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OLG Stuttgart: Supermarkt muss auch deformierte Getränkedosen zurücknehmen und Pfand erstatten - § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG ist Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG

OLG Stuttgart
Urteil vom 15.06.2023
2 U 32/22


Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass ein Supermarkt muss deformierte Getränkedosen zurücknehmen und den Pfand erstatten muss. Andernfalls liegt ein Wettbewerbsverstoß nach § 3a UWG gegen die Marktverhaltensregel § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG vor.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Die Pfandauszahlungspflicht aus § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG ist eine verbraucherschützende Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG.

1. Der Rechtsbruchtatbestand des § 3a UWG dient weder dazu, jedwedes Fehlverhalten lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren, noch unterstellt er reine Reflexwirkungen eines Rechtsverstoßes auf den Markt dem Lauterkeitsrecht. Ob eine Regelung einen Marktbezug aufweist, ist durch Auslegung anhand des Normzwecks zu klären (vgl. BGHZ 144, 255, 267 ff. – Abgasemissionen; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Auflage, 2023, Rn. 1.68 zu § 3a UWG, m.w.N.; Schaffert, in: MüKo-UWG, 3. Auflage, 2020, Rn. 72 zu § 3a UWG).

2. Die Pfandrückzahlungspflicht aus § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG gibt dem Unternehmer ein Verhalten gegenüber dem Verbraucher vor und bezweckt, anders als die Normen über die Erhebung von Verpackungspfand, auch den Schutz des Verbrauchers, indem sie dem Unternehmer weithin losgelöst vom vorangegangenen Verkauf des Produktes auferlegt, gegen Rückgabe der restentleerten Verpackung den Pfandbetrag an den Verbraucher auszuzahlen. Die Norm begünstigt den Verbraucher nicht bloß reflexhaft aus
einem abfallrechtskonformen Verhalten, sondern sie stattet den Verbraucher mit einem nach dem BGB nicht gegebenen Zahlungsanspruch aus.

3. Der Anwendung des § 3a UWG auf diese Marktverhaltensvorgabe aus dem deutschen Recht steht keine Sperrwirkung aus der UGP-Richtlinie (Richtlinie 2005/29/EG) entgegen.

a) Zwar bleibt angesichts der Vorgabe zur Vollharmonisierung (vgl. Art. 4 der UGP-Richtlinie und Erwägungsgrund 12) der Anwendungsbereich des § 3a UWG grundsätzlich beschränkt auf das – hier nicht betroffene und vom Kläger als Verbraucherschutzverband nicht verteidigte – Verhältnis der Mitbewerber untereinander (Schaffert, in: MüKo-UWG, 3. Auflage, 2020, Rn. 17, m.w.N.).

Dies schließt jedoch nationale Marktverhaltensregelungen zum Schutz von Verbrauchern jedenfalls dann nicht aus, wenn diese ihre Grundlage im Unionsrecht haben (vgl. zu § 4 Nr. 11 UWG a.F. BGH, Urteil vom 07. Mai 2015 – I ZR 158/14, juris Rn. 19 – Der Zauber des Nordens; s. auch BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 – I ZR 61/14, juris Rn. 13 – Wir helfen im Trauerfall; BGH, Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 23/08, juris Rn. 11 –
Costa del Sol).

b) Die hier in Rede stehende Vorschrift zur Rückgabe des Pfandbetrages gegen Rücknahme des Pfandgutes dient der Umsetzung des unionsrechtlichen Auftrages an die Mitgliedsstaaten, Verpackungsrücknahmesysteme einzuführen, auch für Einweggetränkeverpackungen (vgl. Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle [ABl. L 365 vom 31.12.1994, S. 10], zuletzt geändert durch die Richtlinie 2015/720/EU [ABl. L 115 vom 06.05.2015, S. 11]; s. auch VO (EG) Nr. 1882/2003). Sie hat daher ihre Grundlage im
Unionsrecht.

II. Die Beklagte hat gegen § 31 Abs. 2 S. 1 VerpackG verstoßen und damit unlauter im Sinne des § 3 UWG gehandelt.

1. Ihre Mitarbeiter haben in einer ihrer Filialen am 27. Mai 2021 dem Verbraucher das Dosenpfand für zwei restentleerte Einweggetränkedosen nicht ausgezahlt, obwohl auf diesen das Pfandlogo und der Balkencode bzw. die EAN lesbar waren. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, unstreitig sei auf zwei vom Verbraucher seinerzeit vorgelegten, von den Mitarbeitern der Beklagten zurückgewiesenen Dosen das Pfandlogo erkennbar gewesen (LGU 5), so dass deren Zuordnung zum deutschen Pfandsystem nicht zweifelhaft sein konnte. Diese Feststellung greift die Berufung nicht an.

Darüber hinaus war bei diesen Dosen der Balkencode bzw. die EAN lesbar, wie aus der Anlage K 2 ersichtlich. Die Erkennbarkeit dieser Merkmale ist unstreitig. Deshalb kann dahinstehen, ob die Anlage K 2 die beiden Dosen zeigt, welche der Verbraucher der Beklagten andiente. Einer Vernehmung des Zeugen hierüber bedarf es nicht.

2. Der Senat ist nicht gefordert, eine abstrakte Abgrenzung dazu festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte verpflichtet ist, deformierte Einweg-Getränkedosen zurückzunehmen. Der Kläger erstrebt einen Unterlassungstitel nur in Bezug auf Einweg-Getränkedosen, bei denen das Pfandlogo erkennbar und entweder der Balkencode ode die EAN lesbar ist. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus seinem Sachvortrag und findet in der Beschränkung auf die Darstellungen in der diesem Urteil beigeschlossenen Anlage K 2 seinen Ausdruck.

3. Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 S. 1 VerpackG steht der Rücknahmepflicht hier nicht entgegen.

a) Schon nach ihrem Wortlaut stellt die Norm keine Anforderungen an den Zustand der zur Rücknahme angebotenen Verpackung, sondern sie bestimmt den Kreis der zurückzunehmenden Verpackungen abstrakt mittels Vergleichs mit den vom Unternehmer vertriebenen.

b) Entscheidend für die Auslegung ist, wie vom Landgericht erkannt, dass bei Einwegverpackungen der abfallbezogene Sinn der Norm konterkariert würde, müssten diese nur dann zurückgenommen werden, wenn sie dem Rücknahmepflichtigen in oder nahe der Originalform angedient werden.

c) Die von der Beklagten hiergegen vorgebrachten Hinweise an Pfandautomaten sind als Erklärungen Privater nicht geeignet, den gesetzlichen Rückzahlungsanspruch des Verbrauchers einzuschränken. Ein „Pfand“ dient zwar im Zivilrecht als Sicherheit für eine Forderung. Davon unterscheidet sich das Zwangspfand nach dem VerpackG aber grundsätzlich. Es beruht nicht auf einer vertragsautonomen Pfandabrede gleichrangiger Vertragsparteien, sondern auf einer bindenden Vorgabe des Gesetzgebers für ein Kreislaufwirtschaftssystem bei Einweggetränkeverpackungen.

Ein Interesse des Unternehmers an einer pfleglichen Behandlung der Pfandsache besteht, wie vom Landgericht ausgeführt, angesichts der ohnehin anstehenden Zerstörung der Einweggetränkeverpackung nicht. Berechtigte Interessen des Unternehmers sind erst tangiert, wenn er eine Verrechnung des ausgereichten Pfandbetrages aufgrund des schlechten Zustandes der Verpackung bei Rückgabe nicht vornehmen kann.

4. Aus § 31 Abs. 2 S. 3 und 4 VerpackG ergibt sich ebenfalls nichts Abweichendes. Weder die Material- und Sortimentsbeschränkung (Satz 3), noch die Freistellung von kleinflächigen Unternehmen (Satz 4) geben einen Anhalt für eine Beschränkung der Rücknahmepflicht nach dem Zustand der Verpackung.

5. Den Mehraufwand, welchen die Rücknahme beschädigter Dosen mit sich bringt, weist der Gesetzgeber dem rücknahmepflichtigen Unternehmen zu. Denn die Organisation der Rücknahmepflicht fällt in seine Sphäre.
Die Besonderheiten der Corona-Pandemie können auf die Auslegung des § 31 Abs. 2 VerpackG i.d. Fassung vom 05. Juli 2017 schon deshalb keine Rolle spielen, weil der Gesetzgeber das Auftreten des Corona-Virus beim Normerlass noch nicht ahnen konnte. Hygienebedenken, die in Bezug auf andere Krankheitserreger schon 2017 bestehen konnten, haben den Gesetzgeber nicht veranlasst die Rücknahmepflicht auf Einwegverpackungen zu beschränken, die automatisiert zurückgenommen werden könnten.

6. Der gerügte Verstoß ist für den Verbraucher spürbar. Er wirkt sich ohne Weiteres in einem, wenngleich regelmäßig geringen, finanziellen Nachteil aus. Dass nur ein Versehen im Einzelfall vorliege, berührt die Spürbarkeit nicht. Mit ihrer hiergegen gerichteten Argumentation versucht die Beklagte, Verschuldenserwägungen in den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG einzuführen.

Außerdem ist ein „Ausreißer“ nicht ersichtlich. Allenfalls liegt eine rechtliche Fehleinschätzung seitens des Personals vor, welche aber in ihre Risikosphäre fällt. Mangelnde Kenntnisse des Verkaufspersonals fallen nach § 8 Abs. 2 UWG in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Es obliegt dem Unternehmer, sein Personal adäquat zu schulen.

Dies gilt auch für geringfügig Beschäftigte. Nutzt der Unternehmer die Vorteile geringfügiger Beschäftigung, so muss er auch die daraus erwachsenden Nachteile tragen


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH-Generalanwalt: Pfandbetrag bei Mehrwegbehältern ist nicht Bestandteil des Verkaufspreises im Sinne der Richtlinie 98/6/EG und kann gesondert angegeben werden

EuGH-Generalanwalt
Schlussanträge vom 02.02.2023
C-543/21
Verband Sozialer Wettbewerb e. V. gegen famila-Handelsmarkt Kiel GmbH & Co. KG


Der EuGH-Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Erhebnis, dass der Pfandbetrag bei Mehrwegbehältern nicht Bestandteil des Verkaufspreises im Sinne der Richtlinie 98/6/EG ist und gesondert angegeben werden kann.

Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts:
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse

ist dahin auszulegen, dass

der darin festgelegte Begriff „Verkaufspreis“ nicht einen rückerstattbaren Pfandbetrag umfasst, der auf Mehrwegbehälter erhoben wird, in denen die Waren dem Verbraucher angeboten werden.

Den Volltext finden Sie hier: