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BVerfG: Zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder

BVerfG
Beschluss vom 09.11.2022
1 BvR 523/21


Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dieser Entscheidung zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über eine sektenähnliche Gemeinschaft auf Grundlage von Äußerungen ehemaliger Mitglieder befasst.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde einer Zeitungsherausgeberin gegen die gerichtliche Untersagung einer Meinungsäußerung

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Beschwerdeführerin – Herausgeberin einer Tageszeitung – in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt ist, indem ihr die Äußerung „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) ab“ mit der Begründung gerichtlich untersagt wurde, dass für diese Meinung kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Die Berichterstattung betrifft einen Beitrag über eine aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnliche Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe.

Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin ist Herausgeberin einer Tageszeitung, in deren Onlineausgabe sie am 4. September 2020 einen Beitrag mit dem Titel „Aussteiger packen aus: So geht es in der Guru-Gemeinschaft zu“ veröffentlichte. Der Bericht beleuchtet kritisch inhaltliche Ausrichtung, Strukturen und Hierarchien innerhalb einer aus Sicht ehemaliger Mitglieder sektenähnlichen Gemeinschaft, der der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vorstehe. In dem Beitrag heißt es unter Bezugnahme auf die Aussage einer ehemaligen „Schülerin“: „Den Staat lehne [der Antragsteller] (…) - der sich seine Seminargebühren auch in bar bezahlen lässt - ab (…)“. Anders als die Ausgangsinstanz untersagte das Oberlandesgericht die Verbreitung der angegriffenen Äußerung. Trotz des grundsätzlichen Vorrangs freier Meinungsäußerung sei die Äußerung einer abschätzigen Meinung unzulässig, wenn gemessen an der Eingriffsintensität kein Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen festzustellen sei. Vorliegend fehle es an Anknüpfungstatsachen, die ansatzweise die Meinung belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts und rügt eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.

1. Hinsichtlich des Inhalts der Berichterstattung ergeben sich Umfang und Grenzen des grundrechtlichen Schutzes aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit, wobei die Aufgabe der Presse, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren, eine Verstärkung des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Schutzes begründen kann. In Fällen der vorliegenden Art ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungs- und Pressefreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits vorzunehmen. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Im Rahmen der Abwägung ist dann die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Bestandteile von maßgeblicher Bedeutung.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht.

a) Das Oberlandesgericht lässt bereits nicht sicher erkennen, ob es bedacht hat, dass es mit seiner Forderung nach einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ Sorgfaltspflichten formuliert hat, die die Beschwerdeführerin in unterschiedlichem Maße treffen können, je nachdem, ob sie sich die Äußerung ihrer Informantin zu eigen gemacht hat oder lediglich deren Einschätzung dokumentiert.

b) Soweit das Oberlandesgericht die angegriffene Äußerung als Meinungsäußerung einstuft, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden, bietet für die nachfolgende Abwägung jedoch einen unvollständigen Ausgangspunkt, soweit es dies damit begründet, dass der Bericht der Beschwerdeführerin keine Tatsachen angebe, aus denen ihre Informantin ihre Meinung herleite, der Antragsteller lehne den Staat ab. Wer behauptet, ein anderer vertrete einen bestimmten Standpunkt, äußert eine Einschätzung, in der tatsächliche und wertende Elemente miteinander vermengt sind, und die deshalb insgesamt als Meinung geschützt wird. Meinungsäußerungen müssen jedoch grundsätzlich nicht begründet werden, sondern genießen unabhängig davon Grundrechtsschutz, ob sie rational oder emotional, begründet oder grundlos sind. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, soweit das Oberlandesgericht in seiner Abwägung davon ausgeht, die angegriffene Äußerung enthalte eine „abschätzige Meinung“, für die es gemessen an ihrer erhöhten „Eingriffsintensität“ an einem „Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen“ fehle, die ansatzweise belegten, dass der Antragsteller tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne.

aa) Allerdings ist der vom Oberlandesgericht zugrunde gelegte Maßstab im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hierzu festgestellt, dass es auch für Schlussfolgerungen über Beweggründe oder Absichten Dritter als einem Werturteil gleichkommende Erklärungen eine ausreichende Tatsachengrundlage geben müsse. Innerhalb der Abwägung ergibt es einen Unterschied, ob es sich bei der Einschätzung von Beweggründen, Absichten oder Standpunkten eines anderen um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung.

bb) Den hiernach zu stellenden Anforderungen an eine ausreichende Tatsachengrundlage wird die angegriffene Entscheidung für den Streitfall aber nicht hinlänglich gerecht. Das Oberlandesgericht zieht die der Berichterstattung zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen in ihrer Wahrheit nicht in Zweifel, misst ihnen jedoch im Rahmen der Abwägung keine Bedeutung zu. Zudem wird der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt, soweit es der angegriffenen Äußerung eine "erhöhte Eingriffsintensität" beimisst, ohne zu begründen, inwieweit die Einschätzung, der Antragsteller lehne „den Staat“ ab, überhaupt abschätzig oder geeignet sein soll, ihn in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen.

c) Verfassungsrechtlich keinen Bestand haben kann die angegriffene Entscheidung aber auch insoweit, als das Oberlandesgericht meint, selbst die Wahrnehmung eines öffentlichen Interesses könne die Verbreitung der angegriffenen Äußerung nur dann rechtfertigen, wenn die Beschwerdeführerin davon habe ausgehen dürfen, über hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Haltung des Antragstellers zu verfügen, „den Staat“ abzulehnen. Damit entzieht die Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht tragbarer Weise den Informationswert der angegriffenen Berichterstattung von vornherein jeder Abwägung und verkürzt überdies Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf, die bei öffentlich zur Diskussion gestellten, gesellschaftliches Interesse erregenden Beiträgen selbst mit scharfen Äußerungen gebraucht werden darf.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


Volltext BGH liegt vor: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt

BGH
Urteil vom 28.09.2022
VIII ZR 319/20
BGB § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
§ 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, wonach die von Nutzern abgegebenen Bewertungen sachlich gehalten sein müssen und Schmähkritik nicht enthalten dürfen, enthält keine vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren von Nutzern, die über die deliktsrechtlichen Grenzen wertender Äußerungen hinausgehen.

BGH, Urteil vom 28. September 2022 - VIII ZR 319/20 - LG Weiden in der Oberpfalz - AG Weiden in der Oberpfalz

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BGH: Negative eBay-Bewertung mit Zusatz "Versandkosten Wucher!!" kann zulässig sein - keine unzulässige Schmähkritik und von Meinungsfreiheit gedeckt

BGH
Urteil vom 28.09.2022
VIII ZR 319/20


Der BGH hat entschieden, dass eine negative eBay-Bewertung mit dem Zusatz "Versandkosten Wucher!!" zulässig sein kein.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Zur Zulässigkeit einer negativen Bewertung bei eBay (hier: "Versandkosten Wucher!!")

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen der Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, einen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer von diesem abgegebenen negativen Bewertung hat.

Sachverhalt:

Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise:

"§ 8 Bewertungen

[…]

2. Nutzer sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten.

[…]".

Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag "Ware gut, Versandkosten Wucher!!".

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Amtsgericht hat die auf Entfernung dieser Bewertung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Amtsgerichts handele es sich bei der Bezeichnung der Versandkosten als "Wucher" um ein Werturteil, das nur dann unzulässig sei, wenn es sich um eine Schmähkritik handele. Eine solche liege jedoch nicht vor. Die Bewertung weise einen Sachbezug auf, weil sie in einen Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt sei.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten antragsgemäß zur Entfernung der Bewertung und zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Aus Sicht des Berufungsgerichts habe der Beklagte eine nachvertragliche Nebenpflicht verletzt (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB). Die Bewertung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 8 Nr. 2 Satz 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay (nachfolgend: eBay-AGB). Daraus ergebe sich ein über die Abwehr von Schmähkritik hinausgehender Schutz. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" handele es sich um eine überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als "Wucher" darstellten.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung.

Anders als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren.

Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem Sachlichkeitsgebot in § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff "sachlich" in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG [beim Verkäufer], Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [beim Käufer]) Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. Zudem hätte es der gesonderten Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien.

Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung "Versandkosten Wucher!!" nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung "Versandkosten Wucher!!" steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund. Denn der Beklagte setzt sich - wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form - kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist.

Vorinstanzen:

AG Weiden in der Oberpfalz – 1 C 140/20 – Urteil vom 22. Juni 2020

LG Weiden in der Oberpfalz – 22 S 17/20 – Urteil vom 28. Oktober 2020

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Grundgesetz

Artikel 2 [Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person]

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

[…]

Artikel 5 [Recht der freien Meinungsäußerung, Medienfreiheit, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit]

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […]

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

[…]

OLG Frankfurt: Bei Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung ist Gesamtkontext einer Äußerung zu berücksichtigen

OLG Frankfurt
Beschluss vom 10.02.2022
16 U 87/21


Das OLG Frankfurt hat nochmal betont, dass bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung der Gesamtkontext einer Äußerung zu berücksichtigen ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Deutung einer Aussage ist Meinungsäußerung

Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolgt unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung. Die Deutung der Aussage einer die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen hinterfragenden Person stellt hier eine Meinungsäußerung dar. Als Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ist diese Meinungsäußerung nicht rechtwidrig. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute verkündetem Urteil bestätigt, dass der Klägerin kein Unterlassungsanspruch zusteht.

Die Klägerin engagiert sich in einer Initiative, die die Verhältnismäßigkeit der staatlich angeordneten Corona-Maßnahmen hinterfragt und in einer mittelhessischen Stadt seit Sommer 2021 angemeldete öffentliche Versammlungen durchführt. Im Zusammenhang mit zuvor durchgeführten nicht angemeldeten Zusammenkünften war auch die Klägerin beim Ordnungsamt angezeigt worden. Altstadtbewohner hatten den Bürgermeister auf diese Zusammenkünfte aufmerksam gemacht.

Die Klägerin veröffentlichte daraufhin im Internet ein Gedicht unter dem Titel „Denunzianten“, in dem es u.a. heißt, dass „manch einer“, der „genüsslich denunzierte“ sich vor einem „Drei-Mann-Standgericht“ wiederfand, dessen Urteil „Tod durch Erschießen“ lautete.

Die Beklagte engagiert sich in einer Gegeninitiative und veröffentlichte über Facebook ihrerseits einen Text. Die Klägerin wurde dort aufgefordert zu erklären, was sie mit ihrem „unfassbaren Statement“ genau meinte. Weiter heißt es: „Darin fordert (die Klägerin) sinngemäß für in ihren Augen Denunzianten ein knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil „Tod durch Erschießen“. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren, dass sie es unterlässt, zu behaupten, sie fordere in Bezug auf die Anzeigen von Bürgern hinsichtlich der nicht angemeldeten Zusammenkünfte die genannte Vorgehensweise.

Das Landgericht hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch zu, stellt das OLG fest. Bei der angegriffenen Äußerung handele es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich vielmehr, dass eine Meinungsäußerung vorliege. Maßstab sei dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Demnach habe die Beklagte ihr Verständnis von dem Text der Klägerin wiedergegeben. Der Leser verstehe, dass die angegriffene Äußerung „die Deutung“ der Beklagten sei. Dafür spreche schon der Zusatz „sinngemäß“. Der Klägerin werde dagegen nicht eine Äußerung „in den Mund gelegt“, die sie so nicht getan habe. Die angegriffene Äußerung enthalte kein objektiv falsches Zitat, sondern die Interpretation eines Dritten, hier der Beklagten.

Meinungsäußerungen unterlägen grundsätzlich grundrechtlichem Schutz. Bei Abwägung der berührten Rechtspositionen stelle sich der mit der Äußerung verbundene Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht als rechtwidrig dar. Die angegriffene Äußerung gehe auf objektive Anhaltspunkte in Form des veröffentlichten Gedichts zurück. Die Beklagte beziehe sich auch darauf. Die Veröffentlichung der Beklagten stelle einen Beitrag zum „geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ dar. Die Interessen der Klägerin müssten dahinter zurücktreten.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.2.2022, Az. 16 U 87/21
(vorausgehend LG Hanau, Beschluss vom 28.4.2021, Az. 2 O 391/21)



LG Karlsruhe: Facebook darf Nutzer vor Teilen eines Beitrags darauf hinweisen dass Nutzer den Beitrag noch nicht gelesen hat und dies vor dem Teilen tun sollte

LG Karlsruhe
Beschluss vom 20.01.2022
13 O 3/22 KfH


Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass Facebook seine Nutzer vor Teilen eines Beitrags darauf hinweisen darf, dass der Nutzer den Beitrag noch nicht gelesen hat und dies vor dem Teilen tun sollte.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Entscheidung über Facebook-Hinweis

Kurzbeschreibung: Das Landgericht Karlsruhe entscheidet über neuen Hinweis, der beim Teilen eines ungelesenen Beitrags auf Facebook eingeblendet wird

Eine Kammer für Handelssachen des LG Karlsruhe hat in einem heute veröffentlichten Beschluss im Einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass Facebook (bzw. Meta Platforms Ireland Ltd., die das Portal für Nutzer außerhalb der USA und Kanadas betreibt) nicht gehindert ist, dem Teilen eines nicht angeklickten (und folglich nicht gelesenen) Posts einen Hinweis vorzuschalten, mit dem der Nutzer gebeten wird, den Beitrag zunächst zu lesen. Die beiden streitgegenständlichen Hinweise haben folgenden Wortlaut:

„Weißt du wirklich, was du da gerade teilst? Damit du umfassend informiert bist, worum es in diesem Artikel geht, nimm dir bitte die Zeit, ihn erst zu lesen.“
bzw.
„Sieh dir genau an, was du teilst, bevor du es teilst. Um zu wissen, was du teilst, ist es immer eine gute Idee, Artikel erst selbst zu lesen.“

Antragstellerin war die A. M. GmbH, die unter www.a....com einen politischen Blog herausgibt und eine Seite auf Facebook unterhält, auf der sie ebenfalls Beiträge publiziert. Sie war der Auffassung, es handele sich um bevormundende und paternalistische Anmaßungen, die bei üblichem Sprachgebrauch Vorbehalte gegenüber dem journalistischen Inhalt formulierten. Darin liege eine Herabsetzung und Behinderung im Wettbewerb der Parteien.

Dem ist das Landgericht unter anderem mit der Erwägung entgegengetreten, die Antragstellerin sei nicht gehindert, ihren bzw. den von ihrem Autor verfassten Beitrag auf dem Portal der Antragsgegnerin zu publizieren, kein Nutzer sei gehindert, ihn zu lesen und/oder ihn zu teilen. Eine auf den Inhalt des Beitrags bezogene Stellungnahme durch die Antragsgegnerin oder durch von ihr beauftragte „Faktenprüfer“ liege nicht vor. Es erscheine lebensfremd, dass sich ein Nutzer von einem solchen Hinweis von seinem – bereits durch einen Klick in die Tat umgesetzten – Entschluss, den Beitrag zu teilen, abschrecken lassen würde. Es bedürfe lediglich eines einzigen weiteren Klicks, um den Beitrag tatsächlich (nach Wunsch sogar ungelesen) zu teilen. Bei einer Auslegung der beiden Hinweise in ihrem Kontext handele es sich nicht um ein abträgliches Werturteil, sondern eine neutral gefasste Erinnerung an eigentlich Selbstverständliches, nämlich dass man nur weiterverbreiten sollte, was man selbst inhaltlich zur Kenntnis genommen hat. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass sich beide Parteien jeweils auf Grundrechte berufen können, so insbesondere die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf berufliche Ausübung ihres jeweiligen Geschäftsmodells. Jedoch verbleibe die Grundrechtsbetroffenheit der Antragstellerin unterhalb der Eingriffsschwelle. Die Antragstellerin besitze kein rechtlich oder gar grundrechtlich geschütztes Interesse daran, dass die Antragsgegnerin den Nutzern ein um die Anregung zum Nachdenken bereinigtes Nutzererlebnis eröffne. Daher scheide auch die – von der Antragstellerin nur angedeutete – Annahme aus, dass eine Herabsetzung ihres Angebots in der Ungleichbehandlung gegenüber anderen Seiten bzw. Anbietern auf dem Portal der Antragsgegnerin bestehe.

Der Beschluss ist anfechtbar und mithin nicht rechtskräftig.



OLG Frankfurt: Kritische Äußerungen eines Wissenschaftlers zu Fernseh-Profilerin - Vorwurf von "Schwindel" und "unseriös" als Meinungsäußerung zulässig

OLG Frankfurt
Beschluss vom 27.07.2021
6 W 64/21


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass kritische Äußerungen eines Wissenschaftlers zur Arbeitsweise einer Fernseh-Profilerin (u.a. "Schwindel" und "unseriös") als Meinungsäußerung zulässig ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Unterlassungsanspruch gegen kritische Werturteile zur Arbeit einer sog. Profilerin

Kritische Anmerkungen eines Wissenschaftlers hinsichtlich der Arbeitsweise einer sog. Profilerin, die echte Verbrechen und Verbrecher im Fernsehen analysiert, sind hinzunehmen, wenn sie ersichtlich dazu dienen, die Allgemeinheit darüber aufzuklären, dass die Darstellungen im Rahmen der Fernsehserie nach Ansicht des Antragsgegners nicht wissenschaftlichen Standards genügen. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb mit heute veröffentlichter Entscheidung die Beschwerde der Profilerin auf Unterlassen der kritischen Aussagen zurückgewiesen.

Die Antragstellerin bezeichnet sich als „Profilerin“. In dieser Funktion tritt sie in einer Fernsehserie eines privaten Fernsehsenders auf und analysiert in kurzen Stellungnahmen echte Verbrechen und Verbrecher. Der Antragsgegner ist Direktor der zentralen Forschungs- und Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder für kriminologische Forschungsfragen. Gegenstand des Verfahrens sind Äußerungen des Antragsgegners gegenüber einer großen deutschen Tageszeitung im Rahmen eines redaktionell-kritischen Artikels über die „True-Crime-Fernsehsendung“, in der die Antragstellerin auftritt. Der Antragsgegner äußerte dort u.a., dass die Antragstellerin „Schwindel“ betreibe, „in höchstem Maße unseriös“ arbeite, ihre Arbeit „mit wissenschaftlich fundierter...Herangehensweise nichts zu tun“ habe und sie „pseudowissenschaftliche Wortschöpfungen“ verwenden würde.

Das Landgericht hatte die auf Unterlassen der zitierten Aussagen gerichteten Eilanträge der Antragstellerin zurückgewiesen. Ihre sofortige Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Die Antragstellerin könne nicht verlangen, dass der Antragsgegner die angegriffenen Aussagen unterlasse, bestätigte das OLG. Ein wettbewerblicher Unterlassungsanspruch scheitere bereits daran, dass hier keine geschäftliche Handlung vorliege. Der Antragsgegner habe die Äußerungen als Fachmann und Wissenschaftler gegenüber einer führenden Tageszeitung im Rahmen eines redaktionellen, kritischen Artikels getätigt. Sein Verhalten diente damit nicht vorrangig der Förderung der von ihm selbst bzw. der von ihm geleiteten Forschungseinrichtung angebotenen Leistungen, sondern der redaktionellen Unterrichtung der Öffentlichkeit. Es fehlten auch Anhaltspunkte dafür, dass die fachlich-wissenschaftliche Zielsetzung der Äußerungen nur vorgeschoben gewesen und es dem Antragsgegner in Wahrheit doch vorrangig um die Absatzförderung eigener Leistungen gegangen sei.

Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts berufen. Es handelte sich bei den angegriffenen Angaben vielmehr um zulässige Werturteile. Sie stellten sich im Kontext des Artikels auch nicht als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin überwiege hier nicht das Recht des Antragsgegners auf freie Äußerung seiner Meinung. Zu berücksichtigen sei auch, dass die kritischen Anmerkungen ersichtlich dazu dienten, „die Allgemeinheit darüber aufzuklären, dass die Darstellungen im Rahmen der Fernsehserie nach Ansicht des Antragsgegners wissenschaftlichen Standards nicht genügen“.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 27.07.2021, Az. 6 W 64/21 (vorausgehend Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.6.2021, Az. 2/3 O 226/21)



BGH: Zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter und zur Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung

BGH
Urteil vom 26.01.2021
VI ZR 437/19
BGB § 823; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung zur Zulässigkeit der Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter und zur Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung befasst.

Leitsatz des BGH:
Zur Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter.

BGH, Urteil vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19 - OLG Schleswig - LG Itzehoe

Aus den Entscheidungsgründen:

"aa) Soweit die Berichterstattungen der Beklagten über die im Tenor des Berufungsurteils unter I.1., I.2., I.4., II., III.1., III.2. aufgeführten Äußerungen den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers betreffen, handelt es sich um die zulässige Wiedergabe von Meinungsäußerungen Dritter.

(1) Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Auch die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts kann selbst dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bedient, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten. Anders liegt es jedoch, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm bleibt, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktritt (vgl. Senat, Urteil vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 25 f. mwN). Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2014 - VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 8 mwN; BVerfG [K], Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 1 BvR 704/18, juris Rn. 21). Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt (vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 9. Dezember 2020 - 1 BvR 704/18, juris Rn. 21 mwN).

Die genannten Äußerungen beschränken sich auch unter Berücksichtigung des Kontextes auf - zudem allgemein gehaltene - Bewertungen, ohne beim Leser zugleich eine Vorstellung von konkreten, damit zusammenhängenden inneren und äußeren Vorgängen hervorzurufen (siehe oben B.I.1.b.). Der tatsächliche Gehalt der Äußerungen bleibt so substanzarm, dass er gegenüber dem Werturteil ganz zurücktritt"

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BVerfG: Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb durch Veröffentlichung eines Interviews auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums

BVerfG
Urteil vom 09.06.2020
2 BvE 1/19


Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Verletzung des Rechts einer Partei auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb durch Veröffentlichung eines Interviews auf der Internetseite des Bundesinnenministeriums

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Partei „Alternative für Deutschland“ durch die Veröffentlichung eines Interviews auf der Internetseite seines Ministeriums in ihren Rechten verletzt hat. In dem Interview hatte er die Antragstellerin kritisiert und mit negativen Bewertungen belegt. Die getätigten Äußerungen im Interview sind als Teilnahme am politischen Meinungskampf verfassungsrechtlich zwar nicht zu beanstanden. Durch die Veröffentlichung auf der Internetseite hat der Bundesinnenminister allerdings auf Ressourcen zurückgegriffen, die ihm allein aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, und diese zur Beteiligung am politischen Meinungskampf eingesetzt. Dies verstößt gegen das Gebot staatlicher Neutralität und verletzt damit die Antragstellerin in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb.

Sachverhalt:

Am 14. September 2018 veröffentlichte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat auf seiner Internetseite ein Interview des Ministers mit der Deutschen Presse-Agentur. In dem Interview äußert sich dieser, angesprochen auf die Antragstellerin, wie folgt: „Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten. Das haben Sie am Dienstag im Bundestag miterleben können mit dem Frontalangriff auf den Bundespräsidenten. Das ist für unseren Staat hochgefährlich. Das muss man scharf verurteilen. Ich kann mich nicht im Bundestag hinstellen und wie auf dem Jahrmarkt den Bundespräsidenten abkanzeln. Das ist staatszersetzend.“ Im weiteren Verlauf des Interviews bekundet er außerdem, dieses Vorgehen sei „einfach schäbig“ gewesen. Sodann bejaht er die Frage, ob die AfD radikaler geworden sei, und fügt hinzu: „Die sind auf der Welle, auf der sie schwimmen, einfach übermütig geworden und haben auch dadurch die Maske fallen lassen. So ist es auch leichter möglich, sie zu stellen, als wenn sie den Biedermann spielt“. Schließlich führt er aus: (…) Mich erschreckt an der AfD dieses kollektive Ausmaß an Emotionalität, diese Wutausbrüche – selbst bei Geschäftsordnungsdebatten. (…) So kann man nicht miteinander umgehen, auch dann nicht, wenn man in der Opposition ist.“ Das Interview kann seit dem 1. Oktober 2018 nicht mehr von der Homepage abgerufen werden. Die Antragstellerin begehrt im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung, durch die Veröffentlichung in ihren Rechten verletzt zu sein.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

I.1. In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Dies setzt voraus, dass die Wählerinnen und Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung fällen können. Dabei kommt den politischen Parteien entscheidende Bedeutung zu. Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt.

2. Dieses Recht wird verletzt, wenn Staatsorgane zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten. Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen. Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität. Denn der Prozess der politischen Willensbildung ist nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern findet fortlaufend statt.

3. Die Aufgabe der Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein. Diese ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürgerinnen und Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie zur Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die der Bundesregierung zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen beinhaltet. Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet daher dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt.

Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung zwar berechtigt, gegen ihre Politik gerichtete Angriffe öffentlich zurückzuweisen; dabei hat sie aber sowohl hinsichtlich der Darstellung des Regierungshandelns als auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der hieran geübten Kritik die gebotene Sachlichkeit zu wahren. Das schließt die klare und unmissverständliche Zurückweisung fehlerhafter Sachdarstellungen oder diskriminierender Werturteile nicht aus. Darüberhinausgehende, mit der Kritik am Regierungshandeln in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehende, verfälschende oder herabsetzende Äußerungen sind demgegenüber zu unterlassen.

Für die Äußerungsbefugnisse eines einzelnen Mitglieds der Bunderegierung gilt nichts Anderes. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen. Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung in Ausübung des Ministeramtes stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen. Eine Äußerung erfolgt insbesondere dann in regierungsamtlicher Funktion, wenn der Amtsinhaber sich in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen sowie auf der Internetseite seines Geschäftsbereichs erklärt oder wenn Staatssymbole und Hoheitszeichen eingesetzt werden.

II. Nach diesen Maßstäben ist der Antrag begründet.

1. Die angegriffenen Äußerungen des Antragsgegners im Rahmen des Interviews sind als Teilnahme am politischen Meinungskampf verfassungsrechtlich für sich genommen nicht zu beanstanden.

a) Die angegriffenen Äußerungen beinhalten negative Qualifizierungen der Antragstellerin. Sie beinhalten eine parteiergreifende deutliche Kritik und negative Bewertungen zum Nachteil der Antragstellerin. Ihr wird unterstellt, dass sie sich ungeachtet entgegenstehender Bekenntnisse gegen den Staat stelle und insoweit ihre Maske habe fallen lassen. Zugleich wird ihr ein Radikalisierungsprozess attestiert und ihr Verhalten als „staatszersetzend“ qualifiziert, wobei sich der diesbezüglich gewählten Formulierung nicht eindeutig entnehmen lässt, ob der letztgenannte Vorwurf lediglich im Zusammenhang mit der Kritik der AfD-Bundestagsfraktion am Verhalten des Bundespräsidenten erhoben wird oder auf die Antragstellerin als Ganzes zielt. Mit seinen Äußerungen überschreitet der Antragsgegner insoweit die durch das Neutralitätsgebot vorgegebenen inhaltlichen Grenzen.

Soweit der Antragsgegner meint, die getätigten Aussagen seien bereits deshalb nicht zu beanstanden, weil sie keinen konkreten Wahlkampfbezug gehabt hätten und lediglich ein respektvoller Umgang mit dem Bundespräsidenten angemahnt, aber keine Aufforderung zur Nichtwahl der Antragstellerin ausgesprochen worden sei, lässt er außer Betracht, dass eine Beeinflussung der politischen Willensbildung zugunsten oder zulasten einzelner Parteien nicht nur durch Wahl- oder Nichtwahlaufrufe, sondern auch durch die negative Qualifizierung des Handelns oder der Ziele einzelner Parteien erfolgen kann. Davon ausgehend hat der Zweite Senat bereits ausdrücklich festgestellt, dass auch außerhalb von Wahlkampfzeiten der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität erfordert, da der Prozess der politischen Willensbildung nicht auf Wahlkämpfe beschränkt ist, sondern fortlaufend stattfindet.

b) Die Abgabe der streitgegenständlichen Äußerungen im Rahmen des Interviews als solche verletzt gleichwohl das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG nicht, weil der Antragsgegner dabei weder in spezifischer Weise auf die Autorität seines Ministeramtes noch auf die damit verbundenen Ressourcen zurückgegriffen hat. Vielmehr ergibt der Gesamtzusammenhang des Interviews, dass sich die Äußerungen als Teilnahme des Antragsgegners am politischen Meinungskampf in seiner Eigenschaft als Parteipolitiker und nicht als Wahrnehmung des Ministeramtes darstellen. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass der Antragsgegner zu Themen befragt wird, die nicht von seinem Ressort umfasst sind.

2. Demgegenüber hat der Antragsgegner durch die Veröffentlichung des Interviews auf der Homepage des von ihm geführten Ministeriums das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

a) Er hat damit auf Ressourcen zurückgegriffen, die ihm allein aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen. Diese hat er auch zur Beteiligung am politischen Meinungskampf eingesetzt, da die Wiedergabe des Interviews der weiteren Verbreitung der darin enthaltenen Aussagen diente. Da diese Aussagen in einseitiger Weise Partei gegen die Antragstellerin ergreifen, verstößt die Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des Ministeriums gegen das Gebot strikter staatlicher Neutralität und verletzt damit die Antragstellerin in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb.

b) Die hiergegen seitens des Antragsgegners erhobenen Einwände rechtfertigen keine andere Einschätzung. Der Hinweis, durch die bloße Veröffentlichung des Interviews auf der Internetseite des Ministeriums erlange dieses nicht den Charakter einer amtlichen Verlautbarung, vermag das Handeln des Antragsgegners nicht zu legitimieren. Zwar wurde bei der Veröffentlichung auf die Primärquelle hingewiesen und offengelegt, dass die Veröffentlichung mit deren ausdrücklicher Genehmigung erfolgte. Entscheidend ist aber allein, dass der Antragsgegner staatliche, der Antragstellerin nicht zur Verfügung stehende Ressourcen eingesetzt hat, um die Wettbewerbslage zwischen den politischen Parteien zu deren Nachteil zu verändern. Der Antragsgegner kann sich zur Rechtfertigung auch nicht auf die Befugnis der Bundesregierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit berufen. Dabei kann dahinstehen, ob dies bereits daran scheitert, dass der Antragsgegner bei der Verteidigung des Bundespräsidenten außerhalb der ihm zustehenden Ressortzuständigkeiten gehandelt haben könnte, da die Äußerungen nicht das im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung geltenden Gebot der Sachlichkeit beachten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



Volltext BGH: Darstellung der Bewertungen durch Bewertungsportal Yelp zulässig - Yelp darf Bewertungsdurchschnitt aufgrund empfohlener Beiträge berechnen

BGH
Urteil vom 14.01.2019
VI ZR 495/18 und VI ZR 496/18 und VI ZR 497/18
Brüssel I-VO Art. 7 Nr. 2; Rom II-VO Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 lit. g; EGBGB Art. 40 Abs. 1 Satz 2; BGB § 823 Abs. 1, § 824 Abs. 1, § 1004 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Darstellung der Bewertungen durch Bewertungsportal Yelp zulässig - Yelp darf Bewertungsdurchschnitt nur aufgrund empfohlener Beiträge berechnen über die Entscheidungen berichtet.

Leitsatz des BGH:

Zur Zulässigkeit der Bewertungsdarstellung eines Unternehmens in einem Internet-Bewertungsportal (hier: www.yelp.de).

BGH, Urteil vom 14. Januar 2020 - VI ZR 495/18 - OLG München - LG München I


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

VI ZR 495/18 und VI ZR 496/18 und VI 497/18



BGH: Darstellung der Bewertungen durch Bewertungsportal Yelp zulässig - Yelp darf Bewertungsdurchschnitt nur aufgrund empfohlener Beiträge berechnen

BGH
Urteil vom 14.01.2019
VI ZR 496/18 und VI ZR 495/18


Der BGH hat entschieden, dass die Darstellung der Bewertungen durch das Bewertungsportal Yelp nicht zu beanstanden sind. Insbesondere darf Yelp den Bewertungsschnitt nur aufgrund empfohlener Beiträge berechnen.

Die Pressemitteilung des BGH:

Zur Zulässigkeit der Bewertungsdarstellung von Unternehmen auf einem Internet-Bewertungsportal (www.yelp.de)

Sachverhalt:

Die Klägerin nimmt wegen ihrer Bewertungsdarstellung auf einem Internetportal dessen Betreiber auf Unterlassung, Feststellung und Schadensersatz in Anspruch.

Die Beklagte betreibt im Internet unter www.yelp.de ein Bewertungsportal, in dem angemeldete Nutzer Unternehmen durch die Vergabe von einem bis zu fünf Sternen und einen Text bewerten können. Das Internetportal zeigt alle Nutzerbeiträge an und stuft sie ohne manuelle Kontrolle durch eine Software automatisiert und tagesaktuell entweder als "empfohlen" oder als "(momentan) nicht empfohlen" ein. Bei Aufruf eines Unternehmens werden mit dessen Bezeichnung und Darstellung bis zu fünf Sterne angezeigt, die dem Durchschnitt der Vergabe in den "empfohlenen" Nutzerbeiträgen entsprechen (Bewertungsdurchschnitt). Unmittelbar daneben steht "[Anzahl] Beiträge". Unter der Darstellung des Unternehmens ist eine entsprechende Anzahl von Bewertungen - überschrieben mit "Empfohlene Beiträge für [Unternehmen]" - jeweils mit den vergebenen Sternen und dem Text wiedergegeben. Am Ende dieser Wiedergabe steht "[Anzahl] andere Beiträge, die momentan nicht empfohlen werden". Nach Anklicken der daneben befindlichen Schaltfläche wird folgender Text angezeigt:

"Was sind empfohlene Beiträge?

Unsere User veröffentlichen auf Yelp Millionen von Beiträgen. Aus diesem Grund benutzen wir eine automatisierte Software um die hilfreichsten Beiträge hervorzuheben. Diese Software zieht mehrere Faktoren in Betracht, wie z.B. die Qualität, die Vertrauenswürdigkeit und die bisherige Aktivität des Users auf Yelp. Dieser Vorgang ist gleich für alle Geschäftsauflistungen und hat nichts damit zu tun ob ein Unternehmen ein Anzeigenkunde bei uns ist oder nicht. Die Beiträge die nicht direkt auf der Geschäftsseite hervorgehoben und auch nicht in die Gesamtbewertung einberechnet werden sind aber unten aufgeführt. Hier mehr darüber erfahren."

Darunter befindet sich die Überschrift "[Anzahl] Beiträge für [Unternehmen] werden momentan nicht empfohlen" mit dem nachfolgenden "Hinweis: Die Beiträge unten werden nicht in der gesamten Sternchen-Bewertung für das Geschäft berücksichtigt." Danach folgt die Wiedergabe der nicht empfohlenen Beiträge.

Die Klägerin betreibt ein Fitness-Studio, zu dem das Bewertungsportal am 10. Februar 2014 aufgrund eines empfohlenen Beitrags vom 7. Februar 2014 drei Sterne und 24 ältere Beiträge mit überwiegend positiven Bewertungen als momentan nicht empfohlen anzeigte.

Nach Auffassung der Klägerin hat die Beklagte den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass der Bewertungsdurchschnitt aller Beiträge angezeigt worden sei. Die Unterscheidung zwischen empfohlenen und momentan nicht empfohlenen Beiträgen sei willkürlich und nicht anhand nachvollziehbarer Kriterien erfolgt, wodurch ein verzerrtes und unrichtiges Gesamtbild entstehe.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, auf ihrer Internetseite für das Fitness-Studio eine Gesamtbewertung oder eine Gesamtzahl der Bewertungen auszuweisen, in die Beiträge (Bewertungen), die von Nutzern der vorgenannten Internetseite abgegeben worden waren und welche die Beklagte als "momentan nicht empfohlen" wertet, nicht einbezogen werden. Außerdem hat das Oberlandesgericht die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz entstandenen sowie noch entstehenden Schadens festgestellt und die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltskosten verurteilt.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der unter anderem für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat hat auf die Revision der Beklagten das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche ergeben sich nicht aus § 824 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat nicht - wie in dieser Bestimmung vorausgesetzt - unwahre Tatsachen behauptet oder verbreitet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts äußerte die Beklagte mit der angegriffenen Bewertungsdarstellung nicht, dass es sich bei dem angezeigten Bewertungsdurchschnitt um das Ergebnis der Auswertung aller für das Fitness-Studio abgegebenen Beiträge handele und dass der danebenstehende Text deren Anzahl wiedergebe. Denn der unvoreingenommene und verständige Nutzer des Bewertungsportals entnimmt der Bewertungsdarstellung zunächst, wie viele Beiträge die Grundlage für die Durchschnittsberechnung bildeten, und schließt daraus weiter, dass Grundlage für die Durchschnittsberechnung ausschließlich der "empfohlene" Beitrag ist sowie dass sich die Angabe der Anzahl nur darauf bezieht. Die Bewertungsdarstellung der Beklagten greift auch nicht rechtswidrig in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht und in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ein (§ 823 Abs. 1 BGB). Die rechtlich geschützten Interessen der Klägerin überwiegen nicht die schutzwürdigen Belange der Beklagten. Die Anzeige des Bewertungsdurchschnitts und der Einstufung von Nutzerbewertungen als "empfohlen" oder "nicht empfohlen" sind durch die Berufs- sowie Meinungsfreiheit geschützt; ein Gewerbetreibender muss Kritik an seinen Leistungen und die öffentliche Erörterung geäußerter Kritik grundsätzlich hinnehmen.

Vorinstanzen:

Oberlandesgericht München – Urteil vom 13. November 2018 – 18 U 1282/16

Landgericht München I – Urteil vom 12. Februar 2016 – 25 O 24646/14

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 823 BGB Schadensersatzpflicht

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

§ 824 BGB Kreditgefährdung

(1) Wer der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet oder verbreitet, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, hat dem anderen den daraus entstehenden Schaden auch dann zu ersetzen, wenn er die Unwahrheit zwar nicht kennt, aber kennen muss.



OLG Düsseldorf: Kritik an Zahnpasta ohne Fluorid wegen schlechterer Kariesprophylaxe rechtlich zulässig - Dringlichkeit für einstweilige Verfügung 2 Monate

OLG Düsseldorf
Urteil vom 20.05.2019
20 U 116/18


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Kritik an Zahnpasta ohne Fluorid wegen schlechterer Kariesprophylaxe rechtlich zulässig ist. Ferner hat das OLG Düsseldorf seine Ansicht bekräftigt, wonach die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung 2 Monate nach Kenntniserlangung besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

Allerdings ist der gemäß § 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund gegeben. Ungeachtet dessen, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG nur für die in Rede stehenden Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gilt, hat die Antragstellerin durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben, dass ihr die Sache eilig ist.

Es bedarf insoweit keiner Entscheidung, ob die Antragstellerin den Zeitpunkt der erstmaligen Kenntniserlangung hinreichend glaubhaft gemacht hat, denn auch nach dem Vortrag der Antragsgegner ist eine Kenntniserlangung jedenfalls nicht vor dem 13. Mai 2018, dem angeblichen Erscheinungsdatum des streitgegenständlichen Interviews im Internet, denkbar. Indem die Antragstellerin am 3. Juli 2018 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt hat, hat sie ihr im Grundsatz schützenswertes Interesse an einer einstweiligen Regelung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass die Zeitspanne zwischen der Erlangung der Kenntnis von der Person des Verletzers und den maßgeblichen Umständen der Verletzungshandlung bis zur Einreichung des Verfügungsantrags in Fällen durchschnittlicher Bedeutung und Schwierigkeiten sowie mittleren Umfangs zwei Monate betragen darf, diese Dauer aber auch nicht überschreiten soll (GRUR-RR 2011, 315, 316 – Staubsaugerbeutel; NJWE-WettbR 1999, 15; ebenso: Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Auflage 2018, Rn. 155). An diesem Ansatz hält der Senat trotz der in der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ersichtlichen Tendenz zur Verkürzung der Zeitspanne fest. Auch Verfügungsverfahren sollen gründlich vorbereitet sein. Der Antragsteller muss die Sach- und Rechtslage prüfen und – je nach Ergebnis und Reaktion des Abgemahnten – die Risiken eines gerichtlichen Vorgehens abwägen können. Allzu enge zeitliche Vorgaben könnten nicht vollständig durchdachte „Schnellschüsse“ provozieren, mit denen niemandem gedient wäre.

So ist die Antragstellerin in der Zeit zwischen (frühestmöglicher) Kenntniserlangung und Beantragung der einstweiligen Verfügung auch nicht untätig geblieben, sondern hat diese sinnvoll für eine Abmahnung der Antragsgegner genutzt.

Soweit das Landgericht in der Veröffentlichung der gemeinsamen Stellungnahme des Antragsgegners zu 1) mit der DGZ und der DGPZM im Januar 2018 keinen der Annahme der Dringlichkeit entgegenstehenden Verstoß gesehen hat, sind dem die Antragsgegner zu Recht nicht entgegengetreten.

II.

Indes ist ein Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

1.

Dabei ist zunächst der Antrag der Antragstellerin – entgegen der Annahme des Landgerichts – dahin auszulegen, dass er nicht auf Unterlassung einzelner, vom Landgericht mit den Zahlen 1 bis 5 nummerierter Äußerungen gerichtet ist (weshalb auch schon deshalb von vornherein eine nur teilweise Stattgabe des Verfügungsantrags ausscheidet), sondern Unterlassung der gesamten Behauptung begehrt wird. So wird die Interviewäußerung des Antragsgegners zu 2) im Antrag nicht in einzelne Abschnitte aufgegliedert, sondern schon in der Antragsschrift ausgeführt, es werde die Unterlassung aller unterhalb des Portraitfotos aufgestellten Behauptungen begehrt, da diese – wie die Antragstellerin später ausführt – isoliert betrachtet auch gar nicht verständlich wären. Damit richtet sich der Antrag gegen die sogenannte konkrete Verletzungsform, also das konkret umschriebene (beanstandete) Verhalten in seiner Gesamtheit (vgl. BGH GRUR 2013, 401 Rn. 24 – Biomineralwasser) und umfasst der Streitgegenstand in diesem Falle alle Rechtsverletzungen, die durch die konkrete Verletzungsform verwirklicht wurden (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 24; BGH GRUR 2018, 203, Rn. 18 – Betriebspsychologe), wobei dem Gericht vorbehalten ist zu bestimmen, auf welcher Grundlage es ein Unterlassungsgebot ausspricht und der Antrag nur dann zurückzuweisen ist, wenn die konkrete Verletzungsform unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, für den der Antragsteller die tatsächlichen Grundlagen vorgetragen hat, untersagt werden kann (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Auflage 2019, § 12 Rn. 2.23f). Der Umstand, dass die Antragstellerin zum Zwecke der Anspruchsbegründung einzelne Sätze und deren angebliche Rechtsverletzung herausgestellt hat, steht dieser Annahme nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof (WRP 2018, 413 Rn. 16 – Tiegelgröße) hat entschieden, dass auch bei einem auf das Verbot der konkreten Verletzungsform gerichteten Antrag der Antragsteller aufgrund der Dispositionsmaxime sein Rechtsschutzbegehren dahin fassen kann, dass aus einem bei natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Lebenssachverhalt nur bestimmte Teile zur Begründung herangezogen werden sollen. Dazu zählen z. B. bestimmte Irreführungsaspekte. Diese werden, um zu verhindern, dass der Antragsgegner gezwungen wird, sich von sich aus gegen eine Vielzahl von lediglich möglichen, vom Antragsteller aber nicht konkret geltend gemachten Irreführungsaspekten zu verteidigen, nur dann Gegenstand des Verfahrens, wenn der Antragsteller diejenigen Irreführungsaspekte substantiiert darlegt, auf die er seinen Angriff stützen möchte.

2.

Der so verstandene Antrag der Antragstellerin ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erfolgreich.

a)
Lauterkeitsrechtliche Ansprüche scheitern mit der Ansicht des Landgerichts bereits am Fehlen einer geschäftlichen Handlung der Antragsgegner. Denn bei der in Rede stehenden Äußerung, die der Antragsgegner zu 2) in seiner Eigenschaft als Vizepräsident des Antragsgegners zu 1) getätigt hat, handelt es sich nicht um eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG in der hier allenfalls in Betracht kommenden Tatbestandsvariante des „Verhaltens zugunsten eines fremden Unternehmens“. Zwar ist die Äußerung objektiv geeignet, den Absatz fremder Unternehmen, nämlich den der Hersteller fluoridhaltiger Zahnpasten zu fördern. Erforderlich ist ferner aber ein funktionaler Zusammenhang dergestalt, dass die Handlung bei objektiver Betrachtung darauf gerichtet sein muss, durch Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer den Absatz oder Bezug von Waren oder Dienstleistungen des eigenen oder eines fremden Unternehmens zu fördern (BGH GRUR 2015, 694 – Bezugsquellen für Bachblüten; Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage 2016, § 2 Rn. 70). Auf die tatsächlichen subjektiven Vorstellungen des Handelnden kommt es dabei nicht an, vielmehr muss die Handlung bei der gebotenen objektiven Betrachtung vorrangig dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen dienen (OLG Hamm GRUR-RR 2017, 234 Rn. 41 mwNw.).

Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist das Bestehen eines funktionalen Zusammenhangs in dem vorbeschriebenen Sinne im Streitfall zu verneinen. Die angegriffene Äußerung betrifft – anders als beispielsweise in dem dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. März 2018 (GRUR 2018, 622 ff. – Verkürzter Versorgungsweg II) zugrundeliegenden Fall – keine Mitglieder des Antragsgegners zu 1). Denn diesem gehören zahnpastaherstellende oder -vertreibende Unternehmen nicht an, er ist vielmehr Dachverband der 17 Landeszahnärztekammern und zu seinen ihm satzungsgemäß zugewiesenen Aufgabenstellungen zählen die „Mitwirkung an der öffentlichen Gesundheitspflege“ und die „Förderung einer fortschrittlichen, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Zahnheilkunde, welche die Gesundheit des Menschen in den Mittelpunkt stellt“. Vor diesem Hintergrund kann die Äußerung des Antragsgegners zu 2) mit Testveröffentlichungen der Stiftung Warentest verglichen werden, die in erster Linie der Information der Verbraucher dienen, nicht aber den vorrangiger Zweck haben, bestimmte Wettbewerber zum Nachteil anderer zu unterstützen (vgl. BGH GRUR 1967, 113 – „Leberwurst“), oder aber mit sonstigen redaktionellen Beiträgen, die nur der Information und Meinungsbildung der Leser, Zuschauer oder Zuhörer dienen (vgl. Köhler, a.a.O., § 2 Rn. 63 ff. mwNw) oder aber – wie auch das Landgericht meint - mit Verbraucherinformationen eines Verbraucherverbandes, bei denen die Annahme einer geschäftlichen Handlung ebenfalls grundsätzlich ausscheidet und nur dann anzunehmen ist, wenn der Verbraucherverband gezielt zu Gunsten einzelner Unternehmen oder mit unsachlichen Mitteln oder Methoden in den Wettbewerb eingreift (vgl. BGH WPR 2014, 552 Rn. 28 – Werbung für Fremdprodukte; Köhler, a.a.O., § 2 Rn. 60). Hiervon ist im Streitfall indes nicht auszugehen. Die Äußerung des Antragsgegners zu 2) im Rahmen des Interviews ist sachlich und zurückhaltend formuliert und von dem Bestreben geprägt, die Leser der Zeitschrift Z. über den Stand der Wissenschaft betreffend fluoridhaltige und nicht fluoridhaltige Zahnpasten zu informieren. Weder lässt die Äußerung eine übermäßige Kritik an einem bestimmten Unternehmen noch gar einen Boykottaufruf erkennen. Selbst in der Formulierung des letzten Satzes des Interviews liegt keine Überschreitung der satzungsgemäßen Aufgaben. Denn hierin liegt, wie nachfolgend noch ausgeführt werden wird, – entgegen der Auffassung des Landgerichts – keine Tatsachenbehauptung. Vielmehr versteht der angesprochene Verkehr diese als eine aus dem Vorhergesagten rein schlussfolgernd getätigte Meinungsäußerung dahingehend, dass er, der Interviewte, von einem deutlich geringeren Kariesschutz von Produkten ohne Fluoride ausgeht, solange der wissenschaftliche Nachweis einer vergleichbaren Wirkungsweise nicht erbracht ist. Eine damit einhergehende Empfehlung zur Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasten ist indes ohne weiteres von den satzungsgemäßen Aufgaben des Antragsgegners zu 1) umfasst. Dass sie im Streitfall geeignet ist, den Absatz von – nicht näher bezeichneten – Herstellern oder Vertreibern von fluoridhaltigen Zahnpasten zu fördern, ist damit nicht vorrangiges Ziel der Äußerung, lediglich reflexartige Nebenfolge.

b)

Die Antragstellerin hat auch weder einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 824 BGB wegen der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen noch die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB glaubhaft gemacht.

aa)

Der letzte Satz des Interviews stellt eine Meinungsäußerung dar. Ob die angegriffene Äußerung auch im Übrigen und damit insgesamt als Meinungsäußerung einzustufen ist, oder aber die ersten vier Sätze der angegriffenen Äußerung Tatsachenbehauptungen enthalten, bedarf im Ergebnis keiner Entscheidung. Denn weder hat die Antragstellerin die Unwahrheit der – insoweit als gegeben unterstellten - Tatsachenbehauptungen glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter bb)), noch stellten die – insoweit als gegeben unterstellten - Meinungsäußerungen einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Antragstellerin dar (dazu nachfolgend unter dd)).

