Skip to content

OLG Frankfurt: Mobilfunkanbieter darf keine pauschalge Gebühr für eine Ersatz-SIM verlangen - AGB-Klausel unwirksam

OLG Frankfurt
Urteil vom 18.07.2024
1 UKl 2/24

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein Mobilfunkanbieter keine pauschalge Gebühr für eine Ersatz-SIM verlangen darf. Eine entsprechende AGB-Klausel ist unwirksam.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Klausel, wonach die Beklagte befugt wird, ein Entgelt in Höhe von 14,85 € für die Überlassung einer Ersatz-SIM zu verlangen, unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Ihr unterfallen solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Nicht von der Inhaltskontrolle erfasst sind Klauseln, die unmittelbar den Preis der vertraglichen Hauptleistung oder das Entgelt für eine rechtlich nicht geregelte, zusätzlich angebotene Sonderleistung bestimmen. Kontrollfähig sind aber Klauseln, die von gesetzlichen Preisregelungen abweichen, sowie Bestimmungen, die kein Entgelt für eine Leistung zum Gegenstand haben, die dem Kunden auf rechtsgeschäftlicher Grundlage erbracht wird, sondern mittels derer der Verwender allgemeine Betriebskosten, Aufwand zur Erfüllung eigener Pflichten oder für Tätigkeiten, die im eigenen Interesse liegen, auf den Kunden abwälzt (BGH Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08 16, juris; BGH Urteil vom 7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10 Rn. 26, juris; BGH Urteil vom 13. November 2012 - XI ZR 500/11 Rn. 13, juris; BGH Urteil vom 13. Mai 2014 Rn. 24, juris). Dies gilt auch dann, wenn die Entgeltklausel in einem Regelwerk enthalten ist, das - wie hier das Preis- und Leistungsverzeichnis der Beklagten - Preise für Einzelleistungen bei der Vertragsabwicklung festlegt (BGH Urteil vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14 -, Rn. 16, juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen enthält die Klausel eine Regelung, die den Aufwand zur Erfüllung eigener vertraglicher Pflichten des Mobilfunkdiensteanbieters betrifft. Weder aus der Klausel selbst und noch aus dem systematischen Zusammenhang mit den weiteren betroffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen derZiff. 5.1 und 5.2 kann zutreffend geschlussfolgert werden, dass es sich ausschließlich um eine Entgeltregelung für eine Sonderleistung handelt, die ausschließlich im Interesse des Kunden auf dessen Sonderauftrag vorgenommen wird.

Bei der gebotenen Auslegung (BGH Urteil vom 13. November 2012 - XI ZR 500/11. Rn. 15; BGH Urteil vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12 -, Rn. 26; BGH Urteil vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14 -, Rn. 19 und vom 25, Oktober 2016 - XI ZR 9/15 -, Rn. 23, jeweils juris) ist ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn der in Rede stehenden Klausel zu fragen. Sie ist so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden wird. Sind mehrere Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar, kommt die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung (BGH, Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08 -, Rn. 11; BGH Urteil vom 29. Juni 2010 - XI ZR 104/08 -, Rn. 31, vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14 -. Rn. 19 und vom 25. Oktober 2016 - XI ZR 9/15 -, Rn. 23. jeweils juris). Danach ist die scheinbar kundenfeindlichste Auslegung im Ergebnis regelmäßig die dem Kunden günstigste, da sie häufig erst die Inhaltskontrolle eröffnet bzw. zu einer unangemessenen Benachteiligung und damit zur Unwirksamkeit führt. Außer Betracht zu bleiben haben dabei solche Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwä­gung zu ziehen sind (BGH Urteil vom 7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10 Rn. 35, BGH Urteil vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14 Rn. 19 und vom 26. Oktober 2016 - X ZR 9/15 - Rn. 23, BGH, Urteil vom 12. September 2017-XI ZR 590/15 Rn. 26, jeweils juris).

Die von dem Kläger beanstandete Klausel ist nach Maßgabe dessen so zu verstehen, dass der Kunde auch dann das Entgelt in Höhe von 14,85 Euro entrichten muss, wenn ihm ohne sein Zutun eine funktionsunfähige SIM durch den Mobilfunkdiensteanbieter überlassen worden ist und er deswegen eine SIM nachbestellt. Die Beklagte überbordet damit Aufwand zur Erfüllung eigener Pflichten auf den Kunden, denn in einem solchen Fall ist die in Ziff. 5.1 der AGB geregelte, den Mobilfunkdienstanbieter treffende kostenlose Überlassungspflicht der SIM tangiert. Diese ist als Nebenleistungspflicht des Mobilfunkdienstanbieters zu qualifizieren, weil ohne die einmalige Überlassung einer funktionsfähigen SIM die Hauptleistung in Gestalt der Erbringung der Mobilfunkdienstleistungen nicht gewährleistet werden kann. Aufgrund der umfassenden Formulierung der Klausel ist eine solche Auslegung auch nicht praktisch fernliegend oder nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen. Die Beklagte hat davon abgesehen, weitere, einschränkende Voraussetzungen für die Erhebung der Gebühr, etwa für den Fall einer durch den Kunden hervorgerufenen Funktionsunfähigkeit der SIM, zu formulieren, weshalb das in Rede stehende Entgelt aus der maßgeblichen Sicht eines Durchschnittskunden grundsätzlich auch immer anfällt, sobald der Kunde - im Ausgangspunkt unabhängig davon, weshalb - eine Ersatz-SIM begehrt. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist allein der Formulierung, dass die SIM bei naheliegender Auslegung nur auf Kundenwunsch nachbestellt werde, aus der maßgeblichen Sicht eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nicht zu entnehmen, dass Fallgestaltungen, in denen der Mobilfunkdiensteanbieter schon wegen Ziff. 5.1. der AGB zur unentgeltlichen Überlassung einer Ersatz-SIM verpflichtet ist, von vorneherein vom Geltungsbereich der Klausel ausgenommen sein sollen. Mit dem ohnehin in der Klausel nicht explizit benannten Kundenwunsch wird letztlich nur umschrieben, von wem die zur Ausstellung einer Ersatz-SIM führende Initiative ausgeht. Der Kunde kann aber auch in Fällen initiativ werden (müssen), in denen sein Vertragspartner bereits aufgrund einer eigenen Verpflichtung tätig werden müsste (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14 -, Rn. 21 zum Parallelfall der Bestellung einer Ersatzgirocard).

Der Umstand, dass die Ersatz-SIM in der Preisliste als Zusatzleistung und sonstige Serviceleistung eingeordnet ist, steht dem Verständnis der Klausel im obigen Sinne nicht entgegen. Denn auch die Nachlieferung wegen einer ohne Zutun des Kunden funktionsunfähigen SIM ist eine Leistung, die der Mobilfunkdiensteanbieter schlicht zusätzlich, über die erstmalige Zurverfügungstellung der SIM hinaus, erbringt. Aufgrund der einschränkungslosen Formulierung ist die Klausel auch der Auslegung zugänglich, dass der Mobilfunkdiensteanbieter diejenigen Fälle gesondert vergütet wissen will, die Ziff. 5.2 der AGB regelt. Eine Vergütungspflicht nach Wechsel der SIM aufgrund technischer oder betrieblicher Gründe stellt eine Preisnebenabrede dar. Sie etabliert eine Aufwandsvergütung, die im Interesse des Mobilfunkanbieters liegt, weil sie zumindest auch die Konnektivität des Mobilfunknetzes mit dem Endgerät betrifft. Ziff. 5.2. der AGB stellt auch nicht klar, dass es sich bei einem aus solchen Gründen veranlassten Wechsel der SIM um eine Pflicht handelt, die nur den Mobilfunkdiensteanbieter trifft und damit gerade nicht auf Kundenwunsch erfolgt. Der Wortlaut der Klausel spricht lediglich von der „Berechtigung“ des Mobilfunkdiensteanbieters zum Austausch.

2. Die beanstandete Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand. Die streitige Gebühr für die Ersatz-SIM ist vielmehr mit wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes nicht vereinbar {§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und benachteiligt die Vertragspartner der Beklagten in unangemessener Weise (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB), Zu den wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts gehört, dass jeder Rechtsunterworfene seine gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen hat, ohne dafür ein gesondertes Entgelt verlangen zu können. Ein Anspruch auf Ersatz anfallender Kosten besteht nur dann, wenn dies im Gesetz vorgesehen ist. Ist das nicht der Fall, können entstandene Kosten nicht auf Dritte abgewälzt werden, indem gesetzlich auferlegte Pflichten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu individuellen Dienstleistungen gegenüber Vertragspartnern erklärt werden. Jede Entgeltregelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sich nicht auf eine auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für den einzelnen Kunden erbrachte (Haupt- oder Neben-)Leistung stützt, sondern Aufwendungen für die Erfüllung eigener Pflichten oder für Zwecke des Verwenders abzuwälzen versucht, stellt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Abweichung von Rechtsvorschriften dar und verstößt deshalb gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Darüber hinaus indiziert die Unvereinbarkeit einer Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners (m.w.N. BGH, Urteil vom 18. April 2002-111 ZR 199/01 Rn 24, juris). Dies ist hier der Fall, weil die Beklagte den Aufwand zur Erfüllung der Nebenleistungspflicht. einmalig eine funktionsfähige Sim kostenlos zu überlassen, bei kundenfeindlichster Auslegung der AGB auf den Verbraucher überwälzt.

Ferner ist die Klausel mit dem aus § 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB folgenden Transparenzgebot nicht zu vereinbaren. Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen (Grüneberg-Grüneberg, 83. Aufl. 2024, § 307 Rn. 21). Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Verbraucher verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Ist der Verwender diesem Gebot nicht gefolgt, liegt schon darin eine unangemessene Benachteiligung des anderen Vertragspartners (BGH, Urteil vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06 Rn. 16, juris). So liegen die Dinge hier. Einem durchschnittlich verständigen Verbraucher ist nicht erkennbar, ob sich die streitbefangene Klausel auch auf die Fälle einer ohne sein Zutun defekten SIM bezieht. Der Umfang der bestehenden Vergütungspflicht bleibt damit im Unklaren.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Düsseldorf: Vorformulierte Unterlassungserklärungen können der AGB-Kontrolle unterliegen - Vertragsstrafeklausel unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam

OLG Düsseldorf
Urteil vom 23.11.2023
2 U 99/22


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass vorformulierte Unterlassungserklärungen der AGB-Kontrolle unterliegen können. Eine Vertragsstrafklausel unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs ist nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Die Berufung weist allerdings zu Recht darauf hin, dass die Vertragsstrafenabrede als Allgemeine Geschäftsbedingung einzustufen ist. Denn die A hat die Vertragsstrafeklausel als Verwender im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB gestellt und nicht im Einzelnen gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB mit der Beklagten ausgehandelt.

a) Vertragsbedingungen sind gemäß § 305 Abs. 1 S. 1 BGB nur dann Allgemeine Geschäftsbedingungen, wenn sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind. Die Klägerin hat bereits in erster Instanz in Abrede gestellt, dass es sich um ein vorgegebenes Formular gehandelt habe, das für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle vorformuliert gewesen sei (vgl. Bl. 66 eAkte LG). Damit kann sie indes nicht durchdringen.

Dass die mit Schreiben vom 23. Oktober 2023 übergebene Unterwerfungserklärung „vorformuliert“ und nicht von ihr „ad hoc in Vertragsverhandlungen formuliert“ (vgl. Staudinger/Mäsch (2022) BGB § 305, Rn. 25) worden ist, steht außer Frage. Sie war ihrem äußeren Anschein nach aber auch für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert („Mehrfachverwendungsabsicht“).

Das Vorliegen von Allgemeinen Geschäftsbedingung muss derjenige darlegen und beweisen, der sich zu seinen Gunsten auf die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB beruft, vorliegend also die Beklagte. Der Darlegungslast kann aber im Einzelfall bereits durch Vorlage des Vertrags genügt werden (BGH, NJW 1992, 2160, 2162). Denn aus Inhalt und Gestaltung von Vertragsklauseln kann der äußere Anschein folgen, dass diese zur mehrfachen Verwendung vorformuliert wurden (vgl. BGH, a.a.O., NJW 2004, 502, 503, NJW 2009, 3717, 3720, jeweils zum Bau(träger)vertrag; BGH, NJW 2017, 265 Rn. 30 zum Architekten- und Ingenieurvertrag; OLG Frankfurt, GRUR-RR 2020, 556 - VENOM, OLG Jena, BeckRS 2012, 9286, jeweils zur Vertragsstrafevereinbarung; MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305 Rn. 18; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 305 Rn. 23). Ein solcher Anschein kann sich zum Beispiel daraus ergeben, dass Vertragsklauseln weitgehend allgemein und abstrakt gehalten sind (BGH, NJW 2017, 265 Rn. 30). Es ist dabei nicht erforderlich, dass das gesamte Vertragsmuster diesen Anforderungen entspricht. Entscheidend ist, ob einzelne Vertragsklauseln, hier also das Vertragsstrafeversprechen, jeweils die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 BGB erfüllen (BGH, NJW 1998, 2600 f.).

