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OLG Frankfurt: Durch Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) kommt auch der Kaufvertrag über das Hauptprodukt (hier: Smartphone) zustande

OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 18.04.2024
9 U 11/23


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass durch Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) auch der Kaufvertrag über das Hauptprodukt (hier: Smartphone) zustande kommt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Onlinehandel - Smartphone mit Zugabe

In der Versendung einer Gratisbeigabe (hier: Kopfhörer) liegt der Kaufvertragsabschluss über das Hauptprodukt (hier: Smartphone zu 92 € aufgrund eines Preisfehlers).

Im Onlinehandel liegt in der Übersendung einer Gratisbeigabe, deren Versendung einen Kaufvertrag über ein Hauptprodukt voraussetzt, auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt. Trotz eines sog. Preisfehlers kann der Kläger die Lieferung von neuen Smartphones zu 92 € statt 1.099 € laut UVP verlangen, bestätigte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die landgerichtliche Verurteilung mit heute veröffentlichter Entscheidung.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf die Lieferung und Übereignung von neun Smartphones in Anspruch. Die Beklagte betreibt den deutschen Onlineshop eines weltweit tätigen Elektronikkonzerns. Laut ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen liegt in einer Kundenbestellung über den Button „jetzt kaufen“ ein bindendes Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages. Die Auftragsbestätigung der Beklagten ist demnach noch keine Annahme dieses Angebots. Ein Kaufvertrag kommt laut AGB zustande, wenn die Beklagte das bestellte Produkt an den Käufer versendet und dies mit einer Versandbestätigung bestätigt. Dabei bezieht sich der Vertrag nur auf die in der Versandbestätigung bestätigten oder gelieferten Produkte.

Durch einen sogenannten Preisfehler bot die Beklagte online Smartphones für 92 € an. Der UVP für diese Produkte betrug 1.099 €. Zeitgleich bot die Beklagte bei Bestellungen bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe an. Der Kläger bestellte im Rahmen von drei Bestellungen neun Smartphones sowie vier Gratis-Kopfhörer. Die Kaufpreise zahlte er umgehend. Noch im Laufe des Bestelltages änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 €. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Paar Kopfhörer an den Kläger und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kläger begehrt nunmehr die Lieferung und Übereignung der Smartphones.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Diese Auffassung teilte das OLG im Rahmen seines Hinweisbeschlusses, der zur Rücknahme der Berufung führte: Zwischen den Parteien seien Kaufverträge über insgesamt neun Smartphones zustande gekommen. In den automatisiert erstellten Bestellbestätigungen liege zwar noch keine Annahmeerklärung, sondern allein die Bestätigung des Eingangs einer Bestellung.

Mit der Übersendung der Gratis-Kopfhörer habe die Beklagte jedoch den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrages auch in Bezug auf die in der jeweiligen Bestellung enthaltenen Smartphones angenommen: “Denn anders, als wenn in einer Bestellung mehrere kostenpflichtige Artikel zusammengefasst werden, war unbedingte Voraussetzung der kostenlosen Übersendung der Kopfhörer der Erwerb eines Smartphones. Zwischen dem Erwerb des Smartphones und der Übersendung der Kopfhörer bestand ein untrennbarer Zusammenhang dergestalt, dass die kostenlose Übersendung der Kopfhörer das wirksame Zustandekommen eines Kaufvertrags über das Hauptprodukt - das Smartphone – voraussetzt“, begründete das OLG.

Der Kläger habe die Mitteilung, dass sämtliche versprochenen Gratisbeigaben nunmehr verschickt seien, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte so verstehen dürfen, dass damit auch die Kaufverträge über die Smartphones bestätigt würden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass unstreitig der Preis für die Smartphones bereits am Bestelltag selbst auf 928 € korrigiert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei daher von der Kenntnis von dem Preisfehler im Haus der Beklagten auszugehen. Dies sei ihr insgesamt zuzurechnen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 18.4.2024, Az. 9 U 11/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 9.2.2023, Az.: 2-20 O 126/22)

LG Kiel: Cyberversicherung muss bei falscher Beantwortung der Risikofragen im Schadensfall nicht zahlen sondern kann den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten

LG Kiel
Urteil vom 23.05.2024
5 O 128/21


Das LG Kiel hat entschieden, dass eine Cyberversicherung bei falscher Beantwortung der Risikofragen im Schadensfall nicht zahlen muss, sondern den Vertrag deshalb wegen arglistiger Täuschung anfechten kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zu, da der Vertrag aufgrund der von der Beklagten erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nichtig ist (§§ 20, 22 VVG i.V.m. §§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB).

Die Beklagte hat mit der Klagerwiderung vom 18.08.2021 und damit noch binnen der Jahresfrist des § 124 BGB die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt.

Die Klägerin hat die Beklagte bei Vertragsschluss über vertragsrelevante Risiken arglistig getäuscht, indem sie nach Überzeugung der Kammer jedenfalls die im Rahmen der Invitatio gestellten Risikofragen zu Ziffer 3) und 4) durch ihren beauftragten Verhandlungsgehilfen, den Zeugen J. falsch beantworten ließ, der seine Angaben im Bewusstsein seiner Unkenntnis ins Blaue hinein machte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass, wie sich auch aus der von der Klägerin vorgelegten Anlage K 11 ergibt, dem Abschluss des Versicherungsvertrages zunächst eine sogenannte Invitatio vorausgeht, bei der der künftige Versicherungsnehmer, also hier die Klägerin über ihren Makler, nicht nur allgemeine Angaben zu ihrem Unternehmen und den Umfang des gewünschten Versicherungsschutzes über ein Onlineportal eingibt, sondern auch die dort abgefragten Risikofragen entweder mit ja oder nein beantworten muss, um im Anschluss die Invitatio starten zu können, das heißt die Beklagte als Versicherung zur Abgabe eines Angebotes auf Abschluss eines Versicherungsvertrages einzuladen. Es handelt sich also nicht um den von der Klägerseite angeführten Fall einer Täuschung über nicht erfragte Umstände. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die über das Onlineportal gestellten Risikofragen im weiteren Verlauf der Vertragsverhandlung und des Abschlusses des Vertrages auch in Textform gemäß § 126b BGB, wie im Fall des § 19 Abs. 1 VVG gefordert, gestellt worden sind. Eine arglistige Täuschung liegt selbst dann vor, wenn vor dem Vertragsschluss gestellte mündliche Fragen objektiv falsch beantwortet worden sind. Dies gilt damit erst recht, wenn die über ein Onlineportal auf dem Bildschirm sichtbaren Fragen falsch beantwortet werden (OLG Celle VersR 2020, 830; OLG Hamm BeckRS 2019, 37498; Langheid/Wandt- Bußmann Münchener Komm. z. VVG § 22 R. 19; Piontek r+s 2019 S. 1 ff (4)). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Zeuge J., der zum Vertragsschluss und den dortigen Angaben vernommen worden ist von sich auch erklärte, dass er die dortigen Angaben und Erklärungen für sich nochmals ausgedruckt habe, da er noch ein Anhänger der Papierform sei, was gegen die Darstellung der Klägerseite spricht, die gestellten Risikofragen hätten vor Vertragsschluss nicht in Textform im Sinne des § 126b BGB vorgelegen.

Jedenfalls die hier gestellten Risikofragen zu Ziffer 3) und 4) wurden bezogen auf den als Speicherplatz genutzten Windows 2003 Rechner, den für den Betrieb des WEB-Shops eingesetzten Windows 2008 SQL-Server und den noch im Auslieferungszustand von 2019 befindlichen Domain-Controller DC09 objektiv falsch beantwortet, so dass dahin gestellt bleiben kann, inwieweit auch weitere Fragen falsch beantwortet worden sind. Die Frage zu 3), ob „alle stationären und mobilen Arbeitsrechner mit aktueller Software zur Erkennung und Vermeidung von Schadsoftware ausgestattet“ sind, wurde mit „ja“ beantwortet. Ebenso wurde die Frage zu Ziffer 4) nach der Durchführung verfügbarer Sicherheitsupdates ohne schuldhaftes Zögern und dem Einsatz von Produkten für die Software für Betriebssysteme, Virenscanner, Firewall, Router, NAS-Systeme usw., für die vom Hersteller Sicherheitsupdates bereitgestellt werden, bejaht. Tatsächlich war unstreitig auf dem Windows 2003 Rechner kein Virenschutzprogramm installiert und Sicherheitsupdates des Herstellers für die Klägerin nicht verfügbar. Das gilt auch für den zum Betrieb des WEB-Shops als Verbindung zum Warenwirtschaftssystem der Klägerin eingesetzten Windows 2008 Rechner. Auch hier war vor dem Vertragsschluss im Januar 2020 das von dem Hersteller bereit gestellte Sicherheitsupdate ausgelaufen. Einen erweiterten Supportvertrag, über den weiterhin Sicherheitsupdates hätten abgerufen werden können, hatte die Klägerin unstreitig für diesen Rechner nicht abgeschlossen. Zudem bestätigte der Zeuge J., dass, wie sich auch aus der von der Beklagten beauftragten forensischen Analyse durch die Diplom-Informatikerin R. ergibt, der Microsoft Windows 2008 R2 Rechner, der als WEB-SQL Server genutzt worden ist, nicht über einen Virenscanner verfügte. Schließlich befand sich auch der Domaincontroller DC 09 noch im Auslieferungszustand von 2019, dass heißt weder waren Sicherheitsupdates und Aktualisierung erfolgt noch ein Virenschutz installiert. Die Fragen zu Ziffer 3) und 4) sind damit objektiv falsch beantwortet worden.

Die Klägerin kann nicht damit gehört werden, dass unter den Begriff des Arbeitsrechners in Frage 3) lediglich die Arbeitsplatzrechner, auf denen ein Virenscanner installiert war, nicht jedoch die im Netzwerk der Klägerin installierten Server, insbesondere nicht der - nach dem Klägervortrag - bei Vertragsschluss in einer demilitarisierten Zone (DMZ) befindliche SQL- Server, erfasst sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen wie auch für Erklärungen des Versicherers und damit den hier gestellten Risikofragen auf den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse abzustellen. In erster Linie ist bei der Auslegung vom Wortlaut auszugehen. Zudem ist der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang zu berücksichtigen (BGH Urteil vom 23.06.1993 - IV ZR 135/92). Der Versicherungsnehmer, der eine Cyberversicherung zur Absicherung seines betrieblichen IT-Netzwerkes vor Schäden durch Hackerangriffe oder Ähnlichem absichern möchte, wird hierbei ohne weiteres erkennen, dass die vor dem Versicherungsvertragsschluss erfolgende Risikobewertung durch den Versicherer maßgeblich von verfügbaren Schutzmaßnahmen gegen IT-Angriffe von außen, wie installierten Virenschutzprogrammen und vom Hersteller bereitgestellten und auch abgerufenen Sicherheitsupdates abhängt. Gerade wenn die in der Verfügungsgewalt des Versicherungsnehmers stehenden Rechner in einem Netzwerk verbunden sind, ist ohne weiteres ersichtlich, dass die Gesamtheit des Netzes nur so sicher sein kann, wie deren schwächsten Glieder. Er wird daher den Begriff des Arbeitsrechners weiter verstehen als den des bloßen Arbeitsplatzrechners und hierunter alle Computersysteme verstehen, die in dem Betrieb Funktionen, sei es als Eingabegerät oder als Server wahrnehmen, weil bereits durch den Zugriff auf einzelne Komponenten mit Malware das gesamte Netzwerk Schaden nehmen kann. Er wird aus der Formulierung in Frage 4), in der nach „durchgeführten“ Sicherheitsupdates gefragt wird, des Weiteren erkennen, dass der Versicherer sich hier nach tatsächlich verfügbaren und von dem Anfragenden genutzte Sicherheitsupdates des Herstellers erkundigt.

Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, dass ein ausreichender Virenschutz über die mit den Windows 2003 verbundenen mobilen Arbeitsplatzrechner gewährt worden sei oder der Windows 2008 SQL Rechner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sich in einer sogenannten DMZ befunden habe und es sich hierbei nicht um einen Arbeitsrechner handele. Damit blieben weiterhin die im Netzwerk eingebundenen, als Speicherplatz genutzten Server mit dem Windows 2003 Betriebssystem sowie der WEB-SQL-Server mit dem Windows 2008 System ohne aktuellen Virenschutz und Sicherheitsupdates. Sie waren dennoch, wie der Sachverständige S. im Rahmen der Erörterung in der mündlichen Verhandlung erklärte, über die angeschlossenen Arbeitsplatzrechner mit dem Internet verbunden. Die älteren Rechner verfügten über allgemein bekannte Sicherheitsmängel, wie zum Beispiel das aktive SMB1 Protokoll, die von externen Angreifern zur Kompromittierung des gesamten Netzsystems genutzt werden konnten. Es steht der Klägerin als Versicherungsnehmerin nicht zu, an Stelle des Versicherers und ohne dies offen zu legen, die Risikobewertung selbst vorzunehmen. Dies ist vergleichbar mit dem Fall, in dem im Rahmen einer Berufsunfähigkeits- oder Lebensversicherung die Gesundheitsfrage nach einem Bluthochdruck von dem Versicherungsnehmer verneint wird, weil dieser durch die Einnahmen von Medikamenten gut eingestellt ist. Auch wenn daneben weitere Schutzmaßnahmen vor einem Schadangriff getroffen worden sein sollten, bleibt es dabei, dass die Fragen zu Ziffer 3) und 4) objektiv falsch beantwortet worden sind.

Der Zeuge J. hat die zu Ziffer 3)und 4) gestellten Fragen ins Blaue hinein unrichtig beantwortet und damit arglistig getäuscht.

Die Klägerin hat sich dahingehend eingelassen, dass der Zeuge J. bei der Beantwortung der Risikofragen weder an den Windows 2003 Server und Speicherplatz, noch an den als SQL Server für den Betrieb des WEB-Shops genutzten Windows 2008 Rechner gedacht habe. Auch sei ihm unbekannt gewesen, dass der Domain-Controller DC09 seit März 2019 kein Update oder Virenschutz erhalten hatte und sich noch im Auslieferungszustand befunden habe. Der Zeuge J. bestätigte diesen Vortrag der Klägerin im Rahmen seiner Vernehmung und gab an, er habe sich darauf verlassen, dass die von ihm hierzu beauftragten Mitarbeiter, wie der inzwischen verstorbene Angestellte P. sowie der externe Dienstleister F., die ihnen übertragenen Aufgaben zur Absicherung des Netzwerkes korrekt wahrgenommen hätten. Das überzeugt die Kammer nicht. Hinsichtlich der Falschbeantwortung der Risikofragen zu 3) und 4) zu den oben genannten Rechnern liegt kein Fall der bloß fahrlässigen Unkenntnis vor, sondern der „bewussten Unkenntnis“ in dem Sinne des „na wenn schon“, was den Tatbestand der arglistigen Täuschung erfüllt.

Der Zeuge J. gab im Rahmen seiner Vernehmung an, dass die als Speicherplatz genutzten Rechner mit Windows 2003 Betriebssystem bei Beantwortung der Risikofragen „geflissentlich übersehen“ worden seien. Zu berücksichtigen ist weiter, dass es sich bei den oben genannten drei Rechnersystemen nicht um im Betrieb funktionell untergeordnete Rechner handelte, wie beispielsweise der ebenfalls mit einem Windows 2003 System ausgestattete, nach Angaben des Zeugen J. nicht mehr genutzte, gleichwohl im Netz angeschlossene Fax-Server an dem Standort G.. Vielmehr hatten sowohl die Windows 2003 und 2008 Rechner als auch der Domain Controller 09 entscheidende und zentrale Funktionen im Betrieb der Klägerin, sodass es nicht vorstellbar ist, dass diese Rechner „einfach vergessen“ worden sind. So dienten die Windows 2003 Rechner als zentraler Speicherplatz für Vertragsunterlagen, Rechnungen oder sonstige Dokumente des Unternehmens, waren über die angeschlossenen Arbeitsplatzrechner erreichbar und auf diese Weise mit dem IT-Netz verbunden. Die Rechner wurden, wie es der Zeuge J. angab, als „riesiger USB-Stick“ genutzt.

Ebenso hatte der als WEB-SQL-Server genutzte, mit dem Windows 2008 Betriebssystem ausgestattete Rechner, der schließlich das Einfallstor für den Hackerangriff bot, eine zentrale Rolle im Unternehmen der Klägerin. Er diente zum Betrieb des Herzstückes des Unternehmens, nämlich dem Betrieb des WEB-Shops, indem er eine Verbindung zu dem Warenwirtschaftssystem der Klägerin herstellte. Hierdurch erhielt der bestellende Kunde eine Rückmeldung, inwieweit der von ihm angefragte Artikel auf Lager und verfügbar war. Hierbei war man sich im Unternehmen der Klägerin durchaus der Risiken eines Schadangriffes auf diesen Server bewusst, da dieser, nach ihrem Vortrag, durch eine doppelte Firewall abgesichert gewesen sei und sich in einer sogenannten DMZ befunden habe. Es ist nicht vorstellbar, dass dieser so gesondert gesicherte Server bei den ausdrücklich gestellten Risikofragen nach Software zum Erkennen und Vermeiden von Schadsoftware und Sicherheitsupdates von dem Zeugen J. als Leiter der IT-Abteilung einfach vergessen worden ist.

Schließlich kam auch dem Domain-Controller DC09 eine zentrale Funktion im Unternehmen zu. Der Domain-Controller, der von der Beklagten als „Schatztruhe mit den Schlüsseln zum Königreich“ bezeichnet worden ist, wurde von dem Zeugen J. weniger poetisch als „Telefonbuch des Unternehmens“ bezeichnet. Die Funktion des Domain-Controller sei so wichtig, wie der Zeuge J. weiter anmerkte, dass im Unternehmen deshalb zwei davon zur Verfügung stünden, da bei einem Ausfall eines Domain-Controllers bei der Klägerin praktisch niemand mehr arbeiten könne. Der Domain-Controller ist ein Server zur zentralen Authentifizierung von Computern und Rechner in einem Rechnernetz, also von zentraler Bedeutung für die Funktionsweise des gesamten, 400 Rechner umfassenden Rechnernetzes der Klägerin.

Hinzu kommt, dass, wie der Sachverständige S. im Termin vom 28.02.2024 erläuterte, der Sicherheitszustand des IT-Netzwerkes von dem Zeugen J. vor Beantwortung der Risikofragen relativ leicht durch einen Blick hätte überprüft werden können. So gibt es in der Regel eine zentrale Konsole, über die der Virenschutz verwaltet wird und die nach den Angaben des Sachverständigen eigentlich auch täglich angeschaut werden müsste, um den Sicherheitszustand des IT-Systems zu prüfen. Hierdurch wäre für den Zeugen J. leicht erkennbar gewesen, inwieweit der Virenschutz im Netzwerk vollständig vorliegt und aktualisiert ist und ob hiervon alle Rechner, wie angegeben, erfasst sind. Gleiches gilt für die durchgeführten, vom Hersteller angebotenen Sicherheitsupdates. Diese hätten über das im Betrieb der Klägerin genutzte WSUS-System sofort erfasst werden können und hier wären dann die nicht aktualisierten Windows-Rechner und der Domain-Controller in der Gruppe der Rechner aufgefallen, bei denen kein Update erfolgt war. Eine Kontrolle dieser Systeme hatte der Zeuge J. nach eigenen Angaben nicht vorgenommen, so dass er seine Antworten ins Blaue hinein abgegeben hat. Er hat, jedenfalls nach der ersten Antwort auf die Frage, welche Erkundigungen er vor Beantwortung der Risikofragen eingeholt habe, bekundet, dass er sich heute nicht daran erinnere, bezüglich der Risikofragen Rücksprache mit Herrn P. gehalten zu haben. Er hatte vor Beantwortung der Risikofragen auch keine Systemüberprüfung durchgeführt, obgleich, wie oben geschildert, dies durch einen einfachen Blick möglich gewesen wäre. Die nach seinen Vorgaben dem Mitarbeiter des Maklers, dem Zeugen H., mitgeteilten Antworten auf die Risikofragen waren danach ungeprüft mitgeteilt worden. Der Zeuge J. hielt es daher jedenfalls für möglich, dass die von ihm auf die Risikofragen der Beklagten abgegebenen Antworten falsch waren. Auch Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhalten“ reduziert sind, sind von der Arglist im Sinne des § 123 BGB umfasst. Die Kammer ist nach Wertung aller Gesamtumstände zudem davon überzeugt, dass der Zeuge J. es jedenfalls für möglich hielt, dass die Beklagte durch seine Antworten zum Vertragsschluss bestimmt wird und den Vertrag jedenfalls bei der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen diesen nicht oder zu anderen Bedingungen geschlossen hätte.

Das Verhalten des Zeugen J. muss sich die Klägerin zurechnen lassen. Sie hat sich des Zeugen als Verhandlungsgehilfen bei Abschluss des Versicherungsvertrages bezüglich der Beantwortung der Risikofragen bedient. Er ist daher nicht Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB (Münchener Kommentar Langheid/Wandt/Bußmann VVG § 22 Rn. 37).

Schließlich war die Falschbeantwortung der Risikofragen und damit die erfolgte Täuschung auch kausal für den Vertragsschluss. Dies ist bereits dann der Fall, wenn der Vertrag nicht in der erfolgten Weise abgeschlossen worden wäre. Es versteht sich ohne weiteres, dass die Frage der Absicherung des IT-Netzwerkes durch verfügbare Virenscanner oder auch Sicherheitsupdates entscheidend ist für die Frage eines möglichen zukünftigen Schadenseintritts und damit geeignet ist, die Entscheidung der Beklagten zur Übernahme dieses Risikos und zum Abschluss des Versicherungsvertrages zu beeinflussen. Jedenfalls auf die Höhe der zu entrichtenden Prämie hat die Beantwortung der Risikofragen, wie sich aus der eingereichten Anlage K 11 unmittelbar ergibt, Einfluss. Der Eindeckungsprozess erfolgt danach in einzelnen Schritten, wie sie in der Anlage K 11 anhand von Screenshots dargestellt ist. Nach der Eingabe allgemeiner Unternehmensdaten und der Auswahl des Versicherungsschutzes wird zunächst eine sogenannte Indikationsprämie, also eine vorläufige Prämie angegeben. Dann erfolgt unter Schritt 5 die Beantwortung der im Tatbestand dargestellten Risikofragen, indem der Anfragende die neben den Fragen befindlichen Button entweder bei ja oder nein festlegen kann. Im Anschluss erfolgt unter Schritt 6 eine neue Prämienübersicht, in der nun die endgültig ausgewiesene individuelle Prämie angegeben wird. Damit steht fest, dass jedenfalls die Höhe der Versicherungsprämie durch die Falschbeantwortung der Risikofragen beeinflusst wird.

Nach alledem ist der Versicherungsvertrag aufgrund der begründeten Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung nichtig. Die Beklagte ist zur Erbringung der vereinbarten Versicherungsleistungen nicht verpflichtet. Angesichts der arglistigen Täuschung kommt es auf die Regelung in der Anerkenntnisklausel in der Sondervereinbarung der X-Gruppe nicht an. Die Klage ist daher insgesamt, das heißt auch bezüglich des geltend gemachten Feststellungsantrages und der als Nebenforderungen beantragten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abzuweisen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Bamberg: Durchschreiten des Drehkreuzes im Fitnessstudio keine Zustimmung zur Preiserhöhung und als aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a UWG wettbewerbswidrig

LG Bamberg
Urteil vom 15.03.2024
13 O 730/22 UKlaG


Das LG Bamberg hat entschieden, dass das Durchschreiten des Drehkreuzes im Fitnessstudio keine Zustimmung zur Preiserhöhung und die Vorgehensweise von Fitnessstudios als aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a UWG wettbewerbswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die von Klägerseite geltend gemachten Ansprüche sind auch begründet. Dem Kläger steht gem. §§ 3 Abs. 1, 4a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. Nr. 2 und Nr. 3, S. 3 UWG i.V.m.§ 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG bzw. §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG a.F. der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

1. Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 4 UKlaG a.F. i.V.m. der Liste der qualifizierten Einrichtungen des Bundesamts für Justiz aktivlegitimiert, § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG a.F., § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 3 UWG.

Er ist ein in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG a.F. eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es unter anderem gehört, als Interessenvertreter der Verbraucher Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht, das AGB-Recht und andere dem Schutz der Verbraucher dienende gesetzliche Bestimmungen, auch durch Einleitung gerichtlicher Maßnahmen, zu verfolgen.

2. Das klägerseits gerügte Verhalten stellt eine unzulässige aggressive geschäftliche und damit unlautere Handlung i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 4a Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 und Nr. 3, S. 3 UWG dar.

2.1. Die Aufforderung an die Mitglieder der Fitness-Studios, das Drehkreuz zu durchschreiten und damit der geforderten Beitragserhöhung zuzustimmen, ist eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG.

Danach ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt. Ein objektiver Zusammenhang ist dann gegeben, wenn die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu beeinflussen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 a Rn. 1.23). Insofern spricht eine Vermutung für die geschäftliche Relevanz, welche von Seiten des Unternehmers zu widerlegen ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage 2023, § 4a Rn. 1.36).

Die an ihre Mitglieder gerichtete Aufforderung der Beklagten, sich mit dem Durchschreiten des Drehkreuzes darüber zu erklären, ob diese mit der künftigen Geltung der neuen Beiträge einverstanden sind und diesen zustimmen, stellt eine geschäftliche Handlung der Beklagten dar, da dadurch eine geschäftliche Entscheidung der Verbraucher nicht nur beeinflusst, sondern ausdrücklich gefordert wird, nämlich die Zustimmung zu einer Beitragserhöhung.

2.2. § 4a Abs. 1 UWG fordert, dass das Unternehmen ein bestimmtes Mittel der Beeinflussung verwendet. Vorliegend ist insofern sowohl der Tatbestand einer unzulässigen Beeinflussung (§ 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, S. 3 UWG) als auch der einer Nötigung (§ 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG) gegeben.

2.2.1. Gemäß § 4a Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer eine aggressive geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser andernfalls nicht getroffen hätte (Satz 1). Aggressiv ist eine geschäftliche Handlung, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers erheblich zu beeinträchtigen durch Belästigung, Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt oder unzulässige Beeinflussung (Satz 2). Insofern ist anhand der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, welches der abschließend aufgezählten möglichen Mittel der Beeinflussung vorliegt und wie es sich auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers auswirkt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 a Rn. 1.28).

2.2.2. Die bloße Abgabe eines Angebots zu einem Vertragsabschluss ist nicht zu beanstanden, da sie dem Verbraucher lediglich eine Gelegenheit zu einem Vertragsabschluss verschafft. Der aggressive Charakter einer derartigen geschäftlichen Handlung kann sich daher nur aus dem Vorgehen des Unternehmers ergeben, den Verbraucher zur Annahme des Angebots zu bewegen, ergeben.

2.2.3. Die von Beklagtenseite gewählte Vorgehensweise erfüllt die Kriterien einer unzulässigen Beeinflussung, § 4 a Abs. 1 S. 2 Nr. 3, S. 3 UWG.

Um das Fitness-Studio nutzen zu können, sind die Mitglieder gezwungen, das Drehkreuz unter Verwendung des ihnen überlassenen Zutrittsmediums zu passieren, woraus sich eine Machtposition der Fitness-Studio-Inhaber ergibt, unter welchen Bedingungen die Mitglieder das Fitness-Studio betreten dürfen. Eine andere Möglichkeit zur Nutzung gibt es nicht. Mit Einführung der Zustimmung zur Beitragserhöhung mittels Durchschreiten des Drehkreuzes durch die Beklagte standen die Mitglieder vor der Entscheidung, die Preiserhöhung zu akzeptieren, um das Fitness-Studio betreten zu können, oder nicht trainieren zu können. Mit dem Durchschreiten des Drehkreuzes hatte man der Beitragserhöhung zunächst zugestimmt. Auf diese Weise wurde von Seiten der Beklagten Druck auf die Mitglieder ausgeübt und wurde von ihnen ad-hoc eine Entscheidung über die künftigen Modalitäten ihres bereits bestehenden Mitgliedsvertrags abverlangt.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass diese Aufforderung, der Beitragserhöhung mittels Durchschreiten des Drehkreuzes zuzustimmen, vielen Mitgliedern erstmaligen mit Betreten des Fitness-Studios bekannt gemacht worden sein dürfte. Zwar wurde von Beklagtenseite behauptet, alle Mitglieder seien per Mail auf die bevorstehende Beitragserhöhung hingewiesen worden. Jedoch ist selbst in diesem Fall nicht gewährleistet, dass alle Fitness-Studio-Mitglieder vor der Konfrontation mit den Aufstellern am Drehkreuz diese E-Mails auch tatsächlich erhalten und gelesen haben. Sie waren daher nicht vorbereitet auf die ihnen konkludent abverlangte Willenserklärung unmittelbar vor dem Betreten des Fitness-Studios. Dies gilt um so mehr, als der Besuch eines Fitness-Studios eine Freizeitaktivität darstellt, bei welcher die Mitglieder grundsätzlich nicht mit einer geschäftlichen Ansprache rechnen müssen. Sie werden folglich durch derlei Aushänge überrumpelt und sind so in ihrer Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt.

2.2.4. Die Vorgehensweise der Beklagte erfüllt zugleich den Begriff der Nötigung im Sinne von § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG. Der Begriff ist unionsrechtlicher Natur und daher einheitlich und autonom auszulegen, weshalb unter einer Nötigung die Anwendung körperlicher Gewalt oder psychischen Zwangs zu verstehen ist und muss der auf den Kunden ausgeübte Druck so stark sein, dass dieser entweder keine Wahl hat, sich anders zu entscheiden, oder zumindest seine Entscheidungsfreiheit erheblich beeinträchtigt ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4a Rn. 1.30 f., 1.48).

Der Kunde steht vorliegend unter dem Druck der erzwungenen Entscheidung, entweder der Beitragserhöhung zuzustimmen oder nicht zu trainieren. Situationsabhängig kann der Druck noch steigen, wenn sich am Drehkreuz hinter dem Mitglied ein Stau gebildet hat oder wenn das Mitglied sich als Teil einer Gruppe zum Fitness-Studio begeben hat, um gemeinsam zu trainieren. Dann vervielfacht sich der Druck auf das einzelne Mitglied, da es seine Entscheidung das Drehkreuz nicht zu durchschreiten nicht nur vor sich selbst rechtfertigen, sondern sich zusätzlich gegen den Gruppendruck stemmen muss.

2.3. Die aggressive geschäftliche Handlung muss geeignet sein, die Entscheidungsfreiheit des Adressaten zu beeinträchtigen, d.h. der von ihr ausgehende Druck muss nach Art oder Umfang so stark sein, dass objektiv wahrscheinlich ist, dass sich der Kunde ihm tatsächlich oder voraussichtlich nicht mehr entziehen kann, wobei maßgebend die wahrscheinliche Reaktion eines Durchschnittskunden der jeweils angesprochenen Zielgruppe ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 4 a Rn. 1.32 m.w.N.). Eine erhebliche Beeinträchtigung ist immer dann anzunehmen, wenn ein angemessen gut unterrichteter und angemessen aufmerksamer kritischer (bzw. verständiger) Durchschnittsverbraucher oder durchschnittlicher sonstiger Marktteilnehmer davon ausgeht, dass er sich dem von dem Mittel ausgehenden Druck nicht entziehen kann und daher zumindest ernsthaft in Erwägung zieht, die von ihm erwartete geschäftliche Entscheidung zu treffen bzw. sich in der erwarteten Weise zu verhalten, um die ihm sonst drohenden Nachteile abzuwenden. Dabei muss das eingesetzte Mittel von einer gewissen Intensität oder Nachhaltigkeit sein (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4a Rn. 1.34).

Vorliegend war es gerade Sinn und Zweck der Maßnahme, die Kunden zu einer ad-hoc-Zustimmung zur Beitragsanpassung zu veranlassen, indem sie vor die Wahl gestellt wurden, entweder der Beitragserhöhung zuzustimmen und – jedenfalls zunächst einmal – das Fitness-Studio nicht betreten zu dürfen. Insofern wird auf die Ausführungen unter 2.2. verwiesen.

2.4. Die aggressive geschäftliche Handlung muss außerdem geeignet sein, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit muss für die Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung ursächlich sein, wobei eine widerlegliche Vermutung für diese Ursächlichkeit spricht. Denn nach der Lebenserfahrung ist es kaum vorstellbar, dass eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nicht zu einer Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers führt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 4a Rn. 1.36).

Diese Vermutung wurde nicht widerlegt. Vielmehr wurden unstreitig zahlreiche Kunden durch das Druckmittel der unzulässigen Beeinflussung und Nötigung veranlasst einer Preiserhöhung zuzustimmen.

2.5. An der Einstufung des geschäftlichen Verhaltens der Beklagten als aggressiv ändert auch der Umstand nichts, dass die Kunden nachträglich die Möglichkeit hatten, der Beitragserhöhung zu widersprechen. Denn zunächst einmal waren sie gezwungen, ihre Zustimmung zu erteilen, um das Fitness-Studio betreten zu können. Sie mussten aktiv werden, um sich aus dieser eingegangenen Verpflichtung wieder zu lösen. Dabei bleibt aus dem angegriffenen Text unklar, welche Konsequenzen es für die Mitglieder hat, wenn sie ihre Zustimmung widerrufen. Zwar heißt es, sie könnten unverändert weiter trainieren, aber nur, wenn man sich vor dem nächsten Studiobesuch beim Customer Service meldet. Gerade durch diese Verknüpfung über ein „aber“ mit einer Meldepflicht beim Customer Service entsteht der Eindruck, dass die Ablehnung der Preiserhöhung nicht näher genannte, aber womöglich auch negative Konsequenzen haben wird.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass zahlreiche Mitglieder gerade diese Sorge gehabt haben und daher von einem Widerruf ihrer Zustimmung abgesehen haben. Denn was für einen Sinn macht eine auf diese Weise erzwungene Zustimmung, wenn man sie ohne jegliche Konsequenz sofort widerrufen kann?

2.6. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Mitglieder gleichzeitig mit der Beitragserhöhung zusätzliche Leistungen erhalten haben. Denn auch diese wären ihnen aufgezwungen worden.

3. Die Vorgehensweise der Beklagten verstößt außerdem gegen gesetzliche Regelungen für allgemeine Geschäftsbedingungen, §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG a.F. i.V.m. §§ 305 Abs. 1, 307 Abs. 1, 311 Abs. 1, 145 ff. BGB (vgl. auch BGH Urteil vom 27.04.2021 – XI ZR 26/20; LG Hannover, Urteil vom 28.11.2022, 13 O 173/22).

3.1. Die von Beklagtenseite verwendeten Formulierungen zur Zustimmung zur Beitragsanpassung sind allgemeine Geschäftsbedingungen gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbestimmungen, die der Verwender der anderen Vertragspartei stellt. Der Begriff der allgemeinen Geschäftsbedingung setzt damit eine Erklärung des Verwenders voraus, die den Vertragsinhalt regeln soll. Für die Unterscheidung von allgemeinen (verbindlichen) Vertragsbedingungen und (unverbindlichen) Bitten, Empfehlungen oder tatsächlichen Hinweisen ist auf den Empfängerhorizont abzustellen. Eine Vertragsbedingung liegt demnach vor, wenn ein allgemeiner Hinweis nach seinem objektiven Wortlaut bei den Empfängern den Eindruck hervorruft, es solle damit der Inhalt eines vertraglichen oder vorvertraglichen Rechtsverhältnisses bestimmt werden, wobei auf den rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden und die dabei typischerweise gegebenen Verhältnisse abzustellen ist (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2014 – VIII ZR 404/12, Rn. 23 f.).

Vorliegend legt die Beklagte durch eine für alle ihre Mitglieder vorformulierte Regelung fest, dass dem Durchschreiten des Drehkreuzes eine bestimmte Bedeutung zu kommt, nämlich die einer Zustimmungserklärung, und dass sich dadurch deren Mitgliedsverträge ändern. Die mit der Klage angegriffenen Formulierungen stellen vor diesem Hintergrund allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Ein Aushandeln im Einzelnen ist nicht gegeben.

3.2. Die angegriffenen Klauseln weichen von dem wesentlichen Grundgedanken der §§ 305 Abs. 2, 311 Abs. 1, 145 ff. BGB ab.

Die von der Beklagten verwendete Klausel knüpft an ein bestimmtes Verhalten die Bedeutung einer Zustimmungserklärung und fingiert damit letztendlich das Zustandekommen eines Konsenses hinsichtlich der Vertragsänderung. Dieses Vorgehen der Beklagten weicht jedoch von wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB ab, wonach sowohl ein Vertragsschluss als auch eine Vertragsänderung durch zwei, ggf. auch konkludente übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommen.

3.3. Diese Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteiligt die Kunden der Beklagten unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, wobei eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders vermutet wird, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben ist (BGH Urteil vom 27.04.2021 – XI ZR 26/20, Rn. 24 juris).

Die Vermutung kann widerlegt werden, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist (BGH Urteil vom 27.04.2021 – XI ZR 26/20, Rn. 24 juris).

Vorliegend ist die Vermutung jedoch nicht widerlegt. Die Beklagte darf nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass das Durchschreiten des Drehkreuzes einen Zustimmungswillen der Mitglieder zum Ausdruck bringt. Denn, wie bereits ausgeführt, geht es diesen beim Durchschreiten des Drehkreuzes vorrangig darum, ihr vertraglich vereinbartes Recht wahrzunehmen und zu trainieren und nicht darum, einer für sie nachteiligen Preiserhöhung zuzustimmen. Für diesen Fall hat sich die Beklagte mit Hilfe von AGB eine Handhabe geschaffen, um die Verträge einseitig umzugestalten. Dies ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Gleichzeitig ist die Möglichkeit des Widerspruchs kein geeignetes Mittel, um den Schutzzweck der §§ 305 Abs. 2, 311 Abs. 1, 145 ff. BGB auf vergleichbare Weise zu gewährleisten. Auch hier ändert daher der Umstand, dass die Mitglieder der Vertragsänderung widersprechen können, nichts an der Unzulässigkeit des Vorgehens der Beklagten. Denn der Verbraucher muss aktiv werden, um die herbeigeführte Vertragsänderung wieder zu beseitigen. Die Gründe, aus denen er untätig bleibt, können vielfältig sein und haben letztlich keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Vertragsänderung. Insofern wird auf die Ausführungen unter 2.5. verwiesen (vgl. auch BGH Urteil vom 27.04.2021 – XI ZR 26/20, Rn. 26 juris).

4. Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr liegt ebenfalls vor.

Ist es zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, besteht eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (BGH, Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 226/13). Vorliegend ergibt sich die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr bereits aus dem Umstand, dass die Beklagte den Unterlassungsanspruch negiert und die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung abgelehnt hat. Es ist daher davon auszugehen ist, dass auch künftig mit ähnlichen Methoden Beitragserhöhungen oder ähnliche Vertragsänderungen durchgesetzt werden könnten. Denn die Wiederholungsgefahr beschränkt sich nicht auf die identische Verletzungsform, sondern umfasst auch alle im Kern gleichartigen Verletzungsformen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 8 Rn. 1.43).

5. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten ergibt sich aus §§ 13 Abs. 3 UWG, 5 UKlaG a.F., der Zinsanspruch aus §§ 291, 288 BGB.


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LG Gießen: Abtretungsverbot in AGB im Regelfall wirksam sofern sich aus einer Interessenabwägung nicht eine unangemessene Benachteiligung ergibt

LG Gießen
Urteil vom 01.30.2023
1 S 148/21


Das LG Gießen hat entschieden, dass ein Abtretungsverbot in AGB im Regelfall wirksam ist, sofern sich aus einer Interessenabwägung nicht eine unangemessene Benachteiligung ergibt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Zunächst ist der Kläger aktivlegitimiert. Die Abtretung ist infolge der Unwirksamkeit der Klausel unter Ziffer I.4. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten wirksam.

Grundsätzlich ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Regelung, mit der der Verwender die Abtretung von gegen ihn gerichteten Forderungen ausschließt, wirksam. Ein Abtretungsausschluss führt nicht notwendig zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers, andererseits schützt er die berechtigten Interessen des Schuldners an der Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung. Grundsätzlich darf er deshalb mit einem Verbot oder zumindest einer Beschränkung der Abtretungsmöglichkeit die Vertragsabwicklung übersichtlicher gestalten und verhindern, dass ihm hierbei eine im Voraus nicht übersehbare Vielzahl von Gläubigern entgegentritt (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2012 – X ZR 76/11 = BGH NJW 2012, 2107 (2108), Rz. 9, beck-online). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher ein Ausschluss der Abtretung durch allgemeine Geschäftsbedingungen wiederholt anerkannt worden, insbesondere, wenn er die Hauptleistungspflichten des Verwenders betrifft. Indessen ist eine solche Klausel gleichwohl unwirksam, wenn ein schützenswertes Interesse des Verwenders an einem Abtretungsausschluss nicht besteht oder die berechtigten Belange des Kunden an der Abtretbarkeit vertraglicher Forderungen das entgegenstehende Interesse des Verwenders überwiegen (vgl. BGH, Urt. v. 17.04.2012 – X ZR 76/11 = NJW 2012, 2107 (2108), Rz. 9, beck-online). Für das Abwägen dieser einander gegenüberstehenden Interessen sind ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtungsweise zu Grunde zu legen (ebd., Rn. 10).

Mit Blick auf die vorliegende Konstellation, führt die Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass die Klausel unwirksam ist i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, nachdem sich hier die Beklagte einerseits auch darauf beruft, dass auch Nebenpflichten aus dem Werkvertrag von dem Abtretungsverbot, bzw. der Einschränkung der Abtretbarkeit durch den Zustimmungsvorbehalt erfasst sein sollen. Zudem ist es im Zuge von Reparaturaufträgen nach vorangegangener Erstellung eines Haftpflichtgutachtens eher der Regelfall, dass Ansprüche an einen Versicherer abgetreten werden, wenn diese gegenüber dem Geschädigten in die Regulierung eintritt. Insoweit liegt dann gerade kein Fall vor, in dem eine unüberschaubare Anzahl von Gläubigern dem Werkunternehmer gegenübertritt, sondern ein eng umgrenzter bzw. bestimmbarer Personenkreis. Auch dürfte der Werkunternehmer durch § 407 Abs. 1 BGB vor allem mit Blick auf die Erfüllungswirkung hinreichend geschützt sein bei der Erbringung seiner Werkleistung. Zudem ist im Wege der Interessenabwägung auch das Konstrukt des Vertrages zulasten Dritter sinngemäß heranzuziehen, wonach ein wirksames Abtretungsverbot, bzw. eine Abtretungsbeschränkung durch einen Zustimmungsvorbehalt ausschließen würde, dass der Schädiger oder dessen Versicherer zu hohe Werkunternehmerkosten nicht mehr geltend machen kann, obwohl er im Verhältnis zum Geschädigten zur Leistung verpflichtet ist und der Geschädigte selbst an der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den Werkunternehmer nach Ausgleich seines Schadens durch den Schädiger oder den hinter diesem stehenden Versicherer kein (wirtschaftliches) Interesse mehr hat. Das wiederum hätte zur Folge, dass der Geschädigte zum Nachteil des Schädigers mit dem Werkunternehmer eine allein den Schädiger oder dessen Versicherer belastende AGB-Klausel vereinbart, ohne einen eigenen Nachteil zu erleiden. Der Werkunternehmer dürfte in diesem Fall pauschal aus dem Haftpflichtgutachten ersichtlichen Betrag abrechnen, ohne dass diese Kosten tatsächlich einem erforderlichen Reparaturaufwand entsprächen, wenn der Geschädigte auf die Richtigkeit des Privatgutachtens vertrauen dürfte. Im Ergebnis führt dies daher zu einer unangemessenen Benachteiligung des Klägers, sodass die Klausel unter Ziffer I.4. nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist und eine Abtretung möglich ist. Die vom Bundesgerichtshof entschiedenen Konstellationen, in denen ein Abtretungsverbot jeweils wirksam vereinbart worden ist, betrafen letztlich die Klarheit und Übersichtlichkeit der Vertragsabwicklung, welche hier aus Sicht der Beklagten aus den vorstehenden Gründen nicht betroffen war.


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BGH: Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch für Rechtsscheintatbestand von § 15 Abs. 1 HGB

BGH
Urteil vom 09.01.2024
II ZR 220/22
HGB § 15 Abs. 1


Der BGH hat entschieden, dass die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auch für den Rechtsscheintatbestand von § 15 Abs. 1 HGB gelten.

Leitsätze des BGH:
a) Die Berufung auf die fehlende Eintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache ist dem Dritten gemäß § 15 Abs. 1 HGB nur dann verwehrt, wenn er positive Kenntnis von der einzutragenden Tatsache hat; ein Kennenmüssen oder eine grob fahrlässige Unkenntnis genügen demgegenüber nicht.

b) Die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht gelten auch im Anwendungsbereich des Rechtsscheintatbestands des § 15 Abs. 1 HGB.

BGH, Urteil vom 9. Januar 2024 - II ZR 220/22 - KG - LG Berlin

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LG Lübeck: Hinweis auf Internetseite oder QR-Code genügen zur wirksamen Einbeziehung von AGB und Vertragsbedingungen

LG Lübeck
Urteil vom 07.12.2023
14 S 19/23


Das LG Lübeck hat entschieden, dass ein Hinweis auf eine Internetseite oder ein QR-Code zur wirksamen Einbeziehung von AGB und Vertragsbedingungen genügen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Kammer geht davon aus, dass vorliegend eine derartige zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme der Honorartabelle bestand. Die Auftragserteilung beinhaltet unter „Auftragsbedingungen“ einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass sich die Kosten des Gutachtens nach der zum Beauftragungszeitpunkt geltenden Honorartabelle der Klägerin berechnen.

Dies folgt allerdings nicht aus dem Umstand, dass der Gutachtenauftrag darauf hinweist, dass die Honorartabelle jederzeit beim Sachverständigen einzusehen ist. Denn insbesondere in Konstellationen fernmündlicher Auftragserteilung ist es dem Kunden nicht zuzumuten, zur Einsichtnahme in die Honorartabelle zunächst zum Gutachter zu fahren.

Es folgt aber aus dem Umstand, dass in der Auftragserteilung direkt auf die Internetseite hingewiesen wird, auf der die Honorartabelle abgelegt ist. Zudem befindet sich ein zur Honorartabelle führender QR-Code auf dem Formular. Dies genügt zur Überzeugung der Kammer, damit der allein maßgebliche Durchschnittskunde zumutbar Kenntnis erlangen kann. Der Durchschnittskunde in Deutschland verfügt über ein Mobiltelefon mit Internetzugang. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes verfügten bereits 2018 77% der Haushalte über ein Smartphone (https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Ausstattung-Gebrauchsgueter/Tabellen/a-evs-infotechnik-d.html). Der Durchschnittskunde ist damit ohne weiteres in der Lage, eine auf der Auftragsbestätigung genannte Internetadresse aufzurufen. Zudem vermittelt auch der QR Code für den Durchschnittskunden unschwer den Zugang zu der Tabelle, weshalb eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme nach Auffassung der Kammer vorliegt.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es naturgemäß auch noch eine signifikante Anzahl an Personen ohne Smartphone bzw. ganz ohne Internetzugang gibt. Maßstab nach § 305 BGB ist jedoch nicht, dass jedermann zumutbar Kenntnis nehmen kann, sondern dass der Durchschnittskunde zumutbar Kenntnis nehmen kann. Dieser auf den Durchschnittskunden abstellende Maßstab impliziert, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Einzelfall in Kauf zu nehmen ist, dass es Personen gibt, die unterdurchschnittlich gut zur problemlosen Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr ausgestattet sind, und die in der Folge Schwierigkeiten haben werden, Kenntnis von den fraglichen Dokumenten zu nehmen. Dies wiegt hier allerdings nicht weiter schwer, da es vorliegend Personen ohne Internetzugang – die den Auftrag entsprechend regelmäßig vor Ort erteilen werden – auch ohne weiteres zumutbar ist, im Einzelfall auf diesen Umstand hinzuweisen und um Ausdruck der gewünschten Informationen zu bitten.

Ob die Geschädigte hier tatsächlich Kenntnis genommen hat, ist im Übrigen unerheblich. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an (BeckOGK/Lehmann-Richter, 1.7.2023, BGB § 305 Rn. 221).

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Rechtliche Beratung bei IT-Projekten und IT-Projektverträgen - Rechtsanwälte - Rechtsanwalt - Anwalt - Anwälte

Die Notwendigkeit und Vorteile anwaltlicher Beratung bei IT-Projekten und IT-Projektverträgen sind offensichtlich.

Komplexität der Rechtsfragen:
IT-Projekte und -Verträge beinhalten oft komplexe rechtliche Fragen, die von Vertragsrecht über geistiges Eigentum bis hin zu Datenschutz und -sicherheit reichen. Ein Anwalt mit Fachwissen auf diesem Gebiet kann helfen, diese Fragen zu klären und sicherzustellen, dass alle rechtlichen Aspekte angemessen berücksichtigt werden.

Risikominimierung:
Durch die Beratung eines Anwalts können Unternehmen potenzielle Risiken identifizieren und minimieren, die mit IT-Projekten und -Verträgen verbunden sind. Ein Anwalt kann dabei helfen, Risiken im Zusammenhang mit Vertragsverletzungen, Haftung, Gewährleistung und anderen rechtlichen Fragen zu mindern.

Vertragsgestaltung und Verhandlung:
Ein Anwalt kann Unternehmen bei der Gestaltung und Verhandlung von IT-Projektverträgen unterstützen, um sicherzustellen, dass die Verträge ihre Interessen angemessen vertreten. Dies umfasst die Festlegung klarer Leistungsziele, Haftungsbeschränkungen, Geheimhaltungsklauseln und andere wichtige Vertragsbestimmungen.

Einhaltung gesetzlicher Vorschriften:
Die rechtlichen Anforderungen im IT-Bereich ändern sich ständig, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und -sicherheit. Ein Anwalt kann sicherstellen, dass IT-Projekte und -Verträge mit den geltenden Gesetzen und Vorschriften in Einklang stehen, einschließlich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und anderer einschlägiger Bestimmungen.

Konfliktlösung und Streitbeilegung:
Sollten während eines IT-Projekts Konflikte oder Streitigkeiten auftreten, kann ein Anwalt Unternehmen bei der Konfliktlösung und Streitbeilegung unterstützen. Dies kann die Vermeidung kostspieliger und zeitaufwändiger rechtlicher Auseinandersetzungen ermöglichen und dazu beitragen, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass anwaltliche Beratung bei IT-Projekten und -Verträgen von entscheidender Bedeutung ist, um rechtliche Risiken zu minimieren, die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sicherzustellen und Konflikte effektiv zu lösen. Unternehmen, die in IT-Projekte investieren, sollten daher nicht zögern, die Unterstützung eines qualifizierten Anwalts in Anspruch zu nehmen, um ihre Interessen bestmöglich zu schützen.

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LG Düsseldorf: Außerordentliche Kündigung eines Galerievertrages mit 10jähriger Laufzeit möglich da Kunstfreiheit des Künstlers erheblich eingeschränkt wird

LG Düsseldorf
Urteil vom 19.01.2023
15 O 82/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die außerordentliche Kündigung eines Galerievertrages mit 10jähriger Laufzeit durch einen Künstler möglich ist, da hierdurch die Kunstfreiheit des Künstlers erheblich eingeschränkt wird.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Urteil im Galerieprozess

Die 15. Zivilkammer des Landgerichts Düseldorf hat am Freitag, dem 19.01.2024, unter ihrem Vorsitzenden Dr. Jonas Küssner in dem Rechtsstreit 15 O 82/22 ein Teilurteil verkündet.

Der Kläger ist ein in Deutschland und international überaus bekannter Künstler. Die Beklagte zu 1) ist eine renommierte Kunstgalerie aus Düsseldorf, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist. Die Parteien sind seit Anfang 2017 ¸ber mehrere langfristige Galerie- und Kooperationsverträge miteinander verbunden. Sie streiten sich sowohl um Zahlungen im Rahmen der Durchführung der Verträge als auch um die Wirksamkeit und den Fortbestand einzelner Verträge. Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1) Zahlungen unter anderem aus Verkäufen seiner Bilder, die Herausgabe einzelner Original-Gemälde sowie die Feststellung der wirksamen Kündigung der Verträge. Die Beklagte zu 1) macht gegen den Kläger Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung der Verträge sowie Auskunftsansprüche bezüglich der Verkäufe von Kunstwerken geltend.

Mit Teilurteil vom 19.01.2024 hat die Kammer festgestellt, dass der Galerie- und Kooperationsvertag sowie weitere ergänzende Verträge zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Klägers beendet worden sind. Insoweit sah die Kammer im Rahmen einer Interessenabwägung den Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit vor dem Hintergrund der zehnjährigen Vertragslaufzeit sowie der vertraglichen Verpflichtungen des Klägers, pro Jahr eine bestimmte Anzahl an Kunstwerken auf Leinwand zu erschaffen, als unwirksam an. Die langjährige Bindung an eine Galerie stelle eine nicht unerhebliche Einschränkung insbesondere der Kunstfreiheit des Klägers dar. Insbesondere die langfristige Verpflichtung, Kunstwerke auf Leinwand zu erbringen, begrenze die Möglichkeiten des Klägers, sich als junger Künstler auch in anderer Form auszuprobieren und seiner Kunst Ausdruck zu verleihen.

Die Beklagte zu 1) wurde zudem zur Herausgabe von Kunstwerken, darunter die zu dem sog. „17 Global Goals“ gehörenden Originalkunstwerke, verurteilt. Die Beklagte zu 1) muss dem Kläger ferner Auskunft erteilen zu sämtlichen Veräußerungen von Seite 2 von 2 Originalkunstwerken. Der Kläger wurde dazu verurteilt, der Beklagten zu 1) Auskunft über die Verkäufe von Kunstwerken während der Vertragslaufzeit zu erteilen. Die Zahlungsansprüche der Parteien hatten teilweise Erfolg. Unter Abzug der Ansprüche der Beklagten zu 1) steht dem Kläger nach Ansicht der Kammer noch eine Restforderung in Höhe von ca. 285.000,00 € zu. Nach Erteilung der Auskünfte können die Parteien den Fortgang des Verfahrens beantragen und gegebenenfalls weitere Zahlungsansprüche geltend machen. Das Teilurteil ist nicht rechtskräftig. Die Parteien können gegen das Teilurteil Berufung einlegen, über welche das Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden hätte.



Markenrecht: Beratung - Markenanmeldung - Durchsetzung von Markenrechten - Verteidigung von Markenrechten - Rechtsanwälte - Rechtsanwalt - Anwalt - Anwälte

Beratung Markenrecht

Eine starke Marke ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg eines Unternehmens. Unser Engagement gilt dem Schutz Ihrer Marken und dem Erhalt ihrer Identität in einer wettbewerbsintensiven Welt.

Unser Leistungsspektrum im Markenrecht umfasst u.a.:

Markenanmeldung und -schutz:
Von der ersten Beratung bis zur Registrierung Ihrer Marke stehen wir Ihnen zur Seite. Wir arbeiten daran, Ihre Marke zu schützen und Rechte zu sichern, um Ihnen eine solide rechtliche Grundlage für Ihre unternehmerischer Tätigkeit zu schaffen

Durchsetzung und Verteidigung von Markenrechten:
Im Falle von Markenverletzungen oder Konflikten vertreten wir Ihre Interessen mit Nachdruck. Wir setzen sich für den Schutz Ihrer Marke ein, sei es durch außergerichtliche Lösungen oder gerichtliche Verfahren.

Markenportfolio-Management:
Wir unterstützen Sie bei der Verwaltung und Überwachung Ihres Markenportfolios, um potenzielle Verletzungen frühzeitig zu erkennen und proaktiv darauf zu reagieren. Unser Ziel ist es, Ihre Marke langfristig zu stärken und zu schützen.

Markenvertragsrecht - Lizenzierung von Marken:
Bei der Lizenzierung von Markenrechten sind zahlreiche rechtliche Aspekte zu berücksichtigen, die vertraglich geregelt werden sollten. Mit interessengerechter Vertragsgestaltung werden rechtliche Konflikte vermieden.

Schulungen und Workshops:
Wir bieten auch Schulungen und Workshops zu markenrechtlichen Themen an. Wir helfen Ihnen und Ihrem Team, die Bedeutung von Markenschutz zu verstehen und rechtliche Fallstricke zu vermeiden.

Wir verstehen, dass jede Marke einzigartig ist und ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Daher bieten wir maßgeschneiderte Lösungen, die Ihren individuellen Anforderungen entsprechen und Ihnen helfen, Ihre geschäftlichen Ziele zu erreichen.

Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Beratung, um mehr darüber zu erfahren, wie wir Ihnen helfen können, Ihre Marken zu sichern und zu verteidigen.

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OLG Frankfurt: MVZ-GmbH ist nicht an Vorgaben der GOÄ gebunden da Normadressat nur Ärzte nicht aber Kapitalgesellschaften sind

OLG Frankfurt
Beschluss vom 21.09.2023
6 W 69/23


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass eine MVZ-GmbH nicht an die Vorgaben der GOÄ gebunden ist, da Normadressat nur Ärzte nicht aber Kapitalgesellschaften sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Ob der Antragstellerin ein Dringlichkeitsverlust vorzuwerfen kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Parteien Mitbewerber im Sinne von § 2 Nr. 1 UWG sind, da der Antragstellerin jedenfalls ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 III Nr. 1, 3a UWG i.V.m. §§ 1,5 GoÄ nicht zustehen würde.
[...]
Die Antragsgegnerin ist nicht Normadressatin der GoÄ. Adressat der GOÄ sind ausschließlich Ärzte als Vertragspartner des Patienten aus dem Behandlungsvertrag (§ 1 Abs 1 GOÄ). Hingegen ist die GOÄ nicht verbindlich im Verhältnis des Patienten zu einer Kapitalgesellschaft als Leistungserbringer und Behandelnder iSd § 630a Abs 1 BGB (Prütting/Hübner § 1 GOÄ Rn. 7; Spickhoff/Spickhoff § 1 GOÄ Rn. 6 unter Hinweis auf BSGE 111, 289; Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Auflage 2019, Rnr. 4; Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 3. Auflage 2006). Eine Ärzte-GmbH oder MVZ-GmbH sind also nicht verpflichtet, ihre Leistungen an Selbstzahlern nach GOÄ abzurechnen. Sie können also – anders als Ärzte – freie Preise vereinbaren. Diesem Verständnis von dem Anwendungsbereich der GoÄ folgt auch der Bundesgerichtshof, wenn er die Anwendbarkeit im Verhältnis zwischen Arzt (zum Beispiel in seiner Eigenschaft als Honorararzt) und Krankenhausträger ablehnt (BGH NJW 2019, 1519, Rnr. 13; BGH NJW 2015, 1375, Rnr. 14). In der Folge ist die Antragsgegnerin nicht gehindert, mit Patienten Behandlungsverträge nach § 630a BGB (die weder formbedürftig noch exklusiv
Ärzten vorbehalten sind) abzuschließen und hierbei das Honorar unabhängig von GoÄ frei zu vereinbaren.



LG Augsburg: Durchschreiten des Drehkreuzes im Fitnessstudio keine Zustimmung zur Preiserhöhung - Aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a UWG wettbewerbswidrig

LG Augsburg
Urteil vom 06.10.2023
081 O 1161/23


Das LG Augsburg hat entschieden, dass das Durchschreiten des Drehkreuzes im Fitnessstudio keine Zustimmung zu einer Preiserhöhung darstellt und eine entsprechende Regelung als aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a UWG wettbewerbswidrig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Das klägerseits gerügte Verhalten stellt eine aggressive geschäftliche Handlung i.S.d. § 4a Abs. 1 S. 1,S.2 Nr. 3, S. 3 UWG dar.

Eine solche liegt dann vor, wenn die Handlung geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die dieser anderenfalls nicht getroffen hätte. Aggressiv ist eine geschäftliche Handlung dann, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers durch unzulässige Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen, wobei bei der Beurteilung der Aggressivität insbesondere abzustellen ist auf Zeitpunkt, Ort, Art oder Dauer der Handlung bzw belastende oder unverhältnismäßige Hindernisse nichtvertraglicher Art, mit denen der Unternehmer den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer an der Ausübung seiner vertraglichen Rechte zu hindern versucht, wozu auch das Recht gehört, den Vertrag zu kündigen oder zu einer anderen Ware oder Dienstleistung oder einem anderen Unternehmer zu wechseln, § 4a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 4 UWG. Eine unzulässige Beeinflussung ist dann gegeben, wenn der Unternehmer eine Machtposition gegenüber dem Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zur Ausübung von Druck, auch ohne Anwendung oder Androhung von körperlicher Gewalt, in einer Weise ausnutzt, die die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu einer informierten Entscheidung wesentlich einschränkt.

Dies ist vorliegend der Fall. Um das Fitnessstudio nutzen zu können, sind die Mitglieder gezwungen, das Drehkreuz unter Verwendung des ihnen überlassenen Zutrittsmediums zu passieren, woraus sich die Machtposition der Studioinhaber ergibt. Eine andere Möglichkeit zur Nutzung gibt es nicht. Die Mitglieder standen nun also vor der Entscheidung, die Preiserhöhung zu akzeptieren, um das Studio betreten zu können oder es eben - ohne Zustimmung zur Preiserhöhung auch künftig — nicht zu nutzen, obwohl der Mitgliedsvertrag weiterhin Bestand hatte. Hierdurch haben die Studioinhaber ihre Machtposition zur Ausübung von Druck ausgeübt. Den Mitgliedern wurde vor Ort eine ad hoc-Entscheidung abgenötigt, auf die sie angesichts der erstmaligen Bekanntgabe der erforderlichen (konkludenten) Willenserklärung erst unmittelbar vor dem Betreten des Mitgliederbereichs nicht vorbereitet waren, und die Auswirkungen auf das weiter fortlaufende Vertragsverhältnis hatte. Der Besuch eines Fitnessstudios stellt eine Freizeitaktivität dar, bei welcher die Mitglieder grundsätzlich nicht mit einer geschäftlichen Ansprache rechnen müssen. Sie werden folglich durch derlei Aushänge überrumpelt und sind so in ihrer Fähigkeit zu einer informierten Entscheidung wesentlich eingeschränkt.

Im Hinblick auf das Erfordernis der geschäftlichen Relevanz gilt eine Vermutung, die von Seiten des Unternehmers zu widerlegen ist (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage 2023, 8 4a Rn. 1.36). Die Beklagte hat diesbezüglich nichts Substantielles vorgebracht. Das Gericht folgt insbesondere nicht der Auffassung der beklagten Partei, dass es aufgrund der Evidenz der Rechtsunwirksamkeit der beabsichtigten Erklärungsfiktion an der Veranlassung einer geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers fehle. Denn der durchschnittliche Verbraucher verfügt nicht über das erforderliche rechtliche Wissen, um die Wirksamkeit einer solchen Fiktion beurteilen zu können. Dies zeigt sich schon daran, dass die Beklagte in anderem Zusammenhang selbst darlegt, die von Mitgliedern infolge dieser Aktion bezahlten erhöhten Mitgliedsbeiträge seien erstattet worden.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

AG München: Reiseveranstalter kann Reisevertrag wegen eines zu niedrigen Preisen nicht anfechten wenn dieser auf einem Kalkulationsirrtum beruht

AG München
Urteil vom 14.04.2023
113 C 13080/22

Das AG München hat entschieden, dass ein Reiseveranstalter einen Reisevertrag wegen eines zu niedrigen Preisen nicht anfechten kann, wenn dieser auf einem Kalkulationsirrtum beruht.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Reiseveranstalter an zu günstig berechneten Reisepreis gebunden - Kalkulationsirrtum rechtfertigt keine Anfechtung des Reisevertrages

Im Streit um Ansprüche aus einem Reisevertrag verurteilte das Amtsgericht München am 14.04.2023 eine Reiseveranstalterin mit Sitz in München zur Zahlung einer Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 719,50 EUR.

Der Münchner Kläger hatte im April 2022 bei der Beklagten über deren Internetportal eine Flugpauschalreise nach Punta Cana in der Dominikanischen Republik über Weihnachten und Silvester 2022 einschließlich Hotelunterkunft und All-Inclusive-Verpflegung zu einem Reisepreis in Höhe von 2.878 EUR gebucht.

Wenige Tage nach der Buchung erklärte die Beklagte per E-Mail die Anfechtung des Reisevertrages aufgrund eines nicht näher beschriebenen „Eingabe/Tippfehlers“ und einem sich daraus ergebenden Preisunterschied. Die Beklagte bot dem Kläger an, die Reise zu einem Gesamtpreis von 6.260 EUR wahrzunehmen, was dieser ablehnte.

Aufgrund der nicht durchgeführten Reise forderte der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe der Hälfte des ursprünglich gebuchten Reisepreises.

Das Amtsgericht erachtete die Klage für teilweise begründet und sprach dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 25 % des Urlaubspreises zu.

Das Amtsgericht München führte in den Entscheidungsgründen wie folgt aus:

„Ein Anfechtungsgrund, insbesondere ein Erklärungsirrtum lag nicht vor. Sowohl Willensäußerung als auch Willensbildung der Beklagten waren fehlerfrei, es lag lediglich ein unbeachtlicher Kalkulationsirrtum vor.

Der Irrtum erfolgte hier nicht bei Abgabe der Willenserklärung der Beklagten gegenüber dem Kläger, sondern es handelt sich um einen Irrtum in der Erklärungsvorbereitung nämlich bei der Berechnung des Gesamtreisepreises. (…)

Die Beklagte hat, aufgrund der von der Firma M. falsch eingegebenen und anschließend falsch übermittelten Daten, ihren Willen bezüglich des Gesamtpreises falsch gebildet, da eine Kalkulationsgrundlage fehlerhaft war.

Wie vom Zeugen R. glaubhaft ausgesagt, übermittelt die Firma M. die Einkaufspreise pro Person in USD an das System der Beklagten. Dort werden die Preise vom System in Euro umgerechnet und anschließend mit der Verkaufsmarge der Beklagten versehen. Die so gefundenen Verkaufspreise werden dann vom System der Beklagten an C. [das von der Beklagten betriebene Buchungsportal] weiter übermittelt und verarbeitet. Entsprechend des vom Kläger bei Buchung angegebenen Zeitraums und der ausgewählten Zimmerkategorie, wird dann der Verkaufspreis vom System berechnet und dem Kunden angezeigt.

Die von der Firma M. übermittelten Daten dienten der Beklagten daher lediglich als Kalkulationsgrundlage für die Berechnung des Gesamtreisepreises. Der Irrtum entstand schon nicht bei der Beklagten, sondern bei einem Mitarbeiter der Firma M. Der Irrtum betraf auch nur einen Rechnungsfaktor, aus dem der Reisepreis später vom System der Beklagten gebildet wurde. (…)

Bei Buchung wurde dann entsprechend den Eingaben des Klägers bzgl. Zimmerkategorie und Reisezeitraum aus den für verschiedene Reisezeiträume festgesetzten Einzelpreisen der Gesamtreisepreis vom System errechnet. Diese Konfiguration erfolgte so wie vom System vorgesehen. Der dem Kläger gegenüber angegebenen Reisepreis entsprach den Konfigurationsvorgaben der Beklagten. Nachdem der Reisende keinen Einblick in die Kalkulation des Reisepreises hat, liegt hier nur ein interner Kalkulationsirrtum vor, der als Motivirrtum unbeachtlich ist. Ein Anfechtungsgrund stand der Beklagten daher nicht zu. (…)

Der Kläger kann nach §§ 651i Abs. 2 Nr. 7, 651n Abs. 2 BGB Entschädigung in Geld verlangen. (…)

Der Anspruch besteht jedoch nur in der Höhe von 719,50 €. Die Höhe des Entschädigungsanspruchs aus § 651n Abs. 2 BGB richtet sich nach einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliches Kriterium kann dabei jedenfalls der tatsächlich vereinbarte Reisepreis sein, da dieser regelmäßig zeigt, wie viel Geld der mit der geplanten Reise verbundene immaterielle Gewinn dem Reisenden wert ist; hier 2.878,00 €.

Jedoch sind auch sonstige Umstände zu berücksichtigen. Hier erfolgte die Mitteilung der Beklagten, die Reise nicht zum gebuchten Preis durchführen zu wollen, nur wenige Tage nach der Buchung und mehr als halbes Jahr vor dem geplanten Reiseantritt. Der Kläger hatte somit noch nicht lange Zeit mit Vorfreude und Planung auf die gebuchte Reise verbringen können. Er hatte auch noch ausreichend Zeit sich um eine Alternativreise für den geplanten Weihnachtsurlaub zu bemühen. (…)

Das Gericht hält daher eine Entschädigung in Höhe von 25 % des Urlaubspreises für angemessen und ausreichend.“



BGH: Kein Widerrufsrecht auf Grundlage von § 312b BGB wenn Verbraucher am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt

BGH
Urteil vom 06.07.2023
VII ZR 151/22
BGB § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2


Der BGH hat entschieden, dass kein Widerrufsrecht auf Grundlage von § 312b BGB besteht, wenn ein Verbraucher ein am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.

Leitsatz des BGH:
Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.

BGH, Urteil vom 6. Juli 2023 - VII ZR 151/22 - LG Hannover - AG Hameln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Tübingen: Zur Einstandspflicht einer Cyberversicherung bei einem Angriff auf IT-Infrastruktur eines Unternehmens

LG Tübingen
Urteil vom 26.05.2023
4 O 193/21


Das LG Tübingen hat sich in diesem Verfahren mit der Einstandspflicht einer Cyberversicherung bei einem Angriff auf die IT-Infrastruktur eines Unternehmens befasst.

Aus den Entscheidungsgründen:

Dem Feststellungsantrag fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO).

1. Nach der Rechtsprechung des BGH hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage bei reinen Vermögensschäden von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab (BGH, Urt. v. 15.10.1992 – IX ZR 43/92 , MDR 1993, 693 = WM 1993, 251 [259 f.]; v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 – Rz. 27, BGHZ 166, 84 = MDR 2006, 940 m.w.N.; v. 20.3.2008 – IX ZR 104/05 – Rz. 8, MDR 2008, 799 = WM 2008, 1042). Ausreichend ist, dass nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein erst künftig aus dem Rechtsverhältnis erwachsender Schaden angenommen werden kann (BGH MDR 2014, 1341, 1342).

2. Dies ist vorliegend zu verneinen. Die Schadensentwicklung bei der Klägerin selbst ist abgeschlossen. Diesen Schaden hat die Klägerin in Klageantrag Ziffer 1 beziffert. Der Feststellungsantrag betrifft nur potentielle Versicherungsfälle im Falle einer Verletzung der DSGVO bzw. den möglicherweise bei Dritten entstandenen Schaden, wenn die bei dem Cyber-Angriff erlangten Daten veröffentlicht werden, und die daraus folgende mögliche Inanspruchnahme der Klägerin durch diese Dritten. Dazu hat der Geschäftsführer der Klägerin im Zuge der letzten mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass bislang keine Kunden oder dritte Firmen mit entsprechenden Forderungen an die Klägerin herangetreten seien und auch sonst nicht bekannt geworden sei, dass Daten veröffentlicht bzw. im Internet auffindbar seien (Protokoll vom 28.04.2023, Bl. 584 d.A.). Nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ist angesichts des langen Zeitablaufs jetzt auch nicht mehr mit einer derartigen Inanspruchnahme der Klägerin zu rechnen, so dass es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts fehlt.

II. Die Klägerin kann von der Beklagten aus § 1 VVG i.V.m. A1-1, A1-4, A2-2, A4 ff. AVB Zahlung von 2.858.923,54 € zuzüglich Zinsen wie aus dem Tenor ersichtlich verlangen. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

1. Zwischen den Parteien ist ein wirksamer Versicherungsvertrag über verschiedene Cyber-Deckungsbausteine zustande gekommen, der das Risiko einer Betriebsunterbrechung mit einschließt.

2. Mit dem Cyber-Angriff vom 29./30.05.2020 ist der Versicherungsfall eingetreten, A1-4 AVB i.V.m. A1-1 AVB. Dies wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.

3.. Die Beklagte ist weder wegen Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht nach B3-1.2.1 Abs. 1 Satz 2 AVB (a) noch wegen Gefahrerhöhung nach B3-2.5 AVB leistungsfrei geworden (b).

a. Zur Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht

Es kann dahin stehen, ob die Klägerin die ihr gestellten Risikofragen vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch beantwortet und insofern ihre vorvertragliche Anzeigepflicht nach B3-1.1 AVB verletzt hat. Jedenfalls hat die Klägerin gem. § 21 Abs. 2 S. 1 VVG nachgewiesen, dass eine möglicherweise falsche Beantwortung der Risikofragen weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung ursächlich gewesen ist (sog. Kausalitätsgegenbeweis), so dass die Beklagte nach B3-1.2.1 Abs. 4 Satz 1 AVB den Versicherungsschutz nicht versagen darf (dazu unter aa.). Eine arglistige Verletzung der Anzeigepflicht (B3-1.2.1 Abs. 4 Satz 2 AVB) liegt nicht vor (dazu unter bb.). Daher bedarf auch die von der Klägerin aufgeworfene Frage keiner abschließenden Entscheidung, ob es sich bei den im Tatbestand wiedergegebenen Risikofragen überhaupt um zulässige Fragen gehandelt hat.

aa. Kausalitätsgegenbeweis

Der Sachverständige Dr. [...] hat - für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend - ausgeführt, dass zwar eine Vielzahl der von der Klägerin eingesetzten Server nicht über aktuelle Sicherheits-Updates verfügten und damit veraltet waren, sich dies aber weder auf den Eintritt des Versicherungsfalls noch auf das Ausmaß des hierdurch ausgelösten Schadens ausgewirkt hat. Der Sachverständige ist seit 20 Jahren selbständig beratend im IT-Bereich tätig und arbeitet gegenwärtig überwiegend für eine Bank (Protokoll vom 28.04.2023 Seite 19, Bl. 601 d.A.), weshalb er insbesondere für den Bereich der IT-Sicherheit über eine große Expertise verfügt. Die Einholung eines Obergutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO, wie von der Beklagten beantragt, war daher nicht veranlasst.

