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OLG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO durch Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels mit "für ein gesundes Immunsystem"

OLG München
Urteil vom 21.12.2023
29 U 4088/22


Das OLG München hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO durch Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels mit "für ein gesundes Immunsystem" vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Kläger steht gegen die Beklagte im Hinblick auf die angegriffenen Werbeaussagen der vom Landgericht zuerkannte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; 3 Abs. 1; 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 HCVO zu.

a) Art. 10 Abs. 1 HCVO stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar, deren Missachtung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen (BGH GRUR 2016, 1200 Rn. 12 – Repair-Kapseln).

b) Bei den angegriffenen Werbeaussagen zum Produkt „…“ gemäß den Ziffern 1. a), b) und c) des landgerichtlichen Urteils handelt es sich um unzulässige gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 10 Abs. 1 HCVO, da sie nicht in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen sind.

aa) Unter einer gesundheitsbezogenen Angabe ist nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO jede Angabe zu verstehen, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Die Frage, ob eine Aussage auf die Gesundheit im Sinne der HCVO abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 HCVO und Art. 14 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (BGH GRUR 2016, 1200 Rn. 19 – RepairKapseln; GRUR 2014, 1013 Rn. 23 – Original Bach-Blüten; GRUR 2013, 958 Rn. 13 – Vitalpilze; GRUR 2011, 246 Rn. 9 – Gurktaler Kräuterlikör).

Das Bestehen eines solchen Zusammenhangs suggerieren die auf das konkrete Produkt „…“ bezogenen angegriffenen Werbeaussagen der Beklagten, da sie den Eindruck erwecken, der Verzehr des Produkts wirke sich auf das Immunsystem bzw. die Abwehrkräfte des Verbrauchers und damit auf seine Gesundheit aus. Unter den Gesundheitsbezug in Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO fallen insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehört auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht der Unionsgesetzgeber selbst in der VO (EU) Nr. 432/2012 aus, indem er Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben im Sinne der HCVO rechnet (vgl. OLG Hamm GRUR-RR 2023, 97 Rn. 38 – Volle Power für Ihr Immunsystem).

bb) Bei dem Produkt „…“ handelt es sich um ein Lebensmittel. Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO gelten für die Zwecke der HCVO die Begriffsbestimmungen der Artikel 2 und 3 Nr. 3, 8 und 18 der VO (EG) Nr. 178/2002 (Lebensmittel-Basis-VO). Nach Art. 2 Abs. 1 Lebensmittel-BasisVO sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Das Produkt „…“ ist erwartungsgemäß dazu bestimmt, von Menschen aufgenommen zu werden, da es der Versorgung unter anderem mit den Vitaminen C, D und B6 sowie Zink dienen und hierzu verzehrt werden soll.

Dass es sich bei „…“ gleichzeitig um ein Nahrungsergänzungsmittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b) HCVO i.V.m. der RL 2002/46/EG (Nahrungsergänzungsmittel-RL) handelt, führt nicht aus dem Anwendungsbereich der Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, 10 Abs. 1 HCVO heraus, da sich aus Art. 2 lit. a) der RL 2002/46/EG gerade ergibt, dass auch Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel anzusehen sind (vgl. OLG Hamm GRUR-RS 2015, 19462 Rn. 35 – Repair-Kapseln). Hieran ändert sich nichts dadurch, dass das streitgegenständliche Produkt Vitamine enthält, da diese nach Art. 2 lit. b) i) der RL 2002/46/EG als Nährstoffe im Sinne der Definition der Nahrungsergänzungsmittel in Art. 2 lit. a) der RL 2002/46/EG gelten.

cc) Dass die Angaben der Beklagten nicht in die Liste der zugelassenen Angaben im Sinne von Art. 13 und 14 HCVO aufgenommen sind, ist unstreitig.

c) Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Werbeaussagen gemäß Ziffer 1. b) des landgerichtlichen Urteils („gesunde Immunfunktion“, „gesundes Immunsystem“) argumentiert, diese seien aufgrund der VO (EU) 432/2012 zulässig, kann dem nicht gefolgt werden.

aa) Nach Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 432/2012 i.V.m. deren Anhang und Art. 13 Abs. 3 HCVO ist unter den dort angeführten Bedingungen für die Verwendung bei den Nährstoffen Vitamin C, D und B6 sowie Zink jeweils die Angabe „… trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“ zulässig. Grundsätzlich ist dabei eine Wortlautidentität der verwendeten Aussage mit dem zugelassenen Claim nicht zwingend erforderlich. Vielmehr dürfen auch damit gleichbedeutende, mithin inhaltlich übereinstimmende Angaben verwendet werden (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 51 – Lernstark; OLG Bamberg BeckRS 2014, 6092 Rn. 119).

