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BGH: EncroChat-Daten dürfen zur Aufklärung von Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis-Handel verwendet werden und unterliegen keinem Verwertungsverbot

BGH
Urteil vom 30.01.2025
5 StR 528/24


Der BGH hat entschieden, dass EncroChat-Daten zur Aufklärung von Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis-Handel verwendet werden dürfen und keinem Verwertungsverbot unterliegen.

Die Pressemitteilung des BGH:
Verwertung von "EncroChat"-Daten bei Cannabis-Handel möglich

Der in Leipzig ansässige 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft ein Urteil des Landgerichts Berlin I aufgehoben, soweit dieses den Angeklagten freigesprochen hat. Das Landgericht hatte den Angeklagten am 3. Mai 2024 unter Freispruch im Übrigen wegen drei Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Ecstasy-Tabletten und Kokain) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen handelte der Angeklagte mit diesen Betäubungsmitteln als Nutzer eines Kryptohandys des Anbieters "EncroChat". Der Freispruch betraf Anklagevorwürfe, wonach der Angeklagte in gleicher Weise mit großen Mengen an Cannabisprodukten im Jahr 2020 Handel getrieben haben soll. Die Vorwürfe wurden auf "EncroChat"-Daten zu Verkaufsgeschäften gestützt, die das Gericht in die Hauptverhandlung eingeführt hatte. Solche Daten waren 2020 in großem Umfang in Frankreich erhoben und auf der Grundlage einer Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) an deutsche Behörden weitergeleitet worden.

Die vorgeworfenen Taten waren bis zum Inkrafttreten des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als Verbrechen strafbar. Sie stellen jetzt nach § 34 Abs. 1 und 3 KCanG lediglich Vergehen dar, die milder bestraft werden können. Nach dem Grundsatz des Vorrangs milderen Rechts (§ 2 Abs. 3 StGB) ist deshalb in vor dem 1. April 2024 begangenen "Alt"-Fällen des Cannabishandels zumeist das neue Recht als milderes Recht anzuwenden.

Das Landgericht hat den Freispruch damit begründet, dass die "EncroChat"-Daten wegen der Gesetzesänderung nicht mehr als Beweismittel verwertbar seien, da wegen solcher Taten eine gravierende Ermittlungsmaßnahme wie eine Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) jetzt nicht mehr zulässig sei. In seiner Grundsatzentscheidung vom 2. März 2022 (5 StR 457/21, vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 38/2022 vom 25. März 2022) hatte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Verwertbarkeit der "EncroChat"-Daten bei einer Verurteilung wegen erheblichen Drogenhandels nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG u.a. damit begründet, dass dieser als besonders schwere Straftat im Katalog des § 100b Abs. 2 StPO enthalten sei. Dies ist bei Straftaten nach § 34 Abs. 1, 3 KCanG nicht mehr der Fall. Daraus hatten einige Oberlandesgerichte abgeleitet, die Daten seien nunmehr in Fällen des Cannabishandels unverwertbar. Auf eine solche Entscheidung hatte sich auch das Landgericht bei seinem Freispruch bezogen.

Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass die genannte Gesetzesänderung in Fällen wie dem vorliegenden keine Auswirkungen auf die Verwertbarkeit der "EncroChat"-Daten hat. Hierfür waren folgende Gesichtspunkte maßgebend:

Rechtsgrundlage für die Verwertung solcher Daten in der Hauptverhandlung ist § 261 StPO. Auch wenn von anderen europäischen Staaten Daten zu Zwecken der Strafverfolgung zur Verfügung gestellt werden, richtet sich die Verwertung nach deutschem Recht. Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für solche Daten gibt es im nationalen Recht nicht. Ein Verwertungsverbot außerhalb von gesetzlich geregelten Beweisverwertungsverboten kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung in diesen Fällen ist, dass die Daten unrechtmäßig erlangt wurden. Dies war vorliegend nicht der Fall, denn die EEA als Grundlage für die Übermittlung der Daten war rechtmäßig. Die Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen hierfür bestimmen sich unionsrechtlich gemäß der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum "EncroChat"-Komplex und zu der für die Rechtmäßigkeit einer EEA zentralen Norm des Art. 6 Abs. 1 RL EEA (EuGH, Urteil vom 30. April 2024 - C-670/22) ist zum Zeitpunkt des Erlasses der EEA unter anderem zu prüfen, ob die Datenübermittlung in einem vergleichbaren innerdeutschen Fall rechtmäßig wäre. Damit verweist das Unionsrecht auf nationale Regelungen zur Datenanforderung. Das deutsche Recht enthält Regelungen, die eine solche Datengewinnung erlauben; bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen kommen dabei Beschränkungen in Betracht, die den Verdacht bestimmter Straftaten voraussetzen.

Durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum einschlägigen Unionsrecht ist nunmehr geklärt, dass die vom Bundesgerichtshof in "EncroChat"-Fällen vor allem auf den Zeitpunkt der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Maßstäbe für besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe (vgl. § 100e Abs. 6 StPO) bereits bei der Beweisübermittlung vorzunehmen ist. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 1. November 2024 - 2 BvR 684/22) die Heranziehung der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke in den "EncroChat"-Fällen für verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet.

Danach kommt es auf die Rechtsmäßigkeit der Datenübermittlung an. Maßgeblich ist hierfür der Rechtszustand bei Datenanforderung. Zum damaligen Zeitpunkt im Jahr 2020 waren die angeklagten Taten als Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafbar. Die Daten wurden nach den bisherigen Maßstäben des Bundesgerichtshofs also rechtmäßig von Frankreich nach Deutschland übermittelt. In solchen Fällen gilt schon nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine Änderung der rechtlichen Bewertung einer Tat im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht zu einer Unverwertbarkeit rechtmäßig erlangter Daten führt. Es ging vorliegend auch nicht um Bagatelltaten, sondern um den Handel mit Cannabisprodukten in größeren Mengen. Soweit der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs seine bisherige Rechtsprechung geändert hat, war er hierzu durch die für ihn verbindliche Auslegung der europarechtlichen Anforderungen an eine auf den Beweismitteltransfer abzielende EEA durch den Europäischen Gerichtshof aufgerufen.

Die Sache muss deshalb, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs neu verhandelt und entschieden werden.

Vorinstanz:

Landgericht Berlin I - Urteil vom 3. Mai 2024 - (511 KLs) 279 Js 374/23 (1/24)


BGH: AnomChat-Daten dürfen zur Aufklärung schwerer Straftaten verwendet werden und unterliegen keinem Verwertungsverbot

BGH
Urteil vom 09.01.2025
1 StR 54/24


Der BGH hat entschieden, dass AnomChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten verwendet werden dürfen und keinem Verwertungsverbot unterliegen.

Die Pressemitteilung des BGH:
AnomChat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertbar

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2023 in weiten Teilen verworfen; allein wegen des Inkrafttretens des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 ist zum Strafmaß, im Übrigen wegen insoweit lückenhafter Feststellungen zur Vermögensabschöpfung neu zu verhandeln.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 35 Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung von Taterlösen über mehr als 500.000 Euro angeordnet. In neun Fällen waren zentrale Beweismittel Nachrichten des Angeklagten, die dieser zur Organisation des Drogenhandels über eine in der Taschenrechnerfunktion seines Mobiltelefons versteckten App "Anom" versandt hatte. Der Angeklagte hat mit seiner Revision gerügt, dass diese über das Justizministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) erlangten Daten nicht als Beweismittel in seinem Strafverfahren hätten verwertet werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof hat diese Beanstandung als nicht durchgreifend angesehen. Er hat entschieden, dass die von den USA übermittelten Daten als Beweismittel verwertbar sind, wenn sie wie hier der Aufklärung schwerer Straftaten dienen.

1. Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt

zugrunde:

a) Nach den vom Angeklagten mit seiner Revision vorgelegten umfangreichen Unterlagen ermittelten US-Behörden gegen ein Unternehmen, das Kryptomobiltelefone ausschließlich an Mitglieder krimineller Vereinigungen zur verschlüsselten Kommunikation veräußerte. Nach Einleitung von Strafverfahren gegen Verantwortliche dieses Unternehmens ließ das Federal Bureau of Investigation (FBI) eigens entwickelte Kryptomobiltelefone mit dem Namen "Anom" an kriminelle Organisationen veräußern. Obwohl jedes Anom-Gerät Ende-zu-Ende verschlüsselt war, verfügte das FBI ohne Wissen der Nutzer über die Codes, um jede Nachricht zu entschlüsseln. Der Server, an den bei Versand einer Nachricht eine Kopie gesendet wurde, stand nach Auskunft des US-Justizministeriums seit Sommer 2019 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, dessen Identität das FBI auf dessen Bitte nicht preisgab; auch warum der Drittstaat um Geheimhaltung bat, ist unbekannt. Jedenfalls sei dort im Oktober 2019 ein Gerichtsbeschluss ergangen, der ein Kopieren des Servers und den Empfang seiner Inhalte ermöglichte.

b) Im Rechtshilfeverkehr leitete der EU-Staat die Anom-Server-Daten an das FBI weiter. Das Aus- und Weiterleiten der Daten war nach dem Gerichtsbeschluss zeitlich bis zum 7. Juni 2021 begrenzt. Das Bundeskriminalamt erhielt über eine internetbasierte Auswerteplattform informatorisch Zugang zu den dekryptierten Inhaltsdaten mit Deutschlandbezug. Am 31. März 2021 leitete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main Verfahren gegen die Nutzer der Anomkryptohandys ein und stellte am 21. April 2021 ein Rechtshilfeersuchen an das US-Justizministerium, das mit Schreiben vom 3. Juni 2021 der Verwertung der übersandten Daten zustimmte.

2. Folgende rechtliche Erwägungen waren für den Bundesgerichtshof

maßgeblich:

a) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung von Beweisen im Strafprozess ist § 261 StPO. Dies gilt auch für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten. Eine ausdrückliche Regelung, dass solche Beweise nur eingeschränkt verwendet werden dürfen, enthält das deutsche Recht nicht.

b) Das von der Revision geltend gemachte Beweisverwertungsverbot besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

aa) Die Frage, ob ein solches Verbot besteht, ist ausschließlich nach deutschem Recht zu beantworten. Die ausländischen Ermittlungsmaßnahmen waren nicht am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen. Es ist auch nicht entscheidend, ob die deutschen Ermittlungsbehörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen.

bb) Gegen menschenrechtliche Grundwerte oder gegen grundlegende Rechtsstaatsanforderungen im Sinne eines im Rechtshilfeverkehr zu prüfenden "ordre public" wurde nicht verstoßen. Denn die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis waren begrenzt. Die Maßnahmen richteten sich ausschließlich gegen Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für die Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich des Betäubungsmittel- und Waffenhandels, bestanden. Schon angesichts der hohen Kosten und des auf kriminelle Kreise beschränkten Vertriebswegs (‚designed by criminals for criminals") begründete bereits der Erwerb eines Anom-Handys den Verdacht, dass der Nutzer das Gerät zur Planung und Begehung schwerer Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität einsetzte. Auch der Umstand, dass der Angeklagte nicht unmittelbar die im Drittland ergangenen Beschlüsse angreifen konnte sowie die Existenz und der Inhalt derselben der deutschen Strafjustiz nur vom Hörensagen bekannt sind, führt in der Gesamtabwägung nicht zur Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens.

Vorinstanz:

Landgericht Tübingen - Urteil vom 20. Oktober 2023 - 2 KLs 42 Js 27225/22.



OLG Saarbrücken: ANOM-Chat-Daten können als Beweismittel verwendet werden und unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot

OLG Saarbrücken
Beschluss vom 30.12.2022
4 HEs 35/22


Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass ANOM-Chat-Daten als Beweismittel verwendet werden können und keinem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft ist gerechtfertigt. Sowohl die allgemeinen Voraussetzungen für das Fortbestehen der Untersuchungshaft als auch die in § 121 Abs. 1 StPO gesetzlich festgeschriebenen besonderen Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl des Amtsgerichts Saarbrücken vom 2. Juli 2022 (Bl. 272 ff. d.A.) zur Last gelegten Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge weiterhin dringend verdächtig. Soweit der Haftbefehl vom 2. Juli 2022 das Tatgeschehen rechtlich neben einer Strafbarkeit gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugleich als bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einordnet (§ 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG), handelt es sich um ein offensichtliches redaktionelles Versehen, das auf Wirksamkeit, Bestand und Fortdauer der Untersuchungshaft keine Auswirkungen hat. Wegen der Einzelheiten der verdachtsbegründenden Umstände wird auf den Haftbefehl sowie die zwischenzeitlich zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift vom 21. Oktober 2022 (Bl. 548 ff. d.A.) und das darin niedergelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen Bezug genommen.

a) Danach ist insbesondere anzunehmen, dass es sich bei dem Angeklagten V. um den Nutzer der Kennung "h." des Krypto-Providers "A." handelt, der hierüber den Handel mit Betäubungsmitteln, hinsichtlich dessen sich ein dringender Verdacht im Übrigen jedenfalls hinsichtlich der Taten zu Ziff. 3. bis 6. des Haftbefehls vom 2. Juli 2022 aus den Ergebnissen der nationalen zunächst verdeckt sowie sodann offen geführten Ermittlungsmaßnahmen (Telekommunikationsüberwachung, Observation, Durchsuchungsmaßnahmen) ergibt, abgewickelt hat. Die überwachte Kommunikation, die den dringenden Tatverdacht für die Nutzung des Kryptodienstes A. durch den Angeklagten unter der Kennung "h." zum Zwecke der Abwicklung des Handels mit Betäubungsmitteln begründet und zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens führte, ist nach derzeitigem Stand im Strafverfahren auch verwertbar. Das US-amerikanische Federal Bureau of Investigation (FBI) hat die Kommunikationsinhalte im Zuge gegenseitiger Rechtshilfe von einem nicht näher bezeichneten Mitgliedstaat der Europäischen Union erhalten, in dem sie aufgrund einer gerichtlichen Anordnung über einen Server des Providers A. gesichert worden waren, und stellte sie sodann unter Erteilung einer Genehmigung zur justiziellen Verwertung den Strafverfolgungsbehörden der jeweiligen Länder, hier dem Bundeskriminalamt, zur Verfügung (vgl. Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität - vom 20. Mai 2021, S. 3 = Bl. 5 d.A.). Die Verwertung der auf diese Weise im Ausland außerhalb des vorliegenden Strafverfahrens erhobenen Beweise in dem Strafverfahren gegen den Angeklagten ist vom nationalen Prozessrecht gedeckt. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise - etwa im Wege der Rechtshilfe - erlangt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 und 857/10, BVerfGE 130, 1 ff. Rn. 120, 137 ff. m.w.N.; BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25). Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten sieht das deutsche Recht nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25). Soweit gleichsam die dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragenden Wertungen der auch bei grenzüberschreitendem Datenverkehr anwendbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 - 1 StR 310/12, juris) strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen sowohl des § 479 Abs. 2 i.V.m. § 161 Abs. 3 StPO als auch des § 100e Abs. 6 StPO Berücksichtigung zu finden haben (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25 und Rn. 68), schließt dies die Verwendung der vom FBI erlangten Daten und Kommunikationsinhalte im konkreten Fall aufgrund des dringenden Tatverdachts der Begehung von Straftaten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG als Katalogtaten im Sinne von § 161 Abs. 3 und § 100e Abs. 6 StPO nicht aus (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203 f.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, juris Rn. 68 zur Heranziehung des Schutzniveaus aus § 100e Abs. 6 StPO im Fall der Verwertung von im Ausland gesicherter EncroChat-Kommunikation), zumal eine Verwertung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensführung aufgrund des Inhalts der gesicherten Kommunikation nicht zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 68).

b) Der Verwertbarkeit steht auch nicht entgegen, dass die vom Angeklagten genutzte A.-App vom FBI mit dem Ziel entwickelt und dem Markt verdeckt zur Verfügung gestellt worden ist, die über den Server des Providers A. laufende, Ende zu Ende verschlüsselte Kommunikation aufgrund gerichtlicher Anordnung des bislang nicht näher benannten EU-Mitgliedstaates, in dem der Server gelegen ist, zu erheben und mittels eines bei der Entwicklung angehefteten Master-Keys zu entschlüsseln.

aa) Aufgrund des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung (Art. 82 AEUV) lässt ein von den nationalen deutschen Vorschriften abweichendes Verfahren die Verwertbarkeit von im Ausland erhobenen Beweisen grundsätzlich unberührt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 50 ff., 73 ff. m.w.N.; Schomburg/Lagodny/Hackner, IRG Vor § 68 Rn 11 m.w.N.), und die nationalen deutschen Gerichte sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit von originär im Ausland, mithin nicht aufgrund deutschen Rechtshilfeersuchens durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen anhand der Vorschriften des ausländischen Rechts auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 26 ff. m.w.N.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204). Das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots ist demnach ausschließlich nach nationalem Recht zu bestimmen.

bb) Danach ergibt sich ein Beweisverwertungsverbot vorliegend weder aus rechtshilfespezifischen Gründen noch aus nationalem Verfassungs- oder Prozessrecht oder den Vorgaben der EMRK (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 25 ff.). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die im Ausland erhobenen Beweise unter Verletzung völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualrechtsgüterschutz dienender Garantien, wie etwa Art. 3 oder Art. 6 EMRK, oder unter Verstoß gegen die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze i.S.d. ordre public (vgl. § 73 IRG) gewonnen wurden oder die Ermittlungshandlung der Umgehung nationaler Vorschriften diente (vgl. Schomburg/Lagodny/Hackner, IRG Vor § 68 Rn 11 m.w.N). Weder liegt ein Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzender und aufgrund dessen ein Verfahrenshindernis begründender Fall polizeilicher Tatprovokation (vgl. dazu etwa EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 54648/09 - juris) vor, weil die Annahme, allein durch Schaffung der Möglichkeit einer abhörsicheren Kommunikation sei der Tatentschluss des Angeklagten zur Begehung der ihm vorgeworfenen Taten hervorgerufen worden, fernliegt, noch begründet der Umstand, dass sich die Datenerhebung gegen sämtliche Nutzer der A.-App ohne Beschränkung auf bestimmte Zielpersonen und ohne Vorliegen eines konkreten Tatverdachts richtete, mithin Verdachtsmomente erst generieren sollte, einen elementaren Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Das Inverkehrbringen der App diente nicht dazu, die Persönlichkeit der Nutzer durch Eindringen in deren Privat- oder Intimsphäre auszuspähen. Vielmehr war absehbar, dass die durch die Nutzung ermöglichte, vermeintlich abhörsichere Kommunikation, neben der eine normale Nutzung des Mobilfunkgerätes zum Telefonieren und mit Zugang zum Internet nicht mehr möglich war, nahezu ausschließlich im Bereich organisierter Kriminalität eingesetzt werden würde (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204; zur Ablehnung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des ordre public bei EncroChat-Daten vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2021 - 2 Ws 102/21 (S); 2 Ws 96/21 - juris; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021 - 1 Ws 2/21 -, juris, sowie dem Grunde nach auch BGH, Beschluss vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21 -, juris Rn. 57). Ebenso wenig haben die deutschen Ermittlungsbehörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung nationaler Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datengewinnung mitgewirkt (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 22. November 2021 - 1 HEs 427/21 -, StraFo 2022, 203, 204).


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