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OLG Frankfurt: Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords

OLG Frankurt
Urteil vom 10.02.2022
6 U 126/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz wegen unberechtigter Abmahnung aufgrund angeblicher Markenrechtsverletzung durch Google Adwords besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, da die unberechtigte Abmahnung des Beklagten vom 11.10.2019 einen Eingriff in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Dabei kann sowohl dahinstehen, ob die Klägerin zu Unrecht als Täterin in Anspruch genommen worden ist, obwohl insoweit davon auszugehen ist, dass Google die Zuordnung zwischen dem Suchwort „Polzar“ und der Anzeige der Klägerin autonom hergestellt hat, als auch ob Google als Beauftragte nach § 15 Abs. 6 MarkenG haften würde, da sich die Abmahnung des Beklagten schon allein deshalb als rechtswidrig erweist, weil es der Anzeige an einer kennzeichenmäßigen Verwendung im Sinne von § 15 Abs. 2 MarkenG fehlt.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in aller Regel keine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vor, wenn die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält (vgl. BGH GRUR 2014, 182, Rn 20 ff. - Fleurop; BGH GRUR 2013, 290 Rn 26 - MOST-Pralinen, m.w.N.).

Der verständige Internetnutzer erwartet in einem von der Trefferliste räumlich, farblich oder auf andere Weise deutlich abgesetzten und mit dem Begriff „Anzeigen“ gekennzeichneten Werbeblock nicht ausschließlich Angebote des Markeninhabers oder mit ihm verbundener Unternehmen. Ihm ist klar, dass eine notwendige Bedingung für das Erscheinen der Anzeige vor allem deren Bezahlung durch den Werbenden ist. Ihm ist zudem bekannt, dass regelmäßig auch Dritte bezahlte Anzeigen bei Suchmaschinen schalten. Er hat daher keinen Anlass zu der Annahme, eine bei Eingabe einer Marke als Suchwort in der Anzeigenspalte erscheinende AdWords-Anzeige weise allein auf das Angebot des Markeninhabers oder eines mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmens hin. Rechnet der Internetnutzer mit Angeboten, die nicht vom Markeninhaber oder von mit ihm verbundenen Unternehmen stammen, bedarf es daher keines Hinweises auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion auszuschließen.

Für geschäftliche Bezeichnungen kann insoweit nichts anderes gelten.

Diese Voraussetzungen sind bei der streitgegenständlichen Anzeige erfüllt. Sie befand sich in einem vom generischen Suchergebnis abgetrennten Bereich und war mit „Anzeige“ gekennzeichnet.

Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Vorliegen besonderen Umstände ausnahmsweise auch für den Fall, dass die Werbeanzeige in einem von der Trefferliste eindeutig getrennten und entsprechend gekennzeichneten Werbeblock erscheint und selbst weder die Marke noch sonst einen Hinweis auf den Markeninhaber oder die unter der Marke angebotenen Produkte enthält, ein Hinweis auf das Fehlen einer wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Werbenden und dem Markeninhaber erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke auszuschließen, liegen diese Umstände hier nicht vor.

(1) Der EuGH hat in der Sache „Interflora“ ausgeführt, es könne in Fällen, in denen das Vertriebsnetz des Markeninhabers aus zahlreichen Einzelhändlern zusammengesetzt sei, für den normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer besonders schwer sein, ohne Hinweis des Werbenden zu erkennen, ob dieser zu diesem Vertriebsnetz gehöre oder nicht (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 52 - Interflora/M&S). Deshalb habe das nationale Gericht unter Berücksichtigung dieses Umstands und anderer Faktoren, die es als relevant erachte, zu beurteilen, ob ein solcher Internetnutzer, der in seinem Suchbegriff die Marke verwende, auf Grund der in der Werbeanzeige verwendeten Formulierungen erkennen könne, dass der Einzelhändler nicht zum Vertriebsnetz des Markeninhabers gehöre (EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 53). Die Rechtsprechung des EuGH ist zwar für das rein nationale Recht des Unternehmenskennzeichens nicht bindend; indes verlangt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kennzeichenrechte bei der Anwendung originär dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen gewidmeter Normen die Berücksichtigung originär markenrechtlicher Wertungen (vgl. BGH GRUR 2001, 344, 345 - DB Immobilienfonds).

(2) Der Senat hat in einer Parallelsache (…/19) - in der zwar nicht der Markeninhaber das Vertriebsnetz betrieb, sondern der Verantwortliche für die AdWords-Anzeige - eine kennzeichenmäßige Verwendung bejaht. Auch in dieser Konstellation komme es dazu, dass der Verkehr keinen Aufschluss darüber erhalte, ob eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Markeninhaber und Nutzer der Marke besteht (vgl. EuGH GRUR 2011, 1124, Rn 49 - Interflora/M&S). Für eine Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion sei ausreichend, dass die Ad-Words-Anzeige hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Ware oder Dienstleistung so vage gehalten sei, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf Grund des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen könne, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder mit ihm wirtschaftlich verbunden ist (vgl. EuGH GRUR 2010, 445 Rn 89 f. - Google France und Google; EuGH GRUR 2011, 1124 Rn 45 - Interflora/M&S). Dieser Effekt trete sowohl in der der Fleurop-Rechtsprechung zugrunde liegenden Konstellation eines Vertriebssystems auf der Markeninhaberseite als auch in einem gleichsam „umgedrehten“ Fall auf, indem der Markeninhaber einem Vertriebssystem zugeordnet werde, dem er tatsächlich nicht angehöre. Der Verkehr nehme an, der - offensichtlich mit dem Markeninhaber nicht identische - Werbende stehe mit diesem in wirtschaftlicher Verbindung.

Allerdings hat der Senat die Anwendung der „Fleurop“-Grundsätze nur für möglich gehalten, wenn der Verkehr auch Kenntnis von dem Vertriebssystem hat, zu dem fälschlich eine Zuordnung erfolgen soll. In der Fleurop-Entscheidung war dem Verkehr das Vertriebssystem „bekannt“; in der Senatsentscheidung ergab sich dies aus der Anzeige selbst, da dort das Vertriebssystem des Werbenden ausdrücklich erwähnt wurde und so für den Verkehr erkennbar war. Derartiges findet sich in der Anzeige der Klägerin nicht. Die Anzeige beschränkt sich auf eine allgemeine Bewerbung von „unsichtbaren Zahnspangen“, so dass eine Ausnahme von den Adwords-Grundsätzen ausscheidet und es dabei bleibt, dass hier eine kennzeichenmäßige Benutzung nicht vorliegt.

b) Es fehlt auch nicht an der erforderlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs in den Gewerbebetrieb der Klägerin.

Ein Schadensersatzanspruch setzt neben einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eine Interessenabwägung voraus (BGH GRUR 2009, 878 - Fräsautomat; BGH GRUR 2006, 432 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH GRUR 2006, 433 - unbegründete Abnehmerverwarnung), da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein offener Tatbestand ist, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben. Diese geht hier zu Lasten des Beklagten aus.

