Der EuGH hat entschieden, dass die Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis mit der DSGVO sowie Art. 7 und 8 der EU-Grundrechte-Charta vereinbar ist.
Aus den Entscheidungsgründen: B. Zum zweiten Ungültigkeitsgrund: Nichtbeachtung von Art. 35 Abs. 10 DSGVO
Der zweite vom vorlegenden Gericht angeführte Ungültigkeitsgrund stützt sich darauf, dass die Verordnung 2019/1157 unter Verstoß gegen Art. 35 Abs. 10 DSGVO ohne Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung erlassen worden sei.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 35 Abs. 1 DSGVO der Verantwortliche, wenn eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat, vorab eine Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge für den Schutz personenbezogener Daten durchführen muss. Art. 35 Abs. 3 DSGVO stellt klar, dass eine solche Folgenabschätzung im Fall umfangreicher Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO (wie biometrischer Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person) erforderlich ist.
Da im vorliegenden Fall die Verordnung 2019/1157 selbst keinen Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten oder Sätzen von personenbezogenen Daten durchführt, sondern lediglich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten im Fall der Beantragung eines Personalausweises bestimmte Verarbeitungen vornehmen, ist festzustellen, dass der Erlass dieser Verordnung nicht von der vorherigen Durchführung einer Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge im Sinne von Art. 35 Abs. 1 DSGVO abhängig war. Art. 35 Abs. 10 DSGVO enthält insoweit eine Ausnahme von Art. 35 Abs. 1 DSGVO.
Da nach den vorstehenden Ausführungen Art. 35 Abs. 1 DSGVO beim Erlass der Verordnung 2019/1157 nicht anzuwenden war, konnte dieser Erlass folglich nicht gegen Art. 35 Abs. 10 der Verordnung 2016/679 verstoßen.
Nach alledem vermag der zweite Grund, der auf einen Verstoß gegen Art. 35 Abs. 10 DSGVO gestützt wird, nicht zur Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 zu führen.
C. Zum dritten Ungültigkeitsgrund: Unvereinbarkeit von Art. 3 Abs. 5 der Verordnung 2019/1157 mit den Art. 7 und 8 der Charta
Der dritte vom vorlegenden Gericht angeführte Grund für die Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 betrifft die Frage, ob die in Art. 3 Abs. 5 der Verordnung vorgesehene Verpflichtung, zwei vollständige Fingerabdrücke in das Speichermedium der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Personalausweise aufzunehmen, eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte mit sich bringt.
[...]
In die Beurteilung der Schwere des Eingriffs, den eine Einschränkung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte bewirkt, sind die Art der betroffenen personenbezogenen Daten, insbesondere der möglicherweise sensible Charakter dieser Daten, sowie die Art und die konkreten Modalitäten der Datenverarbeitung, u. a. die Zahl der Personen, die Zugang zu diesen Daten haben, und die Modalitäten des Zugangs zu diesen Daten, einzubeziehen. Gegebenenfalls ist auch zu berücksichtigen, ob diese Daten nicht Gegenstand missbräuchlicher Verarbeitungen sind.
Im vorliegenden Fall kann die sich aus der Verordnung 2019/1157 ergebende Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte zwar eine große Zahl von Personen betreffen, wobei diese Zahl von der Kommission in ihrer Folgenabschätzung auf 370 Millionen der damals 440 Millionen Einwohner der Union geschätzt wurde. Fingerabdrücke sind als biometrische Daten naturgemäß besonders sensibel und genießen, wie u. a. aus dem 51. Erwägungsgrund der DSGVO hervorgeht, im Unionsrecht einen besonderen Schutz.
Die Erfassung und Speicherung von zwei vollständigen Fingerabdrücken ist nach der Verordnung 2019/1157 jedoch nur im Hinblick auf die Aufnahme dieser Fingerabdrücke in das Speichermedium von Personalausweisen gestattet.
Des Weiteren ergibt sich aus Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 der Verordnung, dass, sobald diese Aufnahme erfolgt und der Personalausweis der betroffenen Person ausgehändigt worden ist, die erfassten Fingerabdrücke ausschließlich auf dem Speichermedium dieses Ausweises gespeichert werden, der sich grundsätzlich im physischen Besitz der betroffenen Person befindet.
Schließlich sieht die Verordnung 2019/1157 eine Reihe von Garantien vor, die die Risiken begrenzen sollen, dass bei ihrer Durchführung personenbezogene Daten zu anderen Zwecken als zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele erhoben oder verwendet werden, und zwar nicht nur in Bezug auf die Vorgänge der Verarbeitung personenbezogener Daten, die diese Verordnung zwingend vorschreibt, sondern auch im Hinblick auf die hauptsächlichen Verarbeitungen, denen die in das Speichermedium der Personalausweise aufgenommenen Fingerabdrücke unterzogen werden können.
Was erstens die Datenerfassung betrifft, sieht Art. 10 Abs. 1 und 2 der Verordnung 2019/1157 vor, dass biometrische Identifikatoren „ausschließlich durch qualifiziertes und ordnungsgemäß befugtes Personal erfasst“ werden und dass dieses Personal „angemessene und wirksame Verfahren für die Erfassung biometrischer Identifikatoren“ einhalten muss, wobei diese Verfahren den in der Charta, in der EMRK und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes verankerten Rechten und Grundsätzen entsprechen müssen. Zudem enthält Art. 3 Abs. 7 der Verordnung, wie in Rn. 93 des vorliegenden Urteils ausgeführt, Sonderregelungen für Kinder unter zwölf Jahren (Unterabs. 1 und 2) sowie für Personen, bei denen eine Abnahme von Fingerabdrücken physisch nicht möglich ist (Unterabs. 3), wobei die letztgenannten Personen „von der Pflicht zur Abgabe von Fingerabdrücken befreit“ sind.
Was zweitens die Speicherung der Daten betrifft, verpflichtet die Verordnung 2019/1157 zum einen die Mitgliedstaaten, ein Gesichtsbild und zwei Fingerabdrücke als biometrische Daten zu speichern. Insoweit stellt der 21. Erwägungsgrund der Verordnung ausdrücklich klar, dass diese „keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung von Datenbanken auf nationaler Ebene zur Speicherung biometrischer Daten in den Mitgliedstaaten [darstellt], zumal es sich dabei um eine Frage des nationalen Rechts handelt, welches dem Unionsrecht im Bereich Datenschutz entsprechen muss“ und sie auch „keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung einer zentralen Datenbank auf der Ebene der Union“ darstellt. Zum anderen sieht Art. 10 Abs. 3 der Verordnung vor, dass diese „biometrischen Identifikatoren … ausschließlich bis zu dem Tag der Abholung des Dokuments und keinesfalls länger als 90 Tage ab dem Tag der Ausstellung des Dokuments gespeichert“ werden, und stellt klar, dass „die biometrischen Identifikatoren [nach diesem Zeitraum] umgehend gelöscht oder vernichtet“ werden.
Daraus ergibt sich insbesondere, dass Art. 10 Abs. 3 der Verordnung 2019/1157 es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, biometrische Daten zu anderen als den in dieser Verordnung vorgesehenen Zwecken zu verarbeiten. Außerdem steht diese Bestimmung einer zentralen Speicherung von Fingerabdrücken entgegen, die über die vorläufige Speicherung dieser Abdrücke zum Zweck der Personalisierung von Personalausweisen hinausgeht.
Schließlich weist Art. 11 Abs. 6 der Verordnung 2019/1157 auf die Möglichkeit hin, dass die im sicheren Speichermedium enthaltenen biometrischen Daten gemäß dem Unionsrecht und dem nationalen Recht von ordnungsgemäß befugten Mitarbeitern der zuständigen nationalen Behörden und Agenturen der Union verwendet werden dürfen.
Was Art. 11 Abs. 6 Buchst. a der Verordnung betrifft, erlaubt diese Bestimmung die Verwendung von auf dem Speichermedium von Personalausweisen und Aufenthaltsdokumenten gespeicherten biometrischen Daten nur, um den Personalausweis oder das Aufenthaltsdokument auf seine Echtheit zu überprüfen.
Art. 11 Abs. 6 Buchst. b der Verordnung 2019/1157 sieht vor, dass die auf dem Speichermedium von Personalausweisen und Aufenthaltsdokumenten gespeicherten biometrischen Daten zur Überprüfung der Identität des Inhabers „anhand direkt verfügbarer abgleichbarer Merkmale …, wenn die Vorlage des Personalausweises oder Aufenthaltsdokuments gesetzlich vorgeschrieben ist“, verwendet werden können. Da eine solche Verarbeitung jedoch geeignet ist, zusätzliche Informationen über das Privatleben der betroffenen Personen zu liefern, kann sie nur zu Zwecken, die strikt auf die Identifizierung der betroffenen Person beschränkt sind, und unter durch gesetzliche Bestimmungen über die Vorlage des Personalausweises oder des Aufenthaltsdokuments genau abgegrenzten Voraussetzungen erfolgen.
Was drittens die Abfrage der auf dem Speichermedium von Personalausweisen gespeicherten biometrischen Daten anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass der 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2019/1157 eine Rangfolge bei der Verwendung der Mittel zur Überprüfung der Echtheit des Dokuments und der Identität des Inhabers aufstellt, indem er vorsieht, dass die Mitgliedstaaten „vorrangig das Gesichtsbild überprüfen“ müssen und, falls zur zweifelsfreien Bestätigung der Echtheit des Dokuments und der Identität des Inhabers notwendig, „auch die Fingerabdrücke“.
Was viertens das Risiko des unbefugten Zugriffs auf die gespeicherten Daten betrifft, sieht Art. 3 Abs. 5 und 6 der Verordnung 2019/1157 zur Reduzierung dieses Risikos auf ein Minimum vor, dass die Fingerabdrücke auf einem „hochsicheren Speichermedium“ gespeichert werden, das „eine ausreichende Kapazität [aufweist] und geeignet [ist], die Integrität, die Authentizität und die Vertraulichkeit der Daten sicherzustellen“. Zudem geht aus Art. 3 Abs. 10 dieser Verordnung hervor, dass dann, wenn „die Mitgliedstaaten im Personalausweis Daten für elektronische Dienste wie elektronische Behördendienste und den elektronischen Geschäftsverkehr [speichern], … diese nationalen Daten physisch oder logisch getrennt sein [müssen]“, insbesondere von Fingerabdrücken, die auf der Grundlage der Verordnung erhoben und gespeichert wurden. Schließlich ergibt sich aus den Erwägungsgründen 41 und 42 sowie aus Art. 11 Abs. 4 dieser Verordnung, dass die Mitgliedstaaten für die ordnungsgemäße Verarbeitung biometrischer Daten verantwortlich bleiben, auch wenn sie mit externen Dienstleistungsanbietern zusammenarbeiten.
ii) Zur Bedeutung der verfolgten Zielsetzungen
Wie in Rn. 86 des vorliegenden Urteils ausgeführt, zielt die Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen darauf ab, die Herstellung gefälschter Personalausweise und den Identitätsdiebstahl zu bekämpfen sowie die Interoperabilität der Systeme zur Überprüfung von Identitätsdokumenten zu gewährleisten. Insoweit ist sie geeignet, zum Schutz des Privatlebens der betroffenen Personen sowie im weiteren Sinne zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus beizutragen.
Des Weiteren ermöglicht es eine solche Maßnahme, sowohl dem Bedürfnis jedes Unionsbürgers nachzukommen, über ein Mittel zu verfügen, um sich zuverlässig zu identifizieren, als auch dem der Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass den Personen, die sich auf durch das Unionsrecht anerkannte Rechte berufen, diese Rechte auch tatsächlich zustehen. Sie trägt somit insbesondere dazu bei, den Unionsbürgern die Ausübung ihres Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht zu erleichtern, das ebenfalls ein in Art. 45 der Charta verbürgtes Grundrecht ist. Somit haben die mit der Verordnung 2019/1157, insbesondere durch die Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen, verfolgten Zielsetzungen nicht nur für die Union und die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Unionsbürger besondere Bedeutung.
Im Übrigen werden die Legitimität und Bedeutung dieser Zielsetzungen nicht durch den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand in Frage gestellt, dass in den Rn. 24 bis 26 der Stellungnahme 7/2018 darauf hingewiesen wurde, dass zwischen 2013 und 2017 nur 38 870 gefälschte Personalausweise festgestellt worden seien und dass diese Zahl seit mehreren Jahren abnehme.
Selbst wenn man nämlich von einer geringen Zahl der gefälschten Personalausweise ausginge, war der Unionsgesetzgeber nicht verpflichtet, bis zum Anstieg dieser Zahl zu warten, um Maßnahmen zur Vermeidung des Risikos der Verwendung solcher Ausweise zu erlassen, sondern konnte, insbesondere im Interesse der Risikokontrolle, eine solche Entwicklung vorwegnehmen, sofern die übrigen Voraussetzungen in Bezug auf die Achtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurden.
iii) Abwägung
Nach alledem ist festzustellen, dass die Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte, die sich aus der Aufnahme von zwei Fingerabdrücken in das Speichermedium von Personalausweisen ergibt, angesichts der Art der in Rede stehenden Daten, der Art und der Modalitäten der Verarbeitungsvorgänge sowie der vorgesehenen Schutzmechanismen nicht so schwer erscheint, dass sie außer Verhältnis zur Bedeutung der verschiedenen mit dieser Maßnahme verfolgten Zielsetzungen stünde. Somit ist davon auszugehen, dass eine solche Maßnahme auf einer ausgewogenen Gewichtung zwischen diesen Zielsetzungen und den betroffenen Grundrechten beruht.
Folglich verstößt die Einschränkung der Ausübung der in den Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so dass der dritte Ungültigkeitsgrund nicht zur Ungültigkeit der Verordnung 2019/1157 zu führen vermag.
Die EuGH-Generaltanwältin kommt in ihren Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass die obligatorische Erfassung und Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis mit der DSGVO und anderen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
Die Pressemitteilung des EuGH: Nach Ansicht von Generalanwältin Medina ist die obligatorische Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen gültig
Die Verordnung 2019/11571 enthält ab dem 2. August 2021 die Verpflichtung, in jeden von den Mitgliedstaaten neu ausgestellten Personalausweis Fingerabdrücke des Inhabers auf einem hochsicheren Speichermedium aufzunehmen.
Im November 2021 stellte ein deutscher Staatsbürger bei der Landeshauptstadt Wiesbaden (Deutschland) einen Antrag auf Ausstellung eines neuen Personalausweises. In seinem Antrag ersuchte er ausdrücklich darum, diesen Ausweis ohne die Aufnahme von Fingerabdrücken im Chip des Ausweises auszustellen.
Die Landeshauptstadt Wiesbaden lehnte diesen Antrag u. a. mit der Begründung ab, dass der Personalausweis nicht ohne ein Abbild von Fingerabdrücken des Inhabers ausgestellt werden könne, da seit dem 2. August 2021 die Verpflichtung bestehe, ein Fingerabdruckbild im Chip neuer Personalausweise zu speichern.
Das in diesem Zusammenhang angerufene Verwaltungsgericht Wiesbaden hegt Zweifel an der Gültigkeit der Verordnung 2019/1157 und demzufolge an dem verpflichtenden Charakter der Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in deutschen Personalausweisen. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden möchte insbesondere wissen, erstens, ob die richtige Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung 2019/1157 Art. 21 Abs. 2 AEUV oder nicht vielmehr Art. 77 Abs. 3 AEUV gewesen sei, zweitens, ob die Verordnung 2019/1157 mit den Art. 7 und 8 der Charta in Verbindung mit deren Art. 52 Abs. 1 vereinbar sei und, drittens, ob diese Verordnung mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 Abs. 10 der Datenschutz-Grundverordnung im Einklang stehe.
In ihren Schlussanträgen vom heutigen Tag kommt Generalanwältin Laila Medina zunächst zu dem Ergebnis, dass die Verordnung 2019/1157 zu Recht auf der Grundlage von Art. 21 Abs. 2 AEUV erlassen worden sei, um die Ausübung des Rechts der Unionbürger, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zu erleichtern.
In diesem Zusammenhang stellt sie fest, dass dieses Recht es den Unionsbürgern ermögliche, am Alltagsleben der anderen Einwohner des Aufnahmemitgliedstaats teilzuhaben. Die nationalen Personalausweise hätten somit die gleichen Funktionen wie die Personalausweise der Gebietsansässigen, was bedeute, dass nur ein zuverlässiger und authentischer Identitätsnachweis die uneingeschränkte Inanspruchnahme der Freizügigkeit erleichtere.
Die Vereinheitlichung des Formats der Personalausweise und die Verbesserung ihrer Zuverlässigkeit durch Sicherheitsstandards, einschließlich digitaler Fingerabdrücke, wirkten sich unmittelbar auf die Ausübung dieses Rechts aus, indem sie diese Ausweise vertrauenswürdiger machten und damit die Akzeptanz bei den Behörden der Mitgliedstaaten und den Dienstleistern stärkten. Letztendlich bedeute dies eine Verringerung der Unannehmlichkeiten, Kosten und administrativen Hindernisse für mobile Unionsbürger.
Schließlich ist sie der Auffassung, dass die dem Rat durch Art. 77 Abs. 3 AEUV verliehene Zuständigkeit dahin zu verstehen sei, dass sie sich ausschließlich auf den Kontext der Grenzkontrollpolitik beziehe. Eine Unionsmaßnahme, die über diesen spezifischen Zusammenhang hinausgehe, wie dies bei der Verordnung 2019/1157 der Fall sei, falle nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung.
Die Generalanwältin wendet sich dann der Prüfung zu, ob die Verpflichtung, ein Abbild von zwei Fingerabdrücken zu erfassen und in Personalausweisen zu speichern, eine nicht gerechtfertigte Einschränkung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten darstelle.
Die Verordnung 2019/1157, die Maßnahmen einführe, die den vom Gerichtshof im Urteil Schwarz in Bezug auf Reisepässe geprüften vergleichbar seien, stelle eine Einschränkung der von den Art. 7 und 8 gewährleisteten Rechte dar. Daher sei zu prüfen, ob diese Verarbeitung auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 der Charta gerechtfertigt werden könne.
Zur Frage, ob die sich aus der Verordnung 2019/1157 ergebenden Einschränkungen einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung entsprechen, vertritt die Generalanwältin die Auffassung, dass, da die fehlende Einheitlichkeit der Formate und Sicherheitsmerkmale der nationalen Personalausweise die Gefahr von Fälschungen und Dokumentenbetrug erhöhe, die von der Verordnung 2019/1157 eingeführten Einschränkungen, die diese Gefahr bekämpfen und damit die Akzeptanz solcher Ausweise fördern sollten, eine solche Zielsetzung verfolgten.
Sie ist außerdem der Ansicht, dass diese Einschränkungen geeignet und erforderlich seien und nicht über das hinausgingen, was zur Erreichung des Hauptziels dieser Verordnung absolut notwendig sei. Insbesondere scheine es keine im Vergleich zur Abnahme und Speicherung von Fingerabdrücken gleichermaßen geeignete, aber weniger in die Privatsphäre eingreifende Methode zu geben, um das Ziel der Verordnung 2019/1157 auf ähnlich wirksame Weise zu erreichen. Darüber hinaus biete die Verordnung 2019/1157 hinreichende und geeignete Maßnahmen, die sicherstellten, dass die Erfassung, Speicherung und Verwendung biometrischer Identifikatoren wirksam vor Missbrauch oder Fehlgebrauch geschützt sei. Diese Maßnahmen garantierten, dass in einem neu ausgestellten Ausweis gespeicherte biometrische Identifikatoren nach Ausstellung dieses Ausweises ausschließlich dem Ausweisinhaber zur Verfügung stünden und dass sie nicht öffentlich zugänglich seien. Ferner enthalte die Verordnung 2019/1157 keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung oder Aufrechterhaltung nationaler Datenbanken oder einer zentralen Datenbank auf der Ebene der Europäischen Union.
Was schließlich die Frage angeht, ob die Verordnung 2019/1157 mit der Verpflichtung zur Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 10 DSGVO im Einklang stehe, weist die Generalanwältin darauf hin, dass die DSGVO und die Verordnung 2019/117 Rechtsakte des Sekundärrechts seien, die in der Hierarchie der Quellen des Unionsrechts gleichrangig seien. Außerdem ergebe sich aus der DSGVO an keiner Stelle, dass die Verpflichtung zur Durchführung einer Folgenabschätzung, wie sie in Art. 35 Abs. 1 DSGVO vorgesehen ist, für den Unionsgesetzgeber verbindlich sei, noch lege diese Bestimmung irgendein Kriterium fest, anhand dessen die Gültigkeit einer anderen sekundärrechtlichen Rechtsvorschrift der Europäischen Union zu beurteilen wäre. Die Generalanwältin ist daher der Ansicht, dass das Europäische Parlament und der Rat in dem Gesetzgebungsverfahren, das zum Erlass der Verordnung 2019/1157 geführt habe, nicht zur Durchführung einer Folgenabschätzung verpflichtet gewesen seien.
Aus dem Entwurf: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 entschieden, dass die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist (BAG - 1 ABR 22/21). Dabei bezieht sich das BAG auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019, welches die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) sowie der Richtlinie 89/391/EWG (Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie) betrifft (EuGH Rs. 55/18 CCOO). Der Arbeitgeber ist bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, ein System einzuführen und zu nutzen, mit dem die geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.
Die Arbeitszeiten sind im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung in den vergangenen Jahren immer flexibler geworden. Gerade in einer flexiblen Arbeitswelt kommt der Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten eine besondere Bedeutung zu. Die Erfassung der Arbeitszeiten erleichtert dem Arbeitgeber die Kontrolle der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten. Sie leistet damit auch einen Beitrag, um die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer flexiblen Arbeitswelt zu gewährleisten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sowie im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) Regelungen für die Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit geschaffen werden.
B. Lösung
Im Arbeitszeitgesetz sowie im Jugendarbeitsschutzgesetz werden in Folge der Entscheidungen des EuGH und des BAG Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung geregelt. Der Arbeitgeber wird verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der beschäftigten Jugendlichen jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichne
A. Problem und Ziel
Ziel der vorgeschlagenen Neuregelungen ist es, den Einsatz von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit sowie in den Fachgerichtsbarkeiten (Verwaltungsgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit) weiter zu fördern. Der Einsatz von Videokonferenztechnik ist Ausdruck einer modernen, digitalen und bürgernahen Justiz. Von den bereits seit längerem bestehenden rechtlichen und technischen Möglichkeiten, mündliche Verhandlungen, Güteverhandlungen und Erörterungstermine sowie die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien per Bild- und Tonübertragung durchzuführen, wurde erst infolge der Corona-Pandemie in größerem Umfang Gebrauch gemacht. Mittlerweile sind Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen in vielen Fällen zu einem unverzichtbaren Instrument für eine effiziente Verfahrensführung geworden. Es ist zu erwarten, dass der Einsatz von Videokonferenztechnik auch künftig und unabhängig von einer pandemischen Lage ein wichtiger Bestandteil der Verfahrensgestaltung bleiben wird. Verfahren können damit schneller, kostengünstiger, ressourcenschonender und nachhaltig durchgeführt werden. Dies erhöht im Sinne von Ziel 16 der Ziele für nachhaltige Entwicklung die Leistungsfähigkeit der Justiz.
Die praktischen Erfahrungen mit dem Einsatz von Videokonferenztechnik haben Anpassungs- und Konkretisierungsbedarf bei den seit langem unveränderten verfahrensrechtlichen Grundlagen aufgezeigt. Um einerseits den Gerichten möglichst große Gestaltungsspielräume bei der Planung, Anordnung und Durchführung von Terminen per Bild- und Tonübertragung einzuräumen und andererseits den Interessen der Parteien und ihrer Prozessvertreter Rechnung zu tragen, braucht es klare und praxistaugliche Regelungen.
Um das Potential, das die heute verfügbare Technik für eine bürgerfreundliche und flexible Verfahrensgestaltung bietet, noch besser zu nutzen, soll mit dem Entwurf auch über die mündliche Verhandlung hinaus in weiteren zivilprozessualen Verfahrenssituationen und bei anderen gerichtlichen Terminen der Einsatz von Videokonferenztechnik die physische Präsenz an einem bestimmten Ort entbehrlich machen.
Schließlich soll die zunehmend vorhandene Videokonferenztechnik mit Aufzeichnungsfunktion dazu genutzt werden, die vorläufige Protokollaufzeichnung zu erleichtern und zu verbessern und eine audiovisuelle Dokumentation insbesondere der Beweisaufnahme ermöglichen.
B. Lösung
Der Entwurf will die Möglichkeiten des Einsatzes von Videokonferenztechnik in den Verfahrensordnungen über die geltende Rechtslage hinaus erweitern.
– Dieses Ziel soll in erster Linie durch eine Neufassung des § 128a der Zivilprozessordnung (ZPO) erreicht werden. Danach soll künftig das Gericht (in Person der Vorsitzenden oder des Vorsitzenden) eine Videoverhandlung nicht mehr nur gestatten, sondern anordnen können. Dies erleichtert die Terminierung von mündlichen Verhandlungen und kann so zur einer Verfahrensbeschleunigung beitragen. Die Verfahrensbeteiligten sollen innerhalb einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist beantragen können, sie von der Anordnung einer Videoverhandlung auszunehmen.
– Umgekehrt soll bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien auf Durchführung einer Videoverhandlung das Entscheidungsermessen des Gerichts durch eine „Soll“-Vorschrift dahingehend eingeschränkt werden, dass eine Videoverhandlung in der Regel durch das Gericht anzuordnen ist. Eine ausnahmsweise ablehnende Entscheidung ist vom Gericht zu begründen und anfechtbar.
– Weiterhin soll die Möglichkeit zur Durchführung einer vollvirtuellen Verhandlung geschaffen werden, bei der sich auch das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhält. Um auch in diesen Fällen die Öffentlichkeit zu gewährleisten, muss die Videoverhandlung zusätzlich in einen öffentlich zugänglichen Raum im Gericht in Bild und Ton übertragen werden.
– Die Regelungen zur Beweisaufnahme per Bild- und Tonübertragung werden aus systematischen Gründen in § 284 ZPO-E verschoben. Aus dem umfassenden Verweis auf die Neuregelung in § 128a ZPO-E zur Videoverhandlung folgt, dass auch eine Videobeweisaufnahme von Amts wegen angeordnet werden kann. Die vorgeschlagene Neuregelung lässt zudem eine Inaugenscheinnahme im Wege der Videobeweisaufnahme zu. Um sicherzustellen, dass Beweispersonen während einer Videovernehmung nicht von Dritten beeinflusst werden können, kann das Gericht gegenüber zu vernehmenden Zeugen und Parteien zusätzlich anordnen, dass sich diese während der Videovernehmung in einem Gericht aufzuhalten haben.
– Die bisher für die Nutzung von Videokonferenztechnik nach den Gerichtskostengesetzen zu erhebende Auslagenpauschale soll entfallen.
– Des Weiteren soll auch die Abgabe von Anträgen und Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle per Bild- und Tonübertragung zugelassen werden (§ 129a ZPO-E). Bisher wird die persönliche Anwesenheit der Rechtsuchenden in der Rechtsantragstelle vorausgesetzt.
– Außerdem soll das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft durch den Gerichtsvollzieher um die Möglichkeit erweitert werden, die Vermögensauskunft auch per Bild- und Tonübertragung oder an einem anderen geeigneten Ort als in den Geschäftsräumen des Gerichtsvollziehers oder in der Wohnung des Schuldners abzunehmen (§ 802f ZPO-E).
– Schließlich sollen die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung erweitert werden. Zusätzlich zu der bereits zulässigen Tonaufzeichnung soll die Möglichkeit für das Gericht geschaffen werden, auch eine Bild-Ton-Aufzeichnung anzufertigen. Zudem soll für bestimmte Verfahren ein Antragsrecht der Parteien auf eine audio- oder audiovisuelle Dokumentation der Aussagen von Zeugen, Sachverständigen oder der zu vernehmenden Partei eingeführt werden. Diese Aufzeichnungen sollen die Grundlage für die Anfertigung des Protokolls der Beweisaufnahme sein. Die Parteien sollen Einsichtsrechte in die vorläufigen Aufzeichnungen erhalten, um die Richtigkeit des Protokolls überprüfen und ggf. Berichtigung beantragen zu können.
Während bereits heute in zahlreichen europäischen Staaten, in mehreren Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland sowie auf Ebene der Europäischen Union die amtliche elektronische Verkündung praktiziert wird, erfolgt die amtliche Verkündung von Gesetzen und einem Teil der Rechtsverordnungen auf Bundesebene nach wie vor im gedruckten Bundesgesetzblatt. Der Bundesanzeiger erscheint bereits seit dem 1. April 2012 ausschließlich elektronisch. Mit diesem Gesetz soll nunmehr die amtliche elektronische Ausgabe des Bundesgesetzblatts eingeführt werden. Diese bietet gegenüber der papiergebundenen Ausgabe zahlreiche Vorteile: Sie beschleunigt den Ausgabeprozess, verbessert den Zugang zum Bundesgesetzblatt und spart Ressourcen.
Das Bundesgesetzblatt ist das ausschließliche Verkündungsorgan für die Gesetze des Bundes. Die Verkündung von Rechtsverordnungen des Bundes kann dagegen bislang auch im elektronischen Bundesanzeiger erfolgen. Mit der Einführung des elektronischen Bundesgesetzblatts entfällt das praktische Bedürfnis für die Verkündung von Rechtsverordnungen im
elektronischen Bundesanzeiger. Das Gesetz sieht deswegen vor, dass alle Rechtsverordnungen des Bundes künftig im Bundesgesetzblatt verkündet werden. Weitere Ziele des Gesetzes sind die Konsolidierung der bestehenden gesetzlichen Regelungen über die Verkündung von Rechtsverordnungen und über amtliche Bekanntmachungen sowie ihre zeitgemäße Ausgestaltung.
B. Lösung
Das Bundesgesetzblatt wird künftig ausschließlich elektronisch auf einer neuen Verkündungsplattform im Internet ausgegeben und wird das ausschließliche Verkündungsorgan des Bundes für Gesetze und Rechtsverordnungen. Die Regelungen des geltenden Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetzes und des geltenden Gesetzes über vereinfachte Verkündungen und Bekanntgaben, die mit diesem Änderungsgesetz außer Kraft gesetzt werden, werden mit den neuen Regelungen zur elektronischen Gesetzesverkündung in einem neuen Stammgesetz, dem Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz, zusammengeführt. Dieses Änderungsgesetz steht unter dem Vorbehalt, dass in einem parallelen Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Grundgesetzes die verfassungsrechtliche Grundlage zur Modernisierung des Verkündungswesens geschaffen wird.
VG Wiesbaden
Beschluss vom 13.01.2022 6 K 1563/21.WI
Das VG Wiesbaden hat dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt, ob die Speicherung des Fingerabdrucks auf dem Personalausweis mit der DSGVO und anderen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.
Aus den Entscheidungsgründen: 1. Zur Überzeugung des Gerichts hätte für den Erlass der das besondere Gesetzgebungsverfahren des Art. 77 AEUV durchgeführt werden müssen.
Der AEUV unterscheidet in dessen Art. 289 zwischen dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und den besonderen Gesetzgebungsverfahren. Die wurde auf Art. 21 Abs. 2 AEUV gestützt und auf Vorschlag der Europäischen Kommission nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und nach Anhörung des Ausschusses der Regionen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen.
Laut Art. 21 Abs. 2 AEUV können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften erlassen, mit denen die Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleichtert wird, wenn zur Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der Union erforderlich erscheint und die Verträge hierfür keine Befugnisse vorsehen.
Art. 77 Abs. 3 S. 1 AEUV enthält eine weitere Kompetenznorm, die sich unter anderem auf Regelungen zu Personalausweisen bezieht. Gemäß dieser Norm kann der Rat gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren Bestimmungen betreffend Pässe, Personalausweise, Aufenthaltstitel oder diesen gleichgestellte Dokumente erlassen, sofern die Verträge hierfür anderweitig keine Befugnisse vorsehen, falls zur Erleichterung der Freizügigkeit ein Tätigwerden der Union erforderlich ist. Der Rat beschließt einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments. Durch dieses Erfordernis der Einstimmigkeit wird den Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet ein Höchstmaß an Souveränität belassen (von der Groeben/Schwarze/Sarah Progin-Theuerkauf, 7. Aufl. 2015, AEUV Art. 77, Rn 22).
Art. 77 AEUV entspricht dem damaligen Art. 62 EGV (EG-Vertrag). Die , in deren Art. 1 Abs. 2 bestimmt ist, dass Fingerabdrücke in Reisepässen gespeichert werden, wurde damals vom Verordnungsgeber auf Art. 62 EGV gestützt. Mit Urteil vom 17.10.2013 entschied der Europäische Gerichthof, dass Art. 62 Nr. 2 Buchst. a EGV eine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der , insbesondere deren Art. 1 Abs. 2, darstellte (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 –, Rn. 20; CELEX 62012CJ0291).
Die Kompetenz nach Art. 77 Abs. 3 AEUV geht Art. 21 Abs. 2 AEUV vor, da Art. 77 Abs. 3 AEUV als dem Inhalt nach speziellere Vorschrift höhere Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren stellt (Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, AEUV Art. 77 Rn. 20, beck-online) und Art. 21 Abs. 2 AEUV nur dann einschlägig ist, wenn die Verträge für das Erreichen des Ziels der Förderung der Freizügigkeit keine anderen Befugnisse vorsehen. Die bezieht sich zwar nicht auf die Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes, intendiert aber wie die die Angleichung der Sicherheitsmerkmale und die Aufnahme biometrischer Identifikatoren als wichtigen Schritt zur Verwendung neuer Elemente im Hinblick auf künftige Entwicklungen auf europäischer Ebene. Hierdurch soll wie bei der die Sicherheit von Dokumenten (hier: Personalausweisen statt Reisepässen) erhöht werden.
Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, dass es für den wirksamen Erlass der – und damit auch des Art. 3 Abs. 5 dieser Verordnung – des besonderen Gesetzgebungsverfahrens nach Art. 77 Abs. 3 AEUV bedurft hätte.
2. Zudem bestehen inhaltliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken bei Personalausweisen mit Art. 7 und 8 GrCh.
Nach Art. 7 GrCh hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation. Aus Art. 8 GrCh folgt das Recht jeder Person auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
Bereits im Urteil vom 17.10.2013 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Erfassung und die Speicherung von Fingerabdrücken durch die nationalen Behörden in Reisepässen, die in Art. 1 Abs. 2 der geregelt sind, einen Eingriff in die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten darstellen (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 –, Rn. 30, CELEX 62012CJ0291). Fingerabdrücke sind personenbezogene Daten, da sie objektiv unverwechselbare Informationen über natürliche Personen enthalten und deren genaue Identifizierung ermöglichen (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 –, Rn. 27, CELEX 62012CJ0291, unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 04.12.2008, S. und Marper/Vereinigtes Königreich, Reports of judgments and decisions 2008-V, S. 213, §§ 68 und 84). Dieselben Grundrechte sind auch bei der Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken bei Personalausweisen betroffen.
Das Gericht hat Zweifel daran, ob die Erfassung der Fingerabdrücke und damit ein Eingriff in Art. 7 und 8 GrCh auch bei Personalausweisen gerechtfertigt ist.
Nach Art. 52 GrCh muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Zudem ist in Art. 8 Abs. 2 GrCh bestimmt, dass personenbezogene Daten nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden dürfen.
Im vorliegenden Fall liegt zur Überzeugung des Gerichts – ebenso wie der Europäische Gerichtshof zu Reisepässen entschieden hat – keine Einwilligung der einen Personalausweis beantragenden Personen in die Erfassung ihrer Fingerabdrücke vor. Jedoch bestimmt dies Art. 3 Abs. 5 als gesetzliche Regelung für alle Personalausweise.
Gemäß sind alle Deutschen verpflichtet, einen gültigen Ausweis zu besitzen, sobald sie 16 Jahre alt sind und der allgemeinen Meldepflicht unterliegen oder, ohne ihr zu unterliegen, sich überwiegend in Deutschland aufhalten. Zur Ausstellung dieses Dokuments ist die Abnahme von Fingerabdrücken damit zwingend vorgeschrieben. Da eine Personalausweispflicht besteht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diejenigen, die einen Personalausweis beantragen, in eine solche Datenverarbeitung eingewilligt haben (so auch EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 – Rn. 31, CELEX 62012CJ0291).
Mithin bedarf es nach Art. 52 Abs. 1 GrCh einer legitimen gesetzlichen Grundlage.
Zwar ist die Aufnahme von Fingerabdrücken in Personalausweisen in Art. 3 Abs. 5 gesetzlich vorgesehen. Auch entspricht dies zumindest in Teilen den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen.
Ausweislich der Erwägungsgründe (1), (4) und (46) dient die dazu, die Freizügigkeit zu stärken und der Fälschung von Dokumenten und der Vorspiegelung falscher Tatsachen in Bezug auf die an das Aufenthaltsrecht geknüpften Bedingungen vorzubeugen. Die Freizügigkeit schließt das Recht ein, mit einem gültigen Personalausweis oder Reisepass Mitgliedstaaten zu verlassen und in Mitgliedstaaten einzureisen, Erwägungsgrund (2). Nach Erwägungsgrund (18) dient die Aufnahme von Fingerabdrücken dazu, dass in Kombination mit dem Gesichtsbild eine zuverlässige Identifizierung des Inhabers und eine Verringerung des Betrugsrisikos erreicht werden kann.
Innerhalb der Europäischen Union kann der Personalausweis im Rahmen der Grenzüberschreitung genutzt werden. Außerdem erlauben auch Staaten, die nicht der EU angehören, die Einreise mit dem Personalausweis, so etwa insbesondere die Schweiz, Island, Norwegen, Albanien und Montenegro. Der Personalausweis wird vor diesem Hintergrund zumindest auch als Reisedokument genutzt, sodass hierdurch die Regelung auch dem Zweck dient, die illegale Einreise aus diesen Ländern zu verhindern. Dies würde eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung darstellen (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 –, Rn. 38, CELEX 62012CJ0291). Allerdings liegt der Hauptzweck des Personalausweises gerade nicht primär darin, ein Reisedokument im Schengen-Raum wie der Reisepass zu sein. Insoweit verweisen die Erwägungsgründe der zu Recht, entgegen denen in der , gerade nicht auf den Schengen-Raum als Raum der Freiheit.
Auch regelt die die Nutzung der gespeicherten biometrischen Daten nicht in diesem Sinne, wenn in Art. 11 Abs. 6 festlegt ist, dass die gespeicherten biometrischen Daten nur verwendet werden dürfen, um die Echtheit oder Identität des Inhabers zu überprüfen. Mithin lässt die offen, wie die Freizügigkeit erleichtert werden soll. Das Ziel der Verhinderung illegaler Einreise kann insoweit nicht mit der Erleichterung der Freizügigkeit gleichgesetzt werden.
Selbst wenn die Regelung eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verfolgen sollte, bestehen jedoch Zweifel daran, ob Art. 3 Abs. 5 verhältnismäßig ist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Einschränkungen dieser Rechte aus der GrCh gemessen an den mit der verfolgten Zielen und damit gemessen am Zweck, die illegale Einreise von Personen in das Unionsgebiet zu verhindern und eine zuverlässige Identifizierung des Ausweisinhabers zu ermöglichen, verhältnismäßig sind. Hierfür müssen die mit dieser Verordnung eingesetzten Mittel zur Erreichung dieser Ziele geeignet sein und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C-291/12 –, Rn. 40, Rn. 38, CELEX 62012CJ0291).
Hierbei muss der Ansicht des Gerichts nach berücksichtigt werden, dass der Personalausweis in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht mit dem Reisepass gleichgesetzt werden kann, sondern dass hinsichtlich der Verwendung dieser Dokumente deutliche Unterschiede bestehen. Dennoch werden durch Art. 3 Abs. 5 die beiden Dokumente hinsichtlich der Fingerabdrücke gleich behandelt.
Zwar kann der Personalausweis – wie oben bereits dargestellt – auch als Reisedokument verwendet werden. Dennoch unterscheiden sich Personalausweise und Reisepässe sowohl in rechtlicher, als auch praktischer Hinsicht. Selbst wenn Personalausweise auch als Reisedokumente im Freizügigkeitskontext genutzt werden, erfolgt keine routinemäßige Kontrolle zumindest bei Reisen zwischen EU-Mitgliedsstaaten. Zudem dürfte für die meisten Unionsbürger die primäre Funktion der nationalen Identitätskarte nicht mit der Freizügigkeit verknüpft sein. Personalausweise weisen nämlich über diese hinausgehende Nutzungsarten auf. So werden Personalausweise im Alltag unter anderem für Interaktionen mit den nationalen Verwaltungsbehörden oder mit privaten Dritten, wie etwa Banken oder Fluggesellschaften genutzt. Unionsbürger, die ihre Freizügigkeit ausüben wollen würden, können dies bereits mit ihrem Reisepass tun (in diesem Sinne auch: Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf S. 10).
Zudem besteht in Deutschland eine Pflicht, einen Personalausweis zu besitzen, . Der Bürger kann im Gegensatz zum Reisepass nicht selbst entscheiden, ob er einen Personalausweis beantragt oder nicht. Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte ist der Ansicht, dass die Aufnahme und Speicherung von Fingerabdrücken weitreichende Auswirkungen auf bis zu 370 Mio. EU-Bürger hätte, da er bei 85 % der EU-Bevölkerung die obligatorische Abnahme von Fingerabdrücken verlangen würde. Dieser breit angelegte Anwendungsbereich sowie die höchst sensiblen Daten, die verarbeitet werden (Gesichtsbilder in Kombination mit Fingerabdrücken), verlangen eine gründliche Prüfung auf der Grundlage einer strengen Prüfung der Notwendigkeit (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf S. 9, 10 m.w.N). Das Gericht folgt der Überlegung des Europäische Datenschutzbeauftragte, dass in Anbetracht der Unterschiede zwischen Personalausweisen und Reisepässen die Einführung von Sicherheitsmerkmalen, die für Reisepässe möglicherweise als angemessen gelten, für Personalausweise nicht automatisch gelten darf, sondern dies der Überlegung und einer gründlichen Analyse bedarf (ABl. C 338 vom 21.09.2018, S. 22). Diese fehlt vorliegend.
Das Gericht ist der Ansicht, dass sich in Kombination mit den oben geschilderten weit gefassten Verwendungsmöglichkeiten und der Vielzahl der betroffenen Unionsbürger nach eine viel höhere Eingriffsintensität im Vergleich zu Reisepässen ergibt, die im Gegenzug auch eine stärkere Rechtfertigung erfordert.
Im Rahmen der Auslegung der Art. 7 und 8 GrCh sind auch die Wertungen der DS-GVO zu berücksichtigen. Ausweislich der Erwägungsgründe (1) und (2) der DS-GVO ist der Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ein Grundrecht. Die Grundsätze und Vorschriften zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten sollten gewährleisten, dass ihre Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere ihr Recht auf Schutz personenbezogener Daten ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Aufenthaltsorts gewahrt bleiben. Die DS-GVO soll zur Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einer Wirtschaftsunion, zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt, zur Stärkung und zum Zusammenwachsen der Volkswirtschaften innerhalb des Binnenmarkts sowie zum Wohlergehen natürlicher Personen beitragen.
Daktyloskopische Daten sind besondere Arten personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1 DS-GVO, nämlich biometrische Daten. Diese werden in Art. 4 Nr. 14 DS-GVO definiert als mit speziellen technischen Verfahren gewonnene personenbezogene Daten zu den physischen, physiologischen oder verhaltenstypischen Merkmalen einer natürlichen Person, die die eindeutige Identifizierung dieser natürlichen Person ermöglichen oder bestätigen, wie Gesichtsbilder oder daktyloskopische Daten. Gemäß Art. 9 Abs. 1 DS-GVO ist die Verarbeitung solcher biometrischen Daten im Grundsatz untersagt und nur in eng gefassten Ausnahmefällen zulässig.
Soweit die Fingerabdrücke in Personalausweisen aufgenommen werden sollen, um die Fälschungssicherheit zu fördern, ist festzuhalten, dass in den Jahren 2013-2017 lediglich 38.870 gefälschte Identitätskarten festgestellt worden sein sollen und seit Jahren die Nutzung gefälschter Identitätskarten abnimmt (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf,S.11).
Es ist bereits nicht hinreichend deutlich, ob die Aufnahme von Fingerabdrücken die Sicherheit vor Fälschungen tatsächlich zu fördern vermag. Eine Übereinstimmung der biometrischen Daten, die auf dem Chip des Personalausweises gespeichert sind mit den Fingerabdrücken des Besitzers des Ausweises bestätigt lediglich, dass das Dokument zum Besitzer gehört. Aus der Übereinstimmung an sich folgt noch kein Nachweis der Identität, solange nicht der Personalausweis selbst als echt festgestellt wurde. Zwar ist anerkannt, dass die Nutzung biometrischer Daten die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Fälschung eines Dokumentes reduziert, so dass die Aufnahme von Fingerabdrücken zumindest teilweise den Zweck fördern kann (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf S. 13).
Ob jedoch diese Möglichkeit den weitreichenden Eingriff zu rechtfertigen vermag, erscheint höchst fraglich, zumal auch ein Personalausweis mit defektem Chip entgegen der nach nationalem Recht weiterhin gültig ist. Hierzu führt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aus, dass "ein Ausweis mit funktionsunfähigem Chip seine Gültigkeit [behält], auch wenn der integrierte Chip erkennbar defekt ist. Die Sicherheit als Ausweisdokument ist durch die physischen Sicherheitsmerkmale gegeben" (https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ Verbraucherinnen-und-Verbraucher/Informationen-und-Empfehlungen/Digitale-Verwaltung/Online-Ausweisfunktion/FAQ-Online-Ausweisfunktion/faq-online-ausweisfunktion_node.html). Wenn jedoch die Sicherheit allein durch die physischen Sicherheitsmerkmale (insbesondere Mikroschriften, UV-Aufdrucke etc.) gegeben ist, stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit der Aufnahme von Fingerabdrücken umso deutlicher.
Auch der Europäische Datenschutzbeauftragte betonte, dass Sicherheitsmaßnahmen bezogen auf den Druck des Dokuments, wie etwa die Verwendung von Hologrammen oder Wassermarken, eine deutlich geringere Eingriffsintensität hätten. Diese Methoden würden keine Verarbeitung von personenbezogenen Daten beinhalten, wären jedoch auch dazu in der Lage, die Fälschung von Ausweisdokumenten zu verhindern und die Authentizität eines Dokuments zu verifizieren (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf S. 16).
In diesem Rahmen ist auch eines der wichtigsten Prinzipien des europäischen Datenschutzrechts zu beachten: Das Prinzip der Datenminimierung bzw. Datensparsamkeit. Hiernach muss die Erhebung und Nutzung von persönlichen Daten verhältnismäßig und erforderlich, sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein.
Sollte es nötig sein, Fingerabdrücke zu erfassen, stellt sich auch die Frage, warum es der Ablichtung des gesamten Abdrucks bedarf. Hierdurch wird zwar die Interoperabilität der verschiedenen Arten der Systeme, die Fingerabdrücke erkennen können, gefördert. Diese Systeme können in drei Unterkategorien eingeteilt werden. Zum einen gibt es die Systeme, die komplette Ablichtungen der Fingerabdrücke speichern und vergleichen. Andere Systeme verwenden so genannte Minuzien. Diese Minuzien beschreiben eine Teilmenge von Charakteristiken, die aus den Ablichtungen der Fingerabdrücke gewonnen werden. Die dritte Kategorie sind Systeme, die mit einzelnen Mustern, die aus Ablichtungen der Fingerabdrücke extrahiert werden, arbeiten. Falls lediglich eine Minuzie gespeichert würde, könnte ein Mitgliedstaat, der mit einem System arbeitet, das eine Ablichtung des gesamten Fingerabdrucks verwendet, diese nicht nutzen. Die Speicherung des gesamten Fingerabdrucks fördert die Interoperabilität, jedoch erhöht sie die Anzahl der gespeicherten persönlichen Daten und damit das Risiko des Identitätsdiebstahles, falls es zu einem Datenleck kommt (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf S. 14).
Die in den Personalausweisen verwendeten RFID-Chips lassen sich unter Umständen auch von nicht autorisierten Scannern auslesen. Dies liegt daran, dass sie über ein Funkfeld aktiviert werden und im Anschluss die Daten in verschlüsselter Form übertragen. Damit hängt die Sicherheit des Verfahrens letztlich an der Qualität der Übertragungs- und Verschlüsselungstechnologie. Gerade die Verwendung des gesamten Fingerabdrucks wirkt sich in diesem Zusammenhang risikoerhöhend aus (in diesem Zusammenhang zu elektronischen Aufenthaltstiteln: NK-AuslR/Schild, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 78 Rn. 37).
Bei alledem ist auch zu beachten, dass es sich bei Fingerabdrücken um biometrische Daten handelt. Der Verordnungsgeber hat unter anderem durch die Einführung von Art. 9 DS-GVO gezeigt, dass diese einem besonderen Schutz unterliegen.
Selbst die verzichtet auf das "Sicherheitsmerkmal" des Fingerabdrucks bei Kindern unter 12 Jahren und befreit Kinder unter 6 Jahren vollständig von der Pflicht zur Abgabe, Art. 3 Abs. 7 . Viel wichtiger ist aber, dass bei Personen, denen eine Abnahme von Fingerabdrücken physisch nicht möglich ist (z.B. bei Adermatoglyphie), diese von der Pflicht zur Abgabe befreit sind. Wozu dann dieses Sicherheitsmerkmal noch dienen soll, bleibt in der ungeregelt und schlicht offen.
3. Der Europäische Datenschutzbeauftragte unterstreicht in seiner Stellungnahme vom 10.08.2018 ferner, dass Artikel 35 Abs. 10 DS-GVO auf die Erfassung und Verarbeitung der Fingerabdrücke Anwendung findet. Nach Artikel 35 Abs. 1 DS-GVO ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchzuführen, bevor eine Verarbeitung erfolgt, die voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat. Diese Datenschutz-Folgeabschätzung sollte sich insbesondere mit einer Beurteilung der Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen sowie mit den Maßnahmen beschäftigen, mit denen gegen diese Risiken vorgegangen werden soll, wie Garantien und Sicherheitsvorkehrungen (Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten zur geplanten Einführung der Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen vom 10.08.2018, abrufbar unter https://edps.europa.eu/sites/edp/files/publication/18-08-10_opinion_eid_en.pdf, S. 12).
Da die Rechtsgrundlage auf Unionsrecht, dem der Verantwortliche unterliegt, beruht und da diese Rechtsvorschriften den konkreten Verarbeitungsvorgang regeln, hat die allgemeinen Folgenabschätzung im Zusammenhang mit dem Erlass dieser Rechtsgrundlage zu erfolgen (Art. 35 Abs. 10 DS-GVO). Eine solche Folgenabschätzung wäre daher bei Erlass der durchzuführen gewesen. Sie ist ausweislich der Erwägungsgründe nicht erfolgt.
Das Gericht ist, wie der Europäische Datenschutzbeauftragte in seiner Stellungnahme vom 10.08.2018, der Auffassung, dass die Folgenabschätzung die obligatorische Aufnahme sowohl von Gesichtsbildern als auch von (zwei) Fingerabdrücken in Personalausweise nicht tragen würde. Bereits in Gesetzgebungsverfahren hat der Europäische Datenschutzbeauftragte empfohlen, vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verarbeitung biometrischer Daten (Gesichtsbild in Kombination mit Fingerabdrücken) erneut zu prüfen (ABl. C 338 vom 21.09.2018, S. 22).
Der Verordnungsgeber geht in Erwägungsgrund (40) auf diese Problematik in Bezug auf die DS-GVO nur sehr allgemein ein. Es verbleibt bei unbestimmten Aussagen, wie etwa, dass die Unionsbürger über das Speichermedium informiert werden solle und weiter präzisiert werden müsste, welche Garantien für die verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie insbesondere für sensible Daten wie beispielsweise biometrische Identifikatoren gelten. Das Speichermedium sollte hochsicher sein, und die auf ihm gespeicherten personenbezogenen Daten sollten wirksam vor unbefugtem Zugriff geschützt sein. Es bleibt vage, was mit "hochsicher" gemeint ist und wie die Garantien und Schutzvorkehrungen ausgestaltet sein sollen. Insbesondere ist keine Abwägung mit den Risiken bei einem Datenleck des Chips und dem Eingriff in Art. 7 und 8 GrCh ersichtlich.
Es stellt sich daher die Frage, ob das Unterlassen einer verpflichtenden Risikofolgeabschätzung die Wirksamkeit einer Norm unberührt lassen kann oder nicht vielmehr bei zwingender Verpflichtung des Normgebers zur Durchführung einer Risikofolgeabschätzung sein Unterlassen zu einer Ungültigkeit der Norm führen muss. Andernfalls würde der Normgeber für sein Fehlverhalten belohnt werden.
Mit dem angenommenen Gesetzentwurf werden das Patentgesetz und andere Gesetz im Hinblick auf den gewerblichen Rechtsschutz vereinfacht und modernisiert (19/25821). Wie es darin heißt, besteht im Patent- und Gebrauchsmusterrecht Klarstellungsbedarf mit Blick auf den Unterlassungsanspruch bei Verletzungen dieser Schutzrechte. Optimierungsbedarf bestehe ferner im Hinblick auf eine bessere Synchronisierung der Verletzungsverfahren vor den Zivilgerichten und der Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht (BPatG).
Weiterer Regelungsbedarf bestehe im Hinblick auf einen verbesserten Schutz vertraulicher Informationen in Patent-, in Gebrauchsmuster- und in Halbleiterschutzstreitsachen. Schließlich bezwecke das Gesetz eine praxisgerechte Optimierung der Verfahrensabläufe beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA). Durch die Änderungen soll auch der bürokratische Aufwand aufseiten der Anmelder gesenkt werden.
A. Problem und Ziel
Die Bundesrepublik Deutschland steht aufgrund der hohen internationalen Verflechtung ihrer volkswirtschaftlich bedeutenden Branchen in einer besonderen Verantwortung, auf eine Verbesserung der weltweiten Menschenrechtslage entlang von Lieferketten hinzuwirken und die Globalisierung mit Blick auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sozial zu gestalten. Die zunehmende Integration deutscher Unternehmen in globale Beschaffungs- und Absatzmärkte bietet Chancen und Herausforderungen zugleich: neue Märkte und Produktionsstätten werden erschlossen und so Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen. Gleichzeitig können aber auch Risiken durch Intransparenz und die oft mangelhafte Durchsetzung von international anerkannten Menschenrechten in den Lieferketten von Unternehmen in der globalen Wirtschaft entstehen. Die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, liegt bei den Staaten. Die Verantwortung von Unternehmen für die Achtung der Menschenrechte besteht unabhängig von der Fähigkeit oder Bereitschaft der Staaten, ihrer Pflicht zum Schutz der Menschenrechte nachzukommen. Macht der innerstaatliche Kontext es unmöglich, dieser Verantwortung uneingeschränkt nachzukommen, ist von Unternehmen zu erwarten, dass sie die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte achten, soweit es in Anbetracht der Umstände möglich ist.
Um ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte gerecht zu werden, setzt die Bundesregierung die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (Nationaler Aktionsplan) in der Bundesrepublik Deutschland um. Dort ist die Erwartung an Unternehmen formuliert, mit Bezug auf ihre Größe, Branche und Position in der Lieferkette in angemessener Weise die menschenrechtlichen Risiken in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten zu ermitteln, ihnen zu begegnen, darüber zu berichten und Beschwerdeverfahren zu ermöglichen.
Der Nationale Aktionsplan ist ein wichtiger erster Schritt. Zentral für seine erfolgreiche Umsetzung sind ein einheitliches Verständnis von Inhalt und Umfang der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten und deren breite Verankerung in unternehmensinternen Prozessen. Die Ergebnisse der im Rahmen des Nationalen Aktionsplans durchgeführten repräsentativen Untersuchungen vom Juli 2020 haben gezeigt, dass lediglich zwischen 13 und 17 Prozent der befragten Unternehmen die Anforderungen des Nationalen Aktionsplans erfüllen. Um eine ausreichende Einhaltung zu gewährleisten, bedarf es daher eines rechtlich verbindlichen und international anschlussfähigen Sorgfaltsstandards.
Durch dieses Gesetz werden in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte durch die Implementierung der Kernelemente der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen. Dadurch sollen zum einen die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen in den Lieferketten gestärkt, zum anderen den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden.
B. Lösung
Der vorliegende Entwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes dient der Verbesserung der internationalen Menschenrechtslage, indem er Anforderungen an ein verantwortliches Management von Lieferketten für bestimmte Unternehmen festlegt. Unternehmen erhalten einen klaren, verhältnismäßigen und zumutbaren gesetzlichen Rahmen zur Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Die Anforderungen sind international anschlussfähig und orientieren sich am Sorgfaltsstandard („due diligence standard“) der VN-Leitprinzipien, auf dem der Nationale Aktionsplan basiert. Der Entwurf enthält behördliche Durchsetzungsmechanismen. Die für die Kontrolle und Durchsetzung der Einhaltung der Sorgfaltspflichten zuständige Behörde wird benannt und mit Eingriffsbefugnissen ausgestattet. Das Gesetz begründet eine Bemühenspflicht, aber weder eine Erfolgspflicht noch eine Garantiehaftung. Das Sorgfaltspflichtengesetz soll an eine künftige europäische Regelung angepasst werden mit dem Ziel, Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern.
A. Problem und Ziel
Die Nutzung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen ist aus dem Verbraucheralltag nicht mehr wegzudenken. Diese digitalen Produkte sind ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor und eignen sich insbesondere für einen grenzüberschreitenden Handel. Das deutsche Vertragsrecht enthält bislang keine speziellen Vorschriften für Verbraucherverträge über digitale Produkte. Nach dem Erlass erster Vorschriften in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erschien es jedoch angezeigt, eine Harmonisierung der wesentlichen vertragsrechtlichen Vorschriften betreffend Verbraucherverträge über digitale Produkte herbeizuführen, um zur Erreichung eines einheitlich hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen und eine Rechtszersplitterung in der Europäischen Union zu vermeiden. Zu diesem Zweck wurde die Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (ABl. L 136 vom 22.5.2019, S. 1; L 305 vom 26.11.2019, S. 62, nachfolgend: Richtlinie) erlassen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten in ihrem Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 1, bis zum 1. Juli 2021 die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen und zu veröffentlichen, um der Richtlinie nachzukommen.
Die mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften sind nach Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie ab dem 1. Januar 2022 anzuwenden.
Ziel der Richtlinie ist die Harmonisierung von Teilbereichen des mitgliedstaatlichen Vertragsrechts betreffend Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen. Artikel 4 der Richtlinie sieht dafür eine Vollharmonisierung vor. Die Mitgliedstaaten dürfen demnach weder strengere noch weniger strenge Vorschriften aufrechterhalten oder einführen, sofern dies nicht ausdrücklich durch die betreffenden Richtlinienbestimmungen gestattet wird.
B. Lösung
Die Umsetzung der Richtlinie erfordert insbesondere Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Hierzu wird unter anderem ein neuer Titel 2a in Abschnitt 3 des Buches 2 des BGB eingefügt. Andere Teile des BGB sind anzupassen
A. Problem und Ziel
Die Entwicklungsdynamik im Bereich des automatisierten, autonomen und vernetzten Fahrens ist ungebrochen hoch. Um die Potenziale dieser Technologien heben zu können und die Teilhabe der Gesellschaft daran zu ermöglichen, bedarf es der Umsetzung weiterer Schritte zur Einführung entsprechender Systeme in den Regelbetrieb. Anknüpfend an die bisherigen rechtlichen Vorgaben des Achten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktion stellt sich die Notwendigkeit dar, über die im öffentlichen Straßenverkehr bereits mögliche Erprobung autonomer, führerloser Fahrzeuge hinauszugehen und deren Regelbetrieb einzuleiten. Zunächst sollen autonome Fahrzeuge dafür in festgelegten Betriebsbereichen eingesetzt werden können. Mangels internationaler, harmonisierter Vorschriften bedarf es bei derart weitreichenden technischen Entwicklungen Regelungen des Gesetzgebers zum Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion sowie zu den Anforderungen an die Beteiligten und an das
Kraftfahrzeug selbst.
Auch Fahrzeuge der Bundeswehr, der Bundespolizei, der Landespolizei, des Zivil- und Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und Rettungsdienste nutzen autonome Funktionen. Diese Fahrzeuge unterliegen jedoch in ihrem Einsatzspektrum besonderen Betriebsbedingungen und haben besondere Ausstattungen, für die die Erteilung der Betriebserlaubnis im Eigenvollzug weiterhin möglich sein muss.
B. Lösung
Ein geeigneter Rechtsrahmen soll durch Ergänzung bestehender Regelungen des Straßenverkehrsrechts geschaffen werden. Nach geltendem Recht können autonome Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr betrieben werden, sofern diese Fahrzeuge und deren jeweilige Betriebsbereiche für die jeweiligen Fahrzeuge durch die zuständigen Behörden genehmigt worden sind.
Bisher gibt es auf europäischer Ebene keinen hinreichenden Rechtsrahmen für Kraftfahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion. Die Verordnung (EU) 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 2007/46/EG setzt nach ihrem Anwendungsbereich und den technischen Vorgaben stets eine fahrzeugführende Person und damit die umfassende Steuerbarkeit des Fahrzeugs voraus. Dementgegen zeichnen sich autonome Fahrfunktionen gerade dadurch aus, dass sie keine fahrzeugführende Person vorsehen. Um der Innovationsdynamik der Technologie des autonomen Fahrens Rechnung zu tragen, sollen für die Zwischenzeit bis zur unionsrechtlichen Harmonisierung durch den nationalen Rechtsrahmen geeignete Bedingungen für die Einführung des Regelbetriebs geschaffen werden. Für Fahrzeuge der Bundeswehr, der Bundespolizei, des Zivilschutzes und der Landespolizei bleibt zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben ein abweichender Genehmigungsweg bestehen.
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht
Der Entwurf verbessert den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor unlauteren geschäftlichen Handlungen insbesondere im Kontext digitaler Geschäftsmodelle verbessert und ermöglicht eine wirksamere Durchsetzung des Verbraucherrechts. Hierfür enthält der Entwurf Regelungen zur Verbesserung der Verbraucherinformation bei Rankings und Verbraucherbewertungen.
Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten zudem einen Anspruch auf Schadensersatz bei schuldhaften Verstößen von Unternehmern gegen verbraucherschützende Vorschriften des UWG. Bei weitverbreiteten Verstößen in mehreren Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gegen Vorschriften, die die Richtlinie 2005/29/EG umsetzen, erhalten die zuständigen Behörden die Möglichkeit, im Rahmen von gemeinsamen Durchsetzungsmaßnahmen ein umsatzabhängiges Bußgeld zu verhängen. Die neue Öffnungsklausel wird für Verschärfungen der für Kaffeefahrten geltenden Regelungen über Wanderlager genutzt. Darüber hinaus sieht der Entwurf Klarstellungen zum Anwendungsbereich des UWG vor, insbesondere zur Abgrenzung von privater Meinungsäußerung und kommerzieller Kommunikation im Internet.
"Die Nutzung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen ist aus dem Verbraucheralltag nicht mehr wegzudenken. Diese digitalen Produkte sind ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor und eignen sich insbesondere für einen grenzüberschreitenden Handel. Das deutsche Vertragsrecht enthält bislang keine speziellen Vorschriften für Verbraucherverträge über digitale Produkte. Nach dem Erlass erster Vorschriften in einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union erschien es jedoch angezeigt, eine Harmonisierung der wesentlichen vertragsrechtlichen Vorschriften betreffend Verbraucherverträge über digitale Produkte herbeizuführen, um zur Erreichung eines einheitlich hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen und eine Rechtszersplitterung in der Europäischen Union zu vermeiden.
Zu diesem Zweck wurde die Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen (ABl. L 136 vom 22.5.2019, S. 1; L 305 vom 26.11.2019, S. 62, nachfolgend: Richtlinie) erlassen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten in ihrem Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 1, bis zum 1. Juli 2021 die erforderlichen Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu erlassen und zu veröffentlichen, um der Richtlinie nachzukommen. Die mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften sind nach Artikel 24 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie ab dem 1. Januar 2022 anzuwenden.
Ziel der Richtlinie ist die Harmonisierung von Teilbereichen des mitgliedstaatlichen Vertragsrechts betreffend Verträge über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen. Artikel 4 der Richtlinie sieht dafür eine Vollharmonisierung vor. Die Mitgliedstaaten dürfen demnach weder strengere noch weniger strenge Vorschriften aufrechterhalten oder einführen, sofern dies nicht ausdrücklich durch die betreffenden Richtlinienbestimmungen gestattet wird."