aa) Es drängt sich vorliegend bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung auf, dass der Inhaber von Schutzrechten eine Unterlassungserklärung regelmäßig nicht allein für den konkreten Einzelfall formuliert bzw. formulieren lässt, sondern – schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus – eine Mehrfachverwendungsabsicht verfolgt. Er wird darauf bedacht sein, ein Standardformular zu entwickeln, dass sich mit möglichst wenigen Modifikationen an die jeweilige Situation anpassen lässt. In der Literatur wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es gängige Praxis sei, „das Rad nicht immer neu zu erfinden“, sondern auf bewährte Muster oder in Datenbanken hinterlegte Textbausteine zurückzugreifen (vgl. Graf v. Westphalen/Thüsing VertrR/AGB-Klauselwerke, Stand: März 2023, Teil „Vertragsrecht“, Stichwort „Individualvereinbarung“ Rn. 8).

Diese Erwägungen gelten umso mehr, wenn die Erklärung von einer Rechtsanwaltskanzlei formuliert wurde, was vorliegend naheliegt, da das Anschreiben von der (damaligen) Kanzlei C stammt. Diese wird auf vorhandene Vorstücke bzw. Muster zurückgreifen oder – bei erstmaliger Formulierung – darauf bedacht sein, solche – auch für spätere Mandate – zu entwickeln. Gerade bei großen Sozietäten streitet daher bereits der erste Anschein für eine Mehrfachverwendungsabsicht (Löhnig/Jerger, GWR 2013, 239, 240). In den Fällen von durch Dritte vorformulierten Verträgen genügt es im Übrigen, dass diese vom Dritten in Mehrfachverwendungsabsicht erstellt wurden. Die Partei, die sich eines solchen Formulars bedient, kann sich nicht darauf berufen, dass sie selbst nur die Absicht hatte, dieses in einem einzigen Fall zu verwenden (BGH, NJW 2010, 1131 Rn. 10; BeckOK BGB/Becker, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 305 Rn. 25; MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305 Rn. 119; Löhnig/Jerger, a.a.O., für den von einer Rechtsanwaltskanzlei entworfenen Vertrag).

Im Ergebnis streiten daher bereits die äußeren Umstände dafür, dass es sich bei der Unterlassungserklärung um eine für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Erklärung handelte. Diesen Anschein hat die Klägerin nicht entkräftet. Sie hat keine Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, die es nahelegen könnten, dass es sich bei der Vertragsstrafeklausel um eine nur für diesen konkreten Einzelfall formulierte Abrede handelte. Soweit sie darauf verweist, dass ein Rückgriff auf ein „Simile“ aus einem anderen Rechtsstreit, das dort in Einzelverwendungsabsicht erstellt worden war, unschädlich sei, so lässt sie offen, ob sie einen solchen Geschehensablauf vorliegend behaupten will, zumal damit auch eine erst sodann für die Zukunft gefasste Mehrfachverwendungsabsicht nicht ausgeschlossen wäre. Wenn sie weiterhin ausführt, dass der seinerzeit sachbearbeitende Rechtsanwalt nicht einmal auf ein „Simile“ zurückgreifen hätte müssen, da er die ihm aus seiner Praxis geläufige Vertragsstrafeklausel auch aus dem Gedächtnis heraus hätte formulieren können, so kommt es hierauf nicht an. Denn Allgemeine Geschäftsbedingungen können auch dann vorliegen, wenn üblicherweise verwendete Klauseln aus dem Gedächtnis heraus in den Vertrag eingefügt werden (BGH, NJW 1999, 2180, 2181). Im Ergebnis genügt daher der – sich in allgemeinen Erwägungen erschöpfende – klägerische Tatsachenvortrag nicht, um eine ernsthafte Möglichkeit für einen vom Anscheinsbeweis abweichenden Geschehensablauf darzulegen, weshalb dem angetretenen Zeugenbeweis durch Vernehmung des seinerzeit sachbearbeitenden Rechtsanwalts nicht nachzugehen war.

bb) Im Übrigen erweckt die ursprüngliche Unterlassungserklärung auch ihrer inhaltlichen Gestaltung nach den Eindruck, dass ihre Klauseln für eine Vielzahl vergleichbarer Abmahnsituationen herangezogen und nur einzelne Stellen an den konkreten Sachverhalt angepasst werden.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die für das hiesige Verfahren streitentscheidende Vertragsstrafeklausel. Diese ist in ihrer Formulierung („Upon pain of a contractual penalty of € 10.000.00 (ten thousand EUR) for each case of non-compliance - excluding the application of the continuation-of-offence clause - to refrain from”) allgemein gehalten und weist keinen besonderen Bezug zum konkreten Einzelfall auf, der erst im weiteren Verlauf der Erklärung – nämlich im Rahmen der Unterlassungsverpflichtung – durch Einrücken der Patentansprüche hergestellt wird. Auch bei dem Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs („excluding the application of the continuation-of-offence clause“) handelt es sich – auch heute noch – um eine vielfach verwendete Standardregelung (vgl. z. B. Kummermehr, in; Kroiß (Hrsg.)/Kröger u.a., FormularBibliothek Zivilprozess – Schuldrecht, 4. Aufl. 2022, Teil 4 Rn. 196; Meyer-Sparenberg, in: BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. II.11).

Die Vertragsstrafeklausel liefert damit keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ausschließlich für die Unterlassungserklärung der Beklagten formuliert wurde. Auch aus anderen Klauseln der ursprünglichen Unterlassungserklärung lassen sich solche Anhaltspunkte nicht herleiten.