Zugunsten des Abgemahnten ist grundsätzlich sein Interesse zu berücksichtigen, davor geschützt zu werden, zur Vermeidung von Schadenersatzansprüchen wegen der vermeintlichen Verletzung der Schutzrechte einschneidende unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie etwa die Einstellung oder Modifizierung von Herstellung und Vertrieb. Hier hätte die Klägerin zur Einstellung der behaupteten Verletzungshandlung zwar lediglich das Wort „Polzar“ bei Google auf die Blacklist setzen lassen müssen, so dass die Interessen der Klägerin durch die unberechtigte Abmahnung nicht so schwerwiegend beeinträchtigt wurden, wie in Fällen, in denen es um die Einstellung von Produktion oder Vertrieb schlechthin geht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass derjenige, der fahrlässig zu Unrecht ein Ausschließlichkeitsrecht geltend macht und damit schuldhaft unberechtigterweise mit einschneidenden Rechtsfolgen droht, die das Gesetz zugunsten des Inhabers eines solchen vorsieht, „näher dran“ ist als derjenige, der - und sei es gleichfalls fahrlässig - nicht erkannt hat, dass das Ausschließlichkeitsrecht zu Unrecht geltend gemacht worden ist (BGH, NJW 2005, 3141, 3144 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung).

c) Schließlich hat der Beklagte auch schuldhaft, nämlich fahrlässig, gehandelt.

Für unberechtigte Schutzrechtsverwarnungen gilt wegen der damit verbundenen weitreichenden Konsequenzen ein strenger Verschuldensmaßstab (BGH GRUR 2006, 432, 433 - Verwarnung aus Kennzeichenrechten II). Darin liegt der Ausgleich für den strengen Sorgfaltsmaßstab, dem Dritte zur Vermeidung von Schutzrechtsverletzungen unterliegen. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Verwarners dürfen andererseits nicht so groß sein, dass er wegen des drohenden Haftungsrisikos von der Geltendmachung berechtigter Ansprüche abgehalten wird.

Art und Umfang der Sorgfaltspflichten eines Verwarners werden maßgeblich dadurch bestimmt, inwieweit er auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechts vertrauen darf (BGH GRUR 2006, 432 Rn 25 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II; BGH WRP 2018, 950 Rn 89 - Ballerinaschuh). Bei geprüften wie ungeprüften Rechten handelt schuldhaft, wer bei sorgfältiger Prüfung zu der Erkenntnis gelangen muss, dass kein Eingriff in sein Schutzecht vorliegt. Allerdings gilt bei der Beurteilung, ob in den Schutzumfang des Rechts eingegriffen wird, ein etwas großzügigerer Maßstab als bei der Prüfung, ob überhaupt ein Schutzrecht besteht (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Omsels UWG, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn 506 - 509).

Danach kann hier ein Verschulden nicht verneint werden. Die fehlende Berechtigung der Abmahnung ergibt sich nicht aus einem fehlenden Bestand des Schutzrechts, sondern aus der fehlenden markenmäßigen Benutzung. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur markenmäßigen Nutzung in Adword-Fällen ist seit Jahren bekannt und gefestigt. Soweit für Fälle von Vertriebssystemen Ausnahmen gemacht werden, liegt ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vor. Bei einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung wäre diese fehlende Rechtsverletzung zu erkennen gewesen.

Soweit nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1974 (BGH GRUR 1974, 290, 292 - Maschenfestser Strumpf) ein Verschulden zu verneinen sein kann, wenn sich der Abmahnende auf den Rat seiner fach- und rechtskundigen Berater verlassen hat, die nach eingehender Untersuchung die der Verwarnung zugrunde liegenden Schutzrechte für schutzfähig gehalten und die abgemahnte Handlungsweise als schutzrechtsverletzend angesehen habe, fehlt es hier an entsprechendem Vortrag zu Art und Umfang der fachkundigen Prüfung. Insbesondere ist nicht vorgetragen, ob und warum bei einer Prüfung durch einen Rechtsanwalt die Problematik der markenmäßigen Nutzung nicht erkannt worden wäre, die rechtlich hier nicht einmal als umstritten angesehen werden kann.

3. Im Hinblick auf die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 sind die hierdurch entstandenen Kosten dem Grunde nach ebenfalls ersatzfähig.

a) Allerdings sind grundsätzlich die Kosten der Gegenabmahnung unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht ersatzfähig, da der Abgemahnte bei der Gegenabmahnung ausschließlich im eigenen Interesse handelt und nicht zugleich im Interesse des Abmahners (Harte/Henning/Brüning UWG, § 12 Rn 112.; MüKoUWG/Ottofülling UWG, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn 111 - 113).

Eine Gegenabmahnung kann jedoch vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage ausnahmsweise dann erforderlich sein, wenn dafür ein besonderer Grund vorliegt. Ein solch besonderer Anlass für die Gegenabmahnung ist z.B. in Fällen bejaht worden, in denen der Abmahnende erkennbar von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen war (BGH GRUR 2004, 790, 792 - Gegenabmahnung; OLG München WRP 1996, 928, 929; OLG München WRP 1997, 979, 80) oder in denen seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und der Abmahnende in diesem entgegen seiner Androhung keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat. Denn nur in solchen Fällen entspricht eine Gegenabmahnung dem mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Abmahnenden und kann der Abgemahnte daher die Kosten der Gegenabmahnung erstattet verlangen (BGH GRUR 2004, 790).

b) Ein solcher Fall, in dem eine Abmahnung ausnahmsweise dem mutmaßlichen Willen und Interesse des Beklagten entsprach, lag hier vor.

Seit der Abmahnung durch den Beklagten war bereits ein längerer Zeitraum verstrichen (fünf Monate), ohne dass der Beklagten die angedrohte gerichtliche Geltendmachung vorgenommen hatte oder von der Abmahnung ausdrücklich Abstand genommen hatte. Die Klägerin musste daher davon ausgehen, dass es im Interesse des Beklagten lag, ihm durch eine Abmahnung den Weg zu weisen, von seiner Berühmung ohne Durchführung eines Gerichtsverfahrens Abstand zu nehmen.

Die Behauptung des Beklagten, sein Prozessbevollmächtigter hätte bereits direkt nach der Abmahnung mündlich erklärt, die Ansprüche nicht weiter geltend machen zu wollen, ist zum einen bestritten und nicht mit einem Beweisangebot unterlegt; zum anderen ist die allein mündliche Verzichtserklärung nicht geeignet, der Klägerin die nötige Rechtssicherheit zu verschaffen.

4. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch allerdings nur in Höhe von 2.348,94 €, basierend auf einer 1,3 Gebühr aus 100.000 € zu, da die Abmahnung vom 11.10.2019 und die Gegenabmahnung vom 14.4.2020 zwei Gegenstände anwaltlicher Tätigkeit, aber eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG darstellen.

a) Gemäß § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren „in derselben Angelegenheit nur einmal fordern“. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen sind in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin). Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst oder in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 24 - Der Novembermann; BGH GRUR 2019, 763 Rn 17 - Ermittlungen gegen Schauspielerin).

Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn ein dem Rechtsanwalt zunächst erteilter Auftrag vor dessen Beendigung später ergänzt wird. Ob eine Ergänzung des ursprünglichen Auftrags vorliegt oder ein neuer Auftrag erteilt wurde, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH GRUR 2019, 1044 Rn 25 - Der Novembermann). Allerdings kann es an einem inneren Zusammenhang und damit einer einheitlichen Angelegenheit dann fehlen, wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen den einzelnen Abmahnungen liegt.

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier von einer Angelegenheit auszugehen.

