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OLG Schleswig-Holstein: § 12 Abs. 1 FernUSG gilt nicht für Online-Mentoring-Angebote sofern keine Kontrolle des Lernerfolgs stattfindet

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom. 05.07.2024
19 U 65/24


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass § 12 Abs. 1 FernUSG nicht für Online-Mentoring-Angebote gilt, sofern keine Kontrolle des Lernerfolgs stattfindet.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Parteien haben einen wirksamen Vertrag geschlossen, der ein zwölfmonatiges Mentoringprogramm der Klägerin gegen Zahlung von zwölfmal 5.000 € (zzgl. MwSt.) zum Gegenstand hatte.

Bei dem geschlossenen Vertrag handelt es sich, wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, um einen Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB. Ein bestimmter Erfolg war nämlich im Schwerpunkt gerade nicht geschuldet. Wenngleich zum Teil auch konkrete Handlungen, z.B. die Übersendung von VIP-Tickets, vereinbart waren, so war das Programm der Klägerin nach seiner Leistungsbeschreibung doch überwiegend auf die Vermittlung von Inhalten in Präsenzveranstaltungen bzw. die Freischaltung von Zugängen zu Online-Medien ausgelegt, über die der Mentor sein Wissen an den noch unerfahrenen Kunden weitergeben und ihn bei seiner persönlichen und/oder beruflichen Entwicklung unterstützen sollte (vgl. auch die Sachverhalte und rechtliche Einordnung bei OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22; LG Ravensburg, Urteil vom 11.07.2023 – 5 O 25/23; LG Stuttgart Urteil vom 30.03.2023 – 30 O 266/22).

Unbestritten hat die Klägerin erstinstanzlich dargelegt, dass über die wesentlichen Vertragsbestandteile des Mentoring-Vertrages – auch die Zahlungsverpflichtung im Voraus (entgegen der Regelung des § 614 Satz 1 BGB) – im Telefonat vom 18.02.2023 gesprochen worden sei. § 614 Satz 1 BGB ist dispositiv (BeckOGK/Maties BGB § 614 Rn. 44). Im Zweifel war die Zahlung danach sofort fällig, § 271 Abs. 1 BGB. Auch über die Höhe der geschuldeten Leistung (50.000 € bei Einmalzahlung oder zwölfmal 5.000 €) ist unzweifelhaft gesprochen worden. Die Art der geschuldeten Leistung lässt sich aus der Beschreibung Anlage K1 jedenfalls im Groben entnehmen. Geschuldet sind Teilnahmerechte in Zoommeetings und Messenger-Gruppen, das Freischalten von Online-Seminaren und ähnliches, wobei Kursbeginn der 30.05.2023 hätte sein sollen.

Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 13.06.2024 bestritten hat, dass die o.g. Leistungen vereinbart worden seien mit der Folge, dass es einer konkreten Leistungsbeschreibung gemangelt habe und der Vertrag unwirksam sei, greift er damit nicht durch. Der nicht angegriffene Tatbestand des landgerichtlichen Urteils weist den genannten Inhalt des Vertrages als unstreitig aus. Daran ist der Senat nach § 314 ZPO zwingend gebunden (BeckOK ZPO, 314 Rn. 29).

2. Der Vertrag ist auch nicht nichtig. Weder ist er sittenwidrig (dazu unter a.) noch unterfällt er dem Anwendungsbereich des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG), der in seinem § 7 Abs. 1 bei Fehlen der entsprechenden Zulassung des Veranstalters die Nichtigkeit des Vertrages vorsieht (dazu unter b.).

a. Der Vertrag ist, anders als das Landgericht es gesehen hat, nicht als wucherähnliches Rechtsgeschäft nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB.

Keine Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO stellt es dar, dass die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung, § 331 ZPO, die Frage der Sittenwidrigkeit überhaupt geprüft hat. Die Klage ist schlüssig, wenn das Gericht die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen ohne weitere tatsächliche Überprüfung im Sinne des Klageantrages unter eine Anspruchsgrundlage subsumieren kann und nach dem Tatsachenvortrag des Klägers auch keine Gegenrechte eingreifen. Es darf somit weder am Vortrag anspruchsbegründender Tatsachen fehlen, noch darf der Kläger vollumfänglich Tatsachen vorgebracht haben, die zu einer rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Einwendung führen, ohne diese gleichzeitig durch eine Replik zu entkräften (Musielak/Voit/Stadler ZPO § 331 Rn. 7). Bei der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB handelt es sich um eine solche rechtsvernichtende Einwendung. Zu Recht rügt die Klägerin allerdings, dass die Kammer gerade nicht sämtliche tatsächlichen Grundlagen, die sie für die Sittenwidrigkeit herangezogen hat, insbesondere Preise von Vergleichsangeboten, aus dem Vortrag der Klägerin selbst entnommen, sondern diese selbst recherchiert hat.

Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag ist auch in der Sache nicht sittenwidrig. Entsprechenden Vortrag hat der Beklagte in der Berufung nachgeholt. Der Vertrag erweist sich jedoch auch auf der Grundlage des erweiterten aktenkundigen Sachverhalts nicht als sittenwidrig.

Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn das betreffende Rechtsgeschäft gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Die Vorschrift sichert ein im Rechtsverkehr zu wahrendes ethisches Minimum. Ihr Zweck ist es, Missbräuchen der Privatautonomie entgegenzuwirken und die Geltung von Rechtsgeschäften zu verhindern, die für die Rechtsgemeinschaft unerträglich sind, weil sie gegen deren ethische Wertvorstellungen – die guten Sitten – verstoßen (BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 1, 2 m.w.N.).

Wucher im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB (als lex specialis zu Abs. 1) liegt – unabhängig von der Frage nach einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung – schon deshalb nicht vor, weil es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Klägerin eine Zwangslage, die Unerfahrenheit oder den Mangel an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des Beklagten ausgenutzt hätte.

Ein wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB wird angenommen, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dafür ist derjenige, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft, darlegungs- und beweisbelastet (Grüneberg/Ellenberger, 83. Aufl. § 138 Rn. 34 m.w.N.). Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (Grüneberg/Ellenberger, a.a.O. Rn. 34a m.w.N.; BeckOK BGB/Wendtland BGB § 138 Rn. 61, 61.1). Dabei liegt ein auffälliges Missverhältnis vor, wenn der Wert der Leistung rund doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, wobei es jeweils auf die objektiven Werte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt (BGH, Urteil vom 19.01.2001 – V ZR 437/99;BGH, Urteil vom 05.10.2001 – V ZR 237/00; BGH, Urteil vom 18.12.2007 – XI ZR 324/06).Eine tatsächliche Vermutung für die verwerfliche Gesinnung besteht allerdings dann nicht, wenn es sich bei dem benachteiligten Vertragspartner um einen Kaufmann (§§ 1 Abs. 1, 5 HGB) handelt (BGH, Urteil vom 06.05.2003 – XI ZR 226/02 – „Benachteiligter“ war dort eine größere GmbH).

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist nicht festzustellen. Es mangelt bereits an Vortrag der Beklagtenseite zum Wert der angebotenen Leistung der Klägerin.

Maßgeblich ist der objektive Wert der Leistung, wobei grundsätzlich der Marktwert für dessen Bestimmung ein geeignetes Mittel darstellt. Dabei wird der vereinbarte Betrag demjenigen gegenübergestellt, den die Mehrzahl der weiteren Anbieter für vergleichbare Leistungen verlangt (Marktwert; marktüblicher Preis). Ein generell überhöhtes Preisniveau vermag ein auffälliges Leistungsmissverhältnis nicht zu beseitigen. Lässt sich ein ortsüblicher Preis für eine Leistung nicht ermitteln, so kann sich die Sittenwidrigkeit aus einer Überschreitung der andernorts üblichen oder der angemessenen Vergütung ergeben (dazu: MüKoBGB/Armbrüster BGB § 138 Rn. 206).

Soweit das Landgericht als Vergleichsmaßstab die Preise von Fernuniversitäten nebst Sicherheitszuschlag bemüht hat, begegnet dies neben den genannten prozessualen auch inhaltlichen Bedenken. Wie die Kammer selbst geschrieben hat, findet in Fernunterrichtskursen und Universitäten Unterricht in größeren Gruppen statt. Sie sind auf die Erlangung eines Abschlusses gerichtet. Das Angebot von Fernuniversitäten mag durch hierfür ausgebildete Lehrende und durch eine gewisse staatliche Kontrolle bzw. Qualitätsstandards nachhaltiger und grundlegender sein, es verfolgt aber einen anderen Ansatz und ein anderes Ziel als das Angebot der Klägerin. Während die Fernunis auf eher klassischem Wege Wissen vermitteln wollen, versprechen Mentorenprogramme wie das der Klägerin den modernen (insbes. durch Nutzung von Social Media) und schnellen individuellen Erfolg. Abschlüsse und die Vermittlung von Grundlagenwissen sind weniger wichtig; wichtig ist vielmehr die Persönlichkeit des Mentors, dessen (jedenfalls vermeintlicher) wirtschaftlicher Erfolg und dessen Erfahrung, die dieser an die Teilnehmer weitergeben soll, um das Wachstum des konkreten Unternehmens schnell voranzutreiben (so auch die Klägerin in ihrer Berufungsschrift (S. 6 eAOLG): „Es geht also um praktisch anwendbares Know-how, das bei konsequenter Umsetzung zu einer merklichen Umsatzsteigerung führt.“).

Soweit sich der Beklagte in der Berufungserwiderung ebenfalls auf private Unternehmen und Akademien bis hin zu Universitäten und anderen Einrichtungen wie IHKs bezieht, die „genau das Gleiche“ anböten wie die Klägerin, geht dies zum Teil aus den oben genannten Gründen fehl; soweit sei sich auf private Anbieter wie die Haufe-Akademie bezieht (1.350 EUR für Neukundengewinnung und Akquisegespräche), ist auch dieses Angebot nicht vergleichbar. Die Klägerin bietet ein Zwölf-Monats-Mentoring an. Die genannte H.-Akademie nimmt beispielsweise 1.300 € plus MwSt. für fünf Stunden Coaching (Nachweis: Link zur Webseite der H.-Akademie).

Während damit einerseits der Beklagte nicht ausreichend zu Angeboten anderer Anbieter vorträgt, die eine wucherische Überhöhung des von der Klägerin verlangten Preises erkennen ließen, kann andererseits die Klägerin auf einen von dem OLG Köln entschiedenen Fall verweisen, der – wie sie behauptet – einen ihrem Angebot vergleichbaren Fall betraf (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23). Dort ging es um ein Angebot namens „Coaching & Consulting Excellence“. Die Laufzeit betrug ebenfalls zwölf Monate. Die Vergütung für dieses Angebot lag im Jahr 2021 bei 4.165,00 € (brutto) pro Monat.

Dies spricht jedenfalls dafür, dass die Klägerin mit ihrer Preisgestaltung nicht unangemessen außerhalb des üblichen Rahmens liegt.

b. Der Vertrag ist nicht nichtig wegen Verstoßes gegen das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Nach § 7 FernUSG ist ein Fernunterrichtsvertrag, der von einem Veranstalter ohne die nach § 12 Abs. 1 erforderliche Zulassung des Fernlehrgangs geschlossen wird, nichtig.

Ob das FernUSG auch auf Verträge zwischen Unternehmern Anwendung findet (wofür jedenfalls der uneingeschränkte Gesetzeswortlaut spricht; vgl. auch: OLG Celle, Urteil vom 01.03.2023 – 3 U 85/22; diese Frage offenlassend OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23), braucht der Senat nicht zu entscheiden, denn bei den angebotenen Kursen der Klägerin handelt es sich nicht um Fernunterricht im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG.

§ 1 Abs. 1 FernUSG lautet:

(1) Fernunterricht im Sinne dieses Gesetzes ist die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der

1. der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und
2. der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen.

Der Vertrag hat zwar zumindest auch die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten zum Gegenstand. So gibt es nach dem Programm der Klägerin (Anlage K1) Mentoring-Termine etwa im „Verkauf“, „Vertrieb“, mit den Themen „Führung im Betrieb“, „Social Media Marketing“ und ähnlichem. Auch stellt sie z.B. ein Workbook zum Onlinekurs zur Verfügung. Dass es auch Präsenzveranstaltungen und unmittelbaren Austausch miteinander gibt, schließt eine Anwendung des FernUSG nicht aus („überwiegend“, Nr. 1). Eine Überwachung des Lernerfolgs im Sinne der Nr. 2 schuldet die Klägerin allerdings nach dem konkreten Vertrag nicht.

Zwar ist das Tatbestandsmerkmal weit auszulegen. In dem Urteil des BGH vom 15.10.2019 – III ZR 310/08 – heißt es insoweit:

„[19] (3) Der Gesetzgeber ging selbst bei der Formulierung des Gesetzes von einem umfassenden und weiten Verständnis des Begriffs der Überwachung des Lernerfolgs aus. Der Lehrende oder sein Beauftragter sollte sich dabei schriftlicher Korrekturen ebenso wie begleitender Unterrichtsveranstaltungen oder anderer Mittel bedienen können (BT-Dr 7/4245, S. 14). Deshalb kommt auch eine mündliche Kontrolle während eines begleitenden Direktunterrichts als hinreichende Überwachung des Lernerfolgs, z.B. durch Frage und Antwort, in Betracht (vgl. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 10. 10. 1979 – 2/1 S 153/79, S. 5). Es ist ausreichend, wenn eine individuelle Anleitung des Lernenden vorgesehen ist (Bühler, Fernunterrichtsvertrag und Fern-USG, 1984, S. 94; Faber/Schade, Fern-USG, 1980, § 1 Rdnr. 15; Bartl, NJW 1976, 1993 [1994]), die eine Lernerfolgskontrolle ermöglicht (Faber/Schade, § 1 Rdnr. 16).

[20] (4) Da nach § 2 I i.V. mit § 1 I FernUSG eine Überwachung des Lernerfolgs nach dem Vertrag vorgesehen sein muss, kommt es für die Anwendung des Fernunterrichtsschutzgesetzes nicht darauf an, ob diese letztlich auch tatsächlich durchgeführt wird (Bühler, S. 94; Faber/Schade, § 1 Rdnrn. 14f.). Es reicht deshalb aus, dass nach dem Vertrag der Lernende das Recht hat, eine solche einzufordern, um den Lernerfolg kontrollieren zu lassen.

[21] Insgesamt ist deshalb eine Überwachung des Lernerfolgs nach § 1 I Nr. 2 FernUSG bereits dann gegeben, wenn der Lernende nach dem Vertrag den Anspruch hat, zum Beispiel in einer begleitenden Unterrichtsveranstaltung durch mündliche Fragen zum erlernten Stoff eine individuelle Kontrolle des Lernerfolgs durch den Lehrenden oder seinen Beauftragten zu erhalten.“

Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Beklagte hat nach dem Angebot der Klägerin nicht die Möglichkeit einer individuellen Kontrolle seines Lernerfolgs durch einen Lehrenden zu erhalten. Entsprechendes ergibt sich nicht aus dem Programm der Klägerin.

Zwar heißt es in der Broschüre Anlage K1 beispielsweise: „Schildere für alle Coaches so konkret, aber kompakt wie möglich, Deine aktuelle Situation und stelle gezielte Fragen zum weiteren Vorgehen.“ Es gebe „Feedback“ von Experten (Anlage K 1, Bl. 2), eine Teilnehmerin lobt „die Schnelligkeit der Antworten“ (Anlage K1, 7), als Inhalt der „Lektoring“-Einheit wird ein Telefonskript genannt (Anlage K1, Bl. 5). All dies impliziert eine gewisse Interaktion zwischen dem Dozenten und dem Teilnehmer, reicht aber – trotz geringer Anforderungen daran - nicht für die Annahme einer irgendwie gearteten Lernerfolgskontrolle aus. Begriffe wie „Studium“, Absolvent“, „Zertifikat“ (BGH, a.a.O.) oder ähnliches, die implizieren könnten, dass eine solche stattfinden würde, werden gerade nicht genannt. Das Programm ist schon seinem objektiven Inhalt nach nicht darauf gerichtet, dass ein bestimmter, objektiv messbarer Lernerfolg erzielt würde, sondern darauf, dass der Mentor sein persönliches Erfahrungswissen weitergibt. Die Geschäftsführerin der Klägerin hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat nachvollziehbar erläutert, wie die Interaktion der Mentoren und der Teilnehmer untereinander ausgestaltet ist. So sei es bei den Meetings so, dass die Mentoren ihre Erfahrungen teilten und ganz individuelle Fragen, die auch zuvor eingesandt werden könnten, beantworteten. Konkret angesprochen auf das Telefon-Skript (Anlage K1, Bl. 5) erklärte sie, dass im Rahmen der „Lektoring“-Stunden im Gegensatz zum „Mentoring“ keine Fragen gestellt werden könnten. Die Teilnehmer könnten hier – bei diesem Beispiel bleibend – ihr bisher genutztes Telefonskript einreichen und dieses werde dann “durchgegangen“. Die Coaches erläuterten, was sie ändern würden und gäben Tipps. Die Umsetzung des Gehörten liege jeweils an den Kunden selbst.

Danach fehlt es aber an einer Kontrolle eines abprüfbaren Lerninhaltes.

(Erlaubte) Verständnisfragen dergestalt, ob das Gehörte richtig verstanden worden sei, reichen für eine Lernerfolgskontrolle nicht aus. Zum einen ließe sich so jede Art Vortrag, der nur ein Mindestmaß an Fragestellung durch die Teilnehmer zulässt, in eine Lernkontrolle wandeln, zum anderen erfolgte diese im Rahmen einer Art Selbstkontrolle und nicht durch den Lehrenden oder Beauftragten, wie es aber der Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG verlangt (so auch OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23). Deswegen wäre auch eine irgendwie geartete Kontrolle durch die Teilnehmer untereinander (etwa in Telegram-Gruppen) nicht geeignet, eine Kontrolle des Lernerfolgs im Sinne des FernUSG darzustellen.

Aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 01.03.2020 – 3 U 85/22 –, wonach das FernUSG auf einen Coaching-Vertrag anwendbar sei, ergibt sich schon deshalb nichts anderes, weil der dortige Sachverhalt sich von dem hiesigen unterscheidet. So gab es dort einen WhatsApp-Support, in dem Fragen gestellt werden konnten, und Zugang zu einer Akademie bestand, „die Videos, Checklisten und Prüfungen“ beinhalte. Ähnliches bietet hiesige Klägerin aber gerade nicht an.

3. Der Beklagte hat sich von dem Vertrag auch nicht lösen können. Weder hat er wirksam widerrufen (dazu unter a.) noch stand ihm ein Kündigungsrecht zur Verfügung (dazu unter b.).

a. Das Widerrufsrecht für Fernabsatzverträge nach §§ 312c, g, 355 BGB gilt für Verbraucher. Der Beklagte hat nicht als Verbraucher den Vertrag abgeschlossen. Ein solcher ist nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Darlegungs- und beweisbelastet für seine Verbrauchereigenschaft ist der Beklagte.

Zwar hat der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen (Bl. 20 eALG), er sei davon ausgegangen, dass der Vertrag „mit ihm selber“ abgeschlossen worden sei, zumal er die Leistungen ja auch nur persönlich hätte entgegennehmen können; damit greift er aber nicht durch. Die „persönliche Entgegennahme“ von Coaching-Inhalten liegt in der Natur der Sache. Der Coaching-Erfolg hätte aber dem Unternehmen des Beklagten zu Gute kommen sollen, dessen Wachstum er vorantreiben wollte. Die Zweckrichtung des Mentorings war der unternehmerischen Sphäre des Beklagten zuzurechnen. Nicht zuletzt hat der Beklagte telefonisch bestätigt, dass er als Unternehmer handele und hat ein Mitarbeiter der Klägerin darauf hingewiesen, dass diese nur im B2B-Bereich tätig sei.

Ein Widerrufsrecht ergibt sich auch nicht daraus, dass die Widerrufsbelehrung der Klägerin unklar gewesen wäre. Die Angaben auf ihrer Internetseite sind nicht irreführend. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass es dieser Art der Widerrufsbelehrung, in der von Verbrauchern die Rede ist, nicht bedurft hätte, weil die Klägerin nach eigenem Vortrag mit Verbrauchern keine Verträge schließt. Nicht ersichtlich ist allerdings, wie sich daraus ein Widerrufsrecht des Beklagten herleiten lassen sollte. Es wird zwar vertreten, dass die irrtümliche Belehrung über ein nicht bestehendes Widerrufsrecht als Angebot auf Einräumung eines vertraglichen ausgelegt werden kann (umstr., s. BeckOGK/Mörsdorf, BGB § 355 Rn. 37). Gegenüber einem Unternehmer kommt dies aber in der Regel nicht in Betracht (ebd.). Das gilt erst recht in einem Fall wie hier, in dem die Belehrung mit der Klarstellung verbunden war, dass ein Widerrufsrecht nur für Verbraucher und nicht auch für Unternehmer bestehe. Ein Widerrufsrecht nach § 4 FernUSG, § 355 BGB besteht nicht, weil es sich nicht um einen Fernunterrichtevertrag i.S.d. FernUSG handelt (s.o.).

b. Der Beklagte hat den Vertrag auch nicht wirksam gekündigt.

Zwar mag die Widerrufserklärung in eine Kündigungserklärung umgedeutet werden und hat der Beklagte mit der Klageerwiderung vom 28.09.2023 (Bl. 20f. eALG) erneut die Kündigung des Vertrages ausgesprochen, ihm stand aber kein Kündigungsrecht zur Seite.

Eine ordentliche Kündigung ist bei – wie hier – auf bestimmte Zeit geschlossenen Dienstverträgen grundsätzlich nicht möglich, § 620 Abs. 1 BGB.

Möglich bleibt allerdings eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund, § 626 BGB. Ein solcher ist aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vertragsreue und fehlende Liquidität stellen einen solchen wichtigen Grund jedenfalls nicht dar.

In Betracht kommt des Weiteren eine Kündigung wegen der Erbringung von Dienstleistungen höherer Art, § 627 BGB. Dienste höherer Art sind solche, die ein überdurchschnittliches Maß an Fachkenntnissen, Kunstfertigkeit oder wissenschaftlicher Bildung, eine hohe geistige Phantasie oder Flexibilität voraussetzen und infolgedessen dem Dienstpflichtigen eine herausgehobene Stellung verleihen. Für die Beurteilung, ob Dienste höherer Art geschuldet werden, ist die typische Situation, nicht der konkrete Einzelfall, entscheidend. Der klassische Anwendungsbereich des § 627 BGB liegt z.B. in qualifizierten Tätigkeiten, die den persönlichen Lebensbereich betreffen, insbesondere Ehe-, Partner- und Bekanntschaftsvermittler (MüKoBGB/Henssler BGB § 627 Rn. 22 f.). Die Tätigkeit vieler Unternehmensberater ist nicht nur Dienstleistung, sondern auch ein Vertrauensverhältnis i.S.d. § 627 BGB, dies jedenfalls dann, wenn und soweit einem solchen Berater auch Einblicke in interne Vorgänge gewährt werden, was nur bei vorhandenem Vertrauen möglich ist (s. OLG München, Urteil vom 10.01.2001 – 7 U 21005/00; OLG Hamm, Beschluss vom 22.01.2015 – 17 U 143/14). Wenn hingegen die Vermittlung von spezifischen Fertigkeiten im Vordergrund steht, so etwa bei bestimmten Formen des Coachings, kann nicht unbedingt von einem Kündigungsrecht nach § 627 BGB ausgegangen werden (OLG Köln, Urteil vom 06.12.2023 – 2 U 24/23; LG Trier, Urteil vom 07.12.2016 – 5 O 128/16; LG Frankfurt am Main, Urteil vom 15.09.2023 – 2-21 O 323/21).

Hier fehlt es jedenfalls an einer „besonderen Vertrauensstellung“, denn der Mentor erhält nicht, ähnlich einem Unternehmensberater, tiefe Einblicke in das Unternehmen, in Geschäftsgeheimnisse und Geschäftszahlen. Die Mentoring-Termine sind schlagwortartig beschrieben mit etwa „Mentoring – Verkauf, Vertrieb, Mindset, Skalierbarkeit, Unternehmertum, Onboarding, Recruiting und Führung im Vertrieb“, „Lektoring – Verkaufstext, Telefon-Skript, 33 gute Gründe etc.“ (Anlage K1, dort S. 5). Sie sind darauf ausgelegt, dass Erfahrungswissen weitergegeben wird oder Fragen zu konkreten Themen beantwortet werden, deren Umsetzung dann den jeweiligen Teilnehmern obliegt (s.o.). Eines besonderen Vertrauens des Dienstberechtigten in den Dienstverpflichteten bedarf es dabei nicht.

Für einen Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf Rückabwicklung des zustande gekommenen Vertrags aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 BGB wegen der Verletzung vorvertraglicher Beratungspflichten mangelt es an Vortrag des Beklagten und an sonstigen Anhaltspunkten. Jedenfalls gab es unstreitig ein telefonisches Beratungsgespräch.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Wird eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen fällt die Verfahrensgebühr auch mehrfach an

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 24.10.2023
9 W 7/23


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die Verfahrensgebühr mehrfach anfällt, wenn eine im zentralen Schutzschriftregister hinterlegte Schutzschrift in mehreren Verfahren herangezogen wird.

OLG Schleswig-Holstein: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung eines Motoröls mit "O.E.M." wenn es sich nicht um ein Erstausrüsterprodukt handelt

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 14.09.2023
6 U 49/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Bewerbung eines Motoröls mit "O.E.M." vorliegt, wenn es sich nicht um ein Erstausrüsterprodukt handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die im vorliegenden Fall beanstandete Verwendung der Buchstabenfolge O.E.M. ist als geschäftliche Handlung gem. § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG unlauter, da sie irreführend ist.

Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Buchstabenfolge als Abkürzung für die englische Bezeichnung original equipment manufacturer, mithin als Behauptung, das Produkt werde als Erstausrüsterprodukt von einem Fahrzeug- oder Getriebehersteller verwendet.

a) Das Landgericht hat zutreffend herausgearbeitet, dass die Behauptung der Beklagten, sie verwende die Bezeichnung lediglich als Teil ihres Firmennamens, nicht überzeugt und zudem nicht der Verwendung auf der beanstandeten Produktverpackung entspricht. Ebenso sind keine Gründe ersichtlich, die angesprochenen Verkehrskreise würden die Bezeichnung anders als die Behauptung verstehen, es handele sich um ein Erstausrüsterprodukt. Die Bezeichnung ist nicht nur in der IT-Branche, sondern unstreitig auch seit langem im Bereich von Kfz-Teilen und Betriebsmitteln üblich.

b) Am Verständnis der Buchstabenfolge ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass sie durch Punkte getrennt ist, was bei englischsprachigen Abkürzungen unüblich ist. Insbesondere hat die Beklagte nicht darlegen können und es ist nicht ersichtlich, zu welchem anderen Verständnis die Verwendung der Punkte führen sollte.

c) Beizupflichten ist dem Landgericht auch insoweit, als es überzeugend dargelegt hat, dass die hier zu betrachtende Werbung nicht den Eindruck erweckt, es werde lediglich mit einer Qualität geworben, die der eines Erstausrüsterproduktes entspreche. Dies liegt jedenfalls fern, soweit die Buchstabenfolge ohne jeglichen Zusatz hervorgehoben im Blickfang dargestellt wird. Einen Hinweis auf eine Einschränkung oder nachfolgende Erläuterung enthält der Blickfang nicht (vgl. hierzu Bornkamm/Feddersen in Köhler u.a., UWG, 41. Aufl., § 5 Rn. 1.87; BGH GRUR 1999, 264 - Handy für 0,00 €).

Die auf der Produktverpackung ebenfalls zu findende Angabe „O.E.M. Quality“ in deutlich kleinerer Schrift im Verbund mit anderen Angaben ist so gestaltet, dass sie nicht am Blickfang teilhat, vielmehr übersehen wird und nicht zur Erläuterung der groß herausgehobenen Buchstabenfolge dient.

d) Unerheblich ist auch, dass kein Hersteller angegeben wird, für den ggf. eine Erstausrüstung behauptet würde. Dies ist einerseits für das Verständnis der Angabe unerheblich, da hierdurch auch der Eindruck vermittelt werden kann, es seien viele Hersteller, die das entsprechende Produkt verwenden. Zudem wird, wie das Landgericht herausgestellt hat, ein bestimmtes Getriebe des Herstellers Mercedes-Benz im Zusammenhang mit dem Begriff benannt (O.E.M. for 9G-Tronic 8221), so dass eindeutig der Zusammenhang mit zumindest einem spezifischen Getriebe hergestellt wird, für das der Eindruck erweckt wird, das Öl der Beklagten werde als Erstausrüsterbefüllung verwendet.

e) Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen sind unproblematisch gegeben, insbesondere ist die Angabe, die den Eindruck einer besonderen Qualität des Produktes und des Vertrauens eines Fahrzeug- oder Getriebeherstellers in dieses Produkt erweckt, geeignet, die Entscheidung der angesprochenen Verkehrskreise im Sinne eines Anlockeffektes zu beeinflussen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Herabsetzung des Streitwerts auf 1.000 EURO wenn Kleinstgewerbetreibender Fruchtaufstrich fälschlicherweise als Marmelade bezeichnet

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 10.08.2023
6 W 12/23


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass der Streitwert nach § 51 Abs. 3 GKG auf 1.000 EURO herabzusetzen ist, wenn ein Kleinstgewerbetreibender Fruchtaufstrich fälschlicherweise als Marmelade bezeichnet.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die gem. § 66 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 GKG zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat in der Nichtabhilfeentscheidung zutreffend ausgeführt, dass sich der Streitwert im vorliegenden Verfahren im Grundsatz gem. § 51 Abs. 2 GKG am Interesse des Klägers bemisst. Auch ist dem Landgericht insoweit zuzustimmen, als sich die Präsentation eines Produktes auf dem hier relevanten Internetportal an eine Vielzahl potentieller Kunden richtet.

Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Herabsetzung des Streitwertes gem. § 51 Abs. 3 S. 1, S. 3 GKG angemessen ist.

§ 51 Abs. 3 GKG lässt in Abweichung vom Prinzip des § 51 Abs. 2 GKG, nach dem bei der Bemessung des Streitwertes grundsätzlich das Interesse des Klägers maßgeblich ist, die Berücksichtigung der Sichtweise des Beklagten zu. Wenn die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten ist, als der nach Abs. 2 ermittelte Streitwert, ist dieser angemessen zu mindern (vgl. OLG Zweibrücken NJW-RR 2014, 1535: Kleinunternehmer mit geringem Umsatz; BDZ/Dörndorfer, 5. Aufl. 2021, GKG § 51 Rn. 4). Während nach dieser Vorschrift zunächst eine angemessene Herabsetzung des Streitwertes erfolgt, ist ein fester Streitwert von 1.000,00 € anzusetzen, wenn die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern nur in unerheblichen Maße beeinträchtigt, § 51 Abs. 2 S. 3 GKG. Eine nur unerhebliche Beeinträchtigung liegt z. B. auch vor, wenn ein Abgemahnter nur im geringem Maße wirtschaftlich tätig ist und deshalb nicht in einem nennenswerten Wettbewerb zu Mitbewerbern steht (BDZ/Dörndorfer, § 51 Rn. 4 unter Bezug auf BT-Drs. 19/12084, 40).

Auch wenn die Bezeichnung der Tatbestandsvoraussetzungen in einem gewissen Konflikt mit den Begriffen des Lauterkeitsrechts stehen (vgl. hierzu KBF-Köhler/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 12 UWG Nr. 4.3e), ist die Intension des Gesetzgebers, Verstöße von geringem Umfang von Kleinstunternehmern zu erfassen, wie dies auch für die Anwendung des Auffangstreitwertes von 1.000,00 € gem. § 53 Abs. 3 S. 2 GKG in Fällen mit geringem Unrechtsgehalt wie geringfügigen Verletzungen von Informationspflichten der Fall ist (vgl. KBF-Köhler/Feddersen, a. a. O., Rn. 4.3d), hinreichend deutlich.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Trotz der im Grundsatz großen Reichweite des verwendeten Internetmarktplatzes hat die Beklagte unstreitig lediglich einen sehr geringen Umsatz mit den beanstandeten Waren erzielt. Der Verstoß ist zudem von geringem Gewicht, da die verwendete Bezeichnung mit dem dänischsprachigen Originaletikett übereinstimmt und der angesprochene Verkehrskreis der Unterscheidung von Marmelade, Konfitüre und Fruchtaufstrichen ohnehin eine eher geringe Bedeutung beimisst. Zwar ist dem Kläger zuzustimmen, dass sich größere Unternehmen zwangsläufig mit erheblichen Personaleinsatz bemühen müssen, die lebensmittelrechtlichen Kennzeichnungs- und Werbevorschriften einzuhalten. Angesichts der hier vorliegenden Falschbezeichnung ist jedoch nach der Lebenserfahrung nicht anzunehmen, dass die Beklagte über den Verkauf der Waren unter der Bezeichnung Marmelade einen nennenswerten Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern erzielt hätte. Dies liegt auch wegen des bereits angeführten Umsatzes fern.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Wettbewerbswidrige Preisangabe in Google-Shopping-Anzeige für Bestandteile von Photovoltaikangaben ohne Umsatzsteuer bei fehlender Belehrung über § 12 Abs. 3 UStG

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 15.06.2023
6 W 9/23


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Preisangabe in einer Google-Shopping-Anzeige für Bestandteile von Photovoltaikangaben ohne Umsatzsteuer vorliegt, wenn keine Belehrung über die Voraussetzungen der Umsatzsteuerbefreiung nach § 12 Abs. 3 UStG vorgehalten wird.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG. Hiernach kann ein Mitbewerber gegen unlautere geschäftliche Handlungen vorgehen, die u. a. bei unwahren, oder sonstigen zur Täuschung geeigneten Angaben über den Preis oder die Art und Weise, wie er berechnet wird, vorliegen. Eine fehlende oder unklare Preisauszeichnung kann zudem einen Verstoß gegen § 5a Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 UWG darstellen (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., vor § 1 PAngV, Rn. 6 m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert. Mitbewerber ist gemäß der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren und Dienstleitungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Ein konkretes Wettbewerbsverhältnis ist immer dann gegeben, wenn beide Parteien gleichartige Waren oder gewerbliche Leistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen und das Wettbewerbsverhalten des einen daher den anderen beeinträchtigen, d. h. im Absatz behindern oder stören kann (BGH, GRUR 1999, 69/70 - Preisvergleichsliste ll; BGH, GRUR 2004,877 - Werbeblocker). Die Antragstellerin hat unwidersprochen dargelegt und glaubhaft gemacht, gleichartige Produkte zu vertreiben (Anlage AS4, Bl. 90).

b) Bei dem beanstandeten, in Google-Shopping eingestellten Angebot der Antragsgegnerin handelt es sich unproblematisch um eine geschäftliche Handlung der Antragsgegnerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG, da sie darauf gerichtet ist, den Absatz der beworbenen Produkte zu fördern.

c) Der in der Google-Anzeige angeführte Preis verstößt gegen das Gebot der Preisklarheit und Preiswahrheit (vgl. zu beidem Bornkamm/Feddersen in Köhler u.a., § 5 UWG, Rn. 3.22 f.). Der Preisangabe lässt sich nicht entnehmen, dass der Preis 0 % Umsatzsteuer enthält und an welche Bedingungen dieser Steuersatz geknüpft ist.

d) Diese fehlende Aufklärung über die Bedingungen, unter denen der angegebene Preis gilt, verursacht bei den angesprochenen Verkehrskreisen einen Irrtum.

aa) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des Landgerichtes richtet sich die Anzeige nicht ausschließlich an Verbraucher, die stets der Regelung über den auf 0 reduzierten Umsatzsteuersatz unterfallen. Dieser Kreis derjenigen Verbraucher, die beispielsweise ihre Immobilie mit einer Photovoltaikanlage ausgerüstet haben und über die Erhöhung des Eigenverbauchsanteils nachdenken oder die Planung einer solchen Anlage betreiben oder in Erwägung ziehen, gehört zwar auch zum angesprochenen Verkehrskreis. Der Senat zählt sich selbst zu diesem angesprochenen Verbraucherkreis.

Die Anzeige richtet sich allerdings nicht ausschließlich an Verbraucher. Den angesprochenen Verkehrskreisen unterfallen auch Unternehmer. So können beispielsweise auch Kleinunternehmer, die ihren Geschäftsbetrieb mit selbst produziertem Strom betreiben wollen, angesprochen werden. Entgegen den Ausführungen des Landgerichtes scheiden Unternehmer nicht faktisch aus dem Kundenreis aus. So ist ohne Weiteres denkbar, dass ein Kioskbesitzer, ein Versicherungsvertreter oder eine Bäckerei die Geschäftsstätte mit einer Solaranlage versehen und durch Einsatz eines Batteriespeichers auch in der hier beworbenen Größe versuchen, ihren Eigenverbrauchsanteil möglichst hoch zu halten. Hierbei muss es sich auch nicht zwingend um einen Personenkreis handeln, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Hinzukommt, dass auch dieser Personenkreis zunächst verpflichtet ist, Umsatzsteuer zu zahlen, wenn er sie auch später verrechnen kann. Ebenso, wie eine Werbung mit Nettopreisen nur zulässig ist, wenn sichergestellt ist, dass Adressaten der Werbung keine Verbraucher sind (vgl. Köhler, a. a. O, § 5 UWG, Nr. 3.173 m. w. N.), wäre eine Werbung mit Nettopreisen im vorliegenden Fall nur dann zulässig, wenn sichergestellt wäre, dass sie sich weder an Unternehmer, noch an Verbraucher richtet, die nicht der Regelung über den reduzierten Umsatzsteuersatz unterfallen. Dies ist aber nicht der Fall.

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Dass tatsächlich auch Verkehrskreise durch die Werbung angesprochen werden, die nicht der Regelung des § 12 Abs. 3 UStG n. F. unterfallen, hat die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung auch dadurch bestätigt, dass sie eingeräumt hat, bereits während des Bestellprozesses Kaufangebote von Kunden abgelehnt zu haben, da diese nicht zum berechtigten Erwerberkreis gehörten.

Jedenfalls erwartet dieser angesprochene Verkehrskreis, wie auch ein durchschnittlicher Verbraucher, dass in einer Suchmaschine im Internet die Gesamtpreise einschließlich des vollen Umsatzsteuersatzes angezeigt werden, wie dies auch in § 1 Abs. 1 PAngV vorgesehen ist.

bb) Zumindest der angesprochene Verkehrskreis der Unternehmer, der den Batteriespeicher für den eigenen Betrieb verwenden will, wird durch die Preisangabe getäuscht. Die Annahme des Landgerichtes, ein Unternehmer kenne in der Regel die in seinem Geschäftsbereich geltenden Umsatzsteuerregeln, überzeugt weder für solche, die entsprechende Waren weiterverkaufen, noch für den genannten Kreis von Unternehmern, die ein derartiges Gerät für ihren Betrieb erwerben wollen, zumal es sich bei § 12 Abs. 3 UStG um eine neue, nicht unkomplizierte Norm handelt. Bei der Frage, ob ausreichende Kenntnisse beim angesprochen Verkehrskreis vorhanden sind, ist auf den durchschnittlich informierten und verständigen Werbeadressaten abzustellen, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (BGH, GRUR 2000, 6191 621; Bornkamm/Feddersen a. a. O., Rn. 1.76). Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugestehen, dass derjenige, der den Erwerb einer Photovoltaikanlage erwägt, sich wegen der damit verbundenen nicht unerheblichen Kosten eingehender mit dem Themenbereich beschäftigen wird, als dies beispielsweise bei dem Erwerb eines alltäglichen Konsumguts der Fall ist. Dass aber weite Teile des angesprochenen Adressatenkreises die Regelung des § 12 Abs.3 UStG kennen, kann jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angenommen werden.

cc) Somit kann letztlich unentschieden bleiben, ob die Täuschung auch auf einen ausreichend großen Prozentsatz der Verbraucher trifft. Dies liegt jedenfalls nahe, da die Befreiung sog. Heimspeicher für Photovoltaikanlagen von der Umsatzsteuer durch § 12 Abs. 3 UStG n.F. unter einer Vielzahl von Bedingungen steht. So erfasst beispielsweise der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 UStG nur die Lieferung an den Betreiber der Photovoltaikanlage. Zwar enthält § 12 Abs.3 S. 2 UStG eine Vereinfachungsregel; diese gilt aber nur für die Prüfung der Gebäudeart, nicht jedoch für die Betreibereigenschaft (Anlage AS1, Bl. 80). Zudem ist die Vereinfachungsregelung des § 12 Abs. 3 Nr. 2 UStG nicht anwendbar, wenn keine Registrierungspflicht im Marktstammdatenregister besteht. Erwirbt ein Kunde die beworbenen Komponenten schließlich im Zuge der Erweiterung einer bestehenden Photovoltaikanlage, gilt, wenn die 30 kwp-Grenze durch die Erweiterung überschritten wird, die Vereinfachungsregelung nicht für den nachträglich ergänzten Teil (Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen, Anlage AS 1, Bl. 80). Auch bei Einfamilienhäusern ist, insbesondere in Zeiten in denen nicht selten auf ein oder mehrere Elektrofahrzeuge umgestiegen wird, nicht selbstverständlich, dass die Leistungsgrenze einer zur Versorgung auch solcher Fahrzeuge von 30 kw peak nicht überschritten wird. Der Umstand, dass nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden kann, dass Verbraucher für Komponenten von Photovoltaikanlagen keine Umsatzsteuer zahlen müssen, zeigt sich auch am Umfang der vom Bundesfinanzministerium vorgehaltenen Erläuterungen zu dieser Neuregelung.

e) Im Blickfang der beanstandeten Anzeige finden sich keinerlei Erläuterungen dazu, unter welchen Voraussetzungen der reduzierte Umsatzsteuersatz gilt.

Löst ein Blickfang für sich genommen einen Irrtum aus, kann eine irrtumsausschließende Aufklärung durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis erfolgen, wenn dieser am Blickfang teilhat und dadurch eine Zuordnung zu den herausgestellten Angaben gewahrt bleibt (Bornkamm/Feddersen, a. a. O., Rn. 1.87; BGH GRUR 1999, 264 - Handy für 0,00 €). In Fällen, in denen der Blickfang nur die „halbe Wahrheit“ enthält, muss ein Stern oder ein anderes hinreichend deutliches Zeichen den Betrachter zu dem aufklärenden Hinweis führen. Gleiches gilt bei der blickfangmäßigen Werbung mit lnklusivangeboten für etwaige Einschränkungen bei der Gewährung des lnklusivangebots (Bornkamm/Feddersen, a. a. O., Rn. 1.90 mit Hinweis auf BGH, GRUR 2018, 199, Rn 23 - 19 % MwSt. GESCHENKT; BGH, GRUR 2016, 207, Rn. 16 f - All Net Flat).

Ein solcher aufklärender Hinweis, der am Blickfang teilhat, fehlt hier. Es kann dahinstehen, ob der Hinweis auf der lnternetseite der Antragsgegnerin eine inhaltlich ausreichende Aufklärung enthält. Denn es fehlt jedenfalls an einer am Blickfang teilhabenden, klaren Zuordnung des Hinweises zur Preisangabe in der Google-Anzeige. In dieser finden sich weder ein Sternchen noch erläuternde Ausführungen dahingehend, dass sich die Preisangabe mit 0% Umsatzsteuer versteht und unter welchen Bedingungen dieser Steuersatz Geltung erlangt.

f) Von der nicht weiter erläuterten Angabe des Nettopreises geht ein Anlockeffekt aus. Denn die Angabe des Kaufpreises ohne Hinweis auf den Umsatzsteuersatz und dessen Voraussetzungen in einem Anzeigenportal, wie Google dies für die beanstandete Anzeige vorhält, kann eine für die Kaufentscheidung wesentliche Weichenstellung herbeiführen, weil ein Interessent, der sich mit Hilfe von Preisvergleichsportalen über ein Produkt informiert, sich nach allgemeiner Lebenserfahrung bevorzugt mit den preisgünstigsten Angeboten befassen und über die elektronische Verknüpfung die Internetseite dieses Anbieters aufsuchen wird (vgl. BGH, MMR 2010, 823, Rn. 27 -Versandkosten bei Froogle ll). Die beanstandete Werbung ist daher auch geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber und zum Nachteil der Kunden mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen.

g) Die Annahme einer Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 UWG scheitert entgegen der Ansicht des Landgerichts auch nicht etwa daran, dass die Angabe eines Kaufpreises inklusive 19 % Umsatzsteuer ebenso irreführend sein könnte wie die Kaufpreisangabe mit einem Steuersatz von 0 %, weil für viele Erwerber tatsächlich dieser letztere Steuersatz gelten dürfte. Denn die Irreführung liegt hier nicht in der Nichtangabe des Kaufpreises inklusive 19 % Umsatzsteuer, sondern darin, dass die Preisangabe des Beklagten in der beanstandeten Google-Werbung nicht erkennen lässt, dass der Preis 0 % Umsatzsteuer enthält und dass dieser Nullprozentsteuersatz an die Voraussetzungen des § 12 Abs. 3 UStG geknüpft ist (vgl. auch LG Koblenz, Urteil vom 12.05.2023, 4 HKO 7/23, S. 12, Bl. 164).

h) Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand der Antragsgegnerin, im vorliegenden Fall könne entsprechend der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 14. Januar 2016, I ZR 61/14 - Wir helfen im Trauerfall) eine Ausnahme von der Pflicht zur Angabe eines Gesamtpreises gemacht werden. In der angeführten Entscheidung hat der BGH dies für einen Fall angenommen, in dem Kosten, die nicht bezifferbar, insbesondere zeit- und verbrauchsabhängig sind, auftreten können (a. a. O., Rn. 34). Dies ist hier nicht der Fall, es ist unproblematisch möglich, den Preis vollständig anzugeben. Dass dies auf den Google-Shopping-Seiten vom Platz her ggf. nicht möglich ist, ist unerheblich. Der gesetzgeberische Zweck, die Installation von Photovoltaikanlagen zu fördern, kann auch mit Angabe des Preises mit 19 % UStG erfüllt werden.


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OLG Schleswig-Holstein: YouTube darf hochgeladene Videos auch gegen den Willen des Erstellers nach Maßgabe der Nutzungsbedingungen mit einer Altersbeschränkung versehen

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 14.12.2022
9 U 123/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat in einem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass YouTube hochgeladene Videos auch gegen den Willen des Erstellers nach Maßgabe der Nutzungsbedingungen mit einer Altersbeschränkung versehen darf.

Aus den Gründen:
1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Art. 7 Nr. 1 Buchst. a, Art. 17 Abs. 1 Buchst. c, Art. 18 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Die Klage eines Verbrauchers kann gegenüber der anderen Vertragspartei, die ihre Tätigkeit auf den Mitgliedsstaat der Europäischen Union, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, ausrichtet, nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vor dem Gericht seines Wohnsitzes erhoben werden. So liegt es hier.

2. Die Klage ist - soweit sie mit der Berufung weiterverfolgt wird - unbegründet.

Die am 23. Juni 2020 durch die Beklagte verhängte Altersbeschränkung ist nicht rechts- oder vertragswidrig.

a) Auf den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag über die Nutzung der Videoplattform der Beklagten findet gemäß Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) aufgrund der in den Nutzungsbedingungen getroffenen Rechtswahl deutsches Recht Anwendung (vgl. Seite 10 der Anlage K1, Stichwort „Anwendbares Recht“). Dessen Anwendbarkeit ergäbe sich im Übrigen auch ohne Rechtswahl der Parteien aus Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO, weil es sich um einen Verbrauchervertrag handelt.

b) Mit der Einrichtung einer Altersbeschränkung für das streitgegenständliche Video hat die Beklagte ihre vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kläger nicht verletzt. Die in den Nutzungsbedingungen vorgesehene Möglichkeit der Auferlegung einer Altersbeschränkung ist auch wirksam zwischen den Parteien vereinbart worden und verstößt insbesondere weder inhaltlich noch im Hinblick auf das für die Auferlegung vorgesehene Verfahren gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (aa). Die Beklagte hat die Altersbeschränkung auf die Richtlinie zu gewalttätigen oder grausamen Inhalten und die Richtlinie zu Hassrede stützen können, weil der klägerische Beitrag Gewaltszenen und Straßenkämpfe zeigt, die auf minderjährige Zuschauer, insbesondere im Zusammenhang mit dem kommentierenden Inhalt, eine jugendgefährdende Wirkung haben können. Damit ist die von der Beklagten getroffene Entscheidung sachlich begründet und nachvollziehbar (bb).

aa) Der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber verpflichtet gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Insoweit kann ein Betreiber eines sozialen Netzwerks grundsätzlich die von den Nutzern geschuldeten Pflichten durch das Aufstellen von Verhaltensregeln konkretisieren und deren Verletzung auch etwa durch eine Sperrung des Nutzerkontos durchsetzen (OLG Schleswig, Urteil vom 26. Februar 2020 - 9 U 125/19, juris Rn. 41; OLG München, Beschluss vom 17. September 2018 - 18 W 1383/18, juris Rn. 20).

Bei den Nutzungsbedingungen und Richtlinien der Beklagten handelt es sich um vorformulierte Vertragsbedingungen und damit um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 192/20, juris Rn. 44), die dem Vertragsverhältnis zugrunde liegen. Anhaltspunkte dafür, dass ihre Geltung zwischen den Parteien nicht wirksam vereinbart worden wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. dazu BGH, aaO, Rn. 43 mwN). Danach ist die Beklagte berechtigt, bei Vorliegen der von ihr aufgestellten Bedingungen von Nutzern eingestellte Inhalte zu entfernen, Nutzerkonten zu sperren oder - wie vorliegend - einzelne Videobeiträge mit einer Altersbeschränkung zu belegen.

Die vereinbarten Richtlinien sind auch nicht wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

(1) Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist es verfahrensrechtlich erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags umgehend zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - III ZR 192/20, juris Rn. 97). Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch für die gegenüber einer Entfernung von Inhalten oder einer Sperrung des Kontos deutlich weniger belastende Maßnahme einer Altersbeschränkung gewahrt, da auch insoweit eine Beschwerdemöglichkeit eingeräumt ist, von der der Kläger ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen unstreitig - wenn auch erfolglos - Gebrauch gemacht hat. Entgegen der Auffassung des Klägers muss die Anhörungsmöglichkeit nicht zwingend vor Erlass der beschränkenden Maßnahme eröffnet sein; vielmehr genügt auch ein nachträgliches Beschwerderecht den Anforderungen an das vom Bundesgerichtshof geforderte Gegenäußerungsverfahren (BGH aaO, Rn. 99). Ausreichend ist danach, wenn Netzwerkbetreiber im Hinblick auf die Löschung eines Beitrags in ihren Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumen. Dieser für die Löschung eines Beitrags aufgestellte Maßstab gilt damit erst recht für die weniger einschränkende Auferlegung einer Altersbeschränkung. Im vorliegenden Fall zeigt der Umstand, dass die Beklagte die zunächst von ihr erteilte Verwarnung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Hassrede auf die Beschwerde des Klägers wieder aufgehoben hat und lediglich die mildere Maßnahme einer Altersbeschränkung bestehen ließ, dass die von ihr vorgesehene Beschwerdemöglichkeit auch tatsächlich zu der vom Bundesgerichtshof geforderten erneuten Sachprüfung des konkreten Falls geführt hat.

(2) Auch inhaltlich sind die von der Beklagten für die Beschränkung der Rechte ihrer Nutzer aufgestellten Maßstäbe nicht als unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beanstanden. Die Entscheidung der Beklagten, den Nutzern ihrer Videoplattform in Geschäftsbedingungen Verhaltensregeln zur Einhaltung eines bestimmten Standards vorzugeben und sich das Recht vorzubehalten, gegenüber Nutzern, die gegen diese Verhaltensregeln verstoßen, Maßnahmen von der Entfernung einzelner Beiträge oder Altersbeschränkungen bis zur (vorübergehenden) Sperrung des Netzwerkzugangs zu ergreifen, fällt in den Schutzbereich der Berufsausübungsfreiheit (BGH aaO, Rn. 83). Darüber hinaus bringt die Beklagte durch das Aufstellen von Kommunikationsregeln in ihren Nutzungsbedingungen zum Ausdruck, welche Formen der Meinungsäußerung sie in ihrem Netzwerk nicht duldet. Auf diese Weise macht sie von ihrem eigenen Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch (BGH aaO Rn. 86). Ferner schützt sie damit berechtigterweise auch das Interesse anderer Nutzer an einem von gegenseitigem Respekt geprägten Umgang sowie an einem damit verbundenen Schutz vor der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BGH aaO, Rn. 87 mwN).

Dabei sind nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz die Grundrechtspositionen der Beklagten mit denjenigen der Nutzer auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG so in Ausgleich zu bringen, dass auch die Grundrechtspositionen der Nutzer für diese möglichst weitgehend wirksam werden. Daraus leitet sich nach dem Bundesgerichtshof neben dem bereits erörterten formalen Anhörungserfordernis die Anforderung ab, dass für die Entfernung von Inhalten ein sachlicher Grund bestehen muss. Die Beklagte darf die aus ihrer strukturellen Überlegenheit folgende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, willkürlich einzelne Meinungsäußerungen zu untersagen (BGH aaO, Rn. 93 mwN). Die Entfernungsvorbehalte in den Nutzungsbedingungen der Beklagten müssen zudem gewährleisten, dass ihre darauf gestützten Entscheidungen nachvollziehbar sind. Dazu dürfen sie nicht an bloß subjektive Einschätzungen oder Befürchtungen der Beklagten, sondern müssen an objektive, überprüfbare Tatbestände anknüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 2009 - V ZR 253/08, juris Rn. 17).

Die von der Beklagten aufgestellten Nutzungsbedingungen und Richtlinien genügen diesen Anforderungen. So nennt die „Community Richtlinie“ unter der Überschrift „Richtlinien und Sicherheit“ (Anlage K2 im Anlagenband Kläger) zunächst abstrakt die von der Beklagten nicht gestatteten Inhalte, wie beispielsweise Nacktheit oder sexuelle Inhalte, schädliche oder gefährliche, hasserfüllte, gewalttätige oder grausame Inhalte. Diese Unterpunkte enthalten jeweils Links zu genaueren Erläuterungen in den spezifischen Richtlinien, die konkrete Beispiele unzulässiger Inhalte enthalten und untereinander verlinkt sind. Damit erhält der Nutzer klare Informationen dazu, welche Inhalte von der Beklagten nicht geduldet werden. Es wird zudem deutlich, dass die Beklagte ihre Verbote nicht auf strafrechtlich relevante Inhalte beschränkt, sondern sich vorbehält, auch andere, von der Meinungsfreiheit der Nutzer gedeckte Inhalte, die gegen ihre Nutzungsbedingungen verstoßen, zu unterbinden. Dies ist nach nunmehr obergerichtlich geklärter Rechtsprechung zulässig (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - III ZR 192/20, juris Rn. 90; vgl. dazu auch Friehe, NJW 2020, 1697, 1699f.).

bb) Die in der Auferlegung der Altersbeschränkung liegende Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers ist von diesem hinzunehmen, da die Beklagte mit dieser Maßnahme zulässigerweise von ihren vertraglich vereinbarten Rechten Gebrauch gemacht hat. Die Beklagte hat vorliegend bei der Auferlegung einer Altersbeschränkung für das streitgegenständliche Video die dargestellten Anforderungen an eine zulässige Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers eingehalten. Weder ist die Maßnahme willkürlich noch fehlt es an einem sachlichen Grund für die Altersbeschränkung. Vielmehr ergibt sich eine jugendgefährdende Wirkung des Videos aus der Gesamtschau von dessen Inhalt, namentlich den gezeigten Bildern und dem gesprochenen Kommentar, wobei die erstinstanzlich eingehend behandelte Gewaltszene nur einer von mehreren Aspekten ist, die die Auferlegung einer Altersbeschränkung rechtfertigen. So ist der Titel des Videos „Partyszene - Schande von Stuttgart“ geeignet, gerade das Interesse minderjähriger Nutzer zu erwecken. Diese werden durch die harmlose, vor idyllischen Landschaftsbildern abgehandelte Eingangssequenz einer Charakterisierung verschiedener „Partygängertypen“ mit der Einleitung „wie sich die Zeiten ändern...“, heute würden Partygänger als drogendealende Vandalen dargestellt, die Polizisten attackierten und die ganze Stadt verwüsteten, weiter geködert. Sodann leitet der Sprecher auf reißerische Art (Einblendung einer Fratze mit Trompetenfanfare und der Ankündigung „Die Wahrheit“) zu den Schilderungen der Ausschreitungen in Stuttgart im Juni 2020 über. Die dann folgenden Einblendungen von Bildern anderer Nachrichtensender, auf denen Polizeigruppen in der Innenstadt, Zerstörungen und die Aufnahme der in einen Polizisten seitlich hineinspringenden, maskierten Person zu sehen sind, münden in eine Kommentierung des Geschehens, die für die Vorkommnisse im Ergebnis Menschen mit Migrationshintergrund verantwortlich macht, die aufgrund von „purem Hass auf unser Land“ als „bildungsschwache, kulturfremde, marodierende Horden (...) in Großstädten randalieren“. Dies sei erst der Anfang, wenn sie merken würden, was alles möglich sei, werde es erst richtig losgehen. Grund hierfür sei die Massenmigration; die Deutschen müssten aufwachen und Widerstand gegen den drohenden Untergang leisten. Es sei ein „hartes Durchgreifen“ erforderlich. So hätten in den 1920er Jahren die Polizisten in ähnlichen Situationen noch kein Problem damit gehabt, scharf zu schießen, was heute undenkbar sei.

Insgesamt ist der Videoinhalt damit geeignet, bei minderjährigen Zuschauern eine schädliche und damit jugendgefährdende Wirkung hervorzurufen, indem er ein Feindbild schafft und rassistische Vorurteile weckt. Die Gewaltszene, die unmittelbar mit angeblichen Aggressionen von Männern mit Migrationshintergrund und der „Massenmigration“ in Verbindung gebracht wird, ist in diesem Zusammenhang auch geeignet, gerade suggestible minderjährige Betrachter zu schockieren und Ängste über die nachfolgend dargestellte Gefährdung der Gesellschaft durch „marodierende Horden“ hervorzurufen. Darüber hinaus entsprechen die Äußerungen in dem Video auch den in der Richtlinie zu Hassrede genannten Beispielen für unzulässige Inhalte. Diese verbieten Äußerungen des Inhalts, dass alle Personen aus näher bezeichneten Gruppen, wie etwa Personen mit Einwanderungsstatus, Verbrecher und Kriminelle seien und unsere Existenz bedrohten, weshalb jede Gelegenheit genutzt werden sollte, sie aus dem Land zu vertreiben. Auch wenn der Videobeitrag nicht aktiv zur Vertreibung von Menschen mit Einwanderungsstatus aufruft, schürt er Abneigung gegen diese Bevölkerungsgruppen, die pauschal als drogendealende Gewalttäter dargestellt werden, legt zudem nahe, dass der Einsatz von Schusswaffen zur Verteidigung gegen die „marodierenden Horden“ geboten sei und ruft zum Widerstand auf. Damit entsprechen die Äußerungen den von der Beklagten genannten Beispielen für Hassrede im Sinne der Richtlinien. Die Beklagte behält sich in der Richtlinie zu Hassrede vor, für den Fall, dass Inhalte der Hassrede nahe kommen, die verfügbaren YouTube-Funktionen einzuschränken. Die Verhängung der Altersbeschränkung lag damit als gegenüber der Entfernung des Videos milderem Mittel jedenfalls im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung zu unzulässigen Inhalten.

(dd) Dabei ist es unschädlich, dass die von der Beklagten gegebene Begründung für die Verhängung der Altersbeschränkung als solche nicht ausreicht, um diese zu rechtfertigen. Denn die dargestellten Gründe für deren Rechtmäßigkeit ergeben sich jedenfalls aus der Zusammenschau der Richtlinien der Beklagten zu Hassrede und zu gewalttätigen oder grausamen Inhalten und dem Jugendschutz, dem sich die Beklagte ausweislich ihrer Community-Richtlinie (Anlage K2, Stichwort „Schutz von Kindern“) verpflichtet sieht, so dass die Maßnahme von den vertraglichen Vorgaben der Beklagten gedeckt ist.

3. Da die Altersbeschränkung somit rechtmäßig war und nicht gegen die wirksam vereinbarten Nutzungsbedingungen verstößt, unterliegt der Kläger auch mit seinen weiteren Berufungsanträgen.

III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 7.050 € und für das Berufungsverfahren auf 4.250 € festzusetzen. Dies geschieht unter Anwendung der Maßstäbe, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für Klagen gegen die vorübergehende Sperrung eines Nutzerkontos auf der Plattform „Facebook“ nebst in die Zukunft gerichtetem Unterlassungsbegehren und Auskunftsanspruch in Bezug auf die meldende Person entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - III ZR 60/20, juris Rn. 10ff.; Beschluss vom 26. November 2020 - III ZR 124/20, juris Rn. 9ff.).

Für Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer vorübergehenden (30tägigen) Sperre setzt der Bundesgerichtshof regelmäßig 2.500 € (abzüglich 20 % für den Feststellungsantrag) an. Diesen Betrag erachtet der Senat für die hier streitige Auferlegung einer Altersbeschränkung, die zwar eine im Vergleich zu einer Sperre weniger einschneidende Wirkung hat, jedoch nach wie vor andauert, ebenfalls als angemessen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es sich vorliegend um ein Video auf der Plattform Youtube handelt und nicht, wie in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen, um ein Nutzerkonto bei Facebook. Dennoch dürfte der Streitwert vergleichbar sein, da beide Plattformen der Kommunikation mit einer großen Anzahl zumeist unbekannter weiterer Nutzer dienen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist nicht der Aufwand, der für die Erstellung des gesperrten Kontos oder der gelöschten bzw. altersbeschränkten Videos betrieben wurde, der streitwertrelevante Eingriff, sondern die Beschränkung der Möglichkeiten zur Meinungsäußerung, sei es in Form von Kommentaren oder Videos. Zudem hat der Senat bei der Wertbemessung berücksichtigt, dass die Auferlegung einer Altersbeschränkung für ein einzelnes Video einen deutlich geringeren Eingriff darstellt als die 30tägige Sperrung eines Nutzerkontos.

Den weiteren Antrag, eine Altersbeschränkung auch für die Zukunft zu unterlassen, bewertet der Senat in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof mit der Hälfte des für die bereits durchgeführte Beschränkung angesetzten Werts, mithin 1.250 €. Hinzu kommt ein Betrag von 500 € für den geltend gemachten Auskunftsanspruch, der sich nach dem - nicht weiter dargelegten - wirtschaftlichen Interesse des Klägers an der Auskunft bemisst.

Erstinstanzlich sind der mit 350 € bezifferte Schadensersatzanspruch und ein Betrag von 2.500 € hinzuzuaddieren. Letzterer betrifft die auf Beseitigung der vermeintlich bereits verhängten Sanktionen (Verwarnung und Vermerk eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen) gerichteten ursprünglichen Klageanträge zu 1 und 2. Erstinstanzlich ergibt sich hieraus ein Wert von 7.050 €, so dass die durch das Landgericht mit lediglich pauschaler Begründung vorgenommene Festsetzung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern sein dürfte.


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OLG Schleswig-Holstein: Verstoß gegen DSGVO wenn Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal veröffentlicht werden

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 03.06.2022
17 U 5/22


Das OLG Schleswig-Holstein hat abermals entschieden, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO vorliegt, wenn die Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal veröffentlicht werden. Die Revision zum BGH wurde zugelassen.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Der 17. Zivilsenat hält daran fest, dass dem Insolvenzschuldner regelmäßig ein Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG zusteht, wenn diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger speichert und verarbeitet als in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen. Auch bei der Berechnung eines Score-Wertes darf die Schufa die Daten zum Insolvenzverfahren danach nicht mehr berücksichtigen. Das hat der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts am vergangenen Freitag entschieden.

Zum Sachverhalt: Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und am 25. März 2020 wurde das Verfahren durch Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Diese Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa pflegte diese Daten von dort in ihren Datenbestand ein, um diese ihren Vertragspartnern bei laufenden Vertragsbeziehungen und Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte Ende 2020 die Löschung der Daten von der Schufa, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne u.a. nur noch gegen Vorkasse bestellen und keine neue Wohnung anmieten.

Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend der Verhaltensregeln des Verbandes "Die Wirtschaftsauskunfteien e.V." erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Schufa und ihre Vertragspartner von berechtigtem Interesse. Das Landgericht Kiel hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte Erfolg.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Schufa die Unterlassung der Verarbeitung der Informationen zu seinem Insolvenzverfahren sechs Monate nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens verlangen. Nach Ablauf dieser Frist überwiegen die Interessen und Grundrechte des Klägers gegenüber den berechtigten Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner an einer Verarbeitung, so dass sich die Verarbeitung nicht mehr als rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f) Datenschutz-Grundverordnung darstellt.

Es ist eine konkrete Abwägung zwischen den Interessen der Schufa und ihrer Vertragspartner an der Verarbeitung der Daten und den durch die Verarbeitung berührten Grundrechten und Interessen des Klägers anzustellen. Der Kläger hat ein Interesse daran, möglichst ungehindert am wirtschaftlichen Leben teilnehmen zu können, nachdem die Informationen über sein Insolvenzverfahren aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal gelöscht worden sind. Dieses Interesse geht dem eigenen wirtschaftlichen Interesse der Schufa als Anbieterin von bonitätsrelevanten Informationen vor. Auch gegenüber typisierend zu betrachtenden Interessen der Vertragspartner sind die Interessen des Klägers vorrangig, da keine besonderen Umstände in der Person des Klägers oder seines Insolvenzverfahrens erkennbar sind, die eine Vorratsdatenspeicherung bei der Schufa über den Zeitraum der Veröffentlichung im Insolvenzbekanntmachungsportal hinaus rechtfertigen könnten.

Die Schufa kann sich nicht auf die in den Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien genannte Speicherfrist von drei Jahren berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers. Sie vermögen auch keine Abwägung der Interessen vorzuzeichnen oder zu ersetzen. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 3. Juni 2022, Az. 17 U 5/22, Revision ist zugelassen)



OLG Schleswig-Holstein: Facebook darf auf Grundlage der aktuellen Nutzungsbedingungen Nutzerkonto bei Hassposting sperren und rechtswidrigen Beitrag löschen

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 01.03.2022
7 U 152/20


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Facebook (Meta) auf Grundlage der aktuellen Nutzungsbedingungen ein Nutzerkonto bei einem Hassposting sperren und den rechtswidrigen Beitrag löschen darf.

Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO.

Rechtsfehler zulasten des Klägers weist das angefochtene Urteil nicht auf; auch die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Mit dem Feststellungsantrag Ziffer 2 ist die Klage bereits unzulässig; im Übrigen hat das Landgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

1. Unabhängig davon, ob die zeitweise Sperrung des Kontos des Klägers und die (behauptete) Löschung seines inkriminierten Beitrages zu Recht erfolgt sind, ist das Feststellungsbegehren zu Ziffer 2 schon unzulässig, denn gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann Gegenstand einer Feststellungsklage nur die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses sein (Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl. § 256 Rn. 3 a m. w. N.).

Darauf zielt das Feststellungsbegehren des Klägers in der beantragten Form aber nicht ab. Vielmehr möchte er eine Vorfrage für seine Anträge Ziffer 4 und 7 (Unterlassung und Schadenersatz) geklärt sehen. Soweit sich aus der möglichen Rechtswidrigkeit der zeitweisen Kontensperrung bzw. der Löschung Rechtsfolgen in der Gegenwart ergeben, ist der Kläger auf die vorrangige Leistungsklage - die er auch erhoben hat - zu verweisen, ohne dass es einer isolierten Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Maßnahmen bedarf. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist dem Zivilprozessrecht, anders als dem Verwaltungsprozessrecht, unbekannt.

2. Auf der Grundlage der wirksam in das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis einbezogenen aktuellen Nutzungsbedingungen hat die Beklagte zu Recht den Beitrag gelöscht und eine 30-tägige Sperre verhängt.

Die geänderten Nutzungsbestimmungen sind aufgrund der Zustimmung des Klägers durch Anklicken der Schaltfläche wirksam geworden. Die allen Nutzern als „pop-up“ bei Aufruf des Dienstes der Beklagten zugegangene Mitteilung über die beabsichtigte Änderung der Nutzungsbedingungen in Verbindung mit der Aufforderung, die „ich stimme zu“ - Schaltfläche anzuklicken, ist dabei als an den einzelnen Nutzer gerichtetes Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrages im Sinne von § 145 BGB zu sehen. Ein durch Anklicken erfolgter Vertragsabschluss hat grundsätzlich individuellen Charakter, auch wenn die Willenserklärungen, aus denen er sich zusammensetzt, vorformulierte Bestandteile besitzen. Entgegen der von der Berufung vertretenen Rechtsansicht wird die Neufassung der AGB in einem solchen Fall nicht aufgrund einer vorformulierten Änderungsklausel, sondern aufgrund eines nach allgemeinen Regeln über Willenserklärungen und Rechtsgeschäfte zwischen den Parteien geschlossenen Änderungsvertrages einbezogen (Münchener Kommentar - Basedow, BGB 8. Aufl. 2019,§ 305, Rn 86; 90 m.w.N.; JurisPK-BGB - Lapp, 2. A. § 305, Rz. 57). Daher kommen solche Erklärungen als Gegenstand einer AGB-rechtlichen Prüfung nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 07.11.2001 – VIII ZR 13/01 –, Rn. 42 - 43, Juris). Das individuelle Angebot im Sinne des § 145 BGB hat der Kläger unstreitig durch Anklicken der Schaltfläche angenommen. Dass die „neue Datenschutzgrundverordnung“ als Grund für die Änderung benannt und lediglich verklausuliert darauf hingewiesen wird, dass neben der Datenschutzrichtlinie der Beklagten auch die Nutzungsbedingungen aktualisiert wurden um „zu erklären, ... was wir von allen Nutzern erwarten“, steht einer wirksamen Annahme dieser Nutzungsbedingungen, die über den am Ende eingebetteten Link Bestandteil des Angebots der Beklagten auf Abschluss eines Änderungsvertrages geworden sind, nicht entgegen. Es kann daher dahinstehen, ob die Änderungsklausel in den Altbedingungen hinreichend transparent gewesen und ob für die vorgenommene Änderung ein triftiger Grund bestand, den die Beklagte hinreichend kommuniziert hat.

Das Angebot der Beklagten, der Kläger möge entweder die Nutzungsbedingungen akzeptieren oder seinen Vertrag mit der Beklagten beenden, ist auch nicht als sittenwidrig anzusehen. Auch wenn die Beklagte im Bereich der sozialen Netzwerke in Deutschland eine überragend wichtige Stellung einnimmt, unterliegt sie zum einen keinem Kontrahierungszwang, sondern ist bei der Auswahl ihrer Vertragspartner im Rahmen allgemeiner Diskriminierungsverbote frei. Entgegen den Ausführungen der Berufungsbegründung hat das Landgericht auch die marktbeherrschende Stellung der Beklagten im Blick gehabt und mit berücksichtigt. Dies ergibt sich aus den Ausführungen auf Seite 8 des angefochtenen Urteils. Zudem ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Annahme der geänderten Bedingungen für den Kläger so unzumutbar sein sollte, dass eine de-facto erzwungene Zustimmung als sittenwidrig anzusehen sein sollte. Die mit der Änderung erfolgte Präzisierung u. a. des Begriffes der Hassrede und des bei Verstößen geltenden Sanktionsregimes begünstigt im Gegenteil die Nutzer, weil sie das zuvor bestehende uferlose und damit rechtlich bedenkliche (vgl. hierzu OLG München, Beschluss v. 17.07.2018 - 18 W 858/18) Sanktionsermessen auf eine AGB-rechtlich unbedenkliche Form zurückführt. Es ist daher - soweit ersichtlich - in der Rechtsprechung auch allgemein anerkannt, dass die Änderungen der Nutzungsbedingungen durch die derzeit geltende Fassung keinen Bedenken unterliegen (vgl. nur OLG Nürnberg, Urteil v. 04.08.2020 - 3 U 3641/19 Juris Rn. 78).

Die neuen, geänderten AGB der Beklagten halten auch der Wirksamkeitskontrolle stand. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hier zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (dort S. 10 f.) verwiesen.

Die in den Nutzungsbedingungen normierten Verhaltensregeln sind jedenfalls nicht überraschend im Sinne des § 305 c BGB, und zwar gerade weil die Debatte um die Einhaltung von Regeln im Internet breiten Raum in der Öffentlichkeit einnimmt und die Normierung von „Benimmregeln“ bei Inanspruchnahme sozialer Kommunikationsplattformen allgemein bekannt ist (vgl. OLG Dresden Beschluss v. 08.08.2018 - 4 W 577/18 - Juris Rn. 20 m.w.N.). Dass sich das Verbot von Hassrede in Ziff. 12 der Gemeinschaftsstandards auf die Meinungsfreiheit der Nutzer auswirkt, aber keine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 BGB darstellt, hat das Landgericht in zutreffender Weise unter Hinweis auf die Entscheidung des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 26.02.2020 (9 U 125/19) ausgeführt.

Diese rechtliche Würdigung gilt sowohl für die Voraussetzungen, unter denen sich die Beklagte Sanktionen vorbehält, als auch hinsichtlich der Sanktionen als solchen. Richtig ist zwar, dass sich die klägerseits zitierte Sperrvorschrift unter Ziffer 3.2 der Nutzungsbedingungen nicht im Einzelnen mit der Frage befasst, bei welchen Verstößen genau welche Sanktionen vorgesehen sind. Wie im angefochtenen Urteil ausgeführt genügt es aber, wenn der Nutzer weiß, dass ihn ein abgestuftes Sanktionssystem erwartet und die Beklagte je nach Schwere des Verstoßes eine Sanktion bis hin zur Deaktivierung des gesamten Kontos verhängen kann. Damit ist dem Nutzer hinreichend klar, dass ihn eine Sanktion treffen kann, an deren Ende bei wiederholten Zuwiderhandlungen gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards die komplette Deaktivierung des Kontos steht. Dies ist hinreichend transparent und benachteiligt den Kläger auch nicht unangemessen. Eine unangemessene Benachteiligung eines Vertragspartners des Verwenders im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB, bei der der Verwender durch seine einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (BGH, Urteil v. 17.09.2009 - III ZR 207/08 Juris Rn. 18 m.w.N.), liegt hierin schon deshalb nicht vor, weil hierdurch keine wesentlichen Rechte der Nutzer verletzt oder unangemessen beschränkt werden, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben. Nach der Natur des Nutzungsvertrages möchte die Beklagte eine Plattform zur Verfügung stellen, auf der die Nutzer einen respektvollen Umgang miteinander wahren und auf der sich jeder Nutzer „sicher“ fühlt (vgl. Gemeinschaftsstandards, dort unter „Einleitung“). Dies ist der Geschäftszweck, der dem Kunden bei Inanspruchnahme der Leistungen vor Augen geführt wird und zu dessen Definition die Beklagte als privater Anbieter berechtigt ist.

Innerhalb eines solchermaßen definierten Vertragszwecks liegt keine unzulässige Einschränkung darin, bei Verstößen gegen die an diesem Vertragszweck orientierten Standards ein abgestuftes Sanktionssystem bis hin zur Deaktivierung des Kontos auszusprechen.

Die Auffassung des Klägers, für eine Sperrung dürften nur Sachverhalte herangezogen werden, die zugleich einen Straftatbestand verwirklichten, trifft schon für das allgemeine Äußerungsrecht nicht zu. Für die hier in Rede stehende Frage, unter welchen Bedingungen der Betreiber eines sozialen Netzwerkes unter Bezug auf seine AGB Meinungsäußerungen löschen und Nutzer sperren darf, verkennt sie die anzuwendenden Maßstäbe grundlegend. Sie wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung so auch nirgends vertreten (OLG Schleswig aaO Juris Rn. 75 ff m.w.N.).

3. Die Beklagte war wegen eines Verstoßes des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards nach Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen, der Einleitung der Gemeinschaftsstandards und der Regelung zu „Hassreden“ innerhalb der Gemeinschaftsstandards (Nr. 12) berechtigt, den Beitrag nicht nur vorübergehend zu entfernen, wie das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug. Entgegen der Ansicht der Berufung hat das Landgericht den streitgegenständlichen Post nicht rechtsfehlerhaft ausgelegt. Der Post des Klägers - seinen Vortrag als richtig unterstellt - lautet im Wortlaut: „Das deutsche Parlaments-Pack unterzeichnet den Pakt. Schlimmer das deutsche Pack hat ihn gepackt.“

Der Kläger verunglimpft damit - wie sich nicht zuletzt nachhaltig auch aus seiner als Anlage zum Protokoll vom 17.06.2020 gereichten „Argumentation“ ergibt - ganz bewusst sowohl die deutschen Parlamentarier (jedenfalls soweit sie den sog. Migrationspakt unterstützt haben) als auch die deutsche Bevölkerung sowie Migranten und Flüchtlinge. Damit erfüllt der Beitrag, wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt (S.11/12 VU), die Kriterien der Schweregrade 2 und 3 nach Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards der Beklagten.

Vor diesem Hintergrund ist auch die 30-tägige Versetzung in den read only-Modus nicht als unverhältnismäßig anzusehen. Sie ist weder willkürlich festgesetzt worden noch wird der Kläger hierdurch vorschnell oder dauerhaft gesperrt. Die Sanktionierung eines klaren Verstoßes gegen Ziff.12 der Gemeinschaftsstandards mit einer zeitlich begrenzten Sperre für die aktive Nutzung ist vielmehr als verhältnismäßige Sanktion anzusehen. Dem Vorbringen des Klägers lässt sich weder entnehmen, dass er hierdurch einen wirtschaftlichen Schaden erlitten haben will, noch ist eine wirkliche Beeinträchtigung seiner Kommunikationsfreiheit erkennbar geworden. Dabei stand es dem Kläger frei, sein Kommunikationsbedürfnis ggf. in anderen „sozialen“ Netzwerken wie Twitter, Instagram oder Youtube (um nur einige zu nennen) zu befriedigen.

Selbst wenn man den Beitrag als eine noch zulässige Meinungsäußerung ansehen wollen würde, wäre die Beklagte dennoch berechtigt, eine solche Äußerung gemäß ihren Gemeinschaftsstandards zu sanktionieren und stünde dem ein wirksamer Grundrechtsschutz nicht entgegen. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des 9. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (aaO juris Rn 76 ff) an, die auch im Einklang mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung stehen und denen zufolge das Gebot der praktischen Konkordanz gebietet, nicht nur dem Meinungsäußerungsgrundrecht des Klägers zur Geltung zu verhelfen, sondern in gleicher Weise auch die Grundrechte der anderen Nutzer und nicht zuletzt der Beklagten selbst zu schützen.

4. Weil die Beklagte mit der Sperrung keine Rechtsverletzung begangen hat, stehen dem Kläger weder Wiederherstellungs-, noch Unterlassungs-, noch Schadensersatzansprüche zu. Mangels unerlaubter Handlung stehen dem Kläger auch keine Auskunftsansprüche zu.

a) Einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob die gegen ihn verhängte Sperre durch ein "beauftragtes Unternehmen" erfolgt ist, hat das Landgericht zu Recht verneint. Mangels einer spezialgesetzlichen Grundlage kommt ein solcher Auskunftsanspruch nur nach § 242 BGB in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Auskunftsanspruch aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben gegeben, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise ü über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (vgl. BGH, Urteil v. 17.07.2002 - VIII ZR 64/01, NJW 2002, 3771 unter II. 1. m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung auch dann gegeben, wenn nicht der in Anspruch Genommene selbst, sondern ein Dritter Schuldner des Hauptanspruchs ist, dessen Durchsetzung der Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung ermöglichen soll (BGH, Urteil v. 09.07.2015 - III ZR 329/14 Juris Rn 11). Datenschutzrechtliche Bedenken an der Auskunftserteilung bestehen nach § § 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG nicht, sofern die Auskunftserteilung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist. Der allgemeine Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben wird aber seinerseits durch § § 242 begrenzt. Seine Geltendmachung ist daher rechtsmissbräuchlich, wenn die Auskunft für den in Frage stehenden Anspruch unter keinem Aspekt relevant ist oder wenn der Gläubiger sie zu „sachwidrigen Zwecken“ begehrt (Palandt-Grüneberg, BGB 80. Aufl. § 259 Rn 9).

So liegt es hier. Selbst wenn man – wofür der Kläger allerdings nichts vorgetragen hat - unterstellt, dass die Löschung des streitgegenständlichen Beitrags nicht durch Mitarbeiter der Beklagten, sondern in deren Auftrag durch einen Dienstleister vorgenommen worden sein sollte, kämen Ansprüche gegen diesen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht. Ansprüche nach § 241 BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag oder nach § 280 BGB könnte der Kläger mangels einer schuldrechtlichen Sonderverbindung gegen diesen Dritten nicht geltend machen. Auch scheiden in einem solchen Fall Ansprüche aus § 826 BGB aus. Unabhängig davon, dass nicht ersichtlich ist, welchen Schaden der Kläger hier erlitten haben will und worauf er den zu benennenden Dritten überhaupt in Anspruch nehmen möchte, setzt der Anspruch nach § § 826 BGB jedenfalls ein Verhalten voraus, das objektiv sittenwidrig ist und von einer besonders verwerflichen Gesinnung getragen wird. Hierunter fällt nach allgemeiner Auffassung nur ein Verhalten, das nach Inhalt und Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. statt aller Palandt-Sprau, aaO. § 826 Rn 4). Dass mit einem Verhalten gegen eine Vertragspflicht verstoßen wird, genügt hierfür gerade nicht. Da grundsätzlich die Löschung unzulässiger Beiträge nach den Community-Standards nicht zu beanstanden ist, die Löschung von Beiträgen mit offensichtlich rechtswidrigem Inhalt im Sinne des NetzDG durch § 3 Abs. 2 Nr. 1 NetzDG dem Betreiber sogar verpflichtend vorgegeben ist, liegt in der Ausübung dieser Befugnisse keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung des betroffenen Nutzers, die einen Anspruch aus § 826 BGB rechtfertigen könnte. Erst recht ist ein solcher Vorwurf gegenüber demjenigen nicht gerechtfertigt, der von einem sozialen Netzwerk als Dienstleister eingesetzt und damit lediglich Verrichtungsgehilfe im Sinne des § 831 BGB ist, ohne eigene Interessen mit der Löschung oder Sperrung von Teilnehmern zu verfolgen.

b) Ebenso besteht kein Anspruch auf Auskunft über mögliche Weisungen „von Seiten der Bundesregierung oder nachgeordneter Dienststellen“ hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und/oder der Sperrung von Nutzern. Die durch das NetzDG ausgelösten Handlungsaufforderungen für Betreiber sozialer Netzwerke lassen sich dem Gesetzestext entnehmen. Für eine weitergehende Einflussnahme im konkreten Einzelfall werden keinerlei (Indiz-)Tatsachen behauptet. Die Annahme, die Bundesregierung oder eine andere Stelle der öffentlichen Verwaltung habe auf die Beklagte eingewirkt, um den Post des Klägers zu sperren, liegt zudem ersichtlich fern und knüpft offensichtlich allein an vergleichbare digital verbreitete Verschwörungstheorien an. Die Geltendmachung eines Auskunftsanspruches, mit dem eine Aussage des in Anspruch Genommenen über durch nichts belegte Behauptungen erzwungen werden soll, ist als Fall des Rechtsmissbrauchs unzulässig.

c) Schließlich scheidet auch ein Anspruch auf Zahlung von 1.500,- € mangels Anspruchsgrundlage für einen Zahlungsanspruch aus.

Der aus Art. 1, 2 Abs. 1 GG hergeleitete Anspruch auf eine immaterielle Geldentschädigung liegt nicht bei jeder Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, schon gar nicht bei jeder Vertragsverletzung vor. Er setzt vielmehr voraus, dass ihm ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zugrunde liegt und die hiervon ausgehende Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Dass der Kläger durch die Löschung des Beitrages und die zeitlich befristete Sperrung von dreißig Tagen eine solche Beeinträchtigung erlitten haben soll, wird nicht substantiiert behauptet und erscheint auch nicht vorstellbar. Der Kläger bemisst seine immaterielle Einbuße mit lediglich 1500,- € und gibt hierdurch zu erkennen, dass er selbst dem Verhalten der Beklagten keine hinreichende Eingriffsschwere beimisst. Dies erschließt sich auch daraus, dass der Kläger in seiner „Argumentation“ zum Ausdruck bringt, mit derartigen Rechtsstreitigkeiten „im Grunde ... nur die Kaste der Rechtsanwälte“ zu unterhalten.

Bereicherungsrechtliche Ansprüche auf eine fiktive Lizenzgebühr aus § 812 BGB kann der Kläger ebenfalls nicht geltend machen. Ob die Beklagte während des Zeitraums der Sperrung seine persönlichen Daten zu Werbezwecken tatsächlich genutzt hat, kann hierfür dahinstehen. Denn jedenfalls hatte der Kläger nach seinem eigenen Vortrag mit der Nutzung seine Einwilligung zu der in den Nutzungsbedingungen festgelegten Befugnis, alle Beiträge und erhaltenen Daten „dauerhaft zu speichern und zu nutzen" erteilt. Einen Vorbehalt für den Zeitraum etwaiger Sperrungen hatte er nicht erklärt. Eine rechtsgrundlose Nutzung von durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Daten liegt nach alledem nicht vor.

Auch für einen fiktiven Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie fehlt es an den erforderlichen Voraussetzungen.

Für einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 241 BGB i.V.m. dem Nutzungsvertrag enthält der Vortrag des Klägers keine substantiierten Tatsachengrundlagen.

Schließlich scheiden auch die geltend gemachten Ansprüche nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO aus. Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat hiernach Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Ein Verstoß gegen die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung liegt jedoch nicht vor. Erhebung und Verarbeitung seiner Daten, wozu gem. Art. 4 Nr. 2 DSGVO auch die Löschung des streitgegenständlichen Posts und die Sperrung seines Kontos zählen, beruhen auf der vom Kläger vorab erteilten Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen der Beklagten (Art. 6 Abs. 1 lit a DSGVO). Diese ist gerade nicht daran geknüpft, dass auch die Beklagte ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommt und umfasst daher auch Zeiträume, in denen der Account gesperrt ist.

Dass dem Kläger durch die Sperrung ein materieller oder immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO entstanden wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die bloße Sperrung seiner Daten stellt ebenso wie ein etwaiger Datenverlust noch keinen Schaden im Sinne der DSGVO dar.

Die behauptete Hemmung in der Persönlichkeitsentfaltung durch die (rechtmäßige) dreißigtägige Sperrung hat allenfalls Bagatellcharakter, was die Zuerkennung eines immateriellen Schadensersatzes ausschließt.

Hat nach Vorstehendem die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, wird sie im Beschlusswege zurückzuweisen sein.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Schleswig-Holstein: Instagram muss dem Geschädigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail und Telefonnummer des Nutzers geben

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 23.03.2022
9 Wx 23/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Instagram dem Geschädigten bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Nutzers geben muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskunftsanspruch gegen Betreiberin einer Social-Media-Plattform bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die Betreiberin der Plattform www.instagram.com ist verpflichtet, über den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer eines Nutzers Auskunft zu erteilen, wenn durch den Inhalt des Nutzer-Accounts eine strafrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt. Dem Auskunftsantrag einer verletzten Person hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche stattgegeben.

Zum Sachverhalt: Eine der Antragstellerin unbekannte Person eröffnete zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Account auf der Social-Media-Plattform „Instagram“ mit einem Nutzernamen, der den Vornamen der Antragstellerin und die Angabe „wurde gehackt“ enthielt. In den Account wurden Bilder eingestellt, die eine lediglich mit Unterwäsche bekleidete junge Frau zeigten, deren Gesicht jeweils durch ein Smartphone verdeckt war. Auf den Fotos waren Äußerungen zu lesen, die den Eindruck erweckten, die abgebildete Person sei an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert. Nachdem die Antragstellerin von anderen Personen erkannt und auf den Inhalt des Accounts angesprochen worden war, meldete sie das Konto bei der Plattformbetreiberin und es wurde gesperrt. Das Landgericht hat ihren Antrag, Auskunft über die Nutzungsdaten zu erteilen, abgelehnt. Die gegen diese Ablehnung gerichtete Beschwerde vor dem 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte im Hinblick auf den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des Nutzers Erfolg.

Aus den Gründen: Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Auskunftserteilung über Bestandsdaten gegenüber der Betreiberin der Social-Media-Plattform „Instagram“ nach § 21 Abs. 2, Abs. 3 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht, soweit die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Vorliegend erfüllen die Schaffung des Fake-Accounts und das Einstellen der Fotos mit Kommentaren im Zusammenhang gesehen den Tatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Durch das Erstellen des Fake-Accounts und Hochladen der Fotos nebst Kommentaren wird suggeriert, die Antragstellerin wolle sich auf diese Weise zur Schau stellen und den Besuchern der Seite ihr sexuelles Interesse mitteilen. Dadurch, dass ihr diese unsittliche Verhaltensweise zugeordnet wird, wird der soziale Geltungswert der Antragstellerin gemindert. Dies stellt eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar. Um ihre Rechte gegenüber dem unbekannten Ersteller des Fake-Accounts zivilrechtlich geltend machen zu können, ist die Antragstellerin auf die Auskunft der Betreiberin der Plattform angewiesen. Eine andere Möglichkeit, den Ersteller des Nutzerkontos zu ermitteln, hat sie nicht.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 9 Wx 23/21).


OLG Schleswig-Holstein: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen § 19 Abs. 3 EMVG - deutsche Gebrauchsanweisung nur per Download ohne deutlichen Hinweis

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 15.07.2021
6 U 17/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die Marktverhaltensregel § 19 Abs. 3 EMVG vorliegt, wenn eine deutsche Gebrauchsanweisung nur per Download vorgehalten wird, ohne dass deutlich darauf hingewiesen wird und nicht mitgeteilt wird, wo diese eingesehen werden kann. Ein Hinweis in der Artikelbeschreibung genügt dabei nicht.

Aus den Entscheidungsgründen:
Mit dem Antrag zu 1 erstrebt die Klägerin eine Kennzeichnung der Flugregler und der Steckverbindungen mit Angaben zu Handelsname oder -marke und Postanschrift des Herstellers oder Einführers. Anspruchsgrundlage kann nur § 9 Abs. 2 Satz 1 EMVG sein. Aus einem Verstoß gegen diese Vorschrift kann die Klägerin jedoch keinen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte herleiten.

a) Der Anwendungsbereich des EMVG ist eröffnet. Das EMVG gilt für alle Betriebsmittel, die elektromagnetische Störungen verursachen oder deren Betrieb durch elektromagnetische Störungen beeinflusst werden kann (§ 1 Abs. 1 EMVG). Darunter fallen Geräte, bei denen diese Wirkungen auftreten können (§ 3 Nr. 2 lit. a EMVG), und Bauteile, die zum Einbau in Geräte bestimmt sind und für die dies ebenfalls gilt (ebd. lit. c). Sowohl Flugregler als auch Steckverbinder sind jedenfalls Geräte in letzterem Sinn.

b) In einem etwaigen Verstoß der Beklagten gegen die Kennzeichnungspflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EMVG liegt jedoch kein Rechtsbruch i. S. d. § 3a UWG. Die Vorschrift ist keine Marktverhaltensregelung.

aa) Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Eine Vorschrift regelt das Marktverhalten der Marktteilnehmer, wenn sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweist, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Eine Vorschrift, die dem Schutz von Rechten, Rechtsgütern oder sonstigen Interessen von Marktteilnehmern dient, ist eine Marktverhaltensregelung, wenn das geschützte Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Abschluss von Austauschverträgen und den nachfolgenden Verbrauch oder Gebrauch der erworbenen Ware oder in Anspruch genommenen Dienstleistung berührt wird. Das ist der Fall, wenn sie - zumindest auch - den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (GRUR 2017, 819, 821 Rn. 20 - Aufzeichnungspflicht; BGH GRUR 2016, 513, 514 f Rn. 21 - Eizellspende; OLG Düsseldorf wrp 2021, 928 Rn. 5 - Eigenbeteiligung bei Schutzmasken; Schaffert in MüKoUWG, 3. Aufl. 2020, § 3a Rn. 65).

bb) Die Zielsetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EMVG erschließt sich aus dem Ziel des EMVG insgesamt und der in dem Gesetz getroffenen Regelungen zur effektiven Durchsetzung dieses Ziels. Das EMVG dient in Umsetzung der Richtlinie RL 2014/30/EU der elektromagnetischen Verträglichkeit der Vielzahl alltäglich genutzter Geräte, die gegen elektromagnetische Störungen geschützt werden müssen (s. nur Überschrift und Erwägungsgründe 4 und 15 und Art. 1 der Richtlinie sowie § 1 Abs. 1 EMVG). Zur Gewährleistung elektromagnetischer Verträglichkeit der Geräte müssen diese entsprechend konstruiert werden (Erwägungsgrund 14). Es muss überwacht werden, dass die Geräte die gebotenen Vorgaben zum Schutz vor Störungen auch einhalten. Vollständige Angaben zu denjenigen, die ein Gerät in Verkehr bringen, sollen die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit eines Gerätes über die gesamte Lieferkette hinweg erleichtern. Dadurch können die Aufgaben der Marktüberwachung einfacher und wirksamer erfüllt werden (Erwägungsgründe 21 und 25). National ist geregelt, dass die Bundesnetzagentur als Überwachungsbehörde im Verdachtsfall die elektromagnetische Verträglichkeit eines Geräts nachzuprüfen hat. Kommt sie zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt sind, hat sie die für den Vertrieb des Geräts Verantwortlichen zu geeigneten Maßnahmen aufzufordern (§ 23 EMVG). Der Umsetzung dieser Überwachungspflicht dienen die in § 9 Abs. 1 und 2 EMVG geregelten Kennzeichnungspflichten. Mit der Kennzeichnung nach Abs. 1 soll sichergestellt werden, dass Geräte zweifelsfrei identifiziert und ggf. unverzüglich zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden können (BT-Drucks. 240/16 S. 39). Durch die Angabe der Herstellerinformation nach Abs. 2 soll gewährleistet werden, dass eine leichte Identifikation des Herstellers und eine schnelle Kontaktaufnahme mit ihm erfolgen kann (ebd. S. 39).

cc) Angesichts dieser Zielsetzung der Kennzeichnungspflicht stellt § 9 Abs. 2 EMVG keine Marktverhaltensregelung dar. Die Kennzeichnung dient nicht dem Interesse der Marktteilnehmer, sondern dem der Marktüberwachungsbehörde, indem sie ihr die Erfüllung ihrer Überwachungsaufgabe erleichtert. Zwar dient eine effektive Marktüberwachung auch dem Schutz der Marktteilnehmer, weil auch sie Interesse daran haben, dass nur ordnungsgemäß funktionierende Geräte auf dem Markt sind. Der Schutz dieses Interesses ist aber nur eine reflexartige Auswirkung des unmittelbaren gesetzgeberischen Ziels einer effizienten Marktüberwachung.

dd) Diese Auslegung steht nicht im Widerspruch zur Auslegung des § 9 Abs. 1 ElektroG, wonach es sich bei der Pflicht zur Herstellerkennzeichnung um eine Marktverhaltensregelung handelt. Die Zielrichtung beider Kennzeichnungspflichten ist eine jeweils andere. Mit der Kennzeichnungspflicht nach § 9 Abs. 1 ElektroG sollen die Hersteller vor einer Belastung mit Entsorgungskosten geschützt werden, die sie für Elektrogeräte anderer Wettbewerber übernehmen müssten, die ihre Ware nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet haben (BGH GRUR 2015, 1021, 1022 f., Rn. 15 f. zur Vorgängervorschrift § 7 Satz 1 ElektroG a. F.). Eine solche individualschützende Zielrichtung hat § 9 Abs. 2 EMVG hingegen nicht. Der Senat merkt an, dass in der Kommentierung zu § 3a UWG zwar stets die Kennzeichnungsvorschrift für Elektrogeräte aus § 9 ElektroG abgehandelt, diejenige aus § 9 EMVG jedoch, soweit ersichtlich, nie auch nur erwähnt wird (vgl. - jew. zu § 3a - Hohlweck in Büscher, UWG, 2019, § 3a Rnrn. 292 - 298 (ausführlich); Ebert-Weidenfeller in Götting-Nordemann, UWG, 3. Aufl. 2016, Rn. 79; v. Jagow in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl. 2016, Rn. 77; Diekmann in Seichter, jurisPK. UWG, Stand 15.1.2021, Rn. 232; Köhler in ders./Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, Rn. 1.199; MüKoUWG/Schaffert Rn. 430; Ohly in ders./Sosnitza, 7. Aufl. 2016, Rn. 64; ebenso bei Grunert, Die Entwicklung des Rechtsbruchtatbestands, GRUR Int. 2015, 687, 691 f).

ee) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat der Wertung des Senats in der mündlichen Verhandlung entgegengehalten, dass sie zu einer nicht nachvollziehbaren Schwächung des Verbraucherschutzes führe. Der Umstand, dass die Kennzeichnungspflichten nach § 9 Abs. 2 EMVG die Aufgaben der Marktüberwachungsbehörde erleichterten, dürfe der Anerkennung der Vorschrift als Marktverhaltensregelung nicht entgegenstehen. Nur dann nämlich hätten Mitbewerber und Wettbewerbsverbände die Möglichkeit, Verstößen mit Unterlassungsklagen zu begegnen.

Der Senat hält diesen Einwand nicht für durchgreifend. Der Gesetzgeber hat Wettbewerbern und Wettbewerbsverbänden gerade nicht die uneingeschränkte Möglichkeit zur Überwachung des Wettbewerbs eingeräumt. Gegen einen Gesetzesverstoß kann individualrechtlich nur vorgegangen werden, wenn das verletzte Gesetz unmittelbar dem Schutz der Rechte und Interessen der Marktteilnehmer dient. Hat ein Gesetz diese Zielrichtung hingegen nicht, kann ein Verstoß keine Grundlage für einen individualrechtlichen Unterlassungsanspruch sein. Ist in solchen Fällen der Rechtsbruchtatbestand nicht erfüllt, so verwirklicht sich nur eine dem Gesetz von vornherein innewohnende Einschränkung des Tatbestands. Es führt jedoch nicht zur Schwächung eines „an sich“ in höherem Umfang gewährten Verbraucherschutzes. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass für eine Ahndung des Gesetzesverstoßes durch Mitbewerber oder Wettbewerbsverbände auch deshalb kein Bedürfnis besteht, weil dies der Marktüberwachungsbehörde übertragen ist. Im Grundsatz hat sich der deutsche Gesetzgeber dafür entschieden, die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften nicht behördlich, sondern von den Marktteilnehmern selbst überwachen zu lassen, denen er dafür zivilrechtliche und prozessuale Möglichkeiten zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts an die Hand gegeben hat (BT-Drucks. 15/1487 S. 22; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, Vorb. zu § 8 Rnrn. 1 - 3). In dieses System fügt sich der Rechtsbruchtatbestand ein, der es Marktteilnehmern ermöglicht, gegen Gesetzesverstöße vorzugehen. Kein Bedürfnis hierfür besteht aber, soweit ausnahmsweise doch eine behördliche Marktüberwachung erfolgt. Dies ist, wie dargelegt, im Hinblick auf die Überwachung der elektromagnetischen Verträglichkeit der auf dem Markt vertriebenen Geräte der Fall. All dem dient, wie ebenfalls dargelegt, die von § 9 Abs. 2 EMVG geforderte Kennzeichnung.

2. Mit dem Hilfsantrag möchte die Klägerin der Beklagten untersagen lassen, Steckverbinder ohne die nach § 9 Abs. 1 ElektroG erforderlichen Angaben in Verkehr zu bringen. Auch damit hat sie keinen Erfolg.

a) Selbst wenn - was der Senat nicht zu entscheiden braucht - ein Verfügungsanspruch bestünde, scheiterte der Antrag doch am Fehlen eines Verfügungsgrunds. Der Klägerin ist der angebliche Gesetzesverstoß seit dem 28.10.2020 bekannt. Erstmals in das Verfahren eingeführt hat sie das Unterlassungsbegehren insoweit in der mündlichen Verhandlung am 03.06.2021. Sieben Monate nach Kenntniserlangung kann aber nicht von einer Gefährdung des zu sichernden Anspruchs oder einer besonderen Dringlichkeit für eine „sofortige“ Regelung ausgegangen werden.

b) Der Senat folgt nicht der Auffassung der Klägerin, dass die Kennzeichnungspflicht nach § 9 Abs. 1 ElektroG bereits Gegenstand der Antragstellung in der Antragsschrift gewesen sei. Zwar hat das Landgericht die Beklagte wegen unzureichender Kennzeichnung der Flugregler nach § 9 Abs. 1 ElektroG zur Unterlassung verurteilt. Mit dieser Verurteilung ist das Landgericht jedoch unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO über den Antrag zu 1. hinausgegangen. Die Klägerin hat nur die Kennzeichnungspflicht aus § 9 Abs. 2 EMVG zum Streitgegenstand gemacht.

Nach § 9 Abs. 1 ElektroG sind Elektro- und Elektronikgeräte, die nach bestimmten, im Gesetz genannten Zeitpunkten in Verkehr gebracht werden, dauerhaft so zu kennzeichnen, dass - so wörtlich - „der Hersteller eindeutig zu identifizieren ist“ und der Zeitpunkt des Inverkehrbringens festgestellt werden kann. Nach § 9 Abs. 2 EMVG hat der Hersteller von Elektrogeräten i. S. d. EMVG seinen Namen, seinen eingetragenen Handelsnamen oder seine eingetragene Handelsmarke sowie seine Postanschrift auf dem Gerät anzubringen. Mit ihrem Antrag zu 1 macht die Klägerin geltend, dass die Beklagte ihre Produkte ohne eben diese Angaben nicht vertreiben dürfe. Der Wortlaut des Antrags ist eindeutig und ausschließlich auf die Kennzeichnungspflicht aus § 9 Abs 2. EMVG bezogen. Die Klägerin hat mehrfach zwar § 9 Abs. 1 ElektroG zitiert, jedoch nie behauptet, dass es an einer Angabe fehle, mit der die Beklagte als Herstellerin identifiziert werden könne. Sie hat in der Sache stets nur zur Nichterfüllung der Kennzeichnungspflicht aus § 9 Abs. 2 EMVG vorgetragen.

Die Kennzeichnungspflicht aus § 9 Abs. 1 ElektroG ist nicht etwa als Minus in derjenigen aus § 9 Abs. 2 EMVG enthalten. Es handelt sich um ein Aliud, denn es steht der Beklagten frei, mit welcher Angabe sie ihre Identifizierung nach § 9 Abs. 1 ElektroG sicherstellt. Dies mag üblicherweise durch die Angabe des Markennamens oder Markenzeichens des Herstellers geschehen. Der Hersteller kann aber auch die Registrierungsnummer wählen, mit deren Hilfe sich alle notwendigen Daten ermitteln lassen (vgl. die §§ 6 Abs. 1, 37 Abs. 1 ElektroG). Er muss allerdings bei der Registrierung der Geräte bereits angeben, welche Kennzeichen er verwenden möchte. Die Klägerin hätte deshalb allenfalls dann den im Antrag wiedergegebenen Anspruch gegen die Beklagte aus § 9 Abs. 2 Satz 1 ElektroG auf Angabe des Namens, der Marke oder der Anschrift, wenn die Beklagte bei der Registrierung angegeben hätte, ihre Geräte eben hiermit zu kennzeichnen. Dazu hat die Klägerin nichts vorgetragen.

3. Die Klägerin kann von der Beklagten verlangen, die Flugregler nur mit beigefügter deutschsprachiger Gebrauchsanweisung zu vertreiben. Insofern hat die Berufung Erfolg.

a) Die Beklagte hat gegen § 19 Abs. 3 EMVG verstoßen, indem sie die Gebrauchsanweisung nur zum Download bereithielt, ohne den Erwerber des Geräts auf diese Möglichkeit der Einsichtnahme deutlich hinzuweisen.

aa) § 19 Abs. 3 EMVG ist eine Marktverhaltensregelung. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers ist die bestimmungsgemäße Nutzung eines Gerätes wesentlich von einer geeigneten Gebrauchsanleitung sowie konkreten Informationen zur Montage, Installation, Wartung oder dem Betrieb des Geräts abhängig. § 9 Abs. 3 EMVG in Verbindung mit § 19 verpflichtet daher den Hersteller, diese Information dem Gerät beizufügen (BT-Drucks. 240/16 S. 39). Es liegt auf der Hand, dass das Gesetz mit dieser Zweckbestimmung unmittelbar dem Interesse der Verbraucher dient.

bb) Nach § 19 Abs. 3 EMVG, mit dem der nationale Gesetzgeber Art. 18 der RL 2014/30/EU (BT-Drucks. 240/16 S. 47) und Art. 7 Abs. 7 ebd. umgesetzt hat, ist jedem Gerät eine Betriebsanleitung mit allen zur bestimmungsgemäßen Nutzung erforderlichen Informationen beizufügen. Die Anleitung muss bei nichtgewerblichen Nutzern deutschsprachig sein. Dem genügte jedenfalls die Handhabung der Beklagten zur Zeit des Testkaufs nicht. Die Beklagte hatte nur eine deutschsprachige Gebrauchsanweisung auf ihrer Internetseite zum Download bereitgehalten und hierauf am Ende der Artikelbeschreibung mit dem Hinweis „Download Gebrauchsanweisung“ aufmerksam gemacht. Ein Hinweis fand sich hingegen weder in der Bestellbestätigung oder Rechnung noch in sonstigen der Bestellung oder dem Produkt beigelegten Unterlagen.

Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, welche Voraussetzungen für ein „Beifügen“ der Gebrauchsanweisung erforderlich sind. Ein „Beifügen“ von Unterlagen zu einer Ware verlangt dem Wortsinn nach jedenfalls, dass Unterlagen und Ware in irgend einer Form so miteinander verbunden werden, dass der Verbraucher sie als zusammengehörig wahrnimmt. Diese Verbindung muss, wenn - wie hier - eine Gebrauchsanweisung beizufügen ist, zu dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem der Nutzer das Gerät zur Nutzung ausgehändigt erhält. Das folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 19 Abs. 3 EMVG, der ein Beifügen der Gebrauchsanleitung „zu dem Gerät“ verlangt, als auch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die sicherstellen soll, dass der Nutzer das Gerät sachgerecht in Betrieb nimmt. Ein Hinweis auf die Gebrauchsanweisung, die sich nur in der Artikelbeschreibung findet, genügt dem nicht. Die Artikelbeschreibung liest der Verbraucher, bevor er sich für den Erwerb des Geräts entscheidet. Wird ihm das Gerät ausgehändigt, was je nach Lieferzeit erst Wochen später der Fall sein kann, ist ungewiss, inwieweit er die Artikelbeschreibung noch in Erinnerung hat. Keinesfalls kann damit gerechnet werden, dass ihm noch gegenwärtig ist, dass sich am Ende der Artikelbeschreibung ein Download für die Gebrauchsanweisung fand.

c) Die einmal erfolgte Wettbewerbsverletzung begründet eine Vermutung der Wiederholungsgefahr, die durch die bloße Änderung des Verhaltens - selbst dann, wenn es nunmehr lauter wäre - nicht widerlegt wird.

d) Da der Anspruch damit schon wegen Verstoßes gegen § 19 Abs. 3 EMVG begründet ist, kommt es auf einen durch Verstoß gegen die Marktverhaltensregelung (Harte-Bavendamm u. a./v. Jagow § 3a Rnrn. 75 - 77) des Art. 3 Abs. 4 ProdSG begangenen Rechtsbruch nicht an.


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OLG Schleswig-Holstein: Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeversprechen genügt bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 13a Abs. 2 UWG n. F. zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 03.05.2021
6 W 5/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat bestätigt, dass eine Unterlassungserklärung ohne Vertragsstrafeversprechen bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 13a Abs. 2 UWG n. F. zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr genügt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Landgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Es fehlt an der für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG erforderlichen Wiederholungsgefahr. Soweit diese durch die vom Antragsgegner unstreitig begangenen Wettbewerbsverstöße indiziert war, hat der Antragsgegner die Vermutung für die Wiederholung seines wettbewerbswidrigen Verhaltens beseitigt.

1. Die Wiederholungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs liegt vor, wenn eine Wiederholung des wettbewerbswidrigen Verhaltens ernsthaft und greifbar zu besorgen ist (Bornkamm in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 8 Rn. 1.42). Ist es bereits zu einem Wettbewerbsverstoß gekommen, so streitet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung zu widerlegen obliegt dem Verletzer.

a) Dafür bedurfte es bisher nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur einer Erklärung des Schuldners, mit der er sich verpflichtete, das beanstandete Verhalten künftig zu unterlassen. Erforderlich war zur Bekräftigung dieser übernommenen Verpflichtung auch das Versprechen der Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung. Weil dem Verletzer bisher stets dieser einfache Weg offen stand, konnte kaum ein anderer Umstand die Wiederholungsgefahr ausräumen; vielmehr zeigte der Verletzer mit der Verweigerung der Unterwerfung, dass nach wie vor Wiederholungsgefahr bestand (Bornkamm a. a. O. Rn. 1.44 m. w. N.).

b) Unter den in § 13a Abs. 2 UWG n. F. genannten Voraussetzungen, die hier unzweifelhaft vorliegen, ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe zwischen Gläubiger und Verletzer jedoch ausgeschlossen. In diesen Fällen kann an dem Erfordernis der Strafbewehrung zur Widerlegung der vermuteten Wiederholungsgefahr nicht mehr festgehalten werden. Anderenfalls wäre es dem Verletzer unmöglich, die Vermutung der Wiederholungsgefahr im unmittelbaren Verhältnis zum Gläubiger zu widerlegen und so eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen ihm und dem Gläubiger herbeizuführen. Dass der Gesetzgeber aber mit den Änderungen des UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BT-Drs. 19/12084, 1) für diese Fälle eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen Mitbewerbern ausschließen wollte, lässt sich weder der Gesetzessystematik in §§ 13, 13a UWG n. F. noch der Gesetzesbegründung entnehmen.

aa) Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs hat der Gesetzgeber an dem System der außergerichtlichen Streitbeilegung durch Abmahnung und strafbewehrter Unterlassungserklärung grundsätzlich festgehalten (§ 13 Abs. 1 UWG n. F.). Er hat dieses Recht der Abmahnung und Unterwerfung jedoch einer vorsichtigen Umgestaltung unterworfen. Insoweit wird die in § 13 Abs. 1 UWG n. F. genannte „angemessene Vertragsstrafe“ erstmals durch die Regelungen in § 13 a UWG n. F. konkretisiert. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 13a Abs. 1 UWG n. F., denn dort heißt es: „Bei der Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe nach § 13 Absatz 1 sind folgende Umstände zu berücksichtigen…“. Die Ausgestaltung einer angemessenen Vertragsstrafe i. S. d. § 13 Abs. 1 UWG n. F. richtet sich demnach nach § 13 a UWG n. F.. Soweit in § 13a Abs. 2 UWG n. F. die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ausgeschlossen ist, ist dies über § 13a Abs. 1 UWG n. F. auch bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 UWG n. F. zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer angemessenen Vertragsstrafe entfällt in diesen Fällen, weil eine solche Vereinbarung ausgeschlossen ist. Die Regelung in § 13 Abs. 1 UWG ist somit in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. so zu verstehen, dass der Gläubiger den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben soll, den Streit durch Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung beizulegen.

bb) Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich nichts Anderes. Dort heißt es zu Absatz 2 des § 13a UWG-E: „Absatz 2 schließt die Vereinbarung einer Vertragsstrafe mit einem Mitbewerber aus, wenn der Mitbewerber erstmalig eine Verpflichtung zur Unterlassung in Fällen des § 13 Abs. 4 UWG-E fordert. {… }. Erfolgt die erstmalige Abmahnung des Verstoßes dagegen durch einen Wirtschaftsverband {… } besteht auch weiterhin die Möglichkeit, zur Streitbeilegung unmittelbar die Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung zu verlangen. Die unterschiedliche Behandlung ist dadurch gerechtfertigt, dass Fälle des Abmahnmissbrauchs überwiegend bei den Klageberechtigten nach § 8 Absatz 3 Nummer 1 UWG-E berichtet werden“ (BT-Drs. 19/12084 S. 33 f.). Hieraus ergibt sich nur, dass die in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger zur (außergerichtlichen) Streitbeilegung nach wie vor eine Unterwerfungserklärung verlangen können, während von Mitbewerbern zur (außergerichtlichen) Streitbeilegung beim erstmaligen Verstoß kein Strafversprechen verlangt werden kann. Dass demgegenüber eine außergerichtliche Streitbeilegung in diesem Fällen ausgeschlossen sein soll, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nicht.

cc) Mit dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs wollte der Gesetzgeber die Generierung von Vertragsstrafen und Gebühren eindämmen und damit missbräuchlicher Anspruchsverfolgung im Lauterkeitsrecht entgegen wirken (BT-Drs. 19/12084 S. 1). Dieser Intention würde es zuwiderlaufen, wenn ein Unterlassungsschuldner die Wiederholungsgefahr bei einer Abmahnung durch einen Mitbewerber in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. nicht durch die Abgabe einer einfachen, nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung ausräumen könnte. Anderenfalls könnte der Mitbewerber den Unterlassungsschuldner trotz abgegebener Unterlassungserklärung - wie im vorliegenden Fall - gerichtlich in Anspruch nehmen. Dies würde zum einen dazu führen, dass die Entlastung der Gerichte durch das System aus Abmahnung und (strafbewehrter) Unterlassungserklärung in einer Vielzahl von Fällen abgeschafft wäre. Zum anderen würde dies in letzter Konsequenz für den Abgemahnten dazu führen, dass seine Belastung mit einer Vertragsstrafe durch eine solche mit Gebühren ersetzt werden würde. Für eine solche Intention des Gesetzgebers geben Wortlaut und Begründung nichts her.

dd) Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. eine außergerichtliche Streitbeilegung nicht mehr möglich sein soll, da die Wiederholungsgefahr ausschließlich durch das Versprechen einer Vertragsstrafe ausgeräumt werden könne (Bornkamm, a. a. O. § 8 Rn. 1.48a; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, a. a. O. § 13 Rn. 105a, § 13a Rn. 18f.; Seichter/Spoenle, juris-PK-UWG, 5. Aufl., § 13 a UWG Rn. 15 f.,18, § 13 Rn. 66; Möller in NJW 2021, 1 (7); Ulrici in WRP 2019, 1117 (1120); Hofmann in WRP 2021, 1, (4); Buchmann/Panfili in K&R 2021, 21 25), vermag der Senat dem aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Er verkennt nicht, dass das bisherige System von Abmahnung, Unterwerfung und Wegfall der Wiederholungsgefahr den Zweck verfolgt, dem Gläubiger und dem Schuldner ein Mittel an die Hand zu geben, um einen Streit ohne Inanspruchnahme der Gerichte beizulegen (vgl. BGHZ 149, 371 (374) - missbräuchliche Mehrfachabmahnung). Da der Unterlassungsanspruch immer nur in der Zukunft erfüllt werden kann, muss der bei anderen Ansprüchen durch die Erfüllung eintretende Rechtsfriede auf andere Weise erreicht werden. Dies wurde bisher in dem drohenden Nachteil einer Strafe für den Fall einer Zuwiderhandlung gesehen, der den Schuldner vernünftigerweise von Wiederholungen abhält (vgl. Bornkamm/Feddersen, a. a. O. § 13 Rn. 139). Dieser Dogmatik des Unterlassungsanspruchs scheint es zu widersprechen, wenn die Wiederholungsgefahr in bestimmten Fällen nunmehr auch ohne ein Strafversprechen entfallen kann. Jedoch führt auch eine Unterlassungserklärung ohne Strafbewehrung in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. im Falle des späteren Verstoßes durchaus zu nachteiligen Rechtsfolgen für den Schuldner. So steht dem Gläubiger (neben dem gesetzlichen) dann auch ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu, sodass das Gericht nicht mehr den Wettbewerbsverstoß selbst prüfen muss, sondern nur noch den Verstoß gegen die Unterlassungserklärung festzustellen hat. Darüber hinaus handelt es sich bei dem erneuten Verstoß dann nicht mehr um den erstmaligen, so dass nunmehr eine Vertragsstrafe zugunsten des Gläubigers vereinbart werden kann.

Zudem führt die in der Literatur vertretene Auffassung in den oben genannten Fällen zu der Konsequenz, dass sich der Schuldner in den Fällen, in denen er durch einen Mitbewerber abgemahnt wird, gegenüber einem der in § 8 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger strafbewehrt unterwerfen müsste, um auch gegenüber dem Mitbewerber die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen (so Bornkamm a. a. O., § 8 Rn. 1.48a; Hofmann a. a. O. S.4). Insoweit wird nach Auffassung des Senats nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Schuldner lediglich ein Angebot zum Abschluss eines Unterwerfungsvertrages gegenüber einem Dritten abgeben kann. So entfällt die Wiederholungsgefahr bei einer Initiativunterwerfung, die der von einem Mitbewerber abgemahnte Verletzer gegenüber einem Wettbewerbsverband unaufgefordert abgibt, dann nicht, wenn der Wettbewerbsverband die Erklärung nicht annimmt (vgl. Seichter/Spoenle, a. a. O. § 13, Rn. 87). Es ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dem Schuldner diesen erschwerten Weg der Initiativunterwerfung auferlegen wollte.

c) Einen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 und Art. 13 der Richtlinie 2005/29 EG vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Klagebefugnis der Mitbewerber wird durch die neuen Regelungen in §§ 13, 13a UWG n. F. nicht eingeschränkt. Nach wie vor bleibt es einem Mitbewerber möglich, auch im Fall des § 13a UWG n. F. gegen Wettbewerbsverletzungen gerichtlich vorzugehen. Dies betrifft sowohl den Fall, in dem sich der Unterlassungsschuldner weigert, eine Unterlassungserklärung abzugeben als auch den Fall, in dem der Gläubiger ohne vorherige Abmahnung, dann allerdings mit dem Kostenrisiko des § 93 ZPO, gegen den Schuldner gerichtlich vorgehen will.

Die Neuregelung führt auch nicht dazu, dass es an geeigneten Maßnahmen der Sanktionierung wettbewerbswidrigen Verhaltens fehlt. Zwar kann der Gläubiger von dem Schuldner in den Fällen der §§ 13 Abs. 4, 13 a Abs. 2 UWG n. F. weder Aufwendungen für eine Abmahnung verlangen noch mit dem Schuldner eine Vertragsstrafe vereinbaren. Der Anspruch der in § 8 Abs. 3 Nummer 2 bis 4 UWG genannten Gläubiger bleibt jedoch unberührt und es bleibt dem Mitbewerber unbenommen, sich an einen qualifizierten Wirtschaftsverband zu wenden, der für ihn eine Abmahnung ausspricht und eine mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrte Unterlassungserklärung des Schuldners entgegen nimmt (vgl. BT-Drs. 19/12084 S. 32).

2. Kann somit in den Fällen des § 13a UWG n. F. die Wiederholungsgefahr grundsätzlich auch dann entfallen, wenn der Schuldner keine strafbewehrte, sondern nur eine „einfache“ Unterlassungserklärung abgegeben hat, so ergibt eine Gesamtwürdigung im vorliegenden Fall, dass die Unterlassungserklärung des Antragsgegners geeignet ist, ihn ernsthaft von Wiederholungen der Verletzungshandlungen abzuhalten. Dies ergibt sich aus dem Verhalten des Antragsgegners nach der begangenen Verletzungshandlung und insbesondere aus seiner Reaktion auf die Abmahnung des Antragstellers. Der Antragsgegner hat die Verletzungshandlungen sofort eingestellt. Er hat darüber hinaus eine sofortige Unterwerfungserklärung hinsichtlich des Verstoßes gegen das Verpackungsgesetz abgegeben und die damit verbundenen Abmahnkosten gezahlt. Er hat überdies in der Unterlassungserklärung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Unterlassungserklärung hinsichtlich der fehlenden Grundpreisangabe und der unvollständigen Widerrufsbelehrung wegen der Regelung in § 13a Abs. 1, 2 UWG nicht mit einer Vertragsstrafe versehen sei. Es besteht somit kein Grund, an der Ernsthaftigkeit des abgegebenen Unterlassungsversprechens zu zweifeln. Die Vermutung der Wiederholungsgefahr für einen erneuten Wettbewerbsverstoß des Antragsgegners ist damit widerlegt."


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OLG Schleswig-Holstein: Verstoß gegen DSGVO wenn Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal veröffentlicht werden dürfen

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 02.07.2021
17 U 15/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt, wenn die Schufa Daten eines Insolvenzschuldners länger verwertet, als sie im Insolvenzbekanntmachungsportal nach der InsoBekVO veröffentlicht werden dürfen

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Die Schufa darf Daten eines Insolvenzschuldners nicht länger verwerten als sie im "Insolvenzbekanntmachungsportal" veröffentlicht sein dürfen

Ein Insolvenzschuldner hat einen Löschungsanspruch gegen die Schufa Holding AG, wenn sie diese Daten aus dem Insolvenzbekanntmachungsportal ohne gesetzliche Grundlage länger speichert und verarbeitet als in der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsoBekVO) vorgesehen. Das hat der 17. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts am vergangenen Freitag entschieden.

Zum Sachverhalt: Über das Vermögen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und schließlich wurde ihm am 11. September 2019 durch das Amtsgericht die Restschuldbefreiung erteilt. Diese Information wurde im amtlichen Internetportal veröffentlicht. Die Schufa kopierte die Daten von dort und pflegte sie in ihren Datenbestand ein, um Vertragspartnern diese Daten bei Auskunftsanfragen zum Kläger mitzuteilen. Der Kläger begehrte die Löschung der Daten von der Schufa, da die Verarbeitung zu erheblichen wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen bei ihm führe. Eine uneingeschränkte Teilhabe am Wirtschaftsleben sei ihm nicht möglich. Er könne aufgrund des Eintrags kein Darlehen aufnehmen, keinen Mietkauf tätigen und keine Wohnung anmieten. Derzeit könne er nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Die Schufa wies die Ansprüche des Klägers zurück und verwies darauf, dass sie die Daten entsprechend der Verhaltensregeln des Verbandes "Die Wirtschaftsauskunfteien e.V." erst drei Jahre nach Speicherung lösche. Die Daten seien bonitätsrelevante Informationen und daher für die Vertragspartner der Schufa von berechtigtem Interesse. Das Landgericht Kiel hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte Erfolg.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Schufa die Löschung der Daten sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung des Amtsgerichts über die Restschuldbefreiung verlangen. Nach Ablauf dieser Frist steht die weitere Verarbeitung durch die Schufa im Widerspruch zu § 3 Abs. 2 InsoBekVO und ist daher nicht mehr rechtmäßig im Sinne von Art. 6 Abs. 1 lit. f) Datenschutz-Grundverordnung. Werden die Daten des Klägers unrechtmäßig verarbeitet, kann er die Löschung dieser Information nach Art. 17 Abs. 1 lit. d) Datenschutz-Grundverordnung von der Schufa verlangen und hat einen Anspruch auf künftige Unterlassung dieser Datenverarbeitung.

Die Schufa kann sich nicht darauf berufen, dass die Datenverarbeitung rechtmäßig sei, da sie ihren oder den berechtigten Interessen von Dritten diene. Ein Interesse kann nur dann berechtigt sein, wenn es nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung oder den Grundsätzen von Treu und Glauben steht. Die Verarbeitung durch die Schufa steht aber nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung von § 3 Abs. 2 InsoBekVO, wonach die Information zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung nur sechs Monate im Internetportal zu veröffentlichen ist. Die Verarbeitung und Weitergabe dieser Information an eine breite Öffentlichkeit durch die Beklagte kommt einer Veröffentlichung im Internet gleich und ist daher nach Ablauf der gesetzlichen Löschungsfrist zu unterlassen.

Die Schufa kann sich nicht auf die Verhaltensregeln des Verbandes der Wirtschaftsauskunfteien berufen. Diese Verhaltensregeln entfalten keine Rechtswirkung zulasten des Klägers und stehen im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 2. Juli 2021, Az. 17 U 15/21, Revision ist zugelassen)



OLG Schleswig-Holstein: Kein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB bei individuell angefertigtem Wintergarten zur Selbstmontage wenn nicht für andere Gebäude verwendbar

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 25.03.2021
6 U 48/20


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB kein Widerrufsrecht bei einem Vertrag über einen individuell angefertigten Wintergarten zur Selbstmontage besteht, wenn der Vertragsgegenstand nicht für andere Gebäude verwendbar ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Die Beklagte kann sich im Rahmen der vorgelegten Verträge auf die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB berufen. Die von ihr verwendeten Vertragsformulare und Allgemeinen Geschäftsbedingungen führen somit nicht zu einem Verstoß gegen ihre Informationspflichten aus § 312j BGB oder zu irreführenden geschäftlichen Handlungen gem. § 5, § 5a UWG. Dem Kläger stehen somit Unterlassungsansprüche gem. § 8 UWG nicht zu. Nach § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen oder im Fernabsatz geschlossenen Verträgen nicht, wenn es sich um Verträge zur Lieferung von Waren handelt, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist, oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei den vorliegenden Verträgen nicht um Werkverträge, für die die Anwendung der Bereichsausnahme nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2018, VII ZR 243/17, Rn. 19ff, - juris -). Die Beklagte unterteilt die von selbstständigen Handelsvertretern vermittelten Verträge in Verträge auf Lieferung von „Bauteile[n] zur Montage eines kompletten Glasanbaus/Wintergartens“ (vgl. Anlage K10, Bl. 116) und einen Montageauftrag mit einem nicht mit ihr verbundenen Handwerksbetrieb (vgl. Anlage K11, Bl. 122). Sie hat hierzu bisher unwiderlegt angegeben, der Besteller könne auch den Wintergarten selbst aufstellen oder einen anderen Handwerksbetrieb mit der Montage beauftragen. Damit liegt der Schwerpunkt der von der Beklagten angebotenen Leistung in der Lieferung von Waren i. S. d. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB und nicht in der Herbeiführung eines Werkerfolges.

b) Auch die weiteren Voraussetzungen der Bereichsausnahme liegen vor. Die Ausnahme für Waren, die nach Kundenspezifikation hergestellt sind, entspricht im Wesentlichen Art. 2 Nr. 4 VerbrRRL, die zur Begriffsbestimmung in Erwägungsgrund 49 als Beispiel nach Maß gefertigte Vorhänge angibt (Staudinger-Thüsing (2019), BGB, § 312g Rn. 21). Weitere Beispiele sind Maßanzüge, mit persönlicher Gravur versehene Schmuckstücke oder Grabsteine (Staudinger, a. a. O., Rn. 22). Nach der auch in § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB genannten Alternative greift die Ausnahme zudem bei Waren, die eindeutig auf die persönlichen Verhältnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Dies wäre getreu dem Wortsinn auch bei Möbeln der Fall, die aus einer Angebotspalette des Herstellers individuell zusammengestellt werden, oder bei Kraftfahrzeugen, die vom Verbraucher gewünschte Extras enthalten (MüKo-BGB/Wendehorst, § 312g Rn. 16; Staudinger, a. a. O. Rn. 22, jeweils m. w. N.). Daher ist die Vorschrift eng auszulegen.

aa) Der Zweck der Bereichsausnahme liegt darin, dass eine Rückabwicklung des Vertrages für den Unternehmer unzumutbar ist, wenn hierdurch für ihn erhebliche wirtschaftliche Nachteile entstehen. Dieses Risiko muss über das allgemeine Risiko eines Fernabsatzgeschäftes hinausgehen, das für den Unternehmer bereits durch die Vorteile dieses Vertriebsmodells ausgeglichen wird. Für das Vorliegen der Ausnahme sind daher zwei Voraussetzungen erforderlich (vgl. BGH, MDR 2003, 732, Rn. 15ff., juris):

(1) Zum einen darf der Unternehmer die vom Kunden veranlasste Anfertigung der Ware nicht ohne weiteres rückgängig machen können. Hierzu ist erforderlich, dass es einen unvertretbaren wirtschaftlichen Aufwand erfordert, die Bestandteile wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich vor der Zusammensetzung befunden haben. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung fünf Prozent des Warenwertes noch nicht als unvertretbaren Aufwand angesehen (BGH a. a. O., Rn. 19, juris).

(2) Zum anderen müssen die Angaben des Verbrauchers die Sache so sehr individualisiert haben, dass der Unternehmer sie wegen ihrer besonderen Gestalt nicht mehr oder nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußern kann (BGH a. a. O., Rn. 20ff; Palandt-Grüneberg, § 312g Rn. 4). Unerheblich ist, ob der Unternehmer die Spezifikation selbst vorgenommen hat oder die Ware auf Kundenwunsch hin hat anfertigen lassen.

bb) Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 21) hat die Voraussetzung der Ausnahme hinreichend belegt.

(1) Soweit sie dargelegt hat, die Wintergärten seien auf die zu bebauende Fläche, die Traufenhöhe, die Lastabfangung der Wand, Besonderheiten wie das Einschließen einer Hausecke oder Umgehung eines Abganges zugeschnitten, betrifft dies zunächst nur die Frage der Individualisierung im weiten Sinne, also die Frage, ob überhaupt ein Zuschnitt auf die Kundenwünsche, wie z. B. bei Farbe und Ausstattung eines PKW erfolgt. Auch Einzelwünsche wie das für das Dach verwendete Material, zu öffnende Fenster etc. begründen den erforderlichen wirtschaftlichen Nachteil durch die Individualisierung ohne hinzukommende Umstände nicht.

(2) Solche weiteren Umstände sind in der Herstellungsweise der Wintergartenteile, deren Ablauf die Beklagte detailliert unter Vorlage verschiedener Bestellungen und Planungsunterlagen vorgetragen hat, begründet. Der Kläger ist diesem Vortrag lediglich pauschal und damit unbeachtlich entgegengetreten.

Nach dem insoweit zugrunde zu legenden Ablauf werden die Dächer der Wintergärten aus Profilbauteilen zusammengesetzt und dann die Dichtungen und Abdeckleisten auf die jeweilige Länge zugeschnitten. Bereits diese Bereiche und Einzelteile wären zwar theoretisch wiederverwendbar, allerdings lediglich an kürzeren oder kleineren Bauteilen. Außerdem liegt nahe, dass bei weitgehend automatisierter Fertigung die erneute Verwendung bereits auf Länge zugeschnittener Teile einen unwirtschaftlichen Aufwand darstellt.

Offensichtlich ist auch, dass die hergestellten Seiten- und Frontteile nicht ohne Substanzverlust demontiert werden können. Bei der Fertigung von Kunststofffenstern werden die Profile in den Eckbereichen verschweißt und sind somit nicht ohne Zerstörung trennbar. Dieser Vortrag wäre nur dann unerheblich, wenn hier nicht nach individuellen Maßen gefertigt würde, sondern die Kunden nur die Auswahl zwischen verschiedenen Standardgrößen haben, die dann bereits in Serie vorgefertigt und nur zusammengestellt werden. Mit ihren Plänen und Bestellunterlagen hat die Beklagte aber nachvollziehbar dargelegt, zwar mit einem hohen Standardisierungs- und Automatisierungsgrad zu bestellen und fertigen zu lassen. Dies ändert aber nichts daran, dass im Grundsatz belegt wird, dass individuelle Gegebenheiten wie die Einbindung von Treppenbereichen oder sonstigen Besonderheiten erfolgt und die Bestellungen auf jeden Einzelfall angepasst sind. Durch den Umstand, dass die Fensterelemente nur durch ihre faktische Zerstörung zerlegt werden können, ist offensichtlich, dass sie sich nur mit einem deutlich höheren Aufwand als fünf Prozent des Warenwertes wieder trennen lassen.

(3) Schließlich ist auch die weitere Voraussetzung der Bereichsausnahme gegeben, da die vorgefertigten Wintergärten wegen ihres hohen Grades der Individualisierung nur noch mit erheblichen wirtschaftlichen Verlusten weiterveräußert werden können. Zwar könnte theoretisch ein Wintergarten, der nach häufiger vorkommenden Maßen gefertigt wurde und bei dem keine oder nur wenige Besonderheiten in den Wand- oder Bodenanschlüssen vorliegen, auch an einem anderen Haus aufgebaut werden. Ein solcher Handel mit vorgefertigten Wintergärten liegt jedoch außerhalb des Geschäftsmodells der Beklagten. Auch wenn der Kläger mit dem vorgelegten Vertrag einen Fall geschildert hat, in dem der verkaufte Wintergarten durch ein als Standard erscheinendes Maß gekennzeichnet ist, hat er hierdurch nicht widerlegt, dass der Vertrieb der Beklagten darauf gerichtet ist, gerade die individuellen Besonderheiten der Aufstellorte zu berücksichtigen und sich damit vom Verkauf vorgefertigter Standardbauten, wie sie z. B. in Baumärkten angeboten werden, abzusetzen. Zudem mag es wie im vorliegenden Einzelfall dazu kommen, dass ein Wintergarten mit 4006 mm x 3006 mm anderweitig verwendbar und zu verkaufen wäre. Der Kläger hat aber nicht belegt, dass dies in anderen oder häufigeren Fällen so ist. Vielmehr hat die Beklagte durch die Vorlage zahlreicher abweichender Maße dargelegt, dass es sich hierbei um Einzelfälle handelt. Hierzu bedurfte es nicht der weiteren, ungeordnet eingereichten zahlreichen Fotos und Skizzen, die mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 02.03.2021 vorgelegt wurden. Die bereits zuvor eingereichten Unterlagen belegten dies ausreichend. Auch das Vertriebsmodell der Beratung durch selbstständige Handelsvertreter eignet sich weniger, einen ggf. bestehenden wechselnden Lagerbestand an Wintergärten mit wechselnden Abmessungen zu vertreiben.

c) Der Senat konnte ohne weitere Beweisaufnahme entscheiden. Der Substanzverlust, der bei Trennung der aus Kunststoff hergestellten Fensterelemente zu berücksichtigen ist, ist offenkundig. Dass auf ein Standard-Profilsystem bei der Herstellung zurückgegriffen wird, reicht hierfür nicht, dies ist im Fensterbau üblich. Entscheidend ist, dass es auf Maß angefertigt wird. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem mit Schriftsatz vom 01.07.2020 vorgelegten Vertrag. Es mag sein, dass bei den dortigen Bestellern bis auf die Festlegung der Grundfläche wenig Daten zu erheben waren. Die Fertigung aus Fertigteilen oder die einfache Möglichkeit, den Wintergarten auch an anderer Stelle aufzustellen, ergibt sich hieraus nicht (s. o.). Weitere Verträge, aus denen sich Indizien für eine Vorfertigung nach Standardmaßen ergäben, liegen nicht vor.

d) Die Bereichsausnahme für das Widerrufsrecht ist auch nicht für einen begrenzten Zeitraum bis zum Beginn der Fertigung ausgeschlossen (vgl. hierzu Staudinger, a. a. O., Rn. 26; AG München VuR 2017, 191). Denn der EuGH hat mit Urteil vom 21.10.2020 (Rechtssache C-529/19) entschieden, dass die der Regelung des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB zugrundeliegende Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Ausnahme vom Widerrufsrecht einem Verbraucher unabhängig davon entgegengehalten werden kann, ob der Unternehmer mit deren Herstellung begonnen hat oder nicht (Rn. 30 nach juris).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Schleswig-Holstein: Keine Entschädigung wegen Schließung aufgrund des Corona-Lockdowns aus Betriebsschließungsversicherung - pandemische Ausnahmesituation kein Versicherungsfall

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 10.05.2021
16 U 25/21

Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass einem betroffenen Unternehmen keine Entschädigung wegen Schließung aufgrund des Corona-Lockdowns aus einer Betriebsschließungsversicherung zusteht, da eine pandemische Ausnahmesituation kein Versicherungsfall darstellt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Erstes Urteil aus dem Versicherungsrecht: Corona-Pandemie – kein Anspruch auf Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung

Muss ein Gaststättenbetreiber seinen Betrieb aufgrund der Schleswig-Holsteinischen Landesverordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie schließen, so steht ihm kein Anspruch auf Ersatz des Ertragsausfallschadens aus einer Betriebsschließungsversicherung zu. Die Corona-Pandemie und die in ihrer Folge erlassenen Verordnungen stellen keinen Versicherungsfall dar. Das hat der 16. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche entschieden.

Zum Sachverhalt: Der Kläger ist Betreiber einer Gaststätte. Er unterhält bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung, die ihm einen schließungsbedingten Ertragsausfallschaden bis zu einer Dauer von 30 Tagen ersetzen soll. Aufgrund einer im Zuge der Corona-Pandemie erlassenen, zum 18. März 2020 wirksamen Landesverordnung der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung musste der Kläger seine Gaststätte schließen. Die beklagte Versicherung wies die von ihm angemeldeten Entschädigungsansprüche zurück. Mit seiner Klage begehrt er die Feststellung, dass die Beklagte ihm zur Zahlung einer Entschädigung aus der Versicherung verpflichtet ist. Das Landgericht Lübeck hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Beklagten keine Entschädigungszahlung aus der Betriebsschließungsversicherung erlangen. Die Corona-Pandemie und die in ihrer Folge ergangenen Verordnungen stellen keinen Versicherungsfall dar. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Versicherungsbedingungen. Danach sind nur solche Gefahren versichert, die aus dem einzelnen Betrieb selbst herrühren (sogenannte endogene oder intrinsische Gefahren) und aufgrund derer die zuständige Behörde eine konkrete, einzelfallbezogene Maßnahme zur Bekämpfung einer Infektionsgefahr erlässt, die aus dem konkreten Betrieb stammt. Betriebsschließungen aufgrund genereller gesellschafts- und gesundheitspolitischer Maßnahmen in einer pandemischen Ausnahmesituation sind demgegenüber nicht versichert.

Unabhängig davon kommt eine Entschädigungsleistung aus der Betriebsschließungsversicherung auch deshalb nicht in Betracht, weil das Corona-Virus in den Versicherungsbedingungen bei den namentlich genannten versicherten Krankheiten und Krankheitserregern nicht aufgeführt ist. Die Aufzählung ist abschließend und das Corona-Virus deshalb nicht in den Versicherungsschutz einbezogen. (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 10. Mai 2021, Az. 16 U 25/21, Revision ist zugelassen)



OLG Schleswig-Holstein: Wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für "grünen Regionalstrom"

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 03.09.2020
6 U 16/19


Das OLG Schleswig-Holstein hat eine wettbewerbswidrige Irreführung durch Werbung für "grünen Regionalstrom" untersagt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Oberlandesgericht verbietet irreführende Werbung im Zusammenhang mit "grünem Regionalstrom"

Irreführung durch folgende Werbung: "Sauberer Strom aus der Nachbarschaft: Ob aus Wind, Sonne oder Biomasse - wir vernetzen dich mit dem Strom, der in deiner Nähe erzeugt wird. Direkt vom Anlagenbetreiber in deine Steckdose. So bekommst du 100 % saubere Energie."

Zum Sachverhalt: Der Kläger ist ein Verein zur Förderung lauteren Geschäftsverkehrs. Die Beklagte vermittelt Energielieferungsverträge mit Unternehmen, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen. Die Beklagte bewirbt ihr Angebot u. a. mit der oben zitierten Werbeaussage. Daneben verwendet sie in ihrer Werbung den Begriff "grüner Regionalstrom". Der Kläger verlangt von der Beklagten die Unterlassung dieser Werbeaussagen, die nach seiner Auffassung wettbewerbswidrig sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der 6. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat kürzlich entschieden, dass die Werbeaussagen irreführend und von der Beklagten zu unterlassen sind.

Aus den Gründen: Der Kläger kann von der Beklagten gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) die Unterlassung der beanstandeten Werbeaussagen verlangen, denn sie sind irreführend (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG). Die Werbeaussage "Direkt vom Anlagenbetreiber in deine Steckdose" erweckt den Eindruck, dass der gelieferte Strom unmittelbar und direkt aus der Anlage desjenigen Betreibers stammt, mit dem der Verbraucher den Energielieferungsvertrag abgeschlossen hat. Dieser Eindruck wird auch durch den weiteren Inhalt des Werbeauftritts unterstrichen. Das ist jedoch objektiv falsch, weil der Anlagenbetreiber den erzeugten Strom in das allgemeine Stromnetz einspeist und sich der Strom dort mit Strom aus anderen Quellen vermischt.

Auch die Aussage, dass die Beklagte "grünen Regionalstrom" vermittele, ist unlauter, weil der beworbene Strom nicht nur aus Anlagen in räumlicher Nähe des Verbrauchers stammt. Unter den Beschreibungen "grüner Regionalstrom" und "Sauberer Strom aus der Nachbarschaft" versteht der Verbraucher solchen Strom, der aus Wind, Sonne oder Biomasse in einer Stromerzeugungsanlage in seiner Nähe gewonnen wird. Da die Werbung die räumliche Nähe und die Förderung des lokalen Wirtschaftskreislaufs in den Vordergrund stellt, ist der Begriff der Region eng zu verstehen. Entscheidend ist, ob die Anlage aus Sicht des verständigen Verbrauchers noch als Teil der lokalen Wirtschaft angesehen werden kann. Das ist bei dem von der Beklagten vermittelten Strom nicht durchgehend der Fall. Sie vermittelt auch Strom aus Anlagen, die mehrere 100 km von dem interessierten Verbraucher entfernt stehen.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 3. September 2020, Az. 6 U 16/19)