So enthalten die beiden identisch ausgestalteten Klauseln zur Rechnungslegung (Ziffern I.2 und II.5) mehrere formelhafte Regelungen, die nur insoweit auf den Einzelfall zugeschnitten sind, als dass unter lit. a) und b) jeweils ein bestimmter Zeitraum benannt wird, für den Rechnung zu legen ist, während die übrigen Bestimmungen lit. a) aa) bis dd), b) aa) bis bb) und c) keinen konkreten Bezug zur Beklagten aufweisen. Bei Ziffer II.5 fällt zudem auf, dass der Verweis auf die „Handlungen unter 1.“ („actions referred to under 1. above“) fälschlicherweise nicht angepasst wurde, was notwendig gewesen wäre, da sich die zu unterlassende Handlung für die Vorrichtung im Sinne des EP 2 324 XXA unter Ziffer II.4 findet. Dies verstärkt den Eindruck der Verwendung vorformulierter Klauseln, wobei es allerdings – entgegen der Berufung – für den Beleg einer Mehrfachverwendungsabsicht nicht genügt, dass eine Klausel in demselben Vertrag mehrfach Verwendung findet, da § 305 Abs. 1 S. 1 BGB eine „Vielzahl von Verträgen“ fordert.

b) Die vorformulierten Vertragsbedingungen wurden von der A auch als Verwenderin im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 1 BGB gestellt und nicht im Sinne von § 305 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelnen ausgehandelt.

aa) Verwenderin ist diejenige Vertragspartei, die der anderen Partei bei Abschluss eines Vertrags vorformulierte Vertragsbedingungen stellt. Sind die Bedingungen von einem Dritten formuliert, ist entscheidend, ob eine der Vertragsparteien sie sich als von ihr gestellt zurechnen lassen muss (BGH, NJW 1994, 2825, NJW 2016, 1230 Rn. 24 – Vertragsstrafe). Vorliegend kommt es demnach nicht darauf an, ob die A die strafbewehrte Unterlassungserklärung selbst formuliert hat oder ihre damalig beauftragte Rechtsanwaltskanzlei C. Denn es bestehen keine Zweifel, dass diese im Auftrag der A handelte, die sich das Handeln daher zurechnen lassen muss.

Das Merkmal des Stellens ist erfüllt, wenn die Formularbestimmungen auf Initiative einer Partei in die Verhandlungen eingebracht und ihre Verwendung zum Vertragsabschluss verlangt werden. Dabei genügt der einseitige Wunsch einer Partei, bestimmte von ihr bezeichnete vorformulierte Vertragsbedingungen zu verwenden (BGH, NJW 2010, 1131 Rn. 12 a.E.; NJW 2016, 1230 Rn. 24 – Vertragsstrafe). Ein Ungleichgewicht hinsichtlich der vertraglichen Durchsetzungsmacht muss dabei nicht bestehen. Verwenderin kann auch eine Vertragspartei sein, die der anderen weder wirtschaftlich noch sonst überlegen ist (BGH, NJW 2010, 1131 Rn. 12).

Dass die A die Verwendung der von ihr eingebrachten Formularbestimmungen zumindest wünschte, steht vor dem Hintergrund des Inhalts ihres Abmahnschreibens vom 23. Oktober 2014 außer Frage. Denn dort wurde der Beklagten – mit äußerst knapper Frist bis zum nächsten Morgen, 8:00 Uhr – die Möglichkeit der Unterzeichnung der vorformulierten Unterlassungserklärung gegeben, um einen Rechtsstreit zu vermeiden. Dabei ging die A davon aus, dass die Erklärung durch die Beklagte mittels Unterzeichnung des zur Verfügung gestellten „Vordrucks“ erfolgen sollte.

bb) Allerdings gelten Vertragsbedingungen gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB dann nicht als von dem Verwender gestellt, soweit diese zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind. Ein solches Aushandeln ist vorliegend indes nicht gegeben. Insbesondere ergibt sich dies nicht daraus, dass die Beklagte an der überreichten Unterlassungserklärung umfangreiche Kürzungen vorgenommen und dieser einen Einleitungssatz zur Rechtsbindung vorangestellt hat.

(1) Von einem Aushandeln kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der effektiven Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären (BGH, NJW 2019, 2080 Rn. 14).

Hieran werden in der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt (Graf v. Westphalen/Thüsing VertrR/AGB-Klauselwerke, Stand März 2023, Teil „Klauselwerke“, Stichwort: „Stromlieferverträge“ Rn. 102). So führt beispielsweise allein eine formularmäßige Aufforderung an den Unterzeichner, den Inhalt einer Formularerklärung durch Streichung einzelner Teile zu verändern, nicht zu der Annahme eines Aushandelns (BGH, NJW 1987, 2011). Auch die Aufforderung in einem Anschreiben, „Anmerkungen oder Änderungswünsche“ mitzuteilen, genügt für sich genommen noch nicht, um davon auszugehen, dass tatsächlich die Gelegenheit eingeräumt wurde, eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlung einzubringen (BGH, NJW 2016, 1230 Rn. 30 – Vertragsstrafe). In aller Regel muss sich die Bereitschaft zur Änderung in erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes niederschlagen, es sei denn, es bleibt erst nach gründlicher Erörterung bei dem vorformulierten Text (BGH, NJW 1998, 2600, 2601; NJW 2013, 2027 Rn. 20; NJW 2015, 1952 Rn. 33).

(2) Vorliegend ergibt sich aus dem klägerischen Anschreiben keine Bereitschaft, den Inhalt der Unterlassungserklärung ganz oder teilweise ernsthaft zur Disposition zu stellen. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Klägerin die seitens der Beklagten vorgenommenen Änderungen akzeptiert hat.

Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang die Feststellung getroffen, dass die Beklagte in der Vertragsstrafeklausel die Formulierung „für jeden Fall der Nichteinhaltung“ in „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ abgeändert habe. An diese Feststellung ist der Senat allerdings nicht gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Denn wie eingangs erläutert haben sich die A und die Beklagte allein auf der Grundlage einer englischsprachigen Unterlassungserklärung geeinigt. Sowohl in dem an die Beklagten ausgehändigten Exemplar als auch in der von der Beklagten unterzeichneten Erklärung findet sich jeweils übereinstimmend die Formulierung „for each case of non-compliance“. Eine Anpassung der Formulierung seitens der Beklagten hat es daher nicht gegeben. Vielmehr wurde in den später angefertigten Übersetzungen der Begriff „non-compliance“ unterschiedlich in die deutsche Sprache übersetzt, einmal als „Nichteinhaltung“ und einmal als „Zuwiderhandlung“. Da aber an der eigentlichen Vertragsstrafeklausel im englischsprachigen Original („Upon pain of a contractual penalty of € 10.000.00 (ten thousand EUR) for each case of non-compliance - excluding the application of the continuation-of-offence clause - to refrain from”) keine Änderung vorgenommen wurde, kann hierauf ein „Aushandeln“ nicht gestützt werden.

Im Übrigen könnte selbst bei Vorliegen einer solchen Formulierungsänderung hieraus kein Rückschluss auf eine Dispositionsbereitschaft gezogen werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verliert eine Klausel selbst bei Änderungen des Textes ihren Charakter als Allgemeine Geschäftsbedingung nur dann, wenn die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgt, die es rechtfertigt, sie wie eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das ist nicht der Fall, wenn der gesetzesfremde Kerngehalt der Klausel beibehalten und die nachteilige Wirkung der Klausel lediglich abgeschwächt wurde (BGH, NJW 2015, 1952 Rn. 33). Vorliegend wäre mit der Formulierungsänderung aber keine Verbesserung der Rechtsposition der Beklagten einhergegangen. Aufgrund des in der Sache unveränderten Kerngehalts der Klausel hätte auch in diesem Fall nicht davon ausgegangen werden können, dass der Kerngehalt der Klausel seitens der Verwenderin ernsthaft zur Disposition gestellt wurde.

(3) Auch die Ergänzung in Form eines Einleitungssatzes lässt nicht den Rückschluss zu, dass die A die Vertragsstrafeklausel zur Disposition gestellt hat und insoweit von einer ausgehandelten Individualvereinbarung auszugehen ist. Das angegriffene Urteil enthält hierzu die Feststellung, dass der Unterlassungserklärung seitens der Beklagten der Einleitungssatz „for mere economical reasons and in order-to provide for a fast settlement of the matter, without prejudice, however, legally binding“ (deutsche Übersetzung: aus rein wirtschaftlichen Gründen und um eine schnelle Einigung in der Angelegenheit zu erzielen, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, jedoch rechtsverbindlich) vorangestellt wurde.

Die Formulierung des Vertragsstrafeklausel wurde durch diese Ergänzung allerdings nicht abgeändert. Dies ist deshalb von Belang, da es nicht darauf ankommt, ob die vom Verwender gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen an irgendeiner Stelle abgeändert oder ergänzt wurden, um von einem Aushandeln auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Klausel vielmehr auch dann nicht ausgehandelt, wenn nach Verhandlungen über verschiedene andere Teilaspekte eines Vertrags nur dort Vertragsbedingungen geändert worden sind, nicht aber an der streitbefangenen Klausel (BGH NJW 2019, 2080 Rn. 15). Zwar mögen die Vertragspartner bei solchen Verhandlungen jeweils für sich ihre wirtschaftliche Position als einheitliches Paket beurteilt haben. Das rechtfertigt es aber nicht, eine vom Verwender gestellte, konkret nicht verhandelte und unverändert in den Vertrag übernommene Vertragsbedingung als ausgehandelt anzusehen. Denn das Aushandeln muss sich nach dem Gesetzeswortlaut jeweils auf bestimmte Vertragsbedingungen beziehen („im Einzelnen“) und führt nur in diesem Umfang („soweit“) zur Nichtanwendung der §§ 305 ff. BGB (BGH, a.a.O.). Selbst in einem überwiegend als Individualvereinbarung ausgestalteten Vertrag können daher formularmäßige Einzelabreden als Allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen sein (BGH, NJW 1979, 2387; BGH NJW 1997, 135). Daher ist grundsätzlich für jede einzelne Klausel festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB gegeben sind oder nicht (MüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305 Rn. 46).

Die Ergänzung in Gestalt des Einleitungssatzes hat im Übrigen auch nur einen deklaratorischen Charakter (Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. C Rn. 91), da in der strafbewehrten Unterlassungserklärung selbst keine Anerkennung der Berechtigung der Abmahnung liegt, sondern diese allein die Funktion hat, mit Wirkung für die Zukunft die Wiederholungsgefahr zu beseitigen (BGH, GRUR 2013, 1252 Rn. 10 – Medizinische Fußpflege). Somit ist der Erklärungsinhalt dieser Ergänzung schon nicht in der Lage, den Inhalt der nachfolgenden vertragsstrafebewehrten Unterlassungserklärung abzuschwächen, so dass die Akzeptanz der Ergänzung seitens der A nicht ihre Bereitschaft belegen kann, den wesentlichen Inhalt der von ihr vorgegebenen Vertragsstrafeklausel zur Disposition zu stellen.

(4) Die umfangreichen Streichungen der Beklagten in Bezug auf andere Vertragsklauseln führen ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.

Aus dem unstreitigen Vortrag der Parteien ergibt sich, dass die Beklagte große Teile aus der vorformulierten Unterlassungserklärung herausgestrichen hat, nämlich in Gestalt der Klauseln zur Rechnungslegung (Ziff. I.2, II.5), zur Entschädigung (Ziff. I.3. II.6), zur Vernichtung (Ziff. III), zur Tragung anwaltlicher Kosten (Ziff. IV) und der Gerichtsstandsvereinbarung (Ziff. V). Im Ergebnis hat sie damit nur die mit einer Vertragsstrafeandrohung versehene Unterlassungsverpflichtung übernommen.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Abänderung eines Klauselwerkes an mehreren zentralen Punkten im Einzelfall darauf hindeuten, dass die Parteien alle sachlich damit zusammenhängenden Bedingungen in ihren Gestaltungswillen aufgenommen und damit das ganze Klauselwerk ausgehandelt haben (BGH, NJW 2013, 2027 Rn. 20). Dagegen spricht vorliegend aber schon, dass die Klausel zur vertragsstrafebewehrten Unterlassung als namensgebender Kern einer Unterlassungserklärung inhaltlich unverändert übernommen wurde. Es erscheint auch fernliegend, dass die A in diesem Kernbereich Streichungen gleichermaßen akzeptiert hätte. Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH, NJW 2013, 2027), in dem sich die Parteien mehrfach über den Inhalt eines möglichen vertraglichen Wettbewerbsverbots austauschten, sich wechselseitig entsprechende Entwürfe unterbreiteten und zu den Entwürfen der Gegenseite Stellung nahmen, kann vorliegend auch keine gründliche Erörterung festgestellt werden. Eine einseitig vorgenommene Streichung von Klauseln ist keine gründliche Erörterung, so dass deren Akzeptanz kein Aushandeln im Hinblick auf die unverändert gebliebene Vertragsstrafeklausel nahelegt.

4. Die Vertragsstrafenabrede benachteiligt die Beklagte unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB und ist daher unwirksam.

a) Vertragsstrafenabreden im kaufmännischen Verkehr fallen zwar gemäß § 310 Abs. 1 BGB nicht unter § 309 Nr. 6 BGB, sie unterliegen aber gleichwohl der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 12).

Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung liegt dann vor, wenn der Verwender mit der Klausel missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne die Interessen des Vertragspartners von vornherein hinreichend zu berücksichtigen. Dabei ist ein generalisierender, überindividueller Prüfungsmaßstab und eine von den Besonderheiten des Einzelfalls losgelöste typisierende Betrachtungsweise zu Grunde zu legen (vgl. z. B. BGH, GRUR 2014, 595 Rn. 13).