Der notwendige innere Zusammenhang besteht. Dem Betroffenen einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung ist mit der Abwehr der Abmahnung allein nicht gedient. Vielmehr gewinnt er die nötige Rechtssicherheit nur dadurch, dass der Gegner entweder auf seinen Unterlassungsanspruch verzichtet oder im Wege der negativen Feststellungsklage rechtskräftig festgestellt wird, dass der begehrte Unterlassungsanspruch nicht besteht.

Die für die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat jedenfalls nicht vorgetragen, dass abweichend hiervon zunächst nur ein Auftrag zur Abwehr der Abmahnung erteilt worden wäre und später die Klägerin erneut beauftragt hätte. Selbst in diesem Fall wäre aber eine nachträgliche Erweiterung des bereits bestehenden Auftrages anzunehmen, so dass auch in diesem Fall nur eine Angelegenheit vorliegen würde.

Der Annahme einer Angelegenheit steht auch nicht ein zu großer zeitlicher Abstand entgegen. Die Abwehr der Abmahnung erfolgte am 15.11.2019, die Gegenabmahnung am 14.4.2020. Der hierin liegende Abstand von fünf Monaten ist nicht geeignet, den notwendigen Zusammenhang aufzulösen.

c) Dies führt dazu, dass der Wert des Abwehrschreibens in Höhe von 50.000 € sowie der Gegenabmahnung in Höhe von 50.000 € zu addieren sind. Der sich hieraus ergebende Wert der Angelegenheit in Höhe von 100.000 € bildet die Grundlage für die Berechnung einer 1,3 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer; dies führt zu einem Betrag in Höhe von 2.348,94 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Teilweise zu weitgehende Abmahnung wegen Schutzrechtsverletzung - kein Schadensersatz wenn zu Unrecht beanstandete Verhalten nicht zu erwarten ist

BGH
Urteil vom 07.07.2020
X ZR 42/17
Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung III
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass bei einer teilweise zu weitgehenden Abmahnung wegen einer Schutzrechtsverletzung, dann kein Schadensersatzanspruch wegen eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb beseht, wenn das zu Unrecht beanstandete Verhalten vom Abgemahnten ohnehin nicht zu erwarten war.

Leitsätze des BGH:

a) Erfolgt eine Schutzrechtsverwarnung teilweise zu Recht, geht sie aber ihrem Umfang nach über das hinaus, was der Rechtsinhaber berechtigterweise fordern kann, liegt darin kein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, wenn das zu Unrecht beanstandete Verhalten vom Verwarnten nach den gesamten Umständen vernünftigerweise nicht zu erwarten ist.

b) Soweit die an einen Abnehmer gerichtete Schutzrechtsverwarnung unberechtigt ist, liegt darin kein Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Herstellers, wenn ihr insoweit die Eignung
fehlt, dessen Geschäftstätigkeit zu beeinträchtigen.

BGH, Teilversäumnis- und Schlussurteil vom 7. Juli 2020 - X ZR 42/17 - OLG Frankfurt am Main - LG Frankfurt am Main

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Hamburg: Facebook muss automatisch und ohne Zustimmung des jeweiligen Unternehmens bzw. Betroffenen generierte Facebook-Seite löschen

LG Hamburg
Urteil vom 13.02.2020
312 O 372/18


Das LG Hamburg hat entschieden, dass Facebook eine automatisch und ohne Zustimmung des jeweiligen Unternehmens bzw. Betroffenen generierte Facebook-Seite löschen muss. Insofern liegt ein rechtswidriger Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bzw. ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor.

LG Hamburg: Unterlassungsanspruch und Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten wenn Mitbewerber Amazon unberechtigt aus einem löschungsreifen Gebrauchmuster und nur im Ausland geltenden Designrechten

LG Hamburg
Urteil vom 24.05.2018
327 O 364/17


Das LG Hamburg hat entschieden, dass ein Unterlassungsanspruch und damit ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten besteht, wenn Mitbewerber Amazon unberechtigt aus einem löschungsreifen Gebrauchmuster und nur im Ausland geltenden Designrechten abmahnt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Der von der Klägerin noch geltend gemachte Abmahnkostenersatzanspruch folgt im tenorierten Umfang aus den §§ 670, 677, 683 BGB.

Die Klägerin hat sich mit ihrer Abmahnung vom 15.09.2017 (Anlage K 15) zu Recht - auf der Grundlage der §§ 823 Abs. 1, 1004 (analog) BGB wegen eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffes in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb - gegen das von der Beklagten an A. gesendete Abmahnschreiben gewendet, soweit in jenem auch das dort angeführte Gebrauchsmuster sowie die dort angeführten Designrechte als Grundlage für den von der Beklagten gegenüber A. geltend gemachten Unterlassungsanspruch angeführt worden sind.

1.

Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben (st. Rspr.; vgl. nur BGH GRUR 2006, 432 f., Rn. 23 - Verschulden bei unbegründeter Schutzrechtsverwarnung m. w. N.). Die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs wird nicht indiziert, sondern ist in jedem Einzelfall unter Heranziehung aller Umstände zu prüfen (BGH a. a. O.). Dabei legt der Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen (BGH [GSZ] GRUR 2005, 882 ff. - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung) die Annahme nahe, dass dies auch bei einem unbegründeten Vorgehen aus einem Schutzrecht gilt, so dass die Rechtswidrigkeit auch eines unbegründeten Vorgehens aus einem Schutzrecht nicht ohne weiteres, sondern erst auf Grund einer Interessen- und Güterabwägung beurteilt werden kann (BGH a. a. O., Rn. 24).

2.

Im Hinblick auf das von der Beklagten in der Abmahnung geltend gemachte Gebrauchsmuster gemäß den Anlagen K 4 und B 34 hat im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Abmahnung Löschungsreife bestanden.

Gemäß § 13 Abs. 1 GebrMG wird der Gebrauchsmusterschutz durch die Eintragung nicht begründet, soweit gegen den als Inhaber Eingetragenen für jedermann ein Anspruch auf Löschung besteht. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG hat jedermann gegen den als Inhaber Eingetragenen Anspruch auf Löschung des Gebrauchsmusters, wenn der Gegenstand des Gebrauchsmusters nach den §§ 1 bis 3 GebrMG nicht schutzfähig ist. Gemäß § 3 Abs. 1 GebrMG gilt der Gegenstand eines Gebrauchsmusters als neu, wenn er nicht zum Stand der Technik gehört. Der Stand der Technik umfasst alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche Beschreibung oder durch eine im Geltungsbereich dieses Gesetzes erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Eine innerhalb von sechs Monaten vor dem für den Zeitrang der Anmeldung am maßgeblichen Tag erfolgte Beschreibung oder Benutzung bleibt außer Betracht, wenn sie auf der Ausarbeitung des Anmelders oder seines Rechtsvorgängers beruht. Neuheitsschädlich ist danach das gesamte in einer Weise bereitstehende Wissen, dass die Fachwelt hierauf Zugriff nehmen könnte. Eine Vorbenutzung schließt bereits dann die Neuheit der beanspruchten Lehre aus, wenn sie lediglich eine tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme der beanspruchten Lehre durch die Öffentlichkeit bietet (BGH GRUR 1997, 892, 894 - Leiterplattennutzen).

Das Gebrauchsmuster der Beklagten ist am 24.11.2016 angemeldet worden. Die Stiftung „Warentest“ hat unstreitig am 22.05.2015 einen Schnelltest der Matratze „B.“ veröffentlicht (Anlage B 20). Die Stiftung „Warentest“ muss daher vorher über eine Matratze „B.“ verfügt haben. Dass die Gewebestruktur des Matratzenbezuges nur durch Aufschneiden hätte analysiert werden können, wie die Beklagte behauptet, ist unerheblich, weil die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme der Lehre ausreicht. Diese Möglichkeit hat bestanden.

3.

Die von der Beklagten gegenüber A. geltend gemachten Designrechte haben keinen Schutz in Deutschland beansprucht. Im Hinblick auf jene Designs waren unter „Contracting Parties designated under the 1999 Act“ jeweils lediglich die Türkei und die Vereinigten Staaten von Amerika gemäß Art. 1 Nr. xix des Hague Agreement Concerning the International Registration of Industrial Designs benannt. Soweit in den jene Designs betreffenden Registrierungszertifikaten jeweils unter „Contracting Party of which the holder is a national“ „Germany, European Union“ benannt ist, handelt es sich bei den unter jenem Punkt benannten Territorium nicht um ein solches, in dem das betreffende Design Schutz genießt.

4.

Soweit die streitgegenständliche Abmahnung auf die o. g. Gebrauchsmuster- und Designrechte gestützt worden war, ist sie nach einer Interessen- und Güterabwägung auch rechtswidrig sowie schuldhaft erfolgt. Im Hinblick auf die geltend gemachten Designrechte ergibt sich deren territoriale Reichweite ohne Weiteres aus den Registrierungszertifikaten. Im Hinblick auf das Gebrauchsmuster der Beklagten hatte sie selbst die „B.“-Matratze bereits in neuheitsschädlicher Zeit der Stiftung „Warentest“ zur Verfügung gestellt.

5.

Soweit sich die Beklagte in ihrer Abmahnung gegenüber A. indes auf marken- und lauterkeitsrechtliche Ansprüche gestützt hat, liegt jedenfalls kein schuldhafter Eingriff in den ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb - und auch keine gezielte Behinderung i. S. v. § 4 Nr. 4 UWG - der Klägerin durch die Beklagte vor, so dass im Ergebnis dahinstehen kann, ob die streitgegenständliche Abmahnung insoweit begründet oder unbegründet und rechtswidrig gewesen ist. Im Hinblick auf den von der Beklagten geltend gemachten Unterlassungsanspruch aufgrund ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes hat das Landgericht Köln - nunmehr rechtskräftig - einen Unterlassungsanspruch der Beklagten gegen den Vertrieb der Matratze der Klägerin aus den §§ 3, 4 Nr. 3 lit. a) UWG festgestellt. Soweit die Beklagte in der streitgegenständlichen Abmahnung markenrechtliche Ansprüche geltend gemacht hat, hat Warenidentität, eine erhebliche schriftbildliche und klangliche Zeichenähnlichkeit aufgrund des identischen Bestandteils „Body“ der Kollisionszeichen sowie auch eine begriffliche Zeichenähnlichkeit bestanden, da mit beiden Kollisionszeichen der Schutz des Körpers zum Ausdruck gebracht wird, und stehen die Marken der Beklagten in Kraft.

6.

Die Bejahung eines Unterlassungsanspruchs gegen die von der Beklagten gegenüber A. ausgesprochene Abmahnung in ihrer konkreten Form steht schließlich nicht im Widerspruch zu BGH GRUR 2016, 1300 ff. - Kinderstube, sondern vielmehr im Einklang mit dieser. Mit dem BGH ist auch die erkennende Kammer der Auffassung, dass für eine begründete vorgerichtliche Abmahnung, mit der ein einheitlicher Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, der auf mehrere Rechtsgrundlagen gestützt wird, aus den §§ 670, 677, 683 BGB Aufwendungsersatz verlangt werden kann, da sich in einem solchen Fall die Abmahnung im Ergebnis insgesamt als objektiv nützlich und zur Streiterledigung geeignet erwiesen hat. Das indes rechtfertigt es nicht, einem Abmahnenden die Geltendmachung tatsächlich nicht bestehender Rechte zuzubilligen. Vielmehr erweckt ein Abmahnender durch die Geltendmachung weiterer - tatsächlich in dem geltend gemachten Umfang nicht bestehender - Rechte zur Begründung seines Unterlassungsanspruchs beim Empfänger der Abmahnung den Eindruck, der geltend gemachte, einheitliche Unterlassungsanspruch bestehe aus mehreren Gründen sowie in Bezug auf - wie vorliegend - unterschiedliche Aspekte des von der Abmahnung betroffenen Gegenstandes, wie vorliegend die Produktbezeichnung (Markenrechte), das Matratzendesign (Designrechte) und den Matratzenbezug (Gebrauchsmusterrecht).

7.

Der Höhe nach kann die Klägerin von der Beklagten einen Abmahnkostenersatz indes lediglich auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von 50.000,00 € verlangen. Dieser Gegenstandswert bildet den in der unberechtigten Geltendmachung von Design- und Gebrauchsmusterrechten in der gegenüber A. ausgesprochenen Abmahnung liegenden Angriffsfaktor hinreichend ab, da im Übrigen ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin durch die von der Beklagten gegenüber A. ausgesprochene Abmahnung nicht vorliegt.

Soweit die Klägerin eine Zinszahlung „in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz“ - ohne zeitliche Eingrenzung - beansprucht, kann sie Zinsen lediglich wie tenoriert in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und ab Rechtshängigkeit verlangen (§§ 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB).

8.

Die von der Beklagten im Hinblick auf die mit Schriftsatz der Klägerseite vom 15.02.2018 erfolgte Änderung des Klageantrags zu Ziff. I erhobene Einrede der Verjährung (§ 11 UWG) greift nicht durch. Die Verjährung der streitgegenständlichen Ansprüche war bereits mit der durch die Zustellung der Klageschrift vom 29.09.2017 an die Beklagte am 12.10.2017 erfolgte Klageerhebung gehemmt worden. Mit der Änderung des Klageantrags zu Ziff. I hat die Klägerin lediglich einen offenbaren Schreibfehler im Klageantrag zu Ziff. I dahin korrigiert, dass sie - die S. GmbH - die Beklagte wegen der von dieser gegenüber A. ausgesprochenen Abmahnung wegen des Vertriebes ihrer, der Klägerin, Matratze, „s. 1. Kaltschaummatratze B. 1. D.“ und nicht wegen des Vertriebes der Matratze eines Dritten in Anspruch nehme."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OVG Münster: Apotheke darf keine Rezept-Sammelbox für verschreibungspflichtige Medikamente im Supermarkt aufstellen

OVG Münster
Urteil vom 02.07.2018
13 A 2289/16


Das OVG Münster hat entschieden, dass eine Apotheke keine Rezept-Sammelbox für verschreibungspflichtige Medikamente in einem Supermarkt aufstellen darf.

Apotheke darf keine Rezepte in einem Supermarkt sammeln

Eine Apothekerin aus Herne darf keine Box zum Sammeln von Rezepten in einem nahegelegenen Supermarkt aufstellen und die bestellten Arzneimittel den Kunden nach Hause liefern. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute entschieden.

