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BVerfG: Scharfe Kritik an der Bundesregierung durch Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf Artikel einer Online-Publikation von Meinungsfreiheit gedeckt

BVerfG
Beschluss vom 11.04.2024
1 BvR 2290/23

Das BVerfG hat entschieden, dass scharfe Kritik an der Bundesregierung durch einen Journalisten auf X mittels Ankündigungstext und Verlinkung auf einen Artikel einer Online-Publikation von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Journalisten gegen die gerichtliche Untersagung einer kritischen Äußerung über die Bundesregierung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde eines Journalisten stattgeben. Dieser wendet sich gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihm eine kritische Äußerung gegenüber der Bundesregierung untersagt wurde.

Im August 2023 veröffentlichte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ die Kurznachricht „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. In der Kurznachricht verlinkt war der Artikel eines Online-Nachrichtenmagazins mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“. Das Kammergericht untersagte dem Beschwerdeführer auf Antrag der Bundesregierung die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Die Äußerung sei eine unwahre Tatsachenbehauptung, die geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Verfassungsbeschwerde.

Die Entscheidung des Kammergerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sie verfehlt erkennbar den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes.

Sachverhalt:

Am 25. August 2023 veröffentlichte das Online-Nachrichtenmagazin (…) einen Artikel mit der Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“, in dem es unter anderem hieß: „Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor zwei Jahren hat die Bundesregierung 371 Millionen Euro für Entwicklungshilfe im Land bereitgestellt. (…).“ Etwa eine Stunde nach der Veröffentlichung setzte der Beschwerdeführer auf der Kommunikationsplattform „X“ eine zu diesem Artikel verlinkende Kurznachricht ab. Ihr Text lautete: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“. Am Ende seiner Kurznachricht fügte der Beschwerdeführer den Internet-Link zu dem Artikel ein, dessen Überschrift „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ unterhalb des Links angezeigt wurde.

Mit angegriffenem Beschluss vom 14. November 2023 untersagte das Kammergericht dem Beschwerdeführer die Äußerung „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)“. Juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Ein solcher Ehrenschutz könne jedenfalls dann geltend gemacht werden, wenn die konkrete Äußerung geeignet sei, die juristische Person schwerwiegend in ihrer Funktion zu beeinträchtigen. So liege es hier. Durch die Äußerung des Beschwerdeführers bestünde die Gefahr, dass bei der Bevölkerung der Eindruck entstehe, die Bundesregierung zahle Entwicklungshilfe an ein Terrorregime, das die Rechte der Bevölkerung mit Füßen trete. Dies könne Zweifel in das Vertrauen der Arbeit der Bundesregierung und ihre Funktionsfähigkeit wecken.

Durch den Beschluss des Kammergerichts sieht sich der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. a) Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Der Staat hat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Zwar dürfen grundsätzlich auch staatliche Einrichtungen vor verbalen Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen. Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öffentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen. Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.

b) Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Auszugehen ist stets vom Wortlaut der Äußerung. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinne einstufen mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter.

2. Hieran gemessen, verstößt die Entscheidung des Kammergerichts gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit, da sie den Sinn der angegriffenen Äußerung und deren Charakter einer Meinungsäußerung erkennbar verfehlt.

a) Aus der Sicht eines Durchschnittslesers war es bereits angesichts der wiedergegebenen Vorschau des verlinkten Artikels ein hervorstechendes Anliegen des Beschwerdeführers, zwischen seiner Kurznachricht und einem hiermit verlinkten Nachrichtenartikel einen inhaltlichen Bezug herzustellen. Wird für die Kontextbestimmung einer Äußerung eine hierin für den Rezipienten erkennbar in Bezug genommene, inhaltlich sogar unmittelbar wahrnehmbare Schlagzeile eines Nachrichtenartikels ausgeblendet, verfehlt bereits dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen. Das war hier der Fall.

b) Indem das Kammergericht für seine Beurteilung die in der Kurznachricht wiedergegebene Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ ausblendet, verharrt seine Sinndeutung auf einer isolierten Betrachtung des Kurznachrichtentextes. Auch zieht es nicht in Erwägung, ob die Annahme einer Tatsachenbehauptung angesichts der wiedergegebenen Schlagzeile „Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan“ als fernliegend auszuscheiden und aus der Sicht eines Durchschnittslesers allein die zugespitzte Meinungsäußerung anzunehmen sei, mit einer Zahlung von „Entwicklungshilfe für Afghanistan“ zahle Deutschland faktisch „Entwicklungshilfe an die Taliban“. Zugleich verliert das Kammergericht aus dem Blick, dass die Kritik an der Bundesregierung als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens geprägt ist, auch dann als Meinungsäußerung geschützt wird, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten, und dass weder die Bundesregierung Zahlungen von Entwicklungshilfe „für Afghanistan“ in Abrede stellt, noch die angegriffene Entscheidung in Zweifel zieht, dass die Gefahr ihres mittelbaren Zugutekommens an die Machthaber in Afghanistan besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Dresden: Facebook / Meta trägt bei Deaktivierung eines Nutzerkontos die Darlegungs- und Beweislast für Verstoß gegen Nutzungsbedingungen

OLG Dresden
Urteil vom 12.12.2023
4 U 1049/23


Das OLG Dresden hat entschieden, dass Facebook / Meta bei Deaktivierung eines Nutzerkontos die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen trägt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die einer fristlosen Kündigung gleichstehende „Deaktivierung“ des Nutzerkontos durch die Beklagte am 15.12.2019 ist unter Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem Nutzungsvertrag erfolgt. Die Beklagte kann sich insoweit weder auf ihre Nutzungsbedingungen unter Ziffer 4.2 noch auf entsprechende gesetzliche Regelungen §§ 314, 626 BGB stützen. An der Wirksamkeit von Ziffer 4.2 der Nutzungsbedingungen (Anlage K 40) bestehen keine Bedenken, denn sie entsprechen nahezu wörtlich der gesetzlichen Regelung in § 314 BGB.

Die vorübergehende (in Ziff. 3.2 der Nutzungsbedingungen geregelte) Deaktivierung und die dauerhafte Aussetzung oder Kündigung von Konten in Ziff. 4.2 erfordern in gleicher Weise eine Abwägung der gegenüberstehenden Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz, was nach der Rechtsprechung des BGH auch die Berücksichtigung verfahrensrechtlicher Sicherungen beinhaltet (vgl. auch Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/22, Rn 22 - juris). Dass die Netzwerkbetreiber vor dem Ergreifen von Sanktionen die ihnen zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts ergreifen müssen, gilt nicht nur für vorübergehende Maßnahmen, sondern erst recht für die dauerhafte Kündigung eines Nutzerkontos, die die Grundrechte des Nutzers in weitaus stärkerem Maße beeinträchtigt als etwa die 30-tägige Versetzung in den "read-only"-Modus (vgl. Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/21, Rn 22 - juris). Der Netzwerkbetreiber muss sich in seinen Geschäftsbedingungen dazu verpflichten, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrages und eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos umgehend zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zu geben, hierzu Stellung zu nehmen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrages einhergeht (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2022 - III ZR 12/21, Leitsatz 4 zu Ziffer 3.2. der Nutzungsbedingungen der Beklagten). Es ist allerdings nicht zwingend geboten, die notwendige Anhörung vor dieser Maßnahme durchzuführen. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Netzwerkbetreiber im Hinblick auf die Löschung eines Beitrages in seinen Geschäftsbedingungen den Nutzern ein Recht auf unverzügliche nachträgliche Benachrichtigung, Begründung und Gegendarstellung mit anschließender Neubescheidung einräumt (BGH, a.a.O.). Eine solche Sachverhaltsaufklärung vor einer fristlosen Kündigung wird sowohl in den §§ 314, 626 BGB als auch in Ziff. 4.2. der Nutzungsbedingungen durch das Regelerfordernis der Abmahnung sichergestellt (vgl. Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/21, Rn 22 - juris). Von dem Erfordernis der Abmahnung oder der Einräumung einer Abhilfefrist kann nur in bestimmten, eng begrenzten Ausfällen abgewichen werden, wenn die andere Seite die Erfüllung ihrer Pflicht ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen.

Die Beklagte hat diese von ihr selbst aufgestellten Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung hier allerdings nicht eingehalten. Sie hat dem Kläger unstreitig weder eine Abhilfefrist eingeräumt noch ihn abgemahnt, bevor sie das Konto dauerhaft deaktivierte. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich ernsthaft geweigert hätte, sich an die Gemeinschaftsstandards zu halten, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass unter Abwägung der Interessen beider Parteien wegen der besonderen Umstände eine sofortige Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung oder einer zu gewährenden Abhilfefrist zulässig gewesen sein soll. Vortrag hierzu ist nicht vorhanden.

Darüber hinaus hat die Beklagte zum Vorliegen eines Kündigungsgrundes nicht schlüssig vorgetragen. Die Beklagte hat sich zur Begründung eines Verstoßes des Klägers gegen ihre Gemeinschaftsstandards darauf beschränkt, einen Verstoß gegen das Verbot von Nacktdarstellung und sexueller Ausbeutung von Kindern zu behaupten. Dies reicht nicht aus. Es besteht weder ein Screenshot des vom Kläger veröffentlichten Beitrages noch hat die Beklagte den Inhalt des Beitrages konkret dargestellt.

Es obliegt nach allgemeinen Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen der Beklagten, die sich auf einen Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsstandards durch den Kläger beruft, vorzutragen und zu beweisen, dass ein wichtiger Grund für die dauerhafte Deaktivierung des Nutzerkontos vorgelegen hat. Insoweit kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf den Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 22.08.2019 (18 U 1319/19, Anlage B35) stützen. Der maßgebliche Abschnitt verhält sich nicht zur dauerhaften Deaktivierung, sondern betrifft die Darlegungs- und Beweislast des Gesamtkontextes als Voraussetzung der korrekten rechtlichen Bewertung der konkreten Äußerung. Unabhängig davon ist nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen derjenige, der sich auf bestimmte Tatsachen stützt (Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards, Wirksamkeit der von ihm ausgesprochenen fristlosen Kündigung) darlegungs- und beweisbelastet. Die Beweislast für den Kündigungsgrund liegt beim Kündigungsberechtigten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.09.2020 - 21 U 92/19 - juris). Unabhängig hiervon wäre es dem Kläger angesichts der Pauschalität der Vorwürfe auch gar nicht möglich, die Vorwürfe der Beklagten zu widerlegen und die negative Tatsache, nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen zu haben, zu beweisen.

Soweit die Beklagte behauptet, ihr sei kein weiterer Vortrag möglich, weil der Beitrag unwiederbringlich und vollständig gelöscht worden sei, hat sie den Umstand, dass ihr weder ein schlüssiger Vortrag noch ein Beweisantritt möglich ist, selbst herbeigeführt.

1.3. Dem Kläger steht jedoch der im Hauptantrag geltend gemachte Anspruch auf die Wiederherstellung des Nutzerkontos mit allen Verknüpfungen seines Profils, wie es zum Löschungszeitpunkt bestand, nicht zu. Denn insoweit ist die Wiederherstellung nahezu vier Jahre nach der Deaktivierung nicht ohne weiteres möglich. Zum einen - und dies stellt der Kläger auch nicht in Abrede - ist offen, ob andere Nutzer, mit denen der Kläger zum Zeitpunkt der Deaktivierung seines Nutzerkontos noch verknüpft war, noch auf der sozialen Plattform aktiv sind. Zum anderen hat die Beklagte plausibel dargelegt, dass sie den in Rede stehenden Beitrag, der Auslöser für die Deaktivierung des Kontos war, endgültig und dauerhaft gelöscht habe. Auch dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt. Eine Herstellung ist insoweit unmöglich gemäß § 275 Abs. 1 BGB und kann von der Beklagten nicht verlangt werden.

1.4. Der mit dem Hilfsantrag begehrte Anspruch ist nicht gemäß § 242 BGB i.V.m. Ziffer 3.1. der Nutzungsbedingungen wegen Fehlens eines schutzwürdigen Eigeninteresses ausgeschlossen, weil der Kläger ein anderes Nutzerkonto auf der sozialen Plattform bei der Beklagten errichtet hat. Nach Ziffer 3.1. kann jeder Nutzer nur ein einziges Konto für persönliche Zwecke nutzen. Gleichwohl kann die von der Beklagten vertragswidrige Deaktivierung des Nutzerkontos nicht mit der Begründung verweigert werden, der Kläger verfüge über ein anderes Konto, zumal das deaktivierte Konto über Beiträge und Verknüpfungen verfügte, die das neue Konto allein schon wegen der Dauer seines Bestehens nicht aufweisen kann. Es ist nach Wiederherstellung des früheren Nutzerkontos Sache der Parteien, wie die in Ziffer 3.1. der Nutzungsbedingungen enthaltene Regelung umgesetzt wird. Dies kann auch durch eine Löschung eines der Nutzerkonten durch den Kläger geschehen.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Berichtigung der Daten dahingehend, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen, der der Deaktivierung zugrunde lag, aus dem Datensatz gelöscht und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird, §§ 280, 241, 249 BGB. Der Anspruch folgt aus dem Nutzungsvertrag, den die Beklagte durch die rechtswidrige Deaktivierung verletzt hat (vgl. Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/21, Rn 26 - juris).

[…]

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch, dass es diese unterlässt, sein Konto zu deaktivieren, ohne ihn vorab über die beabsichtigte Sperre zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung einzuräumen. Ebenso wenig hat er Anspruch darauf, dass es die Beklagte unterlässt, etwaige Beiträge zu löschen, ohne ihn zugleich in speicherbarer Form den Anlass der Löschung oder Sperrung mitzuteilen.

Unabhängig davon, dass die Beklagte verpflichtet ist, vor einer fristlosen Kündigung und damit verbundener Kontosperrung dem Kläger eine Abhilfemöglichkeit einzuräumen oder ihn abzumahnen, ist es nicht stets unwirksam, ein Nutzerkonto ohne vorherige Anhörung zu deaktivieren. Dies kann z. B. bei besonders schweren Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards und/oder bei strafbaren Handlungen der Fall sein. Nimmt ein Nutzer z. B. kinderpornographische Bilder oder andere strafbare Handlungen in seine timeline auf, so ist eine sofortige Sperrung oder Deaktivierung seines Nutzerkontos ohne Anhörung möglich(vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2022 - III ZR 12/21, Leitsatz 5). Um eine strafrechtliche Verantwortlichkeit, eine zivilrechtliche Haftung oder eine Inanspruchnahme nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) auszuschließen, muss die Beklagte unverzüglich tätig werden, um Beiträge mit strafbaren oder rechtsverletzenden Inhalten, die sie für ihre Nutzer gespeichert hat, zu entfernen oder zu sperren, sobald sie Kenntnis von Tatsachen oder Umständen erlangt hat, aus denen die Rechtswidrigkeit der Beiträge offensichtlich wird (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021 - III ZR 179/20, Rdnr. 77 - juris). Aus diesem Grund kann eine sofortige Sperrung oder Löschung eines Beitrags erforderlich und auch wirksam sein.

Ebenso kann aus vorgenannten Gründen eine Sperrung oder eine Löschung eines Beitrages auch dann wirksam sein, wenn dem Nutzer nicht zugleich der Anlass der Sperrung mitgeteilt wird. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalles an. Eine abstrakte Verbotsregelung kann nicht ausgesprochen werden.

Für die zugleich gegen die dauerhafte Aussetzung der Nutzungsfunktion und Kündigung gerichtete Klage besteht ein solches pauschales Anhörungserfordernis ohnehin nicht, vielmehr knüpfen Ziffer 4.2 der Nutzungsbedingungen an den Ablauf einer „gewährten Abhilfefrist“ oder einer erfolglosen Abmahnung an (vgl. Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/21, Rdnr. 28 - juris).

[…]

7. Ein Schadensersatzanspruch steht dem Kläger ebenfalls nicht zu

7.1. Der Antrag ist zwar zulässig, denn es liegt keine unzulässige alternative Klagehäufung vor. Der Kläger stützt seinen Antrag auf die rechtswidrige Deaktivierung seines Kontos und damit einen bestimmten Lebenssachverhalt. Er stützt seinen Anspruch lediglich auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen.

7.2. Er hat aber schon einen bei ihm entstandenen materiellen Schaden nicht hinreichend dargelegt, sondern lediglich ausgeführt, dass ihm die Nutzung unmöglich geworden sei und er dadurch einen materiellen Schaden erlitten habe. Dies genügt nicht. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 08.03.2022 (4 U 1050/21 unter Rdnr. 31 - juris) in vollem Umfang Bezug genommen.

Ebenso wenig steht ihm ein Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes in Form eines Schmerzensgeldes im Sinne von § 253 BGB zu. Ein solcher Anspruch wird regelmäßig erst dann zugesprochen, wenn ein schwerwiegender Eingriff von der Art ist, dass Rechtsbehelfe, die auf die Unterlassung bzw. Beseitigung der Störung zielen, die Verletzungsfolgen nicht hinreichend ausgleichen können. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Insoweit wird ebenfalls auf die Ausführungen des Senats in seinem Urteil vom 08.03.2022 (- 4 U 1050/21 unter Rdnr. 32 - juris) in vollem Umfang Bezug genommen.

Ein Schadensersatzanspruch ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer fiktiven Lizenzgebühr begründet. Unabhängig davon, dass nicht ersichtlich ist, dass vorliegend der Nutzungsmöglichkeit des Accounts ein wirtschaftlicher Wert beizumessen wäre, ist eine Bemessung von Leistung und Gegenleistung angesichts der Natur des für den Kläger unentgeltlichen Nutzungsvertrages und des unbestimmten Umfangs der im Einzelfall für die Beklagte nutzbaren Daten des Klägers nicht möglich (vgl. Senat, Urteil vom 08.03.2022 - 4 U 1050/21, Rdnr. 33 - juris).

Einen Schadensersatzanspruch kann der Kläger auch nicht mit Erfolg auf Art. 82 DSGVO stützen. Dieser hängt von einer Verarbeitung personenbezogener Daten unter Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO ab. Erforderlich ist daneben ein Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Verarbeitung und einem konkreten Schaden (so EuGH, Urteil vom 04.05.2023 - C - 300/21, Rdnr. 36 - juris). Für einen immateriellen Schaden besteht ein Nachweiserfordernis durch die betroffene Person (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnrn. 49, 50 - juris). Der Schaden muss tatsächlich und sicher entstanden sein (vgl. EuGH, Urteil vom 04.04.2017 - C-337/15, Rdnr. 91 - juris). Dazu ist - wie bereits ausgeführt - nichts vorgetragen worden. Der bloße Datenverlust stellt keinen Schaden dar (vgl. Senat, Urteil vom 20.08.2020 - 4 U 784/20 - juris; vgl. Urteil Senat vom 05.12.2023 - 4 U 709/23 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Kontrollverlust über die Daten stellt keinen immateriellen Schaden im Sinne von Art. 82 DSGVO dar (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.08.2023 - 7 U 19/23, Rn 151 - juris; vgl. Urteil Senat vom 05.12.2023 - 4 U 709/23 - zur Veröffentlichung vorgesehen).




EU-Kommission: Verfahren gegen X / Twitter wegen Verletzung der Vorschriften des Digital Services Act (DSA) durch Verbreitung illegaler Inhalte eröffnet

Die EU-Kommission hat ein Verfahren gegen X / Twitter wegen Verletzung der Vorschriften des Digital Services Act (DSA) durch Verbreitung illegaler Inhalte eröffnet.

Die Pressemitteilung des EU-Kommission:
The European Commission has opened formal proceedings to assess whether X may have breached the Digital Services Act (DSA) in areas linked to risk management, content moderation, dark patterns, advertising transparency and data access for researchers.

On the basis of the preliminary investigation conducted so far, including on the basis of an analysis of the risk assessment report submitted by X in September, X's Transparency report published on 3 November, and X's replies to a formal request for information, which, among others, concerned the dissemination of illegal content in the context of Hamas' terrorist attacks against Israel, the Commission has decided to open formal infringement proceedings against X under the Digital Services Act.

The proceedings will focus on the following areas:

The compliance with the DSA obligations related to countering the dissemination of illegal content in the EU, notably in relation to the risk assessment and mitigation measures adopted by X to counter the dissemination of illegal content in the EU, as well as the functioning of the notice and action mechanism for illegal content in the EU mandated by the DSA, including in light of X's content moderation resources.

The effectiveness of measures taken to combat information manipulation on the platform, notably the effectiveness of X's so-called ‘Community Notes' system in the EU and the effectiveness of related policies mitigating risks to civic discourse and electoral processes.

The measures taken by X to increase the transparency of its platform. The investigation concerns suspected shortcomings in giving researchers access to X's publicly accessible data as mandated by
Article 40 of the DSA, as well as shortcomings in X's ads repository.

A suspected deceptive design of the user interface, notably in relation to checkmarks linked to certain subscription products, the so-called Blue checks.

If proven, these failures would constitute infringements of Articles 34(1), 34(2) and 35(1), 16(5) and 16(6), 25(1), 39 and 40(12) of the DSA. The Commission will now carry out an in-depth investigation as a matter of priority. The opening of formal infringement proceedings does not prejudge its outcome.

These are the first formal proceedings launched by the Commission to enforce the first EU-wide horizontal framework for online platforms' responsibility, just 3 years from its proposal.

Next Steps
After the formal opening of proceedings, the Commission will continue to gather evidence, for example by sending additional requests for information, conducting interviews or inspections.

The opening of formal proceedings empowers the Commission to take further enforcement steps, such as interim measures, and non-compliance decisions. The Commission is also empowered to accept any commitment made by X to remedy on the matters subject to the proceeding.

The DSA does not set any legal deadline for bringing formal proceedings to an end. The duration of an in-depth investigation depends on a number of factors, including the complexity of the case, the extent to which the company concerned cooperate with the Commission and the exercise of the rights of defence.

The opening of formal infringement proceedings does not prejudge its outcome. It relieves Digital Services Coordinators, or any other competent authority of EU Member States, of their powers to supervise and enforce the DSA in relation to the suspected infringements of Articles 16(5), 16(6) and 25(1).

Background
X (formerly known as Twitter) has been designated as a Very Large Online Platform (VLOP) on 25 April 2023 under the EU's Digital Services Act, following its declaration of having 112 million monthly active users in the EU as reported to the Commission on 17 February 2023.

As a VLOP, since four months from its designation, X has had to comply with a series of obligations set out in the DSA. In particular:

Pursuant to Articles 34(1), 34(2) and 35(1), VLOPs are obliged to diligently identify, analyse, and assess any systemic risks in the Union stemming from the design or functioning of their service and its related systems, or from the use made of their services. When conducting risk assessments, VLOPs shall take into account a number of factors that influence the systemic risks, including recommender systems, advertising systems or the intentional manipulation of the service, including through inauthentic use or automated exploitation of the service, as well as the amplification and potentially rapid and wide dissemination of illegal content and of information that is incompatible with their terms and conditions. VLOPs are obliged to put in place reasonable, proportionate and effective mitigation measures, tailored to the specific systemic risks identified.
Pursuant to Articles 16(5) and 16(6), online platforms have to notify without undue delay individuals or entities of content moderation decision, providing information on the possibilities for redress in respect of that decision; platforms shall take such decisions in a timely, diligent, non-arbitrary and objective manner.

Pursuant to Article 25(1), online platforms shall not design, organise or operate their online interfaces in a way that deceives or manipulates their users or in a way that otherwise materially distorts or impairs the ability of the users of their service to make free and informed decisions.
Pursuant to Article 39, VLOPs have to compile and make publicly available through a searchable and reliable tool a repository containing advertisements on their platforms, until one year after the advertisement was presented for the last time, in a way that the information is accurate and complete.

Pursuant to Article 40(12), VLOPs have to provide researchers with effective access to platform data
.



OLG Frankfurt: Twitter- / X-Kommentar mit "#DubistEinMann“ zum Post einer Transfrau zum Thema "Terf" keine Schmähkritik und von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt

OLG Frankfurt
Hinweisbeschluss vom 26.09.2023
16 U 95/23


Das OLG Frankfurt hat im Rahmen eines Hinweisbeschlusses ausgeführt, dass ein Twitter- / X-Kommentar mit "#DubistEinMann“ zum Post einer Transfrau zum Thema "Terf" keine Schmähkritik darstellt und von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Keine Schmähkritik „#DubistEinMann“ ist eine zulässige Meinungsäußerung

Die Beklagte kommentierte einen Beitrag der Klägerin auf der Plattform „X“ u.a. mit „#DubistEinMann“. Diese Aussage ist unter Berücksichtigung des Kontextes und nach Abwägung der involvierten Interessen als zulässige Meinungsäußerung einzuordnen, beschloss das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) mit heute veröffentlichter Entscheidung und folgte damit der Einschätzung des Landgerichts. Die Klägerin nahm daraufhin ihren Eilantrag zurück.

Die Klägerin ist als Journalistin tätig. Sie ist Transfrau und Aktivistin. Ebenso wie die Beklagte ist sie auf der Plattform „X“, vormals Twitter, aktiv. Die Klägerin veröffentlichte dort den Beitrag: „Beim @Frauenrat tummeln sich gerade jede Menge #TERF #TERFs in den Kommentaren. Gebt dem Frauenrat doch mal ein wenig Support (Herz-Emoji)“. Die Beklagte kommentierte dies mit „8 likes (Smiley-Emoji mit lachendem Gesicht und Schweißtropfen) times changed! #DubistEinMann“. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren es zu unterlassen, hinsichtlich ihrer Person zu verbreiten, „sie sei ein Mann“. Das Landgericht hatte den Antrag zurückgewiesen.

Diese Einschätzung teilte auch das OLG. Die Klägerin könne nicht verlangen, dass die streitgegenständliche Äußerung unterlassen werde, bestätigte das OLG die landgerichtliche Entscheidung im Rahmen seines Hinweisbeschlusses. Der Aussagegehalt der angegriffenen Äußerung sei im Kontext mit dem sonstigen Inhalt des Tweets aus Sicht eines verständigen und unvoreingenommenen Lesers zu ermitteln. Demnach kommentiere die Beklagte die Äußerung und den Aufruf der Klägerin und bekunde ihre ablehnende Meinung zu dem in dem verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates thematisierten Recht auf Selbstbestimmung und Transgeschlechtlichkeit. Der Post der Beklagten stelle sich als Antwort auf den Post der Klägerin und den dort verlinkten Beitrag des Deutschen Frauenrates dar. Vor dem angefügten Hashtag befinde sich der eigentliche Kommentar der Beklagten. Das Smiley-Emoji solle die Witzigkeit unterstreichen. Mit ihrem Kommentar bringe die Beklagte zum Ausdruck, dass das Thema an gesellschaftspolitischer Bedeutung verloren und die Einstellung hierzu sich geändert habe.

„Aufgrund der Schreibweise der nachfolgenden Äußerung ohne Leerzeichen und der atypischen Großschreibung des unbestimmten Artikels „ein“ sowie der Einkleidung als Hashtag versteht der Leser diese (#dubistEinMann) nicht als persönliche Ansprache der Klägerin im Sinne einer direkten Rede, sondern als verallgemeinernde, d.h. an jede Transfrau gerichtete Aussage“, vertiefte das OLG. Der Begriff „Mann“ korreliere für den Leser erkennbar mit dem von der Klägerin in ihrem Hashtag verwendeten Akronym „terf“ (Trans-Exclusionary Radical Feminist), „der für einen Feminismus steht, der transFrauen ausschließt und ausdrücken soll, dass die damit bezeichnete „transgeschlechtliche“ Personen, insbesondere Transfrauen, diskriminiert oder die Transidentität als solche infrage gestellt wird“. Prägend für die Lesart des Lesers sei auch, dass Hashtags insbesondere zur Verschlagwortung und Indexierung von Inhalten genutzt würden; durch die Verknüpfung mit anderen Beiträgen solle gerade Öffentlichkeit generiert werden.

Das Landgericht habe auch zu Recht verneint, dass hier Schmähkritik vorliege. Der Äußerung lasse sich nicht entnehmen, dass die Beklagte die Klägerin losgelöst vom Inhalt ihres Posts und des damit verlinkten Beitrags des Deutschen Frauenrats und damit abseits der Sachdebatte als Person herabwürdigen und diffamieren wolle.

Dem Recht der Beklagten auf Meinungsäußerungsfreiheit gebühre hier gegenüber dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der Klägerin und ihrer geschlechtlichen Identität der Vorrang. Zu berücksichtigen sei u.a., dass sich die Klägerin wiederholt selbst aktiv in die Öffentlichkeit begeben und das Selbstbestimmungsrecht und ihr eigenes Geschlecht zum Gegenstand eines gesellschaftlichen Diskurses gemacht habe. Mit den von der Klägerin gesetzten Hashtags habe diese bewusst die dahinterstehende „Community“ angesprochen. Der hier thematisierte Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes und die damit verbundenen Wirkungen berührten die Öffentlichkeit wesentlich.

Die Klägerin hat nach Erhalt des Hinweisbeschlusses des OLG ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen. Damit ist die landgerichtliche Entscheidung wirkungslos.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 26.9.2023, Az. 16 U 95/23

(vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 6.7.2023, Az. 2-03 O 228/23)


AG Berlin-Mitte: Bundesminister darf Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt

AG Berlin-Mitte
Beschluss vom 19.10.2023
151 V 167/23 eV


Das AG Berlin-Mitte hat entschieden, dass ein Bundesminister Nutzer bei Twitter / X und anderen sozialen Netzwerken jedenfalls dann blockieren darf, wenn es sich nach den Gesamtumständen um ein Privat-Account handelt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der zulässige, auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auszulegende, Antrag des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.

1.) Dem Antragsteller steht der gegen den Antragsgegner geltend gemachte materiell-rechtliche (Verfügungs-)Anspruch auf Zugang zu dessen Account bzw. Unterlassung der fortwährenden Blockade seines eigenen Accounts nicht zu.

a.) Ein solcher Zugangsanspruch ergibt sich insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt eines diskriminierungsfreien Zugangs zu sog. öffentlichen Einrichtungen. Eine solche öffentliche Einrichtung wird gemeinhin definiert, als eine Zusammenfassung personeller und sachlicher Mittel, die ein Träger öffentlicher Verwaltung in Erfüllung einer in seinen Wirkungskreis fallenden Aufgabe einem bestimmten Kreis der Öffentlichkeit durch (ausdrückliche oder schlüssige) Widmung im Rahmen ihres Nutzungszwecks zur Benutzung zur Verfügung stellt. Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur erfüllen etwa von Behörden betriebene, staatliche Social Media-Accounts diese Anforderungen (vgl. VG Hamburg,Urt.v.28.04.2021-3K5339/19,juris;VGMainz,Urt.v.13.04.2018-4K762/17,juris; VGMünchen,Urt.v.27.10.2017-M26K16.5928,juris;Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 370; Milker, NVwZ 2018, 1751; zu im Internet betriebenen Datenbanken vgl. auch BVerwG, Urt. v. 19.02.2015 - 1 C 13/14).

Entgegen der Ansicht des Antragstellers handelt es sich beim Account des Antragsgegners indes nicht um einen hoheitlichen Account i.S.e. öffentlichen Einrichtung. Dem steht aus Sicht des Gerichts bereits entgegen, dass dieser ausdrücklich nicht dahingehend gewidmet wurde, sondern der Antragssteller gerade nicht ausschließlich in seiner Eigenschaft als Bundesminister, sondern zumindest auch als Bundestagsabgeordneter, Universitätsprofessor, Wissenschaftler und eben Privatmann „selbst und privat tweetet“ (vgl. Profil-Biografie des Antragsgegners). Der Account des Antragsgegners ist auch nicht seinem Inhalt nach als hoheitlich zu qualifizieren - und damit ggf. konkludent durch rein tatsächliches Bereitstellen dahingehend gewidmet worden.

Wohingegen die äußerungsrechtliche Zulässigkeit einer konkreten Äußerung auch auf Social Media-Accounts in der Rechtsprechung bereits weitgehend geklärt zu sein scheint (vgl. etwa VerfGH Berlin, Urt. v. 20. 2. 2019 - VerfGH 80/18; VG Berlin, Beschluss v. 21.02.2022 - 6 L 17/22), trifft dies auf die rechtliche Einordnung ganzer Social Media-Accounts als privat oder hoheitlich noch nicht zu; in der Praxis im Zusammenhang im Gegensatz zu Behörden mit konkreten Amtsträgern aufgetretene Fälle konnten bisher - soweit erkennbar - keiner gerichtlichen Klärung in der Sache zugeführt werden. Klare Vorgaben des Gesetzgebers wären zwar äußerst wünschenswert, liegen bisher jedoch nicht vor. Ausgangspunkt der Einordnung muss nach Ansicht des Gerichts - wie auch beim Äußerungsrecht von Amtsträgern - die sog. Sprecherrollentheorie des Bundesverfassungsgerichts sein (vgl. zum Ganzen etwa BVerfG, Urt. v. 27.02.2018 - 2 BvE 1/16, juris; BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris; Milker, JA 2017, 647; Barczak, NVwZ 2015, 1014; Gusy, NVwZ 2015, 700). Während sich Handlungen und Äußerungen von Privatpersonen auf Freiheitsgrundrechte stützen lassen, kann der Staat sich auf solche nicht berufen. Jedoch ist es für die hinter einem Hoheitsträger stehende Privatperson möglich, sich am politischen Wettbewerb zu beteiligen und sich diesbezüglich auf die Meinungsfreiheit zu berufen, sofern sie nicht in der Funktion als Hoheitsträger auftritt; ein Amtsträger kann also in verschiedenen Sprecherrollen auftreten: Als Amtswalter oder Privatperson (insb. Parteipolitiker). Auch wenn diese Rollen schon in der “analogen Welt“ nicht immer trennscharf abgegrenzt werden können (m.w.N. BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 - 2 BvE 2/14, juris, Rn. 54), gilt nichts abweichendes für Accounts auf Social Media-Plattformen.

Zudem kommt es, anders als für die Frage nach der äußerungsrechtlichen Zulässigkeit einzelner Beiträge, für die Frage nach der Qualifizierung als öffentliche Einrichtung nach Ansicht des Gerichts auf das Gesamtgepräge des ganzen Social Media-Accounts an (a.A. und bereits bei einzelnen hoheitlichen Beiträgen bejahend Reinhard, Die Follower, die ich rief …, 27.06.2019, verfügbar unter: https://verfassungsblog.de/die-follower-die-ich-rief/, zuletzt abgerufen am 18.10.2023); dies ergibt sich schon aus dem Wesen der Widmung als einheitlichem Rechtsakt sowie der Möglichkeit einer entsprechenden Entwidmung. Es würde zu einer künstlichen Aufspaltung eines einheitlichen digitalen Auftritts führen, wenn ein Bundesminister mit jedem Beitrag unter Nennung seiner Funktion einen konkludenten Widmungsakt vornimmt und diesen im nächsten Beitrag mit Urlaubsbildern zugleich widerruft; vor allem dann, wenn - wie hier - in der Profil-Biografie ein ausdrücklich entgegenstehender Wille des Accountbetreibers erkennbar ist. Ferner muss für den potenziellen Abonnenten bereits im Vorwege eines möglichen Abonnierens feststehen, ob es sich um einen staatlichen oder privaten Account handelt (so Harding, NJW 2019, 1910, 1913).

Erforderlich ist also eine umfassende Würdigung des konkreten Social Media-Accounts im Rahmen einer Gesamtschau, wobei insbesondere dessen Inhalt, Form und der äußere Zusammenhang der auf ihm getätigten Äußerung abzustellen ist (zu den herangezogenen Abgrenzungskriterien und ihren Anpassungen an den digitalen Raum m.w.N. Harding, NJW 2019, 1910, 1912; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 5 ff.). Entscheidend ist, ob der Amtswalter aus Sicht eines objektiven bzw. unvoreingenommenen Beobachters in spezifischer Weise staatliche Autorität in Anspruch nimmt.

Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass allein die Verwendung der Amtsbezeichnung den privaten Charakter einer Verlautbarung noch nicht aufzuheben vermag, da durch ihn amtliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch genommen wird. Vielmehr gestatten es die Beamtengesetze des Bundes und der Länder einem Hoheitsträger ausdrücklich, die Amtsbezeichnung auch außerhalb des Dienstes zu führen (vgl. bspw. § 86 Abs. 2 S. 2 BBG). Damit sich allein aus dem Hinweis auf die Amtsträgereigenschaft der hoheitliche Charakter einer Äußerung ergibt, muss der Amtsträger seine Stellung derart in den Vordergrund rücken, dass der objektive Beobachter davon ausgehen muss, es komme dem Amtsträger gerade darauf an, in amtlicher Funktion aufzutreten und amtliche Autorität auszunutzen. Dies kann den vom Antragssteller in Bezug genommenen Beiträgen des Antragsgegners nicht entnommen werden. Der bloße Hinweis auf eine Dienstreise unter Verwendung eines sog. Selfies vermag bei unbefangenen Bürgern ebenso wenig den Eindruck einer hoheitlichen Verlautbarung eines Bundesministers und Ausnutzung seiner amtlichen Autorität erwecken, wie das Teilen eines geschenkten Jutebeutels nebst Trophäe unter offensichtlich (weil mit aus Symbolen erstelltem Gesichtsausdruck versehen, sog. Emoticon bzw. Smiley) auch satirisch gemeinter Verwendung der Worte „So spannend können Meldungen eines Ministers sein ;)“. Das Teilen des Accounts des Antragsgegners durch unzweifelhaft hoheitliche Accounts wie dem offiziellen Account eines Bundesministeriums wiederum vermag an der Qualifizierung des “privaten“ Accounts nichts zu ändern. Ferner muss die Verwendung der Bezeichnung „Bundestagsabgeordneter“ in diesem Kontext von vornherein ohne Auswirkung auf die Abgrenzung von privat und hoheitlich bleiben. Denn die Differenzierung zwischen hoheitlichen und parteipolitischen Accounts von Abgeordneten würde grundlegend ihren Zweck verfehlen, da nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das Parlament in der Gesamtheit seiner Mitglieder Hoheitsgewalt ausübt (vgl. BVerfG, Urt. v. 21.07.2000 - 2 BvH 3/91, juris, Rn. 51; BVerfG, Urt. v. 13.06.1989 - 2 BvE 1/88, juris, Rn. 102; BVerfG, Beschluss v. 10.05.1977 - 2 BvR 705/75, juris, Rn. 27).

Der Antragsgegner greift auch auf keine ihm allein wegen der Eigenschaft als Bundesminister zur Verfügung stehenden Ressourcen zurück, sodass er unter dem Gesichtspunkt der Umstände seiner Verlautbarungen hoheitliche Autorität nicht in spezifischer Weise in Anspruch nimmt. Dabei steht der Möglichkeit, nach außen sichtbar auf staatliche Ressourcen zurückzugreifen auch nicht entgegen, dass die Aufmachung von Profilen auf der Social Media-Plattform X im Wesentlichen identisch ist und nur begrenzt zur Disposition der einzelnen Accountbetreiber steht. Denn der Accountbetreiber kann insbesondere durch seinen Nutzernamen, die Bilder seines Profils, der Biografie seines Accounts sowie einem Impressum ausreichend auf die äußere Gestaltung des Profils Einfluss nehmen. Deswegen ist es - soweit ersichtlich - weitgehende Praxis, dass sich Nutzernamen staatlicher Accounts ausschließlich aus dem Namen bzw. der Abkürzung des jeweiligen Ressorts speisen und nicht aus Amtsbezeichnungen des jeweiligen Ministers. Das soll gerade dazu dienen, mögliche Verwechslungen mit persönlichen Accounts von Amtsinhabern zu vermeiden (vgl. bspw. Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Handreichung für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Kommunikation und Information in Sozialen Medien, November 2018, S. 6). Die Nutzung spezieller hoheitlicher Ressourcen durch den Antragsgegner ist jedoch nicht erkennbar, insbesondere erfolgte keine Verwendung des Bundeswappens oder ähnlicher nach außen erkennbar hoheitlicher Zeichen. Auch lautet der Name des Accounts schlicht „@[…]“ bzw. „Prof. Dr. […]“ und eben nicht „Bundesminister der Gesundheit Prof. Dr. […]“. Evtl. verbleibende Unsicherheiten können letztlich nur durch den Accountbetreiber selbst überwunden werden. Wenn - wie hier - ein expliziter Hinweis erfolgt, dass das Profil ausschließlich zur privaten Kommunikation dienen soll, bleibt dies zumindest solange maßgeblich, wie staatliche Öffentlichkeitsarbeit nicht quasi rechtsmissbräuchlich unter dem Deckmantel privater Äußerungen betrieben wird (Harding, NJW 2019, 1910, 1914).

Aber auch aus der Materie der Verlautbarung kann im konkreten Fall nicht darauf geschlossen werden, dass der Antragsgegner amtliche Autorität auf spezifische Weise in Anspruch genommen hat, etwa weil er überwiegend Aussagen trifft, die er allein aufgrund eines mit seinem Amt zusammenhängenden Informationsvorsprungs treffen konnte oder die Äußerungen im privaten Kontext schlichtweg sinnlos erscheinen. Das Teilen eines Selfies vor einem Regierungsflieger mag zwar (zeitlich und örtlich) mit der hoheitlichen Tätigkeit des Antragsgegners zusammenhängen. Ein mit dem Amt zusammenhängender Informationsvorsprung ist bei dem schlichten Hinweis auf offizielle Dienstreisen, bei denen regelmäßig auch Pressevertreter zugegen sind, indes nicht erkennbar. Ebenso erweist sich auch der vom Antragsteller in Bezug genommene Beitrag im Zusammenhang mit der Verleihung des Preises „Goldener Blogger 2022“ als reine Privatsache. Es handelt sich hierbei um einen Preis, der jährlich im Rahmen einer Gala für besondere Leistungen im Bereich der Sozialen Medien vergeben wird. Im Falle des Antragsgegners wurde dieser gerade nicht für seine (gesellschafts-)politischen Leistungen oder seiner Tätigkeit als Bundesminister der Gesundheit, sondern für den „Twitter-Account des Jahres“ vergeben. Hieran vermag auch der Hinweis auf das eigene Ministeramt nichts ändern (siehe oben). Dass der Antragsgegner auf seinem Account - wie der Antragsteller meint - ausschließlich für seine (politische) Regierungsarbeit und “sein“ Bundesministerium wirbt, hat der Antragsteller folglich nicht ausreichend dargelegt.

Schließlich vermag auch der Verweis des Antragsstellers auf die Verifizierung des Accounts des Antragsstellers, „weil es sich um einen staatlichen Account oder den einer multilateralen Organisation handelt“, dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zum einen erfolgte diese Verifizierung nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragsgegners ohne sein Zutun und zum anderen steht diese Möglichkeit gerade nicht nur Trägern hoheitlicher Gewalt bzw. Mitgliedern der Exekutive in gerade dieser Funktion, sondern auch jedem “einfachen“ Mitglied des Deutschen Bundestages offen.

b.) Weitere mögliche Anspruchsgrundlagen sind weder vom Antragssteller vorgetragen, noch für das Gericht ersichtlich. Etwaige vertragliche Ansprüche scheitern bereits an der fehlenden vertraglichen Beziehung zwischen privaten Nutzern eines sozialen Netzwerks; eine solche besteht allein im Verhältnis zum Netzwerkbetreiber. Wer etwa eine Facebook-Freundschaft abschließt, eine Fanpage liked oder eine Facebook-Gruppe gründet, gibt gerade keine Erklärung mit Rechtsbindungswillen ab (vgl. Friehe, NJW 2020, 1697, 1701). Umgekehrt geben die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von X jedoch jedem Nutzer das Recht, durch vielfältige Maßnahmen auf unerwünschte Nutzerinhalte reagieren zu dürfen. Diese Nutzungsbedingungen sind bei der erstmaligen Benutzung der Plattform einsehbar und müssen auch von jedermann akzeptiert werden.

Auch kann sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner als Privatperson nicht direkt auf die Grundrechte berufen, welche unmittelbare Wirkungen nur gegenüber Hoheitsträgern entfalten. In Bezug auf Privatrechtsbeziehungen besteht nach herrschender Meinung nur eine abgeschwächte Wirkung, die sog. mittelbare Drittwirkung. Der Regelungsgehalt der Grundrechte fließt dabei (nur) über die Auslegung des einfachen Rechts in das Privatrecht ein, insbesondere über die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln (vgl. instruktiv zur mittelbaren Drittwirkung BVerfG, Urt. v. 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09, juris, Rn. 31 ff.). Soweit ersichtlich nicht eingehend in Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur besprochen, wäre eine etwaige mittelbare Drittwirkung bezüglich einer nutzerveranlassten Löschung nur über die Generalklauseln der §§ 242, 826, 1004 BGB denkbar (wohl ablehnend Friehe, NJW 2020, 1967, 1701). Soweit dies überhaupt angenommen werden kann, wären die Grenzen einer solchen mittelbaren Grundrechtswirkung jedenfalls sehr eng zu ziehen.

Soweit dies für Netzwerkbetreiber ggf. noch denkbar erscheint, kann individuellen Privatnutzern gerade kein staatsgleiches Pflichtenprogramm auferlegt werden. Vielmehr lassen sich das Entfernen unliebsamer Kommentare Dritter sowie das Blockieren anderer Nutzer seinerseits auf Art. 2 Abs. 1 GG (ggf. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausformung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung) zurückführen und genießen daher im Fall eines privaten Accounts grundrechtlichen Schutz (zutreffend Harding, NJW 2019, 1910, 1911). Zudem enthält die Meinungsfreiheit des Antragsgegners auch das spiegelbildliche Recht, eine bestimmte Meinung eben nicht bzw. nicht uneingeschränkt jeder Person gegenüber äußern zu müssen (sog. negative Meinungsfreiheit, vgl. m.w.N. zur Rspr des BVerfG unter vielen Degenhart in Kahl/Waldhoff/Walter, BonnerKomm GG, 220. EL, 2023, Art. 5, Rn. 145; Bethge in Sachs, GG, 9. Aufl., 2021, Art. 5, Rn. 38a; Schemmer in BeckOK GG, 56. Edition, 2023, Art. 5, Rn. 16). Es ist also nicht so, dass der Antragsgegner seine Auffassungen nur dann verbreiten dürfte, wenn er etwaige Gegenmeinung zugleich quasi mit anheftet; auch wenn solche Gegenmeinungen im Falle von Kommentaren und Retweets sicherlich eindeutig als Meinungsäußerung eines Anderen erkennbar bleiben.

Schließlich sind auch die auf ein digitales Hausverbot entsprechend anwendbaren Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Hausrechts, insbesondere deren Voraussetzungen und Einschränkungen, auf privat geführte Accounts im virtuellen Raum nicht anwendbar (m.w.N. zum virtuellen Hausrecht BVerwG, Beschluss v. 09.04.2019 - 6 B 162/18, juris; Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Einzelfragen zu hoheitlichen Social-Media-Accounts, WD 10 - 3000 - 033/22, S. 10 ff.; Milker, NVwZ 2018, 1751, 1754; Kalscheuer/Jacobsen, NVwZ 2020, 371; Kalscheuer/Jacobsen, NJW 2018, 2358, 2359 ff.). Dessen Voraussetzungen können im hiesigen Falle mithin dahinstehen.

2.) Darüber hinaus hat der Antragsteller aber auch weder einen Verfügungsgrund dargelegt, noch ist ein solcher für das Gericht hinreichend ersichtlich.

Der - neben dem Vorliegen eines Verfügungsanspruchs - für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Grundsatz stets erforderlicher Verfügungsgrund besteht nach §§ 935, 940 ZPO in der objektiv begründeten Besorgnis, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes werde die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert, so dass dieser aufgrund einer besonderen Dringlichkeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache einer einstweiligen Sicherung seines Anspruchs bedarf (vgl. zum Ganzen m.w.N. Drescher in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 935, Rn. 15 ff.; Mayer in BeckOK ZPO, 50. Edition, 2023, § 935, Rn. 11 ff.; Volkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 935, Rn. 10 ff.).

Auf eine besondere Dringlichkeit gerichtete Ausführungen lässt der ansonsten durchaus umfangreiche Vortrag des Antragsstellers vermissen. Welche unzumutbaren Nachteile dem Antragssteller durch die nunmehr immerhin schon neun Monate andauernde Blockade seines Accounts drohen sollen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten, legt er in keiner Weise dar. Jedenfalls sein als Pressevertreter nachvollziehbares Informationsbedürfnis kann - zumindest vorübergehend - ausreichend durch Zugriff auf die Website des Antragsgegners befriedigt werden, welche wiederum dessen Beiträge auf der Social Media-Plattform X einbettet (ebenso VG Köln, Beschluss v. 01.02.2023 - 6 L 1923/22). Daneben sind die Beiträge auf der Social Media-Plattform X auch ohne eigenen Account bzw. Zugriff durch den eigenen Account online frei aufrufbar. Soweit der Antragsteller ausführt, ihm seien bestimmte Interaktionsmöglichkeiten etwa in Form des Kommentierens, Retweetens und/oder Zitierens genommen worden, bleibt schon unklar, warum es gerade die fehlende Möglichkeit dieser konkreten Art der Interaktion sein soll, die ihm ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen würden. Jedenfalls bleibt ihm eine direkte Kontaktaufnahme über die sonst üblichen Pressekanäle sowie eine Berichterstattung über Beiträge des Antragsgegners - auch ohne direktes retweeten - ohne Weiteres möglich.

Vor diesem Hintergrund letztlich dahinstehen kann damit die Frage, ob die Dringlichkeit durch nachlässige Verfahrensbetreibung des Antragstellers - etwa im Zusammenhang mit in seinem Bereich liegenden Zustellungsproblemen - bereits selbst widerlegt sein könnte. Jedenfalls die nicht mehr nur unerhebliche Verzögerung des Hauptsacheverfahrens ist dem Antragsteller mangels bisher erfolgter Einzahlung des Kostenvorschusses anzulasten, was wiederum auch als Indiz für die Dringlichkeit des hiesigen Verfahrens herangezogen werden kann.


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