Maßstab dafür ist Erwägungsgrund 9 der VO (EU) 432/2012. Danach „soll mit der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 u.a. sichergestellt werden, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind. Formulierung und Aufmachung der Angaben sind vor diesem Hintergrund zu bewerten. In den Fällen, in denen der Wortlaut einer Angabe aus Verbrauchersicht gleichbedeutend ist mit demjenigen einer zugelassenen gesundheitsbezogenen Angabe, weil damit auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hingewiesen wird, sollte diese Angabe auch den Verwendungsbedingungen für die zugelassene gesundheitsbezogene Angabe unterliegen.“ Entscheidend ist somit, dass die Angaben für den Verbraucher inhaltlich die gleiche Bedeutung haben wie die entsprechende zugelassene Formulierung, was gemäß dem Zweck dieser Angabe zu beurteilen ist, dem Verbraucher dabei zu helfen, die Angabe zu verstehen (OLG Düsseldorf GRUR-RS 2016, 21228 Rn. 56 – Irreführende Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels aus Ginkgo-Extrakt; Sosnitza/Meisterernst/Rathke/Hahn, Lebensmittelrecht, Werkstand: 186. EL März 2023, Art. 10 HCVO, Rn. 44 ff.).

Bei der Frage, ob eine verwendete gesundheitsbezogene Angabe mit einer zugelassenen Angabe gleichbedeutend ist, ist ebenso wie bei der Prüfung, ob eine verwendete Angabe inhaltlich mit einer angemeldeten Angabe übereinstimmt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 52 – Lernstark; GRUR 2014, 500 Rn. 29 – Praebiotik). Dafür sprechen neben dem Wortlaut und der Systematik von Art. 10 Abs. 1 HCVO, die Zulässigkeit der Angabe nur als Ausnahme vom Verbotstatbestand vorzusehen, auch der Zweck der Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Aus der systematischen Konzeption der Verordnung, wonach die Zulassung von gesundheitsbezogenen Angaben grundsätzlich die Aufnahme in eine Positivliste nach einer wissenschaftlichen Nachprüfung voraussetzt, ergibt sich ferner, dass dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit besondere Bedeutung zukommt. Damit stünde es nicht im Einklang, im Wege einer extensiven Anwendung von Art. 10 Abs. 1 HCVO die Verwendung von Angaben zu gestatten, die sich nicht eng mit der zugelassenen Angabe decken. Andererseits ist bei dieser Prüfung das berechtigte Interesse der Lebensmittelunternehmen zu berücksichtigen, den Wortlaut einer zugelassenen Angabe der Produktaufmachung und dem Verbraucherverständnis anpassen zu können, ohne für jede sprachlich abweichende Angabe einen eigenen Zulassungsantrag stellen zu müssen (BGH GRUR 2016, 412 Rn. 52 – Lernstark; OLG Düsseldorf GRURRS 2016, 21228 Rn. 57 – Irreführende Bewerbung eines Nahrungsergänzungsmittels aus Ginkgo-Extrakt).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die Wortlautabweichung, bei der der Begriff „normales Immunsystem“ durch die Begriffe „gesundes Immunsystem“ bzw. „gesunde Immunfunktion“ ersetzt wurde, nicht mehr als unter die jeweils zugelassenen Claims nach Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 432/2012 i.V.m. deren Anhang und Art. 13 Abs. 3 HCVO fallend angesehen werden.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers deutet das geänderte Adjektiv „gesund“ gegenüber „normal“ darauf hin, dass dem Nahrungsergänzungsmittel auch dann eine Funktion zukommt, wenn der Ausgangszustand des Verzehrenden nicht als „gesund“ bezeichnet werden kann. Demgegenüber stellt der zugelassene Begriff mit der Verwendung von „normal“ klar, dass es ausschließlich um eine Funktionsunterstützung bei gesunden Verbrauchern mit normalem Immunsystem geht. Unter Berücksichtigung des strengen anzulegenden Maßstabs kann es nicht als vom Sinn und Zweck der VO (EU) 432/2012, wie er insbesondere in Erwägungsgrund 9 zum Ausdruck kommt, gedeckt angesehen werden, ein Nahrungsergänzungsmittel hierdurch aus Verbrauchersicht in die Nähe von Produkten zu rücken, die bei einem im Ausgangspunkt nicht oder nicht vollständig gesunden Anwender zum Einsatz kommen. Ein Zweck der veränderten Angabe, dem Durchschnittsverbraucher dabei zu helfen, die zugelassene Angabe zu verstehen, kann nicht im Ansatz erkannt werden, da sie vielmehr geeignet ist, ihn in seinem Verständnis bei der Abgrenzung eines Nahrungsergänzungsmittels von einem bei Nichtgesunden einzusetzenden Produkt zu verunsichern. Insoweit ist auch kein berechtigtes Interesse der Beklagten zu erkennen, den Wortlaut dem Verbraucherverständnis anpassen zu können, ohne einen neuen Claim anmelden zu müssen.

Nicht gefolgt werden kann der Beklagten auch in dem Argument, dass die Begriffe „normal“ und „gesund“ bei Nahrungsergänzungsmitteln als gleichbedeutend anzusehen seien, weil sich Nahrungsergänzungsmittel nach der RL 2002/46/EG per definitionem nur an gesunde Menschen richteten. Nach dem oben Gesagten ist für die Frage, ob Wortlautabweichungen von zugelassenen Claims möglich sind, das Verständnis des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich, das im Hinblick auf den zugelassenen Claim unterstützt werden soll. Nicht entscheidend sind dagegen begriffliche Abgrenzungs- und Definitionsfragen im europäischen Sekundärrecht zu Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln, zumal dem Durchschnittsverbraucher die entsprechenden Rechtsinstrumente und deren gewählte Kategorien im Einzelnen ebenso wenig bekannt sind wie deren von der EU-Behörde EFSA vorgenommenen Interpretationen (vgl. Anlage BK 2).

d) Auch soweit die Beklagte im Hinblick auf die Werbeaussage gemäß Ziffer 1. c) des landgerichtlichen Urteils („zur Stärkung Ihrer Abwehrkräfte“) argumentiert, ein Lebensmittel und damit auch ein Nahrungsergänzungsmittel diene der Ernährung und führe deshalb immer zu einer „Stärkung“, vermag der Senat nicht zu erkennen, dass dies am Charakter der Aussage als gesundheitsbezogener Angabe etwas ändern würde.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers ist der Begriff der „Stärkung“ schon grammatikalisch auf den Begriff „Abwehrkräfte“ bezogen, zumal sich die Beklagte dazwischen des Possessivpronomens „Ihrer“ bedient. Infolgedessen nimmt er nicht an, sich durch das Produkt in ernährungs- oder gar kalorienbezogener Weise „stärken“ zu können, sondern versteht die Formulierung vielmehr dahin, dass bislang nicht hinreichend gestärkte Abwehrkräfte durch das Produkt eine Stärkung erfahren würden. Im Hinblick auf die von der Beklagten herangezogenen Normen des europäischen Sekundärrechts kann auf die obigen Ausführungen unter c) verwiesen werden.

e) Schließlich greift auch die Rüge der Beklagten nicht durch, die Werbeaussage gemäß Ziffer 1. a) des landgerichtlichen Urteils („Aktivieren Sie jetzt Ihre Abwehrkräfte“ bzw. „aktivieren Sie Ihre Abwehrkräfte“) beziehe sich nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers auf das feilgebotene Trinkfläschchen und dessen Plastikkappe, durch deren Drehen die Inhaltsstoffe des Gesamtprodukts „…“ verzehrfertig vermischt, mithin „aktiviert“ würden.

Nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers ist das im Imperativ verwendete Verb „aktivieren“ auf seine Abwehrkräfte bezogen, nicht auf die Verpackung, das Gesamtprodukt, die Flasche, die Verschlusskappe oder deren Drehfunktion. Die Werbeaussage suggeriert infolgedessen, dass das Produkt einer Verwendung zugänglich ist, bei der die Abwehrkräfte in einem weniger aktiven oder gar inaktiven Ausgangszustand sind und durch das Produkt und dessen Verzehr eine Aktivierung erfahren. Allein die Tatsache, dass auf der Webseite der Beklagten das Verb „aktivieren“ an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Verschlusskappe verwendet wird, nimmt den angegriffenen Aussagen nicht den eindeutigen grammatikalischen Bezug des Aktivierens zu den Abwehrkräften. Warum die Vorbereitung des verzehrfertigen Produkts mit dem Begriff „Aktivieren“ aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers sprachlich visualisiert werden soll, wenn sich das Verb in der Werbeaussage auf die „Abwehrkräfte“ und nicht auf den Flaschendeckel bezieht, ist nicht nachvollziehbar.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten

OLG Hamm
Urteil vom 11.08.2022
4 U 81/21


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen Art. 10 HCVO durch Platzierung der Werbeaussage "Volle Power für Ihr Immunsystem" in unmittelbarer Nähe zu Produkten vorliegt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der erstinstanzlich zuerkannte Unterlassungsanspruch steht dem Kläger jedenfalls aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (nachfolgend: HCVO) zu.

a) Der Kläger ist nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert.

b) Bei Art. 10 HCVO handelt es sich um eine Marktverhaltensregel i. S. v. § 3a UWG (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

c) Das Landgericht hat ferner zutreffend festgestellt, dass die Beklagte mit der streitgegenständlichen Werbung gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO verstoßen hat.

Gem. Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im vorliegenden Kapitel entsprechen, gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Artikeln 13 und 14 aufgenommen sind.

aa) Der Anwendungsbereich der HCVO ist eröffnet. Bei den neben bzw. unmittelbar unter der streitgegenständlichen Überschrift nebst Grafik abgebildeten Produkten handelt es sich um Lebensmittel i. S. d. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und damit auch um ein Lebensmittel i. S. d. HCVO (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a) HCVO). Auch nach Art. 2 lit. a) der Richtlinie 2002/46/EG über Nahrungsergänzungsmittel gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 81, zit. nach juris).

bb) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Abbildung auf dem sog. „Slider“ um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 HCVO und nicht lediglich einen grafisch besonders veranschaulichten bzw. hervorgehobenen „Themenwegweiser“ handelt.

(1) Auch zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der beanstandeten Darstellung um eine nicht obligatorische Aussage bzw. Darstellung, die insbesondere durch das grafische Element einer diversen Krankheitserregern entgegengestreckten Hand symbolhaft zum Ausdruck bringt, dass die unmittelbar darunter abgebildeten Produkte der Beklagten besondere Eigenschaften besitzen, nämlich eine die körpereigene Immunabwehr zumindest stärkende Wirkung (Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 HCVO).

Zu den Angaben im vorgenannten Sinne zählen alle in der Etikettierung oder – wie hier – Bewerbung von Lebensmitteln in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebrachten – nicht obligatorischen – Aussagen oder Darstellungen, die bei einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen können, ein bestimmtes Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften (vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – I ZR 222/13, GRUR 2016, 412, Rn. 17 mwN., zit. nach juris – Lernstark). Dies ist – wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat – vorliegend der Fall.

Insbesondere handelt es sich bei der angegriffenen Darstellung um eine produktbezogene Werbung der Beklagten und nicht lediglich um eine allgemeine „Themenüberschrift“ oder einen „Wegweiser“ i. S. bspw. eines bestimmten Menüpunktes auf einer Navigationsleiste des Internetauftritts der Beklagten. Zutreffend weist der Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sowohl die Grafik als auch die Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der bildlichen Darstellung konkreter Produkte der Beklagten stehen.

Anders als bei einer mit einem Menüpunkt auf einer Navigationsleiste vergleichbaren „Themenüberschrift“ oder einem „Wegweiser“ befand sich die angegriffene Darstellung – wie die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.04.2020 selbst eingeräumt hat – auf der Startseite ihres Internetauftritts www.A.de direkt unterhalb der Menüleiste auf einem sog. „Slider“, auf dem – wie den Mitgliedern des schwerpunktmäßig mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes befassten Senats hinreichend bekannt ist – typischerweise (tages-)aktuelle Werbung verbunden mit Links zu den entsprechenden Produkten eingeblendet wird und sich mittels eines Klicks auf einen der beiden Pfeile am rechten und linken Bildrand aus dem Blickfeld des Betrachters verschieben lässt bzw. nach einer bestimmten vorgegebenen Zeit selbst zugunsten einer anderen Werbeanzeige verschiebt. Der Senat geht hierbei zudem davon aus, dass die angegriffene Werbung durchaus im Zusammenhang mit dem damaligen Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 zu sehen ist, wenn es hierauf auch weder entscheidungserheblich ankommt noch die Pandemie in der Anzeige explizit erwähnt wird.

(2) Zu Recht hat das Landgericht ferner festgestellt, dass es sich um gesundheitsbezogene Angaben i. S. v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO handelt.

(a) Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO ist eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne dieser Verordnung jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ ist dabei weit zu verstehen. Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst daher jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 19 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich bei der beanstandeten Überschrift „Volle Power für Ihr Immunsystem“ nebst nebenstehender Grafik um gesundheitsbezogene Angaben, weil hierdurch aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht lediglich im Sinne einer „Themenüberschrift“ die Funktion der körpereigenen Immunabwehr abstrakt dargestellt, sondern wegen der unmittelbar darunter abgebildeten und – wie bereits vorstehend ausgeführt – damit zugleich konkret beworbenen Produkte der Beklagten ein Zusammenhang zwischen der Einnahme eben dieser von der Beklagten vertriebenen Nahrungsergänzungsmittel einerseits und der Gesundheit andererseits suggeriert wird. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Darstellung wie vorliegend für die Annahme eines Zusammenhangs genügt, der eine Verbesserung des Gesundheitszustandes dank des Verzehrs des Produktes impliziert.

Die Werbeaussage zielt dabei auch auf eine der Fallgruppen der Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 HCVO ab, nämlich Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO. Hierzu gehören insbesondere das Wachstum, die Entwicklung und sämtliche sonstigen Körperfunktionen. Nach dieser allgemeinen und weitgefassten Umschreibung gehören auch die Funktion des körpereigenen Immunsystems zum Gesundheitsbegriff der HCVO. Hiervon geht auch der Verordnungsgeber der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aus, der Angaben über die „normale Funktion des Immunsystems“ zu den gesundheitsbezogenen Angaben i. S. d. HCVO rechnet. Nichts anderes kann für die – lediglich etwas „reißerischer“ formulierte und zudem grafisch verdeutlichte – Aussage der Beklagten über „Volle Power für Ihr Immunsystem“ gelten (vgl. Senatsurteil vom 24.02.2015 – 4 U 72/14, Rn. 82, zit. nach juris).

cc) Nach den zutreffenden und – soweit ersichtlich – mit der Berufung auch nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Landgerichts liegt ein Verstoß gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO letztlich schon deshalb vor, weil die in der beanstandeten Werbung enthaltenen Angaben nicht mit zugelassenen Angaben inhaltsgleich sind, da sie nicht erkennen lassen, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben aufgeführten Nährstoffe, Substanzen, Lebensmittel oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung der „Vollen Power für Ihr Immunsystem“ beruht.

(1) In der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste der zugelassenen Angaben ist jeweils eine bestimmte Wirkung in Beziehung zu einem bestimmten Nährstoff, einer bestimmten Substanz, einem bestimmten Lebensmittel oder einer bestimmten Lebensmittelkategorie gesetzt. Eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aufgeführten Nährstoffen, Substanzen, Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist daher mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und somit unzulässig. Das ergibt sich auch aus dem Zweck der Verordnung, sicherzustellen, dass gesundheitsbezogene Angaben wahrheitsgemäß, klar, verlässlich und für den Verbraucher hilfreich sind (Erwägungsgrund 9 Satz 1 der Verordnung). Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn die verwendete Angabe und die zugelassene Angabe auf den gleichen Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem Lebensmittelbestandteil und einer bestimmten Wirkung auf die Gesundheit hinweisen (vgl. Erwägungsgrund 9 Satz 3 der Verordnung). Die Annahme einer inhaltlichen Übereinstimmung zwischen zugelassener und verwendeter Angabe setzt daher voraus, dass die zugelassene Angabe und die verwendete Angabe hinsichtlich des Nährstoffs oder der anderen Substanz oder des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, für die die Angabe zugelassen wurde bzw. verwendet wird, übereinstimmen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 34 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

(2) Die in der beanstandeten Werbung enthaltene pauschale Angabe „Volle Power für Ihr Immunsystm“ in Verbindung mit der grafischen Darstellung eines in Abwehrhaltung befindlichen Menschen, der sich gegen unterschiedliche Krankheitserreger zur Wehr setzt, genügt diesen Anforderungen nicht. In der beanstandeten Werbeaussage ist keiner derjenigen Nährstoffe genannt, für den nach der im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 enthaltenen Liste die Angabe zugelassen ist, dass er „zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt“. Die bloße Angabe einer bestimmten Wirkung ohne Benennung des Nährstoffs, der Substanz, des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, auf der diese Wirkung nach der Liste der zugelassenen Angaben beruht, ist mit der zugelassenen Angabe aber nicht inhaltsgleich und daher unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 36 f. mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).

d) Der Verstoß gegen die vorgenannte Marktverhaltensregel ist – wie das Landgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat – letztlich auch geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar i. S. v. § 3a UWG zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 07.04.2016 – I ZR 81/15, GRUR 2016, 1200, Rn. 12 mwN., zit. nach juris – Repair-Kapseln).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Wettbewerbswidrige Werbung für Mundspüllösung mit Abbildung eines stilisierten Coronavirus nebst Hinweis "99,9% Keimreduktion aller relevanten Keime einschließlich MRSA"

LG Düsseldorf
Beschluss vom 27.04.2020
43 O 39/20


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Werbung vorliegt, wenn Mundspüllösungen mit der Abbildung eines stilisierten Coronavirus nebst Hinweis "99,9% Keimreduktion aller relevanten Keime einschließlich MRSA" beworben wird. Die Wettbewerbszentrale hatte gerichtliche Schritte eingeleitet.


LG Essen: Wettbewerbswidrige Werbung mit Slogan "Volle Power für Ihr Immunsystem" zusammen mit Abbildung einer Figur die Coronaviren abwehrt

LG Essen
Beschluss vom 27.04.2020
43 O 39/20


Das LG Essen hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Werbung vorliegt, wenn mit dem Slogan "Volle Power für Ihr Immunsystem" zusammen mit der Abbildung einer Figur, die Coronaviren abwehrt, geworben wird. Die Wettbewerbszentrale hatte gerichtliche Schritte eingeleitet.

KG Berlin: Das Immunsystem stärken - unzulässige wettbewerbswidrige Werbung für Vitamin B12-Produkt mit gesundheitsbezogenen Aussagen entgegen HCVO

KG Berlin
Urteil vom 18.07.2017
5 U 132/15


Das KG Berlin hat entschieden, dass die Werbung für ein Vitamin B12-Produkt mit den Aussagen:

- Das Immunsystem stärken
- Schadstoffe natürlich ausleiten
- Bindungsfähigkeit von Schadstoffen
- Immunsystem stimulierende Wirkung
- Erhöhung der Lebensqualität von Typ-II-Diabetikern

eine unzulässige wettbewerbswidrige Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen entgegen HCVO darstellt.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Werbeaussage Lass die Vitaminbombe platzen und dein Immunsystem Salsa tanzen verstößt gegen Health-Claims-Verordnung

LG München I
Urteil vom 21.09.2016
37 O 3339/16


Das LG München hat entschieden, dass Bewerbung eines Getränks mit dem Slogan "Lass die Vitaminbombe platzen und dein Immunsystem Salsa tanzen" eine gesundheitsbezogene Angabe darstellt und gegen Art. 10 HCVO verstößt. Der Slogan suggeriert - so das Gericht -, dass das Immunsystem durch Verzehr des Getränks eine über das Normale hinausgehende Steigerung erfährt.