(1)

Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Das scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Als Meinung zu qualifizieren ist auch eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, wenn sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist (BGH NJW 2017, 2029 Rn. 29; BGH NJW 2016, 2106 Rn. 33 – jameda.de II), wenn diese Elemente aus Sicht des Empfängers gegenüber den zugrunde liegenden Tatsachen also nicht in den Hintergrund treten (BGH NJW 2011, 2204 – Bonitätsbeurteilungen).

Die zutreffende Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung setzt die Erfassung ihres Sinns voraus (BGH NJW 2016, 1584 – Nerzquäler; BGH NJW 2015, 773 – Hochleistungsmagneten). Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (stRspr; zB BGH GRUR 2017, 308 Rn. 13 – Die Anstalt; BGH NJW 2017, 482 Rn. 12 – Pressebericht über Organentnahme).

(2)

Dies berücksichtigend ist der letzte Satz des Interviews („Sofern eine Zahnpasta kein Fluorid enthält, ist der Kariesschutz deutlich geringer.“) als Meinungsäußerung zu qualifizieren. Isoliert betrachtet beinhaltet er zwar ohne weiteres die dem Beweis zugängliche Behauptung eines deutlich geringeren Kariesschutzes einer nicht fluoridhaltigen Zahnpasta. Diese Interpretation ließe indes den Kontext der Äußerung außer Betracht. So betont der Antragsgegner zu 2) zu Beginn des Interviews den nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wesentlichen Beitrag fluoridhaltiger Zahnpasten zur Vermeidung von Karies, weshalb jedem Patienten zur Nutzung fluoridhaltiger Zahnpasten geraten werde. Sodann führt er aus, dass ein vergleichbarer Schutz durch die Verwendung nicht fluoridhaltiger Zahnpasten bislang nicht wissenschaftlich belegt sei. Der verständige und unbefangene Leser wird dem sich sodann anschließenden und das Interview zugleich abschließenden Satz deshalb keinen über das Vorhergesagte hinausgehenden Erklärungswert beimessen und etwa – was eine Auslegung der Äußerung streng nach Wortlaut implizierte – annehmen, im Gegenteil sei der geringere Schutz solcher Zahnpasten wissenschaftlich belegt. Vielmehr wird der Leser hierin eine persönliche Schlussfolgerung des Antragsgegners zu 2) sehen, dass, solange wissenschaftliche Belege für einen ebenfalls wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Karies fehlen, von einem deutlich geringeren Kariesschutz nicht fluoridhaltiger Zahnpasten auszugehen ist.

Ob die ersten vier angegriffenen Sätze („Ein vergleichbarer Schutz vor Karies beziehungsweise deren Wirksamkeit wurde bisher nicht in notwendigen Langzeitstudien nachgewiesen. Das gilt auch für Produkte mit Hydroxylapatit wie X. Hydroxylapatit ist ein Calciumphosphatsalz und die Grundsubstanz von Zahnschmelz. Dass Hydroxylapatit-Bestandteile sich an den defekten Zahnschmelz anlagern oder sogar eine Schutzwirkung ausüben, ist wissenschaftlich nicht belegt.“) dem Beweis zugängliche Behauptungen enthalten, kann letztlich dahinstehen, denn, wie nachfolgend unter bb) ausgeführt wird, hat die Antragstellerin deren Unwahrheit nicht glaubhaft zu machen vermocht. Jedenfalls aber ist der Ansicht der Antragstellerin entgegen zu treten, den ersten beiden angegriffenen Sätzen sei die Behauptung zu entnehmen, der Begriff der „Langzeitstudie“ sei gesetzlich definiert. Einen solchen Schluss wird der verständige Leser des Interviews schon deshalb nicht ziehen, da er weiß, dass im Bereich Wissenschaft und Forschung die Anerkennung von Ergebnissen nicht gesetzlichen Bedingungen (die angesichts der Vielzahl möglicher Fragestellungen auch undenkbar wären) unterworfen ist, sondern davon abhängt, ob die jeweiligen Forschungsarbeiten anerkannten Grundsätzen der Wissenschaft entsprechen, was wiederum vom konkreten Forschungsobjekt abhängt. Er wird deshalb aus der Äußerung lediglich schließen, dass – was das Forschungsobjekt „wirksame Kariesprophylaxe“ auch ohne weiteres nahelegt – keine einmalige Untersuchung ausreicht, sondern über einen längeren, ggf. mehrjährigen Zeitraum Untersuchungen vorgenommen werden müssen.

bb)

Die insoweit darlegungs- und glaubhaftmachungsbelastete Antragstellerin (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Auflage 2019, § 824 Rn. 13) hat nicht glaubhaft gemacht, dass die (mutmaßlichen) Tatsachenbehauptungen unwahr sind und deshalb ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 824 BGB besteht. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen, die aufgrund des Berufungsvorbringens nur Anlass zu folgenden Ergänzungen geben:

(1)

Es ist zwar zutreffend, dass es – wie aus Art. 20 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 1223/2009 (KosmetikVO) zu folgern ist – zum Nachweis beworbener Eigenschaften von nicht fluoridhaltigen Zahnpasten, bei denen es sich gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a KosmetikVO um kosmetische Mittel handelt, nicht ausschließlich randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden sind (sog. Goldstandard) bedarf. Vielmehr müssen nach Nummer 3 des Anhangs der VO (EU) Nr. 655/2013 Werbeaussagen über kosmetische Mittel (lediglich) durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden, die den Stand der Technik berücksichtigen (Nrn. 1 und 2), und müssen als Nachweis herangezogene Studien für das Produkt und den behaupteten Nutzen relevant sein, auf einwandfrei entwickelten und angewandten Methoden basieren und ethischen Erwägungen Rechnung tragen (Nr. 3); außerdem muss die Beweiskraft der Nachweise bzw. Belege mit der Art der getätigten Werbeaussage in Einklang stehen (Nr. 4). Schließlich kann sich eine hinreichende wissenschaftliche Absicherung aus einer einzigen Arbeit ergeben, sofern diese auf überzeugenden Methoden und Feststellungen beruht (BGH GRUR 2010, 359 Rn. 18 – Vorbeugen mit Coffein!; BGH GRUR 2016, 418 Rn. 20 – Feuchtigkeitsspendendes Gel-Reservoir).

Ob dies entsprechend auch für den Nachweis der Unwahrheit der hier in Rede stehenden (mutmaßlichen) Tatsachenbehauptungen gilt, die gerade das Fehlen eines wissenschaftlichen Beleges zum Gegenstand haben, oder insoweit strengere Anforderungen zu stellen sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn die seitens der Antragstellerin in das Verfahren eingeführten Nachweise genügen selbst den (geringeren) Anforderungen der KosmetikVO nicht.

Die als Anlagen AST 4 und 24 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen des Herrn Dr. X., einem Mitarbeiter der Antragstellerin, sind hierfür ersichtlich genauso ungeeignet wie die vorgelegten Auszüge aus dem Fachbuch „Toothpastes“ (Anlage AST 6), denn die Aussage, Nano-Hydroxylapatit habe das Potential, um Kariesläsionen durch Hinzufügung zu Zahnpasten und Mundspülungen zu remineralisieren, ist nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass dies auch tatsächlich der Fall ist.

Mit der als Anlage AST 11 vorgelegten Schlagenhauf-Studie vermag die Antragstellerin, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, die Unwahrheit der Tatsachenbehauptungen ebenfalls nicht glaubhaft zu machen. Dies, sollten an den Nachweis der Unwahrheit strengere Anforderungen zu stellen sein, schon deshalb nicht, da die Studie im – für den auf Wiederholungsgefahr gestützten Unterlassungsanspruch maßgeblichen – Zeitpunkt der Interviewäußerung wenn überhaupt dann jedenfalls nur auf einem sogenannten Pre-Publication-Server (BioRxiv) eingestellt war, also noch nicht das Peer-Review-Verfahren durchlaufen hatte und so in der wissenschaftlichen Fachwelt diskutiert worden war. Aber auch beim Stellen geringerer Anforderungen genügt sie als Nachweis nicht. So mag es dem wissenschaftlichen Jargon der allermeisten wissenschaftlichen Studien entsprechen, abschließend weiteren Forschungsbedarf aufzuzeigen. Schon das Fazit der auf BioRxiv veröffentlichten Schlagenhauf-Studie geht indes weiter darüber hinaus, wenn es dort heißt: „Die in der vorliegenden Studie erbrachten vielversprechenden Ergebnisse müssen mit nachfolgenden klinischen Untersuchungen an breiter aufgestellten Studienpopulationen und unterschiedlichen Formen der Kariesaktivität untermauert werden, bevor allgemeine Schlussfolgerungen zum Nutzen und den Grenzen von mikrokristallinem HAP zur klinischen Kariesprävention möglich sind.“. Das Fazit der nunmehr, nach Abschluss des Peer-Review-Verfahrens im Journal of Investigative and Clinical Dentistry veröffentlichte Studie fällt sogar noch zurückhaltender aus und lautet: „An evidence-based judgement regarding the general suitability of microcrystalline HAP as a substitute or adjunct to fluorides in clinical caries prevention might only be possible after the availability of further data derived from clinical trials in study cohorts of diverse age and varying magnitude of the cariogenic challenge.“.

Die Studie von Najibfard et al. (Anlage AST 7) genügt zur Glaubhaftmachung ebenfalls nicht. Weder verhält sie sich zur Frage der kariesprophylaktischen Wirkungsweise von Hydroxylapatit im Verhältnis zu Fluoriden, noch können ihr ausreichend belastbare Aussagen zur Stabilität etwaiger Anlagerungen von Hydroxylapatit-Partikeln an Zahnschmelzoberflächen entnommen werden. So betrug der Untersuchungszeitraum gerade einmal 28 Tage je getestetem Produkt und nahmen an der Studie lediglich 30 Probanden teil. Die Studie von Harks et al. (Anlage AST 8) thematisierte schon nach eigenen Angaben der Antragstellerin nicht die Wirkweise als Kariesprophylaxe, sondern diente der Untersuchung von Plaquebildung und Zahnfleischbluten. Weshalb trotz dieses Endpunktes der Studie sicher auf die Wirkweise als Kariesprophylaxe geschlussfolgert werden kann, ist nicht überzeugend dargelegt.

Eine „erdrückende Beweislage“ vermögen auch weder die als Anlage AST 9 vorgelegte Übersichtsarbeit von Dr. X. und Dr. Y mit ihrer Schlussfolgerung „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die klinische Wirksamkeit von synthetischem Hydroxylapatit bei der Prävention von Dentin-Überempfindlichkeit ausreichend dokumentiert ist. Allerdings ist die Wirkung auf die Remineralisation beginnender Kariesläsionen, auf das Biofilmmanagement, auf die Reparatur kleiner Zahnschmelz-Läsionen und auf die Erosionsschutz weniger gut durch klinische Studien dokumentiert.“ noch die als Anlage AST 18 vorgelegte und für sich gesehen nicht aussagekräftige Liste mit Publikationen zu Hydroxylapatit und Hydroxylapatit-haltigen Formulierungen in der Zahnpflege zu schaffen.

cc)

Die Verbreitung der insofern wahren (mutmaßlichen) Tatsachen stellt auch keinen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt und dem die Antragstellerin nichts entgegen zu setzen vermocht hat.

dd)

Schließlich hat die Antragstellerin auch nicht die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die als wertende Meinungsäußerung anzusehende Interviewaussage der Antragsgegner glaubhaft gemacht.

68
Die Äußerung ist erkennbar nicht als Formalbeleidigung oder Schmähkritik zu qualifizieren. Die somit gebotene Abwägung der betroffenen – auch grundrechtlich geschützten – Rechtspositionen führt dazu, dass die Antragstellerin die beanstandete Äußerung hinnehmen muss.

Bei der Auseinandersetzung mit der von der Antragstellerin behaupteten alternativen Kariesprävention durch hydroxylapatitbasierte Zahnpasta handelt es sich im Hinblick auf die mögliche Betroffenheit einer Vielzahl von Personen um eine Thematik von großem öffentlichen Interesse. Zu berücksichtigen ist weiter, dass es sich bei der Äußerung des Antragsgegners zu 2), wie oben ausgeführt, um eine nicht den lauterkeitsrechtlichen Verhaltensanforderungen, sondern lediglich dem allgemeinen Deliktsrecht unterliegende Äußerung handelt, die überdies sachlich formuliert und mit den im Rahmen des Interviews zuvor getätigten Aussagen nachvollziehbar begründet ist. Zwar ist die Antragstellerin durch die Äußerung in ihrem Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG betroffen. Diese Betroffenheit geht aber nicht über eine zulässige Kritik hinaus und muss deswegen gegenüber dem Grundrecht der Antragsgegner aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zurückstehen. So muss es dem Antragsgegner zu 1) als Interessenvertreter der Zahnärzte und damit ebenso wie diese der öffentlichen Gesundheitspflege verpflichtet, möglich sein, sich zu diesbezüglichen Fragestellungen – auch kritisch – zu äußern.


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OLG Hamburg: Vorwurf ein Werk sei ein Plagiat ist eine Meinungsäußerung und keine überprüfbare Tatsachenbehauptung

OLG Hamburg
Urteil vom 29.01.2019
7 U 192/16


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass der Vorwurf, ein Werk sei ein Plagiat, eine Meinungsäußerung und keine überprüfbare Tatsachebehauptung darstellt. Das Gericht begründet dies damit, dass dem Ausdruck "Plagiat" im allgemeinen Sprachgebrauchüber keine begriffliche Substanz mehr innewohne.


BVerfG: Kein presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch wenn Beitrag nur Meinungsäußerung und keine Tatsachenbehauptungen enthält - tagesspiegel

BVerfG
Beschluss vom 21.12.2016
1 BvR 1081/15

Das BVerfG hat klargestellt, dass kein presserechtlicher Gegendarstellungsanspruch besteht, sofern es in dem Artikel oder Beitrag um eine Meinungsäußerung und nicht um Tatsachenbehauptungen geht. Vorliegend ging es um einen Beitrag im Tagesspiegel der auch im Internet unter tagesspiegel.de aufrufbar war. Grundsätzlich ist die Abgrenzung von Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptungen gerade in Streitfällen nicht immer einfach.

Aus den Entscheidungsgründen:

"a) Bei der besonderen Garantie der Pressefreiheit geht es um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung für die freie und öffentliche Meinungsbildung (vgl. BVerfGE 85, 1 <12>). Die Pressefreiheit schützt die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten. Auch die im Internet veröffentlichten Artikel, die im vorliegenden Fall bis auf die redaktionelle Gestaltung im Wesentlichen inhaltsgleich mit den Publikationen in der Druckausgabe der Zeitung sind und zu dieser in einem Ergänzungsverhältnis stehen, fallen in den Schutzbereich der Pressefreiheit, da ihnen die Wahl eines alternativen Verbreitungswegs nicht den Charakter als Presseerzeugnis nimmt.
17

b) Die Pflicht zum Abdruck einer Gegendarstellung greift in den Schutzbereich des Grundrechts ein, da die Freiheit der Entscheidung, welche Beiträge abgedruckt oder nicht abgedruckt werden, beschränkt wird.
18

c) Bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Beeinträchtigung der Pressefreiheit rechtfertigen können, hier § 10 Berliner Pressegesetz, hat das Kammergericht Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit nicht hinreichend beachtet.
19

aa) Wegen der Abhängigkeit des Gegendarstellungsanspruchs von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit zunächst, dass die Erstmitteilung in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit läge vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden müsste, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt (vgl. BVerfGE 97, 125 <150 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 967/05 -, NJW 2008, S. 1654 <1655> und der 3. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2013 - 1 BvR 2102/12, 1 BvR 1660/13 -, NJW 2014, S. 766 <767>).
20

bb) So liegt der Fall hier. Das Kammergericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die inkriminierten Äußerungen Tatsachenbehauptungen darstellen und hat hierbei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur Einordung einer Äußerung verkannt.
21

(1) Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als überwiegend durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägtes Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist dabei weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>).
22

(2) Wendet man diese Maßstäbe an, so sind die Äußerungen im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum Verkauf des Turms, der Antragsteller und der Investor seien „ziemlich beste Freunde“ bzw. „dicke“ gewesen, keine dem Beweis zugängliche Tatsache. Es handelt sich um ironische Meinungsäußerungen. Die Äußerungen enthalten zwar indirekt die Tatsachenbehauptung, dass sich die Betreffenden - was unstreitig ist - längere Zeit kennen, stellen sich aber ihrem Schwerpunkt nach überwiegend als durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte subjektive Deutungen ihres Verhältnisses zueinander dar. Die Tatsache, dass die Verhandlungen um den Verkauf ins Stocken geraten sind, wird dahingehend bewertet, dass sich das Verhältnis zwischen den Vertragspartnern geändert hat. Ob dies auf eine Veränderung der Verhandlungspositionen und das Beharren beider Parteien auf ihrem Standpunkt („Ineinander-Verkeilen von zwei Alphatierchen“) zurückzuführen ist oder auf persönliche Animositäten, wird offen gelassen.
23

(3) Es liegt auch keine verdeckte Tatsachenäußerung vor, bei der sich eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen enthaltene - vom Antragsteller bestrittene - zusätzliche eigene Aussage dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen muss (vgl. BVerfGK 2, 325 <328> unter Verweis auf BVerfGE 43, 130 <139>). Die an den Titel eines Films angelehnte Formulierung „ziemlich beste Freunde“ und die Aussage, der Antragsteller und der Investor seien „dicke“ gewesen, enthalten keine eindeutige Sachaussage der Verfasser. Es ist offen, ob die Verfasser eine persönliche Beziehung meinen oder ob sich die Aussage auf die geschäftliche Verbindung bezieht. Letztendlich lässt sich der Äußerung keine eindeutige Bedeutung zuordnen, so dass es an einer gegendarstellungsfähigen Tatsache fehlt."

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OLG Brandenburg: Äußerung über Mitbewerber zur rechtswidrigen Mitwirkung an Vergabeverfahren nicht zwingend wettbewerbswidrig

OLG Brandenburg
Urteil vom 13.12.2016
6 U 76/15


Das OLG Brandenburg hat entschieden, dass die Äußerung über einen Mitbewerber zur rechtswidrigen Mitwirkung an Vergabeverfahren nicht zwingend wettbewerbswidrig sind.


Aus den Entscheidungsgründen:

Dem Kläger steht der geltend gemachte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch nicht zu. Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf Unterlassung der inkriminierten Äußerung nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1 i.V. m. § 4 Nr. 8 UWG (in der bis zum 10.12.2015 geltenden Fassung) bzw. § 4 Nr. 2 UWG (in der Fassung des Gesetzes vom 02.12.2015 - BGBl. I S. 2158 - gültig ab 10.12.2015).

Ein Unterlassungsanspruch besteht nicht, weil der Kläger die zu untersagende Äußerung nicht getätigt hat. Die tatsächlich getätigten Äußerungen wären zudem nicht wettbewerbswidrig.

1) Die Klage ist bereits unschlüssig. Der Kläger begeht die Untersagung einer Äußerung, die der Beklagte so wörtlich nicht getätigt hat, wie der Kläger auch noch nicht einmal behauptet hat. Die inkriminierte Äußerung, die Ehefrau der Klägers wirke entgegen § 16 Abs. 2 Vergabeverordnung bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG rechtswidrig an öffentlichen Vergabeverfahren mit, an denen das Planungsbüro des Klägers beteiligt sei, ist in dem Schreiben des Beklagten vom 20.08.2014 nicht enthalten.

2) Soweit der Antrag des Klägers so zu verstehen sein könnte, dass der Beklagte zu verurteilen sei, es zu unterlassen, sinngemäß zu behaupten, die Frau der Klägers wirke entgegen § 16 Abs. 2 Vergabeverordnung bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG rechtswidrig an öffentlichen Vergabeverfahren mit, an denen das Planungsbüro des Klägers beteiligt sei, wie geschehen im Schreiben vom 20.08.2014, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Auch insoweit besteht kein Anspruch auf Unterlassung nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 1 i.V.m. § 4 Nr. 8 UWG a.F. (§ 4 Nr. 2 UWG n. F.) bzw. § 4 Nr. 7 UWG a.F. (§ 4 Nr. 1 UWG n.F.), unterstellt zugunsten des Klägers, zwischen den Parteien bestehe ein Wettbewerbsverhältnis und das Schreiben vom 20.08.14 sei zu Zwecken des Wettbewerbs versandt worden.

2.1). Das Schreiben vom 20.08.2014 enthält eine Reihe von Tatsachenbehauptungen, die wahr bzw. unstreitig sind und deshalb dem Anwendungsbereich des § 4 Nr. 8 UWG a.F. (§ 4 Nr. 2 UWG n.F.) von vorneherein nicht unterfallen. Dazu zählen u.a. die Aussagen, der Kläger betreibe kein Architekturbüro, seine Ehefrau sei im Bauamt tätig und dort für die Vergabe von Fördermitteln zuständig und der Kläger habe an mehreren näher bezeichneten Bauvorhaben der Wohn- und Baugesellschaft … mbH mitgewirkt. § 4 Nr. 8 UWG a.F. (§ 4 Nr. 2 UWG n.F.) bezweckt allein den Schutz des Mitbewerbers vor unwahren geschäftsschädigenden Tatsachenbehauptungen (Anschwärzung). Deshalb unterliegen auch die weiteren vom Kläger inkriminierten Inhalte des Schreibens, die rechtliche Wertungen bzw. Meinungsäußerungen darstellen - etwa die Vermutung, das Verwandtschaftsverhältnis könne den Bedingungen der ILB-Fördermittelbescheide zuwiderlaufen oder der Zusatz „Ein Schelm, der Böses dabei denkt“, nicht der Lauterkeitsbeurteilung des vom Kläger allein angeführten Tatbestandes des § 4 Nr. 8 UWG a.F.(§ 4 Nr. 2 UWG n.F.)

2.2). Die inkriminierten Äußerungen des Beklagten sind aber auch nach dem Maßstab des § 4 Nr. 7 UWG a.F. (§ 4 Nr. 1 UWG n.F.) nicht als unlautere Herabsetzung bzw. Verunglimpfung zu bewerten. Dies gilt sowohl hinsichtlich der in dem Schreiben vom 20.08.2014 enthaltenen Tatsachen, wie auch der Meinungsäußerungen bzw. rechtlichen Wertungen.

§ 4 Nr. 1 UWG n.F. dient dem Schutz des Mitbewerbers vor einer Beeinträchtigung seiner Wettbewerbsinteressen und des Allgemeininteresses am unverfälschten Wettbewerb (Köhler/Bornkamm a.a.O., § 4 Rn 1.2). Wahre, allerdings zugleich geschäftsschädigende Tatsachen, sind deshalb nach § 4 Nr. 1 UWG n.F. ( § 4 Nr. 7 UWG a.F.) nur dann zulässig, wenn ein sachlich berechtigtes Informationsinteresse der angesprochenen Verkehrskreise besteht, der Bewerber hinreichenden Anlass hat, den eigenen Wettbewerb mit der Herabsetzung des Mitbewerbers zu verbinden und sich die Kritik nach Art und Maß im Rahmen des Erforderlichen hält (Köhler/Bornkamm, 34. Aufl. 2016, § 4 Rn. 1.16). Ob den inkriminierten Äußerungen tatsächlich herabsetzende Wirkung zukommt, kann dahinstehen, denn jedenfalls wären die oben dargestellten, wahren Tatsachenbehauptungen nach diesen Maßgaben zulässig. Der Beklagte verfolgte mit seinem Schreiben die Intention, die maßgebenden Entscheidungsträger auf eine vergaberechtlich problematische Praxis in einem Bereich, der für seine eigene Berufstätigkeit relevant ist, aufmerksam zu machen.

Auch soweit das Schreiben Meinungsäußerungen und rechtliche Wertungen enthält, besteht keine Unlauterkeit nach § 4 Nr. 7 UWG a.F. (§ 4 Nr. 1 UWG n.F.). Die inkriminierten Äußerungen im Schreiben vom 20.08.2014 enthalten weder Formalbeleidigungen noch in unangemessener Weise abfällige, unsachliche oder abwertende Schmähkritik; sie sind auch nicht geeignet, die Menschenwürde zu verletzen. Es ergibt sich auch keine lauterkeitsrechtliche Unzulässigkeit aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der beteiligten Interessen, insbesondere der Belange beider Beteiligten und der Allgemeinheit, des Schutzes des Geschäftsrufs des Klägers sowie des Bedeutungsgehalts der Meinungsfreiheit und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu BGH, Urt. v. 19.05.2011 - I ZR 147/09 - Coaching Newsletter, GRUR 2012, 74 Rn 31, 33 zit. nach juris). Vielmehr steht die geäußerte Kritik in Zusammenhang mit der von dem Beklagten angegriffenen Vergabepraxis der Stadt …, durch die er sich benachteiligt fühlt. Thematisiert wird die berufliche Verquickung der Eheleute, die der Gesetzgeber im öffentlichen Vergabewesen als problematisch ansieht und der er mit einschränkenden Vorschriften entgegen wirkt (§ 16 Abs. 2 VgV i.d.F. bis 11.04.2016 bzw. § 6 Abs. 4 VgV i.d.F. ab 12.04.2016). Es handelt sich mithin um sachliche Kritik, für die ein konkreter Anlass bestand.

3). Zu Recht macht der Beklagte geltend, dass das Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.09.2014 nicht herangezogen werden könne, um die Unterlassungsbegehr des Klägers zu stützen. Dieses Schreiben ist im Vorfeld eines gerichtlichen Verfahrens gefertigt worden, es stellt das Antwortschreiben auf ein anwaltliches Schreiben des Klägers dar, mit dem dieser den Beklagten zur Unterlassung von Äußerungen und Erstattung von Aufwendungen aufgefordert hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ehrkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, grundsätzlich nicht mit Ehrenschutz- oder Unterlassungsklagen abgewehrt werden. Das sogenannte Ausgangsverfahren soll nicht durch die Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren sowie außergerichtlichen Schreiben, die dessen konkreter Vorbereitung dienen, alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihre Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt werden sollte (BGH Urt. v. 28.02.2012 - VI ZR 79/11, MDR 2012, 518 Rn 7, zit. nach juris; Urt. v. 11.12.2007 - VI ZR 14/07, NJW 2008, 998 Rn 12, zit. nach juris; OLG Celle Urt. v. 19.04.2012 - 13 U 235/11, NJW-RR 2012, 1189 Rn 4, zit. nach juris ). Ausnahmen können lediglich bestehen bei wissentlich unwahren oder leichtfertig unhaltbaren bzw. bewusst unwahren oder auf der Hand liegenden falschen Tatsachenbehauptungen sowie - im Falle von Meinungsäußerungen - bei sog. Schmähkritik (BVerfG, B. v.15.12.2008 - 1 BvR 1404/04 Rn 18, zit. nach juris; B. v. 25.09.2006 - 1 BvR 1898/03, zit. nach juris; BGH, Urt. v. 11.12.2007 a.a.O). Diese Ausnahmen sind vorliegend nicht gegeben. Das anwaltliche Schreiben vom 10.09.2014 wiederholt im Wesentlichen die bereits im Schreiben vom 20.08.2014 enthaltenen Tatsachen in Bezug auf die Beauftragung des Klägers durch die Wohn- und Baugesellschaft … mbH und die Tätigkeit dessen Ehefrau im Bauamt der Stadt … und stellt die zu dem maßgeblichen Zeitpunkt geltende Rechtslage nach § 16 VgV bzw. § 20 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG dar. Eine konkrete Einflussnahme des Verwandtschaftsverhältnisses auf die Auftragsvergabe wird dabei ausdrücklich nicht unterstellt.


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BGH: Kritik an journalistischer Arbeit zulässig - zur Abgrenzung von Verdachtsberichtserstattung und Meinungsäußerung

BGH
Urteil vom 27. September 2016
VI ZR 250/13
BGB § 823 Ah; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; EMRK Art. 8
Abs. 1, Art. 10

Leitsätze des BGH:


1. Zur Abgrenzung von Verdachtsberichterstattung und Meinungsäußerung.

2. Zur zulässigen Kritik an journalistischer Arbeit.

BGH, Urteil vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13 - KG Berlin - LG Berlin

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