Nach dem Cyber-Angriff konnten die Daten von insgesamt 21 der von der Klägerin teils betriebsintern, teils extern bei dem IT-Dienstleister Bechtle eingesetzten Servern forensisch gesichert werden. Von diesen 21 Servern verfügten nach den Feststellungen des Sachverständigen lediglich 10 über die erforderlichen Sicherheits-Updates; dagegen waren 11 Server nicht auf dem aktuellen Stand (Gutachten S. 27, Bl. 464 d.A.). Der Cyber-Angriff verlief jedoch bei insgesamt 16 der 21 Server erfolgreich (Gutachten S. 22, Bl. 459 d.A.) und betraf Systeme mit allen Betriebssystemversionen, darunter auch die - aktuellen - Windows Server 2019 (Gutachten S. 24, Bl. 461 d.A.). Verschlüsselt wurden sogar die bei der Fa. B. AG ausgelagerten Server. Dies erklärt sich daraus, dass über die Phishing-Mail an den Nutzer „[...]“ letztendlich die Administratorrechte u.a. für die Domäne Paradigma erbeutet wurden (Gutachten S. 27, Bl. 464 d.A.). Diese Administratorrechte erlaubten den Angreifern - was insbesondere auch für das Ausmaß des eingetretenen Schadens maßgeblich ist -, mit dem System „alles [...] zu machen“ (Protokoll vom 28.04.2023 Seite 18, Bl. 600 d.A.). Den Angreifern war es dadurch ohne Weiteres möglich, vorhandene Schutzmaßnahmen wie etwa den Virenscanner und die Firewall zu deaktivieren (Protokoll vom 28.04.2023 Seite 4, Bl. 586 d.A.). Dies ergibt sich ebenso aus dem von Beklagtenseite vorgelegten Parteigutachten [...] vom 24.06.2020 (Anlage BLD 1), wonach bei der Analyse verschiedener Server festgestellt wurde, dass der Antivirenscanner Trend Micro Apex ONE NT, der Windows Defender und die Windows Firewall zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten am 30.05.2023, also zeitlich nach dem Pass-the-Hash-Angriff, deaktiviert wurden (a.a.O. Seite 22, 42 und 51). Der auf dem betroffenen Notebook „[...]“ installierte Virenscanner Trend Micro OfficeScan hatte am 29.05.2020 noch einen Schadsoftwarebefall festgestellt, der sich jedoch augenscheinlich nicht bereinigen ließ (a.a.O. Seite 8).

Soweit die Beklagte nun erstmals mit (nicht nachgelassenem) Schriftsatz vom 04.05.2023 vorträgt, dass die Firewalls bereits zum Schadenzeitpunkt deaktiviert gewesen seien (dort Seite 4, Bl. 555 d.A.), und mit (ebenfalls nicht nachgelassenem) Schriftsatz vom 15.05.2023 (dort Seite 6, Bl. 610 d.A.) in Frage stellt, ob der Anti-Virus-Verwaltungsserver im Zeitpunkt des Angriffs aktiviert war, kann offenbleiben, ob dies zutrifft oder sogar in Widerspruch zu dem Gutachten der [...] vom 24.06.2020 (Anlage BLD 1) und damit zum eigenen bisherigen Vortrag der Beklagten steht; jedenfalls ist dieser Vortrag verspätet und aus diesem Grund prozessual unbeachtlich, § 296a Satz 1 ZPO.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. [...], denen sich das Gericht nach eigener Überzeugungsbildung anschließt, wurde bei dem streitgegenständlichen Cyber-Angriff eine vorhandene Schwachstelle (sog. „Design-Schwäche“) von Windows ausgenutzt (Gutachten S. 33, Bl. 470 d.A.), die unabhängig von der Aktualität des betroffenen Systems besteht. Der Sachverständige kommt daher nachvollziehbar und überzeugend zu dem Ergebnis, dass auch ein Einspielen der versäumten Updates weder den Angriff selbst abgewehrt noch das Ausmaß des angerichteten Schadens hätte beeinflussen können. Weder die Anzahl der betroffenen Server noch der Schaden wären verringert worden (Gutachten S. 27 und 33, Bl. 464 und 470 d.A.).

Soweit die Beklagte bezüglich des Schadensumfangs (sog. „lateral movement“) auf denkbare weitere Sicherheitsmaßnahmen seitens der Klägerin verweist, etwa eine Zwei-Faktoren-Authentifizierung oder ein Monitoring-System, so verkennt sie den Bezugspunkt der Regelung in B3-1.2.1 AVB. Diese Regelung knüpft (allein) an die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch Falschbeantwortung der Risikofragen an (B3-1.1 AVB). Die von der Beklagten vermissten weiteren Sicherheitsmaßnahmen waren jedoch nicht Gegenstand der bei Antragstellung von der Klägerin zu beantwortenden Risikofragen. Dies gilt auch für die Risikofrage 5, deren Falschbeantwortung die Beklagte erstmals mit (nicht nachgelassenem) Schriftsatz vom 04.05.2023 gerügt hat. Die Risikofrage 5 ist derart weit formuliert, dass sie bereits zu bejahen ist, wenn lediglich grundlegende Regelungen wie etwa über die Nicht-Weitergabe von Login-Daten und -Passwörtern existieren und überwacht werden. Spezifische Sicherheitsmaßnahmen zur Abwehr von Pass-the-Hash- bzw. Verschlüsselungs-Angriffen sind hiervon nicht zwingend erfasst.

bb. keine Arglist

Von einer arglistigen Verletzung der Anzeigepflicht seitens der Klägerin bzw. der Maklerin konnte sich die Kammer nicht überzeugen.

(1) Die bewusste Falsch- oder Nichtbeantwortung von Fragen genügt für sich genommen nicht für Arglist. Vielmehr muss in subjektiver Hinsicht hinzukommen, dass der Versicherungsnehmer auf die Entschließung des Versicherers Einfluss nehmen will und sich daher bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise (bedingter Vorsatz genügt) seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er die Wahrheit sage (BGH VersR 2007, 785 Rn. 8; 2011, 337 Rn. 19; OLG Koblenz VersR 2013, 1113, 1114; OLG Karlsruhe NJW 2014, 3733; OLG Hamm VersR 2018, 282, 283; 2020, 538, 539). Eine Vermögensschädigung braucht aber nicht geplant zu sein (RGZ 96, 345, 346; BGH VersR 1957, 351, 352; 2007, 785 Rn. 8; 2008, 809 Rn. 8; OGH VersR 1978, 954). Unkenntnis entlastet den Versicherungsnehmer nicht, wenn er im Bewusstsein seiner Unkenntnis „ins Blaue hinein“ Angaben macht (OLG Hamm VersR 1990, 765; OLG München VersR 2000, 711, 712; OLG Koblenz VersR 2004, 849, 851; KG VersR 2007, 381, 382; OLG Frankfurt/M. ZfS 2009, 269; OLG Saarbrücken VersR 2020, 91 (Ls.) = BeckRS 2019, 23766 Rn. 35; OLG Hamm VersR 2020, 538, 539). Dasselbe gilt, wenn er sich sehenden Auges der Kenntnis verschließt (BGH VersR 1993, 170, 171). Dass Arglist vorgelegen hat, muss der Versicherer darlegen und beweisen (BeckOK VVG/Spuhl, 18. Ed. 1.2.2023, VVG § 21 Rn. 55).

(2) Nach B3-1.1 Absatz 2 und 3 AVB kommt es sowohl auf die Kenntnis des Versicherungsnehmers selbst als auch auf die Kenntnis seines Vertreters an.

Die Klägerin hat sich beim Vertragsschluss durch den von ihr eingeschalteten Makler L. vertreten lassen, welcher die Antworten auf die Risikofragen in das Online-Portal der Beklagten eingegeben hat (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 18, Bl. 231 d.A., und Seite 7, Bl. 220 d.A.). Wie die einzelnen Fragen zu beantworten waren, hatte dem Makler der Zeuge G. vorgegeben, welcher die Risikofragen zuvor mit dem IT-Manager U. der Klägerin durchgesprochen hatte (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 8, Bl. 221 d.A., Seite 17, Bl. 230 d.A., und Seite 34f, Bl. 247f d.A.).

(3) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich weder bei den verantwortlichen Mitarbeitern der Klägerin noch beim Zeugen L. eine vorsätzliche, erst recht keine arglistige Falschbeantwortung der Risikofragen - konkret der Fragen 3, 4 und 6 - feststellen.

Trotz des Einsatzes von zumindest 11 veralteten Servern (siehe oben) ist allenfalls die Frage 4 bei der Antragstellung im April 2020 falsch beantwortet worden. Der Klägerin ist zuzugeben, dass die Risikofrage 3 sich auf stationäre und mobile Arbeitsrechner und eben nicht auf Server bezieht. Die Risikofrage 6 ist derart weit formuliert, dass die Klägerin sie richtig beantwortet hat, denn dass überhaupt „Hard- und Software zum Schutz des Unternehmensnetzwerks“ eingesetzt wurde in Form eines Virenscanners sowie einer Firewall, stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.

Auch bezüglich der Risikofrage 4 ist jedoch nicht von einer vorsätzlich und erst recht nicht von einer arglistig falschen Beantwortung auszugehen. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung der Veranstaltung am 13.02.2020 und der genauen Rolle des Zeugen B. hat die Beweisaufnahme ergeben, dass für die Mitarbeiter der Klägerin durch diese Veranstaltung übereinstimmend der Eindruck entstanden ist, dass seitens der Beklagten keine hohen Anforderungen hinsichtlich der IT-Sicherheit gestellt werden. So haben mehrere Zeugen unabhängig voneinander die Äußerung des Zeugen B. bestätigt, dass hinsichtlich der Firewall „jede Fritzbox“ ausreichen würde. Diese Äußerung war sowohl dem Zeugen G. (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 5, Bl. 218 d.A.) als auch den Zeugen U. (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 33, Bl. 246 d.A.), R. (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 4, Bl. 336 d.A.) und M. (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 11, Bl. 343 d.A.) im Gedächtnis. Der Zeuge B. konnte sich an Details nicht mehr erinnern, hat jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Firewall Thema der Besprechung gewesen sei; eine Risikobewertung würde er jedoch generell nicht vornehmen (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 24, Bl. 237 d.A.). Die Rückmeldung seitens des Zeugen B. scheint insofern jedoch auch nicht ausschlaggebend gewesen zu sein. Auffallend ist nämlich, dass sich die Zeugen teils gar nicht an die konkreten Antworten des Zeugen B. erinnern, dennoch aber den Eindruck gewonnen haben, die Anforderungen an die IT-Sicherheit seien nicht besonders hoch. Der Zeuge S. hat ausdrücklich angegeben, er habe sich gewundert, welche geringen Anforderungen gestellt würden (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 14, Bl. 346 d.A.). Ähnlich habe sich seiner Erinnerung nach auch die Zeugin M. später im Lenkungskreis Digitalisierung geäußert (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 16, Bl. 348 d.A.). Der Zeuge G. gab an, sie seien alle etwas verwundert darüber gewesen, dass die Anforderungen offenbar letztlich nicht viel höher seien als im privaten Bereich (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 5, Bl. 218 d.A.). Maßgeblich für diesen kollektiven Eindruck erscheint vor allem die offenbar ausbleibende Reaktion von B. auf die Mitteilung des Zeugen U., dass die Klägerin auch ältere Server einsetze, die nicht mehr upgedatet werden könnten. Diese Mitteilung haben neben dem Zeugen U. selbst (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 33, Bl. 246 d.A.) die Zeugen G. (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 5, Bl. 218 d.A.), R. (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 4, Bl. 336 d.A.), M. (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 10, Bl. 342 d.A.) und S. (Protokoll vom 06.05.2022 Seite 14, Bl. 346 d.A.) bestätigt. Der Zeuge B. selbst hat ausgesagt, sich generell nicht zu Anforderungen an die IT-Infrastruktur zu äußern (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 23, 24 und 25, Bl. 236, 237 und 238 d.A.). Herr U. war sich nicht mehr sicher, ob der Zeuge B. ihm überhaupt auf diese Mitteilung geantwortet hatte, glaubte aber, er habe keine Antwort bekommen (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 33, Bl. 246 d.A.). Entsprechend hat der Zeuge U. angegeben, die Risikofrage 4 trotz der vorhandenen veralteten Server bejaht zu haben, da er dem Zeugen B. ja in der Veranstaltung am 13.02.2020 über „unsere Situation mit den älteren Servern“ berichtet habe (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 35, Bl. 248 d.A.). Unabhängig davon, welche rechtliche Bedeutung einer derartigen mündlichen Äußerung zukommt, so schließt die entsprechende Vorstellung doch Vorsatz und erst recht Arglist aus.

Dem Zeugen L. war nicht mehr erinnerlich, ob am 13.02.2020 seitens der Mitarbeiter der Klägerin die Rede davon war, dass ältere Server eingesetzt werden, die aus technischen Gründen nicht mehr upgedatet werden können (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 16, Bl. 229 d.A.). Vor dem Vertragsschluss, so der Zeuge L. weiter, habe er sich zu keinem Zeitpunkt mit seinem Ansprechpartner bei der Klägerin, dem Zeugen G., zu diesem Thema ausgetauscht (Protokoll vom 04.02.2022 Seite 18, Bl. 231 d.A.). Demnach handelte auch der Zeuge L. nicht erwiesenermaßen arglistig.

b. Gefahrerhöhung

Es kann offen bleiben, ob nach Vertragsschluss eine Gefahrerhöhung eingetreten ist, indem die Klägerin weitere Software-Updates nicht durchgeführt bzw. anders als in der Veranstaltung am 13.02.2020 angekündigt die veralteten Server (noch) nicht ausgetauscht hat. Da der Klägerin der Kausalitätsgegenbeweis gelingt (siehe oben), wäre die Beklagte selbst bei einer solchen Gefahrerhöhung nicht leistungsfrei; auch eine Kürzung des Anspruchs ist ausgeschlossen (§ 26 Abs. 3 Nr. 1 VVG i.V.m. B3-2.5.3 lit. a AVB).

4. Der erstattungsfähige Schaden der Klägerin beläuft sich insgesamt auf 2.858.923,54 €.

a. Betriebsunterbrechungsschaden

Die Klägerin hat einen zu ersetzenden Betriebsunterbrechungsschaden in Höhe von 2.507.809 € erlitten. Eine Betriebsunterbrechung gem. Ziffer A4-1.1.1 ist fraglos eingetreten, weil bei der Klägerin infolge unbefugter Nutzung von IT-Systemen elektronische Daten und informationsverarbeitende Systeme nicht zur Verfügung standen bzw. nicht die übliche Leistung erbrachten, was zu einem Schaden der Klägerin geführt hat.

aa. Der Unterbrechungsschaden wird in Ziffer A4-1.1.2 AVB definiert und stellt sich danach letztlich als der Betriebsgewinn zuzüglich der trotz der Unterbrechung fortlaufenden Kosten dar. Unter Ziffer A4-1.3.6 lit. d enthalten die AVB Vorgaben zur Feststellung der Schadenshöhe; allerdings betreffen diese das dort geregelte Sachverständigenverfahren und sind außerhalb dieses Verfahrens nicht anwendbar.

Es sind daher - neben Ziffer A4-1.3.1 - die allgemeinen Grundsätze zur Schadensermittlung heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung muss ein Geschädigter, der Schadensersatz in Form eines Betriebsunterbrechungsschadens geltend macht, wie bei der Geltendmachung des entgangenen Gewinns gemäß § 252 Satz 1 BGB alle konkreten Umstände darlegen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich die Erlöserwartung ergibt. Es ist somit darzulegen, welche konkreten betriebsbezogenen Erlöse nicht erwirtschaftet werden konnten und welche konkreten betriebsbezogenen Kosten erspart wurden (vgl. OLG Hamm RuS 2013, 440). Dabei genügt entsprechend § 252 Satz 2 BGB die bloße Wahrscheinlichkeit der Erwartung des Erlöses anstelle des positiven Nachweises, sofern die Vorkehrungen und Anstalten, aus denen die Erlöserwartung hergeleitet wird, in der geschilderten Weise dargetan werden. Erforderlich ist mithin die schlüssige Darlegung von Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen, die geeignet sind, dem Ermessen bei der Wahrscheinlichkeitsprüfung eine Grundlage zu geben und eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO zu ermöglichen (vgl. zum entgangenen Gewinn BGH WM 1998, S. 1787; BGH WuM 1991, S. 545). Während der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalles und die hierdurch verursachte Betriebsunterbrechung auf der Grundlage von § 286 ZPO darzulegen und zu beweisen hat, kommt ihm beim Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsunterbrechung und dem eingetretenen Schaden die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute (BGH VersR 2014,104).

bb. Vor diesem Hintergrund kann der Schadensberechnung der Klägerin, welche einen Rohertrag je geleisteter Personenstunde zugrunde legt und diesen mit den angeblich ausgefallenen Personenstunden multipliziert, nicht gefolgt werden. Denn die Annahme, dass das wegen der Betriebsunterbrechung nicht eingesetzte Personal den gleichen Rohertrag erwirtschaftet hätte wie das zum Einsatz gelangte Personal, ist nicht nachvollziehbar und nicht einmal für eine Schätzung nach § 287 ZPO geeignet.

cc. Die Schätzung hat anhand der von der Klägerin vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen zu erfolgen, somit auf Grundlage der Anlagen K 13 (Jahresabschluss für 2019), K 14 (betriebswirtschaftliche Auswertung für 2020) und K 15 (betriebswirtschaftliche Auswertung für 2021). Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 04.05.2023 die Richtigkeit dieser betriebswirtschaftlichen Auswertungen bestreitet, ist dieser nach der letzten mündlichen Verhandlung am 28.04.2023 mit nicht nachgelassenem Schriftsatz erfolgte Vortrag verspätet und nach § 296a Satz 1 ZPO aus prozessualen Gründen unbeachtlich. Die Klägerin hat mit ebenfalls nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 19.05.2023 die Jahresabschlüsse für 2020 (Anlage K21) und für 2021 (Anlage K 22) nachgereicht, welche ebenfalls nach § 296a Satz 1 ZPO unbeachtlich sind. Allerdings weichen die Kennzahlen in den Jahresabschlüssen ohnehin nur ganz geringfügig von den Werten in den betriebswirtschaftlichen Auswertungen ab.

dd. Der Schadensschätzung sind die Geschäftszahlen der Jahre 2020 (mit Betriebsunterbrechung) und 2021 (ohne Betriebsunterbrechung), nicht auch diejenigen des Jahres 2019 zugrunde zu legen.

Nach § 252 Satz 2 BGB gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

Solche besonderen Umstände liegen vorliegend in Form des von der Bundesregierung im Oktober 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramms 2030 vor, für das für klimaschutzrelevante Maßnahmen für den Zeitraum 2020 bis 2023 Mittel in Höhe von etwa 54 Milliarden Euro bereitgestellt wurden. Soweit die Beklagte die Existenz eines solchen Förderprogramms mit Nichtwissen bestritten hat, lässt sich die Behauptung der Klägerin durch eine einfache Internetrecherche verifizieren (https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Textsammlungen/Industrie/klimaschutz.html?cms_artId=9df37a6e-49dc-4c07-955d-f80ea3503730, zuletzt abgerufen am 23.05.2023). Die Tatsache ist daher allgemein bekannt; einer Beweiserhebung bedurfte es nicht.

Zusätzlich geht die Kammer davon aus, dass die Corona-Pandemie keinen „besonderen Umstand“ im Sinne des § 252 Satz 2 BGB darstellt. Bezüglich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist der Beklagten zuzustimmen, dass es im Jahr 2020 infolge der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie allgemein zu Umsatzeinbrüchen kam. Dabei ist auch nicht auszuschließen, dass auch die Klägerin, welche u.a. in der Produktion von Heizungskomponenten tätig ist, betroffen war, insbesondere was Lieferengpässe betrifft. Solche Effekte bestanden aber für das Jahr 2020 ebenso wie für das Jahr 2021, da die Corona-Pandemie weiterhin andauerte. Indem eben die Jahre 2020 und 2021 miteinander verglichen werden, wirken sich mögliche Umsatzeinbrüche infolge der Pandemie rechnerisch nicht in relevanter Weise aus.

ee. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind jedoch die Werte aller 12 Monate eines Jahres gleichermaßen heranzuziehen. Die Klägerin beruft sich auf zyklische Schwankungen der Geschäftsentwicklung im Jahresverlauf. Solche außergewöhnlichen Schwankungen lassen sich den vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen jedoch nicht entnehmen. Soweit die Klägerin mit (nicht nachgelassenem) Schriftsatz vom 19.05.2023 als Anlagen K 23 und K 24 die betriebswirtschaftlichen Auswertungen für 2019 und 2022 vorlegt und ihren Vortrag zusätzlich auf diese Unterlagen stützt (Bl. 674f d.A.), ist dies verspätet und gemäß § 296a Satz 1 ZPO unbeachtlich.

ff. Bei der Berechnung des Deckungsbeitrags folgt die Kammer im Ansatz der - zweiten - Berechnungsweise der Klägerin, wobei vom erzielten jährlichen Gesamtumsatz als Kosten ein Teil des Materialaufwands abgezogen wird. Diese Berechnungsmethode erscheint der Kammer plausibel und entspricht im Übrigen der Definition des Betriebsunterbrechungsschadens in A4-1.1.2 AVB i.V.m. A469 des Glossars. Soweit die Klägerin meint, auf das so ermittelte Ergebnis sei zusätzlich ein prozentualer Aufschlag vorzunehmen (Schriftsatz vom 30.03.2022 Seite 18f, Bl. 279f d.A.), ist dies dagegen nicht nachvollziehbar.

Auf den weiteren Vortrag der Beklagten zum Betriebsunterbrechungsschaden in den Schriftsätzen vom 04.05.2023 und vom 17.05.2023, insbesondere das als Anlage BLD 13 vorgelegte Parteigutachten der [...] GmbH vom 16.05.2023, welches (erst) am 09.05.2023 in Auftrag gegeben worden ist, ist wegen § 296a Satz 1 ZPO nicht einzugehen. Soweit die Beklagte einwendet, die Berechnung der Klägerin sei aus betriebswirtschaftlicher Sicht falsch, da Bestandsveränderungen sehr wohl zu berücksichtigen seien, findet dies jedenfalls keinen Niederschlag in den Regelungen der AVB und ist für die Kammer daher nicht nachvollziehbar.

Der in den betriebswirtschaftlichen Auswertungen ausgewiesene Materialaufwand ist nicht nur zur Erwirtschaftung der Umsatzerlöse, sondern auch für die Erhöhung bzw. Verminderung des Bestandes an fertigen und unfertigen Produkten angefallen, welcher nach den AVB aber unberücksichtigt zu bleiben hat, da dort allein an den Umsatz angeknüpft wird. Der Anteil der auf die Bestandsveränderungen entfallenden Materialkosten ist daher herauszurechnen. Im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO setzt die Kammer zunächst die Gesamtmaterialkosten ins Verhältnis zur Gesamtleistung der Klägerin, welche sich aus der Summe der Umsatzerlöse und der Bestandsveränderungen, ggf. auch der aktivierten Eigenleistungen ergibt, und geht sodann davon aus, dass der Anteil von Gesamtmaterialkosten zur Gesamtleistung dem Anteil der Materialkosten, die zur Erwirtschaftung allein der Umsatzerlöse erforderlich waren, zu den Umsatzerlösen entspricht.

Für 2020 ergibt sich gemäß Anlage K 14 danach folgende Berechnung:

Umsatzerlöse: 57.863.135 €

Anteil Gesamtmaterialkosten 26.967.378 € zur Gesamtleistung 58.041.198 € (= Umsatzerlöse 57.863.135 € + Bestandsveränderung (Lagerleistung) 162.130 € + aktivierte Eigenleistungen 15.930 €): 46,46%

somit Materialkosten allein zur Erwirtschaftung der Umsatzerlöse: Umsatzerlöse 57.863.135 € x 46,46% = 26.883.212,52 €, gerundet: 26.883.213 €

somit Deckungsbeitrag für 2020: Umsatzerlöse 57.863.135 € - diesbezügliche Materialkosten 26.883.213 € = 30.979.922 €.

Für 2021 ergibt sich gemäß Anlage K 15 folgende Berechnung:

Umsatzerlöse: 70.837.492 €

Anteil Gesamtmaterialkosten 35.223.076 € zur Gesamtleistung 73.924.577 € (= Umsatzerlöse 70.837.492 € + Bestandsveränderung (Lagerleistung) 3.087.082 € + aktivierte Eigenleistungen 0 €): 47,65%

somit Materialkosten allein zur Erwirtschaftung der Umsatzerlöse: Umsatzerlöse 70.837.492 € x 47,65% = 33.754.064,94 €, gerundet: 33.754.065 €

somit Deckungsbeitrag für 2021: Umsatzerlöse 70.837.492 € - diesbezügliche Materialkosten 33.754.065 € = 37.083.427 €.

Der erstattungsfähige Betriebsunterbrechungsschaden errechnet sich damit wie folgt:

Deckungsbeitrag pro Jahr

Deckungsbeitrag pro Monat

2020

30.979.922 €

2.581.660 €

2021

37.083.427 €

3.090.286 €

Einbuße pro Monat


508.626 €

Einbuße Juni 2020 bis
Oktober 2020 (5 Monate)


2.543.130 €

abzüglich Sub-Selbstbehalt
12 Stunden
gemäß Police Seite 3
(2.543.130 € : 108
Arbeitstage Juni bis Okt.
2020 = 23.547,50 €, bei
achtstündigem Arbeitstag,
12 Std daher 23.547,50 € x 1,5)


- 35.321 €

Ergibt


2.507.809 €

Infolge des Cyberangriffs vom 29./30.05.2020 war der Betrieb der Klägerin von Juni 2020 bis Oktober 2020 unterbrochen (5 Monate) und somit für einen Zeitraum, der innerhalb der Haftzeit von 12 Monaten liegt. Soweit die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 04.05.2023 mit Nichtwissen bestreitet, dass die Betriebsunterbrechung erst im Oktober 2020 endete (Bl. 570 d.A.), ist dies wegen Verspätung nach § 296a Satz 1 ZPO wiederum aus prozessualen Gründen unbeachtlich.

Bezüglich des Sub-Selbstbehalts von 12 Stunden (vgl. Seite 3 der Police, Anlage K 1) ist der im Unterbrechungszeitraum eingebüßte Betrag (2.543.130 €) durch die Anzahl der Arbeitstage im betreffenden Zeitraum zu teilen. Abzüglich Wochenenden und gesetzlicher Feiertage, die nicht auf das Wochenende fielen, gab es im Zeitraum Juni bis Oktober 2020 insgesamt 108 Arbeitstage. Wenn man von einem achtstündigen Arbeitstag ausgeht, ist der so ermittelte Betrag auf 12 Stunden hochzurechnen.

Insgesamt ergibt sich unter Berücksichtigung des Sub-Selbstbehalts ein zu erstattender Betriebsunterbrechungsschaden von 2.507.809 €.

b. Sachschaden an IT-Geräten, Daten und Software

Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten Sachschadens an IT-Geräten, Daten und Software (vgl. Tabelle auf Seite 11f der Klageschrift, Bl. 11f d.A., Anlagenkonvolut K 3) in Höhe von 322.040,58 €.

aa. Der Erstattungsanspruch folgt aus A4-2.1 AVB (bzgl. Daten) bzw. A4-3.1 AVB (bzgl. Sachen). Versicherungsschutz besteht danach für notwendige Aufwendungen zur Wiederherstellung der betroffenen Daten sowie für die Entfernung der Schadsoftware bzw. zur Reparatur, Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung der versicherten Sachen.

bb. Es kann dahin stehen, ob die Regelungen in C2.3.3 AVB (bzgl. IT-Geräten), C2.4.3 AVB (bzgl. Maschinen und technischen Anlagen), C2.5.3 AVB (bzgl. Betriebseinrichtung), C3.3.3 und C3.4.3 (bzgl. Reparatur oder Austausch von mitversicherten Sachen als Folge aus der Beeinträchtigung, Beschädigung oder Unbrauchbarmachung von Software und Daten), wonach Voraussetzung eines Erstattungsanspruchs ist, dass die Leistungen durch die [...] GmbH beauftragt und gesteuert wurden, den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB oder überraschend im Sinne des § 305c Abs. 1 BGB sind, wenn - wie hier - eine Regulierung durch den Versicherer abgelehnt wird. Denn die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Maßnahmen von der [...] GmbH (mit-)initiiert und koordiniert wurden.

cc. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist weder eine Sachsubstanzschädigung erforderlich, noch dass die beschädigten Sachen im Eigentum der Klägerin standen.

Der Begriff der Beschädigung wird in A460 des Glossars als jede Einwirkung auf eine Sache, die ihre stoffliche Zusammensetzung negativ verändert oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur geringfügig beeinträchtigt, definiert. Ausdrücklich ist dort bestimmt, dass eine Substanzverletzung nicht erforderlich ist.

Gemäß A4-3.2 Absatz 2 AVB werden geleaste oder gemietete IT-Geräte beziehungsweise Maschinen und technische Anlagen solchen Sachen gleichgestellt, die sich im Eigentum des Versicherungsnehmers befinden.

dd. Der Einwand der Beklagten, die geltend gemachten Aufwendungen seien teils nicht notwendig, da die Klägerin insoweit nicht nur den Zustand vor dem Cyber-Angriff wiederhergestellt, sondern darüber hinaus Verbesserungen vorgenommen habe, greift nicht durch.

Die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Beklagten. Nach der Formulierung der Ziffer A4-2.4.2 Satz 2 AVB (“Der Versicherer leistet keine Entschädigung für: a. Mehrkosten (A231) durch Änderungen oder Verbesserungen, die über die Wiederherstellung hinausgehen“) handelt es sich um eine Ausnahme von Satz 1, welcher die grundsätzliche Erstattungspflicht des Versicherers statuiert (“Der Versicherer leistet Entschädigung in Höhe der notwendigen Aufwendungen ...“).

Dem Vortrag der Klägerin, soweit Verbesserungen erfolgt seien, seien diese technisch nicht vermeidbar gewesen, ist die Beklagte erst mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen nach der letzten mündlichen Verhandlung entgegengetreten, welche nach § 296a Satz 1 ZPO unbeachtlich sind.

ee. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht auf den Zeitwert begrenzt. Zwar ist nach A4-3.5 Ziff. 1 lit. a AVB der Neuwertanteil nur geschuldet, wenn die Wiederbeschaffung der vom Schaden betroffenen, versicherten Sachen innerhalb von zwölf Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt. Sämtliche von der Klägerin im Anlagenkonvolut K 3 vorgelegten Rechnungen wurden jedoch innerhalb eines Jahres ab dem Versicherungsfall (29./30.05.2020) gestellt, so dass die abgerechneten Leistungen ebenfalls innerhalb Jahresfrist erfolgt sind.

ff. Gemäß A4-3.5 Ziff. 1 lit. c AVB macht die Klägerin jeweils (nur) den Rechnungsbetrag ohne Umsatzsteuer geltend.

gg. Weiterer Vortrag der Beklagten, mit welchem einzelne Rechnungen/ Rechnungspositionen sowie die Bezahlung der vorgelegten Rechnungen bestritten und deren Prüffähigkeit gerügt wird, insbesondere auch die Vorlage der gutachterlichen Stellungnahmen zur Rechnungsprüfung gem. den Anlagen BLD 11 und BLD 12, ist nach der letzten mündlichen Verhandlung mit nicht nachgelassenen Schriftsätzen erfolgt und daher nach § 296a Satz 1 ZPO unbeachtlich.

hh. Insgesamt ist ein Betrag in Höhe von 322.540,58 € grundsätzlich erstattungsfähig. Hiervon ist allerdings gemäß Seite 3 der Police (Anlage K1) der vereinbarte Sub-Selbstbehalt von 500 € abzuziehen. Zu erstatten ist daher ein Schaden in Höhe von 322.040,58 €.

c. Schadensminderungsmaßnahmen

Die Klägerin kann gemäß §§ 83 Abs. 1 Satz 1, 82 Abs. 1 VVG Ersatz in Höhe von 29.073,96 € für diejenigen Aufwendungen verlangen, welche sie unter Anleitung der [...] GmbH getätigt hat, um die Betriebsunterbrechung so rasch wie möglich zu beenden (s. Tabelle auf Seite 14 der Klageschrift, Bl. 14 d.A., Rechnungen in Anlage K 5). Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 04.05.2023 (dort Seite 20, Bl. 571 d.A.) mit Nichtwissen bestritten hat, dass die aufgeführten Arbeiten zur Schadenminimierung objektiv erforderlich waren und die Kosten angemessen und ortsüblich sind, ist dieser Vortrag einerseits verspätet gemäß § 296a Satz 1 ZPO und anderseits prozessual unzulässig, da diese Aufwendungen gemäß den Schadenmanagementklauseln der AVB (siehe oben unter b. bb.) unter Mitwirkung der [...] GmbH erfolgt sind. Die Tätigkeit der [...] GmbH ist der Beklagten zuzurechnen, so dass ein Bestreiten mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ausscheidet.

d. Kosten der Schadensfeststellung

Dagegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten der Schadensfeststellung (s. Tabelle auf Seite 14 der Klageschrift, Bl. 14 d.A.).

Es fehlt hierzu an hinreichendem Vortrag bzw. an einem Beweisantritt seitens der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin. Die Klägerin trägt vor, ihr Geschäftsführer sowie zwei Mitarbeiter aus dem Bereich Controlling seien mehrere Tage im Einsatz gewesen, um den Schaden festzustellen, und verweist auf eine Tabelle der ausgefallenen Personentage (Anlage K4), welche die Klägerin bereits der (ersten) Berechnung des Betriebsunterbrechungsschadens zugrunde gelegt hat. Die Beklagte hat diesen Vortrag als unsubstantiiert zurückgewiesen und die Anzahl der Mitarbeiter und der Ausfalltage bestritten, insbesondere dass diesbezüglich auch noch ein Jahr nach dem Schadensfall Personentage angefallen sein sollen. Weiterer Vortrag der Klägerin ist nicht erfolgt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ausgefallene Personentage bereits in die Ermittlung des Unterbrechungsschadens eingeflossen sind. Dass dem Geschäftsführer oder den Mitarbeitern der Klägerin schadensbedingt über das normale Gehalt hinaus eine zusätzliche Vergütung bezahlt worden wäre, wird von der Klägerin nicht behauptet.

e. Kosten für Gutachten der [...] GmbH

Schließlich hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des vorgerichtlich eingeholten Gutachtens der [...] GmbH (vgl. Rechnungen Anlage K 6). Es fehlt an einer Anspruchsgrundlage.

Zwar ist gemäß Seite 2 der Police (Anlage K1) der Baustein „Kosten eigener Sachverständiger“ mitversichert. Nach C5.1.1 AVB betrifft dies allerdings nur die im Rahmen des Sachverständigenverfahrens gemäß AVB anfallenden Gutachterkosten. Es bleibt daher bei der allgemeinen Regelung des § 85 Abs. 2 VVG. Danach hat der Versicherer Kosten, die dem Versicherungsnehmer durch die Zuziehung eines Sachverständigen entstehen, nicht zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsnehmer ist zu der Zuziehung vertraglich verpflichtet oder vom Versicherer aufgefordert worden. Da die genannten Ausnahmen nicht vorliegen, bleibt es bei dem Grundsatz, dass diese Kosten nicht erstattungsfähig sind.

f. allgemeiner Selbstbehalt

Ein weiterer Selbstbehalt ist nicht abzuziehen. Zwar ist gemäß Seite 2 der Police (Anlage K1) ein allgemeiner Selbstbehalt (sog. Policen-Selbstbehalt) von 25.000 € vereinbart. Aus A1-15.2 AVB ergibt sich jedoch, dass es sich dabei um einen Mindest-Selbstbehalt handelt. Die bisherigen zu berücksichtigenden Sub-Selbstbehalte addieren sich auf 35.821 € (= Betriebsunterbrechung 35.321 € + Sachschaden 500 €), so dass der allgemeine Selbstbehalt aufgrund dieser speziellen Selbstbehalte bereits abgegolten ist.

5. Der Anspruch der Klägerin ist nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls zu kürzen.

Nach § 81 Abs. 2 VVG, auf welchen sich die Beklagte berufen hat, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat.

a. Der gerichtliche Sachverständige hat mehrere denkbare Maßnahmen aufgeführt, durch welche der Cyber-Angriff verhindert oder zumindest erschwert worden wäre. Hier sind insbesondere die Zwei-Faktoren-Authentifizierung und das sog. Monitoring zu nennen. Bei der Zwei-Faktoren-Authentifizierung ist neben dem Passwort eine weitere Komponente für die Anmeldung beim Netzwerk erforderlich. Diese weitere Komponente wird etwa über einen USB-Stick oder aber über eine App für das Handy bereitgestellt (Protokoll vom 28.04.2023 Seite 4, Bl. 586 d.A.). Das Monitoring schlägt Alarm, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten, also etwa alle Server zeitgleich angegriffen werden, indem ein Mitarbeiter der Firma verständigt wird, etwa per SMS über das Handy. Dieser Mitarbeiter ist dann verpflichtet, sich beim System anzumelden und Überprüfungen vorzunehmen. Sollte dabei ein Angriff entdeckt werden, können, falls notwendig, alle Server vom Netz genommen werden, um Schlimmeres zu verhindern (Protokoll vom 28.04.2023 Seite 5, Bl. 587 d.A.).

b. Die Norm des § 81 Abs. 2 VVG ist vorliegend jedoch bereits nicht anwendbar, weshalb eine Kürzung ausscheidet.

Der Anwendungsbereich des § 81 Abs. 2 VVG ist dann nicht eröffnet, wenn die betreffende Gefahrenlage bereits bei Vertragsschluss bestand und bereits Grundlage der Risikoprüfung des Versicherers war bzw. hätte sein können (OLG Hamm, Urteil vom 18. Mai 1988 – 20 U 232/87, Rn. 39, juris, zu § 61 VVG a.F.; Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 81 Rn. 15; BeckOK VVG/Klimke, 18. Ed. 1.2.2023, VVG § 81 Rn. 9; ähnlich BGH NJW 1965, 156, 157). So liegt der Fall hier. Bei der Klägerin hat sich die Risikolage bis zum 29./30.05.2020 gegenüber dem Zustand bei Vertragsschluss im April 2020 nicht geändert. Denn bereits damals verfügte die Klägerin weder über eine Zwei-Faktoren-Authentifizierung noch über ein Monitoring oder eine andere vergleichbare Maßnahme zur Vermeidung von Cyber-Angriffen. Die Beklagte hätte es selbst in der Hand gehabt, die Existenz solcher zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen durch passende Risikofragen abzuklären. Indem die Beklagte hierauf verzichtete, hat sie die Klägerin als Versicherungsnehmerin mit der bestehenden Risikolage akzeptiert und kann von Beginn an bestehende Risiken nicht über § 81 Abs. 2 VVG (ganz oder teilweise) der Versicherungsnehmerin aufbürden. Zu einer Abänderung, insbesondere Verbesserung der bei Vertragsschluss bestehenden Risikolage ist der Versicherungsnehmer nämlich nicht verpflichtet (OLG Hamm, Urteil vom 18. Mai 1988 – 20 U 232/87, Rn. 39, juris, zu § 61 VVG a.F.). Diese Überlegungen gelten auch nach der VVG-Reform fort und finden daher auf § 81 VVG ebenso Anwendung wie auf § 61 VVG a.F. (vgl. zum neuen Recht: BeckOK VVG/Klimke, 18. Ed. 1.2.2023, VVG § 81 Rn. 9; Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 81 Rn. 15; anders wohl Langheid/Wandt/Looschelders, 3. Aufl. 2022, VVG § 81 Rn. 26).

6. Der Anspruch ist nach §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB ab dem 05.06.2020 mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen. Die Beklagte hat mit dem Rücktrittsschreiben vom 04.06.2020 (Anlage K 7) die Leistung aus dem Versicherungsvertrag ernsthaft und endgültig verweigert und befindet sich daher ab dem Folgetag im Verzug (BGH, 27.09.1989 – IVa ZR 156/88, VersR 1990, 153; Armbrüster, in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 31. Auflage 2021, § 14 Rn. 29 m.w.N.).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Frankfurt: Es ist Allgemeinwissen dass die kommerzielle Verwertung von Bildern Dritter aus dem Internet fremde Urheberrechte verletzt

OLG Frankfurt
Beschluss vom 06.06.2023
4 W 13/23


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ausgeführt, dass es Allgemeinwissen ist, dass die kommerzielle Verwertung von Bildern Dritter aus dem Internet fremde Urheberrechte verletzt

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Bedruckte Kissen - Prozesskostenhilfe im Streit um Rückzahlung einer Anzahlung nach Vertragsanfechtung Existenzgründerin muss Urheberrechtslage vor Auftragserteilung für Kissenbezüge mit Bildern der „Boyband“ BTS selbst klären.

Es gehört zum Allgemeinwissen der breiten Bevölkerung, dass man nicht einfach ohne jede Rücksicht auf fremde Urheberrechte Bilder aus dem Internet - hier von der bereits intensiv kommerziell verwerteten „Boyband“ BTS mit 41 Mio. Fans - herunterladen und dann selbst kommerziell verwerten darf. Zwischen den Parteien eines Vertrags über das Bedrucken von Kissenbezügen mit Mitgliedern dieser Band besteht damit kein Wissensgefälle. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit heute veröffentlichtem Beschluss die von der auftraggebenden Existenzgründerin erklärte Anfechtung für unbegründet erklärt. Da die Beschwerdegegnerin zu den nach Kündigung ersparten Aufwendungen aber nicht hinreichend vorgetragen hatte, wurde der Beschwerdeführerin teilweise Prozesskostenhilfe gewährt.

Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwaltsfachangestellte. Sie wollte sich mit dem Vertrieb bedruckter großer Kissenbezüge eine berufliche Existenz aufbauen. Motive sollten lebensgroße Bilder der Mitglieder der südkoreanischen „Boyband“ BTS sein, die die Kunden über Pappaufsteller streifen können.

Die Beschwerdeführerin beauftragte für knapp 20.000,00 € das auf das Bedrucken von Textilien spezialisierte Unternehmen der Beschwerdegegnerin. Ob diese bereits frühzeitig darauf hinwies, dass die Beschwerdeführerin über die Urheberrechte an den von ihr verwendeten Bilder verfügen müsse, ist streitig. Nach Zahlung von gut 11.000 € verwies die Beschwerdegegnerin jedenfalls darauf, dass die Beschwerdeführerin eine fehlende Urheberrechtsverletzung sicherstellen müsse. Daraufhin kündigte die Beschwerdeführerin den Vertrag.

Die Beschwerdeführerin begehrt nunmehr nach Anfechtung des Vertrags Prozesskostenhilfe für eine auf Rückzahlung der Anzahlung gerichtete Klage. Sie fühlt sich durch die Beschwerdegegnerin getäuscht. Diese habe sie nicht über die Urheberrechtsproblematik aufgeklärt. Das Landgericht hatte diesen Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde sprach das OLG teilweise Prozesskostenhilfe zu.

Zutreffend habe das Landgericht allerdings eine Aufklärungspflicht der Beschwerdegegnerin und eine Täuschung abgelehnt, begründete das OLG die Entscheidung. Es habe kein Wissensgefälle zwischen den Parteien vorgelegen. Die Beschwerdeführerin habe als Existenzgründerin als Unternehmerin gehandelt. Als Rechtsanwaltsfachangestellte habe sie zudem „jedenfalls ein gewisses Grundverständnis für die Rechtsordnung“ gehabt, betonte das OLG.

Der Klage könne jedoch nicht jede Erfolgsaussicht abgesprochen werden, so dass teilweise Prozesskostenhilfe zu gewähren sei. Die Beschwerdeführerin habe den Vertrag zumindest kündigen dürfen. Für die Höhe ihres Rückzahlungsanspruchs sei dann u.a. die Höhe der durch die Kündigung ersparten Aufwendungen der Beschwerdegegnerin relevant. Hierzu müsse die Beschwerdegegnerin konkret vorgetragen. Das fehle bislang. Soweit sie behaupte, überhaupt keine Aufwendungen erspart zu haben, sei dies „ungereimt“. Sie erspare zumindest Konfektion und Druck.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.6.2023, Az. 4 W 13/23
(vorgehend LG Limburg a. d. Lahn, Beschluss vom 9.3.2023, Az. 1 O 458/22)