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BGH legt EuGH vor: Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO - Unterlassungsanspruch des Betroffenen bei DSGVO-Verstoß

BGH
Beschluss vom 26. 09.2023
VI ZR 97/22

Der BGH hat dem EuGH diverse sehr praxisrelevante Fragen zur Auslegung der DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. Zunächst geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO besteht und welche Kriterien bei der Bemessung der Höhe des Schadens zu berücksichtigen sind. Ferner soll die Streitfrage geklärt werden, ob der Betroffene bei einem DSGVO-Verstoß einen Unterlassungsanspruch hat und ob dieser aus der DSGVO oder anderen Vorschriften außerhalb der DSGVO hergeleitet werden kann.

Die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof legt dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zum Bestehen eines
unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs und zum Begriff des immateriellen Schadens nach der
Datenschutz-Grundverordnung vor

Der unter anderem für Ansprüche nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung von Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hinsichtlich des Bestehens eines unionsrechtlichen Unterlassungsanspruchs der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, bzw. zu der insoweit bestehenden Möglichkeit eines Rückgriffs auf das nationale Recht und zum Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO vorgelegt.

Sachverhalt:

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Weitergabe persönlicher Daten auf Unterlassung und Ersatz immateriellen Schadens in Anspruch. Er befand sich bei der beklagten Privatbank in einem Bewerbungsprozess, der über ein Online-Portal stattfand. Im Zuge dessen versandte eine Mitarbeiterin der Beklagten über den Messenger-Dienst des Portals eine nur für den Kläger bestimmte Nachricht auch an eine dritte, nicht am Bewerbungsprozess beteiligte Person, die mit dem Kläger vor einiger Zeit in derselben Holding gearbeitet hatte und ihn deshalb kannte. In der Nachricht wird unter anderem mitgeteilt, dass die Beklagte die Gehaltsvorstellungen des Klägers nicht erfüllen könne.

Der Kläger macht geltend, sein - immaterieller - Schaden liege nicht im abstrakten Kontrollverlust über die offenbarten Daten, sondern darin, dass nunmehr mindestens eine weitere Person, die den Kläger und potentielle wie ehemalige Arbeitgeber kenne, über Umstände Kenntnis habe, die der Diskretion unterlägen. Es sei zu befürchten, dass der in der gleichen Branche tätige Dritte die in der Nachricht enthaltenen Daten weitergegeben habe oder sich durch ihre Kenntnis als Konkurrent auf etwaige Stellen im Bewerbungsprozess einen Vorteil habe verschaffen können. Zudem empfinde er das "Unterliegen" in den Gehaltsverhandlungen als Schmach, die er nicht an Dritte - vor allem nicht an potentielle Konkurrenten - weitergegeben hätte.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben, die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt und dem Kläger, der immateriellen Schadensersatz von mindestens 2.500 € fordert, einen Betrag in Höhe von 1.000 € zuerkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a)Ist Art. 17 DSGVO dahingehend auszulegen, dass der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, ein Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten zusteht, wenn sie vom Verantwortlichen keine Löschung der Daten verlangt?

b)Kann sich ein solcher Unterlassungsanspruch (auch) aus Art. 18 DSGVO oder einer sonstigen Bestimmung der DSGVO ergeben?

2. Falls Fragen 1a) und/oder 1b) bejaht werden:

a)Besteht der unionsrechtliche Unterlassungsanspruch nur dann, wenn künftig weitere Beeinträchtigungen der sich aus der DSGVO ergebenden Rechte der betroffenen Person zu besorgen sind (Wiederholungsgefahr)?

b)Wird das Bestehen der Wiederholungsgefahr gegebenenfalls aufgrund des bereits vorliegenden Verstoßes gegen die DSGVO vermutet?

3.Falls Fragen 1a) und 1b) verneint werden:

Sind Art. 84 i.V.m. Art. 79 DSGVO dahingehend auszulegen, dass sie es dem nationalen Richter erlauben, der betroffenen Person, deren personenbezogene Daten von dem Verantwortlichen unrechtmäßig durch Weiterleitung offengelegt wurden, neben dem Ersatz des materiellen oder immateriellen Schadens nach Art. 82 DSGVO und den sich aus Art. 17 und Art. 18 DSGVO ergebenden Ansprüchen einen Anspruch gegen den Verantwortlichen auf Unterlassung einer erneuten unrechtmäßigen Weiterleitung dieser Daten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zuzusprechen?

4.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass für die Annahme eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung bloße negative Gefühle wie z.B. Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Angst, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, genügen? Oder ist für die Annahme eines Schadens ein über diese Gefühle hinausgehender Nachteil für die betroffene natürliche Person erforderlich?

5.Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens der Grad des Verschuldens des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters bzw. seiner Mitarbeiter ein relevantes Kriterium darstellt?

6.Falls Fragen 1a), 1b) oder 3 bejaht werden:

Ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahingehend auszulegen, dass bei der Bemessung der Höhe des zu ersetzenden immateriellen Schadens als anspruchsmindernd berücksichtigt werden kann, dass der betroffenen Person neben dem Anspruch auf Schadensersatz ein Unterlassungsanspruch zusteht?

Vorinstanzen:

LG Darmstadt - Urteil vom 26. Mai 2020 - 13 O 244/19

OLG Frankfurt am Main - Urteil vom 2. März 2022 - 13 U 206/20

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Löschung ("Recht auf Vergessenwerden")

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern einer der folgenden Gründe zutrifft:

a)

Die personenbezogenen Daten sind für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig.

b)

Die betroffene Person widerruft ihre Einwilligung, auf die sich die Verarbeitung gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a stützte, und es fehlt an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung.

c)

Die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 1 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein und es liegen keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vor, oder die betroffene Person legt gemäß Artikel 21 Absatz 2 Widerspruch gegen die Verarbeitung ein.

d)

Die personenbezogenen Daten wurden unrechtmäßig verarbeitet.

e)

Die Löschung der personenbezogenen Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich, dem der Verantwortliche unterliegt.

f)

Die personenbezogenen Daten wurden in Bezug auf angebotene Dienste der Informationsgesellschaft gemäß Artikel 8 Absatz 1 erhoben.

(2) Hat der Verantwortliche die personenbezogenen Daten öffentlich gemacht und ist er gemäß Absatz 1 zu deren Löschung verpflichtet, so trifft er unter Berücksichtigung der verfügbaren Technologie und der Implementierungskosten angemessene Maßnahmen, auch technischer Art, um für die Datenverarbeitung Verantwortliche, die die personenbezogenen Daten verarbeiten, darüber zu informieren, dass eine betroffene Person von ihnen die Löschung aller Links zu diesen personenbezogenen Daten oder von Kopien oder Replikationen dieser personenbezogenen Daten verlangt hat.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist

a)

zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information;

b)

zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

c)

aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstaben h und i sowie Artikel 9 Absatz 3;

d)

für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1, soweit das in Absatz 1 genannte Recht voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder

e)

zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.

Art. 18 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf Einschränkung der Verarbeitung

(1) Die betroffene Person hat das Recht, von dem Verantwortlichen die Einschränkung der Verarbeitung zu verlangen, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist:

a)

die Richtigkeit der personenbezogenen Daten von der betroffenen Person bestritten wird, und zwar für eine Dauer, die es dem Verantwortlichen ermöglicht, die Richtigkeit der personenbezogenen Daten zu überprüfen,

b)

die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt;

c)

der Verantwortliche die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt, oder

d)

die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung gemäß Artikel 21 Absatz 1 eingelegt hat, solange noch nicht feststeht, ob die berechtigten Gründe des Verantwortlichen gegenüber denen der betroffenen Person überwiegen.

(2) Wurde die Verarbeitung gemäß Absatz 1 eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten - von ihrer Speicherung abgesehen - nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats verarbeitet werden.

(3) …

Art. 79 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche
oder Auftragsverarbeiter

(1) Jede betroffene Person hat unbeschadet eines verfügbaren verwaltungsrechtlichen oder außergerichtlichen Rechtsbehelfs einschließlich des Rechts auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde gemäß Artikel 77 das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf, wenn sie der Ansicht ist, dass die ihr aufgrund dieser Verordnung zustehenden Rechte infolge einer nicht im Einklang mit dieser Verordnung stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden.

(2) …

Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Haftung und Recht auf Schadenersatz

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

(2) …

Art. 84 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Sanktionen

(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über andere Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung - insbesondere für Verstöße, die keiner Geldbuße gemäß Artikel 83 unterliegen - fest und treffen alle zu deren Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2) …


LAG Baden-Württemberg: 10.000 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unautorisierter Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen durch ehemaligen Arbeitgeber

LAG Baden-Württemberg
Urteil vom 27.7.2023
3 Sa 33/22

Das LAG Baden-Württemberg hat entschieden, dass ein ehemaliger Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber in Höhe von 10.000 EURO aus Art. 82 DSGVO wegen der unautorisierten Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Auf die Berufung des Klägers waren diesem wegen der unautorisierten Verwendung ihn betreffenden Bildmaterials in Video- und Fotoaufnahmen nicht nur 3.000,00 EUR, sondern 10.000,00 EUR als Schadensersatz zuzusprechen.

1. Wegen der Verpflichtung der Beklagten dem Grunde nach zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen Art. 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 82 Abs. 1 DSGVO bzw. zur Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers durch die Nutzung von Film- und Fotoaufnahmen, die den Kläger erkennbar über längeren Zeitraum zeigen, kann zunächst auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. 2. lit. b der Entscheidungsgründe seines Urteils (Bl. 214 bis 217 d. ArbG-Akte) verwiesen werden. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung liegen neben der Sache.

Wenn die Beklagte ausführt, dass „zwischen den Parteien abgestimmt gewesen“ sei, dass die Beklagte das Schulungsvideo auch nach Ausscheiden des Klägers vollumfänglich mit dem Bild des Klägers weiter nutzen könne, so ist nicht ansatzweise ersichtlich, wer - bei der Beklagten handelt es sich um eine juristische Person - mit wem wann welche konkrete Regelung vereinbart haben soll. Der Kläger hat eine entsprechende Abrede bestritten.

Auch wenn der Kläger im Zeitpunkt des Anfertigens des Bildmaterials hiermit und mit der Verwertung des Bildmaterials zu Werbezwecken für die Beklagte einverstanden war, so bedeutet dies nicht, dass dieses Einverständnis über den Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Beklagten hinaus fortbestand, zumal der Kläger in unmittelbarem zeitlichen Anschluss in vergleichbarer Position bei einem Wettbewerber tätig wurde. Vielmehr hätte die Beklagte sämtliche Bildnisse des Klägers von sich aus spätestens im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus ihren Werbemedien entfernen müssen (vgl. ArbG Neuruppin 14. Dezember 2021 - 2 Ca 554/21 - ZD 2022, 396). Dies hat die Beklagte jedoch nicht getan, sondern in der Folgezeit ein das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblichem Maße beeinträchtigendes Verhalten an den Tag gelegt.

a) Im Ansatz zu Recht gibt die Beklagte an, dass nicht jedwede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, also auch nicht jede Verletzung des Rechts am eigenen Bild, einen Anspruch des Betroffenen auf eine Geldentschädigung gegen den Urheber auslöst (BGH 12. Dezember 1995 - VI ZR 223/94 - NJW 1996, 984). Erforderlich ist vielmehr eine Bewertung aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also das Ausmaß der Verbreitung der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen. Bei Verletzungen des Rechts am eigenen Bild sind im Regelfall geringere Anforderungen an die Zusprechung einer Geldentschädigung zu stellen, da die Rechtsverletzung, anders als bei das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Äußerungen, regelmäßig nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (BGH 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12 - BGHZ 199, 237). Bei dieser Entschädigung steht regelmäßig der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund. Außerdem soll sie der Prävention dienen.

Im vorliegenden Fall liegt eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers vor. Auch wenn dieser zunächst mit der Anfertigung von Bildnissen einverstanden war und diese möglicherweise aktiv befördert hat, war für die Beklagte ohne Weiteres ersichtlich, dass dies jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers und seines Wechsels zu einem Konkurrenzunternehmen nicht mehr der Fall war. Die Beklagte hat dennoch weder von sich aus und zunächst auch nicht auf mehrmaliges Drängen des Klägers die Foto- und Videoaufnahmen mit dem Kläger aus ihren Werbemedien entfernt, sondern dies erst im Februar 2020 und somit über 9 Monate nach seinem Ausscheiden vollständig getan.

b) Nicht ausreichend berücksichtigt hat das Arbeitsgericht bei der Festsetzung der Höhe der Geldentschädigung, dass die Beklagte den Kläger über den Bestand des Arbeitsverhältnisses hinaus zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt hat. Dies bedeutet zwar nicht, dass eine „Gewinnabschöpfung“ vorzunehmen ist, wohl aber, dass die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung mit einzubeziehen ist. In solchen Fällen muss von der Höhe der Geldentschädigung ein echter Hemmungseffekt ausgehen; als weiterer Bemessungsfaktor kann die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung berücksichtigt werden (BGH 5. Dezember 1995 - VI ZR 332/94 - NJW 1996, 984).

Die Beklagte hat die Angaben des Klägers nicht substanziiert bestritten, wonach sie im Zeitraum vom 1. Mai 2019 bis 21. Februar 2020 viertägige Lehrgänge zum Erlernen von Foliertechniken angeboten habe, die zum Preis von 1.999,00 EUR von ca. 6 Personen je Lehrgang besucht worden seien. Dabei habe die Beklagte etwa 7.000,00 EUR Gewinn je Lehrgang vereinnahmt. Wie die Erörterungen in den mündlichen Verhandlungen vor der Berufungskammer ergeben haben, kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Teilnehmer des Lehrgangs aufgrund des den Kläger zeigenden Werbematerials speziell wegen der Person des Klägers bei der Beklagten gebucht haben. Die Beklagte hat nicht mit dem Namen des Klägers geworben, der auch selbst nicht behauptet hat, in der Branche bekannt gewesen zu sein, weshalb Teilnehmer gezielt Schulungen mit ihm besucht haben könnten. Andererseits hat die Beklagte selbst vorgetragen, dass der Kläger seine jetzige Position bei Mitbewerbern auch deshalb bekleide, weil er durch die entsprechenden Schulungen und Veröffentlichungen bekannt geworden sei. Somit hat die Beklagte einen gewissen Werbeeffekt ausgenutzt, was bei der Bemessung des Entschädigungsbetrags zu berücksichtigen ist ebenso wie der Umstand, dass sie vermeiden wollte, das mit viel Aufwand und Kosten angefertigte Schulungsvideo nicht mehr unverändert verwerten zu können.

c) Unter Abwägung dieser Umstände hält die Kammer einen Entschädigungsbetrag von 10.000,00 EUR für angemessen. Auch unter dem Gesichtspunkt der Prävention nicht anspruchserhöhend wirkt sich die anwaltliche Vertretung der Beklagten spätestens seit Anfang Februar 2020 aus (vgl. BAG 5. Mai 2022 - 2 AZR 263/21 - NZA 2022, 1191).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


AG München: Benachrichtigung über Datenschutzverstoß nach Art. 34 DSGVO genügt nicht um Schadensersatzanspruch nach Art 82 DSGVO schlüssig darzulegen und zu beweisen

AG München
Urteil vom 03.08.2023
241 C 10374/23

Das AG München hat entschieden, dass der Erhalt einer Benachrichtigung über einen Datenschutzverstoß nach Art. 34 DSGVO nicht genügt, um einen Schadensersatzanspruch nach Art 82 DSGVO schlüssig darzulegen und zu beweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags in Ziffer 2. unzulässig, im Übrigen aber zulässig.

Ein Feststellungsinteresse liegt bezüglich des Antrags Ziffer 2. nicht vor. Bei Vermögensschäden bedarf es für die Zulässigkeit der Klage der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts (BGH, Urteil vom 26.07.2018 – ZR 274/16, NJW-RR 2018, 1301 Rn. 20, beck-online). Der Kläger als Anspruchsteller hat die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens ergibt. Vorliegend ist den Ausführungen des Klägers nicht zu entnehmen, welche Nachteile ihm drohen könnten, zumal seit dem Abgreifen der Daten bereits 3 Jahre verstrichen sind, ohne dass es zu einem Missbrauch der Daten gekommen ist. Es ist kein Grund ersichtlich, wieso jetzt mit dem Eintritt eines Schadens zu rechnen wäre.

2. Die Klage ist in Ziffer 1. unbegründet

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens in Höhe von mindestens 1 .OOO € gegen die Beklagte gem. Art. 82 DGSVO.

Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen.

Die Darlegungs- und Beweislast für die haftungsbegründenden Voraussetzungen trägt der Anspruchsberechtigte (Rn 51 zu Art.82 DS-GVO, BeckOK Datenschutzrecht, 44. Auflage, 01.05.2023, beck-online).

Trotz Hinweis des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2023 hat der Kläger weder dargelegt, welche Pflichtverletzung nach der DSGVO er der Beklagten vorwirft, noch welcher konkrete, immaterielle Schaden hierdurch eingetreten sein soll.

Aus dem Schreiben vom 19.10.202 folgt nicht ein vorheriger Verstoß der Beklagten gegen die DGSVO. Die Benachrichtigungspflicht gem. Art.34 DSGVO setzt eine „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten“ gem. Art. 4 Nr. 12 DSGVO voraus. Auf ein Verschulden oder eine Mitverursachung durch den Verantwortlichen kommt es hierbei nicht an (Rn 23 zu Art. 34 DGSVO, BeckOK Datenschutzrecht, 01.02.2022, 44 Auflage, beck-online)

Selbst wenn ein Verstoß gegen die DSGVO vorgelegen hätte, führt der Datenschutzverstoß an sich nicht zu einem Ersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO, da der „Verstoß gegen diese Verordnung“ und der „Schaden“ zwei unterschiedliche Tatbestandsmerkmale der Vorschrift sind. Auch reicht der bloße Kontrollverlust über Daten nicht für das Vorliegen eines Schadens aus.

b) Mangels konkreten Schadens steht dem Kläger gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus vertraglichen oder deliktischen Ansprüchen nach dem BGB zu.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-GRURRS-B-2023-N-20971?hl=true

OLG Düsseldorf: Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO setzt Nachweis eines konkreten ggf. auch immateriellen Schadens voraus

OLG Düsseldorf
Urteil vom 09.03.2023
16 U 154/21


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO den Nachweis eines konkreten ggf. auch immateriellen Schadens voraussetzt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht – in dem für das Berufungsverfahren noch relevanten Umfang – weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO durch das Landgericht, noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO. Vielmehr hat das Landgericht die Klage mit weitgehend zutreffender und überzeugender Begründung abgewiesen.

Die Klage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte zunächst kein Anspruch auf weitergehende Auskunft gemäß Art. 15 Abs. 1, 3 DS-GVO zu. Insoweit hat das Landgericht mit zutreffender und in jeder Hinsicht überzeugender Begründung, der sich der Senat nach eigener Würdigung vollumfänglich anschließt, eine Erfüllung dieses ursprünglich bestehenden und vom Landgericht auch zutreffend angenommenen Anspruchs bejaht. Dabei geben die Angriffe des Klägers im Berufungsverfahren lediglich noch Anlass zu folgenden ergänzenden Ausführungen:

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19 – aufgestellten Grundsätze für die Bejahung der Erfüllung eines Auskunftsanspruchs, die das Landgericht zutreffend dargestellt und auf den zugrunde liegenden Streitfall angewandt hat, vorliegend gegeben. Erfüllt im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB ist ein Auskunftsanspruch demnach grundsätzlich dann, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Wird die Auskunft in dieser Form erteilt, steht ihre etwaige inhaltliche Unrichtigkeit einer Erfüllung nicht entgegen. Der Verdacht, dass die erteilte Auskunft unvollständig oder unrichtig ist, kann einen Anspruch auf Auskunft in weitergehendem Umfang nicht begründen. Wesentlich für die Erfüllung des Auskunftsanspruchs ist daher die - gegebenenfalls konkludente - Erklärung des Auskunftsschuldners, dass die Auskunft vollständig ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 576/18, juris, Rn. 19). Die Annahme eines derartigen Erklärungsinhalts setzt demnach voraus, dass die erteilte Auskunft erkennbar den Gegenstand des berechtigten Auskunftsbegehrens vollständig abdecken soll. Daran fehlt es beispielsweise dann, wenn sich der Auskunftspflichtige hinsichtlich einer bestimmten Kategorie von Auskunftsgegenständen nicht erklärt hat, etwa weil er irrigerweise davon ausgeht, er sei hinsichtlich dieser Gegenstände nicht zur Auskunft verpflichtet. Dann kann der Auskunftsberechtigte eine Ergänzung der Auskunft verlangen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 20).

Hier hat die Beklagte dem Kläger im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens letztlich Auskunft in Form der Anlage B11 erteilt. Die Übermittlung dieser unstreitig auch der Form des Art. 15 Abs. 3 DS-GVO genügenden Unterlagen war verbunden mit der ausdrücklichen Erklärung der Beklagten, über weitergehende Unterlagen bzw. den Kläger betreffende personenbezogene Daten nicht zu verfügen. Einzige Ausnahme bilden nach Auskunft der Beklagten dabei Unterlagen der Rechtsabteilung, die sich auf die Kommunikation im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Rechtsstreit, u.a. auch zwischen der Beklagten und deren Prozessvertretern, beziehen. Auf eine Auskunft über diese Kommunikation hat der Kläger aber bereits erstinstanzlich im Schriftsatz vom 05.05.2021 verzichtet, weshalb die Frage des Eingreifens einer etwaigen Bereichsausnahme für entsprechende Unterlagen vorliegend keiner Erörterung bedarf. Bereits diese, die Vorlage der Anlage B11 begleitenden Angaben der Beklagten belegen nach Auffassung des Senats aber eindeutig, dass die Beklagte sich grundsätzlich zur umfassenden Auskunftserteilung verpflichtet sah. Vor diesem Hintergrund ist sodann ihre – nicht einmal nur konkludent, sondern sogar ausdrücklich erfolgte – Vollständigkeitserklärung zu werten. Hinzu kommt, dass sich die begleitende Erklärung der Beklagten auch ausdrücklich zu den Vertragsverhältnissen verhielt, hinsichtlich derer der Kläger vorträgt, dass weitere Unterlagen mit Blick auf die Aufbewahrungspflicht gemäß § 147 Abs. 1 AO vorhanden sein müssten. Insoweit verkennt der Kläger bei seiner Argumentation aber bereits, dass der Umstand, dass etwas nach den gesetzlichen Vorgaben vorhanden sein bzw. aufbewahrt werden müsste, nichts dazu aussagt, dass dem auch tatsächlich genügt worden ist. Zudem ist dieser Umstand nicht geeignet, die von der Beklagten in Kenntnis ihrer umfassenden Auskunftspflicht abgegebene Vollständigkeitserklärung in Zweifel zu ziehen. Vielmehr handelt es sich insoweit allenfalls um einen Umstand, der im Zusammenhang mit der Frage der Pflicht zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung Bedeutung erlangen kann (siehe dazu unten). Bereits aus diesem Grund hat das Landgericht hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Frage der Erfüllung des Auskunftsanspruchs in nicht zu beanstandender Weise von der Einvernahme des Datenschutzbeauftragten der Beklagten abgesehen. Hierin lag entgegen der Auffassung des Klägers mithin auch keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Soweit der Kläger zudem Zweifel daran äußert, dass das Landgericht die Anlage B11 hinreichend bei seiner Entscheidung gewürdigt habe, vermag der Senat dem nicht beizutreten. Hierbei handelt es sich um eine pauschale Behauptung ins Blaue hinein, die durch keinerlei Tatsachen belegt oder auch nur gestützt wird. Im Gegenteil verhalten sich die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe ausdrücklich zu Anlage B11. Hieran vermag auch der Umstand, dass die Anlage B11 im Zusammenhang mit der Berufungseinlegung zunächst versehentlich nicht vom Landgericht an das Oberlandesgericht übermittelt worden ist, nichts zu ändern. Denn dieses Übermittlungsversehen hat keinerlei Aussagegehalt in Bezug auf die Frage, ob dem erstinstanzlichen Gericht die Anlage B11 bei seiner Entscheidung tatsächlich vorlag.

2. Dem Kläger steht, wie das Landgericht ebenfalls im Ergebnis und mit zum Teil überzeugender Begründung ausgeführt hat, auch kein Anspruch aus Art. 82 DS-GVO gegen die Beklagte auf Ersatz des von ihm geltend gemachten immateriellen Schadens wegen einer verzögerlichen und unvollständigen Datenauskunftserteilung zu (vgl. zum Ganzen, OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.03.2022 – 13 U 206/20, juris, Rn. 64 ff.).

Nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Jeder an einer Verarbeitung beteiligte Verantwortliche haftet für den Schaden, der durch eine nicht dieser Verordnung entsprechende Verarbeitung verursacht wurde, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DS-GVO. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter wird von der Haftung gemäß Absatz 2 befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, verantwortlich ist, Art. 82 Abs. 3 DS-GVO. Die Voraussetzungen für einen Geldentschädigungsanspruch in Bezug auf einen dem Kläger zugefügten immateriellen Schaden liegen nach Auffassung des Senats nicht vor, da es jedenfalls an der Darlegung des Eintritts eines Schadens bei dem Kläger fehlt, worauf bereits das Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung zumindest auch abgestellt hat.

Die Frage, ob bereits der Datenschutzverstoß als solcher für das Entstehen eines Schadensersatzanspruchs ausreicht oder es darüber hinaus der Darlegung und des Nachweises eines konkreten (auch: immateriellen) Schadens bedarf, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. Nachweise zum Streitstand: OLG Frankfurt a.M., a.a.O., Rn. 68). Sowohl der österreichische Oberste Gerichtshof (Vorabentscheidungsersuchen vom 12.05.2021, ZD 2021, S. 631, wobei der Gerichtshof die Auffassung vertritt, es sei der Nachweis eines Schadens erforderlich) als auch das Bundesarbeitsgericht (Vorabentscheidungsersuchen vom 26.08.2021, 8 AZR 253/20-A, wobei das BAG den Nachweis eines Schadens nicht für notwendig hält) haben die hiermit zusammenhängenden Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung, wonach über den festgestellten Verstoß gegen die Vorschriften des DS-GVO hinaus Voraussetzung für eine Entschädigung in Geld der Nachweis eines konkreten (auch immateriellen) Schadens ist. Hierfür spricht zunächst bereits der Wortlaut von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO, der über den Verstoß hinaus ausdrücklich die Entstehung eins Schadens („...Schaden entstanden ist") voraussetzt. Dieser Differenzierung im Wortlaut hätte es nicht bedurft, wenn bereits der Verstoß als solcher konstitutiv für den Anspruch wäre. Hätte der Verordnungsgeber eine nur an den Rechtsverstoß anknüpfende, vom Nachweis eines konkreten Schadens unabhängige Zahlungspflicht anordnen wollen, hätte es zudem demgegenüber nahegelegen, dies - wie z.B. im Luftverkehrsrecht gem. Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO (EG) 261/2004 - durch Pauschalen zu regeln (vgl. OLG Frankfurt a.M., a.a.O., Rn. 70 m.w.N.; OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2022 – 5 U 2141/21, juris, Rn. 73 f., m.w.N.). In dem Erwägungsgrund 146 S. 3 zu der DS-GVO heißt es zwar, dass der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden soll, die den Zielen der Verordnung in vollem Umfang entspricht. Der Anspruch soll nach Erwägungsgrund 146 S. 6 sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen vollständigen und wirksamen Schadensersatz für den erlittenen Schaden erhalten. Das schließt ein, dass Schadensersatzforderungen abschrecken und weitere Verstöße unattraktiv machen sollen. Der Begriff des Schadens in Art. 82 DS-GVO ist autonom auszulegen, mithin kommt es nicht darauf an, ob ein bestimmter Schaden nach nationalem Recht als Schaden angesehen werden könnte. Auch hiernach ist der Schaden jedoch nicht mit der zugrunde liegenden Rechtsgutsverletzung gleichzusetzen. Denn ausdrücklich muss der Schaden „erlitten" werden, woraus folgt, dass dieser tatsächlich entstanden sein muss und nicht lediglich befürchtet wird. Der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der DS-GVO reicht daher nicht aus (OLG Frankfurt a.M., a.a.O., Rn. 71; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2021, 17 Sa 37/20, juris, Rn. 96 m.w.N.).

Das Vorliegen eines konkreten - immateriellen - Schadens, etwa Ängste oder starken Stress, hat der Kläger vorliegend nicht dargetan. Soweit der Kläger im Rahmen seiner Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 07.04.2021 vorträgt, erschöpfen sich seine Ausführungen in der Darlegung des Datenschutzverstoßes – also einer verzögerlichen und seiner Ansicht nach unvollständigen Datenauskunftserteilung – ohne irgendwelche hierdurch bedingte Einbußen oder Beeinträchtigungen immaterieller Art aufzuzeigen. Diesen Vortrag ergänzt der Kläger auch zweitinstanzlich nicht. Vielmehr beruft er sich auch in der Berufungsbegründung letztlich auf seine – von dem Senat aus den vorstehend dargestellten Erwägungen nicht geteilte – Ansicht, wonach allein der Datenschutzverstoß in der vorliegenden Konstellation einen Schaden begründe. Ergänzend verweist er auf seinen – wie dargestellt – bereits erstinstanzlich unzureichenden Vortrag. Nichts anderes gilt, soweit er im Schriftsatz vom 21.01.2023 einen „Kontrollverlust über die Daten“ als Schaden anführt. Dies stellt lediglich eine Umschreibung des von ihm geltend gemachten Gesetzesverstoßes dar, aber keinen davon zu unterscheidenden Schaden immaterieller oder materieller Art. Da sich die Ausführungen des Klägers letztlich im Wesentlichen auf die Darlegung seiner abweichenden Rechtsauffassung, unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur beschränken, aber keinerlei Tatsachenvortrag enthalten, der geeignet wäre, einen etwaigen immateriellen Schaden konkret des Klägers zu belegen, vermag der Senat, der – ebenso wie das Landgericht – zum Erfordernis der Darlegung eines Schadens eine vom Kläger abweichende Rechtsauffassung vertritt, auch keine Verletzung dessen Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu erkennen.

Auf den konkreten Umfang des Auskunftsanspruchs gemäß Art. 15 Abs. 1, 3 DS-GVO und darauf, ob entgegen dem Landgericht die unter Berücksichtigung der in Art. 12 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO verzögerliche Aukunftserteilung eine taugliche Verletzungshandlung im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DS-GVO darstellt (vgl. dazu: OLG Köln, Urteil vom 14.07.2022 – 15 U 137/21, juris, Rn. 24; Quaas, in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, 41. Edition, Stand: 01.08.2022, Art. 82 DS-GVO, Rn. 14), kommt es nach dem Vorstehenden an dieser Stelle mithin nicht entscheidungserheblich an.

3. Soweit der Kläger erstmals mit der Berufungsbegründung hilfsweise die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung betreffend die Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Datenauskunft beantragt, ist die hierin liegende Klageänderung zwar zulässig, jedoch dringt der Kläger mit seinem Begehren in der Sache auch insoweit nicht durch.

a. Die Klageänderung ist zunächst gemäß § 533 ZPO zulässig. Zwar hat die Beklagte insoweit ausdrücklich nicht eingewilligt (§ 533 Nr. 1, 1. Alt. ZPO), jedoch ist diese nach Auffassung des Senats vorliegend sachdienlich (§ 533 Nr. 1, 2. Alt. ZPO). Bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit sind die beiderseitigen Interessen zu bewerten und abzuwägen. Es kommt auf die objektive Beurteilung an, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem anderenfalls zu führenden Rechtsstreit vorbeugt. Maßgeblich ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei nicht die beschleunigte Entscheidung des anhängigen Prozesses, sondern die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien entscheidend ist (vgl. Wulf, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK, 47. Edition, Stand 01.12.2022, § 533 Rn. 11). Das ist vorliegend zu bejahen, da die Frage der Erfüllung bzw. deren Umfang weiterhin zwischen den Parteien in Streit steht. Auch die Voraussetzung des § 533 Nr. 2 ZPO ist vorliegend gegeben. Danach hängt die Zulässigkeit einer zweitinstanzlichen Klageänderung davon ab, dass sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Maßgeblich ist gemäß § 529 i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO mithin der erstinstanzliche Sach- und Streitstand (vgl. Rimmelspacher, in: MüKo/ZPO, 6. Auflage 2020, § 533 Rn. 14). Vorliegend stand die Frage der Erfüllung des Auskunftsanspruchs bzw. einer vollständigen Erfüllung bereits erstinstanzlich zwischen den Parteien in Streit, sodass die für die Entscheidung des klageerweiternd geltend gemachten Anspruchs maßgeblichen Umstände bereits erstinstanzlich Gegenstand der Erörterung gewesen sind.

b. In der Sache kann der Kläger von der Beklagte aber nach §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB nicht die Abgabe der begehrten eidesstattlichen Versicherung verlangen. Hiernach hat der Verpflichtete die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben auf Verlangen an Eides statt zu versichern, wenn die Besorgnis besteht, dass diese nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gemacht worden sind. Erforderlich sind insoweit mithin Unvollständigkeit der Rechnungslegung / Auskunft und dass dies auf mangelnder Sorgfalt des Verpflichteten beruht. Beide Punkte müssen nicht feststehen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist insoweit ein auf Tatsachen gründender Verdacht, die der Berechtigte darlegen und notfalls beweisen muss (vgl. Krüger, in: MüKo/BGB, 9. Auflage 2022, § 260 Rn. 47, § 259 Rn. 38 f.). Daran fehlt es vorliegend im Ergebnis jedoch.

So ist nach Auffassung des Senats bereits die Unvollständigkeit der erteilten Auskunft nicht hinreichend substantiiert dargetan. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang das Vorhandensein weiterer Unterlagen mit der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 AO begründet, verkennt er bereits, dass das Bestehen einer entsprechenden Aufbewahrungspflicht nichts über den Umfang einer tatsächlich erfolgten Aufbewahrung und Speicherung aussagt. Eine Auskunftspflicht kann sich dabei aber von vornherein nur auf tatsächlich aufbewahrte und gespeicherte Unterlagen und Daten beziehen. In diesem Zusammenhang ist mit Blick auf den Umfang der tatsächlich erteilten Auskunft für den Senat nicht ansatzweise erkennbar, dass und weshalb die Beklagte weitergehende Vertragsunterlagen zu den genannten Kundennummern, die sie selbst bestätigt hat, nicht herausgeben sollte, sondern letztlich „lieber“ einen etwaigen Verstoß gegen ihre Pflichten gemäß § 147 AO einräumen sollte. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte das Vorhandensein weiterer Unterlagen, zu deren Herausgabe sie nicht bereit war – Stichwort: Rechtsabteilung –, eingeräumt hat. Aber selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass allein der Pflichtenverstoß der Beklagten gegen § 147 AO einen Verdacht auf die Unvollständigkeit im Sinne der §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB begründet, wäre auch insoweit dem Beweisangebot des Klägers auf Einvernahme der Datenschutzbeauftragten der Beklagten nicht nachzugehen, da es jedenfalls an einer hinreichend substantiierten Darlegung etwaiger Tatsachen fehlt, nach denen davon auszugehen wäre, dass die – unterstellt unvollständige – Auskunftserteilung als solche auf mangelnder Sorgfalt der Beklagten beruht. Im Gegenteil. So bemängelt der Kläger wiederholt über das gesamte Verfahren hinweg die administrative Organisation der Beklagten. Dies wird sogar noch belegt durch die wiederholten unberechtigten Abbuchungen von dessen Konto, die ebenfalls Gegenstand eines zwischenzeitlich übereinstimmend für erledigt erklärten Klageantrags gewesen sind. All dies mag für durchaus gravierende Versäumnisse der Beklagten im Zusammenhang mit ihrer Organisation, der Datenerfassung und –aufbewahrung, insbesondere auch der Achtung gesetzlicher Pflichten wie solchen gemäß § 147 AO sprechen, ist aber in keiner Weise geeignet, Zweifel dahingehend zu begründen, dass die Beklagte nicht sämtliche bei ihr vorhandene Daten und Unterlagen letztlich vollständig – also abgesehen von den, seitens des Klägers nicht begehrten Unterlagen der Rechtsabteilung – herausgegeben hat. Der sich aus dem Vortrag des Klägers allenfalls hinreichend substantiiert ergebende Vorwurf belegt mithin jedenfalls keine mangelnde Sorgfalt bei der Erteilung der Auskunft, sondern ggfls. im Vorfeld.

Damit kommt es auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage eines Eingreifens der §§ 259 Abs. 3, 260 Abs. 3 BGB ebenso wenig an wie darauf, ob § 260 Abs. 2 BGB überhaupt auf einen Anspruch aus Art. 15 DS-GVO anwendbar ist (aufgeworfen von: BGH, Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19, juris, Rn. 34).

4. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung in keiner Weise zu beanstanden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision hat gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO teilweise zu erfolgen: Hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Ansprüche des Klägers auf Zahlung eines Schadenersatzes liegt eine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vor, da die Voraussetzungen des Geldentschädigungsanspruchs nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO und das Verständnis dieser Vorschrift bislang nicht höchstrichterlich geklärt sind und sich nicht unmittelbar aus den Regelungen der DS-GVO ergeben (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14.01.2021 – 1 BvR 2853/19, Rn. 20).

Hinsichtlich des Auskunftsanspruchs war die Zulassung der Revision hingegen nicht geboten, weil die Rechtssache insoweit keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 1 ZPO). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZB 16/02, juris Rn. 4; Beschluss vom 04.07.2002 – V ZR 75/02, juris, Rn. 5). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BVerfG, Beschluss vom 08.12.2010 – 1 BvR 381/10, juris, Rn. 12). Die Frage, wann ein Auskunftsanspruch erfüllt ist, hat der BGH zwischenzeitlich in dem hier zugrunde gelegten Sinne entschieden. Ob im konkreten Fall Erfüllung eingetreten ist, ist dagegen eine Frage des Einzelfalls.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 39, 43, 47, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO auf 2.400,00 € festgesetzt.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: DSGVO-Verstoß begründet nicht automatisch einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO - aber keine Erheblichkeitsschwelle

EuGH
Urteil vom 04.05.2023
C-300/21
Österreichische Post (Immaterieller Schaden im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten)


Der EuGH hat entschieden, dass ein DSGVO-Verstoß nicht automatisch einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO begründet. Es kommt aber nicht darauf an, dass ein Erheblichkeitsschwelle überschritten wird.

Tenor der Entscheidung:
1. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen,
dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmungen dieser Verordnung nicht ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen.

2. Art. 82 Abs. 1 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen,
dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die den Ersatz eines immateriellen Schadens im Sinne dieser Bestimmung davon abhängig macht, dass der der betroffenen Person entstandene Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreicht hat.

3. Art. 82 der Verordnung 2016/679 ist dahin auszulegen,
dass die nationalen Gerichte bei der Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes, der aufgrund des in diesem Artikel verankerten Schadenersatzanspruchs geschuldet wird, die innerstaatlichen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten über den Umfang der finanziellen Entschädigung anzuwenden haben, sofern die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Der bloße Verstoß gegen die DSGVO begründet keinen Schadenersatzanspruch

Der Schadenersatzanspruch hängt jedoch nicht davon ab, dass der entstandene immaterielle Schaden eine gewisse Erheblichkeit erreicht.

Ab dem Jahr 2017 sammelte die Österreichische Post Informationen über die politischen Affinitäten der österreichischen Bevölkerung. Mit Hilfe eines Algorithmus definierte sie anhand sozialer und demografischer Merkmale „Zielgruppenadressen“. Aus den so gesammelten Daten leitete die Österreichische Post ab, dass ein bestimmter Bürger eine hohe Affinität zu einer bestimmten österreichischen politischen Partei habe. Die verarbeiteten Daten wurden jedoch nicht an Dritte übermittelt.

Der betroffene Bürger, der der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nicht zugestimmt hatte, behauptet, er habe dadurch, dass ihm eine besondere Affinität zu der fraglichen Partei zugeschrieben worden sei, großes Ärgernis und einen Vertrauensverlust sowie ein Gefühl der Bloßstellung verspürt. Als Ersatz des ihm angeblich entstandenen immateriellen Schadens begehrt er vor den österreichischen Gerichten die Zahlung von 1 000 Euro.

Der österreichische Oberste Gerichtshof äußerte Zweifel in Bezug auf den Schadensersatzanspruch, den die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)1 für den Fall vorsieht, dass wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der bloße Verstoß gegen die DSGVO ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, und ob für den Ersatz der entstandene immaterielle Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreichen muss. Des Weiteren möchte es wissen, welche unionsrechtlichen Vorgaben für die Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes bestehen.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof als Erstes fest, dass der in der DSGVO vorgesehene Schadenersatzanspruch eindeutig an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft ist: einen Verstoß gegen die DSGVO, einen materiellen oder immateriellen Schaden, der aus diesem Verstoß resultiert, und einen Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verstoß. Demnach eröffnet nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO für sich genommen den Schadenersatzanspruch. Eine andere Auslegung liefe dem klaren Wortlaut der DSGVO zuwider. Zudem führt nach dem Wortlaut der Erwägungsgründe der DSGVO, die speziell den Schadenersatzanspruch betreffen, ein Verstoß gegen die DSGVO nicht zwangsläufig zu einem Schaden und muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem fraglichen Verstoß und dem entstandenen Schaden bestehen, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen. Somit unterscheidet sich die Schadenersatzklage von anderen in der DSGVO vorgesehenen Rechtsbehelfen – insbesondere von jenen, die die Verhängung von Geldbußen erlauben –, für die das Vorliegen eines individuellen Schadens nicht nachgewiesen werden muss. Als Zweites stellt der Gerichtshof fest, dass der Schadenersatzanspruch nicht auf immaterielle Schäden beschränkt ist, die eine gewisse Erheblichkeit erreichen. In der DSGVO wird ein solches Erfordernis nicht erwähnt, und eine solche Beschränkung stünde zu dem vom Unionsgesetzgeber gewählten weiten Verständnis des Begriffs „Schaden“ im Widerspruch. Würde der Ersatz eines immateriellen Schadens von einer Erheblichkeitsschwelle abhängig gemacht, könnte dies zudem die Kohärenz der mit der DSGVO eingeführten Regelung beeinträchtigen. Die graduelle Abstufung, von der die Möglichkeit, Schadenersatz zu erhalten, abhinge, könnte nämlich je nach Beurteilung durch die angerufenen Gerichte unterschiedlich hoch ausfallen.

Als Drittes und Letztes stellt der Gerichtshof zu den Regeln für die Bemessung des Schadenersatzes fest, dass die DSGVO keine Bestimmung enthält, die sich diesen Regeln widmet. Daher sind die Ausgestaltung von Klageverfahren, die den Schutz der dem Einzelnen insoweit aus der DSGVO erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, und insbesondere die Festlegung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des in diesem Rahmen geschuldeten Schadenersatzes Aufgabe des Rechts des einzelnen Mitgliedstaats, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. In diesem Zusammenhang betont der Gerichtshof die Ausgleichsfunktion des in der DSGVO vorgesehenen Schadenersatzanspruchs und weist darauf hin, dass dieses Instrument einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden sicherstellen soll.


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EuGH-Generalanwalt: Bei einem Datenleck oder Hackerangriff kann ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO für Befürchtung eines künftigen Missbrauchs der Daten bestehen

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 27.04.2023
C-340/21 | Natsionalna agentsia za prihodite


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass bei einem Datenleck oder Hackerangriff ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus Art. 82 DSGVO gegen die verarbeitende Stelle für die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs der Daten bestehen kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Bei einem unbefugten Zugang zu personenbezogenen Daten durch Dritte haftet der Verantwortliche für mutmaßliches Verschulden und es kommt eventuell ein Ersatz des immateriellen Schadens in Betracht

Für eine Haftungsbefreiung muss der Verantwortliche nachweisen, dass er für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten ist, in keinerlei Hinsicht verantwortlich ist. Die Befürchtung eines künftigen Missbrauchs personenbezogener Daten kann nur dann einen immateriellen Schaden darstellen, wenn es sich um einen realen und sicheren emotionalen Schaden und nicht nur um ein Ärgernis oder eine Unannehmlichkeit handelt.

Am 15. Juli 2019 verbreiteten die bulgarischen Medien die Nachricht, dass ein unbefugter Zugang zum Informationssystem der bulgarischen Nationalen Agentur für Einnahmen (NAP) erfolgt sei und dass verschiedene Steuer- und Sozialversicherungsdaten von Millionen von Menschen im Internet veröffentlicht worden seien. Mehrere Personen, darunter V.B., verklagten die NAP auf Ersatz des immateriellen Schadens, der sich in Sorgen und Befürchtungen des künftigen Missbrauchs ihrer personenbezogenen Daten äußere. Nach Ansicht von V.B. hatte die NAP gegen nationale Vorschriften und ihre Verpflichtung verstoßen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um als Verantwortliche bei der Verarbeitung personenbezogener Daten angemessene Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Veröffentlichung der Daten nicht der NAP zuzurechnen sei, dass die Beweislast für die Geeignetheit der Maßnahmen bei V.B. liege und dass kein immaterieller Schaden geltend gemacht werden könne. Das mit der Kassationsbeschwerde befasste Oberste Verwaltungsgericht hat dem Gerichtshof einige Fragen zur Auslegung der DatenschutzGrundverordnung1 zur Vorabentscheidung vorgelegt, um zu klären, unter welchen Bedingungen eine Person, deren personenbezogene Daten, die sich im Besitz einer öffentlichen Agentur befinden, nach einem Hackerangriff im Internet veröffentlicht wurden, Ersatz des immateriellen Schadens verlangen kann.

In den heutigen Schlussanträgen weist Generalanwalt Giovanni Pitruzzella zunächst darauf hin, dass der Verantwortliche geeignete technische und organisatorische Maßnahmen umsetzen müsse, um sicherzustellen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß der Verordnung erfolge. Die Geeignetheit dieser Maßnahmen werde unter Berücksichtigung der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung bestimmt.

Der Generalanwalt führt erstens aus, dass das Vorliegen einer „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten“ an sich nicht ausreiche, um anzunehmen, dass die vom Verantwortlichen ergriffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen nicht „geeignet" gewesen seien, um den Schutz der Daten zu gewährleisten. Bei der Auswahl der Maßnahmen müsse der Verantwortliche eine Reihe von Faktoren berücksichtigen, darunter den „Stand der Technik“, der eine Begrenzung des technologischen Niveaus der Maßnahmen auf das, was zum Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahmen vernünftigerweise möglich sei, zulasse, wobei auch die Implementierungskosten zu berücksichtigen seien. Die Entscheidung des Verantwortlichen unterliege einer möglichen gerichtlichen Prüfung der Vereinbarkeit mit der Verordnung. Die Beurteilung der Geeignetheit der Maßnahmen müsse auf einer Abwägung zwischen den Interessen der betroffenen Person und den wirtschaftlichen Interessen und technischen Möglichkeiten des Verantwortlichen unter Wahrung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beruhen.

Zweitens müsse das nationale Gericht bei der Prüfung der Frage, ob die Maßnahmen geeignet gewesen seien, eine Überprüfung vornehmen, die sich auf eine konkrete Analyse sowohl des Inhalts der Maßnahmen als auch der Art und Weise ihrer Durchführung und ihrer praktischen Auswirkungen erstrecke. Bei der gerichtlichen Überprüfung müssten daher alle Faktoren berücksichtigt werden, die in der Verordnung enthalten seien. Unter diesen Faktoren könne die Einführung von Verhaltensregeln oder Zertifizierungssystemen ein nützliches Element der Bewertung zum Zweck der Erfüllung der Beweispflicht sein, wobei der Verantwortliche nachweisen müsse, dass er die in den Verhaltensregeln vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich ergriffen habe, während die Zertifizierung als solche den Beweis für die Übereinstimmung der durchgeführten Verarbeitungen mit der Verordnung darstelle. Da diese Maßnahmen erforderlichenfalls überprüft und aktualisiert werden müssten, habe das Gericht auch diesen Umstand zu würdigen.

Drittens obliege dem Verantwortlichen der Nachweis, dass die Maßnahmen geeignet seien. Gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sei es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die zulässigen Beweismittel und deren Beweiskraft, einschließlich der Ermittlungsmaßnahmen, zu bestimmen.

Viertens stelle der Umstand, dass der Verstoß gegen die Verordnung von einem Dritten begangen worden sei, für sich genommen keinen Grund dar, den Verantwortlichen von der Haftung zu befreien. Für eine Haftungsbefreiung müsse der Verantwortliche mit hohem Beweisniveau nachweisen, dass er für den Umstand, durch den der Schaden eingetreten sei, in keinerlei Hinsicht verantwortlich sei. Bei der Haftung für die unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten handele es sich nämlich um eine verschärfte Haftung für mutmaßliches Verschulden. Der Verantwortliche habe daher die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis vorzulegen.

Schließlich ist der Generalanwalt der Ansicht, dass der Schaden, der in der Befürchtung eines möglichen künftigen Missbrauchs der personenbezogenen Daten bestehe und dessen Vorhandensein die betroffene Person nachgewiesen habe, einen immateriellen Schaden darstellen könne, der einen Schadensersatzanspruch begründe. Dies gelte aber nur, wenn es sich um einen realen und sicheren emotionalen Schaden und nicht nur um ein Ärgernis oder eine Unannehmlichkeit handele.


Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:

AG Ludwigsburg: Rechtsmissbrauch durch Google Fonts-Abmahnungen - Kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten

AG Ludwigsburg
Urteil vom 28.02.2023
8 C 1361/22

Das AG Ludwigsburg hat zutreffend entschieden, dass die Google Fonts-Abmahnungen eine Serienabmahners rechtsmissbräuchlich waren. Daher besteht auch kein Anspruch auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Widerkläger hat gegen die Widerbeklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog und auf Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite der Widerbeklagten.

1. Das Landgericht München I (Urteil vom 20.01.2022 -3017493/20 -, juris) hat entschieden, dass die unerlaubte Weitergabe der IP-Adresse eines Webseitenbesuchers wegen der dynamischen Einbindung von X. Fonts auf der Webseite eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Webseitenbesuchers darstellt und ein Unterlassungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog sowie ein Schadensersatzanspruch gern. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO bestehen, wenn keine Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen.

14
Unbestritten hat der Widerkläger am 17.09.2022 die Webseite der Widerbeklagten unter Einsatzes eines Webcrawlers aufgesucht. Ob der Besuch mit der IP-Adresse des Widerklägers (…) erfolgte, ob die Widerbeklagte einen Link zugunsten von X. in den USA zur Weiterleitung der IP-Adresse des Besuchers der Webseite eingerichtet hatte und die IP-Adresse des Widerklägers an einen Server von X. in den USA gesandt wurde, kann dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, ob ein Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO beim Aufsuchen der Webseite mittels eines Webcrawlers überhaupt in Betracht kommt.

2. Den vom Widerkläger geltend gemachten Ansprüchen steht der Einwand des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB entgegen.

Die Rechtsausübung ist rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., §242 Rn. 50). Das Interesse ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als beherrschendes Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen, wobei eine Gesamtwürdigung aller Umstände zu erfolgen hat (BGH, Urteil vom 28.05.2020 -1 ZR 129/19 -, juris).

In § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG ist geregelt, dass eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen dem § 8 Abs. 4 Abs. 1 UWG, der allerdings die Vertragsstrafe nicht erwähnte. Der Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Einnahmeerzielungs- und Kostenbelastungsinteresse ist in der Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht seit langem anerkannt (Köhler-Bornkamm-Feddersen, UWG, 41. AufI. § 8c Rn. 14).

Auch wenn diese Vorschrift mangels eines Wettbewersbverhältnisses der Parteien und einer gewerblichen Tätigkeit des Widerklägers keine direkte Anwendung findet, ändert dies nichts daran, dass der Rechtsgedanke des § 8c Abs. 2 Nr. 1 UWG auch im Rahmen des § 242 BGB zu berücksichtigen ist (LG Dresden, Urteil vom 11.01.2019 -1a O 1582/18 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint die Rechtsausübung des Widerklägers rechtsmissbräuchlich, da nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände beim Widerkläger nicht das Unterlassungsinteresse, sondern das Interesse an einer Einnahmeerzielung im Vordergrund steht.

a. Der Widerkläger hat innerhalb des Zeitraums vom 14.09.2022 bis 20.10.2022 unter Berücksichtigung der nach fortlaufenden Nummern vergebenen Aktenzeichen 217.540 Anschreiben verschickt, welche dem an die Widerbeklagte unter dem Datum vom 20.10.2022 verschickten Anschreiben entsprechen. Dass die Aktenzeichen nach fortlaufenden Nummern vergeben wurden, hat der Widerkläger, der dies vorgerichtlich noch in Abrede gestellt hatte, nicht bestritten.

Bei den verschickten Anschreiben handelt es sich nicht um klassische Abmahnungen, da nicht die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassung verlangt wird. Vielmehr wird zur umfassenden Abgeltung der datenschutzrechtlichen Ansprüche eine Zahlung von 170,00 Euro als Vergleich angeboten. Hätten alle im oben genannten Zeitraum Angeschriebenen den Betrag von 170,00 Euro bezahlt, hätte der Widerkläger einen Betrag in Höhe von 36.981.800,00 Euro eingenommen.

Der Widerkläger selbst hat angegeben, dass es ihm vorrangig darum ging, Aufmerksamkeit für das Thema X. Fonts zu erzeugen, um hierüber eine Änderung des Nutzerverhaltens zu er reichen. Dass dies nur dadurch zu erreichen war, dass eine so große Anzahl von Anschreiben verschickt wird verbunden mit der Aufforderung 170,00 Euro an den Widerkläger zu bezahlen, um die Sache auf sich beruhen zu lassen, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Soweit der Widerkläger vorträgt, dass es sich bei diesem Betrag um eine Schmerzensgeldforderung handle, wird darauf hingewiesen, dass dies dem Anschreiben nicht zu entnehmen ist. In dem Anschreiben wird der Betrag in Höhe von 170,00 Euro vielmehr als Ausgleichszahlung zur Abgeltung der vorgenannten Ansprüche gefordert. Im Abmahnschreiben vom 12.12.2022 hat der Widerkläger dann erstmals einen Betrag in Höhe von 170,00 Euro als Schmerzensgeld gefordert.

b. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Unterlassungsinteresse des Widerklägers durch Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro besänftigt hätte werden können.

Mit Abgabe der Unterlassungserklärung soll zukünftigen Rechtsverletzungen vorgebeugt werden. Bereits dadurch, dass der Widerkläger im Anschreiben vom 20.10.2022 angeboten hat, bei Zahlung eines Betrages in Höhe von 170,00 Euro die Sache auf sich beruhen zu lassen, kommt zum Ausdruck, dass es dem Widerkläger nicht vorrangig darum ging, dass weitere datenschutzrechtliche Verstöße unterbleiben, sondern um die Erzielung von Einnahmen. Der Widerkläger selbst hat ausgeführt, dass die Abgabe einer Unterlassungserklärung zwar zielführender gewesen wäre, diese aber im Zweifel nicht notwendig sei. Dies begründet der Widerkläger damit, dass wer auf seiner Webseite X. Fonts einmal zulässig eingestellt hat, dies kaum wieder rückgängig machen wird. Dies mag zwar so sein, ändert jedoch nichts daran, dass jedenfalls eine Wiederholungsgefahr besteht, welche der Widerkläger in Kauf nimmt, wenn er dafür 170,00 Euro erhält.

Darüber hinaus hat der Widerklägervertreter in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass der Widerkläger davon ausgegangen wäre, dass mit der Bezahlung des Betrages von 170,00 Euro durch den Angeschriebenen die Webseite datenschutzkonform ausgerichtet wurde. Dem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass eine Überprüfung stattgefunden hätte, ob tatsächlich eine datenschutzkonforme Ausrichtung erfolgt ist. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es dem Widerkläger in erster Linie darum ging, von den Angeschriebenen die 170,00 Euro zu erhalten.

Dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn sich der Abmahnende seinen Unterlassungsanspruch vom Abgemahnten abkaufen lässt, ist auch im Wettbewerbsrecht anerkannt (OLG München, Urteil vom 22.12.2011 - 29 U 3463/11-, juris; OLG Hamburg, Urteil vom 07.07.2010 - 5 U 16/10-, juris).

c. Für ein im Vordergrund stehendes Einnahmeerzielungsinteresse spricht auch, dass der Widerkläger bislang nur dann weitere Maßnahmen ergriffen hat, wenn von den Angeschriebenen negative Feststellungsklage erhoben wurde, obwohl nur insgesamt 2.418 Angeschriebene die geforderten 170,00 Euro bezahlt haben. Soweit der Widerklägervertreter ausführt, dass auch im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand die Ansprüche bislang nicht weiter verfolgt worden seien, überzeugt dies nicht. Zum einen gab der Widerklägervertreter an, dass dies „auch“ am hohen Verwaltungsaufwand liege, ohne noch einen weiteren Grund zu nennen. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, warum nicht jedenfalls gegen eine gewisse Anzahl der Angeschriebenen, welche nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist die Vergleichssumme nicht bezahlt hat und auch keine negative Feststellungsklage erhoben hat, weiter vorgegangen wurde, zumal dem Anschreiben eindeutig zu entnehmen ist, dass nur bei Bezahlung der Vergleichssumme der Widerkläger die Sache auf sich beruhen lässt. Tatsächlich war es aber so, dass - anstatt die Ansprüche der bereits Angeschriebenen weiterzuverfolgen -immer noch weitere Anschreiben verschickt wurden.

d. Für eine rechtsmissbräuchliche Ausübung spricht auch, dass unter Berücksichtigung des Umfangs der Aktion und des Kostenrisikos sowohl auf Seiten des Widerklägers als auch auf Seiten des Widerklägervertreters anzunehmen ist, dass der Widerkläger mit seinem Bevollmächtigten in kollusiver Weise eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart hat.

Es oblag dem Widerkläger im Rahmen der sekundären Darlegungslast nachvollziehbar darzulegen, wie das Mandat abgerechnet wird bzw. was er an seinen Bevollmächtigten bezahlt hat. Der Widerkläger hat trotz des Bestreitens der Widerbeklagten, dass überhaupt eine Beauftragung erfolgt ist und, wenn doch, dass der Widerkläger seinen Bevollmächtigten bezahlt hat, dies weder nachvollziehbar dargelegt noch unter Beweis gestellt. Der Widerkläger hat lediglich ausgeführt, dass er den von ihm beauftragten Anwalt für seine Tätigkeit, und zwar für jedes Mandat, gemäß Gesetzeslage bezahlt. Hinsichtlich der Gesetzeslage hat er auf die Novembermann Entscheidung des BGH (BGH, Urteil vom 06.06.2019 -I ZR 150/18-, juris) hingewiesen und dargelegt, dass ein kumulierter Streitwert aller inhaltsgleicher Verfahren zugrunde zu legen sei. Dies führe unter Berücksichtigung von 217.540 Anschreiben zu einem je Angeschriebenen zu zahlenden Betrag in Höhe von brutto 1,89 Euro (Streitwert 36.981.180,00 Euro, 1,3 Geschäftsgebühr 161.185,70 Euro zzgl. Postkosten 184.909,00 Euro zzgl. 19 % MwSt. ergibt 411.852.69 Euro). Dem Rechenmodell liegt eine ex-post-Betrachtung für den Zeitraum 14.09. - 20.10.2022 zugrunde. Insoweit wurden vom Widerkläger die Angaben der Widerbeklagten hinsichtlich der Anzahl der in diesem Zeitraum verschickten Anschreiben übernommen. Unbestritten verschickte der Widerkläger aber entsprechende Anschreiben über mehrere Monate, also über einen längeren Zeitraum als vom 14.09 - 20.10.2022. Unter Berücksichtigung, dass der Widerkläger den Widerklägervertreter in Bezug auf jedes Mandat vergütet haben will, ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht, auf welchen Betrag sich die Vergütung für das Tätigwerden des Widerklägervertreters beläuft. Des Weiteren mag die aufgrund der vorgenommenen Berechnung pro Anschreiben berechnete Vergütung gering sein, in Anbetracht der großen Anzahl von Anschreiben ist die Vergütung aber hoch und es ist nicht plausibel, dass der Widerkläger dieses Kostenrisiko selbst trägt. Es widerspricht aber auch der Lebenserfahrung, dass der Widerklägervertreter tätig wird, obwohl ihm unter Berücksichtigung der von ihm vorgenommenen Berechnung seiner Vergütung für den Zeitraum 14.09 -20.10.2022 bereits unter Berücksichtigung der Portokosten für die Anschreiben keine kostendeckende Vergütung mehr zustehen dürfte.

3. Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren für das Abmahnschreiben vom 12.12.2022 teilt das Schicksal der Hauptforderung.


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OLG München: Sperrung eines Social-Media-Accounts muss begründet werden - Kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO

OLG München
Urteil v. 20.09.2022
18 U 6314/20 Pre


Das OLG München hat entschieden, dass die Sperrung eines Social-Media-Accounts begründet werden muss. Zudem hat das Gericht entschieden, dass kein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO bei rechtswidriger Sperrung besteht.

Leitsätze des Gerichts:
1. Zum grundsätzlich bestehenden vertraglichen Anspruch des Nutzers eines sozialen Netzwerks gegen dessen Anbieter auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Beitragslöschung bei Fehlen einer Bestimmung in den Geschäftsbedingungen, wonach sich der Anbieter verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20 und BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 192/20).

2. Der Antrag des Nutzers auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen, ist auf Unterlassung und nicht auf Erteilung einer - nicht selbständig einklagbaren - Information gerichtet (entgegen KG, Urteil vom 14.3.2022 - 10 U 1075/20).

3. Der Nutzer hat grundsätzlich Anspruch auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll, kann er nicht verlangen.

Aus den Entscheidungsgründen:

Bei Verhängung der Sperre wurde zudem ausweislich der Screenshots auf S. 18 der Klage (Bl. 18 d.A.) ein Grund hierfür nicht angegeben.

d) Bei der Verletzung von Vertragspflichten kann sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB ein Unterlassungsanspruch ergeben (vgl. BGH a.a.O., Rn. 102 m.w.N.). Ein solcher ist auch in der vorliegenden Konstellation, in der die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem - fortbestehenden - Vertragsverhältnis verletzt hat, anzunehmen. Dies gilt ungeachtet der zwischenzeitlichen Löschung des Nutzerkontos (s. hierzu nachfolgend unter Ziff. III 1), nachdem der Kläger seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2020 zufolge die Einrichtung eines neuen Kontos anstrebt.

Dem stehen auch nicht die Erwägungen des Kammergerichts Berlin in dem von der Beklagten zitierten Urteil vom 14.03.2022 (Az. 10 U 1075/20) entgegen. Das Kammergericht weist darin einen gleichlautenden Unterlassungsantrag des (dortigen) Klägers ab und führt zur Begründung aus, dass die vom Bundesgerichtshof angenommenen Informationspflichten der Beklagten gegenüber dem Nutzer nicht selbständig einklagbar seien. Da die Entfernungs- und Sperrvorbehalte in den Geschäftsbedingungen der Beklagten (unter anderem) den Anforderungen an die Informationspflicht nicht genügten, seien die genannten Vorbehalte gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam mit der Folge, dass eine vertragliche Grundlage für Löschungen und Sperrungen fehle. Gegen Löschungen von Beiträgen und Teilsperrungen seines Nutzerkontos könne der Nutzer im Klagewege vorgehen. Nur in diesem Zusammenhang komme den Informationspflichten eine Bedeutung zu. Da die Informationspflichten keinen eigenen Leistungszweck verfolgten, bestehe kein eigener, auf die Erfüllung der unselbständigen Unterlassungspflicht bezogener Unterlassungsanspruch (KG a.a.O.).

Anders als das Kammergericht meint, handelt es sich vorliegend jedoch nicht um einen auf Erteilung einer Information gerichteten Antrag, die nicht selbständig einklagbar wäre und die nicht zum Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs gemacht werden könnte. Denn der Kläger begehrt die Unterlassung einer erneuten Sperre, schränkt dies allerdings zulässigerweise in Übereinstimmung mit dem bereits erfolgten Vertragsverstoß dahin ein, dass er sich (nur) gegen eine erneute Sperre ohne Angabe eines Grundes wendet. Er begehrt mithin das Unterlassen der rechtswidrigen Sperre; ein isolierter Anspruch auf Erteilung einer Information wird damit nicht geltend gemacht.

Darüber hinaus sprechen auch prozessökonomische Gründe für die Zulassung des Antrags, da der Kläger andernfalls gezwungen wäre, trotz gleichbleibenden Sachverhalts bei unveränderten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten jeweils erneut gegen derartige Sperrungen im Klagewege vorzugehen.

e) In inhaltlicher Hinsicht kann der Kläger von der Beklagten verlangen, es zu unterlassen, ihn (erneut) zu sperren, ohne ihm unverzüglich den Anlass der Sperrung mitzuteilen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht jedoch nicht.

aa) Hinsichtlich des Umfangs der Mitteilungspflichten kann der Kläger allein die Mitteilung verlangen, welches Verhalten zum Anlass der Sperre genommen wurde, nicht jedoch eine weitergehende Begründung im Sinne einer rechtlichen Subsumtion, weshalb es sich um einen Verstoß handeln soll. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem NetzDG: So soll nach dessen Gesetzesbegründung „die in den Beschwerdesystemen der sozialen Netzwerke übliche Multiple-Choice-Begründungsform“ im Rahmen der in § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG normierten Begründungspflicht ausreichen (BT-Drs. 18/12356, S. 23). Wenn die Sperre auf Gründe gestützt wird, die sich nicht auf rechtswidrige Inhalte nach dem NetzDG beziehen, kann insoweit kein strengerer Maßstab gelten.

Gleiches gilt für die vom Kläger geforderte Mitteilung „in speicherbarer Form“, die im NetzDG ebenfalls nicht vorgesehen ist. Es erscheint dem Kläger zumutbar, eine über die Plattform mitgeteilte Begründung ggf. durch einen Screenshot zu sichern.

bb) Die Mitteilung des Anlasses der Sperrung hat außerdem nach nochmaliger Prüfung unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur „unverzüglich“ (anstatt wie beantragt „zugleich“) zu erfolgen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Dem Bundesgerichtshof zufolge ist die erforderliche Anhörung des Nutzers - die neben der einleitenden Information über eine beabsichtigte Kontosperrung und der Mitteilung des Grundes hierfür auch die Möglichkeit des Nutzers zur Gegenäußerung mit einer anschließenden Neubescheidung umfasst - grundsätzlich vor der Sperrung des Kontos durchzuführen und nur in eng begrenzten, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen näher zu bestimmenden Ausnahmefällen kann von einer vorherigen Durchführung abgesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, Rn. 85 und 87). Die vom Kläger im Streitfall begehrte Mitteilung des Grundes bzw. Anlasses der Sperrung ist danach Teil des vom Bundesgerichtshofs geforderten Anhörungsverfahrens, das zwar regelmäßig, aber nicht ausnahmslos vor der Kontosperrung durchzuführen ist. Um auch die vom Bundesgerichtshof erwähnten Ausnahmefälle angemessen berücksichtigen zu können, erscheint es zu weitgehend, dem Kläger einen Anspruch auf Mitteilung „zugleich“ mit der Sperre - im Sinne von „gleichzeitig“ bzw. „zeitgleich“ - zuzubilligen. Vielmehr kann der Kläger als „Minus“ gegenüber seinem ursprünglichen Antrag nur eine unverzügliche Mitteilung des Anlasses der Sperrung verlangen. Damit wird zudem ein Gleichlauf mit der vom Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Löschung eines Beitrags geforderten unverzüglichen nachträglichen Anhörung (vgl. BGH a.a.O., Rn. 88) sowie mit § 3 Abs. 2 Nr. 5 NetzDG erreicht, der in den unter das NetzDG fallenden Konstellationen ebenfalls eine unverzügliche Information und Begründung verlangt. In der Mehrzahl der Fälle dürfte das Erfordernis einer unverzüglichen Mitteilung allerdings faktisch ohnehin darauf hinauslaufen, dass die Begründung wiederum zugleich mit der Sperre zu erfolgen hat. Denn regelmäßig sollte die Prüfung im Zeitpunkt der Verhängung der Sperre auf Seiten der Beklagten bereits abgeschlossen und die Mitteilung des Grundes der Beklagten möglich und zumutbar sein.

[...]

c) Schließlich scheidet auch ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DS-GVO aus.

Nach dieser Vorschrift hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen. Die Verarbeitung der Daten der Klägerin durch die Beklagte verstieß aber nicht gegen die DS-GVO; denn sie beruhte auf der vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit. a) DS-GVO und auf Art. 6 Abs. 1 lit. f) DS-GVO.

Im Übrigen gilt auch für diese Anspruchsgrundlage, dass ersatzfähig alle Nachteile sind, die der Geschädigte an seinem Vermögen oder an sonst rechtlich geschützten Gütern erleidet (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, DS-GVO, 3. Aufl. 2020, Art. 82 Rn. 19). Ein solch immaterieller Schaden, der hier allenfalls an eine - ggf. auch weniger schwerwiegende - Verletzung des Persönlichkeitsrechts anknüpfen könnte (vgl. hierzu Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Art. 82 DSGVO Rn. 4c; Wybitul, Immaterieller Schadensersatz wegen Datenschutzverstößen, NJW 2019, 3265, 3267), liegt jedoch wie dargelegt nicht vor. Die bloße Sperrung des klägerischen Nutzerkontos begründet einen solchen Schaden nicht


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH-Generalanwalt: Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO setzt tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraus - Kein Strafschadensersatz

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 06.10.2022
C‑300/21
UI gegen Österreichische Post AG


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO einen tatsächlichen materiellen oder immateriellen Schaden voraussetzt.

Das Ergebnis des EuGH-Generalanwalts:
Art. 82 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist wie folgt auszulegen:

Für die Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Schadens, den eine Person infolge eines Verstoßes gegen die genannte Verordnung erlitten hat, reicht die bloße Verletzung der Norm als solche nicht aus, wenn mit ihr keine entsprechenden materiellen oder immateriellen Schäden einhergehen.

Der in der Verordnung 2016/679 geregelte Ersatz immaterieller Schäden erstreckt sich nicht auf bloßen Ärger, zu dem die Verletzung ihrer Vorschriften bei der betroffenen Person geführt haben mag. Es ist Sache der nationalen Gerichte, herauszuarbeiten, wann das subjektive Unmutsgefühl aufgrund seiner Merkmale im Einzelfall als immaterieller Schaden angesehen werden kann.

Die vollständigen Schlussanträge finden Sie hier:


AG München: Verfallene Burg darf als "Lost Place" bezeichnet werden - Kein Anspruch auf Zahlung von Geldentschädigung

AG München
Urteil vom 09.04.2021
142 C 14251/20


Das AG München hat entschieden, dass eine verfallene Burg als "Lost Place" bezeichnet werden darf und kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung besteht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
"Lost Places" - verfallene Burg darf als „lost Place“ bezeichnet werden

Mit Urteil vom 09.04.2021 wies das Amtsgericht München die Klage einer US-amerikanischen Gesellschaft auf Schadenersatz wegen einer Urheberrechtsverletzung ab.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines in Thüringen gelegenen historischen Schlosses. Das Schloss wurde im neunten Jahrhundert erstmals erwähnt. Im vierzehnten Jahrhundert wurde es nach einem Brand wiederhergestellt.