§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB bestimmt, dass im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. „Wesentliche Grundgedanken“ des dispositiven Rechts sind solche, denen eine Leitbildfunktion zukommt und die eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellen (BGH, NJW-RR 2019, 1072 Rn. 26). „Gesetzliche Regelungen" sind nicht nur die Gesetzesbestimmungen selbst, sondern auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze, die Regeln des Richterrechts oder die aufgrund ergänzender Auslegung nach den §§ 157, 242 BGB und aus der Natur des jeweiligen Schuldverhältnisses zu entnehmenden Rechte und Pflichten (BGH, NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang; NJW 1998, 1640, 1642).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend die Vertragsstrafeklausel wegen ihres ausnahmslosen Ausschlusses des Zusammenfassens von einzelnen Verstößen als unangemessen benachteiligend einzustufen, da sie von einem wesentlichen gesetzlichen Grundgedanken abweicht, ohne dass dies wegen besonderer Umstände gerechtfertigt wäre.

Dabei kommt es zunächst nicht darauf an, dass der in der Klausel enthaltene Einschub „excluding the application of the continuation-of-offence clause“ (deutsche Übersetzung: unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs) einen im Zusammenhang mit Vertragsstrafenabreden veralteten – wenn gleichwohl in der Vertragspraxis weiterhin verwendeten (vgl. z. B. Kummermehr, in; Kroiß (Hrsg.)/Kröger u.a., FormularBibliothek Zivilprozess – Schuldrecht, 4. Aufl. 2022, Teil 4 Rn. 196; Meyer-Sparenberg, in: BeckFormB BHW, 14. Aufl. 2022, Form. II.11) – Rechtsbegriff verwendet und dieser bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahr 2014 überholt war. Der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahr 2001 (vgl. BGH, NJW 2001, 2622 – Trainingsvertrag) seine bisherige Auffassung aufgegeben, wonach die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs im Zivilrecht einen vom Strafrecht losgelösten Bedeutungsgehalt gewonnen hat (so noch BGH, NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang). Ein bürgerlich-rechtlicher Rechtsbegriff der Fortsetzungstat könne im Recht der Vertragsstrafe nicht mehr anerkannt werden. Es müsse vielmehr durch Auslegung ermittelt werden, ob einzelne Taten, soweit sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Vertrags als rechtliche Einheit darstellten, als eine Zuwiderhandlung zu behandeln seien (BGH, NJW 2001, 2622, 2624 – Trainingsvertrag).

Die Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs hat seitdem (auch) im Bereich des Vertragsstrafenrechts keine Bedeutung mehr (Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. C Rn. 113). Dies hat zur Folge, dass nun durch Auslegung ermittelt werden muss, ob einzelne Taten, soweit sie sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Vertrags als rechtliche Einheit darstellen, als eine Zuwiderhandlung zu behandeln sind. Diese unterschiedliche Betrachtung ändert allerdings nichts daran, dass die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise mehrfache Verstöße gegen eine Unterlassungsverpflichtung zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen sind, wegen des typischen Charakters von Unterlassungsverträgen regelmäßig nach denselben Grundsätzen zu beurteilen sind (BGH, NJW 2001, 2622, 2624 – Trainingsvertrag).

Wird in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein nach der heutigen Rechtslage nicht mehr gebräuchlicher Rechtsbegriff verwendet, so ist – entsprechend den allgemeinen Auslegungsregeln – nach einem objektivierten Empfängerhorizont zu ermitteln, was unter diesem Begriff im Zusammenhang heutiger Verhältnisse und geltender Rechtslage verstanden werden kann (OLG Brandenburg, BeckRS 2021, 5601 Rn. 27). Losgelöst von der konkreten Begrifflichkeit kann es vorliegend keine Zweifel geben, dass durch die Klausel ein Zusammenfassen von Einzelverstößen und damit eine „Vergünstigung“ bei Mehrfachverstößen ausgeschlossen werden soll, wie sie – bei alleiniger Verwendung der Formulierung „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ – ansonsten im Wege der Auslegung in Betracht zu ziehen wäre (vgl. hierzu BGH, GRUR 2015, 1021 Rn. 29 – Kopfhörer-Kennzeichnung).

Ungeachtet der Tatsache, dass Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage, ob einzelne Verstöße zusammenzufassen sind, nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichthofs die Vereinbarung der Parteien ist, entspricht es nach wie vor einem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass je nach Einzelfall mehrere Einzelakte zu einer rechtlichen Einheit zusammenzufassen sind und die Strafe nur einmal auslösen, wenn sie eine natürliche Handlungseinheit bilden (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 2332). Daher muss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch geeignete Formulierungen sichergestellt werden, dass durch die Aufsummierung rechtlich zusammengehöriger Einzelstrafen keine unangemessene Gesamtstrafhöhe entsteht (BeckOK BGB/Becker, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 309 Nr. 6 Rn. 28). Schließt eine Klausel hingegen eine Behandlung mehrerer Zuwiderhandlungen als Einheit kategorisch aus, z. B. durch ein Verbot der Anwendung des Fortsetzungszusammenhangs, so verletzt sie diesen Grundgedanken und stellt in der Regel eine unangemessene Benachteiligung des Schuldners dar (BGH, NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang; OLG Frankfurt, GRUR-RR 2022, 556 Rn. 22 – VENOM; OLG Köln, Beschl. v. 15. Juni 2010 – 19 U 53/10 –, Rn. 4, juris; OLG Nürnberg, MDR 2023, 1262, 1263; BeckOGK/Kähler, 1.4.2023, BGB § 307 Vertragsstrafeklausel Rn. 209; Graf v. Westphalen/Thüsing VertrR/AGB-Klauselwerke, Stand: März 2023, Teil „Vertragsrecht“, Stichwort „Vertragsstrafe“ Rn. 35; Pitz, in: BeckOF Prozess, 56. Ed. 2023, Form. 9.1.1.3 Anm. Rn. 1; offengelassen von: BGH, NJW 2017, 3145 Rn. 22, Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 15. Aufl. 2023, Kap. C Rn. 94 a.E.).

So liegt der Fall auch hier. Die Vertragsstrafeklausel benachteiligt den Schuldner durch den Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs unangemessen. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Abweichung vom Rechtsgrundsatz der Zusammenfassung bei natürlicher Handlungseinheit ausnahmsweise rechtfertigen könnten, z. B. in Form einer aus bestimmten Gründen gegebenen Notwendigkeit oder besonderer Interessen der Gläubigerseite (vgl. hierzu BGH, NJW 1993, 721, 722 – Fortsetzungszusammenhang). Insbesondere ist nicht erkennbar, dass sich in den letzten 30 Jahren seit der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, a.a.O.) in der Praxis die Verwendung von Klauseln, die eine Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung ohne einen entsprechenden Ausschluss vorsehen, aus Gläubigersicht als unzureichend erwiesen hätte.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass auch der Unterlassungsschuldner ein Interesse an der Wirksamkeit einer solchen Vertragsstrafeklausel habe, da bei der Annahme einer unangemessenen Benachteiligung und der damit einhergehenden Unwirksamkeit der Vertragsstrafeklausel die Wiederholungsgefahr wiederauflebe, so verfängt dies nicht. So überzeugt bereits die Argumentation nicht, dass ein Unterlassungsschuldner stets eine ihn ungemessen benachteiligende Vertragsstrafeklausel hinnehmen wolle, um (weiterhin) die Wiederholungsgefahr beseitigt zu sehen. Denn er hat es in der Hand, diese Wirkung durch die Abgabe einer eigenen strafbewehrten Unterlassungserklärung, die zur Beseitigung der Wiederholungsgefahr keiner Annahme durch den Gläubiger bedarf (BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 21 – Testfundstelle), wiederherzustellen.

Der Senat setzt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht in einen Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Lauterkeitsrecht. In der von der Klägerin angeführten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mitnichten seine Rechtsprechung zur unangemessenen Benachteiligung von Klauseln, die den Fortsetzungszusammenhang ausschließen (BGH, NJW 1993, 721 – Fortsetzungszusammenhang), aufgegeben. Er hat dort allein darauf verwiesen, dass in dem zu entscheidenden Fall die Verneinung eines Missbrauchs im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG a.F. nicht deshalb anders zu beurteilen sei, weil der Gläubiger des Unterlassungsanspruchs in einer dem Abmahnschreiben beigefügten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung einen Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs vorgesehen hatte (vgl. BGH, GRUR 2012, 286 – falsche Suchrubrik). Eine (stillschweigende) Billigung dieser Klauseln unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung kann hieraus nicht hergeleitet werden. Vielmehr führt die Verwendung dieser Klauseln nicht (zugleich) auch zwangsläufig zu der Annahme einer missbräuchlichen Rechtsdurchsetzung im Sinne des Lauterkeitsrechts.

Soweit die Klägerin – ebenfalls unter Bezugnahme auf das Lauterkeitsrecht – auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Nürnberg (MDR 2023, 1262=GRUR-RS 2023, 18853) verweist, so verkennt sie, dass sich dieses in der von der Klägerin zitierten Passage (GRUR-RS 2023, 18853 Rn. 36) allein mit der Frage einer Zulässigkeit des Ausschlusses des Fortsetzungszusammenhangs im Rahmen einer Individualvereinbarung befasst. Dahingegen wird eine Randnummer zuvor zutreffend darauf hingewiesen, dass „in allgemeinen Geschäftsbedingungen […] eine Vertragsklausel, nach der eine Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelverstößen von vornherein ausgeschlossen wird, nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich unwirksam“ ist (OLG Nürnberg, a.a.O., Rn. 35).

c) Das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung führt gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zur Unwirksamkeit der Bestimmung. Dies hat vorliegend zur Folge, dass die gesamte Vertragsstrafeklausel als unwirksam anzusehen ist.

Aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion scheidet es insbesondere aus, die Klausel durch die Streichung des Einschubes zum Fortsetzungszusammenhang auf ein zulässiges Maß zurückzuführen (so auch OLG Frankfurt, GRUR-RR 2022, 556 Rn. 22 – VENOM; OLG Köln, Beschl. v. 15. Juni 2010 – 19 U 53/10 –, Rn. 5, juris). Zu Unrecht verweist die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf, dass der Bundesgerichtshof dies in seiner Entscheidung „Fortsetzungszusammenhang“ (BGH, NJW 1993, 721) abweichend beurteilt habe. Denn dort musste sich der Bundesgerichtshof mit dieser Frage nicht befassen, da schon die Bejahung der Unwirksamkeit der Ausschlussklausel zu einer Aufrechterhaltung des Urteils der Berufungsinstanz führte, die die Klausel nur einschränkend ausgelegt hatte und deshalb zur Abweisung weiterer Ansprüche der (Revisions-)Klägerin gelangt war.

Die Klausel ist auch nicht aufteilbar im Sinne eines „blue-pencil-tests“. Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob sich die eigentliche Vertragsstrafenabrede aus Ziffer 1 der Unterlassungserklärung herauslösen ließe, so dass mit der – dann nicht mehr strafbewehrten – Verpflichtung zum Unterlassen ein zulässiger Teil verbliebe. Denn die Vertragsstrafenabrede an sich, von deren Wirksamkeit der Klageerfolg abhängt, ist jedenfalls nicht teilbar im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs. Hierfür wäre Voraussetzung, dass sich in einer Klausel mehrere inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen finden, die Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein können (BGH, NJW 2020, 1811 Rn. 26). Dies könnte zwar gegebenenfalls für die Verpflichtung zur Unterlassung einerseits und für die Vertragsstrafenabrede andererseits zu bejahen sein. Der Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs innerhalb der Vertragsstrafeklausel stellt hingegen keine eigenständige Regelung dar, die Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein könnte, sondern bestimmt allein und von dieser abhängig die Reichweite der Vertragsstrafe (so auch OLG Frankfurt, und OLG Köln a.a.O.). Ein Herausstreichen würde damit kein Aufteilen zweier zusammengefasster selbständiger Regelungen in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil darstellen, sondern wäre eine unzulässige geltungserhaltene Reduktion.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Sittenwidrigkeit wegen unangemessener Vergütung bei Vertrag über Komposition und Produktion von Musik für Fernsehserie - Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend

BGH
Urteil vom 21.04.2022
I ZR 214/20
Dr. Stefan Frank
BGB § 138 Abs. 1 und 2, § 307 Abs. 3 Satz ; AGBG § 8; UrhG § 31 Abs. 5


Der BGH hat entschieden, dass hinsichtlich der Sittenwidrigkeit wegen unangemessener Vergütung bei einem Vertrag über Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie der Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidend ist.

Leitsätze des BGH:
a) Für die Beurteilung, ob Verträge über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik und deren Verlag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht.

b) Die in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen in einem Vertrag über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik vorgesehene Verpflichtung zum Abschluss eines Verlagsvertrags unterliegt nach § 8 AGBG aF (jetzt: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) als privatautonome Gestaltung des vertraglichen Leistungsprogramms nicht der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle.

BGH, Urteil vom 21. April 2022 - I ZR 214/20 - OLG Düsseldorf - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen kann auch auf eine Bildungseinrichtung anwendbar sein

EuGH
Urteil vom 17.05.2018
C-147/16
Karel de Grote – Hogeschool VZW ./. Susan Romy Jozef Kuijpers


Der EuGH hat entschieden, dass die Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auch auf eine Bildungseinrichtung anwendbar sein kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Die Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen kann auf eine Bildungseinrichtung anwendbar sein

Das nationale Gericht muss von Amts wegen die Missbräuchlichkeit von Klauseln in von der Richtlinie erfassten Verträgen zwischen Bildungseinrichtungen und Studierenden prüfen.

Frau Susan Kuijpers war während der akademischen Jahre 2012/2013 und 2013/2014 Studierende an einer Bildungseinrichtung in Belgien (Karel de Grote – Hogeschool). Sie konnte den Gesamtbetrag von 1 546 Euro, den sie als Studiengebühren und als Beitrag für eine Studienreise schuldete, nicht auf einmal begleichen. Sie schloss daher mit der Bildungseinrichtung einen schriftlichen Vertrag über ein zinsloses Teilzahlungsdarlehen ab. Gemäß diesem Vertrag erhielt sie vom Dienst „Studierendenförderung“ der Bildungseinrichtung den zur Schuldbegleichung benötigten Betrag. Sie hatte für die Dauer von sieben Monaten jeweils 200 Euro monatlich an den Dienst zu entrichten. Der Restbetrag (146 Euro) war bis zum 25. September 2014 zu zahlen. Zudem sah der Vertrag bei Nichtzahlung Zinsen in Höhe von 10 % jährlich (ohne dass es einer Mahnung bedurfte) und eine Entschädigung zur Deckung der Beitreibungskosten (in Höhe von 10 % der Restschuld, mindestens aber 100 Euro) vor. Auch nachdem Frau Kuijpers ein förmliches Aufforderungsschreiben erhalten hatte, leistete sie keine Zahlung.

Im Jahr 2015 erhob die Bildungseinrichtung beim Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen, Belgien) Klage gegen Frau Kuijpers auf Zahlung der Hauptforderung in Höhe von 1 546 Euro nebst Verzugszinsen von 10 % ab dem 25. Februar 2014 (entspricht 269,81 Euro) und Kostenersatz in Höhe von 154,60 Euro. Vor diesem Gericht erschien Frau Kuijpers weder persönlich, noch ließ sie sich vertreten.

In diesem Zusammenhang hat das belgische Gericht beschlossen, den Gerichtshof zu befragen. Es möchte zunächst wissen, ob es im Rahmen eines Versäumnisverfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob auf den Vertrag die Unionsrichtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anwendbar ist. Sodann möchte es wissen, ob eine Bildungseinrichtung, die im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, als ein „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie anzusehen ist, wenn sie Studierenden ein Teilzahlungsdarlehen gewährt.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst auf seine Rechtsprechung hin, nach der ein nationales Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel prüfen muss. Diese Pflicht bedeutet auch, dass das nationale Gericht prüfen muss, ob der Vertrag, der die Klausel enthält, in den Anwendungsbereich der Unionsrichtlinie fällt.

Was sodann den Begriff „Gewerbetreibender“ anbelangt, weist der Gerichtshof auf die Absicht des Unionsgesetzgebers hin, diesen Begriff weit zu fassen. Es handelt sich nämlich um einen funktionalen Begriff, d. h. es ist zu beurteilen, ob die Vertragsbeziehung innerhalb der Tätigkeiten liegt, die eine Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt.

Außerdem scheint es, dass die Rechtssache nicht unmittelbar den Lehrauftrag der fraglichen bildungseinrichtung betrifft. Es geht vielmehr um eine Leistung, die diese Einrichtung neben und in Ergänzung zu ihrer Lehrtätigkeit erbringt und die darin besteht, einer Studierenden vertraglich die zinslose Teilzahlung geschuldeter Beträge anzubieten. Eine solche Leistung läuft jedoch naturgemäß darauf hinaus, die Zahlung einer bestehenden Schuld zu erleichtern, und stellt grundsätzlich einen Darlehensvertrag dar. Vorbehaltlich der Überprüfung dieses Anhaltspunkts durch das nationale Gericht geht der Gerichtshof daher davon aus, dass die Bildungseinrichtung als „Gewerbetreibender“ im Sinne der Richtlinie handelt, wenn sie eine solche ihre Lehrtätigkeit ergänzende Nebenleistung erbringt.

Gestützt wird diese Auslegung durch den Schutzzweck der Richtlinie. Im Rahmen eines Vertrags herrscht nämlich grundsätzlich eine Ungleichheit zwischen der Bildungseinrichtung und der Studierenden, die sich aus der Asymmetrie ergibt, die zwischen diesen Parteien im Bereich der Information und der technischen Fähigkeiten besteht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




BGH: Stellen von Vertragsbedingungen auch dann wenn Vertragsteil mit der Bitte um Anmerkungen oder Änderungswünsche übersandt wird

BGH
Urteil vom 20.01.2016
VIII ZR 26/15

Leitsätze des BGH:


BGB § 305 Abs. 1 Satz 1
Ein Stellen von Vertragsbedingungen liegt nicht vor, wenn die Einbeziehung vorformulierter Vertragsbedingungen in einen Vertrag auf einer freien Entscheidung desjenigen beruht, der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird. Dazu ist es erforderlich, dass er in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 17. Februar 2010 - VIII ZR 67/09, BGHZ 184, 259). Danach
entfällt ein Stellen von Vertragsbedingungen nicht bereits dann, wenn die vorformulierten Vertragsbedingungen dem anderen Vertragsteil mit der Bitte übersandt werden, Anmerkungen oder Änderungswünsche mitzuteilen.

BGB § 307 Abs. 1 Satz 1
Eine Vertragsstrafenvereinbarung in einem Formularvertrag über die Lieferung von
Arzneimitteln, die für Vertragsverletzungen von erheblich unterschiedlichem Gewicht
ein und denselben Betrag vorsieht, ist nur wirksam, wenn dieser auch angesichts des
typischerweise geringsten Vertragsverstoßes noch angemessen ist (Fortführung von
BGH, Urteil vom 7. Mai 1997 - VIII ZR 349/96, NJW 1997, 3233).

BGH, Urteil vom 20. Januar 2016 - VIII ZR 26/15 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: