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BVerfG: Bestätigung der Rechtsprechung zur prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren im Äußerungsrecht - Antragsgegner muss angehört werden

BVerfG
Beschluss vom 03. Juni 2020
1 BvR 1246/20


Das Bundesverfassungsgericht hat sein Rechtsprechung zur prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Verfügungsverfahren im Äußerungsrecht bestätigt. Der Antragsgegner muss vor Erlass einer einstweiligen Verfügung regelmäßig angehört werden.

(siehe dazu auch BVerfG: Vor Erlass einer einstweiligen Verfügung im Bereich Presserecht bzw Äußerungsrecht muss Antragsgegner vorab regelmäßig rechtliches Gehör gewährt werden )

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Bestätigung der Anforderungen der prozessualen Waffengleichheit in äußerungsrechtlichen Eilverfahren

Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichter einstweiliger Anordnung eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin außer Kraft gesetzt, die den Beschwerdeführer ohne vorherige Anhörung zur Unterlassung einer Äußerung verpflichtet hatte.

Die Kammer bekräftigt mit der Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den grundrechtlichen Anforderungen, die sich aus der prozessualen Waffengleichheit in einstweiligen Verfügungsverfahren ergeben (vergleiche Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17). Sie hat erneut klargestellt, dass eine Einbeziehung der Gegenseite in das einstweilige Verfügungsverfahren grundsätzlich auch dann erforderlich ist, wenn wegen besonderer Dringlichkeit eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen darf. Zudem hat sie bekräftigt, dass eine prozessuale Einbeziehung der Gegenseite nur dann gleichwertig durch eine vorprozessuale Abmahnung ersetzt werden kann, wenn Abmahnung und Verfügungsantrag identisch sind. Wenn der Verfügungsantrag auf das vorprozessuale Erwiderungsschreiben argumentativ repliziert, neue Anträge enthält oder nachträglich ergänzt oder klargestellt wird, ist das nicht der Fall.

Diesen Anforderungen wird das dem angegriffenen Beschluss vorausgehende Verfahren vor dem Landgericht Berlin offenkundig nicht gerecht.

Sachverhalt:

Das zugrundeliegende Verfahren betrifft einen Streit zwischen zwei Polizeigewerkschaften um eine Äußerung im Rahmen der Vorbereitung der Personalratswahlen bei der Bundespolizei. Zwischen den Gewerkschaften bestand Streit um die Möglichkeiten und Tunlichkeit der für den Monat Mai vorgesehenen und tatsächlich durchgeführten Wahlen trotz der zu diesem Zeitpunkt ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Im Zuge der Auseinandersetzung veröffentlichte der Beschwerdeführer auf seiner Homepage eine Meldung unter der Überschrift „Ohne Rücksicht auf Verluste – DPolG und BdK fassungslos! GdP-geführter Hauptwahlvorstand hält am Wahltermin fest und vergibt große Chance!“. Wegen dieser Meldung mahnte die Antragstellerin des Verfügungsverfahrens den Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schreiben ab. Es handele sich um falsche Tatsachenbehauptungen, da eine Verschiebung der Wahl rechtlich nicht zulässig gewesen sei und auch der Wahlvorstand nicht allein von der GdP geführt werde. Der Beschwerdeführer wies dieses Unterlassungsbegehren anwaltlich vertreten zurück und hinterlegte eine Schutzschrift beim allgemeinen elektronischen Register. Bezüglich etwaigen weiteren Vorbringens der Antragstellerin wies er vorsorglich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, wonach er in einem einstweiligen Verfügungsverfahren aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit anzuhören wäre.

Mitte April stellte die Gegenseite beim Landgericht Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dieser Antrag war im Vergleich zur Abmahnung ausgebaut, ging teilweise auf Argumente aus der vorprozessualen Erwiderung ein und wurde nachträglich durch einen Hilfsantrag ergänzt. Ende April erließ das Landgericht ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers die Verfügung, die den ursprünglich gestellten Antrag zurückwies und dem Hilfsantrag in Teilen stattgab. Auf den Widerspruch des Beschwerdeführers hin bestimmte das Landgericht Ende Mai Termin zur mündlichen Verhandlung auf Anfang Juli dieses Jahres.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Angesichts der Klärung aller entscheidungswesentlichen Fragen durch den Beschluss der Kammer aus dem vorvergangenen Jahr (Verfahren 1 BvR 1783/17) sind die Erfolgsaussichten der zugleich erhobenen Verfassungsbeschwerde offenkundig, sodass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.

1. Nach den bereits im Verfahren 1 BvR 1783/17 klargestellten Grundsätzen sichert die prozessuale Waffengleichheit als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien. Das Gericht muss den Parteien die Möglichkeit einräumen, alles für seine Entscheidung Erhebliche vorzutragen und zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderliche Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG. Danach ist in gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende Entscheidung Einfluss zu nehmen. Entbehrlich ist eine vorherige Anhörung nur in Ausnahmefällen, wenn eine Anhörung den Zweck der einstweiligen Verfügung vereiteln würde.

Die gerichtliche Pflicht zur Anhörung und Einbeziehung der Gegenseite ist zu unterscheiden von der Frage, ob über den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß § 937 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Selbst wenn eine Verfügung ohne mündliche Verhandlung ergehen darf, berechtigt das noch nicht dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag aus dem Verfahren herauszuhalten. Eine stattgebende Entscheidung kommt vielmehr grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite die Möglichkeit hatte, auf sämtliches mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern.

Hierbei können allerdings die Möglichkeiten einbezogen werden, die es der Gegenseite erlauben, sich vorprozessual zu einem Unterlassungsbegehren zu äußern. Dann muss allerdings sichergestellt sein, dass solche Äußerungen dem Gericht vollständig vorliegen. Zudem müssen die abgemahnte Äußerung und die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein. Wenn eine solche Kongruenz nicht gegeben ist, etwa weil die Argumentation ausgebaut oder auf die vorprozessuale Erwiderung repliziert wird, muss das Gericht der Gegenseite zwingend Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben. Die hierbei anzusetzenden Fristen können kurz bemessen sein. Unzulässig ist es jedoch, wegen solcher Verzögerungen gänzlich von einer Einbeziehung der Gegenseite abzusehen und sie stattdessen bis zum Zeitpunkt der auf einen Widerspruch hin anberaumten mündlichen Verhandlung mit einem einseitig erstrittenen gerichtlichen Unterlassungstitel zu belasten.

2. Nach diesen Maßstäben verletzt der Beschluss des Landgerichts Berlin den Beschwerdeführer offenkundig in seinem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers war die Gleichwertigkeit seiner prozessualen Stellung gegenüber der Verfahrensgegnerin nicht mehr gewährleistet. Zwar hatte diese den Beschwerdeführer außerprozessual abgemahnt und er darauf erwidert. Der gerichtliche Antragsschriftsatz reagierte jedoch auf verschiedene Einwände aus dem Erwiderungsschreiben und ging damit über die Abmahnung hinaus. Hinzu kommt, dass die ursprüngliche Antragsbegründung – auch unabhängig von den naturgemäß unterschiedlichen Anforderungen an ein anwaltliches Schreiben im Vergleich zu einem Verfahrensschriftsatz – wesentlich umfassender und differenzierter war als das Abmahnschreiben. Die gebotene Kongruenz des der Entscheidung zugrundeliegenden Antrags zur vorprozessualen Abmahnung war damit ersichtlich nicht gegeben. Erst recht gilt dies infolge der zwischenzeitlichen Modifikation des Unterlassungsbegehrens durch den Hilfsantrag.

Schließlich hätte in Fällen einer ausnahmsweise ohne Einbeziehung der Gegenseite erlassenen einstweiligen Verfügung im Gegenzug jedenfalls eine besondere Obliegenheit bestanden, die mündliche Verhandlung zeitnah anzuberaumen. Auch dem ist das Landgericht durch die Anberaumung auf den Monat Juli nicht gerecht geworden.

Die konkrete Art der Verfahrensführung ist auch unter dem Gesichtspunkt allgemein erschwerten Geschäftsgangs aufgrund von Corona-Eindämmungsmaßnahmen nicht zu rechtfertigen. Die Möglichkeit zu einer Gehörsgewährung war zu keinem Zeitpunkt derart reduziert, dass dies ein Abgehen von den grundlegenden gerichtlichen Verfahrenspflichten hätte rechtfertigen können.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BVerfG: Vor Erlass einer einstweiligen Verfügung im Bereich Presserecht bzw Äußerungsrecht muss Antragsgegner vorab regelmäßig rechtliches Gehör gewährt werden

BVerfG
Beschluss vom 30.09.2018
1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass vor Erlass einer einstweiligen Verfügung im Bereich Presserecht bzw Äußerungsrecht dem Antragsgegner vorab regelmäßig rechtliches Gehör gewährt werden muss.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung der prozessualen Waffengleichheit in Pressesachen

Aus dem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit folgt, dass ein Gericht im Presse- und Äußerungsrecht grundsätzlich vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag einer Partei der Gegenseite Recht auf Gehör gewähren muss. Auch wenn Pressesachen häufig eilig sind, folgt hieraus kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs oder eines Gegendarstellungsrechts dem Antragsgegner verborgen bleibt. Regelmäßig besteht kein Grund, von seiner Anhörung vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen. Mit dieser Begründung hat die 3. Kammer des Ersten Senats mit heute veröffentlichten Beschlüssen zwei Verfassungsbeschwerden wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 20 Abs. 3 GG stattgegeben und dabei klargestellt, dass es verfassungsrechtlich geboten ist, den Antragsgegner vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller. Insbesondere dürfen richterliche Hinweise nicht einseitig ergehen und müssen daher auch der Gegenseite unverzüglich gegeben werden.

Sachverhalt:

1. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 1783/17 betrifft eine Entscheidung des Landgerichts Köln, in der der Beschwerdeführerin die Unterlassung von Äußerungen aufgegeben wurde, ohne dass sie zuvor vorprozessual abgemahnt oder im gerichtlichen Verfahren angehört worden war. Die Beschwerdeführerin ist ein journalistisches Recherchenetzwerk und veröffentlichte auf ihrer Internetseite einen Artikel über den Verlauf einer Aufsichtsratsitzung eines Unternehmens, welche Korruptionsvorwürfe zum Inhalt hatte. Dieses Unternehmen beantragte beim Landgericht Köln den Erlass einer einstweilen Verfügung mit dem Inhalt, der Beschwerdeführerin aufzugeben, die Veröffentlichung der Protokolle ihrer Aufsichtsratssitzung zu unterlassen. Dem Antrag, von dem die Beschwerdeführerin zunächst nichts erfuhr, war keine Abmahnung der Beschwerdeführerin vorausgegangen. Das Landgericht Köln erließ die einstweilige Verfügung, ohne sie zu begründen oder die Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Von dem Inhalt des Verfügungsantrags und seiner Begründung erhielt die Beschwerdeführerin erst nach Zustellung und Akteneinsicht Kenntnis.

2. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2421/17 betrifft eine Entscheidung, mit der die Beschwerdeführerin, ein Presseverlag, zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet wurde, ohne dass über die Sache mündlich verhandelt oder ihr durch das Gericht Gehör gewährt wurde. Im Mai 2017 veröffentlichte ein von der Beschwerdeführerin herausgegebenes Magazin einen Artikel über einen Fernsehmoderator, inwieweit dieser als Eigentümer und Vermieter einer Yacht ein Steuersparmodell nutzt. Der Moderator (im Folgenden Antragsteller) machte daraufhin gegenüber der Beschwerdeführerin im Eilverfahren Gegendarstellungsansprüche geltend. Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg wies seine Anträge zurück. Die Beschwerdeführerin wusste weder von den Verfügungsanträgen noch wurden ihr die Zurückweisungen mitgeteilt. Auf den vierten Antrag des Antragstellers erging im Beschwerdeverfahren am 5. Oktober 2017 dann ein Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die Beschwerdeführerin zum Abdruck einer Gegendarstellung verpflichtet wurde. Dabei wurden dem Antragsteller wiederholt telefonisch rechtliche Hinweise erteilt, die der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis gebracht wurden. Die Beschwerdeführerin erfuhr mit der Zustellung des Beschlusses erstmals von dem gegen sie angestrengten Gerichtsverfahren.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

1. a) Aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit - der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter - folgt, dass ein Gericht im Presse- und Äußerungsrecht der Gegenseite vor einer stattgebenden Entscheidung über den Antrag einer Partei im Zivilrechtsstreit Recht auf Gehör gewähren muss. Auch wenn in Pressesachen häufig eine Eilbedürftigkeit anzuerkennen sein wird, folgt hieraus kein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs als solche der Gegenseite verborgen bleibt. Ebenso wenig gilt dies im Gegendarstellungsrecht. Jedenfalls in den Fällen, in denen es um eine bereits veröffentlichte Äußerung geht, besteht regelmäßig kein Grund, von einer Anhörung und Äußerungsmöglichkeit eines Antragsgegners vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung abzusehen.

b) Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, in welchen Fällen über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann. Für die Beurteilung, wann ein dringender Fall im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO vorliegt und damit auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, haben die Fachgerichte einen weiten Wertungsrahmen. Insbesondere dürfen sie davon ausgehen, dass das Presserecht von dem Erfordernis einer schnellen Reaktion geprägt ist, wenn es darum geht, gegen eine Berichterstattung vorzugehen. Dies gilt vor allem im Gegendarstellungsrecht, für welches das Bundesverfassungsgericht stets betont hat, dass es von einer grundsätzlichen Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Angesichts der durch das Internet ständig aktualisierten Online-Angebote und die sozialen Medien beschleunigten Möglichkeiten der Weiterverbreitung von Informationen kann es im Interesse effektiven Rechtsschutzes sogar geboten sein, Unterlassungs- ebenso wie Gegendarstellungsansprüchen in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Berichterstattung zur Geltung zu verhelfen.

Die Annahme einer Dringlichkeit setzt sowohl seitens des Antragstellers als auch seitens des Gerichts eine zügige Verfahrensführung voraus. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist nach der Entscheidung des Gesetzgebers nur in dem Maße gerechtfertigt, wie die Dringlichkeit es gebietet. Wenn sich im Verlauf des Verfahrens zeigt, dass eine unverzügliche Entscheidung nicht zeitnah ergehen muss oder kann, hat das Gericht Veranlassung, die Frage der Dringlichkeit erneut zu überdenken und gegebenenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und auf ihrer Grundlage zu entscheiden.

c) Über eine einstweilige Verfügung gegen Veröffentlichungen der Presse oder über den Abdruck einer Gegendarstellung wird deshalb nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden müssen. Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt demgegenüber aber nicht ohne weiteres dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag ganz aus dem Verfahren herauszuhalten. Nach dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit kommt eine stattgebende Entscheidung über den Verfügungsantrag vielmehr grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Gegenseite zuvor die Möglichkeit hatte, auf das mit dem Antrag geltend gemachte Vorbringen zu erwidern. Dabei kann nach Art und Zeitpunkt der Gehörsgewährung differenziert und auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt werden.

Danach ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn das Gericht in solchen Eilverfahren gegen Medienunternehmen auch vorprozessuale Möglichkeiten einbezieht, die es ihnen erlauben, sich zu dem Verfügungsantrag zu äußern. Hierfür kann auf die Möglichkeit zur Erwiderung gegenüber einer dem Verfügungsverfahren vorangehenden Abmahnung abgestellt werden.

Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen solche vorprozessuale Erwiderungsmöglichkeiten allerdings nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die Erwiderungen dem Gericht vorliegen. Der Verfügungsantrag hinsichtlich eines Unterlassungsbegehrens muss dafür in Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht werden, die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung müssen mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sein und der Antragsteller muss ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht einreichen. Im Gegendarstellungsrecht müssen sowohl das Abdruckverlangen als auch die Begründung für die begehrte Gegendarstellung identisch sein und muss der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht haben. Nur dann ist sichergestellt, dass der Antragsgegner hinreichend Gelegenheit hatte, sich zu dem Vorbringen des Antragstellers in gebotenem Umfang zu äußern.

Demgegenüber ist dem Antragsgegner prozessuales Gehör zu gewähren, wenn er nicht in der gehörigen Form abgemahnt wurde beziehungsweise wenn ihm das Abdruckverlangen nicht in der gehörigen Form zugeleitet wurde oder der Antrag vor Gericht in anderer Weise oder mit ergänzendem Vortrag begründet wird als in der Abmahnung beziehungsweise dem Abdruckverlangen. Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt. Alle Hinweise müssen, insbesondere sofern sie mündlich erteilt werden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden. Dies gilt insbesondere, wenn Rechtsauskünfte darauf zielen, einen Antrag nachzubessern, oder eine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten oder dem Vorliegen der Dringlichkeit nach § 937 Abs. 2 ZPO abgeben. Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies auch im Falle der Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen.

2. Diesen Grundsätzen genügen die angegriffenen Beschlüsse nicht.

a) Das Landgericht Köln hat über den Antrag auf einstweilige Verfügung nicht nur ohne mündliche Verhandlung entschieden, sondern auch ohne eine vorherige ordnungsgemäße Abmahnung durch die Antragstellerin und ohne eine Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren. Dadurch hatte die Beschwerdeführerin, die von dem gegen sie gerichteten Verfahren keine Kenntnis hatte, keine Möglichkeit, vor der Entscheidung des Gerichts ihre Sicht der Dinge darzulegen. Es ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass eine Überraschungsentscheidung erforderlich gewesen wäre, um das Rechtsschutzziel nicht zu gefährden.

b) Dass das Oberlandesgericht der Beschwerdeführerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, ist jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, als das Gericht dem Antrag auf Erlass der beantragten Verfügung auf Abdruck einer Gegendarstellung stattgab, ohne das vorprozessuale Erwiderungsschreiben der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen, dass ein Gegendarstellungsanspruch unberechtigt sei. Dies gilt erst recht für einen Verfahrensablauf, bei dem die Beschwerdeführerin in einem über vier Monate währenden Verfahren mit mehreren Anträgen zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, sich überhaupt zu äußern.

Auch einseitig erteilte Hinweise haben die prozessuale Waffengleichheit verletzt. Es ist nach dem Akteninhalt belegt, dass der Antragsteller nach einem Telefonat mit einem Richter seinen ersten Gegendarstellungsantrag zurücknahm, anschließend anpasste und nach erneuter Zurückweisung durch die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht stellte. In dem Schriftsatz teilte er der Pressekammer dazu die von ihm in Erfahrung gebrachte Rechtsauffassung des Pressesenats mit. Es ist schon zweifelhaft, ob solche Hinweise überhaupt mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit vereinbar sind. Jedenfalls aber verstößt es gegen diesen Grundsatz, dass diese der Beschwerdeführerin nicht unverzüglich mitgeteilt wurden und nicht erkennbar ist, was mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers besprochen wurde. Aktenvermerke wie „Bedenken erörtert“ genügen den Dokumentationsanforderungen nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:
Beschluss vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17