Der Beklagte betreibt eine Internetseite. Auf dieser veröffentlichte er 2018 in der Rubrik „Lost Places“ diverse Fotografien der Burg, die diese unter Anderem von innen zeigen.

Die Klägerin behauptet, das Gebäude sei urheberrechtlich geschützt und sie sei Inhaberin der Urheberrechte. Die ungenehmigte Anfertigung der Bilder und das rechtswidrige Eindringen stellten eine Verletzung des „ausländischen Copyrights“ der Klägerin dar. Als Schadenersatz verlangte sie 3.000,00 €. Dies entspräche dem Pauschalpreis, den sie einer Film-Crew bis zu vier Personen für die Lizenz berechne.

Die Verbreitung der Fotos verletze den ‚foreign copyright claim‘ und moralische Rechte. Die Bezeichnung der Burg als „Lost Place“ sei unwahr. Die Burg sei weder verloren noch verlassen. Der Schadensersatz hierfür betrage 1.500,00 €.

Der Beklagte war hingegen der Ansicht, dass sich der Zustand des Gebäudes einer Ruine ohne jeglichen materiellen oder immateriellen Wert annähere. In diesem Zustand komme der Burg kein Urheberrechtschutz zu. Zudem sei das Grundstück frei zugänglich, Nachteile oder ein Schaden könnten der Klägerin daher durch das Anfertigen von Fotografien nicht entstanden sein.

Das Gericht wies die Klage vollumfänglich ab. Der zuständige Richter führte in der Begründung aus:

„Urheberrechtlicher Schutz nach § 11 S. 1 UrhG kann der Klägerin (…) von Vornherein nicht zukommen, da sie entgegen ihrer auch insoweit unschlüssigen Behauptung nicht Urheberin der (…)burg ist. Urheber können zum einen nur natürliche, nicht dagegen auch juristische Personen sein (Begr. BT-Drs. IV/270, 41; BeckOK UrhR/Ahlberg, 29. Ed. 20.4.2018, UrhG § 7 Rn. 7). Zum anderen ist nicht dargelegt, dass die Klägerin die (…)burg errichtet hat, was angesichts des Fertigstellungsdatums jedenfalls des Wiederaufbaus im Jahr 1375 wohl auch eher fernliegen dürfte. Zu abgeleiteten Schutzrechten ist ebenso nichts vorgetragen, ein Entstehen solcher ist angesichts der lange zurückliegenden Errichtung ebenfalls völlig abwegig.

Soweit die Klägerin ihren Antrag (…) (auch) darauf stützen will, dass der Beklagte die Immobilie der Klägerin auf seiner Internetseite als „lost place“ bezeichnet hat, scheiden Schadensersatzansprüche ebenfalls aus. Insbesondere kommt ein Anspruch auf Geldentschädigung nach §§ 823 Abs. 1 BGB i.V.m. einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht in Betracht.

Die Klägerin verlangt insoweit offenbar Geldentschädigung für immaterielle Schäden (“Verletzung moralischer Rechte“). Eine solche kann zum einen nur natürlichen Personen zustehen und kommt zum anderen nur in Betracht, wenn eine schwere Beeinträchtigung vorliegt, die nach Art der Verletzung nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann (vgl. hierzu i.E. Palandt-Sprau, 79. Aufl., § 823 BGB Rn. 130 m.w.N.). Die erstgenannte Voraussetzung ist offenkundig nicht erfüllt, auch eine schwerwiegende Beeinträchtigung durch die Äußerung des Beklagten ist nicht annähernd ausreichend dargetan oder ersichtlich.

Überdies scheidet auch insoweit eine Verletzungshandlung offensichtlich aus. Aus den von der Klägerin selbst (…) vorgelegten Lichtbildern ergibt sich unzweifelhaft, dass das Objekt leer steht, nach der Außenansicht zu urteilen ist es zudem tatsächlich in einem äußerst schlechten baulichen Zustand, so dass zumindest der Verfall droht. Wenn der Beklagte eine derartige Immobilie als „lost place“ bezeichnet handelt es sich daher um eine offenkundig wahre Tatsachenbehauptung.“

Urteil des Amtsgerichts München vom 09.04.2021

Aktenzeichen 142 C 14251/20



In der Online-Ausgabe der PZ - Pharmazeutische Zeitung - Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zum Thema Google Fonts, DSGVO und Abmahnungen

In der Online-Ausgabe der PZ - Pharmazeutische Zeitung erschien ein Beitrag von Melanie Höhn mit dem Titel "Google Fonts - Gefahr der Massenabmahnungen für Apotheker" mit einigen Statements von Rechtsanwalt Marcus Beckmann zu den relevanten rechtlichen Aspekten.

Siehe auch zum Thema: LG München: Unterlassungsanspruch und 100 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen Verwendung von Google Fonts mit Übermittlung von IP-Daten an Google


BFH: Für Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gegen Finanzbehörden ist der Finanzrechtsweg eröffnet

BFH
Beschluss vom 28.06.2022
II B 92/21


Der BFH hat entschieden, dass für einen Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gegen Finanzbehörden der Finanzrechtsweg eröffnet ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Einfachgesetzlich ist der Finanzrechtsweg für den Schadenersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 32i Abs. 2 Satz 1 AO eröffnet.

a) Nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO ‑‑Nrn. 1 bis 3 kommen ersichtlich nicht in Betracht‑‑ ist in anderen als den in den Nrn. 1 bis 3 bezeichneten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten der Finanzrechtsweg gegeben, soweit er für diese durch Bundesgesetz oder Landesgesetz eröffnet ist. Nach § 32i Abs. 2 Satz 1 AO (vormals § 32i Abs. 2 AO) ist für Klagen der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden oder gegen deren Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person der Finanzrechtsweg gegeben.

b) Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ‑‑mithin die DSGVO‑‑ ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

c) Eine Klage auf Schadenersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist eine Klage "hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten ... wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der [DSGVO]" i.S. des § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO.

aa) Die Wendungen in Art. 82 Abs. 1 DSGVO einerseits ("Verstoß gegen diese Verordnung") und in § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO andererseits ("Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO") sind gleichbedeutend, denn die DSGVO enthält nur datenschutzrechtliche Bestimmungen.

bb) Die Schadenersatzklage ist auch eine Klage "hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten ...", wie es der erste Satzteil des § 32i Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 AO erfordert. Nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO ist "Verarbeitung" jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten. Der Begriff umfasst, wie die folgende beispielhafte Aufzählung verdeutlicht, jeglichen Umgang mit Daten. Ein Verstoß gegen die DSGVO, wie ihn Art. 82 DSGVO verlangt, ist deshalb ohne Verarbeitung nicht denkbar.

d) Aus § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO, der für Schadenersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, den ordentlichen Rechtsweg vorsieht, folgt einfachgesetzlich schon deshalb nichts Gegenteiliges, weil § 32i Abs. 2 AO nur als lex specialis zu dieser Vorschrift verstanden werden kann.

2. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ergibt sich keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für den streitigen Schadenersatzanspruch. Es handelt sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch i.S. des Art. 34 Satz 1 GG.

a) Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft nach Art. 34 Satz 1 GG die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Art. 34 Satz 3 GG verbietet es, für Amtshaftungsansprüche die Zuständigkeit der allgemeinen ordentlichen Gerichte auszuschließen (Dagtoglou in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1. Aufl. 2021, Art. 34, Rz 359).

b) Der Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist auch dann, wenn er sich gegen eine Behörde richtet, kein Anspruch aus der Verletzung von Amtspflichten i.S. des Art. 34 Satz 1 GG, da es sich nicht um eine auf die Behörde übergeleitete Haftung des Amtsträgers, sondern um eine originäre Haftung der Behörde handelt.

aa) Die Rechtsweggarantie des Art. 34 Satz 3 GG hat, soweit sie den Anspruch gegen die Anstellungskörperschaft betrifft, allein die übergeleitete Haftung des Amtsträgers zum Gegenstand, nicht hingegen Ansprüche aus unmittelbarer Staatshaftung. Die in Art. 34 Satz 1 GG angesprochene Amtspflicht ist die Pflicht des Amtsträgers persönlich. Art. 34 GG leitet die durch § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) begründete persönliche Haftung des Beamten auf den Staat über. § 839 BGB ist die haftungsbegründende Vorschrift, während Art. 34 GG die haftungsverlagernde Norm darstellt. Der Staat wird durch die Übernahme der persönlichen Beamtenhaftung nach § 839 BGB zwar Haftungssubjekt, aber nicht Zurechnungssubjekt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ‑‑BVerfG‑‑ vom 19.10.1982 - 2 BvF 1/81 "Amtshaftung", BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493, unter C.I.2.b dd (1)). Das bedeutet, dass Art. 34 Satz 3 GG neben dem Rückgriffsanspruch gegen den Amtsträger auch nur die Ansprüche des Art. 34 Satz 1 GG erfasst, namentlich den Schadenersatzanspruch gegen den Amtsträger selbst sowie den übergeleiteten Haftungsanspruch gegen den Staat. Art. 34 GG verbietet es zwar nicht, unmittelbare Staatshaftungsansprüche einzuführen (BVerfG-Urteil in BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493, unter C.I.2.b dd (1)), trifft dafür aber auch keine Regelung.

bb) Der Schadenersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO richtet sich gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter. Verantwortlicher ist nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Auftragsverarbeiter ist eine natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeitet. Sowohl der Begriff des Verantwortlichen als auch der des Auftragsverarbeiters ist mithin institutionell zu verstehen. Soweit in einer Behörde Daten verarbeitet werden, ist damit nicht der jeweilige Amtsträger persönlich Verantwortlicher i.S. der DSGVO und folglich auch nicht Adressat des Anspruchs. Der Anspruch richtet sich vielmehr unmittelbar gegen den Staat bzw. eine seiner Institutionen. Damit handelt es sich um einen gegenüber den in Art. 34 GG erfassten Amtshaftungsansprüchen grundlegend anders gearteten Anspruch.

cc) Der Schadenersatzanspruch nach der DSGVO kann in Anspruchskonkurrenz neben einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG treten (vgl. Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28.10.2021 - 16 U 275/20, Monatsschrift für Deutsches Recht 2022, 435, Rz 69; BeckOK DatenschutzR/Quaas, 39. Ed. 01.11.2021, DSGVO Art. 82 Rz 8; Hans-Jürgen Schaffland; Gabriele Holthaus in: Schaffland/Wiltfang, Datenschutz-Grundverordnung/Bundesdatenschutzgesetz, Stand April 2022, Art. 82, Rz 34a; Gola DSGVO/Gola/Piltz, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82 Rz 28; Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DSGVO Art. 82 Rz 20). Davon geht die DSGVO ausweislich Erwägungsgrund 146 Satz 4 selbst aus (vgl. Ehmann/Selmayr/Nemitz, 2. Aufl. 2018, DSGVO Art. 82 Rz 7). Das entspricht dem Grundsatz, dass auch sonst zwischen einem Amtshaftungsanspruch und einem auf demselben Tatsachenkomplex beruhenden Entschädigungsanspruch Anspruchskonkurrenz bestehen kann (so zu einem enteignungsgleichen Eingriff Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.01.2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 830, unter B.II.2.a; ausdrücklich für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch BeckOK GG/Grzeszick, 51. Ed. 15.05.2022, GG Art. 34 Rz 4).

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG sich auch auf den jeweils konkurrierenden Anspruch erstreckt. Ebenso wenig gilt die Rechtswegzuweisung nach § 32i Abs. 2 AO für den Amtshaftungsanspruch. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG tritt vielmehr eine Rechtswegspaltung ein.

dd) Soweit das Hessische Landessozialgericht (LSG) in seinem Beschluss vom 26.01.2022 - L 6 SF 7/21 DS (juris, Beschwerde beim Bundessozialgericht anhängig unter B 1 SF 1/22 R) in dem Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO einen Amtshaftungsanspruch sieht, für den die Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG der spezialgesetzlichen Zuweisung der DSGVO-Sachen zur Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 81b Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch, einer mit § 32i Abs. 2 Satz 1 AO weitgehend wortgleichen Vorschrift, vorgehe, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Das Hessische LSG geht davon aus, Art. 34 Satz 3 GG umfasse (jegliche) schadenersatzrechtliche Haftungsregelungen des Staates, wenn hoheitliches Handeln eines seiner Amtswalter rechtswidrig einen kompensationsfähigen Schaden verursacht habe (Rz 23). Der Senat erachtet dieses Verständnis sowohl angesichts des Wortlauts des Art. 34 Satz 3 GG als auch angesichts des Urteils des BVerfG in BVerfGE 61, 149, BGBl I 1982, 1493 für zu weitgehend. Es ist zwar zutreffend, dass Art. 34 GG für sich genommen kein Verschuldenserfordernis kennt, worauf das Hessische LSG abstellt. Damit allein wird die Amtspflicht jedoch nicht definiert. Die vom Hessischen LSG in diesem Zusammenhang zitierten Literaturauffassungen gehen in Übereinstimmung mit dem BVerfG davon aus, dass die Staatshaftung nach aktueller Rechtslage lediglich durch Überleitung der Eigenhaftung des Amtsträgers auf den Staat entsteht (Papier/Shirvani in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 34 Rz 17, 218; BeckOK GG/Grzeszick, a.a.O., Rz 19 bis 20.1).

3. Eine Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH nach Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. Es ist nicht im Ansatz erkennbar, warum Art. 82 DSGVO einer nationalen Regelung entgegenstehen könnte, die den Schadenersatzanspruch ebenso wie andere datenschutzrechtliche Ansprüche der Finanzgerichtsbarkeit zuweist. Ob umgekehrt unionsrechtliche Bedenken bestünden und deshalb ggf. eine Vorlage angezeigt wäre, wenn das nationale Recht die allgemeinen datenschutzrechtlichen Ansprüche einerseits und den Schadenersatzanspruch andererseits unterschiedlichen Gerichten zuwiese ‑‑so wie es der Auffassung des FG, aber auch des Hessischen LSG entspricht‑‑, muss nicht mehr entschieden werden.


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LG Ravensburg legt EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO vor - u.a. Bagatellgrenze für Anspruch aus Art. 82 DSGVO

LG Ravensburg
Beschluss vom 30.06.2022
1 S 27/22


Das LG Ravensburg hat dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 82 DSGVO zur Entscheidung vorgelegt. U.a. geht es um die Frage, ob eine Bagatellgrenze / Erheblichkeitsschwelle für Ansprüche aus Art. 82 DSGVO besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 82 Abs. 1 DSGVO.

Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Klägern und der Beklagten. Die Kläger nehmen die Beklagte unter anderem auf Zahlung eines Schmerzensgeldes für die Verletzung der DSGVO in Anspruch. Die Beklagte hatte am 19.06.2020 ohne Einverständnis der Kläger im Internet eine Tagesordnung für eine Gemeinderatssitzung veröffentlicht, in der mehrfach die Namen der Kläger genannt wurden, und ein am 10.03.2020 vom Verwaltungsgericht Sigmaringen verkündetes Urteil veröffentlicht, in dessen Rubrum die Kläger ungeschwärzt mit Vor- und Nachname und ihrer Anschrift aufgeführt waren. Diese Unterlagen waren auf der Homepage der Beklagten bis zum 22.06.2020 einsehbar.

Artikel 82 Abs. 1 DSGVO lautet:

"Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter".

Erwägungsgrund Nr. 146 Satz 3 und Satz 6 der DSGVO hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Der Begriff des Schadens sollte im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht [...]. Die betroffenen Personen sollten einen vollständigen und wirksamen Schadenersatz für den erlittenen Schaden erhalten".

Die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte durch die Veröffentlichung der personenbezogenen Daten der Kläger im Internet gegen Artikel 5 Abs. 1 a DSGVO verstoßen hat. Die Kammer hat daher darüber zu entscheiden, ob den Klägern ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zusteht. Die Kammer neigt zu der Annahme, der bloße Verlust der Datenhoheit genüge im vorliegenden Fall nicht aus, um einen immateriellen Schaden der Kläger gemäß Artikel 82 Abs. 1 DSGVO zu rechtfertigen. Die Kammer neigt zu der Annahme, für die Bejahung eines immateriellen Schadens müsse eine Bagatellgrenze überschritten sein, die bei einem lediglich kurzfristigen Verlust der Datenhoheit, der keinerlei spürbare Nachteile für die betroffenen Personen verursacht habe, nicht überschritten sei. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher von der Vorlagefrage ab.

Es besteht in der Literatur und Rechtsprechung weitgehend Einigkeit, dass die deutsche Rechtsprechung, die immateriellen Schadensersatz bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen nur bei einer schwerwiegenden Verletzung zuerkennt, für die Auslegung von Artikel 82 Abs.1 DSGVO nicht herangezogen werden kann (Kühling/Buchner/Bergt, DSGVO, 3. Auflage, Artikel 82 Rn. 17 ff; Wolff/Brink/Quaas; BeckOK, Datenschutzrecht, Artikel 82 DSGVO Rn. 31 f; Gola/Piltz, Datenschutzgrundverordnung, 2. Auflage, Artikel 82 DSGVO, Rn. 12 f; Spittka, GRUR-Prax 2019, 475; LG Darmstadt, ZE 2020, 642; LG Frankfurt, ZE 2020, 639; einschränkend Wytibul, NJW 2019, 3265). Die Kammer hat in einem früheren Berufungsverfahren (Az. 1 S 108/20) die Auffassung vertreten, nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO, insbesondere nicht jede unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten, führe automatisch zu einem Anspruch auf immateriellen Schadensersatz. Schmerzensgeld solle auch nach Artikel 82 Abs.1 DSGVO nicht für jeden Bagatellverstoß ohne ernsthafte Beeinträchtigung bzw. lediglich individuell empfundene Unannehmlichkeiten gewährt werden. Vielmehr müsse ein spürbarer Nachteil entstanden sein und es müsse eine objektiv nachvollziehbare Beeinträchtigung persönlichkeitsbezogener Belange vorliegen.

Will ein Gericht, wie vorliegend, infolge der Verneinung eines (immateriellen) Schadens eine Klage abweisen, weil es von dem Vorhandensein einer sog. "Bagatellgrenze" ausgeht, die für einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes überschritten sein muss, ist es zu einer eigenständigen Auslegung des Schadensbegriffs nicht berechtigt, sondern hat die Frage, wie der Schadensbegriff des Artikel 82 Abs. 1 DSGVO auszulegen ist, dem EuGH vorzulegen (BVerfG, Beschluss von 14.1.2021 – 1 BvR 2853/19 = NJW 2021, 1005).

Bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefrage wird das Berufungsverfahren ausgesetzt.


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OLG Koblenz: Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs aus Art 82 DSGVO ist unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention zu bestimmen

OLG Koblenz
Urteil vom 18.05.2022
5 U 2141/21


Das OLG Koblenz hat entschieden, dass die Höhe des immateriellen Schadensersatzanspruchs aus Art 82 DSGVO unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention zu bestimmen ist.

Leitsätze des Gerichts:

1. Der immaterielle Schadensersatzanspruch nach Art 82 DSGVO bestimmt sich der Höhe nach unter Berücksichtigung seiner Funktion zum Ausgleich, zur Genugtuung und zur Generalprävention.

2. Die Höhe muss berücksichtigen, dass der Einmeldung von Zahlungsstörungen auch im Verbraucherinteresse liegt, so dass die Verantwortlichen durch die Höhe des immateriellen Schadensersatzes nicht gänzlich davon abgehalten werden dürfen, Einmeldungen vorzunehmen.

Aus den Entscheidungsgründen:

a) Der Begriff des immateriellen Schadens im Sinne von Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist - europarechtlich autonom und die in den Erwägungsgründen zur DSGVO niedergelegten Zielsetzungen aufnehmend - weit auszulegen.

Bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass ein immaterieller Schadensersatzanspruch kausale Folge der Pflichtverletzung sein kann. Er ist allerdings von den materiellen Schäden, etwa wegen einer verweigerten oder nur zu ungünstigeren Bedingungen zustande gekommenen Kreditgewährung oder der Versagung bestimmter Zahlungsmethoden mit der Folge höherer Transaktionskosten, abzugrenzen und zu unterscheiden. Diese Trennung gelingt der Beklagten in ihren Erwägungen zur Höhe des Anspruches nicht immer.

Andererseits spricht der Wortlaut der Norm dafür, dass der europäische Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass schon allein die Pflichtverletzung den materiellen Schaden begründet (so auch Laoutoumai, K&R 2022, 25, 27; LG Saarbrücken v. 22.11.2021, 5 O 151/19 in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH). Ein Anspruch auf den Schadensersatz besteht nämlich nur, wenn „ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist“. Dieser Differenzierung im Wortlaut hätte es nicht bedurft, wenn bereits der Verstoß konstitutiv für den Anspruch wäre. Insoweit folgt der Senat nicht dem Bundesarbeitsgericht (26.08.2021, 8 AZR 253/20, Rn. 33 - juris), welches annimmt, dass „bereits die Verletzung der DSGVO selbst zu einem auszugleichenden immateriellen Schaden“ führt. Es muss mithin ein irgendwie gearteter immaterieller Schaden entstanden sein. Zwar geht der Anspruch dann in seiner Zielrichtung über einen erlittenen Schaden heraus, verzichtet aber aufgrund weitergehender Zielsetzungen hierauf nicht. Insoweit bleibt Grundlage des Anspruchs ein Individualrecht zu schützen. Art 82 DSGVO ist nicht Teil des kollektiven Rechtsschutzes. Das wirft die Frage auf, wann von einem erlittenen Schaden auszugehen ist.

Diese Fragestellung ist von der Annahme abzugrenzen, im Rahmen von Art. 82 Abs. 1 DSGVO sei eine Bagatellgrenze zu berücksichtigen. Eine Bagatellgrenze normiert Art. 82 Abs. 1 DSGVO seinem Wortlaut nach nicht und eine solche erscheint auch im Übrigen nicht angezeigt. Schon im nationalen Recht wurden einer solchen Grenze im Rahmen der Schuldrechtsreform 2002 verfassungsrechtliche Bedenken entgegengehalten (Ebert in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 253 BGB, Rn. 14a). Der Gesetzgeber verwarf solche Ansätze deshalb (BT-Drucks. 14/8780). Ist ein immaterieller Schaden entstanden, ist dessen Schwere im Rahmen der Höhe des Ersatzanspruches zu berücksichtigen, nicht aber bei einer notwendigerweise nur willkürlich zu setzenden Bagatellgrenze zu finden. Soweit der BGH eine Korrektur aus Gründen der Billigkeit angenommen hat (BGH NJW 1992, 1043, Rn. 8; BGH NJW 1993, 2173) beruhte dies einerseits auf einer heute nicht mehr gültigen Norm (§ 847 BGB) und knüpfte andererseits nicht an einer Bagatellgrenze an, sondern an dem Umstand, dass weder die Ausgleichs- noch die Genugtuungsfunktion derart tangiert waren, dass ein immaterieller Schaden überhaupt entstanden ist. Es fehlt also in der zuletzt genannten Konstellation an einem „erlittenen Schaden“.

Da der bisherige § 8 Abs. 2 BDSG, der den Ersatz immaterieller Schäden von einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen abhängig machte, nicht mehr anwendbar ist, kann auf die dazu ergangene Rechtsprechung zum Schadensbegriff nicht zurückgegriffen werden. Insoweit ist auch die nationale Rechtsprechung, die daran - teilweise bei nur verbaler Distanzierung - festhält (vgl. OLG Dresden v. 12.1.2021, 4 U 1600/20, Rn. 31 - juris; OLG Dresden v. 20.08.2020, 4 U 784/20, Rn. 32 - juris; AG Hannover v. 09.03.2020, 531 C 10952/19, Rn. 21 ff. - juris; AG Frankfurt a.M. v. 10.07.2020, 385 C 155/19, Rn. 28 - juris), abzulehnen.

Die Kategorien des nationalen Schadensersatzrechtes sind mithin nicht zielführend, um den Begriff des immateriellen Schadensersatzes im Sinne des Art. 82 DSGVO europarechtlich autonom auszulegen. Der Schadensbegriff des Art. 82 Abs. 1 DSGVO ist ein europarechtlicher Begriff, bei dessen Ausfüllung nicht auf nationale Erheblichkeitsschwellen oder andere Einschränkungen abgestellt werden darf (vgl. Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b).

Der Begriff des Schadens soll nach dem Erwägungsgrund 146 S. 3 EU-DSGVO „im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht.“ Daraus kann abgeleitet werden, dass der nach Abs. 1 bereits weite – weil Ansprüche aus § 253 BGB bereits umfassende – Schadensbegriff im Zweifel nicht begrenzend auszulegen sein wird (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 82 Rn. 10). Einen Ausschluss vermeintlicher Bagatellschäden sieht die DSGVO nicht vor.

Der immaterielle Schadensersatz ist mithin auch ein Instrument, um die Ziele der DSGVO, wie sie in deren Art. 1 niedergelegt sind, unter dem Schutzzweck des Individualrechtsschutzes zu verwirklichen. Kern ist danach der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Schutzbereich der Grundrechte und der Grundfreiheiten im konkreten Einzelfall.

Der Funktion eines immateriellen Schadensersatzanspruches dienend, sind deshalb verschiedene Aspekte in die Bemessung des immateriellen Schadensersatzes der Höhe nach einzube-

ziehen. Zunächst die immaterielle und individuelle Ausgleichsfunktion wegen der Schutzgutverletzung, sodann die den Verstoß feststellende Genugtuungsfunktion und letztlich die generalpräventive Einwirkung auf den Schädiger zur künftigen Beachtung des Datenschutzes. In diesem Sinne kommt Art. 82 DSGVO kein Strafcharakter zu - dieser ist vielmehr das staatliche Gewaltmonopol respektierend in Art. 84 DSGVO niedergelegt, sehr wohl aber eine Anreizfunktion für den Verantwortlichen, hinreichende Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der personenbezogenen Daten der betroffenen Person zu treffen.

Wegen der in Erwägungsgrund 146 S. 3 geforderten weiten Auslegung sieht der Senat mit Stimmen in der Literatur bereits in dem unguten Gefühl der Ungewissheit, ob personenbezogene Daten Unbefugten bekannt geworden sind, einen erlittenen immateriellen Schaden. Potentielle Schäden sind deshalb beispielsweise Ängste, Stress sowie Komfort- und Zeiteinbußen und die potentielle Stigmatisierung, die Diskriminierung, die Rufschädigung und der Verlust von Vertraulichkeit durch einen Negativeintrag bei einer Auskunftei, ohne dass dieser an Dritte übermittelt wird (vgl. hierzu auch Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b; Quaas, BeckOK Datenschutzrecht, 39. Ed., Stand 01.11.2021, Rn. 24). Dieser immaterielle Schaden, auch, wenn er im Einzel- und Regelfall niederschwellig sein wird, ist auszugleichen. Einen Schaden erst dann anzunehmen, wenn es zu einer mit einer unrechtmäßigen Zugänglichmachung von Daten liegenden (öffentlichen) Bloßstellung, einem Identitätsdiebstahl, einer Weitergabe sensibler Informationen oder einer anderen ernsthaften Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person kommt, und ein besonderes immaterielles Interesse zu verlangen, das über den allein durch die Verletzung an sich hervorgerufenen Ärger oder sonstige Gefühlsschäden hinausgeht, verkennt den autonom und nach Erwägungsgrund 146 ausdrücklich weit auszulegenden Begriff des Schadens (Kühling/Buchner/Bergt, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 82 Rn. 18a-18b) und missachtet den individuellen Ausgleichsanspruch im Hinblick auf die aufgezeigten Folgen. Eine solche Sichtweise greift also zu kurz. Die vorgenannten Beschränkungen bleiben bei der Frage nach dem Schadensersatzanspruch dem Grunde nach außer Betracht, sondern sind erst im Kontext der Höhe des Ersatzanspruches zu berücksichtigen. Maßgeblich ist, ob die betroffene Person mit dem Beweismaß des § 286 ZPO die immaterielle Betroffenheit darlegen und nachweisen kann. Deren Intensität ist dann mit dem Beweismaß des § 287 ZPO bei der Höhe des Anspruches zu berücksichtigen. Erst hier kommen dann die weiter denkbaren immateriellen Beeinträchtigungen der Bloßstellung oder das notwendige Schutzniveau der betroffenen Daten zum Tragen.

Die Genugtuungsfunktion kommt dann - ergänzend - zum Tragen, wenn es zu einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Schutzgüter im Verhältnis zu Dritten im Sinne einer Verwendung der pflichtwidrig verarbeiteten personenbezogenen Daten gegenüber Dritten gekommen ist. Hier greift also nicht (nur) die Sorge vor der Stigmatisierung, Diskriminierung oder Rufschädigung, sondern das in dem Datenschutzverstoß liegende Risiko hat sich nun verwirklicht. Das steigert einerseits die Anforderungen an die Ausgleichsfunktion und begründet zugleich innerhalb des

einheitlich zu bestimmenden immateriellen Ersatzanspruchs die Genugtuung als Bestimmungsmerkmal für die Höhe. Genau diese Verarbeitung unter Beteiligung Dritter bewirkt die zu korrigierende Bloßstellung außerhalb dadurch verursachter materieller Schäden. Dies kann bei der Konfrontation mit Negativauskünften bei einer Kreditanfrage ebenso der Fall sein, wie bei der Bewerbung um eine Mietwohnung oder negativen Auskünften im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Auch die Verweigerung von Postpaid-Angeboten wegen negativer Scores kann hierzu gehören. Die betroffene Person hat auf der Grundlage der ihr zustehenden Auskunftsansprüche nach Art. 15 DSGVO regelmäßig keine Schwierigkeiten die Verarbeitung der Daten gegenüber Dritten nachzuweisen und auf dieser Grundlage die Genugtuungsfunktion geltend zu machen.

Nicht übersehen werden darf die generalpräventive Wirkung des immateriellen Schadensersatzanspruches. Im Spannungsfeld zwischen dem Risiko der entgeltlichen Sanktionierung von folgenlosen Verstößen gegen die DSGVO durch einen immateriellen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO, den Aufgaben des kollektiven Rechtsschutzes durch Aufsichtsbehörden mit den Sanktionsmöglichkeiten nach Art 84. DSGVO, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundsatz, die gleiche Pflichtverletzung mit der gleichen Zielsetzung nicht doppelt zu sanktionieren, muss dem Grundanliegen der DSGVO, schon die Verarbeitung der Daten im Kontext der Schutzzwecke zu gewährleisten, Rechnung getragen werden. Schon bei der Bestimmung der Zwecke, den angenommenen Rechtsfertigungsgründen und der ggfs. vorzunehmenden Datenschutzfolgeabwägung muss das Schutzniveau auch durch den immateriellen Schadensersatzanspruch effektiv gewahrt werden. Hier gilt es also im Lichte des immateriellen Schadensersatzanspruches nach Art. 82 DSGVO Anreize zu schaffen, dass das Schutzniveau so hoch ist, dass es zur Realisierung des Schadensersatzrisikos erst gar nicht kommt. Dabei muss die generalpräventive Wirkung sich nicht in besonders hohen immateriellen Schadensersatzansprüchen niederschlagen, sondern kann gerade in der Breitenwirkung - auch kleine Verstöße werden ohne Bagatellgrenze sanktioniert - ihre Funktion erfüllen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Kommt es hierzu im Einzelfall, ist die geringere Sanktion verhältnismäßig und gleichwohl spürbar und damit effektiv. Kommt es dagegen zu vielfachen Pflichtverletzungen und Rechtsverstößen, wird sich aus vielen kleinen Ansprüchen - zumal diese auch sowohl kollektiv als im Rahmen von Legal-Tech-Angeboten sehr breit geltend gemacht werden -, schnell ein großer finanzieller Verlust bei dem betroffenen Unternehmen einstellen. Bei großer oder größerer Quantität der Pflichtverletzungen wird also auch eine höhere Effektivität kleinerer Schadensersatzansprüche im Einzelfall erreicht. Dabei muss auch das weiter in Art. 1 DSGVO formulierte Ziel gesehen werden, den freien Verkehr von Daten sehr wohl zu ermöglichen. Bonitätsprüfungen schützen nicht nur Wirtschaftsunternehmen vor leistungsunfähigen und leistungsunwilligen Kunden, sondern auch Verbraucher vor einer übermäßigen Verschuldung gerade im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Die generalpräventive Wirkung darf in der Bemessung des immateriellen Schadensersatzes deshalb nicht dazu führen, dass wegen des Schadensersatzrisikos keine Einmeldungen bei Wirtschaftsauskunfteien mehr erfolgen, weil dann andere Schutzzwecke negativ tangiert werden. Der in seinen finanziellen Verhältnissen nicht gefestigte Verbraucher soll

durch Einmeldungen davor geschützt werden, schnell in die Verschuldung zu geraten. Die Warnfunktion durch die Beschränkung kreditierter Geschäfte ist ein Baustein, um dies zu gewährleisten. In diesem Kontext ist dann auch zu bewerten, dass die Zuerkennung immateriellen Schadensersatzes nicht die einzige Sanktionsform gegenüber dem pflichtwidrig handelnden Unternehmen darstellt, gerade dann, wenn über Beschwerden an Aufsichtsbehörden beharrliche Rechtsverstöße festzustellen sind. Auch darf am Ende keine Motivation bestehen, wegen hoher immaterieller Ersatzansprüche Datenschutzverstöße zu provozieren, insbesondere, wenn schon ein geringes Verschulden oder sogar nur der objektive Pflichtverstoß den Anspruch auslöst. Bei der Bewertung der generalpräventiven Wirkung in der Bemessung des immateriellen Schadensersatzanspruches der Höhe nach ist deshalb auch zu berücksichtigen, inwieweit im konkreten Einzelfall die verfolgten Ziele schon durch Ausgleich und Genugtuung erreicht sind oder es einer überschießenden Wirkung bedarf.


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LG Heidelberg: 25 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Zusendung einer Werbemail

LG Heidelberg
Urteil vom 16.03.2022
4 S 1/21


Das LG Heidelberg hat entscheiden, dass ein Anspruch auf Zahlung von 25 EURO Schadensersatz aus Art. 82 DSGVO wegen unzulässiger Zusendung einer Werbemail besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Berufung ist zulässig.
Die Kammer hat die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil durch Beschluss vom 16.03.2022 gemäß § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zugelassen.

Zwar übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes vorliegend entgegen § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Wertgrenze von 600 € nicht, nachdem der Streitwert für den Klageantrag Ziff. 1c auf die Streitwertbeschwerde des Klägers hin mit Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 18.02.2021 (vgl. AS 365 ff. der Akte des Amtsgerichts) antragsgemäß auf 500 € festgesetzt wurde. Auch hat das Amtsgericht die Berufung im Urteil nicht gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da es den Streitwert für den Antrag Ziff. 1c im Urteil zunächst auf 1.000 € festgesetzt hatte und eine Berufungszulassungsentscheidung danach nicht veranlasst war. Hat indes das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festgesetzt hat und deswegen von einem entsprechenden Wert der Beschwer der unterlegenen Partei ausgegangen ist, hält aber das Berufungsgericht diesen Wert nicht für erreicht, so muss das Berufungsgericht, das insoweit nicht an die Streitwertfestsetzung des Erstgerichts gebunden ist, die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind, da die unterschiedliche Bewertung nicht zu Lasten der Parteien gehen darf (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2007, Az.: VIII ZR 340/06 = NJW 2008, 218).

Hier war die Berufung nach § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert (§ 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ZPO) und der Kläger nach Abänderung des Streitwerts für Antrag Ziff. 1c nicht mit mehr als 600 € beschwert war (§ 511 Abs. 4 S. 1 Ziff. 2 ZPO). Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch nach Art. 82 DSGVO besteht, wird in der Rechtsprechung und auch der Literatur kontrovers diskutiert und unterschiedlich behandelt.

2. Die Berufung ist in geringem Umfang auch begründet. Soweit der Berufungsantrag nach dem Vortrag des Klägers gerechtfertigt war und dem Kläger 25,00 € zugesprochen wurden, ist aufgrund des Teil-Versäumnisurteils eine Begründung gemäß § 313b Abs. 1 ZPO nicht erforderlich.

Im Übrigen war die Klage abzuweisen und die weitergehende Berufung zurückzuweisen, denn ein weitergehender Anspruch des Klägers besteht nicht. Der Vortrag des Klägers rechtfertigt keinen höheren Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund des Verstoßes der Beklagten gegen Art. 6 DSGVO durch die unzulässige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten lediglich einen ersatzfähigen Schaden in Höhe von 25,00 € erlitten hat.

a) Die Kammer legt den Antrag des Klägers dahingehend aus, dass dieser Schadensersatz für die aufgrund des DSGVO-Verstoßes der Beklagten erlittenen Beeinträchtigungen begehrt, unabhängig von dem vom Kläger verwendeten Begriff des „Schmerzensgeldes“ aus dem deutschen Zivilrecht.

(1) Dem steht die grundsätzliche Bindung an den Antrag des Klägers gemäß § 308 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist, nicht entgegen. Denn entscheidend kann nicht der bloße Wortlaut eines Antrages sein, sondern der durch ihn verkörperte Wille. Dementsprechend ist nicht nur darauf zu sehen, ob der Antrag für sich allein betrachtet einen eindeutigen Sinn ergibt, sondern es ist auch die dem Antrag beigegebene Begründung zu berücksichtigen (MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 308 Rn. 6 m.w.N.). Bei einer vom Gericht vorgenommenen Auslegung ist von dem Grundsatz auszugehen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (MüKo-ZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 308 Rn. 6).

Danach legt die Kammer den Antrag des Klägers vor dem Hintergrund seiner Berufungsbegründung und seines Interesses an einer Entschädigung nach Art. 82 DSGVO dahingehend aus, dass dieser die Zahlung von Schadensersatz von der Beklagten begehrt. Zwar ist der unbezifferte Antrag des Klägers auf die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichtet, jedoch stützt der Kläger seinen Anspruch auf Art. 82 DSGVO, eine Norm des europäischen Rechts. Maßgeblich sind damit nicht die deutschen Begrifflichkeiten, sondern die des europäischen Rechts bzw. die der DSGVO. Der Begriff „Schmerzensgeld“ findet jedoch in Art. 82 DSGVO und auch den übrigen Normen der DSGVO keine Verwendung. Art. 82 Abs. 1 DSGVO normiert lediglich einen „Anspruch auf Schadenersatz“ für jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO „ein materieller oder immaterieller Schaden“ entstanden ist. Der Antrag Ziff. 1c) des Klägers ist daher nach Überzeugung der Kammer im Lichte dieses auf die DSGVO gestützten Anspruchsbegehrens des Klägers auszulegen und dahin zu verstehen, dass er die Zahlung von Schadensersatz begehrt.

(2) Ob der Kläger den begehrten Schadensersatz dabei nach seinem Vortrag allein auf einen „materiellen“ oder „immateriellen“ Schaden stützt, ist unerheblich. Soweit der Kläger seine Schäden als „immaterielle“ Schäden bezeichnet, bindet dies die Kammer auch nicht an die Prüfung ausschließlich immaterieller Schäden. Zugunsten des Klägers sind vielmehr auch mögliche materielle Schäden, die sich aus dem Vorbringen des Klägers ergeben können, zu prüfen, da Art. 82 Abs. 1 DSGVO nach Überzeugung der Kammer ein einheitlicher, weit auszulegender Schadensbegriff zugrunde liegt. Dies hat die Kammer durch Auslegung ermittelt.
Nach dem Wortlaut von Art. 82 DSGVO hat einen „Anspruch auf Schadenersatz“ jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung „ein materieller oder immaterieller Schaden“ entstanden ist. Die DSGVO kennt − anders als das deutsche Recht etwa mit § 253 BGB − insoweit keine unterschiedlichen Normen bzw. Anspruchsgrundlagen, sondern enthält in Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine einheitliche Anspruchsgrundlage für einen einheitlichen Schadensersatzanspruch.

Ein weites Verständnis des Schadensbegriffs legen auch die Erwägungsgründe zur DSGVO nahe. Maßgeblich ist insoweit zunächst der Erwägungsgrund 146, der sich auf den Schadensersatzanspruch in Art. 82 DSGVO bezieht. Begrifflich differenziert dieser Erwägungsgrund nicht zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Vielmehr wird hier ausschließlich der Begriff „Schaden“ verwendet, ohne dass dieser so zu verstehen sein dürfte, dass nur materielle oder nur immaterielle Schäden gemeint sind. Eine weite Auslegung des Schadensbegriffs wird auch nach S. 3 des Erwägungsgrundes gefordert, wonach der Begriff des Schadens im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs „weit“ ausgelegt werden soll.

Für einen einheitlich zu verstehenden Schadensbegriff spricht auch Erwägungsgrund 75 zur DSGVO, in dem Beispiele genannt sind für mögliche „physische, materielle oder immaterielle Schäden“, die aus einer Verarbeitung personenbezogener Daten hervorgehen können, wie zum Beispiel Diskriminierung, Identitätsdiebstahl oder -betrug, finanzieller Verlust, Rufschädigung oder andere erhebliche wirtschaftliche oder gesellschaftliche Nachteile. Die Aufzählung differenziert ebenfalls nicht zwischen verschiedenen Schadensarten, sondern enthält vielmehr sowohl mögliche materielle, als auch immaterielle Beeinträchtigungen.
b) Nach Auslegung des Begehrens des Klägers im Lichte eines einheitlichen, weit zu verstehenden Schadensersatzanspruchs nach der DSGVO, steht dem Kläger nach Überzeugung der Kammer ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO in Höhe von 25,00 € zu.

Dem Kläger ist dadurch ein Schaden entstanden, dass er sich mit den unerwünschten Werbemails der Beklagten auseinandersetzen, deren Herkunft ermitteln, sich um eine Auskunft von der Beklagten mittels eines Schreibens bemühen und die unerwünschten E-Mails löschen musste. Eine den Kläger beeinträchtigende Außenwirkung des Verstoßes im Sinne einer Gefahr einer Schädigung des Ansehens oder Berufs oder einer diskriminierenden Wirkung gegenüber Dritten ist nicht ersichtlich.
Zur Entschädigung der erlittenen Beeinträchtigungen erachtet die Kammer die Zahlung von 25 €, ähnlich der in Verkehrsunfällen für die Umstände und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Schadensabwicklung üblichen Auslagenpauschale, für angemessen.

Ein weiterer Schaden - unabhängig davon, ob materiell oder immateriell - ist dem Kläger nach Überzeugung der Kammer nicht entstanden, sodass ein weitergehender Anspruch nicht besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: