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OLG Düsseldorf: Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 3 ZPO - Technische Störung muss auch bei gerichtsbekannter und offenkundiger Störung dargelegt und glaubhaft gemacht werden

OLG Düsseldorf
Urteil vom 18.04.2024
2 U 59/23


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass bei einer Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 3 ZPO die technische Störung auch bei gerichtsbekannter und offenkundiger Störung dargelegt und glaubhaft gemacht werden muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 130d S. 2 ZPO bleibt die Übermittlung eines Schriftsatzes nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. In diesem Fall darf der Nutzungspflichtige das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften (vgl. § 130 Nr. 6 ZPO), d.h. in Papierform oder als Telefax, übermitteln (BGH, NJW-RR 2023, 350 Rn. 8). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist (BT-Drucks. 17/12634, 27; BGH, NJW-RR 2023, 350 Rn. 8). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist gemäß § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Anwaltsschriftsatz ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften eingereicht werden kann, müssen somit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht werden.

Die in § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO aufgeführten Alternativen stehen dabei nicht gleichrangig zur Auswahl nebeneinander. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der erkennende Senat folgt, hat die Glaubhaftmachung nach § 130d S. 3 ZPO vielmehr möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen (BGH, GRUR 2023, 1481 Rn. 11 – EGVP-Störung). Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt (BGH, NJW 2023, 456 Rn. 11; Beschl. v. 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 11; GRUR 2023, 1481 Rn. 11 – EGVP-Störung). Eine noch am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingegangene Darlegung und Glaubhaftmachung ist allerdings als gleichzeitig im Sinne dieser Grundsätze anzusehen; die nach § 130d S. 3 ZPO erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung ist daher rechtzeitig, wenn sie am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingeht (BGH GRUR 2023, 1481 Rn. 11 f. – EGVP-Störung). Es ist hingegen ausgeschlossen, die erforderlichen Angaben nachzuholen, wenn weder bei Einreichung des Anwaltsschriftsatzes in Papierform oder per Telefax noch in einem am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz zu den Voraussetzungen des § 130d S. 2 ZPO vorgetragen ist, obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt die Hinderungsgründe für eine Einreichung auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg bekannt waren und zugleich eine sofortige Glaubhaftmachung dieser Gründe möglich war (vgl. BGH, NJW 2023, 456 Rn. 11; NJW-RR 2023, 350 Rn. 8; OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 15).

Was die nach § 130d S. 3 ZPO erforderliche Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument anbelangt, setzt diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände voraus, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (vgl. BGH, NJW 2022, 3647 Rn. 15; Beschl. v. 26.01.2023 – V ZB 11/22, BeckRS 2023, 10045 Rn. 11; NJW 2023, 2883 Rn. 19; GRUR 2023, 1481 Rn. 11 – EGVP-Störung; NJW 2024, 901 Rn. 8). Glaubhaft zu machen ist die technische Unmöglichkeit einschließlich ihrer vorübergehenden Natur, wobei eine (laienverständliche) Schilderung und Glaubhaftmachung der tatsächlichen Umstände genügt (vgl. BGH, NJW 2023, 2883 Rn. 21 m.w.N.; NJW 2024, 901 Rn. 8). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist (vgl. BT-Drs. 17/12634, 27; vgl. auch BGH, NJW 2023, 1062 Rn. 14; NJW 2024, 901 Rn. 8).

b) Hiervon ausgehend ist vorliegend eine Glaubhaftmachung nach § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO durch die Klägerin nicht rechtzeitig erfolgt.

aa) Die Berufungsschrift ist am 20.04.2023 ohne jeden Hinweis auf eine technische Störung per Telefax eingereicht worden. In der per Telefax übermittelten Berufungsschrift wird insbesondere ein Ausfall bzw. eine Störung des Systems des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) oder des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfaches (EGVP) nicht erwähnt. Soweit es in der Berufungsschrift am Ende heißt, dass eine „Urteilsabschrift nebst beA-Versand-/Empfangsbestätigung vom 20.03.2023“ beigefügt ist, bezieht sich diese Angabe auf die Zustellung des mit der Berufung angefochtenen Urteils an die Klägerin bzw. ihre früheren Prozessbevollmächtigten.

Eine technische Störung ist von den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch nicht etwa in einem noch am 20.04.2023 bei Gericht eingegangenem weiteren Schriftsatz mitgeteilt und glaubhaft worden. Die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten aber bereits zu diesem Zeitpunkt vortragen und glaubhaft machen können, dass die Übermittlung der Berufungsschrift in der nach § 130d S. 1 ZPO vorgeschriebenen Form aus technischen Gründen nicht möglich gewesen ist. Denn die Berufungsschrift ist am 20.04.2023 bereits um 11:03 per Telefax eingereicht worden (vgl. Bl. 1 eA-OLG). Bis zum Ablauf der Berufungsfrist an diesem Tage blieb genügend Zeit, darzutun und glaubhaft zu machen, dass eine Übermittlung der Berufungsschrift in der nach § 130d S. 1 ZPO vorgeschriebenen Form wegen einer vorübergehenden technischen Störung nicht möglich ist. Dies hätte problemlos mit der per Telefax eingereichten Berufungsschrift selbst oder mit einem noch am selben Tag per Telefax eingereichten weiteren Anwaltsschriftsatz geschehen können. Denn die Glaubhaftmachung kann nicht nur in Form eines elektronischen Dokuments erfolgen, sondern es stehen dazu auch die herkömmlichen Mittel offen. Dazu zählen hand- oder maschinenschriftlich erstellte, ggf. eigenhändig unterschriebene Papier-Dokumente. Andernfalls liefe die erste Alternative in § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO, wonach eine Glaubhaftmachung der technischen Störung grundsätzlich bei der Ersatzeinreichung erfolgen soll, leer (OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 19).

bb) Ungeachtet dessen, dass eine Nachholung der Glaubhaftmachung gemäß § 130d S. 3 Hs. 1 Alt. 2 ZPO nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier schon nicht in Betracht kam (vgl. BGH NJW 2023, 456 Rn. 11; so auch: OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 20; AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 20.10.2023 – 1 AGH 18/23, BeckRS 2023, 34182 Rn. 24), haben die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Störung auch nicht unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB; vgl. BGH, NJW-RR 2023, 350 Rn. 7; NJW 2023, 2883 Rn. 19 und 21) mitgeteilt.

Unverzüglich – und somit ohne schuldhaftes Zögern – ist die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nur, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt (BGH, NJW 2023, 2883 Rn. 21). Der Zeitraum des unverschuldeten Zögerns i.S.v. § 130d S. 3 ZPO ist eng zu fassen (vgl. BGH, NJW 2023, 2883 Rn. 22 m.w.N.). Hierbei hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, innerhalb welcher Zeitspanne die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat (BGH, NJW 2023, 2883 Rn. 22 m.w.N.). Unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls kann selbst die Nachholung der Glaubhaftmachung vor Ablauf einer Woche nicht mehr unverzüglich sein (BGH, NJW 2023, 2883 Rn. 24 m.w.N.). Jedenfalls ist die Mitteilung der Gründe für die Ersatzeinreichung nach mehr als einer Woche im Regelfall nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 130d Satz 3 ZPO, sofern nicht besondere Umstände vorliegen (BGH, NJW 2022, 3647 Rn. 17; OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 21 f.; Biallaß, NJW 2023, 25 Rn. 14).

Vorliegend ist der Schriftsatz vom 08.05.2023, in welchem von den früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin erstmals und auch nur eher beiläufig mitgeteilt worden ist, dass die Berufungsschrift wegen des seinerzeitigen „beA-Ausfalls“ per Telefax eingereicht wurde, erst mehr als zwei Wochen nach der Ersatzeinreichung bei Gericht eingegangen. Dieser Zeitraum ist im vorliegenden Fall, in dem keine besonderen Umstände vorgelegen haben, in jedem Fall als zu lang zu werten.

Die früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin durften hier insbesondere nicht zuwarten, bis sie zur Glaubhaftmachung einer technischen Störung aufgefordert werden. Das gilt schon deshalb, weil sie bei Einreichung der Berufungsschrift per Telefax auf eine solche Störung nicht hingewiesen hatten. Im Übrigen verlangt § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO, dass der Einreicher von sich aus tätig wird; dies ergibt sich unmissverständlich aus einem Vergleich mit S. 3 Hs. 2 (OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 22). Eine andere Auslegung würde die Sorgfaltsobliegenheiten in unzulässiger Weise auf die gerichtlichen Abläufe verlagern und es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass erst geraume Zeit nach der Einreichung des Schriftsatzes eine Prüfung der Formerfordernisse gemäß § 522 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgt. Das wäre mit dem Zweck des § 130d S. 3 Hs. 1 ZPO, so schnell wie möglich die Ursächlichkeit der technischen Störung zu klären und Rechtssicherheit bzgl. der Zulässigkeit der eingelegten Berufung herbeizuführen, unvereinbar. Je nach Art der technischen Störung lassen sich mit zunehmendem Zeitablauf die Umstände nicht mehr zuverlässig ermitteln, so dass in Zweifelsfällen nur noch auf die Angaben des Einreichers zurückgegriffen werden könnte (OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582 Rn. 22).

cc) Unerheblich ist schließlich, ob die technische Störung „gerichtsbekannt“ oder „offenkundig“ (§ 291 ZPO) war.

(1 )Das Bundesarbeitsgericht (NJW 2023, 623 Rn. 39) hat zu der mit § 130d S. 3 ZPO wörtlich übereinstimmenden Regelung in § 46g S. 4 ArbGG entschieden, dass sich der Ersatzeinreicher im Falle einer fehlenden Glaubhaftmachung nicht mit Erfolg darauf berufen kann, die Glaubhaftmachung sei entbehrlich gewesen, weil die technische Störung des beA gerichtsbekannt bzw. offenkundig i.S.v. § 291 ZPO gewesen sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Bestimmung, die die Beweisbedürftigkeit einer offenkundigen Tatsache entfallen lässt, gleichwohl im Gesetz den Nachweis einer technischen Störung durch die Wendung „ist … glaubhaft zu machen“ zwingend vorgesehen hat, obwohl er erkennen konnte, dass entsprechende Vorkommnisse auch offenkundig sein können. Auch in einem solchen Fall sei nicht ausgeschlossen, dass eine Ersatzeinreichung ausscheide, weil die technische Störung nicht kausal für die gescheiterte Übermittlung als elektronisches Dokument sei. Das liege nach Vorstellung des Gesetzgebers zum Beispiel dann vor, wenn der Einreicher die für eine solche Einreichung erforderlichen technischen Mittel nicht habe (BT-Drs. 17/12634, 28). Der Gesetzgeber habe darum das Erfordernis der Glaubhaftmachung ausnahmslos zur Voraussetzung für eine Ersatzeinreichung gemacht. Er habe diese Möglichkeit jedoch an keine besonderen Voraussetzungen wie Verschulden oder Entstehungsort der technischen Störung geknüpft, sondern lediglich bestimmt, dass diese Störung glaubhaft zu machen sei, was mit der Ersatzeinreichung und nur ausnahmsweise unverzüglich danach zu erfolgen habe. Damit habe er ein gegenüber § 291 ZPO eigenständiges, beschleunigtes Verfahren eingeführt. Es bedürfe insoweit weder einer vorherigen Stellungnahme der übrigen Streitbeteiligten, wie dies bei der Zugrundelegung offenkundiger Tatsachen i.S.v. § 291 ZPO erforderlich sei, noch müsse das Gericht eigene Nachforschungen über die behauptete Störung anstellen, sofern es selbst keine Zweifel an ihr habe bzw. eine solche zwischen den Parteien streitig sei.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Screenshot als Augenscheinsobjekt taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO

BGH
Beschluss vom 10.10.2023
XI ZB 1/23
ZPO § 130d


Der BGH hat entschieden, dass ein Screenshot als Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO ein taugliches Mittel zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO darstellen kann.

Leitsatz des BGH:
Zur Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gemäß § 130d Satz 3 ZPO durch Vorlage eines Screenshots.

BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2023 - XI ZB 1/23 - OLG Braunschweig - LG Braunschweig

Aus den Entscheidungsgründen:
Allerdings überspannt das Berufungsgericht die sich aus § 130d Satz 3 ZPO ergebenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer auf technischen Gründen beruhenden vorübergehenden Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument, indem es im vorliegenden Fall eine anwaltliche Versicherung des Scheiterns der Übermittlung für zwingend erforderlich erachtet, ohne den vorgelegten Screenshot zu berücksichtigen.

Die Vorlage dieses Screenshots, bei dem es sich um ein Augenscheinsobjekt im Sinne von § 371 Abs. 1 ZPO handelt (OLG Jena, GRUR-RR 2019, 238 Rn. 15; BeckOK ZPO/Bach, 50. Edition, Stand: 1. September 2023, § 371 Rn. 3), war im vorliegenden Fall geeignet, die behauptete Störung glaubhaft zu machen. Denn sein Inhalt stimmt überein mit den Angaben in der beA-Störungsdokumentation auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer (www.brak.de/fileadmin/02_fuer_anwaelte/bea/beA-Störungsdokumentation_02.pdf, Stand 14. September 2023 mit Störungen vom 7. Dezember 2018 bis zum 14. September 2023) und in dem Archiv der auf der Störungsseite des Serviceportals des beA-Anwendersupports veröffentlichten Meldungen für den Zeitraum Juli - Dezember 2022 (portal.beasupport.de/fileadmin/user_upload/pdfs/Archiv_Portalmeldungen_2HJ2022.pdf), nach denen vom 24. November 2022, 14:06 Uhr, bis zum 25. November 2022, 3:33 Uhr eine Störung des beA-Systems bestand, wodurch die beA-Webanwendung nicht zur Verfügung stand und eine Adressierung von beA-Postfächern bzw. eine Anmeldung am beA nicht möglich war. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht die von der Prozessbevollmächtigten des Klägers geschilderte Störung angesichts der auf der Internetseite der Bundesrechtsanwaltskammer verfügbaren Informationen als offenkundig (§ 291 ZPO) hätte behandeln können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2023 - V ZR 14/23, juris Rn. 1 und vom
24. Mai 2023 - VII ZB 69/21, WM 2023, 1428 Rn. 17 ff.).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Ersatzeinreichung sowie Darlegung und Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO müssen am selben Tag bei Gericht eingehen

BGH
Zwischenurteil vom 25.07.2023
X ZR 51/23
PatG § 125a Abs. 2 Satz 2; ZPO § 130d Satz 2 und 3


Der BGH hat entschieden, dass die Ersatzeinreichung sowie die Darlegung und Glaubhaftmachung nach § 130d Satz 3 ZPO am selben Tag bei Gericht eingehen müssen.

Leitsätze des BGH:
a) Die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung ist rechtzeitig, wenn sie am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingeht (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 17. November 2022 - IX ZB 17/22, NJW 2023, 456 Rn. 11; Beschluss vom 26. Januar 2023 - V ZB 11/22, WRP 2023, 833 Rn. 11).

b) Eine vorübergehende Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird.

BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 - X ZR 51/23 - Bundespatentgericht

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Zeugenvernehmung kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung der Beschwer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde

BGH
Beschluss vom 24.11.2022
I ZR 25/22
ZPO §§ 294, 544 Abs. 2 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass das Anbieten einer Zeugenvernehmung kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung der Beschwer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ist.

Leitsatz des BGH:
Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist das Angebot des Beschwerdeführers auf Vernehmung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung der Beschwer gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht geeignet (Anschluss an BGH, Beschluss vom
29. Oktober 2020 - V ZR 273/19, MDR 2021, 380 [juris Rn. 8 bis 11]).

BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - I ZR 25/22 - OLG Rostock - LG Rostock

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


BVerfG: Verstoß gegen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit - Anhörung erforderlich wenn der Abmahnung anders als dem Verfügungsantrag keine eidesstattliche Versicherung beigefügt war

BVerfG
Beschluss vom 10.11.2022
1 BvR 1941/22


Das Bundesverfassungsgericht hat abermals in einem presserechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren einen Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit festgestellt. Es besteht bereits dann eine Pflicht zur Anhörung, wenn der vorausgehenden Abmahnung anders als dem Verfügungsantrag keine eidesstattliche Versicherung als Mittel zur Glaubhaftmachung beigefügt war.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 12. September 2022 verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist eine Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Das Gericht muss den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180 <188>) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen (vgl. BVerfGE 9, 89 <96 f.>; 57, 346 <359>).

aa) Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen. Voraussetzung der Verweisung auf eine nachträgliche Anhörung ist, dass ansonsten der Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereitelt würde (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 15). Im Presse- und Äußerungsrecht kann jedenfalls nicht als Regel von einer Erforderlichkeit der Überraschung des Gegners bei der Geltendmachung von Ansprüchen ausgegangen werden (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 31; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 21; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 20). Auch wenn über Verfügungsanträge in äußerungsrechtlichen Angelegenheiten angesichts der Eilbedürftigkeit nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden muss, berechtigt dies das Gericht nicht dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 ff.). Eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag und weiteren an das Gericht gerichteten Schriftsätzen geltend gemachte Vorbringen zu erwidern (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 21; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 23; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 22).

bb) Dabei ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn das Gericht in Eilverfahren auch die Möglichkeiten einbezieht, die es der Gegenseite vorprozessual erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern, wenn sichergestellt ist, dass solche Äußerungen vollständig dem Gericht vorliegen. Hierfür kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine Abmahnung allerdings nur dann, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: der Verfügungsantrag muss im Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht werden; die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein; der Antragsteller muss ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen. Demgegenüber ist dem Antragsgegner Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise als in der Abmahnung oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird (vgl. näher BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 22 ff. sowie Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 18 f.; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 14; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 22; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 25; vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 -, Rn. 28; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 23).

cc) Um der herausragenden Bedeutung der prozessualen Waffengleichheit gerecht zu werden, sind die Voraussetzungen, unter denen von einer Anhörung des Antragsgegners ausnahmsweise abgesehen werden kann, eng begrenzt. So wird eine besondere, eine Anhörung des Antragsgegners ausnahmsweise entbehrlich machende Dringlichkeit in äußerungsrechtlichen Fallkonstellationen im Regelfall zu verneinen sein, wenn der Antragsteller vom Ablauf der außergerichtlich eingeräumten Äußerungsfrist bis zur gerichtlichen Antragstellung ein Mehrfaches jener Zeit verstreichen lässt, die er dem Antragsgegner als außergerichtliche Frist gewährt hatte (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2021 - 1 BvR 249/21 -, Rn. 25; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 27). Auch wird inhaltlich regelmäßig bereits dann keine gleichwertige Erwiderungsmöglichkeit bestehen, wenn das Antragsbegehren erstmals im gerichtlichen Verfahren durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht wird. Denn soweit ein ohne Glaubhaftmachung angekündigter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 936 ZPO in Verbindung mit § 922 Abs. 2 ZPO keine Aussicht auf Erfolg bietet, braucht sich der Antragsgegner ungleich weniger zu einer Stellungnahme veranlasst sehen als durch eine außergerichtliche Abmahnung, die erkennbar bereits die prozessualen Voraussetzungen erfüllt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 16). Das Gebot schließlich, zusammen mit der Antragsschrift ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners bei Gericht einzureichen, ist in einem weiten Sinne zu verstehen und schließt deshalb jegliche – auch automatisierte – Rückäußerungen des Antragsgegners ein, die für die inhaltliche Beurteilung des Antrags oder auch nur für die Verfahrenshandhabung durch das Gericht von Bedeutung sind.

dd) Eine ohne Anhörung des Antragsgegners zu dessen Nachteil ergangene Entscheidung muss erkennen lassen, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters seiner Verfahrenshandhabung bewusst war. Insbesondere dürfen weniger einschneidende Alternativen nicht bestanden haben. Das setzt im Regelfall voraus, dass es auch nicht möglich war, dem Antragsgegner fernmündlich, durch E-Mail oder Telefax Gelegenheit zu geben, den Vortrag des Antragstellers zur Kenntnis zu nehmen und – gegebenenfalls auch kurzfristig – zu erwidern (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 21; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 16; vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 35; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 25). Eine auch hiervon absehende Entscheidung wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen in äußerungsrechtlichen Eilverfahren nur im Ausnahmefall genügen. In jedem Fall unzulässig ist es, wegen einer gegebenenfalls durch die Anhörung des Antragsgegners befürchteten Verzögerung oder wegen einer durch die Stellungnahme erforderlichen, arbeitsintensiven Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Antragsgegners bereits in einem frühen Verfahrensstadium gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungstitel zu belasten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 23; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR 2740/20 -, Rn. 27; vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 37; vom 4. Februar 2021 - 1 BvR 2743/19 -, Rn. 29; vom 1. Dezember 2021 - 1 BvR 2708/19 -, Rn. 32; vom 11. Januar 2022 - 1 BvR 123/21 -, Rn. 40; vom 21. April 2022 - 1 BvR 812/22 -, Rn. 25).

b) Nach diesen Maßstäben verletzt der angegriffene Beschluss den Beschwerdeführer offenkundig in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Während die dem Beschwerdeführer durch den Antragsteller zunächst am 1. September 2022 eingeräumte Stellungnahmefrist nicht einmal fünf Stunden betrug und die zweite, am Folgetag neu gesetzte Stellungnahmefrist nicht einmal vier Stunden, richtete der Antragsteller seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst am 9. September 2022 an das Landgericht und damit acht Tage nach Ablauf der ersten und sieben Tage nach Ablauf der zweiten Frist. Aufgrund der Beifügung beider Schriftsätze als Anlagen zur Antragsschrift standen dem Landgericht diese zeitlichen Abläufe vor Augen. Ebenso offensichtlich war, dass die der Antragsschrift beigefügte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers bereits vom 1. September 2022 datierte, dem Beschwerdeführer jedoch weder mit der ersten noch mit der zweiten Abmahnung zur Kenntnis gebracht worden war. Überdies hatte die Pressekammer vor ihrer Entscheidung Kenntnis davon, dass der Beschwerdeführer den Antragsteller noch am 12. September 2022 um 09:59 Uhr ausdrücklich darum gebeten hatte, ihm die dem Gericht vorgelegte eidesstattliche Versicherung zu übersenden, um sich zu deren Inhalt gegebenenfalls einlassen zu können.

Wenn das Landgericht formelhaft ausführt, eine Anhörung des Antragsgegners durch das Gericht sei nicht erforderlich gewesen, weil die Abmahnung der Antragsschrift inhaltlich entspreche, trifft dies mithin schon nicht zu, da der Beschwerdeführer keine Kenntnis vom Inhalt der eidesstattlichen Versicherung hatte. Nicht nachvollziehbar ist ebenso, weshalb das Landgericht am 12. September 2022 von einer Übersendung der bereits drei Tage zuvor eingegangenen Antragsschrift nebst Anlagen abgesehen hat, obschon es Kenntnis von einer durch den Antragsteller ergänzend gewährten Stellungnahmefrist und der im Zuge dessen ausdrücklich geäußerten Bitte des Beschwerdeführers um Übersendung der eidesstattlichen Versicherung besaß. Soweit das Landgericht die Anhörung des Antragsgegners als „nicht erforderlich“ bezeichnet, missversteht es die verfassungsrechtlichen Anforderungen aber auch grundsätzlich. Denn nach diesen ist die Anhörung des Antragsgegners keiner Erforderlichkeitsprüfung zu unterziehen, sondern der umgekehrten Überlegung, ob von einer Anhörung ausnahmsweise abgesehen werden darf. Der besonderen Eilbedürftigkeit, die weniger einschneidende Alternativen der Verfahrenshandhabung nicht gestattet, hätte es im vorliegenden Verfahren daher selbst dann bedurft, wenn Abmahnung und gerichtlicher Antrag – wie das Landgericht angenommen hat – tatsächlich identisch gewesen wären. Da die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an das Absehen von einer Anhörung im Interesse der prozessualen Waffengleichheit kumulative Voraussetzungen bilden, ist es dem Gericht verwehrt, den Antragsgegner allein schon deshalb aus dem Verfahren herauszuhalten, weil ihm das Vorbringen bereits bekannt war (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 21 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Januar 2021 - 1 BvR 2681/20 -, Rn. 32).


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OLG Braunschweig: Besichtigungsanspruch nach § 101a UrhG per einstweiliger Verfügung - Anwaltliche Versicherung dass eidesstattliche Versicherung eines anonymen Hinweisgebers vorliegt genügt nicht

OLG Braunschweig
Beschluss vom 22.10.2019
2 W 76/19


Das OLG Braunschweig hat im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens um einen Besichtigungsanspruch nach § 101a UrhG entschieden, dass eine anwaltliche Versicherung über das Vorliegen einer eidesstattlichen Versicherung eines anonymen Hinweisgeber nicht zur Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs genügt.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Die zulässige sofortige Beschwerde (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO) ist unbegründet.

Das Landgericht hat den Antrag zu Recht abgewiesen. Der Senat hält an seiner von der ganz herrschenden Meinung (vgl. z. B. OLG Nürnberg, Beschluss v. 17.08.2015 – 3 W 1412/15, GRUR-RR 2016, 108; OLG Hamm, Beschluss v. 20.08.2009 – 4 B 107/09, ZUM-RD, 2010, 27; OLG Köln, Beschluss v. 09.01.2009 – 6 W 3/09, ZUM 2009, 427; Ohst in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 5. Aufl., § 101a Rn. 34; Reber in: BeckOK, Urheberrecht, 25. Edition, § 101a Rn. 3; Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl., § 101a Rn. 9; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl., § 101a Rn. 8) geteilten Rechtsauffassung fest (Senat, Beschluss v. 06.04.2011 – 2 W 24/11, n. v.), wonach der Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 101a Abs. 1 S 1 u. Abs. 3 S. 1 UrhG i. V. m. §§ 935 ff. ZPO (sowie hier Art. 5 Abs. 1 RBÜ) die Glaubhaftmachung sowohl eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrunds voraussetzt. Die Bedeutung des § 101a Abs. 3 S. 1 UrhG liegt darin, dass diese Bestimmung den Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegen den sonst geltenden Grundsätzen des vorläufigen Rechtsschutzes auch dann ermöglichen soll, wenn die Hauptsache hierdurch vorweggenommen wird. Die Regelung befreit jedoch nicht von dem Erfordernis der Glaubhaftmachung der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Voraussetzungen. Dies entspricht im Übrigen auch der Auffassung des Gesetzgebers (vgl. amtl. Begr. BT-Drs. 16/5048, 41).

Im Streitfall fehlt es an beiden Voraussetzungen.

a) Die Antragstellerin hat die Dringlichkeit der einstweiligen Verfügung nicht glaubhaft gemacht.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig sein (§ 940 ZPO). Dabei muss die antragstellende Partei, will sie den Vorwurf der Selbstwiderlegung vermeiden, im Rahmen der Verfolgung der einstweiligen Verfügung alle Abläufe zeitlich so kurz wie möglich halten und Verzögerungen vermeiden. Insbesondere geht die Dringlichkeit verloren, wenn der Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet und/oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt (vgl. zu § 101a Abs. 3 UrhG z. B. OLG Köln, a. a. O.; OLG Hamm, a. a. O.).

Hier hat die Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erst am 12.09.2019 bei Gericht eingereicht, obwohl sie bereits in einem am 01.04.2019 mit dem Hinweisgeber geführten Telefonat detaillierte Angaben dazu erhalten hatte, dass die drei Antragsgegnerinnen angeblich Programme der Antragstellerin ohne Lizenz nutzten. Diese zeitliche Streckung der Prozessvorbereitung erscheint deutlich zu lang.

Der bis zum Einreichen der Antragsschrift verstrichene Zeitraum von über fünf Monaten ist im Wesentlichen auf die Bemühungen der Antragstellerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten entfallen, von dem Hinweisgeber eine eidesstattliche Versicherung seiner Angaben zu erhalten. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin jedoch ohnehin nicht beabsichtigt, die eidesstattliche Versicherung im Verfahren vorzulegen, sind die auf ihren Erhalt bezogenen Bemühungen nicht ausreichend beschleunigt worden. Der Entwurf einer eidesstattlichen Versicherung ist dem Hinweisgeber von den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bereits am 09.04.2019 übersandt worden. Es hat im folgenden Kontakte wegen etwaiger Änderungen gegeben, die bei einer Dauer von einem Monat zu langwierig gestaltet worden sind. Am 09.05.2019 hat der Hinweisgeber schließlich angekündigt, die eidesstattliche Versicherung per Briefpost abschicken zu wollen. Obwohl im Anschluss keine Postsendung zuging, hat die Antragstellerin bis zum 24.07.2019, also etwa zweieinhalb Monate gewartet, ehe sie den Hinweisgeber per E-Mail erinnerte. Auf zwischenzeitlich versuchte telefonische Kontaktaufnahmen kann sich die Antragstellerin nicht berufen, weil der Hinweisgeber telefonisch nicht zu erreichen war. Nachdem dieser sodann am 30.07.2019 offenbar erneut angekündigt hatte, die eidesstattliche Versicherung zu übersenden, ist, nachdem auch dies nicht geschehen war, wiederum über drei Wochen, nämlich bis zum 21.08.2019 zugewartet worden, ehe erneut per E-Mail nachgefragt wurde.

Damit hat die Antragstellerin die Vorbereitung ihrer einstweiligen Verfügung bei einer Gesamtbetrachtung nur schleppend betrieben.

b) Darüber hinaus fehlt es auch an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrunds.

aa) Richtig ist zwar, dass die durch einen Rechtsanwalt mitgeteilten Tatsachen in gleicher Weise nach § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemacht werden können, wie dies sonst durch eine eidesstattliche Versicherung der Fall ist, wenn der Anwalt die Richtigkeit seiner Angaben unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichert (vgl. BGH, Beschluss v. 05.07.2017 – XII ZB 463/16, NJW-RR 2017, 1266). Anwaltlich versichert worden ist hier jedoch nur, dass ein Hinweisgeber, dem Anonymität zugesichert worden sei, Angaben gemacht und anschließend eidesstattlich versichert habe, die darauf schließen ließen, dass die Antragsgegnerinnen von der Antragstellerin entwickelte Computerprogramme ohne die erforderliche Lizenz nutzten. Damit ist und bleibt aber der Hinweisgeber bzw. seine eidesstattliche Versicherung das primäre Beweismittel. Die anwaltliche Versicherung, es gebe einen Hinweisgeber, der derartige Angaben gemacht habe, ist sekundär; sie beweist nicht die urherberrechtswidrige Nutzung von Computerprogrammen, sondern nur, dass ein Dritter die Behauptung einer solchen nichtlizenzierten Nutzung aufgestellt habe.

Eine inhaltliche Prüfung der von dem Hinweisgeber eidesstattlich versicherten Angaben ist jedoch ohne Vorlage der eidesstattlichen Versicherung selbst nicht möglich. Überhaupt ist die eidesstattliche Versicherung des anonymen Hinweisgebers unter den Umständen des Streitfalls als Beweismittel nahezu wertlos. Denn gerade die im Falle der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung sich aus den §§ 156, 161 StGB ergebende Strafandrohung ist wesentliches Fundament für die Beurteilung der Angaben als glaubhaft. Hier läuft die Strafdrohung jedoch völlig leer, was zwangsläufig den Beweiswert der eidesstattlichen Versicherung weitgehend beseitigt. Strafbar ist nämlich nur die „Abgabe“ einer falschen eidesstattlichen Versicherung vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde, worunter auch Gerichte zu verstehen sind. Eine schriftliche Versicherung ist in diesem Sinne abgegeben, wenn sie der zuständigen Behörde mit dem Willen des Erklärenden, ggf. auch durch einen Dritten, zugeht (vgl. z. B. Bosch/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 156 Rn. 19 m. w. N.; MK-Müller, StGB, 3. Aufl., § 156 Rn. 12). Eine solche „Abgabe“ ist hier ausgeschlossen, nachdem die Antragstellerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten dem Hinweisgeber sowohl Anonymität als auch ein Unterbleiben der Weitergabe seiner eidesstattlichen Versicherung zugesichert haben.

bb) Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. vom 04.05.2012 verweist (Geschäfts-Nr. 11 W 15/12/Anlage AS 3), hat das Oberlandesgericht Frankfurt bereits nur einen „gewisse(n) Grad an Wahrscheinlichkeit“ geprüft, was nicht dem Grad der Glaubhaftmachung entspricht. Diese ist auf die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gerichtet (vgl. z. B. BGH, Beschluss v. 27.09.2016 – XI ZB 12/14, NJW-RR 2017, 308). Darüber hinaus hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt neben der anwaltlichen Versicherung auf weitere Indizien gestützt, an denen es hier fehlt.

Das weiter von der Antragstellerin in Bezug genommene Oberlandesgericht Dresden dagegen argumentiert in dem als Anlage AS 4 vorgelegten Beschluss vom 01.09.2015 (Geschäfts-Nr. 14 W 766/15) vorwiegend mit der Beweisnot der antragstellenden Partei. Diese mag auch hier anzunehmen sein, rechtfertigt es aber nicht, gleichsam kompensatorisch der Sache nach auf eine Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs zu verzichten.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

3. Der Streitwert ist gemäß den §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1, 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO festgesetzt worden.

Der Wert eines Besichtigungsanspruchs nach § 101a Abs. 1 S. 1 UrhG richtet sich nach dem Streitwert der Ansprüche, deren Vorbereitung er dient. Für die Bemessung des Streitwerts ist dabei auf die Grundsätze zur Bemessung des Streitwerts eines Auskunftsanspruchs zurückzugreifen, der ebenso wie der Besichtigungsanspruch der Vorbereitung des Hauptanspruchs dient. Der Auskunftsanspruch ist in der Regel mit einem Zehntel bis einem Viertel des Werts des Hauptanspruchs zu bewerten, wobei der Wert des Auskunftsanspruchs umso höher zu bemessen ist, je mehr der Kläger zur Begründung seines Hauptanspruchs auf die Auskunftserteilung angewiesen ist (vgl. BGH, Beschluss v. 31.03.2010 – I ZR 27/09, BeckRS 2010, 11845).

Hieran gemessen erscheint ein Streitwert unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Hauptansprüche für die Antragstellerin, von 15.000,00 € als angemessen. Die Streitwertfestsetzung des Landgerichts war deshalb gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu korrigieren."


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BGH: Bei mehreren Feststellungszielen einer Musterfeststellungsklage ist das Erfordernis des § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO für jedes Feststellungsziel zu erfüllen

BGH
Beschluss vom 30.07.2019
VI ZB 59/18
ZPO § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, § 610 Abs. 5, §§ 263, 264


Leitsätze des BGH:

a) Bei mehreren Feststellungszielen einer Musterfeststellungsklage ist das Erfordernis des § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO für jedes Feststellungsziel zu erfüllen.

b) Zu den Anforderungen, die an die Glaubhaftmachung daran zu stellen sind, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen.

c) Zu der Möglichkeit der Erweiterung einer Musterfeststellungsklage.

BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 - VI ZB 59/18 - OLG Braunschweig

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BGH: Recht auf Akteneinsicht in Markenangelegenheiten - Schokoladenstäbchen

BGH
Beschluss vom 30.11.2011
I ZB 56/11
Schokoladenstäbchen
MarkenG § 62 Abs. 1 und 2; IFG § 1 Abs. 3


Leistsätze des BGH:
a) Das Informationsfreiheitsgesetz findet auf die Akteneinsicht Dritter in Verfahren in Markenangelegenheiten keine Anwendung.

b) Für die Akteneinsicht in die Verfahrensakten über einen Antrag auf Schutzentziehung einer IR-Marke braucht ein berechtigtes Interesse nicht glaubhaft gemacht zu werden.

BGH, Beschluss vom 30. November 2011 - I ZB 56/11 - Bundespatentgericht

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