anlagen ermöglicht wird, nicht nachvollziehbar.

Es stimmt zwar, dass solche nachträglichen Äußerungen die rechtliche Qualifikation des damaligen Vorstandshandelns nicht beeinflussen können. Doch ergibt sich aus ihnen, dass die Beklagte nachträglich nicht in Zweifel zog, dass sie die Seite seinerzeit als Vorstandsmitglied für den Verein angelegt und betrieben hatte. Deshalb legen sie den Schluss sehr nahe, dass dem zu dem relevanten Zeitpunkt tatsächlich so war.

(5) Dass im Profil der Facebook-Seite zunächst nicht, wie von 2016 oder 2017 an, der Vereinsname erschien, sondern das Schlagwort „…“, ist unter diesen Umständen unschädlich.

Vielmehr ergibt sich aus der Umgestaltung der Seite ab 2016 ein weiteres Indiz dafür, dass es sich nach dem Verständnis aller Beteiligten um die Seite des Vereins handelte. Die Beklagte erklärt hierzu selbst, sie habe den stellvertretenden Vorsitzenden Y… „als Hilfsperson“ bei der Administration der Seite zugelassen, der nun ebenfalls dort gepostet, den Verein (ohne ihr Wissen) als Verantwortlichen in das Impressum aufgenommen und die Seite (was sie hingenommen habe) in „…“ umbenannt habe. Zunächst entspricht die Stellung, die Herr Y… damit übernahm, nicht derjenigen einer „Hilfsperson“. An anderer Stelle spricht die Beklagte auch zutreffender von der eines „Mitadministrators“. Vor allem aber wäre dann, wenn es sich nach dem Verständnis der Beklagten um ihre eigene private Facebook-Seite gehandelt hätte, nicht zu erwarten gewesen, dass die Beklagte einem Dritten diese Befugnisse einräumt und dessen Eingriffe in die Gestaltung einfach hinnimmt.

(6) Die Facebook-Seite „…“, auch wenn sie ebenfalls – ab dem Jahr 2018 – von dem Verein betrieben wurde, ändert an der Qualifikation der streitgegenständlichen Seite nichts. Jedenfalls ist es nicht so, dass diese neue Facebook-Seite die alte Facebook-Seite abgelöst hätte und der Verein eigene Posts nunmehr nur noch auf der neuen Seite eingestellt hätte. Da dem nicht so war, kann nicht der Schluss gezogen werden, es hätte nach der Vorstellung der Verantwortlichen des Klägers keine vereinseigene Seite existiert und diese sei mit der neuen Seite erst geschaffen worden.

cc) Datenschutzrechtliche Bedenken bestehen nicht. Es ist schon nicht ersichtlich, welche personenbezogenen Daten Dritter mit der Übertragung der Administrationsrechte den Verantwortlichen des Klägers bekannt werden könnten. Soweit dem aber so wäre, träte deren Schutz im Rahmen der Abwägung nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG hinter das Informationsrecht des Anspruchsinhabers des Herausgabeanspruchs zurück (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 666 Rn. 17; BGH, NJW 2012, 58).

Der Verweis auf die EuGH-Entscheidung zur Verantwortlichkeit des Betreibers einer Facebook-Seite für die Verarbeitung personenbezogener Daten (EuZW 2018, 534) rechtfertigt keine andere Bewertung. Denn darin geht es um die von Facebook auf den Endgeräten der Besucher einer Seite gesetzten Cookies und die Möglichkeit der Seitenbetreiber, daraus anonymisierte statistische Daten betreffend die Nutzer dieser Seiten von Facebook erhalten. Hieraus kann sich eine Belehrungspflicht des Seitenbetreibers ergeben. Einem Betreiberwechsel steht diese Pflicht nicht entgegen.

dd) Der Anspruch war nicht verjährt. Die Verjährung des Herausgabeanspruchs beginnt mit seinem Fälligwerden zu laufen. Dieses ist hier auf das Ausscheiden aus dem Vorstand zu datieren (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, § 667 Rn. 23 zum Auftragsrecht).

c) In der Löschung der Facebookseite nach Klageerhebung, die dazu führte, dass die Seite unwiederbringlich verloren ist, liegt schließlich das erledigende Ereignis, welches die Klage unbegründet machte. Denn nunmehr ist die Herausgabe unmöglich und von der Beklagten deshalb nicht geschuldet (§ 275 BGB).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BAG: Angestellter eines Autohauses haftet nach Ablauf vertraglicher Ausschlussfrist nicht für Herausgabe eines unbezahlten Pkw an Kunden

BAG
Urteil vom 07.06.2018
8 AZR 96/17


Das BAG hat entschieden, dass der Angestellte eines Autohauses nach Ablauf der vertraglichen Ausschlussfrist nicht für Herausgabe eines unbezahlten Pkw an einen Kunden.

Die Pressemitteilung des BAG:

Schadensersatz - Arbeitnehmerhaftung - Ausschlussfrist - Fristbeginn - Fälligkeit

Der Beklagte war in dem Autohaus der Klägerin als Verkäufer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Parteien war bestimmt, dass mit Ausnahme von Provisionsansprüchen alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit verfallen, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie nicht vorher gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Im Betrieb der Klägerin bestand die Anweisung, ein Neufahrzeug, das entweder nicht vollständig bezahlt war oder für das keine gesicherte Finanzierung vorlag, nicht an einen Käufer herauszugeben, es sei denn, dass eine Einwilligung der Geschäftsleitung vorlag.

Am Freitag, den 19. September 2014 erschien ein Kunde zur Abholung eines von ihm im Mai bestellten Neuwagens. Der Kunde leistete auf den Kaufpreis eine Anzahlung, drängte auf Überlassung des PKW für das kommende Wochenende und sagte zu, das Fahrzeug am Montag, den 22. September 2014 zurückzubringen, woraufhin der Beklagte dem Kunden das Fahrzeug überließ. Der Kunde brachte das Fahrzeug allerdings nicht wieder zurück. Auf eine von der Klägerin im September 2014 erstattete Strafanzeige hin wurden der Kunde Ende Oktober 2014 in Italien festgenommen und das Fahrzeug im November 2014 beschlagnahmt. Nach Aufhebung des Haftbefehls sowie der Beschlagnahme gaben die italienischen Behörden das Fahrzeug wieder an den Kunden heraus. Im Februar 2015 nahm die anwaltlich vertretene Klägerin Kontakt mit den Anwälten des Kunden auf und verhandelte - letztlich erfolglos - jedenfalls über die Zahlung des Restkaufpreises durch den Kunden. Ferner beauftragte sie eine Detektei mit dem Ziel der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs. Diese teilte der Klägerin im April/Mai 2015 mit, dass der Kunde unter den von der Klägerin angegebenen Anschriften nicht auffindbar sei. Am 20. August 2015 reichte die Klägerin beim Landgericht Freiburg eine Klage gegen den Kunden ein, deren Zustellung scheiterte. Mit Schreiben vom 20. November 2015 forderte die Klägerin den Beklagten erfolglos auf, seine Verpflichtung zum Schadensersatz dem Grunde nach anzuerkennen und ein Schuldanerkenntnis zu unterschreiben. Im Dezember erhob sie gegen den Beklagten Klage, mit der sie diesen auf Zahlung von Schadensersatz iHv. 29.191,61 Euro in Anspruch nahm. In diesem Betrag waren auch die Anwalts- und Gerichtskosten für das Verfahren vor dem Landgericht Freiburg enthalten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Der Senat hat es offengelassen, ob der Beklagte durch die Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden seine Vertragspflichten verletzt hat; etwaige Schadensersatzansprüche der Klägerin sind - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat - aufgrund der vertraglichen Ausschlussklausel verfallen. Die Ausschlussfrist begann spätestens zu dem Zeitpunkt zu laufen, als sich die Klägerin entschlossen hatte, Klage gegen den Kunden zu erheben, mithin jedenfalls vor dem 20. August 2015, so dass das Schreiben der Klägerin vom 20. November 2015, sofern dieses überhaupt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Geltendmachung erfüllt, die Ausschlussfrist nicht gewahrt hat. Etwas anderes folgt im Hinblick auf den Fristbeginn weder aus § 254 Abs. 2 BGB noch aus § 241 Abs. 2 BGB. Danach war aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls keine vorrangige gerichtliche Inanspruchnahme des Kunden durch die Klägerin geboten, da es dieser nicht ohne weiteres möglich war, den Kunden mit rechtlichem und vor allem wirtschaftlichem Erfolg in Anspruch zu nehmen. Als die Klägerin sich entschloss, Klage gegen den Kunden zu erheben, war erkennbar, dass eine solche Klage keine realistische Aussicht bot, von dem Kunden überhaupt irgendeine Leistung zu erlangen.

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 7. Juni 2018 - 8 AZR 96/17 -

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg -
Urteil vom 16. Dezember 2016 - 9 Sa 51/16 -

AG München: Mutter hat keinen Anspruch gegen Hotel auf Herausgabe der Daten eines Hotelgastes zur Ermittlung des Vaters und Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen

AG München
Urteil vom 28.10.16
191 C 521/16


Das AG München hat entschieden, dass eine Mutter keinen Anspruch gegen ein Hotel auf Herausgabe der Daten eines Hotelgastes hat, um die Identität des Vaters zu ermitteln und Unterhaltsansprüche durchzusetzen. Nach der angreifbaren Ansicht des Gerichts geht das Recht des Hotelgastes auf informationelle Selbstbestimmung den Rechten der Mutter vor.

Die Pressemitteilung des AG München:

Väterroulette

Die Klägerin aus Halle mietete in der Zeit vom 04.06.2010 bis 07.06.2010 ein Zimmer in einem Hotel in Halle gemeinsam mit ihrem damaligen männlichen Begleiter mit dem Vornamen Michael. Mit dieser Person nutzte die Klägerin in dem Zeitraum ein Hotelzimmer in der zweiten Etage. Am 14.03.2011 brachte sie den Jungen Joel zur Welt. Ihr Begleiter aus dem Hotel in Halle könnte der Vater des Kindes sein. Die Klägerin möchte von der Hotelleitung Auskunft über die Anschrift und den vollständigen Namen ihres damaligen Begleiters. Sie selbst ist nicht im Besitz von Unterlagen, aus denen sich der vollständige Name ihres Begleiters ergeben könnte. Die Klägerin benötigt die Auskünfte, um Kindesunterhaltsansprüche gegenüber ihrem damaligen Begleiter geltend machen zu können. Sie ist der Meinung, dass ihr gegenüber dem Hotel ein Auskunftsanspruch nach dem Bundesdatenschutzgesetz zusteht.

Das Hotel ist der Ansicht, dass kein Anspruch auf die Weitergabe der persönlichen Daten der Gäste besteht. In dem fraglichen Zeitraum wären insgesamt vier männliche Personen mit dem Vornamen Michael in dem Hotel zu Gast gewesen. Da die Klägerin die genannte Person nicht näher beschreiben könne, sei eine eindeutige Feststellungen der infrage kommenden Personen nicht möglich.

Die Klägerin erhob gegen die Hotelleitung Klage zum Amtsgericht München auf Auskunftserteilung. Die zuständige Richterin wies die Klage ab. Die Klägerin kann nicht die Erteilung der geforderten Auskünfte verlangen.

Das Gericht stellt fest, dass das Recht der betroffenen Männer auf informationelle Selbstbestimmung und auf den eigenen Schutz der Ehe und Familie das Recht der Klägerin auf Schutz der Ehe und Familie und auf den Unterhaltsanspruch überwiegt. Außerdem hätten die betroffenen Männer das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre, das davor schützt, geschlechtliche Beziehungen offenbaren zu müssen. Danach könne jeder selbst darüber befinden, ob und in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Leben gewährt wird. „Dieses Recht ist durch die Preisgabe der Daten betroffen, weil bereits hierdurch die Möglichkeit einer geschlechtlichen Beziehung zu der Klägerin als Mutter des Kindes letztlich unwiderlegbar in den Raum gestellt ist, so das Gericht. Für das Gericht steht weiter fest, dass die Gefahr bestehe, dass die Datenübermittlung ins Blaue hinein erfolgen würde. Der Klägerin ist es nicht möglich, weitere Umstände vorzutragen, durch die der unterhaltsverpflichtete Betroffene eingrenzbar wäre. Allein der Vorname, wobei sich die Klägerin nicht sicher ist, ob es sich um den einzigen Vornamen handelt, und die Etagenzahl sind für die erforderliche Eingrenzung nicht ausreichend. Auch ist nicht mit Sicherheit feststellbar, ob es sich bei dem Namen auch tatsächlich um den richtigen Namen des Betroffenen handelt“.


Urteil des Amtsgerichts München vom 28.10.16, Aktenzeichen 191 C 521/16

Das Urteil ist rechtskräftig


BVerfG: G 10-Kommisssion im Organstreitverfahren nicht parteifähig und Antrag auf Herausgabe der NSA-Selektorenlisten abzulehnen

BVerfG
Beschluss vom 20.09.2016
2 BvE 5/15


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die G 10-Kommisssion im Organstreitverfahren nicht parteifähig ist. Das Gericht hat den entsprechenden Antrag auf Herausgabe der NSA-Selektorenlisten abgelehnt.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

G 10-Kommission ist im Organstreitverfahren nicht parteifähig und scheitert daher mit dem Antrag auf Herausgabe der NSA-Selektorenlisten

Die G 10-Kommission ist im Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht parteifähig. Sie ist weder oberstes Bundesorgan, noch ein durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Bundestages. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit im Organstreitverfahren gestellte Anträge der G 10-Kommission, die sogenannte NSA-Selektorenlisten herauszugeben oder zur Einsichtnahme bereit zu stellen, verworfen.

Sachverhalt:

Der Bundesnachrichtendienst (BND) betrieb gemeinsam mit der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) eine Kooperation zur Fernmeldeaufklärung. Im Rahmen dieser Kooperation durchsuchte der BND die aus einem Internetknotenpunkt ausgeleiteten Daten nach von der NSA definierten Merkmalen (sogenannte Selektoren). Nachdem im Sommer 2013 in der Presse berichtet worden war, dass EU-Vertretungen und auch Deutsche von der gemeinsamen Fernmeldeaufklärung durch BND und NSA betroffen seien, führte der BND eine interne Untersuchung durch. Dabei stellte sich heraus, dass trotz automatisierter Filterung kritische Selektoren eingesetzt worden waren, die entweder gegen deutsche Interessen verstießen oder Teilnehmer betrafen, die durch das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz - G 10) geschützt waren. Nachdem der Deutsche Bundestag den NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt hatte, wurden zur Aufklärung die vom BND ausgesonderten Selektoren in den sogenannten NSA-Selektorenlisten zusammengefasst. Im Folgenden verlangte die G 10-Kommission von der Bundesregierung und dem Chef des Bundeskanzleramts erfolglos die NSA-Selektorenlisten herauszugeben oder diese einsehen zu dürfen, um eventuelle Verstöße gegen Art. 10 GG festzustellen. Mit ihren Anträgen im Organstreitverfahren begehrte die G 10-Kommission die Feststellung, dass sie durch die Ablehnung der Herausgabe beziehungsweise die Verweigerung der Einsichtnahme in ihren Rechten aus Art. 10 Abs. 2 GG verletzt wurde.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Anträge sind unzulässig. Die G 10-Kommission ist im Organstreit nicht parteifähig.

1. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Organstreitverfahren über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG). Das Organstreitverfahren ist als Parteistreitigkeit ausgestaltet und dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen. Die Beteiligten müssen in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zueinander stehen, aus dem sich Rechte und Pflichten ergeben, die zwischen ihnen streitig geworden sind.

2. Nach diesen Maßstäben ist die Antragstellerin nicht parteifähig.

a) Nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG dürfen Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG). Mit der G 10-Kommission hat der Gesetzgeber ein Organ geschaffen, das an die Stelle des Rechtswegs tritt, aber kein Gericht ist, das innerhalb des Funktionsbereichs der Exekutive agiert, aber nicht in diese inkorporiert ist, das Rechtskontrolle ausübt, aber auch Opportunitätserwägungen treffen kann. Es handelt sich um ein Kontrollorgan eigener Art außerhalb der rechtsprechenden Gewalt, das als Ersatz für den fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz dient.

b) Vor diesem Hintergrund ist die G 10-Kommission nicht als oberstes Bundesorgan parteifähig. Sie wird nicht von der Verfassung in Existenz, Status und wesentlichen Kompetenzen konstituiert.

Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG kommt über seinen objektiven Aussagegehalt hinaus keine kompetenzschützende Wirkung zu Gunsten „der von der Volksvertretung bestellten Organe oder Hilfsorgane“ zu und enthält keinen verbindlichen Verfassungsauftrag. Die Vorschrift ermächtigt zu einer Beschränkung der Mitteilungspflicht, gebietet eine solche aber nicht. Würde der einfache Gesetzgeber eine Mitteilungspflicht gegenüber den Betroffenen begründen, entfiele das verfassungsrechtliche Bedürfnis der Existenz eines Kontrollorgans. Darüber hinaus verlangt Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG nur, dass das zu seiner Ausführung ergehende Gesetz „ein“ Organ vorsehen muss. Wie die Kontrolle auszugestalten ist, schreibt die Verfassung nicht vor. Folglich steht es dem Gesetzgeber auch frei, Status und wesentliche Kompetenzen des Organs zu definieren, soweit eine hinreichend wirksame Kontrolle gewährleistet ist. Überdies weist die Verfassung der G 10-Kommission keine eigenständigen Aufgaben im Bereich der politischen Staatsleitung zu. Sie hat keinen verfassungsunmittelbaren Status im Prozess demokratischer Willensbildung und staatlicher Entscheidungsfindung, so dass sie keinen Anteil an der Bildung des Staatswillens hat.

c) Die G 10-Kommission ist auch nicht als andere Beteiligte parteifähig.

Sie ist nicht als durch das Grundgesetz oder durch die Geschäftsordnung mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Bundestages anzusehen. Ungeachtet des Umstandes, dass das Grundgesetz sie schon nicht explizit erwähnt, bezeichnet Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG das Hilfsorgan - anders als den Wehrbeauftragten in Art. 45b GG - nicht als eines „des Bundestages“. Auch wird die G 10-Kommission nicht wie das Parlamentarische Kontrollgremium in Art. 45d GG als Pflichtgremium des Deutschen Bundestages statuiert. Zwar wird das Organ oder Hilfsorgan nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG von der Volksvertretung bestellt. Allein die Tatsache, dass die Mitglieder der G 10-Kommission durch ein parlamentarisches Gremium gewählt werden, qualifiziert die G 10-Kommission aber noch nicht als Teil des Deutschen Bundestages, vielmehr wird dadurch die demokratische Legitimation der G 10-Kommission sichergestellt.

Die G 10-Kommission übt schließlich keine parlamentarische Kontrollfunktion aus. Im Anwendungsbereich des G 10 obliegt die politische Kontrolle dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Die G 10-Kommission hingegen wird im Funktionsbereich der Exekutive tätig, indem sie über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von konkreten Beschränkungsmaßnahmen entscheidet. Darüber hinaus wirkt sie nicht an der Erfüllung der Aufgaben des Bundestages im Bereich der Gesetzgebung, des Budgetrechts, des Kreations-, Informations- und Kontrollrechts mit und ist auch nicht an der Erörterung anstehender Probleme in öffentlicher Debatte beteiligt.

Einer Ausweitung des verfahrensrechtlichen Parteibegriffs steht entgegen, dass die G 10-Kommission keine verfassungsrechtlich notwendige Institution ist. Sie dient dem Grundrechtsschutz. Die Schutzdimension der Grundrechte kann aber nicht durch die G 10-Kommission im Organstreitverfahren geltend gemacht werden, sondern ist dem Verfassungsbeschwerdeverfahren vorbehalten.



BGH: Altkanzler Helmut Kohl kann von Heribert Schwan Herausgabe der Tonbänder verlangen - Anspruch nach § 667 BGB nach Beendigung des Auftragsverhältnisses

BGH
Urteil vom 10.07.2015
V ZR 206/14


Der BGH hat entschieden, dass der Altkanzler Helmut Kohl vom Journalisten Heribert Schwan die Herausgabe der Tonbänder verlangen kann, die im Zusammenhang mit der Verfassung seiner Memoiren aufgenommen wurden.

Die Pressemitteilung des BGH:

"Altkanzler Kohl kann Herausgabe der Tonbänder verlangen

Der Kläger, der ehemalige Bundeskanzler Dr. Kohl, und der Beklagte, ein bekannter Journalist, schlossen 1999 mit einem Verlag jeweils selbständige, inhaltlich aber aufeinander abgestimmte Verträge. Gegenstand dieser Verträge war die Erstellung der Memoiren des Klägers; die schriftliche Abfassung des Werkes sollte durch den Beklagten erfolgen. Die Parteien, die die Einzelheit ihrer Zusammenarbeit unmittelbar miteinander besprechen sollten, trafen sich in den Jahren 2001 und 2002 an über 100 Tagen im Wohnhaus des Klägers zu Gesprächen, die insgesamt etwa 630 Stunden dauerten und mit einem vom Beklagten zur Verfügung gestellten Tonbandgerät aufgenommen wurden. Der Kläger sprach dabei auf Fragen und Stichworte des Beklagten ausführlich über sein gesamtes Leben, sowohl über die Zeit, in der er höchste politische Ämter innehatte, als auch über seinen vorherigen Werdegang. Die Tonbänder, die der Kläger persönlich zu keinem Zeitpunkt in den Händen hatte, nahm der Beklagte zur Vorbereitung der geplanten Buchveröffentlichung jeweils mit nach Hause. Später überwarfen sich die Parteien. Der Kläger kündigte die Zusammenarbeit mit dem Beklagten. Der Beklagte wurde von dem Verlag finanziell abgefunden. Der Kläger verlangt die Herausgabe sämtlicher Tonaufnahmen, auf denen seine Stimme zu hören ist und die in den Jahren 2001 und 2002 von dem Beklagten aufgenommen wurden. Seine Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich.

Der u.a. für Besitz und Eigentum an beweglichen Sachen zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Kläger ist zwar nicht – wie das Oberlandesgericht meint – durch "Verarbeitung" (§ 950 Abs. 1 Satz 1 BGB) Eigentümer der Tonbänder geworden. Ein Tonband wird allein durch das Aufnehmen von Tondokumenten nicht zu einer neuen Sache; dass die Tondokumente historisch wertvoll und einmalig sind, ändert daran nichts.

Die Tonbänder sind aber aufgrund eines zwischen den Parteien bestehenden Auftragsverhältnisses herauszugeben. Die Parteien haben in Ausführung der Verlagsverträge miteinander konkludent eine rechtlich verbindliche Vereinbarung über das von dem Kläger zur Verfügung zu stellende Material getroffen. Diese Vereinbarung stellt rechtlich ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis dar, wobei der Kläger als Auftraggeber anzusehen ist. Denn allein dieser hatte nach den Verlagsverträgen über den Inhalt der Memoiren zu entscheiden. Nachdem der Kläger die Zusammenarbeit beendet und damit den Auftrag widerrufen hat, ist der Beklagte nach § 667 BGB verpflichtet, ihm alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhalten und aus der Geschäftsbesorgung erlangt hat. Hiervon erfasst sind nicht nur zur Verfügung gestellte Dokumente, sondern auch die dem Beklagten mitgeteilten und von ihm aufgezeichneten persönlichen Erinnerungen und Gedanken des Klägers. Auf das Eigentum an den Tonbändern, auf denen die Lebenserinnerungen des Klägers aufgezeichnet sind, kommt es nicht an. Wer fremde Geschäfte besorgt und damit auf die Interessen eines anderen zu achten hat, soll aus der Ausführung des Auftrags keine Vorteile haben, die letztlich dem Auftraggeber gebühren. Setzt der Beauftragte zur Erfüllung des Auftrags untergeordnete Hilfsmittel, wie beispielsweise ein Tonband, ein, muss er deshalb auch das Eigentum daran an den Auftraggeber übertragen, wenn das Erlangte anders nicht herausgegeben werden kann.

LG Köln – Urteil vom 12. Dezember 2013 – 14 O 612/12

OLG Köln – Urteil vom 1. August 2014 – 6 U 20/14

Karlsruhe, den 10. Juli 2015

§ 950 BGB

(1) Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. Als Verarbeitung gilt auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche.

(2) Mit dem Erwerb des Eigentums an der neuen Sache erlöschen die an dem Stoffe bestehenden Rechte.

§ 667 BGB

Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben."



OLG Köln: Verwendung und Veröffentlichung von Zitaten Helmut Kohls in dem Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" ohne Zustimmung des Altkanzlers unzulässig

OLG Köln
Urteil vom 05.05.2015
15 U 193/14


Das OLG Köln hat entschieden, dass die Verwendung und Veröffentlichung von Zitaten Helmut Kohls in dem Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" ohne Zustimmung des Altkanzlers unzulässig ist.


Die Pressemitteilung des OLG Köln:

"Bestätigung des Verbots der Nutzung von Kohl-Zitaten im Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle"

Der 15. Zivilsenat hat in einer Entscheidung vom heutigen Tag die Berufung der Beklagten gegen die Entscheidung des Landgerichts Köln, die Verwendung und Veröffentlichung von Zitaten Dr. Kohls in dem Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" zu untersagen, in vollem Umfang zurückgewiesen. Das Landgericht hatte mit Urteil vom 13.1.2014 entschieden, dass die Beklagten - die Autoren Dr. Heribert Schwan und Tilman Jens sowie der Verlag Random House - den überwiegenden Teil der Zitate, die dem Autor Herrn Dr. Schwan im Rahmen seiner Arbeit an den Memoiren des Klägers zwischen 2000 und 2001 zur Verfügung gestellt wurden, nicht weiter verwenden und veröffentlichen dürfen. Auf die vom Kläger eingelegte Berufung hin hat der Senat das Urteil des Landgerichts nicht nur bestätigt, sondern ist mit dem Verbot weiterer Zitate, die die Vorinstanz noch für zulässig erachtet hatte, im Umfang noch über deises Urteil hinausgegangen.

Nach Ansicht des Senats war den Beklagten die Veröffentlichung sämtlicher Zitate, die Gegenstand des Berufungsverfahrens waren, verboten. Den Beklagten zu 2) - Herr Dr. Schwan - habe eine vertragliche Pflicht zur Geheimhaltung getroffen, die im Rahmen der Vereinbarung der Zusammenarbeit zur Erstellung der Biographien Herrn Dr. Kohls konkludent verabredet worden sei und Herrn Dr. Schwan hindern sollte, die auf den Tonbändern fixierten Äußerungen ohne Einverständnis des Klägers zu veröffentlichen. Die Pflicht ergebe sich aus dem besonderen Gefüge der Verträge zwischen dem Drömer Verlag und Kohl bzw. dem Verlag und Schwan, insbesondere den darin den Parteien zugewiesenen Funktionen und Befugnissen. So sollte Herr Dr. Kohl die Entscheidungshoheit über die Verwendung seiner Äußerungen als solche sowie den konkreten Inhalt und den Zeitpunkt der Veröffentlichung zustehen. Herr Dr. Schwan hingegen sei als Ghostwriter eine lediglich dienende Funktion zugewiesen worden. Zudem folge die Geheimhaltungsverpflichtung aus der Zweckbindung der Tonbandaufzeichnungen als lediglich allgemeiner Stoffsammlung für die geplanten Memoiren. Mit der Geheimhaltungsabrede habe der Beklagte zu 2) auf sein diesbezügliches Recht auf freie Meinungsäußerung verzichtet.

Die Beklagten zu 1) und 3) - Tilman Jens und der Verlag Random House - hätten die maßgeblichen Äußerungen ebenfalls nicht veröffentlichen dürfen. Dieses Unterlassungsgebot folge nicht aus einer vertraglichen Bindung, sondern aus der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in Form der Vertraulichkeitsphäre und des Rechts am gesprochenen Wort. Zum Schutz der Pressefreiheit sei zwar nicht jede Veröffentlichung rechtswidrig erlangter Informationen ausgeschlossen. Ein absolutes Verwertungsverbot bestehe aber dann, wenn Tonbandaufzeichnungen in wörtlicher Rede ungenehmigt weitergegeben werden sowie dann, wenn sich die Presse in rücksichtsloser Weise über die schützenswerten Belange des Betroffenen hinwegsetze. Eine solche Fallkonstellation sei vorliegend anzunehmen. Den Beklagten zu 1) und 3) seien sowohl die konkreten Umstände bekannt gewesen, unter denen der Beklagte zu 2) die vertraulich erfolgten Äußerungen des Klägers aufgenommen habe, als auch das spätere Zerwürfnis, welches eine weitere Zusammenarbeit beendet habe. Zudem seien sie an der Erstellung des streitgegenständlichen Buches verantwortlich beteiligt gewesen. Die Beklagten hätten selbst stets betont, bei der Entwicklung des Buchprojekts durchgängig als Team gewirkt zu haben. So hätten sie bei der Auswahl der Inhalte zusammengearbeitet, diese gemeinsam redigiert und die Texte ausgeformt. Diese Art der Informationsgewinnung und -verwertung stehe einer weiteren Verwendung und Veröffentlichung entgegen und rechtfertige es, die Verwendung der Äußerungen insgesamt zu untersagen.

Ein Rechtsmittel gegen das Urteil ist nicht gegeben."




OLG Köln: Bestätigung des überwiegenden Verbots der Nutzung von Kohl-Zitaten im Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle

OLG Köln
15 U 193/14


Die Pressemitteilung des OLG Köln:

"Bestätigung des überwiegenden Verbots der Nutzung von Kohl-Zitaten im Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle"

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln (15 U 193/14) hat in der mündlichen Verhandlung vom heutigen Tage zum Ausdruck gebracht, dass er die Entscheidung des Landgerichts Köln, die Verwendung und Veröffentlichung von Zitaten Dr. Kohls in dem Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" zu untersagen, voraussichtlich bestätigen wird. Das Landgericht hatte mit Urteil vom 13.11.2014 entschieden, dass die Verfügungsbeklagten - die Autoren Dr. Heribert Schwan und Tilman Jens sowie der Verlag Random House - den überwiegenden Teil der Zitate, die im Buch "Vermächtnis - die Kohl-Protokolle" enthalten sind und die dem Autor Dr. Schwan im Rahmen seiner Arbeit an den Memoiren des Klägers zwischen 2000 und 2001 zur Verfügung gestellt wurden, nicht weiter verwenden und veröffentlichen dürfen. Hinsichtlich des Umfangs der den Beklagten konkret untersagten Äußerungen geht der Senat möglicherweise noch über die landgerichtliche Entscheidung hinaus.

Der Senat ist wie das Landgericht der Ansicht, dass Dr. Schwan im Verhältnis zum Kläger eine vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung traf. Die Verträge zwischen dem Kläger und dem Drömer Knaur Verlag einerseits und diesem und Dr. Schwan andererseits sähen vor, dass Dr. Kohl das Letztentscheidungsrecht über die Verwendung seiner Äußerungen als solche wie auch über den konkreten Inhalt und den Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung zustehe. Beide Verträge des Verlags seien inhaltlich aufeinander abgestimmt und dem jeweils anderen Vertragspartner bekannt gewesen, der Vertrag zwischen Verlag und Schwan sei Kohl vereinbarungsgemäß zur Billigung vorgelegt worden. Das vertragliche Gefüge sei insgesamt dahingehend zu bewerten, dass Dr. Schwan im Rahmen seiner Tätigkeit in dienender Funktion gehandelt habe und er auch gegenüber Kohl zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen sei. Dementsprechend habe Schwan keine der Äußerungen Kohls, die in der Zusammenarbeit erfolgt sind, verwenden dürfen, es sei denn, diese seien ohnehin bereits öffentlich bekannt gewesen.

Co-Autor Jens und der beklagte Verlag könnten nach Ansicht des Senats die Unterlassung der Verwendung der streitgegenständlichen Zitate ebenfalls in vollem Umfang schulden. Die Verwendung der streitgegenständlichen Zitate, welche der Vertraulichkeitssphäre des Klägers zuzuordnen seien, stelle einen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Klägers dar, denn er verletze sein Recht zur Selbstbestimmung über das gesprochene Wort, Zwar hindere das aus Art. 5 Abs. 2 GG folgende Informationsrecht der Presse die Veröffentlichung auch in rechtswidriger Weise erlangter und ihr zugetragener Informationen nicht grundsätzlich. Dies könne jedoch nicht gelten, wenn - wie hier - die Informationsgewinnung in einer Art und Weise erfolgt sein, dass dies einer weiteren Verwendung und Veröffentlichung entgegenstehen müsse. Die Beklagten hätten selbst stets betont, bei der Entwicklung des Buchprojekts durchgängig als Team gewirkt zu haben. So hätten sie bei der Auswahl der Inhalte zusammengearbeitet, diese gemeinsam redigiert und die Texte ausgeformt. Der in der Weitergabe der vertraulich erfolgten Äußerungen durch Dr. Schwan und deren Verwendung und Veröffentlichung in der Biographie objektiv liegende Vertrauensbruch sei von allen Beklagten gemeinschaftlich getragen worden. Dies rechtfertige es, die Verwendung der Äußerungen insgesamt zu untersagen.

Da die Parteien sich trotz entsprechender Anregung des Senats nicht auf eine einvernehmliche Beendigung des Verahrens einigen konnten, hat der Senat in der Sache zu entscheiden. Termin zur Verkündung einer Entscheidung ist auf den 05.05.2015 bestimmt. Ein Rechtsmittel gegen das Urteil ist nicht gegeben."

OLG Köln: Journalist / Ghostwriter muss Tonbänder der Interviews mit Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl an diesen herausgeben

OLG Köln
Urteil vom 01.08.2014
6 U 20/14

Die Pressemitteilung des OLG Köln:


"Journalist muss Tonbänder der Interviews mit Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl herausgeben

Der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat mit Urteil vom 1. August 2014 die Berufung des Journalisten Dr. Heribert Schwan gegen ein Urteil des Landgerichts Köln, durch das er zur Herausgabe von Tonbändern an Dr. Helmut Kohl verurteilt worden ist, zurückgewiesen.

Der Beklagte sollte als "Ghostwriter" die Biographie des Klägers, des ehemaligen Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl verfassen. Zu diesem Zweck führte er umfangreiche Gespräche mit dem Kläger, die auf Tonband aufgezeichnet wurden. Nachdem der Kläger die Zusammenarbeit mit dem Beklagten beendet hatte, verlangt er die Herausgabe der besprochenen Tonbänder. Das Landgericht Köln hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, nach Beendigung des Auftragsverhältnisses über die Aufzeichnung der Lebenserinnerungen des Klägers sei der Beklagte verpflichtet, alles, was er zur Ausführung des Auftrages erhalten und erlangt habe, an den Kläger herauszugeben. Dazu gehörten auch die Tonbänder. Nach diesem Urteil hat der Beklagte zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung 200 Tonbänder an den Gerichtsvollzieher herausgegeben.

Die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dabei hat es offengelassen, ob die Begründung des Landgerichts zutreffe. Zwar spreche viel dafür, dass aus dem Vertragswerk ein Herausgabeanspruch folge; es wäre allerdings zu prüfen, ob ein solcher Anspruch unmittelbar dem Kläger oder nicht zunächst dem Verlag als dem direkten Vertragspartner des Beklagten zustünde.

Der Kläger habe jedoch einen Anspruch auf Herausgabe der Tonbänder, weil er durch die Aufzeichnung seiner Stimme Eigentum an den Tonbändern erlangt habe. Nach § 950 BGB erwerbe derjenige, der durch Verarbeitung eine neue bewegliche Sache herstelle, das Eigentum daran, sofern nicht der Wert der Verarbeitung erheblich geringer sei als der Wert des verarbeiteten Stoffes. Als Verarbeitung gelte dabei u.a. auch das Schreiben oder Malen. Dem seien die Tonbandaufnahmen vergleichbar. Nach der maßgeblichen Verkehrsauffassung werde jedenfalls dann eine "neue Sache" hergestellt, wenn die Aufzeichnungen für eine längerfristige Nutzung bestimmt seien.

Als Hersteller der Tonbandaufzeichnungen sei der Kläger anzusehen. Maßgeblich für die Bestimmung der Person des Herstellers sei, in wessen Namen und wirtschaftlichem Interesse die Herstellung erfolgt sei. Dies sei der Kläger, da die Tonbandaufzeichnungen nach den in der Berufungsinstanz nicht beanstandeten Feststellungen des Landgerichts allein als Materialsammlung für die Vorbereitung des Manuskripts seiner Memoiren gedient hätten. Aus dem zwischen den Parteien und dem Verlag geschlossenen Vertragswerk folge, dass die Entscheidungsbefugnis über den Inhalt der Aufzeichnungen und ihre Verwendung letztlich allein beim Kläger liegen sollte. Die Situation sei daher nicht mit einem Interview vergleichbar, das ein Journalist zum Zwecke der Berichterstattung zu einem tagesaktuellen Geschehen führe. Auch die vertraglichen Vereinbarungen zu den Urheberrechten, nach denen diese so weit wie möglich dem Kläger zugeordnet werden sollten, sowie das jederzeitige Kündigungsrecht des Klägers sprächen dafür, diesen als Hersteller der Tonbänder anzusehen.

Ein Recht zum Besitz stehe dem Beklagten nicht zu. Insbesondere könne er sich nicht auf eine - angebliche - Zusage des Klägers, er dürfe die Tonbänder nach dem Tod des Klägers veröffentlichen, berufen. Sollte es seine solche Zusage gegeben haben, wäre ihr mit der vorzeitigen Beendigung der Zusammenarbeit der Parteien die Grundlage entzogen worden. Der Kläger sei berechtigt gewesen, jederzeit und ohne Angaben von Gründen die Zusammenarbeit mit dem Beklagten zu beenden. Dies zeige, dass Grundlage der Zusammenarbeit allein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten gewesen sei. Sei das Vertrauen des Klägers in den Beklagten entfallen, sei auch die Grundlage für eine etwaige Zusage entfallen. Diese habe daher dem Beklagten keine über die seinerzeit geschlossenen Verträge hinausgehenden Rechte verschaffen können.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig; der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Aktenzeichen: 6 U 20/14 - OLG Köln"


BGH: Anspruch auf Herausgabe des Quellcodes eines Computerprogrammes nach § 809 BGB zur Feststellung einer Urheberrechtsverletzung

BGH
Urteil vom 20.09.2013
I ZR 90/09
UniBasic-IDOS
BGB § 809


Einem Anspruch auf Herausgabe des Quellcodes eines Computerprogramms nach § 809 BGB zum Zwecke des Nachweises einer Urheberrechtsverletzung steht nicht entgegen, dass unstreitig nicht das gesamte
Computerprogramm übernommen wurde, sondern lediglich einzelne Komponenten und es deswegen nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass gerade die übernommenen Komponenten nicht auf einem individuellen Programmierschaffen desjenigen beruhen, von dem der Kläger seine Ansprüche ableitet.
BGH, Urteil vom 20. September 2012 - I ZR 90/09 - OLG München - LG München I

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Wortfolge "Deutschlands schönste Seite" mangels Unterscheidungskraft nicht als Marke für Druckschriften und mit der Herausgabe von Druckschriften verbundene Dienstleistungen eintragbar

BGH
Beschluss vom 13.09.2012
I ZB 68/11
Deutschlands schönste Seiten
MarkenG § 8 Abs. 2 Nr. 1

Leitsatz des BGH:


Ist eine Wortfolge (hier: Deutschlands schönste Seiten) für die Ware "Druckschriften" inhaltsbeschreibend und nicht unterscheidungskräftig, wird dies im
Regelfall auch für die Dienstleistungen gelten, die sich auf die Veröffentlichung und Herausgabe von Druckschriften beziehen. Eine Ausnahme kommt allerdings für die fraglichen Dienstleistungen in Betracht, wenn die Wortfolge sich nur zur Beschreibung eines eng begrenzten Themas eignet.

BGH, Beschluss vom 13. September 2012 - I ZB 68/11 - Bundespatentgericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Widerrufsbelehrung bei Haustürgeschäften muss Informationen über die gegenseitigen Pflichten zur Herausgabe gezogener Nutzungen enthalten

BGH
Urteil vom 02.02.2011
VIII ZR 103/10
BGB § 312 Abs. 1 und 2, § 355 Abs. 2, § 357 Abs. 1 und 3 in der bis zum 11. Juni
2010 geltenden Fassung;
BGB-InfoV §§ 14, 16 in der bis zum 11. Juni 2010 geltenden Fassung


Leitsätze des BGH:

a) Eine Widerrufsbelehrung, die den Verbraucher bei einem Haustürgeschäft nicht über die gegenseitige Pflicht zur Herausgabe gezogener Nutzungen belehrt, genügt nicht den Anforderungen des § 312 Abs. 2 BGB an eine Belehrung über die Rechtsfolgen des § 357 Abs. 1 und 3 BGB.
b) Entbehrlich ist eine Belehrung über die Rechtsfolgen des § 357 Abs. 1 und 3 BGB nur dann, wenn der Eintritt dieser Rechtsfolgen nach der konkreten Vertragsgestaltung tatsächlich ausgeschlossen ist.
BGH, Urteil vom 2. Februar 2011 - VIII ZR 103/10 - OLG Frankfurt in Kassel LG Kassel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Sicherstellung einer eMail beim Provider erfogt nach den Grundsätzen über die Beschlagnahme von Postsendungen

BGH
Beschluss vom 31.03.2009 - 1 StR 76/09
StPO §§ 99, 95 Abs. 2



Leitsatz des BGH:

Die Sicherstellung von E-Mails beim E-Mail-Provider ist entsprechend den Voraussetzungen des § 99 StPO mit der Herausgabepflicht nach § 95 Abs. 2 StPO anzuordnen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
"BGH: Sicherstellung einer eMail beim Provider erfogt nach den Grundsätzen über die Beschlagnahme von Postsendungen" vollständig lesen