Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass die Bezeichnung einer Politikerin als "dämliches Stück Hirn-Vakuum" in sozialen Medien eine unzulässige Schmähkritik ist.
Die Pressemitteilung des Gerichts: OLG Stuttgart: Bezeichnung als „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ ist eine Schmähkritik, die nicht hingenommen werden muss
Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute den Autor eines Facebook-Beitrags, in dem eine deutsche Politikerin als „dämliches Stück Hirn-Vakuum“ bezeichnet wird, zur Unterlassung verurteilt und insoweit die Entscheidung der Vorinstanz abgeändert. Hinsichtlich des über den Unterlassungsanspruch hinaus geltend gemachten Geldentschädigungsanspruchs blieb die Klage allerdings ohne Erfolg.
Die Klägerin, die unter anderem als Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund, als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei und als stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts tätig war, hat auf Twitter Dieter Nuhr als Reaktion auf einen Beitrag in dessen Sendung „Nuhr im Ersten“ kritisiert und dabei u.a. die Worte „ignorant, dumm und uninformiert“ verwendet. Hierzu hat der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Brandenburg auf Facebook Stellung genommen. Unter diesem Beitrag hat der Beklagte kommentiert: „Selten so ein dämliches Stück Hirn-Vakuum in der Politik gesehen wie C.. Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen.“ Die Klägerin hat den Beklagten wegen dieses – mittlerweile gelöschten – Beitrags zunächst abmahnen lassen und sodann Klage auf Unterlassung und Schmerzensgeld erhoben. Der Beklagte hat geltend gemacht, er sei nicht der Urheber des Beitrags, jemand müsse sich seines Notebooks bemächtigt haben. Das Landgericht Heilbronn hat die Klage in erster Instanz vollumfänglich abgewiesen und ausgeführt, der Beitrag sei jedenfalls noch von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Entscheidung des Senats
Der Senat hat dem Unterlassungsantrag stattgegeben.
Bei der Äußerung handele es sich um eine Schmähkritik, für die der Beklagte hafte, weil er seinen Rechner und sein Facebook-Nutzerkonto nicht ausreichend vor fremden Zugriffen gesichert und keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen vorgetragen habe, die eine nach höchstrichterlichen Grundsätzen entwickelte Vermutungswirkung entfallen ließen. Zudem sei der Senat nach den Ausführungen des Beklagten in der Berufungsverhandlung davon überzeugt, dass er den streitgegenständlichen Beitrag selbst verfasst hat, denn er habe sich mehrfach von den Äußerungen distanziert, gleichzeitig den Beitrag aber damit verteidigt, dass es ihm erlaubt sein müsse, auf die Klägerin als Politikerin zu reagieren, um diese angesichts ihres (vom Beklagten näher beschriebenen) eigenen Verhaltens „fertig zu machen“.
Bei der Annahme einer Schmähung sei zwar grundsätzlich Zurückhaltung geboten, im Fall des Beklagten sei aber davon auszugehen, weil bei seinem Beitrag nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe und seine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung habe, sondern es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher gehe:
Mit der Aussage auf dem Facebook-Nutzerkonto des Beklagten werde die Klägerin durch die Verwendung der Begriffe „dämlich“ und „Hirn-Vakuum“ als dumme und hirnlose Politikerin charakterisiert, die aus der Politik verschwinden soll („abtauchen“). Es handele sich um eine Äußerung, die durch die zusätzliche Verwendung des Begriffs „Stück“ (konkret: dämliches Stück Hirn-Vakuum) eine die Klägerin abwertende und diffamierende Komponente enthalte, weil ein Mensch (oder dessen Teile) nicht als Stück bezeichnet wird, da ihm damit jede persönliche Würde abgesprochen wird (Art. 1 GG). Die Aussage stehe zwar im Kontext der Beiträge der Klägerin und des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Brandenburg und knüpfe damit äußerlich an eine – öffentlich geführte – Auseinandersetzung an, sei aber völlig von der vorherigen Auseinandersetzung losgelöst, indem die Klägerin nur persönlich beschimpft und angegangen werde. Auch wenn die Klägerin zunächst selbst stark abwertende und ebenfalls persönlichkeitsrechtsverletzende Begriffe verwandt habe – „ignorant, dumm und uninformiert“ –, könne der unsägliche Kommentar des Beklagten nicht mehr als adäquate Reaktion auf das Vorverhalten der Klägerin angesehen werden.
Bei der Aussage „Soll einfach abtauchen und die Sozialschulden ihrer Familie begleichen“ handele es sich ebenfalls um ein Werturteil, das nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Darin sei eine Herabsetzung von Immigranten zu sehen und der Klägerin angesonnen, zu verschwinden oder abzuhauen und den Mund zu halten. Auch insoweit fehle jeglicher Bezug zu der Diskussion um das Verhalten des Kabarettisten Dieter Nuhr, weshalb auch diese Aussage allein dazu diene, die Klägerin verächtlich zu machen.
Den ebenfalls geltend gemachten Geldentschädigungsanspruch hat der Senat mit der Begründung verneint, dass es trotz der eheblichen Persönlichkeitsrechtsverletzung an dem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorausgesetzten unabwendbaren Bedürfnis für die Zubilligung einer Geldentschädigung fehle, zumal die Klägerin selbst starke Worte benutzt und den Diskurs damit erst veranlasst habe und der streitgegenständliche Beitrag zeitnah gelöscht worden sei. Vor diesem Hintergrund sei der zugesprochene Unterlassungstitel ausreichend.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, nachdem es sich um einen Einzelfall handele; eine grundsätzliche Bedeutung sei nicht erkennbar. Die Entscheidung ist damit rechtskräftig.
OLG Stuttgart - 4 U 58/23 - LG Heilbronn - 8 O 85/22
OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 26.09.2023 16 U 95/23
Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Twitter- / X-Kommentar mit "#DubistEinMann“ zum Post einer Transfrau zum Thema "Terf" keine Schmähkritik darstellt und von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.
Die Pressemitteilung des Gerichts: Keine Schmähkritik „#DubistEinMann“ ist eine zulässige Meinungsäußerung
Die Beklagte kommentierte einen Beitrag der Klägerin auf der Plattform „X“ u.a. mit „#DubistEinMann“. Diese Aussage ist unter Berücksichtigung des Kontextes und nach Abwägung der involvierten Interessen als zulässige Meinungsäußerung einzuordnen, beschloss das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichter Entscheidung und folgte damit der Einschätzung des Landgerichts. Die Klägerin nahm daraufhin ihren Eilantrag zurück.
Die Klägerin ist als Journalistin tätig. Sie ist Transfrau und Aktivistin. Ebenso wie die Beklagte ist sie auf der Plattform „X“, vormals Twitter, aktiv. Die Klägerin veröffentlichte dort den Beitrag: „Beim @Frauenrat tummeln sich gerade jede Menge #TERF #TERFs in den Kommentaren. Gebt dem Frauenrat doch mal ein wenig Support (Herz-Emoji)“. Die Beklagte kommentierte dies mit „8 likes (Smiley-Emoji mit lachendem Gesicht und Schweißtropfen) times changed! #DubistEinMann“. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren es zu unterlassen, hinsichtlich ihrer Person zu verbreiten, „sie sei ein Mann“. Das Landgericht hatte den Antrag zurückgewiesen.
Diese Einschätzung teilte auch das OLG. Die Klägerin könne nicht verlangen, dass die streitgegenständliche Äußerung unterlassen werde, bestätigte das OLG die landgerichtliche Entscheidung im Rahmen seines Hinweisbeschlusses. Der Aussagegehalt der angegriffenen Äußerung sei im Kontext mit dem sonstigen Inhalt des Tweets aus Sicht eines verständigen und unvoreingenommenen Lesers zu ermitteln. Demnach kommentiere die Beklagte die Äußerung und den Aufruf der Klägerin und bekunde ihre ablehnende Meinung zu dem in dem verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates thematisierten Recht auf Selbstbestimmung und Transgeschlechtlichkeit. Der Post der Beklagten stelle sich als Antwort auf den Post der Klägerin und den dort verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates dar. Vor dem angefügten Hashtag befinde sich der eigentliche Kommentar der Beklagten. Das Smiley-Emoji solle die Witzigkeit unterstreichen. Mit ihrem Kommentar bringe die Beklagte zum Ausdruck, dass das Thema an gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren und die Einstellung hierzu sich geändert habe.
„Aufgrund der Schreibweise der nachfolgenden Äußerung ohne Leerzeichen und der atypischen Großschreibung des unbestimmten Artikels „ein“ sowie der Einkleidung als Hashtag versteht der Leser diese (#dubistEinMann) nicht als persönliche Ansprache der Klägerin im Sinne einer direkten Rede, sondern als verallgemeinernde, d.h. an jede Transfrau gerichtete Aussage“, vertiefte das OLG. Der Begriff „Mann“ korreliere für den Leser erkennbar mit dem von der Klägerin in ihrem Hashtag verwendeten Akronym „terf“ (Trans-Exclusionary Radical Feminist), „der für einen Feminismus steht, der transFrauen ausschließt und ausdrücken soll, dass die damit bezeichnete „transgeschlechtliche“ Personen, insbesondere Transfrauen, diskriminiert oder die Transidentität als solche infrage gestellt wird“. Prägend für die Lesart des Lesers sei auch, dass Hashtags insbesondere zur Verschlagwortung und Indexierung von Inhalten genutzt würden; durch die Verknüpfung mit anderen Beiträgen solle gerade Öffentlichkeit generiert werden.
Das Landgericht habe auch zu Recht verneint, dass hier Schmähkritik vorliege. Der Äußerung lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte die Klägerin losgelöst vom Inhalt ihres Posts und des damit verlinkten Beitrags des Deutschen Frauenrats und damit abseits der Sachdebatte als Person herabwürdigen und diffamieren wolle.
Dem Recht der Beklagten auf Meinungsäußerungsfreiheit gebühre hier gegenüber dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Klägerin und ihrer geschlechtlichen Identität der Vorrang. Zu berücksichtigen sei u.a., dass sich die Klägerin wiederholt selbst aktiv in die Öffentlichkeit begeben und das Selbstbestimmungsrecht und ihr eigenes Geschlecht zum Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses gemacht habe. Mit den von der Klägerin gesetzten Hashtags habe diese bewusst die dahinterstehende „Community“ angesprochen. Der hier thematisierte Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes und die damit verbundenen Wirkungen berührten die Öffentlichkeit wesentlich.
Die Klägerin hat nach Erhalt des Hinweisbeschlusses des OLG ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen. Damit ist die landgerichtliche Entscheidung wirkungslos.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 26.9.2023, Az. 16 U 95/23
(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.7.2023, Az. 2-03 O 228/23)
Das OLG Hamburg hat entschieden, dass ein Unternehmen nicht gemäß § 8 Abs. 2 UWG nach den Grundsätzen der Beauftragtenhaftung für rein private Äußerungen eines Mitarbeiters in einem sozialen Netzwerk haftet.
Aus den Entscheidungsgründen: a. Die Klägerin zu 1) ist als Mitbewerberin der Beklagten grundsätzlich aktivlegitimiert, ihr steht aber kein Anspruch nach §§ 4 Nr. 1 und/oder Nr. 2, 8 Abs. 2 UWG zu. Die streitgegenständliche Äußerung des Mitarbeiters der Beklagten führt nicht dazu, dass der Klägerin zu 1) gegen die Beklagte ein solcher Anspruch zusteht.
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aa. Es fehlt bereits an einer wettbewerbswidrigen Handlung des Herrn J., die der Beklagten gem. § 8 Abs. 2 UWG zugerechnet werden könnte. Werden Zuwiderhandlungen in einem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen, so sind gem. § 8 Abs. 2 UWG der Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet. Voraussetzung einer Haftung des Unternehmens ist hiernach, dass der Mitarbeiter oder Beauftragte selbst eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften begangen hat (arg. „auch“). § 8 Abs. 2 UWG greift also nicht ein, wenn der Anspruch aus § 8 Abs. 1 UWG gegen den Mitarbeiter oder Beauftragten (z.B. wegen Fehlens einer geschäftlichen Handlung oder wegen zulässiger Abwehr) nicht entstanden ist (vgl. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2014, 270, 271; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. § 8 Rn. 2.38). Darauf, ob der Mitarbeiter oder Beauftragte selbst Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 8 UWG n.F./§ 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG a.F. ist, kommt es aber für § 8 Abs. 2 UWG nicht an(vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 2 Rn. 8.9).
Die angegriffene Äußerung „Die B. Brüder haben wegen diesen und einigen anderen Methoden bereits einige Strafverfahren bekommen“ stellt eine unwahre Tatsachenbehauptung über Mitglieder der Unternehmensleitung der Klägerin zu 1) dar. Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar in die Wirklichkeit getreten und damit dem Beweis zugänglich sind (Eisele/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 186 Rn. 3 m.w.N.). Entgegen der seitens der Beklagten geäußerten Ansicht hat Herr J. nicht lediglich den Tenor der kritischen Berichterstattung über die Tätigkeit der „B.-Brüder“ wertend wiedergegeben. Ob Strafverfahren eingeleitet wurden, stellt vielmehr einen dem Beweis zugänglichen Vorgang dar. Auch in der Laiensphäre und Alltagssprache ist mit dem Begriff des Strafverfahrens ein Verfahren der Strafverfolgungsbehörden und/oder Strafgerichte gemeint. Die Äußerung, die „B.-Brüder“ hätten Strafverfahren „bekommen“, bringt die Einleitung solcher Verfahren zum Ausdruck. Ob die weiteren Voraussetzungen der § 4 Nr. 1 und/oder Nr. 2 UWG erfüllt sind, kann offenbleiben.
Vorliegend ist eine geschäftliche Handlung des Herrn J. nicht festzustellen. Sowohl § 4 Nr. 1 UWG als auch § 4 Nr. 2 UWG setzen eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F./§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG n.F. voraus (Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 4 Rn. 1.10 und 2.11). Hiernach ist eine geschäftliche Handlung jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt.
Das Merkmal des objektiven Zusammenhangs ist funktional zu verstehen und setzt voraus, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet ist, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (vgl. BGH GRUR 2013, 945 Rn. 17 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; BGH GRUR 2015, 694 Rn. 21 – Bezugsquellen für Bachblüten; BGH GRUR 2019, 1202 Rn. 13 – Identitätsdiebstahl; BGH GRUR 2020, 886 Rn. 32 – Preisänderungsregelung; BGH GRUR 2021, 1400 Rn. 30 – Influencer I). Dies gilt nicht nur im Verhältnis zu Verbrauchern, sondern auch zu Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern (vgl. BGH GRUR 2013, 945 Rn. 19 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.55). Es besteht keine Vermutung, dass die Handlung eines Unternehmers, die in den Bereich seiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit fällt, mit der Förderung des Absatzes des eigenen Unternehmens oder gar der Förderung des Absatzes eines fremden Unternehmens objektiv zusammenhängt. Die Frage, ob eine Handlung vorrangig der Förderung des eigenen oder fremden Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder aber anderen Zielen dient, ist vielmehr aufgrund einer Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGH GRUR 2021, 1400 Rn. 32, 68 – Influencer I). Die objektive Eignung zur Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers ist für die Annahme einer geschäftlichen Handlung relevant (vgl. BGH GRUR 2013, 945 Rn. 20 – Standardisierte Mandatsbearbeitung; Koch in FS Köhler, 1. Aufl., S. 359 (364)), aber nicht in jedem Fall ausreichend (vgl. OLG Frankfurt a.M., GRUR-RR 2023, 139 Rn. 37; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.48). Von einer geschäftlichen Handlung kann nur ausgegangen werden, wenn die Handlung bei der gebotenen objektiven Betrachtung vorrangig dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient (vgl. BGH GRUR 2015, 694 Rn. 22 – Bezugsquellen für Bachblüten; Koch in FS Köhler, 1. Aufl., S. 359 (364)). Dient die Handlung vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung geschäftlicher Entscheidungen in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen und wirkt sie sich lediglich reflexartig auf die Absatz- oder Bezugsförderung aus, so stellt sie keine geschäftliche Handlung dar. Weltanschauliche, wissenschaftliche, redaktionelle oder verbraucherpolitische Äußerungen von Unternehmen oder anderen Personen, die nicht in funktionalem Zusammenhang mit der Absatz- oder Bezugsförderung stehen, unterfallen demnach nicht dem UWG (vgl. BGH GRUR 2021, 1400 Rn. 31 – Influencer I; BGH GRUR 2016, 710 Rn. 12 – Im Immobiliensumpf; BGH GRUR-RR 2013, 466, 469 – Bach-Blüten; OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 27.7.2021 – 6 W 64/21, GRUR-RS 2021, 21101 Rn. 7 ff.). Das Verfolgen solcher, etwa weltanschaulicher, Ziele schließt allerdings nicht aus, dass die Handlung gleichzeitig dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs dient. Ist auf Grund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls bei objektiver Betrachtung vorrangig ein solches Ziel anzunehmen, so liegt eine geschäftliche Handlung vor (BGH GRUR-RR 2013, 466, 469 – Bach-Blüten). Das Handeln Privater stellt jedenfalls dann keine geschäftliche Handlung dar, wenn es bei objektiver Betrachtung nicht vorrangig dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dient (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.65; Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 2 Rn. 38). Insoweit ist zwar die aus den äußeren Umständen zu erschließende Zielrichtung des Handelnden von Bedeutung (vgl. Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 2 Rn. 47). Auf die (tatsächlichen) Vorstellungen der Beteiligten kommt es aber nicht an (vgl. Alexander in BeckOK UWG, 20. Ed., § 2 Rn. 141). Es ist danach zu fragen, ob sich die handelnde Person aus der Sicht eines objektiven Betrachters als Privatperson zu einem Geschehen äußert oder zugleich geschäftliche Zwecke verfolgt (vgl. Alexander in BeckOK UWG, 20. Ed., § 2 Rn. 143).Bei Mitarbeitern eines Unternehmens ist ein Handeln zugunsten eines fremden Unternehmens jedenfalls – aber nicht nur – anzunehmen, wenn sie im Namen oder Auftrag des anderen Unternehmers tätig werden (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.58; Koch in FS Köhler, 1. Aufl., S. 359 (365)). Hierfür ist es nicht erforderlich, dass ihnen eine für das Unternehmen bedeutsame Funktion zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen wurde und sie das Unternehmen gewissermaßen „repräsentieren“. Es reicht vielmehr aus, dass sie nach außen als Vertreter oder Beauftragte in Erscheinung treten (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.58).
Bei objektiver Betrachtung der Gesamtumstände war die Äußerung des Herrn J. nicht darauf gerichtet, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern. Aus Sicht eines objektiven Betrachters handelte es sich um eine rein private Äußerung des Herrn J., die allein privaten Zwecken diente. Die streitgegenständliche Äußerung erfolgte als Kommentar zu einer Nachricht von Herrn B. R., die wiederum einen Kommentar zu einer Äußerung des Herrn A. K. darstellte. Unabhängig davon, ob diese Facebook-Kommunikation öffentlich zugänglich war, war die Kommunikation privater Natur. Im nach § 314 ZPO zugrunde zu legenden Tatbestand des angegriffenen Urteils des Landgerichts heißt es, dass es sich bei Herrn K. um einen privaten Facebook-Kontakt von Herrn J. handelte. Der von der Klägerseite als Anlage K 7 (erste Seite) eingereichte Screenshot weist den dort dargestellten Facebook-Account des Herrn J. als einen jedenfalls vorrangig privat genutzten Account aus. Anders als primär beruflich genutzte Netzwerke (wie etwa „Xing“, vgl. Micklitz/Schirmbacher in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., § 4 UWG Rn. 5) kann Facebook sowohl für private als auch für geschäftliche Zwecke genutzt werden. Dass der aus dem Screenshot ersichtliche Facebook-Account jedenfalls vorrangig für private Zwecke genutzt wurde, wird durch das Hochzeitsbild auf der Seite deutlich, das zugleich das Profilbild des Herrn J. darstellte. Auch die weiteren Fotos (Personenfoto und zwei Fotos von Schuhen) weisen keinen erkennbaren Zusammenhang zum Beruf des Herrn J. auf, sondern sprechen für eine jedenfalls vorrangige private Nutzung. Allein daraus, dass im „Steckbrief“ die Stationen des beruflichen Werdegangs dargestellt werden (und dort u.a. aufgeführt ist, dass Herr J. derzeit Sales manager bei Intomarkets ist) und die Seite die Information enthält, dass Herr J. aufgehört hat, bei „Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven“ zu arbeiten, folgt nicht, dass es sich um einen geschäftlich genutzten Account handelt. Gleiches gilt für den klägerseitig vorgetragenen Umstand, dass das Profil von Herrn J. nicht auf „privat“ geschaltet, sondern für jedermann zugänglich gewesen sei. Herr J. trat bei seiner Äußerung auch nicht als Vertreter oder Beauftragter der Beklagten in Erscheinung. Die Beklagte wird in dem streitgegenständlichen Kommentar nicht erwähnt. Auch wenn – was die Beklagte bestreitet – der klägerseitig als Anlage K 7 (erste Seite) eingereichte Screenshot das zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerung abrufbare Facebook-Profil des Herrn J. zeigen sollte und der Betrachter, der den Kommentar im Profil des Herrn K. sah, mit einem Klick auf dieses Profil des Herrn J. hätte gelangen können, folgt daraus, dass im jedenfalls überwiegend privat genutzten Facebook-Profil des Herrn J. seine berufliche Tätigkeit für Intomarkets genannt wird, bei objektiver Betrachtung der Gesamtumstände nicht der Eindruck, dass Herr J. bei seiner Äußerung im Facebook-Profil des Herrn K. in Vertretung oder im Auftrag der Beklagten oder auch nur ohne Auftrag zugunsten der Beklagten handelte. Die Äußerung über Konkurrenzunternehmen in Kommentaren im Facebook-Profil eines Dritten gehört auch nicht zum typischen Aufgabenkreis eines Sales Managers, so dass offenbleiben kann, ob ein Handeln zur Förderung eines fremden Unternehmens zu vermuten ist, wenn die fragliche Handlung in den Aufgabenkreis der handelnden Person fällt (vgl. hierzu Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.58).Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Äußerung des Herrn J. darauf gerichtet war zu verhindern, dass die Klägerin zu 1) der Konkurrenz Kunden streitig macht (im Unterschied zu OLG Hamm MMR 2008, 757 zum Blog-Eintrag eines Mitarbeiters (auf der Basis der alten Rechtslage)).Ebenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die Äußerung des Herrn J. im Auftrag oder zumindest mit Einverständnis der Beklagten erfolgte. Daraus, dass Herr J. selbst keine unmittelbaren Vorteile aus der Kundgabe der streitgegenständlichen Äußerung ziehen kann, die Beklagte hingegen schon, kann dies entgegen dem klägerischen Vortrag nicht hergeleitet werden. Die Feststellung des Landgerichts, dass die Kläger keine ausdrückliche Anweisung vorgetragen haben, greift die Klägerseite mit ihrer Berufung nicht an.
Eine geschäftliche Handlung des Herrn J. folgt auch nicht aus dessen wirtschaftlichen Interessen. Zwar stellt es ein maßgebliches Indiz für das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung dar, dass ein wirtschaftliches Interesse des Handelnden an einer Beeinflussung der Verbraucherentscheidung besteht. Lässt sich dies nicht nachweisen, kommt es auf den Inhalt der Äußerung und der Begleitumstände an (BGH GRUR-RR 2013, 466, 469 – Bach-Blüten; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.54). Ein Indiz für eine geschäftliche Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens kann auch darin liegen, dass zu diesem eine geschäftliche Beziehung besteht (vgl. BGH GRUR 2021, 497 Rn. 25 – Zweitmarkt für Lebensversicherungen). Vorliegend hat Herr J. als Mitarbeiter der Beklagten zwar ein mittelbares wirtschaftliches Interesse an einer Beeinflussung von Abnehmerentscheidungen im Bereich der Unternehmensberatung. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung (vgl. BGH GRUR 2021, 1400 Rn. 32 – Influencer I) reicht dies aber nicht aus, um von einer geschäftlichen Handlung des Herrn J. auszugehen. Zu berücksichtigen ist auch insoweit, dass die Äußerung des Herrn J. in Reaktion auf die Äußerung eines privaten Facebook-Kontakts erfolgte. Anlass war die Verärgerung des Herrn K. über das „Vollspammen“ mit Standard-Nachrichten, das er, Herr K., „echt wieder anstrengend“ finde, und die Verärgerung von Herrn K. über denjenigen, der so etwas „Leuten beibringt“. Hierbei handelt es sich um eine private Äußerung über bestimmte Geschäftspraktiken, die offenkundig durch den zunehmenden Erhalt von als „Spam“ beurteilten Nachrichten veranlasst war. Ein anderer Diskussionsteilnehmer hat dann den Namen der „B…“ ins Gespräch eingebracht, woraufhin die streitgegenständliche Äußerung von Herrn J. erfolgte. Herr J. hat sich damit, wie ausgeführt, als Privatperson an einer Diskussion über bestimmte Geschäfts- und Werbepraktiken beteiligt und die anderen Beteiligten dabei in ihrer Eigenschaft als Teilnehmer dieser Diskussion und nicht als Abnehmer von Unternehmensberatungs-/Coaching-Leistungen angesprochen, zumal die Klägerin zu 1), wie von der Klägerseite vorgetragen, ausschließlich Verträge mit Unternehmern und Unternehmen schließt. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die Äußerung des Herrn J. darauf gerichtet war, die geschäftliche Entscheidung Dritter, die diese Diskussion auf Facebook lesen konnten, zu beeinflussen. Auch wenn das Profil von Herrn K. öffentlich zugänglich gewesen sein sollte, würde in der Gesamtbetrachtung aus dem Umstand, dass der privat veranlasste Kommentar des Herrn J. in einem öffentlich zugänglichen Profil eines Dritten erfolgt ist, eine solche Zweckrichtung nicht folgen.
Angesichts der genannten Umstände der Äußerung ist aus der Sicht eines objektiven Betrachters auch daraus, dass Herr J. in seiner Äußerung gegenüber den „B.-Brüdern“ und ihren Geschäftspraktiken schwerwiegende und objektiv unzutreffende Vorwürfe erhebt, nicht auf das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung zu schließen. Auch dass Herr J. mit der Klägerin zu 1) und ihren Geschäftsführern nicht in Kontakt gestanden hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch wenn Herr J. die Klägerin zu 1) nur als Konkurrentin seines Arbeitgebers kannte, erfolgte die Äußerung vorliegend aus Sicht eines objektiven Betrachters aus privatem Anlass und mit rein privater Zielrichtung, nämlich als private Teilnahme an einer Diskussion über bestimmte Geschäftspraktiken.
Auf die subjektive Sicht des Herrn J. kommt es nicht an, eine Förderungsabsicht (vgl. OLG Hamm MMR 2008, 757 zu einem Blog-Eintrag eines Mitarbeiters) ist nach der maßgeblichen Fassung des § 2 UWG nicht (mehr) entscheidend (vgl. BGH GRUR 2021, 1400 Rn. 32 – Influencer I). Dem erstmals in der Berufungsinstanz von der Klägerseite angebotenen Zeugenbeweis – Vernehmung des Herrn J. – ist daher nicht nachzugehen. Zudem hat die Klägerseite in der Berufungsbegründung nicht dargelegt, warum sie den Zeugen erst in der Berufungsinstanz benannt hat, sodass der Berücksichtigung § 531 Abs. 2 ZPO entgegensteht.Wird ein neues Beweismittel in der Berufungsinstanz eingeführt, muss in der Berufungsbegründung dargelegt werden, weshalb das neue Beweismittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist (BGH Beschl. v. 13.12.2006 – IV ZR 180/04, BeckRS 2007, 402 Rn. 6).
bb. Eine Zurechnung der streitgegenständlichen Äußerung zur Beklagten erfolgt auch deshalb nicht, weil die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 UWG nicht erfüllt sind. Die Haftung des Unternehmers nach dieser Vorschrift rechtfertigt sich daraus, dass er durch den Einsatz von Mitarbeitern und Beauftragten seinen Geschäftskreis erweitert und damit zugleich das Risiko von Zuwiderhandlungen innerhalb seines Unternehmens schafft. Da er die Vorteile der arbeitsteiligen Organisation in Anspruch nimmt, soll er auch die damit verbundenen und in gewisser Weise auch beherrschbaren Risiken tragen (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 2.33 m.w.N.). Die Bestimmung in § 8 Abs. 2 UWG regelt den Unterlassungsanspruch gegen den Unternehmensinhaber bei Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter und Beauftragten im Sinne einer Erfolgshaftung ohne jegliche Entlastungsmöglichkeit (vgl. BGH NJOZ 2013, 863 Rn. 9).
Vorliegend wurde eine – aus den genannten Gründen bereits nicht vorliegende – Zuwiderhandlung nicht „in einem Unternehmen“ begangen. Es ist eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „in einem Unternehmen“ vorzunehmen (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 2.34). Dass die Zuwiderhandlung „in einem Unternehmen“ begangen sein muss, ist nicht räumlich, sondern funktional zu verstehen. Es muss ein innerer Zusammenhang mit dem Unternehmen bestehen (BGH GRUR 2008, 186 Rn. 23 – Telefonaktion; vgl. auch OLG Stuttgart Urt. v. 17.3.2022 – 2 U 272/21, GRUR-RS 2022, 5315 Rn. 6 ff.; OLG Hamm MMR 2008, 757, 758; Fritzsche in MüKoUWG, 3. Aufl., § 8 Rn. 376). Daher ist es weder erforderlich noch ausreichend, dass die Handlung in den Räumlichkeiten des Unternehmens vorgenommen wurde (BGH GRUR 1963, 438 (439) – Fotorabatt). Unerheblich ist auch, dass der Mitarbeiter ohne Wissen oder sogar gegen eine Weisung des Unternehmers handelte oder seinen Auftrag überschritt (vgl. BGH GRUR 2008, 186 Rn. 23 – Telefonaktion; zu § 14 Abs. 7 MarkenG: BGH GRUR 2009, 1167 Rn. 21 – Partnerprogramm; BGH GRUR 2018, 924 Rn. 62 – ORTLIEB) oder sich über vertragliche Einschränkungen seiner Befugnisse hinwegsetzte (vgl. BGH NJOZ 2013, 863 Rn. 8; Senat Beschl. v. 19.07.2021 – 5 U 56/20, GRUR-RS 2021, 31135 Rn. 15). Maßgebend ist allein, dass der Zuwiderhandelnde nicht für einen Dritten oder zu privaten Zwecken, sondern in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter oder Beauftragter des Unternehmers tätig wurde, die Handlung also in den Geschäftskreis oder die tatsächlich ausgeübte gewerbliche Tätigkeit des Unternehmers fiel und diesem zugutekommen sollte. Keine Zurechnung findet folglich statt, wenn Mitarbeiter oder Beauftragte die geschäftlichen Einrichtungen ausschließlich für private Zwecke missbrauchen (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 2.47 m.w.N.). Wird der Beauftragte auch für Dritte oder für sein eigenes Unternehmen tätig, haftet der Auftraggeber nur für solche Handlungen, die dem Geschäftsbereich des Auftragsverhältnisses zuzurechnen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Auftrag auf einen bestimmten Geschäftsbereich des Beauftragten beschränkt ist und der Auftraggeber nicht damit rechnen muss, dass der Beauftragte auch anderweitig für ihn tätig wird. Denn nur in diesem Umfang ist das Risiko für ihn beherrschbar (vgl. zu § 14 Abs. 7 MarkenG BGH GRUR 2009, 1167 Rn. 27 – Partnerprogramm; vgl. auch Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 2.47 m.w.N.).
Für rein private Handlungen seiner Mitarbeiter haftet der Unternehmensinhaber wettbewerbsrechtlich nicht (vgl. BGH GRUR 2007, 994 Rn. 19 – Gefälligkeit; Mankowski in Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, Zweiter Teil Wettbewerbsrecht des Internets (S 12) Rn. 306b; vgl. auch zu § 14 Abs. 7 MarkenG BGH GRUR 2009, 1167 Rn. 27 – Partnerprogramm; BGH GRUR 2009, 597 Rn. 15 – Halzband). Rein private Äußerungen eines Mitarbeiters fallen nicht unter § 8 Abs. 2 UWG (vgl. Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl., § 8 Rn. 727).
Wie ausgeführt, ist bei einer objektiven Betrachtung von einer rein privaten Äußerung des Herrn J. auszugehen. Dem erstmals in der Berufungsinstanz von der Klägerseite angebotenen Zeugenbeweis ist, wie ausgeführt, nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht nachzugehen. Ein Arbeitgeber muss nicht damit rechnen, dass sich ein Mitarbeiter in einer privaten Kommunikation in sozialen Medien wie geschehen äußert. Ein solches Geschehen ist für den Arbeitgeber auch nicht beherrschbar.
cc) Darauf, ob der angegriffenen Äußerung neben der Behauptung, es seien Strafverfahren gegen die Kläger zu 2) und 3) geführt worden, auch die Behauptung des Herrn J. zu entnehmen ist, die Kläger zu 2) und 3) würden unerwünschte Werbung verschicken (klägerischer Antrag zu 1. b)), kommt es aus den genannten Gründen nicht mehr an.
b. Hinsichtlich der Kläger zu 2) und 3) fehlt es bereits an der erforderlichen Aktivlegitimation. Anspruchsberechtigt für den Unterlassungsanspruch ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ein Mitbewerber. Die Mitbewerbereigenschaft ist Voraussetzung der Begründetheit der Klage (Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 3.8a m.w.N.). Mitbewerber ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG n.F./ § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG a.F. jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Gem. § 2 Nr. 8 UWG n.F./ § 2 Nr. 6 UWG a.F. ist „Unternehmer“ jede natürliche oder juristische Person, die geschäftliche Handlungen im Rahmen ihrer gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, und jede Person, die im Namen oder Auftrag einer solchen Person handelt. Darunter sind in richtlinienkonformer Auslegung nur Personen zu verstehen, die selbst Unternehmer sind (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 2 Rn. 2.58). Wird das Unternehmen von einer Gesellschaft betrieben, ist als Unternehmer grundsätzlich nur die Gesellschaft als Inhaber des Unternehmens anzusehen und nicht der oder die einzelnen Gesellschafter (OLG Hamm Urt. v. 14.11.2013 – 4 U 88/13, GRUR-RS 2014, 02435; OLG Köln NZG 2011, 1320; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 8 Rn. 3.27b). Vorliegend wird auch nicht der Aufbau eines Unternehmens durch die dahinterstehenden Personen berührt (vgl. hierzu OLG Köln NZG 2011, 1320). Die Klägerin zu 1) wurde vielmehr ausweislich der Klagschrift bereits im Jahr 2015 gegründet. Dass die Kläger zu 2) und 3) persönlich, wie in der Klagschrift ausgeführt, Unternehmensberater sind und an Branchenevents teilnehmen sowie als Vortragsredner gebucht werden, macht sie nicht zu Unternehmern i.S.d. § 2 Nr. 8 UWG n.F./ § 2 Nr. 6 UWG a.F., da sich aus dem klägerischen Vortrag nicht ergibt, dass sie diese Tätigkeiten unternehmerisch eigenständig und nicht als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) ausüben. Vielmehr heißt es im erstinstanzlichen Vortrag der Klägerseite, die Kläger zu 2) und 3) seien „in die Klägerin zu 1) eingebettete Personenmarken“ und das „Aushängeschild“ der Klägerin zu 1). Jedenfalls besteht ein auf Wettbewerbsrecht gestützter Anspruch der Kläger zu 2) und 3) gegen die Beklagte aus den hinsichtlich der Klägerin zu 1) ausgeführten Gründen nicht.
Der BGH hat entschieden, dass in einem Äußerungsrechtsstreit für die Sinndeutung einer Aussage das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontexts und der Begleitumstände maßgeblich ist.
Leitsätze des BGH:
a) Entsprechend der Regelung in § 555 Abs. 3 ZPO für das Anerkenntnisurteil ergeht ein Verzichtsurteil in der Revisionsinstanz nur auf gesonderten Antrag des Beklagten.
b) Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut - der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann - und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen.
BGH, Urteil vom 1. August 2023 - VI ZR 307/21 - KG - LG Berlin
und
BGH, Urteil vom 1. August 2023 - VI ZR 308/21 - KG - LG Berlin
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine Verfassungsbeschwerde nicht allein darauf gestützt werden kann, dass das Gericht in einem äußerungsrechtlichem Eilverfahren eine hinterlegte Schutzschrift nicht beachtet hat.
Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Verfassungsbeschwerde in äußerungsrechtlichem Eilverfahren mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen die fachgerichtliche Untersagung mehrerer Äußerungen auf einer Internetseite richtet. Der mit ihr verbundene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird damit gegenstandslos.
Die Beschwerdeführer, eine lokale politische Initiative und ihr Vorstand, wenden sich mit ihrer am 19. August 2023 erhobenen Verfassungsbeschwerde gegen eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Potsdam, durch die ihnen teilweise untersagt wurde, auf der von ihnen verantworteten Internetseite „Potsdam – Stadt für alle“ über ein mit Immobilieninvestitionen in Potsdam engagiertes, im internationalen Erdölhandel tätiges Unternehmen zu berichten. Sie rügen eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit; das Landgericht habe entschieden, ohne eine im zentralen Schutzschriftenregister hinterlegte Schutzschrift der Beschwerdeführer zur Kenntnis zu nehmen. Ebenfalls am 19. August 2023 legten die Beschwerdeführer beim Landgericht Potsdam Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Beschwerdeführer den Rechtsweg vor den Fachgerichten nicht ausgeschöpft haben. Zwar verletzt die Außerachtlassung der hinterlegten Schutzschrift das Recht der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Allerdings ist ein solcher einzelner Verfahrensfehler regelmäßig nicht geeignet, ein bewusstes und systematisches Übergehen prozessualer Rechte von Verfahrensbeteiligten darzutun. Es verbleibt dann bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte. Eine auf die Rüge der prozessualen Waffengleichheit gestützte Verfassungsbeschwerde ist in einem solchen Fall erst zulässig, wenn der vor den Fachgerichten eröffnete Rechtsweg erschöpft ist.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer, eine lokale politische Initiative in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins und dessen Vorstand, verantworten im Rahmen des Vereinsprojekts „Potsdam – Stadt für alle“ eine gleichnamige Internetseite. Am 25. Juli 2023 veröffentlichten sie auf dieser Seite einen Beitrag über ein mit Immobilieninvestitionen in Potsdam engagiertes, im internationalen Erdölhandel tätiges Unternehmen mit dem Titel „Wie Profite aus dem Geschäft mit russischen Erdölprodukten in Potsdam angelegt werden“. Dieses und sein Inhaber und Geschäftsführer forderten die Beschwerdeführer am 2. August 2023 außergerichtlich zur Abgabe vertragsstrafenbewehrter Unterlassungserklärungen auf. Daraufhin hinterlegten die Beschwerdeführer eine Schutzschrift im zentralen Schutzschriftenregister. Darin erklärten sie unter anderem, sich gegen die erhobenen Ansprüche zur Wehr zu setzen.
Mit angegriffenem Beschluss vom 14. August 2023 untersagte das Landgericht Potsdam den Beschwerdeführern, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung, die Verbreitung mehrerer Äußerungen aus dem veröffentlichten Beitrag. Gegen diesen Beschluss legten die Beschwerdeführer am 19. August 2023 Widerspruch ein. Zur Begründung stützten sie sich unter anderem auf eine Verletzung ihres Rechts auf prozessuale Waffengleichheit, da das Landgericht die einstweilige Verfügung erlassen habe, ohne ihre Schutzschrift zur Kenntnis zu nehmen.
Ebenfalls am 19. August 2023 haben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Diese sei hinsichtlich einer Rüge der prozessualen Waffengleichheit zulässig. Die Beschwerdeführer richteten sich gegen eine bewusste Übergehung ihrer prozessualen Rechte. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Das Landgericht sei insbesondere gehalten gewesen, die von den Beschwerdeführern hinterlegte Schutzschrift zur Kenntnis zu nehmen.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da die Beschwerdeführer eine Erschöpfung des Rechtswegs entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht dargetan haben.
1. Eine Verfassungsbeschwerde kann ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden, wenn zwar andere Rechtsverletzungen – auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden können, die Rügen der Verfassungsbeschwerde sich aber auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung selbst richten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt angenommen, wenn sich der Beschwerdeführer gegen ein seinem Vorbringen nach bewusstes und systematisches Übergehen seiner prozessualen Rechte wendet. Beinhaltet die unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit gerügte Rechtsverletzung demgegenüber ausschließlich einen fachgerichtlich angreifbaren Verfahrensfehler, verbleibt es bei der vorrangigen Zuständigkeit der Fachgerichte.
2. Hieran gemessen, haben die Beschwerdeführer eine Erschöpfung des Rechtswegs nicht dargetan.
a) Wird eine Schutzschrift im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht berücksichtigt, kann das Recht des Antragsgegners auf prozessuale Waffengleichheit zwar verletzt werden. Das bedeutet allerdings nicht, das für den hiermit gerügten Verfahrensfehler ein fachgerichtlicher Rechtsbehelf von vornherein ausgeschlossen ist.
Die Außerachtlassung einer hinterlegten Schutzschrift verletzt das grundrechtsgleiche Recht des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG. Besteht für eine Gehörsverletzung jedoch noch fachgerichtlicher Rechtsschutz, hat der Beschwerdeführer für die Zulässigkeit einer auf die Verletzung der prozessualen Waffengleichheit gestützten Verfassungsbeschwerde vorzutragen, welche über den Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hinausgehende Rechtsverletzung er rügt, für die es an fachgerichtlichem Rechtsschutz fehlt. Stützt er hierzu seine Rüge – wie im vorliegenden Fall – auf eine bewusste und systematische Übergehung seiner prozessualen Rechte, bedarf es daher entsprechenden Vortrags, mit dem die Gehörsverletzung nicht als bloßer Verfahrensfehler, sondern nachvollziehbar als bewusste und systematische Übergehung seiner prozessualen Rechte dargetan ist.
b) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, haben die Beschwerdeführer eine bewusste und systematische Übergehung ihrer prozessualen Rechte nicht nachvollziehbar dargetan.
Ein einzelner Verfahrensfehler ist regelmäßig nicht geeignet, ein bewusstes und systematisches Übergehen prozessualer Rechte von Verfahrensbeteiligten darzutun. Es kann sich dabei ebenso um ein bloßes Versäumnis handeln, das mit weitergehenden Gründen der Verfahrenshandhabung nicht einhergeht. Das gilt auch dann, wenn ein Verfahrensfehler – wie im hier gegebenen Fall einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG – zugleich eine Verletzung von Verfassungsrecht beinhaltet. Denn auch das besondere rechtliche Gewicht eines Verfahrensfehlers besagt regelmäßig nichts über die Gründe der Verfahrenshandhabung, auf denen er beruht.
Aus dem Entwurf: A. Problem und Ziel
Am 16. November 2022 ist die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG in Kraft getreten (im Folgenden „Digital Services Act“ oder „DSA“). Die Verordnung gilt ab dem 17. Februar 2024. Mit der Verordnung wird ein horizontaler Rechtsrahmen für digitale Dienste geschaffen.
Ziel des DSA ist es, einheitliche horizontale Regeln festzulegen für ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld. Zudem soll eine robuste und dauerhafte Aufsichtsstruktur aufgesetzt werden, die eine wirksame Aufsicht über Online-Plattformen in Europa sicherstellt. Als neue Aufsichtsbehörde soll in jedem Mitgliedstaat ein Koordinator für digitale Dienste eingesetzt werden, der Beschwerden von Nutzerinnen und Nutzern aus dem jeweiligen Mitgliedstaat entgegennehmen und Zugriff auf die Daten der Plattformen erhalten soll. Ergänzend regelt der DSA das Verhältnis der Plattformen zu ihren Nutzerinnen und Nutzern neu. Die Anbieter müssen ein Melde- und Beschwerdeverfahren für illegale Inhalte vorhalten. Zudem werden Online-Plattformen zu Maßnahmen gegen illegale Aktivitäten und Missbrauch der Meldeverfahren verpflichtet. Vertrauenswürdige Hinweisgeber sollen bei Meldungen bevorzugt werden. Online-Marktplätze müssen die Händler, die auf ihren Plattformen Produkte oder Dienstleistungen anbieten, vorher überprüfen. Ferner sieht der DSA Transparenzverpflichtungen für kommerzielle Werbung vor, sowie strengere Verpflichtungen für sehr große Plattformen / Suchmaschinen (mit mehr als 45 Mio. Nutzern in der EU) als für kleine und mittlere Anbieter vor. Dies alles soll ein sicheres digitales Umfeld fördern. Schließlich wird ein Rahmen für die Umsetzung, die Zusammenarbeit, für Sanktionen und die Durchsetzung des DSA angelegt, der konkrete, an die Mitgliedstaaten gerichteten Regelungsaufträge enthält. Neben einer Durchführung im nationalen Recht erfordert der DSA auch eine Überprüfung und Anpassung des bestehenden nationalen Rechts.
B. Lösung
Der DSA ist im nationalen Recht durchzuführen und das nationale Recht ist anzupassen. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/2065 sowie zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten und zur Änderung weiterer Gesetze (Digitale-Dienste-Gesetzes, oder DDG) ist der nationale Rechtsrahmen auf die Vorgaben des DSA auszurichten und anzupassen. Bestehende nationale Regelungen, die sich zu Angelegenheiten verhalten, die durch den DSA geregelt werden, sind im Lichte der vom europäischen Gesetzgeber bezweckten vollständigen Harmonisierung des Regulierungsrahmens für digitale Dienste, abzulösen. Zur Durchführung des DSA sind insbesondere die zuständige nationale Koordinierungsstelle für die Beaufsichtigung der Anbieter von Vermittlungsdiensten und zur Durchsetzung des DSA zu benennen, Sanktionsvorschriften zu erlassen und erforderliche Gesetzesänderungen vorzunehmen
Das LG Flensburg hat dem Betroffenen ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 EURO für die wahrheitswidrige Behauptung in der Öffentlichkeit, dass die betroffene Person der Stasi angehörte, zugesprochen.
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Der Anspruch des Klägers auf Schmerzensgeld gegen den Beklagten zu 1 steht dem Grunde nach bereits rechtskräftig fest (siehe Grund- und Teilurteil).
2. Der Höhe nach hält das Gericht das vom Kläger als Mindestmaß angegebene Schmerzensgeld für sachlich gerechtfertigt und angemessen.
Bei der Bestimmung der Höhe war die Schwere des Eingriffs (siehe Ziffer b)), die persönlichen
Folgen / Beeinträchtigungen des Klägers (siehe Ziffer c)), wie auch der jeweilige Verschuldensgrad seitens des Störers (hier des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen (dazu Ziffer d)).
Nach freier Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts, den vorgelegten medizinischen Befunden und Berichten (Anlage K 27 - K 29, Bl. 266 - 269 und Bl. 417 d.A.), den Angaben des Klägers und den Zeugenaussagen hält das Gericht – auch mit Blick auf vergleichbare Fälle in der Rechtsprechung – im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von € 10.000,00 für angemessen.
a) Grundsätzlich hängt die Schmerzensgeldhöhe entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder mit ihnen zu diesem Zeitpunkt als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss. Die Schwere der Belastungen wird dabei vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt. Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen zu (Leitsatz OLG München, Urteil v. 13.12.2013, Az. 10 U 4926/12, BeckRS 2013, 22617).
Die Überzeugung des Richters erfordert in dem Zusammenhang keine – ohnehin nicht erreichbare – absolute oder unumstößliche, gleichsam mathematische Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ im Hinblick auf die Folgen, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. OLG München, Urteil v. 13.12.2013, Az. 10 U 4926/12, BeckRS 2013, 22617 m.w.N.). Nach der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität anwendbaren Vorschrift des § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt je nach Lage des Einzelfalls eine überwiegende (höhere) Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung.
b) Die Qualität des Eingriffs dürfte vorliegend - wenn auch subjektiv auf Klägerseite anders empfunden - eher als mittelschwer zu qualifizieren sein.
Bei der Beurteilung der Qualität des Eingriffs ist einerseits die Art der Behauptung aber auch die Reichweite dieser zu berücksichtigen.
Zweifelsohne ist die vorliegende Art der Behauptung, der Kläger sei Mitglied (sogar „bis 1989 Offizier“) der Stasi gewesen und habe hierbei „viele Werftarbeiter persönlich über die Klinge springen [lassen] durch seine Spitzeltätigkeit“ schwerwiegend und in hohem Maße ehrverletzend. Derartige Behauptungen sind zudem geeignet, das soziale und ggf. politische Ansehen des Klägers zu mindern. Schließlich herrscht heute innerhalb der Bundesrepublik Deutschland allgemeiner Konsens darüber, dass die Stasi für zahlreiche Verbrechen an Menschen verantwortlich ist, die nach damaliger Beurteilung innerhalb der DDR nicht ins dortige System passten. Dass Menschen im Auftrag der Stasi verfolgt, verhaftet, gefoltert und gar getötet worden sind, dürfte heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden.
Indes geht das Gericht basierend auf den Angaben der Parteien von einer eher überschaubaren Reichweite der Äußerungen des Beklagten zu 1 aus. Zwar ist es unstreitig sehr wohl möglich gewesen, auf den Blog des Beklagten zu 1 sowie auf sein Buch aufmerksam zu werden, wenn man den Namen des Klägers zusammen mit anderen „Schlagwörtern“ bei der Suchmaschine „google“ eingegeben hat. Indes dürfte der Blog des Beklagten zu 1 mit der Domain „http://…“ ansonsten eher einen geringen „fraffic“ (Anzahl der Besucher auf der Homepage innerhalb eines bestimmten Zeitraums) gehabt haben. Zudem dürfte sich nur eine bestimmte Klientel mit dem Inhalt des Blogs auseinandergesetzt haben. Auch die Auflage des Buches beziehungsweise die bislang (geschätzte) Anzahl der Verkäufe (rund 25-30 mal) bei Amazon („www.amazon.de“) ist im Vergleich zu anderen Fällen verhältnismäßig gering. Hinzu kommt, dass der Kläger in dem Buch nur an vereinzelten Stellen genannt wird, sich das Buch also nicht ausschließlich um seine Person dreht.
c) Die persönlichen Folgen bzw. Beeinträchtigungen auf Seiten des Klägers stuft das Gericht indes als schwerwiegend ein.
Nach der Überzeugung des Gerichts haben die falschen ehrverletzenden Behauptungen des Beklagten zu 1 erhebliche negative psychische Auswirkungen auf den Kläger gehabt mit der Folge, dass dieser in eine schwere emotionale Krise gestürzt ist.
aa) Zum einen hat das Gericht die medizinischen Befunde und Berichte (Anlage K 27 - K 29, Bl. 266 - 269 und Bl. 417 d.A.) berücksichtigt. Auf deren Inhalt wird an dieser Stelle vollumfänglich Bezug genommen.
bb) Vor allem aber stützt das Gericht seine Beurteilung auf den eigenen persönlich vom Kläger gewonnenen Eindruck, dessen glaubhafte Darstellung seiner Situation sowie auf die glaubhaften Angaben des Zeugen … .
(1) In der mündlichen Verhandlung vom 22.7.2021, in welcher der Kläger das erste mal informatorisch zur Sache angehört wurde, hat das Gericht bereits den Eindruck gewonnen, dass der Kläger von dem Verfahren und der Situation schwer gezeichnet war. Mit hängenden Schultern und sorgenvoller Mine hat der Kläger damals berichtet, dass ihn die falschen Behauptungen sehr belasten würden. Er sehe seinen guten Ruf in Gefahr und wolle nicht, dass seine ehemaligen Kollegen und Schüler ein derartiges (falsches) Bild von ihm gezeichnet bekämen.
(2) Auch in der mündlichen Verhandlung vom 17.2.2022 wirkte der Kläger auf das Gericht sehr angeschlagen. Es fiel ihm merklich schwer, über die Auswirkungen der Vorwürfe zu sprechen. Dennoch gab er glaubhaft zu Protokoll, dass er sich vor ca. 10 Jahren in psychische Behandlung habe begeben müssen. Damals habe er mit den Folgen eines sog. „Burnout“ zu tun gehabt. Nachdem er diese Krise überwunden hatte, sei die Thematik - aufgrund der Behauptungen des Beklagten zu 1 und dieses Prozesses - jetzt allerdings wieder hochgekommen. Er habe sich im Zusammenhang mit den Anschuldigungen sogar in stationäre Behandlung begeben müssen.
(3) Diese Angaben hat der Zeuge … in der mündlichen Verhandlung vom
25.5.2023 glaubhaft bestätigt.
Dieser hat ausgesagt, den Kläger schon seit dem Jahr 2011 zu kennen. Damals sei er bei ihm wegen Depressionen und Angststörungen sowie Schmerzen in Behandlung gewesen. Diese damalige Behandlung habe zu tun gehabt mit der beruflichen Belastung des Klägers.
Im Jahr 2020, als er auf die Behauptungen über sich im Internet aufmerksam wurde, sei er dann erneut in eine schwere Krise gekommen. Er sei seit damals wieder verstärkt angespannt gewesen und habe nicht schlafen können. Er habe die Situation als „sehr bedrohlich“ wahrgenommen. Besonders belastet habe ihn, dass er dieser Situation so hilflos gegenüber stand.
Er sei damals auch sehr impulsiv gewesen und habe versucht, sich mit Alkohol zu beruhigen. Zuvor habe er lange Zeit gar keinen Alkohol mehr zu sich genommen.
Ein weiteres Thema sei gewesen, dass die Ehefrau des Klägers ebenfalls sehr besorgt gewesen sei. Dies habe letztlich auch zu einer Ehekrise geführt, da der Kläger seine Ehe in Gefahr gesehen habe. Dies insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Ehefrau des Klägers bei dem Konsum von Alkohol katastrophale Wirkungen bzw. Gedanken hervorgebracht habe. Die Ehefrau des Klägers dahingehend wieder einzufangen und sie davon zu überzeugen, dass die Probleme des Klägers gelöst werden müssten, sei für den Kläger und den Zeugen … ein enormer Kraftakt gewesen.
Zusammengefasst habe der Kläger zwischen 2020 und 2022 in einer erheblichen psychischen Krise gesteckt hat, die kausal durch die Behauptungen des Beklagten zu 1 hervorgerufen worden sei (Protokoll vom 25.5.2023, S. 2-4). Ob er diese Krise je überwinden werde, sei ungewiss. Der Zeuge … sehe allerdings gute Chancen, wenn dieser Prozess beendet sei.
Die Angaben des Zeugen waren insgesamt glaubhaft. Hinweise auf eine einseitige Belastungs- oder Begünstigungstendenz haben sich nicht ergeben. Bei dem Zeugen … handelt es sich um einen seit Jahren praktizierenden Nervenarzt, der seine fachkundigen Wahrnehmungen wertungsfrei wiedergegeben hat. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen haben sich ebenfalls nicht ergeben.
d) Das Maß an Verschulden bzw. Vorwerfbarkeit des Beklagten zu 1 sieht das Gericht als hoch an (mit Einschränkung).
Das Gericht geht zwar - ohne Zweifel - davon aus, dass der Beklagte zu 1 die Behauptungen über den Kläger in der Absicht öffentlich aufgestellt hat, um diesem zu schaden. Auch geht das Gericht davon aus, dass der Beklagte zu 1 seinen Fehler (Behauptungen sind tatsächlich unwahr) bei objektiver Betrachtung hätte erkennen müssen und können, wenn er sich mit der Aktenlage intensiver beschäftigt hätte. Der Fehler wäre also vermeidbar gewesen. Dies, wie auch die Qualität der Behauptung, muss sich der Beklagte zu 1 vorwerfen lassen.
Indes hat das Gericht im Laufe des Prozesses auch den Eindruck gewonnen, dass der Beklagte zu 1 aufgrund seiner eigenen Vergangenheit (als Opfer der Stasi) womöglich psychisch und emotional derart geprägt worden ist, dass ihm die Unterscheidung zwischen Realität (objektiv beweisbarem) und Vorstellung nicht mehr ohne Einschränkung gelingt. Mit Verweis auf die zahlreichen aus Sicht des Gerichts nicht nachvollziehbaren - teils persönlichen - Einlassungen des Beklagten zu 1 (vgl. dazu auch Grund- und Teilurteil, S. 13 ff.) sowie seine mangelnde Einsicht (trotz zweier Instanzen) schließt das Gericht nicht aus, dass der Beklagten zu 1 womöglich die Tragweite seiner Handlungen gar nicht erkennt. Jedenfalls scheint er unter einem erheblichen psychischen Trauma zu leiden, welches er durch Benennung der „Täter“ aufzuarbeiten versucht. Dass er hierbei einen Falschen als „Täter“ benannt hat, ist für ihn emotional womöglich nicht nachvollziehbar. Dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass Verschleierung, Verdunkelung und Täuschung in der ehemaligen DDR, insbesondere bei der Stasi, an der Tagesordnung waren. Irgendwann mag bei jedem Menschen, der von einer solchen Welt geprägt worden ist, der Punkt erreicht sein, ab dem er nichts mehr glaubt, sondern sich seine eigene Wahrheit schafft.
e) Bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe hat das erkennende Gericht insbesondere die folgenden, in der Schmerzensgeldtabelle exemplarisch aufgeführten Entscheidungen anderer Gerichte berücksichtigt und sich hieran orientiert:
• Ehrverletzung durch unzutreffende Berichterstattung ohne Namensnennung. Dennoch erfuhren mindestens 217 Bekannte, Verwandte oder Kollegen von der Behauptung, der Kläger habe als „Stasi-Scherge" einen Mord begangen: OLG Hamm, Urteil vom 1.6.1992, Az. 3 U 25/92, BeckRS 9998, 11842.
• Ehrverletzung durch Ausstrahlung von Fernsehaufnahmen („Brandenburg aktuell"), in denen der Kläger als "Neonazi" mit einschlägiger Vergangenheit dargestellt wurde: LG Berlin, Urteil vom 9.10.1997, Az. 27 O 349/97, BeckRS 9998, 16109.
• Bezeichnung des im Kommunalwahlkampf stehenden Klägers als „kulturloser Bonze" und „Wendehals". Zudem wurde der Kläger einer tatsächlich nicht bestehenden SED Vergangenheit beschuldigt: LG Frankfurt, Urteil vom 29.7.2004, Az. 17 O 540/03, BeckRS 2004, 17904.
• Ehrverletzung wegen eines „herabwürdigenden Artikels" mit der Folge psychischer Beeinträchtigungen: LG München, Urteil vom 11.6.2008, Az. 9 O 15086/06, BeckOK zum Schmerzensgeld Nr. 3782.
• Unzutreffende Bezeichnung als „Perspektiv-Agent des KGB". Es stelle eine schwere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, in einer Buchveröffentlichung eine andere Person mit dem kommunistischen Geheimdienst KGB in Verbindung zu bringen, weil so zu Lasten des Betroffenen ein zwielichtiger Eindruck erweckt werde: OLG Bremen, Urteil vom 1.11.1995, Az. 1 U 51/95, BeckRS 9998, 2560.
Das LG Frankfurt hat wie erwartet entschieden, dass Twitter wie Facebook bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Tweets und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen muss.
Die Pressemitteilung des Gerichts: Persönlichkeitsrecht - Ehrverletzung durch herabwürdigenden Tweet
Twitter muss bei einem konkreten Hinweis auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auch kerngleiche Äußerungen entfernen.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat heute entschieden: Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald es von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt.
Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und er sei „Teil eines antisemitischen Packs“.
Die zuständige Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main stellte in einem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.
Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Entfernung dieser Kommentare verlangt hat, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied die Kammer: „Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden.“ Unter weiter: „Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen.“
Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung. „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht“, so die Vorsitzende in der Urteilsbegründung.
Als zulässig erachtete die Kammer indes die Äußerung eines Nutzers, wonach der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden ist. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.
Das Urteil (Az. 2-03 O 325/22) ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angefochten werden. Die Entscheidung wird in Kürze unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de abrufbar sein.
Ergänzender Hinweis:
Dieselbe Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main hatte mit Urteil vom 8.4.2022 (Az.: 2-03 O 188/21) entschieden, dass in einer Wort-Bild-Kombination (sog. „Meme“) unterge-schobene Falschzitate auf Facebook auch ohne erneuten Hinweis gelöscht werden müssen, wenn sie einen kerngleichen Inhalt aufweisen. Geklagt hatte dort MdB Renate Künast.
Das LG München hat entschieden, dass die Bezeichnung eines Wissenschaftlers in einem Flyer als "Gollum" eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen kann und einen entsprechenden Unterlassungsanspruch begründet.
BGH
Urteil vom 21.06.2022 VI ZR 395/19
BGB §§ 823, 1004 (analog); StGB §§ 185 ff.; ZPO 139
Der BGH hat sich dieser Entscheidung zur richterlichen Hinweispflicht im äußerungsrechtlichen Rechtsstreit geäußert.
Leitsätze des BGH:
a) Begehrt der Kläger in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten, sondern die Unterlassung einer Aussage, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint, so kommt ein auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützter Unterlassungsanspruch (sogenannter "Verletzungsunterlassungsanspruch") nur in Betracht, wenn sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der betreffenden Äußerung des Beklagten tatsächlich ergibt.
b) Ergibt sich in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit, dass der Kläger die von ihm begehrte Unterlassung einer bestimmten Aussage nicht verlangen kann und die Klage deshalb unbegründet ist, so bedarf es vor Abweisung der Klage keines richterlichen Hinweises dahingehend, dass sich aus dem maßgeblichen Sachverhalt (möglicherweise) ein auf eine andere Aussage gerichteter Unterlassungsanspruch ergibt.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 - VI ZR 395/19 - OLG Schleswig - LG Lübeck
EU-Parlament und EU-Rat haben sich über den Digital Services Act bzw. das Gesetz über digitale Dienste geeinigt.
Die Pressemitteilung der EU:
Digital Services Act: agreement for a transparent and safe online environment
- Access to platforms’ algorithms now possible
- Online platforms will have to remove illegal products, services or content swiftly after they have been reported
- Protection of minors online reinforced; additional bans on targeted advertising for minors as well as targeting based on sensitive data
- Users will be better informed how content is recommended to them
EU negotiators agree on landmark rules to effectively tackle the spread of illegal content online and protect people's fundamental rights in the digital sphere.
On Friday, Parliament and Council reached a provisional political agreement on the Digital Services Act (DSA). Together with the Digital Markets Act, the DSA will set the standards for a safer and more open digital space for users and a level playing field for companies for years to come.
More responsible online platforms
Under the new rules, intermediary services, namely online platforms - such as social media and marketplaces - will have to take measures to protect their users from illegal content, goods and services.
Algorithmic accountability: the European Commission as well as the member states will have access to the algorithms of very large online platforms;
Swift removal of illegal content online, including products, services: a clearer “notice and action” procedure where users will be empowered to report illegal content online and online platforms will have to act quickly;
Fundamental rights to be protected also online: stronger safeguards to ensure notices are processed in a non-arbitrary and non-discriminatory manner and with respect for fundamental rights, including the freedom of expression and data protection;
More responsible online marketplaces: they have to ensure that consumers can purchase safe products or services online, by strengthening checks to prove that the information provided by traders is reliable (“Know Your Business Customer” principle) and make efforts to prevent illegal content appearing on their platforms, including through random checks;
Victims of cyber violence will be better protected especially against non-consensual sharing (revenge porn) with immediate takedowns;
Penalties: online platforms and search engines can be fined up to 6% of their worldwide turnover. In the case of very large online platforms (with more that 45 million users), the EU Commission will have exclusive power to demand compliance;
Fewer burdens and more time to adapt for SMEs: longer period to apply the new rules will support innovation in the digital economy. The Commission will follow closely the potential economic effects of the new obligations on small businesses.
Safer online space for users
New transparency obligations for platforms will allow users to be better informed about how content is recommended to them (recommender systems) and to choose at least one option not based on profiling;
Online advertising: users will have better control over how their personal data are used. Targeted advertising is banned when it comes to sensitive data (e.g. based on sexual orientation, religion, ethnicity);
Protection of minors: platforms accessible to minors will have to take specific measures to protect them, including by fully banning targeted advertising;
Manipulating users’ choices through ‘dark patterns’ will be prohibited: online platforms and marketplaces should not nudge people into using their services, for example by giving more prominence to a particular choice or urging the recipient to change their choice via interfering pop-ups. Moreover, cancelling a subscription for a service should become as easy as subscribing to it;
Compensation: recipients of digital services will have a right to seek redress for any damages or loss suffered due to infringements by platforms.
Harmful content and disinformation
Very large online platforms will have to comply with stricter obligations under the DSA, proportionate to the significant societal risks they pose when disseminating illegal and harmful content, including disinformation.
Very large online platforms will have to assess and mitigate systemic risks and be subject to independent audits each year. In addition, those large platforms that use so-called “recommender systems” (algorithms that determine what users see) must provide at least one option that is not based on profiling;
Special measures in times of crisis: when a crisis occurs, such as a public security or health threat, the Commission may require very large platforms to limit any urgent threats on its platforms. These specific actions are limited to three months.
Quote
“The Digital Services Act will set new global standards. Citizens will have better control over how their data are used by online platforms and big tech-companies. We have finally made sure that what is illegal offline is also illegal online. For the European Parliament, additional obligations on algorithmic transparency and disinformation are important achievements,” said rapporteur Christel Schaldemose (DK, S&D). “These new rules also guarantee more choice for users and new obligations for platforms on targeted ads, including bans to target minors and restricting data harvesting for profiling.”
Next steps
The text will need to be finalised at technical level and verified by lawyer-linguists, before both Parliament and Council give their formal approval. Once this process is completed, it will come into force 20 days after its publication in the EU Official Journal and the rules will start to apply 15 months later.
From 23 to 27 May, a delegation from the EP’s Internal Market Committee will visit several company headquarters (Meta, Google, Apple and others) in Silicon Valley to discuss in person the Digital Services Act package, and other digital legislation in the pipeline, and hear the position of American companies, start-ups, academia and government officials.
Das LG Frankfurt hat entschieden, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks (hier: Facebook / Meta) bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Inhalte und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen muss.
Die Pressemitteilung des Gerichts:
Ehrverletzung durch Falschzitat in sozialem Netzwerk
Diensteanbieter muss Varianten mit kerngleichem Inhalt ohne erneuten Hinweis sperren.
Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast kann verlangen, dass eine bestimmte Wort-Bild-Kombination (sog. „Meme“) mit einem ihr untergeschobenen Falschzitat auf Facebook gesperrt wird. Auch Varianten dieses Memes mit kerngleichem Inhalt muss das soziale Netzwerk ohne erneuten Hinweis auf die jeweilige URL löschen. Renate Künast steht wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts außerdem ein Schmerzensgeldanspruch gegen die Betreiberin von Facebook zu.
Auf Facebook erschien ein Bild von Renate Künast, dem folgendes Zitat beigefügt war: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“ Dieses Zitat ist falsch. Renate Künast hat die Äußerung nicht getätigt. Sie verlangte von Meta als Betreiberin von Facebook die Löschung des Eintrages. Der Post wurde außerdem in verschiedenen Varianten veröffentlicht, etwa mit verändertem Layout oder durch Erweiterung oder Weglassen von Textinhalten, durch Tippfehler oder durch Veränderung für das Auge nicht wahrnehmbarer Pixel. Diese Varianten haben eine andere URL als das ursprüngliche, von Renate Künast zunächst beanstandete Meme.
Vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat Renate Künast darauf geklagt, dass Meta es unterlässt, Memes mit kerngleichem Inhalt auf Facebook öffentlich zugänglich machen zu lassen. Mit Urteil vom heutigen Tage hat eine Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main ihrer Klage stattgegeben.
Durch das Falschzitat werde Renate Künast in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Ein Diensteanbieter müsse zwar nicht ohne einen Hinweis alle ins Netz gestellten Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen. „Nachdem Renate Künast aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein falsches Zitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der URL wiederholen,“ erklärte die Vorsitzende der Kammer in der Urteilsbegründung. „Denn für die Beklagte ist unschwer erkennbar, dass es sich bei Varianten mit kerngleichem Inhalt um Falschzitate handelt.“ Und weiter: „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Das gilt auch in diesem Fall.“
Die Kammer stellte weiter fest: „Die Beklagte hat nicht dargetan, dass es ihr technisch und wirtschaftlich nicht zumutbar ist, ohne konkrete Bezeichnung der URL identische und ähnliche Memes zu erkennen und zwar auch, wenn für die Beurteilung eines abgewandelten Textes in einem Eintrag eine menschliche Moderationsentscheidung notwendig wird“.
In seinem Urteil billigte die Pressekammer Renate Künast außerdem eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro zu. Meta treffe aufgrund der Veröffentlichung der persönlichkeitsrechts-verletzenden Posts eine Mitverantwortung. Denn Meta sei ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, ihre Plattform von weiteren Falschzitaten zu befreien. Die Schwere der Rechtsverletzungen rechtfertige das Schmerzensgeld. Renate Künast sei aufgrund der Falschzitate Anfeindungen ausgesetzt gewesen.
Die Kammer erklärte: „Die Glaubwürdigkeit ist das Kapital eines jeden Menschen, besonders einer Politikerin. Diese Glaubwürdigkeit wird durch das Zuschreiben von Falschzitaten beschädigt. Dies ist ehrenrührig und beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht der Falschzitierten. Falschzitate verzerren auch den Meinungskampf und sie schaden der Allgemeinheit.“
Das heutige Urteil (Aktenzeichen 2-03 O 188/21) ist nicht rechtskräftig.
Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Comedian einen ehemaligen Fußballnationalspieler nicht als "krankes Schwein" bezeichnen darf. Gegenstand des Rechtsstreits war ein Twitter-Post.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
Da die einstweilige Verfügung des Senats durch die Aufhebung in dem angefochtenen Urteil auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten hin (endgültig) „kassiert“ worden ist, war – wie im Termin durch die auf Hinweis des Senats hin erfolgte Klarstellung der Anträge betont – richtigerweise dabei ein entsprechender Neuerlass der einstweiligen Verfügung geboten (vgl. etwa zum prozessualen Vorgehen in solchen Fällen OLG Köln v. 10.09.2002 - 16 U 80/02, BeckRS 2003, 153; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 925 Rn. 10; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1432 Fn. 56 m.w.N.).
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
a)Eine doppelte Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog) wegen des ohnehin erst später vor dem Landgericht Hamburg wegen der weiteren Äußerung eingeleiteten Verfahrens steht mit den entsprechenden Ausführungen des Senats im Beschluss vom 24.06.2021 – 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte), auf die verwiesen wird, dem Antrag nicht entgegen. Zudem geht es richtigerweise ohnehin schon wegen des ganz anderen Kontextes der Äußerungen um zwei unterschiedliche Streitgegenstände, wie auch das LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21, Bl. 179 ff. d. Senatshefts im Parallelverfahren zutreffend ausgeführt hat. Es liegt aus ähnlichen Gründen schließlich auch keine sog. unzulässige Mehrfachverfolgung (§ 242 BGB) vor, wie der Senat a.a.O. ebenfalls bereits ausgeführt hat. Dem tritt der Verfügungsbeklagte auch nicht mit neuen sachlichen Einwendungen entgegen.
b) Wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung unter Verweis auf einschlägige Fundstellen zutreffend ausgeführt hat – worauf Bezug genommen wird -, ist die hier bereits vor Verfahrensbeginn ausgestellte, nunmehr im Original vorliegende und vom Senat in dem in elektronischen Akten geführten Berufungsverfahren als Papier-Urkunde zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Verfahrensvollmacht (Protokoll, Bl. 224 d. Senatshefts) prozessual ohne weiteres noch vom Berufungsgericht zu berücksichtigen. Die Vorlage der Urkunde war allerdings sachlich geboten, denn § 80 Abs. 1 ZPO gilt richtigerweise auch in einstweiligen Verfügungsverfahren (OLG Saarbrücken v. 30.04.2008 – 1 U 461/07, juris; LG Bochum v. 04.10.2017 – 13 O 136/17, juris), so dass der Nachweis nicht – wie der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers es versucht hat – mittels einer eidesstattlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel zu führen war, wie im Schrifttum teilweise angedeutet wird (so Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 80 Rn. 8 unter Verweis auf die dies allerdings nicht tragende Entscheidung des LG Hamburg v. 13.08.2020 – 304 T 10/20, juris; an diese anschließend formstreng auch BGH v. 29.09.2021 – VII ZB 25/20, juris Rn. 15). Angesichts der nunmehr vorliegenden Urkunde - deren Echtheit nicht bestritten ist und die deswegen auch nicht (im Freibeweisverfahren, dazu MüKo-ZPO/Toussaint, 6. Aufl. 2020, § 80 Rn. 18) zu klären war - bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das spontane Erheben der Rüge erst im Termin zur mündlichen Verhandlung im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) war, woran mit den Ausführungen des Landgerichts aber durchaus Bedenken bestehen.
2. Es fehlt vorliegend nicht - wie der Verfügungsbeklagte meint - am Verfügungsgrund, denn es liegt kein „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten des Verfügungsklägers bzw. seines – ihm nach allgemeiner Ansicht über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden (OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 m.w.N.) - Verfahrensbevollmächtigten vor, welches zu einer sog. Selbstwiderlegung der Dringlichkeit/Dringlichkeitsvermutung hätte führen können.
a) Als „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten ist nur ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Verfügungskläger mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht oder nicht mehr so eilig ist, so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit den damit zu Lasten des Verfügungsbeklagten verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und der Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen bei dem angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund können dabei anerkanntermaßen nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens bzw. sogar bei der Zwangsvollstreckung haben. Indes liegen hier keine solchen Verhaltensweisen vor.
b) Es kann zunächst nicht daran angeknüpft werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte einen (später zurückgezogenen) Antrag auf Fristverlängerung für die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gestellt hat.
aa) Zwar ist der Verfügungskläger nach Aufhebung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung auf Widerspruch hin durch das angefochtene Urteil (wieder) genauso wie vor dem erstmaligen Erlass einer einstweiligen Verfügung „ungesichert“ gewesen (vgl. OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 55), so dass etwaigen Termins- und Fristverlegungsanträgen (außerhalb hier nicht vorliegender besonderer rechtfertigender Umstände, dazu OLG Karlsruhe v. 09.06.2005 – 4 U 164/04, BeckRS 2005, 30357864) kritischer zu begegnen ist, weil mit der Stattgabe solcher Anträge in aller Regel nicht unerhebliche Verfahrensverzögerungen einhergehen, die der Verfügungskläger dann mit seinem Antrag billigend in Kauf nimmt. Soweit dies teilweise so streng gehandhabt wird, dass schon allein ein Verlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist um – wie hier – einen Monat schädlich sein soll, selbst wenn diesem Antrag gar nicht entsprochen wird oder er auch sonst keine Folgen hat (so die von der Vorsitzenden in ihrem Hinweis zitierte Entscheidung des OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 und möglicherweise auch Kontusch JuS 2012, 323, 326 sowie Schuschke/Roderburg, in: Schuschke u.a., Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, Vor § 935 Rn. 105; beide allerdings nur unter Verweis auf eine dies so nicht tragende Entscheidung des KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692), deckt sich das zwar mit der teils wohl gleichermaßen sehr strengen Handhabung bei Anträgen auf Terminsverlegung (siehe selbst für einen Hilfsantrag in einer mündlicher Verhandlung auf eine kurze Vertagung OLG Düsseldorf v. 10.07.1997 - 2 U 9/97, WRP 1997, 968).
bb) Indes erscheint diese Lesart so pauschal überzogen streng und verstellt den Blick auf die tatsächlich gebotene Einzelfallbetrachtung, zumal die rein prozessualen Möglichkeiten einer Fristverlängerung für Rechtsmittelfristen - die ohnehin primär auf „normale“ Klageverfahren ausgelegt sind - mit der Frage der „Dringlichkeit“ unmittelbar nichts zu tun haben und es allenfalls um indizielle Auswirkungen auf die tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit gehen kann (grundlegend Teplitzky, WRP 2013, 1414 ff.); deswegen ist stets eine Würdigung im Einzelfall geboten (so auch OLG Hamburg v. 21.03.2019 – 3 U 105/18, juris, Rn. 45; gegen Dringlichkeitsschädlichkeit einer prozessual zulässigen Fristverlängerung und –ausschöpfung – überholt – aber sogar noch OLG Hamburg v. 08. Juli 1976 – 3 U 45/76, juris Rn. 38; v. 17.08.1995 – 3 U 87/95, WRP 1996, 27, 28). Mit Blick darauf wird eine Dringlichkeitsschädlichkeit von der herrschenden Meinung nur dann diskutiert, wenn man über den Fristverlängerungsantrag hinaus die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist auch tatsächlich überschritten hat (so OLG München v. 30.06.2016 – 6 U 531/16, GRURRR 2016, 499 Rn. 79 selbst bei nur wenigen Tagen), wobei zumeist zusätzlich eine „nicht unerhebliche“ Verlängerung der Frist vorausgesetzt wird, bei der man die so bewilligte Frist auch „nicht unerheblich“ oder sogar vollständig „ausnutzt“ (so etwa schon Senat v. 19.01.2012 - 15 U 195/11, BeckRS 2012, 5820; siehe ferner OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 52 ff.; v. 13.09.2001 – 6 U 79/01, juris Rn. 4 f. – 6 Tage unschädlich; OLG Dresden v. 06.03.2018 – 4 U 1675/17, NJW-RR 2018, 1135 Rn. 7 f.; OLG Hamburg v. 18.08.2017 – 7 U 72/17, BeckRS 2017, 127226 Rn. 2 ff.; OLG Celle v. 17.09.2015 - 13 U 72/15, BeckRS 2016, 17073; KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692; OLG Düsseldorf v. 15.07.2002 - 20 U 74/02, GRUR-RR 2003, 31; OLG Köln v. 05.07.1999 – 16 U 3/99, BeckRS 1999, 30065637; OLG München v. 09.08.1990 - 6 U 3296/90, GRUR 1992, 328; OLG Naumburg v. 20.09.2012 - 9 U 59/12, MMR 2013, 131, 132 – zwei Wochen unschädlich; siehe allg. auch MüKo-ZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 935 Rn. 22; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1433; Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 54 Rn. 27; Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401; offen Senat v. 18.03.2019 - 15 U 25/19, BeckRS 2019, 22208 bei Verlängerung um eine Woche über Karneval im Rheinland).
cc) Mit Blick darauf und auf die weitere Tatsache, dass es hier um einen Fristablauf kurz nach den Weihnachts-/Neujahrstagen mit einer Urlaubsabwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten ging und zudem nicht gesetzt ist, dass der Verfahrensbevollmächtigte selbst ohne den richterlichen Hinweis der Vorsitzenden (siehe zu dessen Bewertung den Beschluss des Senats vom 17.02.2022 – 15 U 244/21, Bl. 211 ff. d. Senatshefts mit Blick auf § 42 ZPO) die beantragte Frist auch tatsächlich voll ausgeschöpft hätte, ist die indizielle Wirkung (nur) des Antrages aber noch nicht so deutlich, dass in der Gesamtschau schon ein dringlichkeitsschädliches Verhalten anzunehmen wäre. Ist etwa das OLG Frankfurt v. 24.09.2015 – 6 U 60/15, BeckRS 2016, 1414 Rn. 4 in einem ganz ähnlichen Fall – dort sogar nach erfolgter Fristverlängerung - bei auf einen richterlichen Hinweis auf die möglichen Folgen hin zumindest noch zeitnah eingereichter Berufungsbegründung vom Fortbestehen des Verfügungsgrundes ausgegangen, kann vorliegend nichts anderes gelten, zumal hier sogar noch innerhalb der regulären Begründungsfrist reagiert und die Begründung fristgerecht vorgenommen worden ist. Allein auf das bloße Einreichen des Verlängerungsantrages als Indiz für eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzustellen, wäre in einem solchen Fall zu streng (vgl. auch erneut Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401: „Der Ver-längerungsantrag selbst schadet nicht, wenn die beantragte und gewährte Verlängerung nicht oder nur unerheblich ausgenutzt wird.“).
c) Soweit die Berufung – wie gerade ausgeführt - nach Rücknahme des Fristverlängerungsantrages tatsächlich (kurz) vor Ablauf der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist, wäre selbst ein vollständiges Ausschöpfen dieser prozessualen Frist jedenfalls im Regelfall nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln nicht dringlichkeitsschädlich gewesen (OLG Köln v. 20.12.1996 – 6 U 204/96, NJWE-WettbR 1997, 176; v. 13.12.2002 - 6 U 156/02487, NJOZ 2003, 486, 488; v. 13.12.2002 – 6 U 156/02, BeckRS 2003, 1281 Rn. 11; offen BGH v. 01.07.1999 – I ZB 7/99, juris Rn. 11). Der vorliegende Sachverhalt bietet keinen Anlass für eine strengere Handhabung im Einzelfall.
d) Der Verfügungsbeklagte dringt auch nicht mit der weiteren Erwägung durch, dass die Dringlichkeitsvermutung allgemein eben auch dadurch widerlegt werden kann, dass ein Verfügungskläger in einem auf einen Widerspruch (§ 924 ZPO) hin anberaumten Termin säumig bleibt (vgl. OLG Frankfurt v. 04.09.2020 – 10 U 18/20, NJW-RR 2021, 117 Rn. 19 m.w.N.; jedenfalls bei Ausschöpfen der Einspruchsfrist auch OLG Düsseldorf v. 25.08.2015 - 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904). Denn die Versuche des Verfügungsbeklagten, dem den Fall einer „nicht ordnungsgemäßen Vertretung“ im Termin gleichzustellen, tragen hier gleich mehrfach nicht: Zum einen war tatsächlich eine Prozessvollmacht vor Verfahrensbeginn erteilt und allein der formale Nachweis scheiterte in der besonderen, durch die spontane Rüge i.S.d. § 80 Abs. 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung und die durch die allseitige Teilnahme an diesem Termin nach § 128a Abs. 1 ZPO besonders erschwerten Reaktionsmöglichkeiten. Soweit die Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten meint, dass „ein gewissenhafter Anwalt „auf Nummer sicher gegangen" (wäre) und … jedenfalls die erforderliche Vollmacht zum Nachweis bei sich geführt“ hätte, verkennt sie zum anderen schon ganz grundlegend, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Vollmachtsurkunde tatsächlich „greifbar“ in seiner Kanzlei bei sich hatte und allein das rechtzeitige Verbringen der Urkunde an die richtige Stelle eines der größten Landgerichte der Bundesrepublik in der besonderen Situation der Verhandlung nach § 128a Abs. 1 ZPO zum rein praktischen Problem geworden ist. Hier eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit allein daraus abzuleiten, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers in der Situation im Termin möglicherweise bei prozessual etwas „geschickterem“ Vorgehen noch einen weiteren Fristverlängerungsantrag für die Beibringung (etwa um 30 Minuten) hätte stellen können - was das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung als geeignete Reaktionsmöglichkeit angesprochen hat – und dies versäumt worden ist, ginge nach Auffassung des Senats hier zu weit, zumal man sich ansonsten um eine zeitnahe Vorlage der Urkunde eben durchaus bemüht und diese sogleich auf den Weg zum Landgericht gebracht hatte.
e) Eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit kann schließlich auch nicht mit Blick auf eine angeblich zu zögerliche Vollziehung und Zwangsvollstreckung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung angenommen werden. Abstrakt ist das zwar durchaus denkbar, wenn etwa ein mögliches Verfahren nach § 890 ZPO gegen fortbestehende Verletzungen nicht oder nicht zeitnah betrieben wird (vgl. etwa OLG Köln v. 07.04.2017 – 6 U 135/16, GRUR-RR 2018, 95 sowie OLG Frankfurt v. 25.03.2010 - 6 U 219/09, BeckRS 2010, 16885; KG v. 08.04.2011 – 5 U 140/10, BeckRS 2011, 09414). Ein solcher Fall liegt aber hier ersichtlich nicht vor: Mit Blick auf die konkrete „Erstverletzung“ hat der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung unstreitig zeitnah vollzogen. Soweit es allein um spätere - sei es inhaltlich vergleichbare - Äußerungen des Verfügungsbeklagten geht, die zu der gesonderten Einleitung eines eigenständigen gerichtlichen Verfahrens in Hamburg geführt haben, hat der Senat bereits im Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte) ausgeführt, dass schon wegen des doch etwas anderen Kontextes dieser Äußerung erhebliche Zweifel an einer „Kerngleichheit“ angebracht waren, weswegen gerade auch keine rechtsmissbräuchliche Mehrfachverfolgung im Raum steht. Mit den gleichen Erwägungen kann das Unterlassen des Versuchs des Erwirkens eines Ordnungsmittelbeschlusses über § 890 ZPO hier aber auch nicht als dringlichkeitsschädliches Verhalten eingeordnet werden, zumal der Verfügungskläger durch sein Vorgehen mit dem zeitnahen Antrag auf Erlass einer weiteren einstweiligen Verfügung in Hamburg gerade deutlich belegt hat, dass ihm an einer umfassenden und zeitnahen Sicherung stets gelegen war.
4. Auch ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers (jedenfalls) aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ist hier hinreichend glaubhaft gemacht (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO).
a) Zur Meidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat zunächst auf den - seinerzeit nach Anhörung des Verfügungsbeklagten sowie nach Einsichtnahme durch den Senat in das zwar von den Parteien bisher nicht vollständig zu den Akten gereichte, damals im Internet gemäß dem Hinweis des Landgerichts vom 19.05.2021 (Bl. 52 d.A.) aber noch frei abrufbare (§ 291 ZPO) Video mit einem ca. 13-minütigen Statement des Verfügungsbeklagten zum Verfügungskläger ergangenen - Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte). Dies gilt auch mit Blick auf die Fassung des Tenors und die mit Blick auf die beAVolumenbegrenzungen hier noch mögliche Einbettung der Datei (dazu allg. auch Senat v. 12.07.2021 – 15 W 45/21, GRUR-RS 2021, 26526 Rn. 29).
b) Das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung (Bl. 138 ff. d.A.) und im Berufungsverfahren rechtfertigt nur noch nachstehende ergänzende Ausführungen des Senats:
aa) Soweit der Senat bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung im genannten Beschluss in der Tat noch keine näheren Ausführungen zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) gemacht hat, kann dem Video-Posting zwar ein gewisser satirischer Charakter nicht abgesprochen werden, mag das an der konkret streitgegenständlichen Stelle auch weniger zum Ausdruck kommen. Indes ist die Kunstfreiheit anerkanntermaßen nicht schrankenlos gewährt und findet in kollidierenden Grundrechtspositionen Dritter – hier dem Recht der persönlichen Ehre des Verfügungsklägers – ihre Grenzen, wobei die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz zum schonenden Ausgleich zu bringen sind. Letztlich geht es damit aber auch hier (nur) um eine Abwägungsentscheidung (vgl. etwa OLG Hamburg v. 15.05.2018 - 7 U 34/17, BeckRS 2018, 8374 Rn. 19; dazu BVerfG v. 26.01.2022 – 1 BvR 2026/19, BeckRS 2022, 1484), zu der sogleich näher auszuführen ist; auch Art 5 Abs. 3 GG trägt hier im Ergebnis keine andere Gewichtung. Wegen der eindeutigen Teilbarkeit der streitgegenständlichen Passagen vom Rest des Beitrages (als „Gesamtkunstwerk“) bestehen auch mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG keine durchgreifenden Bedenken an einem – gegenüber einem sonst alleindenkbaren sog. Gesamtverbot immerhin „milderen“ – Teilverbot eben nur der hier konkret angegriffenen Passage (allg. dazu auch OLG Hamburg a.a.O. Rn. 21 selbst zu einem Gedicht). Die hier fragliche Passage zeichnet sich auch nicht durch ganz besondere satirische Elemente aus, was ggf. die Frage nach einer Trennung von Aussagegehalt und nur satirischer Einkleidung aufwerfen könnte; anderes behauptet auch der Verfügungsbeklagte nicht.
bb) Der Senat lässt mit Blick auf die weiteren Ausführungen des Verfügungsbeklagten zur popkulturellen bzw. im allgemeinen Sprachgebrauch heutzutage üblichen Nutzung des in der Tat vielschichtigen Begriffs „Schwein“ in Fällen mit sexueller Konnotation bzw. egoistischer Triebbefriedigung nunmehr ausdrücklich offen, ob tatsächlich bereits von einer Formalbeleidigung und/oder einer Schmähkritik mit der Folge eines Abwägungsausfalls auszugehen ist; auch die vorgelegte Entscheidung des LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21 (Bl. 179 ff. d. Senatshefts) hat dies ersichtlich in Frage gestellt. Denn darauf kommt es – wie auch im Termin erörtert – hier nicht entscheidend an: Denn der Senat hat schon bei Erlass der einstweiligen Verfügung ausgeführt, dass ungeachtet der (formalen) Einordnung der Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähkritik (die man deswegen offenlassen könnte) jedenfalls in der Abwägung – diese nur bezogen auf die konkrete Äußerung als konkrete Verletzungsform im hier fraglichen Kontext - die schutzwürdigen Persönlichkeitsrechte des Verfügungsklägers – mag dieser auch nur in seiner sog. Sozialsphäre betroffen sein – ebenfalls überwiegen. Ein solches – mehr oder weniger „vorsorgliches“ - Abstellen auf eine Abwägungsentscheidung (unter Offenlassen eines sonst denkbaren „Abwägungsausfalls“ wegen der Annahme einer Formalbeleidigung/Schmähkritik) entspricht – dies entgegen der im nicht nachgelassenen Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2021 zum Ausdruck Gebrachten - auch der zuletzt u.a. in der sog. „D“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 und 42 ff.) vorgezeichneten Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens in Fällen wie dem Vorliegenden.
cc) Zu der Abwägungsentscheidung kann zunächst dann ebenfalls auf den o.a. Beschluss des Senats und die in dem Parallelverfahren gemachten und gleichlaufenden Erwägungen des Landgerichts Hamburg Bezug genommen werden. Zusammenfassend sei (noch einmal) betont, dass der Senat nicht in Frage stellen will, dass auch eine polemische und „überzogene“ Auseinandersetzung mit dem strafbaren Verhalten des Verfügungsklägers, der nicht nur wegen seiner Rolle als ehemaliger Nationalspieler, sondern gerade auch wegen des greifbaren Kontrastes seines Verhaltens zu seinem früheren sozialen Engagement für Kinderrechte keinesfalls pauschal zu sanktionieren wäre. Ganz im Gegenteil muss sich der Verfügungskläger die kritische Würdigung im Grundsatz gefallen lassen. Auch steht außer Frage, dass die aus Anlass der Verurteilung versuchte „Selbstinszenierung“ des Verfügungsklägers als ein „Medienopfer“– ungeachtet aller möglichen Auswüchse von manchen Presseorganen – ebenso Anlass zu Kritik bieten mag wie die auch aus den Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsklägers im Termin vor dem Senat wieder ableitbaren, eher durchschaubaren Versuche, das Verhalten des Verfügungsklägers in Ansehung der inhaltlich nicht bestrittenen Chatverläufe „schönzufärben“ oder gar den damals beteiligten Zeuginnen eine Schuld am Gesamtgeschehen zuzuweisen bzw. entsprechende Mutmaßungen über deren Geltendmachung von Zeugnisverweigerungsrechten im Strafverfahren anzustellen. Auch der von einem „agent provocateur“ – sei es auch unter dem behaupteten Einfluss von Bekannten, Polizei und/oder gar Presseorganen – zu einer Straftat veranlasste Straftäter ist und bleibt im Zweifel ein Straftäter bzw. muss sich – selbst wenn es strafrechtliche Bedenken gegen eine Verurteilung gegeben hätte (wie nicht) – zumindest dennoch der kritischen Würdigung seines tatsächlichen Verhaltens stellen, für das eine Rechtfertigung zu finden auch dem Senat ausdrücklich nicht möglich ist. Indes bedeutet dies – dies entgegen den engagierten Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten im Termin und im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022 – keinen „Freibrief“ auch für grenzenlos übersteigerte und die Person des Betroffenen in ihrem sozialen Geltungsanspruch tief treffende Äußerungen; genau um eine solche geht es aber hier.
(1) In der Abwägung bedarf es dabei stets einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. etwa BVerfG v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 m.w.N.). Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG a.a.O. Rn. 31 m.w.N.). Treten so etwa selbst bei einem Politiker etwaige Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen einer öffentlichen Debatte zurück, wenn es um eine ins Persönliche gehende Beschimpfung und eine auf die Person abzielende öffentlichen Verächtlichmachung geht (BVerfG a.a.O. Rn. 34), sind ganz allgemein kritische Äußerungen umso weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt (BVerfG a.a.O. Rn. 34). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles dann insbesondere auch erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert - in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – durchaus die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit (BVerfG a.a.O. Rn. 36). Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist stets auch die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung, wobei Form und Begleitumstände der Kommunikation maßgeblich sind und der Adressatenkreis, die Frage der Perpetuierung eines Eingriffs und auch die Breitenwirkung einer Internetpublikation (BVerfG a.a.O. Rn. 37).
(2) Unter Berücksichtigung dieser Prämissen bleibt es auch mit Blick auf das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten und auch das oben zu Art. 5 Abs. 3 GG Gesagte bei dem bereits aufgezeigten Abwägungsergebnis.
(a) Selbst wenn man zu Gunsten des Verfügungsbeklagten in Rechnung stellt, dass er in einem bundesweit für Aufsehen sorgenden und gesetzliche Reformen im Strafrecht beeinflussenden Strafverfahren tagesaktuell kritisch Position bezogen haben mag und – wie aufgezeigt – der Verfügungskläger selbst hinreichenden Anlass für eine solche Kritik gegeben hat, wurden an der hier fraglichen Stelle des Postings - auch nach Mimik, Gestik und Ausdruck, wobei eben Wort-/Bildberichterstattungen anerkanntermaßen in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind – sprichwörtlich „alle Hemmungen fallengelassen“ und der Bogen schlichtweg „überspannt.“ Es geht dabei – dies entgegen dem Standpunkt der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten – nicht darum, dass die Ausführungen des Senats zum „virtuellen Marktplatz“ eigentlich doch dazu führen müssten, das - konsequent zu Ende gedacht – das gesamte ca. 13-minütige Statement des Verfügungsbeklagten insgesamt zu verbieten sei. Die Widerspruchsbegründung (S. 30 = Bl. 167 d.A.) sieht nämlich selbst den Unterschied gerade im Duktus der angegriffenen Stelle („Was allein bleibt, ist der - so man es so betrachten will - vermeintlich schärfere Wortlaut.“); genau dies ist aber – wie ausgeführt – das Problem.
(b) Da dem durchschnittlichen „Follower“ des Verfügungsbeklagten die vorangegangenen öffentlichen Auseinandersetzungen unter den Parteien auch schwerlich verborgen geblieben sein können, fällt dabei aber gerade die (erneute) Verwendung (ausgerechnet) des Terminus „krankes Schwein“, der in anderem Kontext bereits zu Lasten des Verfügungsbeklagten streitentscheidend gewesen ist (Senat v. 13.10.2020 – 15 W 46/20, GRUR-RS 2020, 46637 Rn. 12), deutlich ins Gewicht. Es geht hier nicht etwa um eine in einer emotionalen Situation möglicherweise aufgrund einer verständlichen Erregung (nur) im Einzelfall entgleisende scharfe Formulierung, sondern vielmehr um das ganz bewusstes Kalkül eines offenkundig Uneinsichtigen, der mit dem schon damals plakativ genutzten, einprägsamen und in die Öffentlich getragenen Passus offenbar hier nur (erneut) „Stimmung machen“ wollte, um auf dem „virtuellen Marktplatz“ vor dem Gerichtsgebäude zur Stimmungsmache unter seinen Anhängern nochmals mit deutlich abschätzender Mimik und Gestik den Stab über dem Verfügungskläger zu brechen. Dass der Verfügungsbeklagte gerade um die ihm im Zusammenhang mit einer Verdachtsäußerung bereits einmal vom Senat untersagte Bezeichnung als „krankes Schwein“ ringt und mit der damaligen prozessualen „Niederlage“ offenbar hadert, zeigt plastisch das „Nachtatverhalten“ zum hiesigen Vorfall, welches zu dem weiteren Verfahren vor dem Landgericht Hamburg geführt hat und in dem auch die dortige Kammer nur eine überzogene und in der Abwägung nicht hinnehmbare (wiederholte) Kränkung mit der bewussten und öffentlich bekannt gewordenen Formulierung gesehen hat.
(c) Verstärkt wird das Vorgenannte im konkreten Zusammenhang zudem dadurch, dass sich der Verfügungsbeklagte zusätzlich noch aus dem Nichts heraus in haltlosen Spekulationen (auch) über angeblich mögliche Missbrauchshandlungen des Verfügungsklägers (auch) im Ausland („Osteuropa, Asien“) verliert, zu denen weder das Strafverfahren noch sonstige tatsächliche Umstände Anlass boten. Dies kann man möglicherweise in Abgrenzung zu einer Auseinandersetzung (nur) mit den abstoßenden Inhalten der im Termin vor dem Senat inhaltlich nicht bestrittenen „Chatverläufe“ des Verfügungsklägers sehen, die möglicherweise Rückschlüsse zumindest auf ein „Weiter-Denken“ des Verfügungsklägers im Hinblick auch auf körperliche Missbrauchshandlungen von Kindern bieten mögen (vgl. dazu auch S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 23.06.2021 = Bl. 163 ff. der Beschwerdeakte sowie Anlage ASt 5, Bl. 192 ff. d.A. und den nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022, Bl. 226 ff. d. Senatshefts). Jedenfalls dieser weitere (haltlose) Angriff mit dem Vorwerfen etwaiger Auslandsstraftaten zeigt aber, dass es im vorliegenden Kontext mit dem darin liegenden Bedienen üblicher „Klischee-Vorstellungen“ zu „Triebtätern“ und deren Verhalten etwa im asiatischen Ausland nur um eine besondere Herabsetzung des damals frisch verurteilten Verfügungsklägers ging, hinter der das öffentliche Interesse an einer (unbestreitbar möglichen) kritischen Würdigung von Tat, Täter, Gerichtsverfahren und Umgang des Täters mit der Strafe (nur) im vorliegenden Einzelfall zurücktritt. Diese Umstände lassen den Begriff „krankes Schwein“ - ungeachtet des sonst vom Verfügungsbeklagten reklamierten Bedeutungswandels dieses Begriffs – jedenfalls hier weiterhin als übermäßigen Eingriff in die Rechte des Verfügungsklägers erscheinen, den dieser im konkreten Kontext in der Gesamtabwägung nicht mehr hinzunehmen hat. Ob man sonst das Schwein in der christlichen Lehre mit der Unzucht, Völlerei und den sog. Todsünden in Verbindung gebracht hat und es zu einer kulturell-religiös gewachsenen Symbolfigur für das Triebhafte geworden ist, spielt insofern dann auch keine entscheidende Rolle mehr.
(d) Dem Verfügungsbeklagten soll – was der Senat a.a.O. bereits zum Ausdruck gebracht hat - ansonsten auch ausdrücklich nicht die Möglichkeit genommen werden, sich kritisch mit dem Verfügungsklägers und seinem strafbaren Verhalten bzw. seinem Umgang mit der Verurteilung auseinanderzusetzen. Dass in anderem sprachlichen Duktus und anderer Einkleidung u.U. dann auch ähnlich scharfe Begrifflichkeiten bzw, „schweinisches“ oder „krankes“ Verhalten vorgeworfen werden könnten, ist Frage des Einzelfalles und hier nicht allgemein zu entscheiden. Vorliegend jedenfalls tritt das sachliche Anliegen des Verfügungsbeklagten aber – ungeachtet des tagesaktuellen Anlasses seiner Äußerungen und dem möglicherweise im Kern auch berechtigten Sachanliegen jedenfalls derart in den Hintergrund, dass sich die Äußerung letztlich in einer persönlichen Kränkung erschöpft.
5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2022 (Bl. 226 ff. d. Senatshefts) rechtfertigt keine andere Sichtweise und trägt keine – im Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohnehin regelmäßig ausgeschlossene (Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 55 Rn. 19) – Wiedereröffnung nach § 525 S. 1, 156 Abs. 1 oder 2 ZPO.
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut in einem weiteren Verfahren einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung angenommen.
Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsbeschwerde wegen Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung erfolgreich
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Landgericht Berlin die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichem Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt hat, indem es ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Verfügung erlassen hat.
Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Das Landgericht hatte im Ausgangsverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Sache eine einstweilige Verfügung erlassen. Vor deren Erlass waren mehrere gerichtliche Hinweise an die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ergangen, infolge derer sie ihren Vortrag ergänzte und die Anträge teilweise zurückgenommen hatte, ohne dass die Beschwerdeführerin hiervon Kenntnis hatte oder ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre. Dies verletzt die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Den wiederholten Verstoß der Fachgerichte gegen das Gebot der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen nahm die Kammer im Anschluss an den Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 - (Pressemitteilung Nr. 11/2022 vom 11. Februar 2022) erneut zum Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen.
Sachverhalt:
Gegenstand des zugrundeliegenden Verfahrens war die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Im September 2020 berichtete die Beschwerdeführerin – ein Presseverlag – in Wort und Bild über die Feier eines Richtfestes für das im Bau befindliche Anwesen der prominenten Antragstellerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: die Antragstellerin). Auf mehreren Fotos waren neben der Antragstellerin und ihrem Lebensgefährten der Rohbau des Hauses und die Gäste bei der Feierlichkeit zu sehen. Die Berichterstattung befasste sich unter anderem kritisch mit der Art und Weise der Durchführung der Feier während der aktuellen Corona-Pandemie.
Die Antragstellerin mahnte die Beschwerdeführerin hinsichtlich bestimmter Teile der Wortberichterstattung sowie der gesamten Bildberichterstattung ab und forderte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Die Beschwerdeführerin wies die geltend gemachten Ansprüche zurück. Im Oktober 2020 stellte die Antragstellerin beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Pressekammer des Landgerichts erteilte einen gerichtlichen Hinweis, worin sie Bedenken äußerte, allein der Antragstellerin und gewährte nur ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Erwiderung der Antragstellerin erging erneut ein allein an sie gerichteter Hinweis des Gerichts, worauf hin die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung teilweise zurücknahm. Das Landgericht erließ anschließend „wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“ die angegriffene einstweilige Verfügung, die der Beschwerdeführerin Teile der Wort- und Bildberichterstattung untersagte. Die einstweilige Verfügung wurde der Beschwerdeführerin am 7. Dezember 2020 zugestellt.
Am 8. Dezember 2020 baten die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin das Landgericht um Übersendung etwaiger gerichtlicher Schreiben oder Aktennotizen in der vorliegenden Sache. Die Unterlagen gingen erst am 5. Januar 2021 bei den Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin ein.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf prozessuale Waffengleichheit sowie ihrer Rechte aus Art. 5 Abs. 1 GG.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Erlass der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht hat die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.
1. Die prozessuale Waffengleichheit steht im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Gehör ist insbesondere auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes unvereinbar.
2. Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit.
Durch Erlass der einstweiligen Verfügung ohne jegliche Einbeziehung der Beschwerdeführerin war vorliegend keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber der Verfahrensgegnerin gewährleistet. Das Landgericht äußerte sich im Rahmen seiner schriftlichen Hinweise allein gegenüber der Antragstellerin zu seiner vorläufigen Rechtsauffassung in der Sache. Die Antragstellerin hatte daraufhin Gelegenheit Stellung zu nehmen, ergänzte ihren Vortrag und nahm ihren Antrag auf den zweiten richterlichen Hinweis hin teilweise zurück. Die Beschwerdeführerin hingegen erfuhr erst nach Erlass der sie belastenden einstweiligen Verfügung, dass ein Verfahren anhängig war und dass das Gericht Hinweise erteilt hatte. Auch eine Gelegenheit, sich zum weiteren Vorbringen der Antragstellerin zu äußern, wurde ihr nicht gegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass das Landgericht der Beschwerdeführerin erst nach mehrmaliger Nachfrage und zudem acht Wochen nach Erlass der gegen sie gerichteten einstweiligen Verfügung die gerichtlichen Hinweise zukommen ließ, so dass der Beschwerdeführerin erst ab diesem Zeitpunkt das gesamte Prozessgeschehen bekannt war. Vorliegend wäre die Einbeziehung der Beschwerdeführerin durch das Gericht vor Erlass der Verfügung offensichtlich geboten gewesen.
Das BVerfG hat entschieden, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vorliegt, wenn eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung der Gegenseite erlassen wird und der Verfügungsantrag wesentlich von der vorprozessual ausgesprochenen Abmahnung abweicht
Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorangegangene Anhörung
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Hanseatische Oberlandesgericht die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichem Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt hat, indem es ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Anordnung erlassen hat.
Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Das Oberlandesgericht hatte im Ausgangsverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Sache eine einstweilige Anordnung erlassen. Vor deren Erlass waren mehrere gerichtliche Hinweise an die Antragstellerin des Ausgangsverfahren ergangen, infolge derer sie ihre Anträge umgestellt, ergänzt und teilweise zurückgenommen hatte, ohne dass die Beschwerdeführerin hiervon Kenntnis hatte oder ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre. Dies verletzt die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Den wiederholten Verstoß der Fachgerichte gegen das Gebot der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen nahm die Kammer schließlich zum Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen.
Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin veröffentlichte auf einer von ihr verantworteten Internetplattform ein Interview, in dem unter anderem die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens erwähnt wurde. Wegen dieser Berichterstattung mahnte die Antragstellerin die Beschwerdeführerin mit anwaltlichem Schreiben zunächst erfolglos ab.
Die Antragstellerin stellte deshalb beim Landgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung. Der begehrte Unterlassungstenor entsprach der zuvor außergerichtlich geforderten Unterlassungserklärung. Nachdem das Gericht dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mitteilte, dass die Anträge nach vorläufiger Beratung keine Aussicht auf Erfolg hätten, formulierte die Antragstellerin ihren ursprünglich gestellten Antrag um und ergänzte zwei Hilfsanträge. Das Landgericht wies den Antrag auch in seiner nachgebesserten Form durch Beschluss zurück. Im Verfahren der sofortigen Beschwerde wies der Berichterstatter des zuständigen Senats des Oberlandesgerichts den Bevollmächtigten der Antragstellerin darauf hin, dass man nur einem bestimmten Antrag stattgeben werde. Die Antragstellerin nahm die übrigen Anträge daraufhin zurück. Das Oberlandesgericht erließ anschließend eine einstweilige Unterlassungsverfügung „der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung“ gegen die Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin wurde zuvor nicht angehört.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der prozessualen Waffengleichheit.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
I. Die prozessuale Waffengleichheit steht im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei ist von Verfassungs wegen nichts dagegen einzuwenden, wenn das Gericht in solchen Eilverfahren auch die Möglichkeiten einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Insoweit kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine Abmahnung allerdings nur dann, wenn der Verfügungsantrag in Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht wird, die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat. Demgegenüber ist dem Antragsteller Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise als in der Abmahnung oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird. Gehör ist insbesondere auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt.
II. Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit.
Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin war vorliegend keine Gleichwertigkeit ihrer prozessualen Stellung gegenüber dem Verfahrensgegner gewährleistet. Zwar hatte die Antragstellerin die Beschwerdeführerin vorprozessual abgemahnt. Der Verfügungsantrag, dem der Pressesenat stattgab, entsprach jedoch nicht mehr der außerprozessualen Abmahnung. Er war wesentlich verändert worden. Hier waren mehrere gerichtliche Hinweise an die Antragstellerin ergangen, infolge derer sie ihre Anträge umgestellt, ergänzt und teilweise zurückgenommen hatte. Während die Antragstellerin somit mehrfach und flexibel nachsteuern konnte, um ein für sie positives Ergebnis des Verfahrens zu erreichen, hatte die Beschwerdeführerin keinerlei Möglichkeit, auf die veränderte Sach- und Streitlage zu reagieren. Sie wusste bis zur Zustellung der Entscheidung des Pressesenats nicht, dass gegen sie ein Verfahren geführt wurde. Dies verletzt die prozessuale Waffengleichheit. Spätestens das Oberlandesgericht hätte die Beschwerdeführerin vor dem Erlass seines Beschlusses über die zuvor an die Antragstellerin ergangenen Hinweise in Kenntnis setzen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu den veränderten Anträgen geben müssen.