Die Apothekerin betreibt im Eingangsbereich eines Supermarkts, der wenige Kilome­ter von ihrer Apotheke entfernt liegt, eine Sammelbox, in die Kunden Rezepte und Bestellscheine für Arzneimittel einwerfen können. Nach dem Einsammeln der Ver­schreibungen und Bestellungen durch die Mitarbeiter der Apothekerin werden die Medikamente innerhalb des Herner Stadtgebiets durch einen kostenlosen Boten­dienst nach Hause geliefert, außerhalb des Stadtgebiets erhalten die Kunden die Arzneimittel durch einen Logistikdienstleister gegen Versandkosten. Die Stadt Herne untersagte der Apothekerin das Betreiben der Sammeleinrichtung. Die hiergegen gerichtete Klage der Apothekerin wies das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ab. Diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht nun bestätigt.

Zur Begründung hat der 13. Senat ausgeführt: Nach den apothekenrechtlichen Vor­schriften sei zwischen der Abgabe von Arzneimitteln unmittelbar an Kunden in Prä­senzapotheken und dem Versand von Arzneimitteln zu unterscheiden. Andere Abga­bemöglichkeiten sehe der Gesetzgeber nicht vor. Die Sammelvorrichtung in dem Su­permarkt sei nicht als eine einer Präsenzapotheke zugeordnete sogenannte Rezept­sammelstelle ausnahmsweise zulässig, weil die Rezeptsammlung nicht zur Versor­gung eines abgelegenen Ortsteils erforderlich sei. Die Sammelbox sei auch nicht von der der Klägerin erteilten Erlaubnis zum Versand von Arzneimitteln umfasst. Das praktizierte Vertriebskonzept stelle sich unter den konkreten Umständen des Falls wegen der engen räumlichen Bindung an die Präsenzapotheke nicht als Versand­handel dar. Das Bestellsystem der Klägerin richte sich zielgerichtet und nahezu aus­schließlich an Kunden des Supermarkts bzw. Einwohner der Stadt Herne, die dem räumlichen Einzugsgebiet der Präsenzapotheke zugeordnet werden könnten. Zudem würden die Arzneimittel an diese Kunden ausnahmslos durch das Personal der Apo­thekerin ausgeliefert.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Aktenzeichen: 13 A 2289/16 (I. Instanz: VG Gelsenkirchen 19 K 5025/15)



OLG Frankfurt: Bezeichnung eines Unternehmens als Sekte durch ehemaligen Mitarbeiter kann zulässige Meinungsäußerung sein

OLG Frankfurt
Urteil vom 28.06.2018
16 U 105/17


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Bezeichnung eines Unternehmens als Sekte durch einen ehemaligen Mitarbeiter eine zulässige Meinungsäußerung sein kann.

Die Pressemitteilung des OLG Frankfurt:

Sektenvorwurf unterfällt freier Meinungsäußerung

Das Oberlandesgericht von Main (OLG) hat mit heute veröffentlichtem Urteil bekräftigt, dass die Bezeichnung eines Unternehmens als „Sekte“ dem Schutz der freien Meinungsäußerung unterfällt, hinter den der soziale Geltungsanspruch des Unternehmens zurücktritt.

Die Klägerin ist im Bereich der Medienproduktion tätig. Der Beklagte ist ein früherer Mitarbeiter der Klägerin. Er hat zwischenzeitlich mit anderen ein eigenes Unternehmen im Bereich der Medienproduktion gegründet. Der Beklagte wuchs in einer Glaubensgruppe auf, die er 2012 verlassen hat. In zahlreichen Presseveröffentlichungen, Medienauftritten und Berichten auf seiner Facebook-Seite äußerte er u.a., dass es sich bei der Gruppe um eine Sekte handele und deren Mitglieder auch hinter der Klägerin als Unternehmen stünden. Die Staatsanwaltschaft ermittele gegen die Gründer der Klägerin.

Die Klägerin nahm den Beklagten auf Unterlassung dieser und einer Vielzahl weiterer Äußerungen in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung die Klägerin, die vor dem OLG nach Rücknahme des größten Teils der zunächst gestellten Anträge nur zu einem Teil Erfolg hatte.

Der Beklagte dürfe allerdings, so das OLG, nicht mehr behaupten, dass die Staatsanwaltschaft gegen die Gründer der Klägerin ermittele. Insoweit handele es sich um eine unrichtige Tatsachenbehauptung. Ein Ermittlungsverfahren sei tatsächlich ausschließlich gegen die Witwe des ehemaligen Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin geführt worden. Diese sei indes zu keinem Zeitpunkt in den Gründungsvorgang der Klägerin involviert gewesen.

Der Beklagte sei jedoch berechtigt, die Klägerin gegenüber deren Kunden und Mitgliedern eines beruflichen Netzwerks als Sekte zu bezeichnen. Zwar betreffe diese Bezeichnung die Klägerin in ihrem „sozialen Geltungsanspruch“. So würden im allgemeinen Sprachgebrauch Sekten „oft als religiöse Gruppen bezeichnet, die in irgendeiner Weise als gefährlich oder problematisch angesehen werden“. Die Äußerung sei damit geeignet, das Unternehmen in den Augen der Rezipienten negativ zu qualifizieren. Da der Beklagte diese Aussagen auch gezielt gegenüber den Kunden der Klägerin verbreitet habe, auf deren Aufträge die Klägerin zur Ausübung ihres Geschäftsbetriebs angewiesen sei, habe sein Verhalten sogar den „Charakter eines Boykottaufrufs“.

Unter Abwägung der betroffenen Interessen der Klägerin einerseits und des Beklagten andererseits sei die damit verbundene Beeinträchtigung der Klägerin jedoch nicht als rechtswidrig einzuordnen. Das Interesse der Klägerin am Schutz ihres sozialen Geltungsanspruchs als Wirtschaftsunternehmen überwiege nicht das Interesse des Rechts des Beklagten auf freie Meinungsäußerung. Auch ein Boykottaufruf könne „dem geistigen Meinungskampf“ dienen, wenn der „Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten“. Dies sei hier der Fall. Der Beklagte habe primär die „Aufklärung und Information der Kunden der Klägerin über die dort vorherrschenden ideologischen Wertvorstellungen und intern bestehenden Strukturen“ bezweckt. Denkbare eigene wirtschaftliche Vorteile hätten demgegenüber nicht im Vordergrund gestanden.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Mit der beim BGH einzulegenden Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 28.06.2018, Az. 16 U 105/17
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 30.05.2017, Az. 2-03 O 278/16)


Neuer Beitrag in der Internet World Business von RA Marcus Beckmann - Konkrete Erlaubnis - BGH präzisiert Anforderungen an Einwilligung zum Empfang von E-Mail-Werbung

In Ausgabe 10/17, S. 17 der Zeitschrift Internet World Business erschien ein Beitrag von Rechtsanwalt Marcus Beckmann mit dem Titel "Konkrete Erlaubnis - BGH präzisiert Anforderungen an Einwilligung zum Empfang von E-Mail-Werbung".


Siehe auch zum Thema BGH: Einwilligung zum Empfang von Werbemails muss beworbene Unternehmen sowie Produkte benennen und unterliegt AGB-Kontrolle - Spam

BGH: Einwilligung zum Empfang von Werbemails muss beworbene Unternehmen sowie Produkte benennen und unterliegt AGB-Kontrolle - Spam

BGH
Urteil vom 14.03.2017
VI ZR 721/15
BGB § 1004, § 823; BDSG § 28


Der BGH hat entschieden, dass die Einwilligungserklärung zum Empfang von Werbemails die beworbenen Unternehmen und Produkte benennen muss. Ist die Einwilligung zu allgemein formuliert, ist diese unwirksam. Zudem stellt der BGH klar, dass die Einwilligungserklärung der AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB unterliegt.

Leitsätze des BGH:

1. Die ohne wirksame Einwilligung an eine geschäftliche E-Mail-Adresse versandte Werbe-E-Mail stellt einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. September 2013 - I ZR 208/12, GRUR 2013, 1259).

2. Eine wirksame Einwilligung in den Empfang elektronischer Post zu Werbezwecken setzt u.a. voraus, dass der Adressat weiß, dass seine Erklärung ein Einverständnis darstellt, und dass klar ist, welche Produkte oder Dienstleistungen welcher Unternehmen sie konkret erfasst. Eine vorformulierte Einwilligungserklärung ist an den §§ 305 ff. BGB zu messen (Fortführung von BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - I ZR 169/10, GRUR 2013, 531).

3. Zur Anwendbarkeit von § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG, wenn der zur Unterlassung von Werbung mittels elektronischer Post Verpflichtete die E-Mail-Adresse des Betroffenen gegen dessen Willen nutzen möchte, um sie zu Lösch- oder Sperrzwecken an seine Werbepartner weiterzuleiten.

BGH, Urteil vom 14. März 2017 - VI ZR 721/15 - LG Berlin AG Tempelhof-Kreuzberg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Rechtsanwalt kann bei unberechtigter Abmahnung / Schutzrechtsverwarnung bei fahrlässiger Falschberatung des Schutzrechtsinhabers gegenüber Abgemahnten auf Schadensersatz haften

BGH
Versäumnisurteil vom 01.12.2015
X ZR 170/12
Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II
BGB § 823


Der BGH hat entschieden, dass der Rechtsanwalt eines Schutzrechtsinhabers, der für seinen Mandanten eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung / Abmahnung ausspricht, gegenüber dem zu Unrecht Abgemahnten auch selbst unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf Schadensersatz haften kann. Hat der Anwalt den Schutzrechtsinhaber jedoch umfassend über die rechtlichen Risiken belehrt und möchte dieser dennoch, dass die Schutzrechtsverwarnung / Abmahnung ausgesprochen wird, so scheidet eine Haftung des Anwalts gegenüber dem Abgemahnten aus.

Leitsätze des BGH:

a) Den vom Schutzrechtsinhaber im Hinblick auf eine Schutzrechtsverwarnung eingeschalteten Rechtsanwalt trifft gegenüber dem später Verwarnten eine Garantenpflicht dahin, den Schutzrechtsinhaber nicht in einer die Rechtslage unzutreffend einschätzenden Weise über die Berechtigung der Schutzrechtsverwarnung zu beraten.

b) Geht die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung auf eine fahrlässig unzutreffende Rechtsberatung des Schutzrechtsinhabers durch einen Rechtsanwalt zurück, kann der Rechtsanwalt neben dem Schutzrechtsinhaber unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schadensersatz
verpflichtet sein.

c) Hat der Rechtsanwalt den Schutzrechtsinhaber bei unklarer Rechtslage auf alle wesentlichen Gesichtspunkte hingewiesen, die für oder gegen eine Verletzung des Schutzrechts sprechen, und entscheidet sich der Schutzrechtsinhaber trotz der aufgezeigten Bedenken dazu, die Verwarnung auszusprechen, kommt eine Haftung des Rechtsanwalts wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung nach § 823 Abs. 1 BGB regelmäßig nicht in Betracht.

BGH, Versäumnisurteil vom 1. Dezember 2015 - X ZR 170/12 - OLG Frankfurt a. M.

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OLG Frankfurt: Nicht jede unberechtigte Abmahnung wegen einer Schutzrechtsverletzung löst einen Schadensersatzanspruch aus - Zum urheberrechtlichen Schutz von Bedienungsanleitungen

OLG Frankfurt
Urteil vom 26.05.2015
11 U 18/14


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass nicht jede unberechtigte Abmahnung wegen einer Schutzrechtsverletzung einen Schadensersatzanspruch des Abgemahnten auslöst. Zudem hat sich das Gericht mit der Frage befasst, wann Bedienungsanleitungen urheberrechtlich geschützt sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Inverkehrbringen der Bedienungsanleitung verletzte auch das urheberrechtliche Verbreitungsrecht des Klägers an dem hierin verkörperten Schriftwerk und den Fotografien (§§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 72 UrhG, 15 Abs. 1 Nr. 2, 17 UrhG).

Die Bedienungsanleitung stellt in ihrer Gesamtheit ein schutzfähiges Schriftwerk gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dar. Als persönlich geistige Schöpfungen im Sinne von § 2 UrhG sind Erzeugnisse anzusehen, die durch den Inhalt oder durch ihre Form oder durch die Verbindung von Inhalt und Form etwas Neues und Eigentümliches darstellen. Bei Sprachwerken gilt insofern der Grundsatz der "kleinen Münze" (vgl. BGH GRUR 2014, 175 – Geburtstagszug Rn. 18). Dabei kann bei wissenschaftlichen Werken die Schutzfähigkeit ihre Grundlage allein in der - notwendig schöpferischen - Form der Darstellung finden. Sie sind deshalb schutzfähig bei einer eigenschöpferischen Gedankenformung und -führung des dargestellten Inhalts und/oder der besonders geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes (vgl. BGH GRUR 1981, 659 – Ausschreibungsunterlagen). Die Urheberrechtsschutzfähigkeit Gebrauchszwecken dienenden Schriftgutes erfordert ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials (BGH GRUR 1993, 34 – Bedienungsanweisung). Auf dieser Grundlage ergibt sich vorliegend, dass das Schriftwerk der Bedienungsanleitung über hinreichende Schutzfähigkeit verfügt. Die Länge des streitgegenständlichen Textes – dies ist die Grundvoraussetzung – gibt Raum, die Reihenfolge der Darstellung zu schützen. Die Reihenfolge selbst ist Ausdruck einer eigenschöpferischen, eigentümlichen Gedankengestaltung und –führung und individueller Prägung. Der Kläger hat die von ihm ausgewählten Informationen zu den verschiedenen Einzelbereichen in der Weise angeordnet, dass dem Leser im Anschluss an die Vermittlung allgemeiner Informationen Erläuterungen in der Reihenfolge dargelegt werden, wie er sie üblicherweise nach Erwerb des Produkts benötigt. So folgen den allgemeinen Informationen zu den Themen Sicherheit, erforderliche Kennzeichnung und Hauptkomponenten Erläuterungen über die Montage und Aufstellung, den Betrieb, die Wartung und Pflege, sowie über Entsorgung des Produkts. Insbesondere die sprachliche Darstellung im Abschnitt der Montage und Aufstellung zeichnet sich durch eine prägnante Anordnung der technischen Inhalte in Gestalt einer sprachlichen Einzelanleitung der vorzunehmenden Handlungsschritte aus, die zur Verbesserung der Übersichtlichkeit in Einzelabschnitte unterteilt ist, wobei einzelne Aspekte durch besondere Darstellung als „Hinweis“ hervorgehoben sind. Die besondere Übersichtlichkeit und Verständlichkeit wird an anderer Stelle durch eine tabellarische Darstellung gewährleistet. Daher ergibt sich nach Maßgabe eines Gesamtvergleichs, dass die sprachliche Darstellung das Alltägliche, Handwerksmäßige der mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials deutlich übersteigt und damit eine persönliche geistige Schöpfung beinhaltet.

