Skip to content

KG Berlin: Amtspflichtverletzung durch Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren - Anspruch auf Geldentschädigung

KG Berlin
Urteil vom 20.12.2022
9 U 21/21


Das KG Berlin hat in diesem Fall entschieden, dass die Äußerungen eines Staatsanwalts auf einer Pressekonferenz zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Amtspflichtverletzung darstellen und somit wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch auf Geldentschädigung besteht.

Aus den Entscheidungsgründen;:
Die Kläger zu 1) und 2) haben gegen den Beklagten jeweils einen Anspruch auf Leistung von Geldentschädigung für immaterielle Schäden, die ihnen aus schuldhaften Amtspflichtverletzungen des Beklagten erwachsen sind. Diese Ansprüche sind begründet aus der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 Absatz 1 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Satz 1 GG.

Denn die für den Beklagten handelnden Beamten haben die ihnen den Klägern zu 1) und 2) gegenüber obliegenden Amtspflichten (a) rechtswidrig und schuldhaft (b) und dadurch auch das Persönlichkeitsrecht der Kläger zu 1) und 2) verletzt, wodurch ihnen kausal ein immaterieller Schaden erwachsen ist (c, d), für den der Beklagte an sie eine Geldentschädigung zu leisten hat (e, f).

a) Die von den Klägern beanstandeten Äußerungen des für den Beklagten handelnden Leitenden Oberstaatsanwalt ... auf der Pressekonferenz vom ... waren amtspflichtwidrig.

aa) Bei Presseäußerungen hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Bereich die erforderliche Abwägung zwischen dem Informationsrecht der Presse und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Geheimhaltungsinteresse) des jeweils Betroffenen (Artikel 5 Absatz 1 GG einerseits, Artikel 1 Absätze 1, 2 Absatz 1 GG andererseits; BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 – 1 BvR 536/72 –, juris, Rn. 45; BGH, Urteil vom 15. April 1980 – VI ZR 76/79 –, Rn. 9, juris; BGH Urteil vom 13. November 1990 – VI ZR 104/90 –, Rn. 12, juris; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1993 – VI ZR 23/93 –, Rn. 19, juris; BGH, Urteil vom 17. März 1994 – III ZR 15/93 –, Rn. 21, juris) vorzunehmen. Entscheidend ist nicht der reine Wortlaut der Auskunft, sondern der Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorrufen muss, an die die Presse sich wendet. Ganz besondere Vorsicht ist aber am Platze, wenn es sich wie hier um eine Auskunft im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens handelt: Ein solches Verfahren wird bereits auf Verdacht hin eröffnet; wird die Auskunft gar noch - wie hier - in einem Stadium erteilt, in dem die Ermittlungen zwar begonnen, aber bei weitem noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis geführt haben, so ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Öffentlichkeit durch die Auskunft kein falsches Bild von der Belastung des Betroffenen erhält, zumal der juristisch nicht vorgebildete Laie allzu leicht geneigt ist, die Eröffnung eines solchen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens beinahe mit dem Nachweis der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen. Das unkritische Vertrauen, dass die Bevölkerung dem gedruckten Wort entgegenbringt, zwingt die Staatsanwaltschaft, wenn sie Auskünfte an die Presse gibt, im Interesse des Ehrenschutzes des Beschuldigten gerade im Anfangsstadium der Ermittlungen alle Formulierungen zu vermeiden, die geeignet sein können, in der Öffentlichkeit den Gegenstand der Ermittlungen belastender erscheinen zu lassen, als es dem wirklichen Gehalt der dem Beschuldigten gemachten Vorwürfe entspricht (BGH, Urteil vom 29. Mai 1958 – III ZR 38/57 –, juris, Rn. 10; BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 19).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe, die auch in die Presserichtlinien für die Berliner Justiz in der hier maßgeblichen Fassung vom ... (JustV IA 2) wie auch Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) vom 1. Januar 1977 eingearbeitet waren, werden die Äußerungen des ehemaligen Leitenden Oberstaatsanwaltes ... den Anforderungen an eine amtspflichtgemäße Information der Öffentlichkeit nicht gerecht. Denn sie waren zum Teil nicht zutreffend (bb), zum Teil unpräzise (cc), im Gesamteindruck vorverurteilend (dd) und in unzulässiger Weise reißerisch formuliert (ee).

bb) Die Informationen der Öffentlichkeit, welche öffentlich verlautbart wurden, waren zum Teil nicht zutreffend, und zwar auch nicht auf der Grundlage der zum damaligen Zeitpunkt nur vorläufigen Ermittlungsergebnisse. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer staatsanwaltschaftlichen Presseinformation ist zunächst überhaupt das Vorliegen eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2019 – VI-Kart 7/18 (V) –, Rn. 145, juris) und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Dies setzt voraus, dass der Verfasser der Presseinformation eine hinreichend sorgfältige Recherche über den Wahrheitsgehalt angestellt hat, wobei die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht umso höher anzusetzen sind, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99 –, juris, Rn. 20; BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 28; OLG Hamm, Urteil vom 14. November 2014 – I-11 U 129/13 –, Rn. 38, juris). Daran fehlte es hier. Angesichts der Schwere der erhobenen Vorwürfe, welche das Strafgesetzbuch zum Teil sogar im Bereich der Gewaltverbrechen ansiedelt, war dabei ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab anzulegen:

(1) Wenn der Leitende Oberstaatsanwalt ... informierte „alles das, was wir in dem Bereich schwerpunktmäßig neben anderen gewalttätigen Straftaten hier ermittelt haben, ...“, so ist diese Aussage sachlich unzutreffend. Denn es lagen der Staatsanwaltschaft des beklagten Landes keine validen, einer gerichtlichen Überprüfung im Sinne eines hinreichenden Tatverdachtes standhaltenden Ermittlungsergebnisse zu Gewalttaten vor. Dementsprechend wurden schon die Haftbefehle gegen die Kläger zu 1) und 2) vom ... in keiner Weise auf Gewalttaten gestützt, diese Ermittlungen vielmehr fallen gelassen, was den Eindruck erweckt, dass schon die Staatsanwaltschaft selbst keine (vor dem Maßstab des Gesetzes ausreichenden) Anhaltspunkte hatte. Er vertieft die Unrichtigkeit, wenn er äußert „... das System der Prostitution in gewalttätigen... Umfeld bestätigen und unterstützen...“ Sachlich falsch ist auch die Behauptung „... sind Prostituierte ausgebeutet worden, ist Gewalt ausgeübt worden...“ Unzutreffend ist auch die Behauptung, dass es nach den „Ermittlungen, die wir bisher geführt haben, ganz direkte Bezüge zu den hier in ... ansässigen ..., die dort auch ihr Geschäft weitergemacht haben...“ [gebe]. Diesen Verdacht mag die Staatsanwaltschaft (insgeheim) gehegt haben, er mag von der vor der Razzia am ... vernommenen Zeugin ... sehr vage geäußert worden sein, die von einem „sehr, sehr gut[en]“ Verhältnis der Kläger zu 1) und 2) zu den ... sprach, von Absprachen nichts wusste, eine Geschäftsbeziehung verneinte, von Menschenhandel oder Zwang zur Prostitution nichts wusste, lediglich meinte, sie würde sich auch nicht wundern. Die Zeugin verneinte, dass Prostituierte für die Kläger zu 1) und 2) arbeiteten und hatte selbst keinen Arbeitsvertrag unterschrieben. Bestätigen ließ sich der Verdacht aber nicht und war schon gar nicht im Zeitpunkt der Pressekonferenz ausreichend erhärtet. Beruht eine mit einer so erheblichen Ehrenkränkung verbundene Behauptung auf einer derart dürftigen Tatsachen- und Ermittlungsgrundlage, wie dies vorliegend der Fall ist, gebietet eine an den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern ausgerichtete Abwägung der Interessen, die betroffene Person, hier die Kläger, nicht "an den Pranger zu stellen" (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12 –, Rn. 33 anders als hier unter voller Namensnennung).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: