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BVerfG: Schulschließungen durch Bundesnotbremse waren nach der im April 2021 bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zur Corona-Pandemie verfassungsgemäß

BVerfG
Beschluss vom 19.11.2021
1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Schulschließungen durch die Bundesnotbremse nach der im April 2021 bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zur Corona-Pandemie verfassungsgemäß waren.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Schulschließungen waren nach der im April 2021 bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zulässig

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen das vollständige oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz („Schulschließungen“) nach der vom 22. April bis zum 30. Juni 2021 geltenden „Bundesnotbremse“ richten.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung anerkannt. In dieses Recht griffen die seit Beginn der Pandemie in Deutschland erfolgten Schulschließungen in schwerwiegender Weise ein, wie die in den sachkundigen Stellungnahmen dargelegten tatsächlichen Folgen dieser Maßnahmen deutlich zeigen. Diesem Eingriff standen infolge des dynamischen Infektionsgeschehens zum Zeitpunkt der Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ Ende April 2021, zu dem die Impfkampagne erst begonnen hatte, überragende Gemeinwohlbelange in Gestalt der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit und für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gegenüber, denen nach der seinerzeit vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers auch durch Schulschließungen begegnet werden konnte.

Dafür, dass der Gesetzgeber in dieser Situation den Schülerinnen und Schülern den Wegfall von Unterricht in der Schule trotz der damit verbundenen schwerwiegenden Belastungen zumuten konnte, waren unter anderem folgende Faktoren von Bedeutung: Zu vollständigen Schulschließungen kam es - anders als bei den sonstigen Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte - nicht bereits bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 im jeweiligen Landkreis oder der jeweiligen kreisfreien Stadt, sondern erst bei einem weit höheren Wert von 165. Die Länder waren verfassungsrechtlich verpflichtet, wegfallenden Präsenzunterricht auch während der Geltung der „Bundesnotbremse“ nach Möglichkeit durch Distanzunterricht zu ersetzen. Die Schulschließungen waren auf einen kurzen Zeitraum von gut zwei Monaten befristet; damit war gewährleistet, dass die schwerwiegenden Belastungen nicht über einen Zeitpunkt hinaus gelten, zu dem der Schutz von Leben und Gesundheit etwa infolge des Impffortschritts seine Dringlichkeit verlieren könnte. Schließlich hatte der Bund bereits vor Verabschiedung der Bundesnotbremse Vorkehrungen mit dem Ziel getroffen, dass etwaige künftige, auch die Schulen betreffende Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie die Schülerinnen und Schüler möglichst nicht mehr derart schwerwiegend belasten. Dazu zählen unter anderem eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Studie zur Erforschung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen („StopptCOVID-Studie“) sowie Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Rahmen des „DigitalPaktSchule“ von insgesamt 1,5 Milliarden Euro zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung digitalen Distanzunterrichts.

Sachverhalt:

Die Anordnung von Schulschließungen nach § 28b Abs. 3 IfSG war Bestandteil eines Gesamtschutzkonzepts mit einem Maßnahmenbündel, das mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 bundesweit zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eingeführt wurde („Bundesnotbremse“). Der Präsenzunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen war vollständig untersagt, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 den Schwellenwert von 165 je 100 000 Einwohner überschritt; ab einem Schwellenwert von 100 durfte Präsenzunterricht nur zeitlich begrenzt in Form von Wechselunterricht stattfinden (§ 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG). Die Länder konnten Abschlussklassen und Förderschulen von dem Verbot von Präsenzunterricht ausnehmen und eine Notbetreuung nach von ihnen festgelegten Kriterien einrichten. Die Durchführung von Präsenzunterricht war nur zulässig bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte. Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte durften nur dann am Präsenzunterricht teilnehmen, wenn sie zweimal in der Woche mittels eines anerkannten Tests auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurden. Bei Unterschreiten der relevanten Schwellen traten die Beschränkungen außer Kraft. Die Geltung der Vorschrift war auf die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite begrenzt, längstens jedoch bis zum Ablauf des 30. Juni 2021.

Die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler rügen insbesondere die Verletzung eines Rechtes auf Bildung. Die Eltern der beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler machen unter anderem geltend, dass ihr nach Art. 6 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf freie Gestaltung des Familienlebens durch das Verbot von Präsenzunterricht unverhältnismäßig beeinträchtigt worden sei.

Der Senat hat zahlreichen sachkundigen Dritten aus Medizin, Infektionsforschung, der Schülerschaft, Pädagogik und Schulforschung Gelegenheit gegeben, Stellung zu nehmen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Die Verfassungsbeschwerden bleiben ohne Erfolg.

A. Das Verbot von Präsenzunterricht nach § 28b Abs. 3 Satz 2 und 3 IfSG verletzte nicht das Recht auf schulische Bildung.

I. Das Verbot stellte einen Eingriff in das nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 GG geschützte Recht auf schulische Bildung dar.

Das Recht der Kinder und Jugendlichen auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG enthält ein Recht gegenüber dem Staat, ihre Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten auch in der Gemeinschaft durch schulische Bildung gemäß dem Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG zu unterstützen und zu fördern (Recht auf schulische Bildung). Der Schutzbereich dieses Rechts umfasst, soweit es nicht um die berufsbezogene Ausbildung geht, die Schulbildung als Ganze, also sowohl die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten wie auch Allgemeinbildung und schulische Erziehung. Es vermittelt den Kindern und Jugendlichen einen Anspruch auf Einhaltung eines für ihre chancengleiche Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten unverzichtbaren Mindeststandards von Bildungsangeboten, enthält jedoch keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung von Schule. Dem Anspruch auf einen Mindeststandard schulischer Bildungsleistungen können zwar ausnahmsweise überwiegende Gründe des Schutzes von Verfassungsrechtsgütern entgegenstehen, nicht jedoch die staatliche Entscheidungsfreiheit bei der Verwendung knapper öffentlicher Mittel. Das Recht auf schulische Bildung umfasst auch ein Recht auf gleichen Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten im Rahmen des vorhandenen Schulsystems. Es enthält darüber hinaus ein Abwehrrecht gegen Maßnahmen, welche das aktuell eröffnete und auch wahrgenommene Bildungsangebot einer Schule einschränken, ohne das vorhandene Schulsystem selbst zu verändern.

Die zuletzt genannte abwehrrechtliche Gewährleistungsdimension des Rechts auf schulische Bildung ist hier berührt. Das Verbot von Präsenzunterricht stellte einen am Gebot der Verhältnismäßigkeit zu messenden Eingriff in dieses Recht dar, weil es allein der Bekämpfung der Pandemie diente und dabei das Schulsystem an sich mit dem Präsenzunterricht als Regelunterrichtsform unberührt ließ.

II. Das Verbot von Präsenzunterricht war formell und materiell verfassungsgemäß. Dem Bundesgesetzgeber stand die erforderliche Gesetzgebungskompetenz zu und das Gesetz bedurfte nicht der Zustimmung durch den Bundesrat. Materiell genügte die angegriffene Regelung insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.

1. Durch das Verbot sollten, ebenso wie durch die weiteren in der „Bundesnotbremse“ enthaltenen Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte, Infektionen eingedämmt und so Leben und Gesundheit geschützt und das Gesundheitssystem vor einer Überlastung bewahrt werden. Damit diente die Maßnahme verfassungsrechtlich legitimen Zwecken, die der Gesetzgeber in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erreichen wollte.

2. Die Einschätzung des Gesetzgebers, ein Verbot von Präsenzunterricht bei hohen Inzidenzwerten könne zusammen mit den anderen Maßnahmen der „Bundesnotbremse“ zur Beschränkung zwischenmenschlicher Kontakte den Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems jedenfalls fördern, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die sachkundigen Dritten sind in ihren Stellungnahmen davon ausgegangen, dass sich bei allen bisher aufgetretenen Virusvarianten auch Kinder und Jugendliche mit dem Coronavirus anstecken und dann zu Überträgern dieses Virus werden können, auch wenn sie selbst nur in seltenen Fällen schwer erkranken. Nach sachkundiger Einschätzung können sich die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der vielfältigen Kontakte mit anderen Schülern und den Lehrkräften im Klassenzimmer, im Schulgebäude oder dessen Außengelände, aber auch auf dem Weg zur Schule anstecken und das Virus dann auf Personen in ihrem familiären Umfeld oder auf die Lehrkräfte übertragen. Auf diese Weise nähmen auch geöffnete Schulen am Infektionsgeschehen teil.

3. Das Verbot von Präsenzunterricht war zum Schutz der Bevölkerung vor infektionsbedingten Gefahren von Leib und Leben und zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch erforderlich.

Das wäre nur dann nicht der Fall gewesen, wenn eindeutig festgestellt werden könnte, dass Infektionen durch die weniger belastende Alternative geöffneter Schulen mit regelmäßigen Tests und Hygienemaßnahmen mindestens gleich wirksam hätten bekämpft werden können wie durch ein Verbot von Präsenzunterricht. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hierzu ist jedoch durch Unsicherheit geprägt. Zwar hat einer der sachkundigen Dritten in diesem Verfahren eine entsprechende Einschätzung abgegeben. Sie wird so von den übrigen Sachkundigen indes nicht geteilt. Mehrere sachkundige Dritte haben angemerkt, dass eine fundierte fachwissenschaftliche Bewertung nicht möglich sei, weil noch keine Daten zur Wirksamkeit der verschiedenen, bisher an Schulen ergriffenen Maßnahmen zur Infektionsbekämpfung erhoben und ausgewertet worden seien. Dementsprechend sind deren Aussagen zur Wirksamkeit der beiden Alternativen auch eher vage. Ein Sachkundiger vertritt die Auffassung, das Infektionsgeschehen könne jedenfalls mit Antigen-Schnelltests in Schulen nicht gleich wirksam eingedämmt werden und flächendeckende PCR-Tests seien aus Kapazitätsgründen nicht möglich.

4. Das Verbot von Präsenzunterricht stand gemessen an der Sach- und Erkenntnislage zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes nicht außer Verhältnis zu den damit verfolgten Zwecken.

a) Das Verbot von Präsenzunterricht beeinträchtigte das Recht der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung allerdings schwerwiegend. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung geht davon aus, dass sich die vollständigen und partiellen Schulschließungen von März 2020 bis Anfang Juni 2021 auf 173 Tage summierten. Nach Angaben des Vorsitzenden des Deutschen Lehrerverbandes fiel der Präsenzunterricht im Durchschnitt insgesamt um ein halbes Schuljahr aus. Die sachkundigen Dritten weisen darauf hin, dass der Präsenzunterricht nicht vorwiegend durch gemeinsamen digitalen Unterricht, sondern durch die Bereitstellung von Aufgaben ersetzt wurde. Nach sachkundiger Einschätzung führte der Wegfall von Präsenzunterricht zu Lernrückständen und Defiziten in der Persönlichkeitsentwicklung. Mit dem Präsenzschulbetrieb sei ein für die psychosoziale Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wichtiger Sozialisationsraum entfallen. Die Schülerinnen und Schüler an Grundschulen waren nach einhelliger Einschätzung der sachkundigen Dritten besonders schwerwiegend betroffen, weil der Bildungserfolg bei ihnen von der Möglichkeit direkter Interaktion mit den Lehrern abhängt und Lernrückstände in dieser frühen Bildungsphase den gesamten schulischen Werdegang beeinträchtigen können. Die sachkundigen Dritten schätzen außerdem die Lernrückstände infolge des Wegfalls von Präsenzunterricht bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien als besonders groß ein. Darüber hinaus haben die Schulschließungen zusammen mit den weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nach den eingeholten Stellungnahmen der sachkundigen Dritten in vielen Fällen das körperliche und psychische Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen und deren familiäre Verhältnisse verschlechtert und dadurch mittelbar den Erwerb schulischer Bildung beeinträchtigt.

b) Diesen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Rechts auf schulische Bildung standen bei Verabschiedung des Gesetzes im April 2021 Gemeinwohlbelange von überragender Bedeutung in Gestalt des Schutzes vor infektionsbedingten Gefahren von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gegenüber. Das Infektionsgeschehen war sehr dynamisch. Infektionen breiteten sich exponentiell aus. Die Zahl der an COVID-19 erkrankten Intensivpatienten stieg deutlich an; es stand unmittelbar zu befürchten, dass eine Vielzahl von Krankenhäusern auf Notbetrieb umstellen und die Zahl planbarer Eingriffe weiter zurückfahren müsste. Gleichzeitig verbreiteten sich neue, infektiösere und tödlicher wirkende Virusvarianten rapide. Es musste damit gerechnet werden, dass die Nachverfolgung von Kontaktpersonen weithin nicht mehr möglich sein würde. Die Impfkampagne hatte erst begonnen.

In dieser Situation durfte der Gesetzgeber annehmen, dass zwischenmenschliche Kontakte an den maßgeblichen Kontaktorten umfassend „heruntergefahren“ werden müssen, um Gefahren für Leben und Gesundheit und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems durch ein außer Kontrolle geratenes Infektionsgeschehen abwenden zu können. Insoweit ist das Verbot von Präsenzunterricht Teil eines Gesamtschutzkonzepts mit sich gegenseitig ergänzenden Maßnahmen.

c) Die schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Rechts der Kinder und Jugendlichen auf schulische Bildung durch den wegfallenden Präsenzunterricht standen nicht außer Verhältnis zu dem damit verfolgten überragend bedeutsamen Gemeinwohlbelang des Schutzes von Leben und Gesundheit; der Ausgleich der gegenläufigen Interessen war insgesamt angemessen.

aa) Das Gesetz gab nicht einseitig nur dem Gemeinwohlbelang Vorrang. Dem besonderen Gewicht des Präsenzunterrichts für die Vermittlung schulischer Bildung als einer Grundbedingung für die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten wurde dadurch Rechnung getragen, dass die Schulen - anders als andere Kontaktorte - nicht bereits bei Überschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100, sondern erst ab einem Wert von 165 geschlossen waren. Die Eingriffsintensität des Verbots von Präsenzunterricht wurde weiter dadurch gemindert, dass es den Ländern freistand, die Abschlussklassen und die Förderschulen hiervon auszunehmen. Darüber hinaus konnten die Länder eine Notbetreuung auch zu dem Zweck einrichten, denjenigen Schülern die Teilnahme am Distanzunterricht zu ermöglichen, die zuhause über keine geeignete Lernumgebung verfügten.

bb) Für die Zumutbarkeit der Schulschließungen ist von maßgeblicher Bedeutung, dass die ersatzweise Durchführung von Distanzunterricht im Grundsatz gewährleistet war.

Nach sachkundiger Einschätzung können jedenfalls ab der Sekundarstufe und bei guter digitaler Ausstattung des Schulbetriebs sowie angepassten pädagogischen Konzepten zumindest Fertigkeiten und Wissen auch durch Digitalunterricht erfolgreich vermittelt werden. Zwar konnte der Bundesgesetzgeber mangels schulrechtlicher Kompetenz nicht selbst dafür sorgen, dass die Eingriffsintensität seiner Anordnung des Wegfalls von Präsenzunterricht durch die Einrichtung von Distanzunterricht abgemildert wird. Es bedurfte insoweit jedoch keines eigenständigen gesetzlichen Interessenausgleichs, weil die Länder bereits nach Art. 7 Abs. 1 GG verpflichtet sind, den für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen unverzichtbaren Mindeststandard schulischer Bildung zu wahren. Wird dieser Mindeststandard wie hier aus überwiegenden Gründen des Schutzes von Leben und Gesundheit durch einen länger andauernden Wegfall des Präsenzschulbetriebs unterschritten, müssen die verbleibenden Möglichkeiten zur Wahrung dieses Standards genutzt werden. Daher mussten die Länder auch für die Dauer des bundesgesetzlich verfügten Verbots von Präsenzunterricht dafür sorgen, dass nach Möglichkeit Distanzunterricht stattfinden konnte.

Soweit an einzelnen Schulen Distanzunterricht nicht in nennenswertem Umfang vorgesehen war, obwohl dem keine durchgreifenden Hindernisse personeller, sächlicher oder organisatorischer Art entgegenstanden, konnte jede Schülerin und jeder Schüler dieser Schulen auf der Grundlage des Rechts auf schulische Bildung entsprechende Vorkehrungen verlangen.

cc) Bei einer lange andauernden Gefahrenlage wie der Corona-Pandemie ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit anhaltender belastender Gefahrenabwehrmaßnahmen allerdings zu berücksichtigen, ob diese möglicherweise freiheitsschonender hätten ausgestaltet werden können, wenn der Staat an einer Verbesserung der wissenschaftlichen Erkenntnislage mitgewirkt hätte. Je länger belastende Regelungen in Kraft sind oder die Gefahrenlage andauert, umso fundierter müssen die Einschätzungen des Gesetzgebers sein, sofern genauere Kenntnisse hätten erlangt werden können. Indessen dürfte der Staat auch dann große Gefahren für Leib und Leben am Ende nicht deshalb in Kauf nehmen, weil er nicht genug zur Erforschung freiheitsschonender Alternativen beigetragen hat. Hingegen könnte etwa der Einwand, dass solche milderen Alternativen die Allgemeinheit finanziell stärker belasten, in der Abwägung an Gewicht verlieren.

Ein bei der Beurteilung der Zumutbarkeit des Verbots von Präsenzunterricht durchschlagendes Versäumnis des Staates bei der Erkenntnisgewinnung kann hier nicht festgestellt werden. Zwar dauerte die Gefahrenlage bei Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ im April 2021 bereits über ein Jahr an und es hätten erste Möglichkeiten bestanden, Daten an den Schulen zu erheben, aus denen möglicherweise Erkenntnisse für eine freiheitsschonendere Bekämpfung von Infektionen in diesem Bereich hätten gewonnen werden können. Angesichts des dynamischen Infektionsgeschehens mit der Verbreitung neuer Virusvarianten kann jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass bei einer früheren Datenerhebung bereits im April 2021 fundiert hätte beurteilt werden können, ob Infektionen durch Tests in geöffneten Schulen mindestens gleich wirksam hätten eingedämmt werden können wie durch Schulschließungen. Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber mit § 5 Abs. 9 IfSG Vorsorge für eine auch staatlich verantwortete Evaluation der Wirksamkeit der verschiedenen Schutzmaßnahmen getroffen hat. Eine entsprechende Studie, die auch die Wirksamkeit der schulbezogenen Maßnahmen umfasst, wurde vom Robert-Koch-Institut bereits vor Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ in Auftrag gegeben („StopptCOVID-Studie“).

dd) In einer lange andauernden Gefahrenlage wie der Corona-Pandemie ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit anhaltender belastender Gefahrenabwehrmaßnahmen ferner zu berücksichtigen, ob der Staat in einem von ihm verantworteten Bereich wie etwa den Schulen rechtzeitig zumutbare und sich in der Sache aufdrängende Vorkehrungen getroffen hat, um diese Maßnahmen freiheitsschonender gestalten zu können. Werden solche Vorkehrungen unterlassen, kann das Interesse der Betroffenen, von derart vermeidbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen verschont zu werden, bei der Abwägung mit gegenläufigen Gemeinwohlbelangen zusätzliches Gewicht erlangen.

Hier liegt nicht auf der Hand, dass bereits bis zum April 2021 an den Schulen flächendeckend Vorkehrungen hätten getroffen werden können, um Schulschließungen möglichst zu verhindern. In Betracht kommende Vorkehrungen wie eine Verbesserung der Lüftungsverhältnisse in den Klassenzimmern oder die Eröffnung von Optionen für die Nutzung größerer Räume zur Einhaltung von Abständen bedürfen mehr oder weniger aufwendiger Abstimmung, Planung und Umsetzung. Das gleiche gilt für die sich aufdrängende verstärkte Digitalisierung des Schulbetriebs und die Entwicklung darauf bezogener pädagogischer Konzepte, um Bildungsverluste infolge wegfallenden Präsenzunterrichts durch einen nach Umfang und Qualität verbesserten Digitalunterricht möglichst weitgehend vermeiden zu können. Bei den Lüftungsanlagen und mobilen Luftreinigern kommt hinzu, dass es nach sachkundiger Einschätzung noch Klärungsbedarf zur Wirksamkeit des Schutzes im Schulbetrieb gab. Der Bund hatte überdies bereits vor Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ dafür gesorgt, dass für entsprechende Vorkehrungen notwendige öffentliche Mittel zur Verfügung stehen. Er hat den Ländern im Rahmen des „DigitalPaktSchule“ Finanzhilfen in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden Euro gewährt, um die informationstechnischen Rahmenbedingungen zur Durchführung von digitalem Distanzunterricht zu verbessern. Im Rahmen eines Förderprogramms des Bundes stehen außerdem Mittel im Gesamtvolumen von 500 Millionen Euro zur Förderung von Luftreinigungsanlagen unter anderem in Schulgebäuden zur Verfügung.

ee) Schließlich trug die kurzzeitige Befristung wesentlich dazu bei, dass der schwerwiegende Eingriff in das Recht auf schulische Bildung durch die Schulschließungen noch zumutbar war.

Die bei Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ im April 2021 vertretbare gesetzgeberische Einschätzung einer besonderen Dringlichkeit und Gemeinwohlbedeutung der Maßnahmen zur Einschränkung zwischenmenschlicher Kontakte zum Schutz von Leben und Gesundheit stand von Anfang an unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung. Es war offen, ob und wann es gelingen würde, die Dynamik des Infektionsgeschehens durch die Maßnahmen der „Bundesnotbremse“ zu durchbrechen und welche Rolle die Verbreitung neuer Virusvarianten hierbei spielen würde. Die Vorläufigkeit der verfassungsrechtlichen Bewertung ergab sich insbesondere aus der damals beginnenden Impfkampagne. Der Gesetzgeber musste davon ausgehen, dass die Bedeutung der Schutzmaßnahmen bei einem Impfangebot an alle impffähigen Personen von erheblich geringerem Gewicht sein würde als bei Verabschiedung des Gesetzes. Das trifft im Besonderen für das Verbot von Präsenzunterricht zu. Nach bisheriger sachkundiger Einschätzung erkranken die ungeimpften schulpflichtigen Kinder - anders als noch nicht geimpfte Erwachsene - bei einer Infektion nur selten und im Regelfall nur dann schwer, wenn eine Vorerkrankung vorliegt. Daher musste der Gesetzgeber damit rechnen, dass das Verbot von Präsenzunterricht bei einem allgemeinen Impfangebot allmählich seine Rechtfertigung verlieren könnte. Das gilt in noch stärkerem Maße hinsichtlich der durch das Verbot von Präsenzunterricht besonders schwerwiegend betroffenen Schülerinnen und Schüler an Grundschulen.

Durch die kurzzeitige Befristung der Maßnahme war gewährleistet, dass das Verbot von Präsenzunterricht nicht über einen Zeitraum hinaus gelten würde, zu dem der schwerwiegende Eingriff in das Recht auf schulische Bildung nicht mehr gerechtfertigt sein könnte.

B. Das Verbot von Präsenzunterricht verstieß auch nicht gegen das Familiengrundrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 GG.

I. Den Eltern schulpflichtiger Kinder stand aus dem Familiengrundrecht nach Art. 6 Abs. 1 GG kein Abwehrrecht gegen das Verbot von Präsenzunterricht wegen der damit verbundenen zusätzlichen Betreuungsleistungen oder sonstiger Belastungen des Familienlebens und der beruflichen Tätigkeit zu. Diese Belastungen sind nicht das Ergebnis eines mittelbar-faktischen Eingriffs in das Familiengrundrecht. Das allein der Eindämmung von Infektionen dienende Verbot von Präsenzunterricht war nicht darauf ausgerichtet, das Familienleben der Eltern schulpflichtiger Kinder oder deren Möglichkeiten zu beruflicher Tätigkeit zu ändern. Die Belastungen des Familienlebens waren daher nur eine ungewollte Nebenfolge der Schulschließungen ohne eingriffsrechtlichen Charakter.

II. Die beschwerdeführenden Eltern können auch keine Verletzung des staatlichen Förder- und Schutzgebots aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG geltend machen.

Allerdings wiegen die Belastungen der Eltern schulpflichtiger Kinder durch das Verbot von Präsenzunterricht schwer. Die sachkundigen Dritten haben darauf hingewiesen, dass diese zahlreiche zusätzliche Aufgaben im Bereich von Bildung und Erziehung hätten übernehmen müssen, die üblicherweise von der Schule getragen werden. Der durchschnittliche zeitliche Mehraufwand betrug nach Angaben des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zwischen 1,3 und 2,3 Stunden pro Tag. Besonders belastet waren die Eltern betreuungsbedürftiger Kinder, die wegen des Schulzwangs kein Betreuungssystem aufgebaut hatten, das die wegfallende Betreuung im Präsenzschulbetrieb hätte ersetzen können. Stark belastet waren nach sachkundigen Angaben zudem die Alleinerziehenden, bei denen die Schulschließungen besonders große Betreuungslücken auslösten.

Angesichts dieser Belastungen der Eltern schulpflichtiger Kinder und wegen deren fehlender Möglichkeit, Vorsorge für den Fall von Schulschließungen treffen zu können, ist der Staat aus dem Förder- und Schutzgebot aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet, die nachteiligen Folgen der Schulschließungen für die Familien und die Teilhabe der Eltern am Arbeitsleben durch Maßnahmen zur Familienförderung auszugleichen. Dieser Pflicht wurde hinreichend Genüge getan. Zu nennen ist hier die den Ländern ermöglichte Einrichtung einer Notbetreuung, die insbesondere der Entlastung berufstätiger Eltern betreuungsbedürftiger Kinder dienen sollte. Um Eltern, die wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht arbeiten konnten, gegen Einkommenseinbußen abzusichern, konnten erwerbstätige Eltern zudem nach § 56 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 IfSG eine staatliche Entschädigung erhalten, wenn sie von Schulschließungen aufgrund der „Bundesnotbremse“ betroffen waren. Des Weiteren wurde der Anspruch gesetzlich Versicherter auf Krankengeld (Verdienstausfall wegen der Betreuung erkrankter Kinder) auf die Fälle erweitert, in denen Schulen geschlossen werden oder die Präsenzpflicht in einer Schule aufgehoben wird (§ 45 Abs. 2a Satz 3 SGB V).



OVG Münster: Pflicht zum Tragen eine Maske im Schulunterricht nach der Coronabetreuungsverordnung voraussichtlich rechtmäßig

OVG Münster
Beschluss vom 20.08.2020
13 B 1197/20.NE


Das OVG Münster hat entschieden, dass die Pflicht zum Tragen eine Maske im Schulunterricht nach der Coronabetreuungsverordnung voraussichtlich rechtmäßig ist.

Eilantrag gegen „Maskenpflicht“ im Unterricht erfolglos

Mit Eilbeschluss vom heutigen Tag hat das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die in der Coronabetreuungsverordnung angeordnete Pflicht, während des Schulunterrichts grundsätzlich eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, voraussichtlich rechtmäßig ist.

Die Coronabetreuungsverordnung sieht unter anderem vor, dass alle Schüler der weiterführenden und berufsbildenden Schulen, die sich auf dem Schulgelände oder im Schulgebäude aufhalten, verpflichtet sind, auch während des Unterrichts eine sogenannte Alltagsmaske zu tragen. Ausnahmen können aus medizinischen Gründen von der Schulleitung erteilt werden. Zudem können die Masken zeitweise oder in bestimmten Unterrichtseinheiten abgenommen werden, wenn dies aus pädagogischen Gründen erforderlich erscheint. Die drei Antragsteller im Alter zwischen zehn und 15 Jahren besuchen weiterführende Schulen im Kreis Euskirchen. Zur Begründung ihres Eilantrags machen sie im Wesentlichen geltend, dass der Nutzen der Alltagsmaske wissenschaftlich nicht belegt sei. Sie könne allenfalls bei korrekter Anwendung Schutz bieten, diese sei aber bei Kindern bis 14 Jahren nicht zu erwarten. Zudem führe das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Schülern, weil sie die Atmung erschwere und bei längerer Tragedauer zu Kopfschmerzen und Konzentrationseinbußen führe. Auch behindere die Maske die Teilnahme am Unterricht, da beispielsweise Wortbeiträge mit höherer Lautstärke vorgetragen werden müssten.

Der 13. Senat hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Verpflichtung, auch während des Unterrichts grundsätzlich eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, sei insbesondere verhältnismäßig. Sie solle dazu beitragen, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus unter den Schülern und Lehrern sowie deren Bezugspersonen zu reduzieren und hierdurch die Virusausbreitung in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen. Es sei nicht zu beanstanden, wenn das Land annehme, dass die Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs mit weitgehendem Präsenzunterricht, die dem für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen bedeutsamen Anspruch auf schulische Bildung und Erziehung Rechnung trage, epidemiologisch mit einer erheblichen Gefahrensituation einhergehe. Zwar lasse sich das Infektionsrisiko von Kindern und Jugendlichen sowie deren Relevanz bei der Übertragung des Virus auf andere Personen noch nicht abschließend beurteilen, es habe aber in den letzten Monaten, auch in Nordrhein-Westfalen, immer wieder Ausbrüche an Schulen gegeben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor bei der Bewertung des Infektionsgeschehens resultiere gegenwärtig daraus, dass kurz vor Beginn des neuen Schuljahres eine nicht unbeträchtliche Zahl von Schülern und Lehrern von Reisen (auch aus sog. Risikogebieten) zurückgekehrt sei.

Die Maskenplicht im Unterricht sei nach den vorliegenden wissenschaftlichen Er-kenntnissen - auch bei Verwendung privat hergestellter textiler Mund-Nase-Bedeckungen - geeignet, die Verbreitung der Viren einzudämmen. Dass das Tragen der Alltagsmaske Gesundheitsgefahren für die Schüler berge, sei nicht feststellbar. Insbesondere sei zu erwarten, dass den Schülern der Umgang mit der Alltagsmaske bereits aufgrund der seit längerem bestehenden Verpflichtung, diese z. B. beim Einkaufen oder in öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen, geläufig sei. Es lägen auch keine belastbaren Erkenntnisse für die Annahme vor, dass Alltagsmasken die Aufnahme von Sauerstoff oder die Abatmung von Kohlendioxid objektiv in relevanter Weise beeinträchtigten. Die Schulleitung könne auch aus medizinischen Gründen Ausnahmen zulassen. Im Übrigen gelte unbeschadet der Regelungen der Coronabetreuungsverordnung weiterhin die sich aus dem Schulverhältnis ergebende Fürsorgepflicht, sodass erforderlichenfalls auch die Lehrer auf akut auftretende Beeinträchtigungen während des Unterrichts (etwa Atemprobleme) in geeigneter, den Infektionsschutz wahrender Weise reagieren könnten.

Die Maskenpflicht im Unterricht sei angesichts der besonderen, die Infektionsausbreitung strukturell begünstigenden Bedingungen des Schulbetriebs auch erforderlich. So könne das Abstandsgebot wegen der begrenzten Raumkapazitäten in den Schulen regelmäßig nicht eingehalten werden. Die zusätzliche Anmietung von geeigneten Räumen erscheine flächendeckend offenkundig nicht umsetzbar. Andere Regelungsmodelle wie das vor den Sommerferien praktizierte „rollierende“ System oder ein „Schichtbetrieb“ seien nur unter gravierenden Einschränkungen bei den (direkten) Bildungs- und Unterrichtsangeboten möglich und stellten unter dem Aspekt der Bildungsgerechtigkeit den intensiveren Eingriff dar.

Die auf Ende August befristete Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske auch im Unterricht stelle für die betroffenen Schüler nach der Überzeugung des Senats zwar fraglos eine erhebliche Belastung dar. Diese erscheine in der Abwägung mit den damit verfolgten Zielen jedoch derzeit gleichwohl zumutbar. Dies gelte auch, soweit die Verpflichtung zu Beeinträchtigungen des Schulunterrichts und zu erschwerten Unterrichtsbedingungen führe, weil beispielsweise Wortbeiträge mit höherer Lautstärke vorgetragen werden müssten oder die mimische Kommunikation eingeschränkt werde. Die Anordnung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung im Unterricht leiste aus virologischer Sicht einen wesentlichen Beitrag dazu, in der gegenwärtigen pandemischen Lage in Nordrhein-Westfalen erneute coronabedingte (Teil-)Schließungen von Schulen so weit wie möglich zu vermeiden.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 13 B 1197/20.NE




VG Berlin: DSGVO gewährt kein Recht auf "Bereinigung" einer Schülerakte bei einem Schulwechsel - Kein Zweckwegfall da Daten für Aufgabenerfüllung der Schule erforderlich sind

VG Berlin
Beschluss vom 28.02.2020
VG 3 L 1028.19


Das VG Berlin hat entschieden, dass die DSGVO kein Recht auf "Bereinigung" einer Schülerakte bei einem Schulwechsel gewährt. Insbesondere liegt kein Zweckwegfall vor, da die Daten für die Aufgabenerfüllung der Schule erforderlich sind.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Kein Recht auf „Bereinigung“ einer Schülerakte bei Schulwechsel

Ein Schüler, dessen Schülerakte zahlreiche Eintragungen aufweist, kann bei einem Schulwechsel nicht deren „Bereinigung“ unter Berufung auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verlangen. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eilverfahren entschieden.

Die Antragsteller sind ein dreizehnjähriger Schüler und seine Eltern. Der Schüler besuchte ab dem Schuljahr 2018/2019 ein Gymnasium in Berlin, welches er nach einem Gewaltvorfall verließ; das Probejahr bestand er nicht. Sodann besuchte er die achte Jahrgangsstufe einer anderen Berliner Schule, wobei es zu zahlreichen, in seiner Schülerakte dokumentierten Vorfällen kam. Diese Schülerakte halten die Antragsteller aus verschiedenen Gründen für fehlerhaft und diskriminierend. Deren Übersendung in dieser Form an die Privatschule, die der Schüler nunmehr besuchen wolle, gefährde seine Aufnahme. Die Antragsteller begehren deshalb im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes im Wesentlichen die Entfernung bestimmter Seiten der Schülerakte.

Die 3. Kammer hat den Antrag zurückgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Bereinigung bestehe nicht. Zwar gebe es nach der DSGVO unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Löschung von Daten, insbesondere, wenn diese für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind oder die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden. Dies sei hier aber nicht der Fall. Die Daten seien weiter notwendig. Die Schuldatenverordnung des Landes Berlin sehe ausdrücklich vor, dass ein Schulwechsel gerade keinen Zweckwegfall begründe. Denn nur so könne die Schülerakte ihren Zweck erfüllen, die Entwicklung der Persönlichkeit und des Verhaltens des Schülers über seine Schullaufbahn hinweg sowie die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten über einen längeren Zeitraum nachvollziehbar zu machen. Die personenbezogenen Daten seien aber auch nicht unrechtmäßig verarbeitet worden. Nach dem Berliner Schulgesetz dürften Schulen nämlich personenbezogene Daten von Schülerinnen und Schülern und ihren Erziehungsberechtigten verarbeiten, soweit dies zur Erfüllung der ihnen durch Rechtsvorschriften zugewiesenen, schulbezogenen Aufgaben erforderlich ist. Soweit es etwa um die Speicherung von personenbezogenen Daten von Schülern über Pflichtverletzungen und deren pädagogische und rechtliche Folgen gehe, sei die Speicherung für die Aufgabenerfüllung der Schule erforderlich, da die Auswahl einer zukünftigen pädagogischen Maßnahme stets auch von der Beurteilung des Verhaltens des Schülers in vergleichbaren zurückliegenden Situationen abhängig sei.

Gegen die Entscheidung kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

Beschluss der 3. Kammer vom 28. Februar 2020 (VG 3 L 1028.19)


BGH: Unzulässige öffentliche Wiedergabe und Urheberrechtsverletzung durch Veröffentlichung eines Fotos auf Website auch wenn dieses auf anderer Website frei zugänglich war

BGH
Urteil vom 10.01.2019
I ZR 267/15
Cordoba II
UrhG § 15 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 554

Der BGH hat im Anschluss an die Entscheidung des EuGH (siehe dazu: EuGH: Veröffentlichung eines Fotos, das mit Zustimmung des Urhebers auf anderer Website frei zugänglich war, auf Website bedarf erneuter Zustimmung des Urhebers) entschieden, dass eine unzulässige öffentliche Wiedergabe und Urheberrechtsverletzung vorliegt, wenn ein Foto auf einer Website ohne Zustimmung des Urhebers / Rechteinhabers veröffentlicht wird, auch wenn das Foto auf einer anderen Website mit Zustimmung des Urhebers frei war.

Leitsätze des BGH:

a) Eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG liegt vor, wenn eine Fotografie auf eine Website eingestellt wird, die zuvor ohne beschränkende Maßnahme, die ihr Herunterladen verhindert, und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer anderen Website veröffentlicht worden ist.

b) Ein Verbotstenor ist nicht deswegen unbestimmt, weil er mit der Wendung "ermöglichen" (konkret: zu ermöglichen, ein Foto zu vervielfältigen und/oder öffentlich zugänglich zu machen) einen auslegungsbedürftigen Begriff enthält, den das Gericht zur Klarstellung im Hinblick auf eine angenommene Störerhaftung aufgenommen hat, sofern den zur Auslegung heranzuziehenden Entscheidungsgründen eindeutig zu entnehmen ist, welches konkrete Verhalten dem Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung untersagt werden soll.

c) Die Anschlussrevision eines Klägers, die sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht den beantragten Verbotsausspruch nicht auf eine Täterhaftung, sondern auf den Gesichtspunkt der Störerhaftung gestützt hat, ist unzulässig, weil es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - I ZR 267/15 - OLG Hamburg - LG Hamburg

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EuGH: Veröffentlichung eines Fotos, das mit Zustimmung des Urhebers auf anderer Website frei zugänglich war, auf Website bedarf erneuter Zustimmung des Urhebers

EuGH
Urteil vom 07.08.2018
C-161/17
Land Nordrhein-Westfalen ./. Dirk Renckhoff


Der EuGH hat entschieden, dass die Veröffentlichung eines Fotos, das mit Zustimmung des Urhebers auf einer andereren Website frei zugänglich war, auf einer Website der erneuter Zustimmung des Urhebers bedarf.

Vorliegend ging es um ein Foto, welches auf einer Schulhomepage als Bestandteil einer Schülerarbeit öffentlich zugänglich gemacht worden war.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die Einstellung einer Fotografie, die mit Zustimmung des Urhebers auf einer Website frei zugänglich ist, auf eine andere Website bedarf einer neuen Zustimmung des Urhebers

Denn durch ein solches Einstellen wird die Fotografie einem neuen Publikum zugänglich gemacht.

Herr Dirk Renckhoff, ein Fotograf, hatte den Betreibern eines Reisemagazin-Portals erlaubt, auf ihrer Website eine seiner Fotografien zu veröffentlichen. Eine Schülerin einer im Land NordrheinWestfalen (Deutschland) gelegenen Sekundarschule (Gesamtschule Waltrop) hatte die betreffende Fotografie von dieser Website (wo sie frei zugänglich war) heruntergeladen, um ein Schülerreferat zu illustrieren. Dieses Referat wurde anschließend auf der Website der Schule veröffentlicht.

Herr Renckhoff hat das Land Nordrhein-Westfalen vor den deutschen Gerichten verklagt, um diesem die Vervielfältigung der Fotografie zu verbieten. Außerdem verlangt er 400 Euro Schadensersatz.

Herr Renckhoff macht geltend, nur den Betreibern des Reisemagazin-Portals ein Nutzungsrecht eingeräumt zu haben, und vertritt die Ansicht, dass die Einstellung der Fotografie auf der Website der Schule sein Urheberrecht verletze.

In diesem Kontext ersucht der Bundesgerichtshof (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung der Urheberrechtsrichtlinie , der zufolge der Urheber eines Werkes grundsätzlich das ausschließliche Recht hat, die öffentliche Wiedergabe dieses Werks zu erlauben oder zu verbieten.

Der Bundesgerichtshof möchte wissen, ob der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ die Einstellung einer Fotografie auf eine Website erfasst, wenn die Fotografie zuvor ohne eine Beschränkung, die ihr Herunterladen verhindert, und mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers auf einer anderen Website veröffentlicht worden ist.

Mit seinem heutigen Urteil bejaht der Gerichtshof diese Frage. Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass eine Fotografie urheberrechtlich geschützt sein kann, sofern sie (was das nationale Gericht zu prüfen hat) die eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellt, in der dessen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in dessen bei ihrer Herstellung getroffenen freien kreativen Entscheidungen ausdrückt.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass vorbehaltlich der in der Richtlinie erschöpfend aufgeführten Ausnahmen und Beschränkungen jede Nutzung eines Werks durch einen Dritten ohne eine vorherige Zustimmung des Urhebers die Rechte des Urhebers dieses Werks verletzt.

Denn die Richtlinie soll ein hohes Schutzniveau für die Urheber erreichen, um diesen die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke u. a. bei einer öffentlichen Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu erhalten.

Im vorliegenden Fall ist es als „Zugänglichmachung“ und folglich als „Handlung der Wiedergabe“ einzustufen, wenn auf eine Website eine zuvor auf einer anderen Website veröffentlichte Fotografie eingestellt wird (vor diesem Einstellen war sie auf einen privaten Server kopiert worden). Denn durch ein solches Einstellen wird den Besuchern der Website, auf der die Einstellung erfolgt ist (vorliegend die Website der Schule), der Zugang zu der betreffenden Fotografie auf dieser Website ermöglicht.

Außerdem ist die Einstellung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf eine andere Website als die, auf der die ursprüngliche Wiedergabe mit der Zustimmung des Urheberrechtsinhabers erfolgt ist, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als Zugänglichmachung für ein neues Publikum einzustufen. Denn unter solchen Umständen besteht das Publikum, an das der Urheberrechtsinhaber gedacht hatte, als er der Wiedergabe seines Werks auf der Website zugestimmt hatte, auf der es ursprünglich veröffentlicht wurde, nur aus den Nutzern dieser Website und nicht (1) aus den Nutzern der Website, auf der das Werk später ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhaber eingestellt worden ist, oder (2) sonstigen Internetnutzern. Insoweit weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein solches Einstellen von der Zugänglichmachung eines geschützten Werkes über einen anklickbaren Link, der auf eine andere Website verweist, auf der das Werk ursprünglich wiedergegeben worden ist, zu unterscheiden ist. Denn im Gegensatz zu Hyperlinks, die zum guten Funktionieren des Internets beitragen, trägt die Einstellung eines Werks auf eine Website ohne die Zustimmung des Urheberrechtsinhabers, nachdem es zuvor auf einer anderen Website mit dessen Zustimmung wiedergegeben worden war, nicht im gleichen
Maße zu diesem Ziel bei.

Schließlich betont der Gerichtshof, dass es keine Rolle spielt, dass der Urheberrechtsinhaber – wie im vorliegenden Fall – die Möglichkeiten der Internetnutzer zur Nutzung der Fotografie nicht eingeschränkt hat.


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BGH: Kein Verstoß durch Online-Buchhändler gegen Buchpreisbindung wenn Förderverein einer Schule Provision gewährt wird und Buchkäufer nicht profitiert

BGH
Urteil vom 21.07.2016
I ZR 127/15
Förderverein
BuchPrG §§ 3, 5 Abs. 1, § 7 Abs. 4 Nr. 1, § 9 Abs. 1; UWG § 4a Abs. 1 Satz 3; UWG aF § 4 Nr. 1


Der BGH hat entschieden, dass kein Verstoß gegen die Buchpreisbindung durch einen Online-Buchhändler vorliegt, wenn dieser dem Förderverein einer Schule Provision gewährt wird und der Buchkäufer hiervon nicht profitiert.

Leitsätze des BGH:

a) Wer als Online-Buchhändler im Rahmen eines Partnerprogramms mit dem Förderverein einer Schule für jede Bestellung eines Schulbuchs über einen auf dem Internetauftritt des Fördervereins platzierten Link eine Provisionszahlung zwischen 5% und 9% des Kaufpreises an den Förderverein leistet, verstößt nicht gegen die Buchpreisbindung, sofern der Buchkäufer den gebundenen Buchpreis in voller Höhe entrichten muss und die Provision nicht vom Förderverein an den Buchkäufer weitergeleitet wird.

b) Eine unzulässige Umgehung der Buchpreisbindung liegt vor, wenn dem Käufer im Gegenzug zur vollen Entrichtung des gebundenen Buchpreises ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt wird, der so erheblich ist, dass er die auf den Preis bezogene Kaufentscheidung in relevanter Weise beeinflussen kann. Die Gewährung von ideellen und immateriellen Vorteilen, etwa
die Vermittlung des Gefühls, etwas Gutes getan zu haben, reicht nicht.

c) Mit dem Näheverhältnis zwischen dem Käufer und dem Förderverein, welches sich aus der Mitgliedschaft oder der Interessenvertretung ergibt, ist noch kein wirtschaftlicher Vorteil für das Vermögen des Käufers verbunden, der die Annahme einer Umgehung der Buchpreisbindung rechtfertigen kann.

BGH, Urteil vom 21. Juli 2016 - I ZR 127/15 - KG Berlin - LG Berlin

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OLG Celle: Land haftet für Urheberrechtsverletzung durch Lehrer auf Schulwebseite - Amtshaftung

OLG Celle
Beschluss vom 09.11.2015
13 U 95/15


Das OLG Celle hat entschieden, dass das jeweilige Bundesland für Urheberrechtsverletzungen haftet, wenn ein Lehrer auf einer Schulwebseite Bilder ohne entsprechende Lizenzen veröffentlicht.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die widerrechtliche und schuldhafte Verletzung der Urheberrechte des Klägers nach §§ 13, 15, 72 UrhG durch den Schulleiter des …-Gymnasiums G. oder durch eine von diesem beauftragte Lehrkraft steht außer Streit. Die - implizite - Feststellung dieser Urheberrechtsverletzung durch das Landgericht ist nicht angegriffen und begegnet keinen Bedenken.

2. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass das beklagte Land nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG passivlegitimiert ist.

Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Dabei trifft die Verantwortlichkeit nach Art. 34 Satz 1 GG grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Diensten er steht, wenn er die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes verletzt. Dieser Anspruchsübergang erfasst auch den urheberrechtlichen Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG (BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - I ZR 36/90, juris Tz. 17 ff.; Urteil vom 20. Mai 2009 - I ZR 239/06, juris Tz. 10 ff.; von Wolff in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl., § 97 UrhG Rn. 20).

Das beklagte Land räumt ein, dass die Gestaltung der schulischen Homepage von dem Schulleiter im Regelfall an eine oder mehrere Lehrkräfte delegiert wird. Dass dies vorliegend anders gewesen wäre, macht es nicht geltend. Bei dem Schulleiter und den Lehrkräften des …-Gymnasiums G. handelt es sich um Beamte im staatsrechtlichen, jedenfalls aber im haftungsrechtlichen Sinn, deren Anstellungskörperschaft das beklagte Land ist.

Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass der jeweilige Beamte, der das von dem Kläger gefertigte Lichtbild zur Bewerbung der an dem …-Gymnasium G. angebotenen Fremdsprache Spanisch auf die Internet-Seiten dieser Schule eingestellt hat, dabei in Ausübung seines öffentlichen Amtes gehandelt hat.

Ob ein bestimmtes Verhalten einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amtes anzusehen ist, bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinne die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist, und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls noch als dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dementsprechend handelt in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes jeder, der ihm übertragene Aufgaben der gesetzgebenden und rechtsprechenden Gewalt oder Hoheitsaufgaben auf dem Gebiet der vollziehenden Gewalt wahrnimmt. Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben der vollziehenden Gewalt sind alle dienstlichen Tätigkeiten auf diesem Gebiet mit Ausnahme der Wahrnehmung bürgerlich-rechtlicher (fiskalischer) Belange auf dem Boden des bürgerlichen Rechts (BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - I ZR 36/90, juris Tz. 20 m. w. N.; Wöstmann in: Staudinger [Neubearb. 2013], § 839 Rn. 80 f. m. w. N.). Insbesondere bei behördlichen Realakten ist in erster Linie auf die Zielsetzung der betreffenden Tätigkeit abzustellen. Erforderlich ist insoweit eine Diensthandlung des Beamten, die mit der hoheitlichen Zielsetzung in einem so engen äußeren und inneren Zusammenhang steht, dass sie aus dem Bereich der hoheitlichen Betätigung nicht herausgelöst werden kann (Wöstmann, a. a. O. Rn. 83). Ist die eigentliche Zielsetzung, in deren Dienst der Beamte tätig wurde, eine hoheitliche, so ist „Ausübung eines öffentlichen Amtes“ nicht nur die unmittelbare Verwirklichung, sondern auch eine entferntere (vorangehende, begleitende oder nachfolgende) dienstliche Betätigung, wenn ein solcher Zusammenhang besteht, dass die vorangehende oder nachfolgende Tätigkeit ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung zugehörend anzusehen ist (Wöstmann, a. a. O. Rn. 85 m. w. N.).

Der hiernach erforderliche enge Bezug der Nutzung des Lichtbildes des Klägers auf den Internet-Seiten der Schule zum Zwecke der Werbung für deren Fremdsprachenangebot mit einer hoheitlichen Tätigkeit besteht. Der Schulbetrieb an öffentlichen Schulen ist eine hoheitliche Aufgabe und für Lehrer die Ausübung eines vom Staat anvertrauten öffentlichen Amtes (Wöstmann a. a. O. Rn. 778 m. w. N.). Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Werbung für das Fremdsprachenangebot der Schule im vorliegenden Fall weder eine Lehrtätigkeit als solche darstellte, die den Kernbereich des hoheitlichen Schulbetriebs darstellt, noch vergleichbar eng mit dieser Lehrtätigkeit verbunden war, wie beispielsweise die Zurverfügungstellung von Lehrmaterialien oder Computerprogrammen zur Nutzung während des Studiums, die Gegenstand der vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1992 und vom 20. Mai 2009 waren. Dennoch besteht der erforderliche enge Zusammenhang. Die als hoheitlich einzuordnende Tätigkeit von Lehrkräften und Beamten der Schulverwaltung geht über den eigentlichen Lehrbetrieb hinaus und umfasst den gesamten Schulbetrieb. Die Bewerbung eines Fremdsprachenangebots stellt sowohl formal als auch materiell Teil des Schulbetriebes dar. Sie soll einerseits die Nachfrage nach entsprechenden Fremdsprachenkursen steigern und damit deren Angebot ermöglichen. Als dergestalt der eigentlichen Lehrtätigkeit vorgelagerte Handlung steht sie weiter auch in der Sache mit dieser im engen Zusammenhang, weil sie auf die in der Lehrveranstaltung zu vermittelnden Inhalte bezogen ist. Sie ist insbesondere nicht mit Fiskalmaßnahmen wie der Beschaffung von Verwaltungshilfsmitteln (z. B. Schreibmaterial) vergleichbar, die nicht Ausübung öffentlicher Gewalt sind (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O., Tz. 20 a. E.). Solche nicht als hoheitlich einzuordnenden Fiskalmaßnahmen sind regelmäßig Maßnahmen, die nur die wirtschaftlichen oder technischen Voraussetzungen für die eigentliche hoheitliche Tätigkeit schaffen (BGH, Urteil vom 4. März 1982 - III ZR 150/80, juris Tz. 8). Hierüber geht die Bewerbung des fachlichen Angebots einer Schule aus den vorgenannten Gründen hinaus.

Das Landgericht hat weiter zutreffend erkannt, dass ein Beamter, der in Ausübung seines öffentlichen Amtes eine unerlaubte Handlung auch i. S. d. § 97 UrhG begeht, dadurch zugleich eine ihm dem Träger des Rechts oder Rechtsguts gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1992, a. a. O. Tz. 21).

Dass Diensteanbieter nach dem Telemediengesetz nicht die Anstellungskörperschaft, sondern der Schulträger ist, ist für die Beurteilung des Anspruchsübergangs nach § 839 BGB, Art. 34 GG unerheblich."


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BGH: Verletzung des Persönlichkeitsrechts eines namentlich genannten Kindes in Publikation über Verhaltensauffälligkeiten in der Grundschule

BGH
Urteil vom 15.09.2015
VI ZR 175/14
GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 3; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2


Der BGH hat entschieden, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Kindes vorliegt, wenn dieses namentlich in einer Publikation über Verhaltensauffälligkeiten in der Grundschule genannt wird.

Leitsätze des BGH:

a) Die öffentliche Bekanntgabe der von einem namentlich benannten Kind in der Grundschule gezeigten konkreten Verhaltensweisen und Fähigkeiten beeinträchtigt dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung
als Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung.

b) Die durch die Preisgabe nicht in die Öffentlichkeit gehörender Lebenssachverhalte bewirkte Persönlichkeitsrechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass sich der Verletzte oder sein Erziehungsberechtigter nach der Verletzung ebenfalls zu den offenbarten Umständen äußert.

c) Zur Reichweite des Schutzbereichs der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG).

BGH, Urteil vom 15. September 2015 - VI ZR 175/14 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamm: Werbung einer Tanzschule mit "garantiertem Lernerfolg" ist eine wettbewerbswidrige Irreführung

OLG Hamm
Urteil vom 29.01.2013
I-4 U 171/12


Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Werbung einer Tanzschule mit "garantiertem Lernerfolg" eine wettbewerbswidrige Irreführung ist. Die Grundsätze der Entscheidung gelten nicht nur für Tanzschulen, sondern lassen sich auch ohne weiteres auf andere Schulungsangebote übertragen.

Aus der Pressemitteilung des OLG Hamm:

"Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Kläger Recht gegeben. Der Beklagte habe die betreffende Werbung zu unterlassen,
weil sie auch für den heutigen, durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher irreführend und deshalb unlauter sei. Sie enthalte eine unwahre Angabe über die Ergebnisse, die vom Tanzunterricht des Beklagten zu erwarten seien. Bei den angesprochenen Verbrauchern entstehe durch die in Frage stehende Formulierung der unzutreffende Eindruck, der Tanzunterricht des Beklagten führe sicher zu einem gewünschten Lernerfolg. Tatsächlich hänge der Erfolg des Tanzunterrichts aber auch maßgeblich vom jeweiligen Schüler ab, so dass ein Lernerfolg nicht sicher eintreten müsse. Denn es gebe immer
wieder Menschen, die auch nach einem Tanzkurs nicht in der Lage seien, das formal Gelernte so anzuwenden, dass sich dieses als eine auch nur einigermaßen ästhetisch anmutende Bewegung darstelle."


Die vollständige Pressemitteilung des OLG Hamm finden Sie hier:

BGH: Gezielter Einsatz von Schülern als Kaufmotivatoren wettbewerbswidrig - Tony Taler

BGH, Urteil vom 12.07.2007 -I ZR 82/05
UWG §§ 3,4 Nr. 1
Tony Taler


Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit einer Werbeaktion der Firma Kellogs auseinander gesetzt. Schüler konnten bei dieser Aktion durch den Erwerb von Produkten und Anrufen bei einer kostenpflichtigen Telefonhotline Bonustaler ("Tony Taler") erwerben, für welche die jeweilige Schule hochwertige Sportgeräte erwerben konnten.

Leitsatz:
1. Eine Werbung für Produkte, die üblicherweise von Erwachsenen erworben wer­den, ist nicht deswegen unlauter nach §§ 3, 4 Nr. 1 UWG, weil sie bei Kindern und Jugendlichen Kaufwünsche weckt und darauf abzielt, dass diese ihre Eltern zu einer entsprechenden Kaufentscheidung veranlassen.

2. Dagegen kann eine unangemessene unsachliche Einflussnahme auf die Ent­scheidungsfreiheit der Eltern und Erziehungsberechtigten darin liegen, dass Kinder und Jugendliche im Rahmen einer den Gruppenzwang innerhalb einer Schulklasse ausnutzenden Werbeaktion gezielt als so genannte Kaufmotivatoren eingesetzt werden.


BGH, Urteil vom 12.07.2007 - I ZR 82/05
OLG Bremen
LG Bremen


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: "BGH: Gezielter Einsatz von Schülern als Kaufmotivatoren wettbewerbswidrig - Tony Taler" vollständig lesen