Daneben kann der Kläger gemäß § 72 UrhG auch Urheberrechte an den in der Bedienungsanleitung enthaltenen 30 Fotografien geltend machen.

[...]

Allerdings kann die unbegründete Verwarnung, mit der vorliegend nicht lediglich wettbewerbsrechtliche, sondern auch markenrechtliche Ansprüche geltend gemacht wurden, ebenso wie eine sonstige unberechtigte Schutzrechtsverwarnung unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zum Schadensersatz verpflichten (grundlegend BGH, NJW 2005, 3141 – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; kritisch hierzu für die Herstellerverwarnung Ohly/Sosnitza/Ohly, UWG, 6. Auflage, § 4 Rn. 10/38). Das dem Schutzrechtsinhaber verliehene Ausschließlichkeitsrecht schließt jeden Wettbewerber von der Benutzung des nach Maßgabe der jeweiligen gesetzlichen Vorschriften definierten Schutzgegenstands aus. Diese einschneidende, die Freiheit des Wettbewerbs begrenzende Wirkung des Ausschließlichkeitsrechts verlangt nach einem Korrelat, welches sicherstellt, dass der Wettbewerb nicht über die objektiven Grenzen hinaus eingeschränkt wird, durch die das Gesetz den für schutzfähig erachteten Gegenstand und seinen Schutzbereich bestimmt (BGH, aaO).

Allerdings stellt der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einen offenen Auffangtatbestand dar, der lediglich den gesetzlichen Schutz ergänzen und bestehende Haftungslücken ausfüllen soll. Inhalt und Grenzen des Anspruchs ergeben sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre. Die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs wird daher nicht indiziert, sondern ist in jedem Einzelfall unter Heranziehung aller Umstände zu prüfen (vgl. BGH GRUR 2006, 432 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht II Rn. 23f.; BGH, GRUR 2009, 878 – Fräsautomat Rn. 17; vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 2013, 507; Müko-Wagner, BGB, 6. Auflage, § 823 Rn. 264f., der eine Interessenabwägung allerdings erst im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung für erforderlich hält; Ohly, aaO, § 4 Rn. 10/38; offen gelassen von OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.10.2014 – I 15 U 49/14 Rn. 136). Das Erfordernis einer Interessenabwägung für die Feststellung der Rechtswidrigkeit gilt dabei in besonderem Maße, wenn - wie im vorliegenden Fall - sich die Verwarnung nicht gegen einen Abnehmer, sondern gegen den Hersteller richtet. Im Fall der Herstellerverwarnung erscheint es nicht angemessen, das Schadensrisiko dann, wenn die Abmahnung sich als unberechtigt erweist, ohne weiteres auf den Verwarnenden zu verlagern, indem dem Verwarnten ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zugestanden wird. Denn der Verwarnende besitzt in einem solchen Fall im Allgemeinen bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage keinen entscheidenden Informationsvorsprung gegenüber dem Verwarnten. Die Beurteilung der Schutzrechtslage kann zwar schwierig sein; dies gilt dann aber für beide Seiten in gleicher Weise. Auch besteht im Fall der Herstellerverwarnung weitgehend Waffengleichheit; der Verwarnte kann sich prozessual durch Erhebung einer negativen Feststellungsklage zur Wehr setzen (vgl. Ohly, aaO, § 4 Rn. 10/38). Insofern unterscheidet sich die Interessenlage von der unberechtigten Abmahnung eines Abnehmers. Denn der abgemahnte Abnehmer, der auf Konkurrenzprodukte oder andere Lieferanten ausweichen kann, ist erfahrungsgemäß leichter geneigt, sich der Verwarnung zu beugen und auf diese Weise den mit einem Rechtsstreit verbundenen Nachteilen aus dem Weg zu gehen (BGH, NJW 2005, 3141, 3142, 3144; Ahrens/Achilles, Der Wettbewerbsprozess, 7. Auflage, Kap. 4 Rn. 19ff.)."




Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Apotheke darf keine Rezept-Sammelbox für verschreibungspflichtige Medikamente im Supermarkt aufstellen

OLG Hamm
Urteil vom 12.05.2015
4 U 53/15


Das OLG Hamm hat entschieden, dass es einer Apotheke nicht gestattet ist, eine Rezept-Sammelbox für verschreibungspflichtige Medikamente im Supermarkt aufzustellen. Die so bestellten Medikamente wurden dann per Bote geliefert oder konnten in der Apotheke abgeholt werden. Das Gericht sah in diesem Geschäftsmodell mehrere Verstöße gegen die Apothekenbetriebsordnung und damit zugleich einen Wettbewerbsverstoß.

Die Pressemitteilung des OLG Hamm:

"Oberlandesgericht Hamm untersagt das Sammeln von Rezepten im Eingangsbereich eines Lebensmittelmarktes

Ein Apotheker darf im Eingangsbereich eines Lebensmittelmarktes keine Einrichtung zum Einsammeln von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel unterhalten und für diese werben, wenn so bestellte Arzneimittel in der Apotheke abgeholt oder durch einen Boten der Apotheke ausgeliefert werden sollen. Das hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.05.2015 unter Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die klagende Apothekeninhaberin aus Herne verlangt von ihrer Konkurrentin, ebenfalls Inhaberin von Apotheken in Herne, es zu unterlassen, im Eingangsbereich eines Lebensmittelmarktes in Herne eine Einrichtung zum Sammeln von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu unterhalten und für diese zu werben. Bei der mit einer Werbetafel und Werbeflyern beworbenen Sammelstelle der Beklagten können Kunden Rezepte in Umschlägen in eine Sammelbox einwerfen.
Dabei können die Kunden wählen, ob sie die Arzneimittel in der Apotheke der Beklagten selbst abholen oder durch einen Boten der Apotheke ausgeliefert erhalten wollten.

Die Klägerin hat gemeint, dass die Beklagte eine nach der Apothekenbetriebsordnung unzulässige und zudem behördlich nicht genehmigte Rezeptsammelstelle unterhalte. Im Wege der einstweiligen Verfügung hat sie verlangt, der Beklagten das Unterhalten und Bewerben der Sammelstelle im Bereich des Lebensmittelmarktes zu untersagen. Die Beklagte, die über eine Erlaubnis zum Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln verfügt, hat demgegenüber gemeint, die Sammelstelle
als Teil des ihr erlaubten Versandhandels betreiben zu dürfen.

Der Verfügungsantrag der Klägerin war erfolgreich. Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat der Beklagten das Unterhalten und Bewerben der infrage stehenden Einrichtung zum Einsammeln von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel untersagt. Mit der Sammelstelle unterhalte die Beklagte eine Rezeptsammelstelle im Sinne der Apothekenbetriebsordnung und betreibe nicht lediglich den ihr erlaubten Versandhandel mit Arzneimitteln. Über die Sammelstelle biete sie nämlich das Abholen oder Ausliefern der bestellten Medikamente in einer Weise an, für die die Apothekenbetriebsordnung Regeln aufstelle. Dabei stelle die Sammelstelle auch nicht lediglich eine “PickUp-Stelle“
im Sinne der apothekenrechtlichen Rechtsprechung dar, weil sie keine Stelle zum Abholen von Medikamenten sei.
Mit dem Betrieb der Rezeptsammelstelle verstoße die Beklagte gegen die Apothekenbetriebsordnung. Über die nach der Apothekenbetriebsordnung notwendige Erlaubnis für den Betrieb einer Rezeptsammelstelle, verfüge sie nicht. Zudem dürfe nach der Apothekenbetriebsordnung eine Rezeptsammelstelle nicht in einem Gewerbebetrieb unterhalten werden. Auch dagegen verstoße die Rezeptsammelstelle der Beklagten, die in einem Lebensmittelsupermarkt und mithin in einem
Gewerbebetrieb im Sinne der Apothekenbetriebsordnung platziert worden sei.

Rechtskräftiges Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12.05.2015 (4 U 53/15)"



OLG Frankfurt: Unternehmen hat Unterlassungsanspruch gegen Ratingagentur bei unberechtigter schlechter Bewertung der Bonität - Scoring

OLG Frankfurt am Main
Urteil vom 07.04.2015
24 U 82/14


Das OLG Frankfurt hat völlig zu Recht einer Ratingagentur untersagt, einem Unternehmen eine schlechte Bewertung über die Bonität (Scoring) zu erteilen, wenn die Bewertung ohne sachliche Grundlage erfolgt. Das Unternehmen hat in einem solchen Fall einen entsprechenden Unterlassungsanspruch gegen die Ratingagentur. Zudem besteht ein Anspruch auf Schadensersatz.

Die Pressemitteilung des OLG Frankfurt:

"Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilte Ratingagentur zur Unterlassung schlechten Scorings eines Unternehmens

Mit einem am 07.04.2015 verkündeten und heute in schriftlicher Form vorliegenden Urteil hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einer Ratingagentur untersagt, über ein im Rhein-Main-Gebiet ansässiges Unternehmen eine schlechte Bewertung (Scoring) zu erteilen.

Die Klägerin betreibt seit den 1990er-Jahren ein Unternehmen im Bereich der Luftfahrtindustrie. Eine Insolvenz oder Zahlungsausfälle sind bei ihr bisher nicht vorgekommen. Die Beklagte betreibt eine Wirtschaftsauskunftei, in der sie Informationen und Analysen über Unternehmen sammelt und hieraus Bonitätsauskünfte erstellt, die auf Anfrage Dritten zur Verfügung gestellt werden.

Die Klägerin wurde von der Beklagten mit dem "Risikoindikator 4", dem schlechtesten von vier Werten angegeben. Ferner heißt es in der Bewertung der Klägerin "Das Ausfallrisiko wird als hoch eingestuft" sowie "Sicherheiten empfohlen“.
Die Klägerin, die auf die schlechte Bewertung durch eine ihrer Kundinnen aufmerksam gemacht wurde, wandte sich durch einen Anwalt an die Beklagte und forderte Aufklärung. Die Beklagte stufte die Klägerin danach eine Stufe besser mit "3" und das Ausfallrisiko mit "überdurchschnittlich" ein.

Die Klägerin erhob hierauf Klage gegen die Beklagte mit dem Antrag, es zu unterlassen, gegenüber Dritten eine schlechte Risikoeinschätzung der Klägerin abzugeben und ihr Ausfallrisiko als hoch einzustufen.
Das in erster Instanz zuständige Landgericht folgte der Verteidigung der Beklagten und wies die Klage ab, weil es sich bei den Bewertungen lediglich um Werturteile handele, die - anders als Tatsachenbehauptungen - einer exakten Nachprüfung nicht zugänglich seien. Auf die hierauf von der Klägerin eingelegte Berufung kassierte das OLG das Urteil des Landgerichts und verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

Zur Begründung führt das OLG aus: Die von der Beklagten abgegebene äußerst negative Bewertung der Kreditwürdigkeit der Klägerin sei ohne jegliche sachliche Basis. Das Vorgehen der Beklagten bei der Abgabe ihrer verschiedenen Bewertungen sei von einer verantwortungslosen Oberflächlichkeit geprägt und verletze das Recht der Klägerin, keine rechtswidrigen Eingriffe in ihren Gewerbebetrieb erleiden zu müssen. Maßstab für das Ratingagenturen erlaubte Verhalten sei § 28 b Bundesdatenschutzgesetz. Nach dieser Vorschrift dürfe ein "Wahrscheinlichkeitswert für ein bestimmtes zukünftiges Verhalten erhoben oder verwendet werden, wenn die zur Berechnung des Wahrscheinlichkeitswertes genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit des bestimmten Verhaltens erheblich sind". Zwar seien die sog. "Scoreformeln" selbst sowie die Basisdaten nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 14.1.2014, VI ZR 156/13 als geschütztes Geschäftsgeheimnis der Ratingagentur anzusehen. Vorliegend erwecke die Beklagte bei ihren Kunden aus der Wirtschaft aber den Eindruck einer umfassenden Verwertung der verschiedensten Variablen über das bewertete Unternehmen. Genauer betrachtet stütze sie die schlechte Bewertung der Klägerin jedoch einzig und allein darauf, dass es sich bei der Klägerin nicht um eine Kapitalgesellschaft, sondern einen eingetragenen Einzelkaufmann handele. Das reiche nicht aus, da die Verwertung dieses Einzelfaktors dem Maßstab einer komplexen, auf statistischen und wissenschaftlichen Algorithmen beruhenden Bewertung nicht genüge.

Gegen die Entscheidung kann Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt werden.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 7.4.2015, Aktenzeichen 24 U 82/14 (vorausgehend: LG Darmstadt, Urteil vom 31.1.2014, Aktenzeichen 10 O 37/13)"



BGH: Wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, wenn sie scharf und überzogen ist

BGH
Urteil vom 16.12.2014
VI ZR 39/14
BGB § 823 Ah; § 824; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 12; MRK Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1

Leitsätze des BGH:


a) § 824 Abs. 1 BGB bietet keinen Schutz vor abwertenden Meinungsäußerungen. Dies gilt auch für Äußerungen, in denen Tatsachen und Meinungen sich vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind.

b) Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb schützt auch das Interesse des Unternehmers daran, dass seine wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf
sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihm abgehalten werden.

c) Eine wertende Kritik an der gewerblichen Leistung eines Wirtschaftsunternehmens ist in der Regel auch dann vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, wenn sie scharf und überzogen
formuliert ist; sie kann nur unter engen Voraussetzungen als Schmähkritik angesehen werden.

BGH, Urteil vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 39/14 - OLG Frankfurt in Kasse - LG Kassel

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Geltendmachung von Abofallen-Forderungen durch Inkassounternehmen unlauter - Boykottaufruf an Bank durch Verbraucherschutzverband aber auch unzulässig

OLG Frankfurt
Urteil vom 26.03.2013
6 U 184/12


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die Geltendmachung von Abofallen-Forderungen durch ein Inkassounternehmen unlauter ist, sofern dieses Kenntnis von dem Sachverhalt hat.

Ein Boykottaufruf an eine Bank, wo das Inkassounternehmen ein Konto unterhält, durch einen Verbraucherschutzverband ist nach Ansicht des Gerichts jedoch jedenfalls dann unzulässig, sofern der Verband gerichtlich gegen das Inkassounternehmen vorgegangen ist.

Die vollständige Enstcheidung des OLG Frankfurt finden Sie hier: