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EuGH: Nationale Regelung die Sammelklagen-Inkasso zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Kartelrechtsverstößen ausschließt kann unionsrechtswidrig sein

EuGH
Urteil vom 28.01.2025
C-253/23
ASG 2 Ausgleichsgesellschaft für die Sägeindustrie Nordrhein-Westfalen GmbH gegen Land Nordrhein-Westfalen


Der EuGH hat entschieden, dass eine nationale Regelungm die Sammelklagen-Inkasso zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Kartelrechtsverstößen ausschließt, unionsrechtswidrig sein kann.

Die Pressemitteilung des EuGH:
Ersatz des durch ein Kartell entstandenen Schadens: Eine nationale Regelung, die ein Sammelklage-Inkasso ausschließt, kann gegen das Unionsrecht verstoßen

Das ist der Fall, wenn das nationale Recht keinen anderen kollektiven Rechtsbehelf zur Bündelung individueller Forderungen der durch ein Kartell Geschädigten vorsieht und sich die Erhebung einer individuellen Schadensersatzklage als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.

Das Unionsrecht ermöglicht es jedermann, den Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstanden ist. Die Regelung der Modalitäten für die Geltendmachung dieses Anspruchs ist Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei u. a. der Effektivitätsgrundsatz zu beachten ist. Ein Verbot des Sammelklage-Inkassos, das von einem Rechtsdienstleister auf der Grundlage von Schadensersatzforderungen betrieben wird, die ihm von einer großen Anzahl von Geschädigten abgetreten wurden, kann die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. Dies ist dann der Fall, wenn das nationale Recht keinen anderen kollektiven Rechtsbehelf zur Bündelung individueller Forderungen bietet und sich die Erhebung einer individuellen Klage zur Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.

32 Sägewerke mit Sitz in Deutschland, Belgien und Luxemburg machen geltend, aufgrund eines Kartells einen Schaden erlitten zu haben. Das Land Nordrhein-Westfalen habe nämlich mindestens vom 28. Juni 2005 bis zum 30. Juni 2019 überhöhte Preise für den Verkauf von aus NRW stammendem Rundholz an die Sägewerke angewandt.

Alle betroffenen Sägewerke traten ihre Ansprüche auf Ersatz des entstandenen Schadens an die Gesellschaft ASG 2 ab. Diese Gesellschaft hat als „Rechtsdienstleisterin“ im Sinne des deutschen Rechts bei einem deutschen Gericht eine Sammelklage auf Schadensersatz gegen das Land erhoben. Sie handelt – gegen ein Erfolgshonorar – in eigenem Namen und auf eigene Kosten, aber für Rechnung der Sägewerke.

Das Land stellt die Aktivlegitimation der ASG 2 in Abrede. Es macht geltend, dass die deutschen Rechtsvorschriften in ihrer Auslegung durch einige nationale Gerichte1 dem Dienstleister im Zusammenhang mit Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht kein Sammelklage-Inkasso gestatteten.

Nach dem Dafürhalten des deutschen Gerichts stellt das Sammelklage-Inkasso in Deutschland die einzige kollektive Verfahrensart dar, um den Schadensersatzanspruch in Kartellsachen wirksam durchzusetzen. Das Gericht möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht2 der Auslegung einer nationalen Regelung entgegensteht, die den durch ein Kartell Geschädigten eine Inanspruchnahme dieser Klageart verwehrt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass das Unionsrecht jeder Person, die durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht einen Schaden erlitten hat, das Recht verleiht, den vollständigen Ersatz dieses Schadens zu verlangen. Eine Schadensersatzklage kann entweder unmittelbar von der Person erhoben werden, der der betreffende Anspruch zusteht, oder von einem Dritten, an den der Anspruch abgetreten wurde.

Das Unionsrecht regelt allerdings nicht die Modalitäten für die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstandenen Schadens. Folglich es Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten, diese Modalitäten zu regeln, wobei u. a. der Effektivitätsgrundsatz zu beachten ist.

Im vorliegenden Fall hat das deutsche Gericht darüber zu befinden, ob eine Auslegung des nationalen Rechts, die eine Geltendmachung der durch ein Kartell verursachten Schäden über ein Sammelklage-Inkasso ausschließt, dem Erfordernis der Effektivität genügt. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, i) dass das deutsche Recht keinen anderen kollektiven Rechtsbehelf bietet, der eine wirksame Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs zulässt, und ii) dass eine individuelle Klage seine Durchsetzung unmöglich macht oder übermäßig erschwert, müsste das deutsche Gericht einen Verstoß gegen Unionsrecht feststellen.

Bei einer solchen Fallgestaltung müsste es versuchen, die nationalen Bestimmungen unionrechtskonform auszulegen. Sollte sich das als unmöglich erweisen, hätte das deutsche Gericht die nationalen Bestimmungen, die ein Sammelklage-Inkasso für die fraglichen individuellen Schadensersatzforderungen ausschließen, unangewendet zu lassen.


Tenor der Entscheidung:
Art. 101 AEUV in Verbindung mit Art. 2 Nr. 4, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union sowie Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass
sie der Auslegung einer nationalen Regelung, die bewirkt, dass mutmaßlich durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigte daran gehindert werden, ihre Schadensersatzansprüche an einen Rechtsdienstleister zur gebündelten Geltendmachung im Rahmen einer Schadensersatzklage abzutreten, die sich nicht auf eine – insbesondere in Bezug auf die Feststellung des Sachverhalts – bestandskräftige und bindende Entscheidung stützt, mit der eine Wettbewerbsbehörde eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat, entgegenstehen, soweit

– das nationale Recht keinerlei andere Möglichkeit zur Bündelung individueller Forderungen dieser Geschädigten vorsieht, die geeignet wäre, eine wirksame Durchsetzung dieser Schadensersatzansprüche zu gewährleisten, und

– sich die Erhebung einer individuellen Schadensersatzklage für diese Geschädigten in
Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist, mit der Folge, dass ihnen ihr Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verwehrt würde.

Sollte sich diese nationale Regelung nicht unionsrechtskonform auslegen lassen, gebieten es diese Bestimmungen des Unionsrechts dem nationalen Gericht, die nationale Regelung unangewendet zu lassen.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Düsseldorf: Preisanpassungsklausel für Amazon-Prime-Abo in Amazon-AGB wegen unangemessener Benachteiligung und fehlender Transparenz unwirksam

LG Düsseldorf
Urteil vom 15.01.2025
12 O 293/22


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass die Preisanpassungsklausel für das Amazon-Prime-Abo in den Amazon-AGB wegen unangemessener Benachteiligung und fehlender Transparenz unwirksam ist.

Aus den Entscheidungsgründen:
Bei der streitgegenständlichen Klausel 5.2 handelt es sich um eine Preisanpassungsklausel in Form einer Leistungsvorbehaltsklausel, die grundsätzlich einer AGB-Kontrolle unterfällt.

Preisanpassungsklauseln in AGB, welche es der AGB-Verwenderin gestatten, den zunächst vereinbarten Preis über eine wie auch immer geartete Klausel einseitig zu ändern, ergänzen das dispositive Recht, welches grundsätzlich von einer bindenden Preisvereinbarung der Parteien ausgeht; sie fallen daher nicht in den kontrollfreien Raum von § 307 Abs. 3 BGB, sondern sind – wie allgemein anerkannt – an § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu messen (vgl. Graf von Westphalen/Mock, in Westphalen, Graf von/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Werkstand: 48. EL März 2022, Preisanpassungsklauseln, Rn. 22, Fn. 78 und 79 m.w.N.). Bei der hier zu beurteilenden Regelung handelt es sich um eine Preisanpassungsklausel in der Form einer Leistungsvorbehaltsklausel im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 PrKG. Anders als bei einer Kostenelementeklausel (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 PrKG) erfolgt eine Preisänderung bei einer Leistungsvorbehaltsklausel nicht aufgrund feststehender rechnerischer Bezugsgrößen, sondern der Verwenderin wird hinsichtlich des Ausmaßes der Preisänderung ein Ermessensspielraum eröffnet, der es ermöglicht, die neue Höhe der Geldschuld nach Billigkeitsgrundsätzen zu bestimmen. Da derartige Klauseln der Verwenderin einen einseitigen Eingriff in den ausgehandelten Vertrag ermöglichen, sind sie gemessen an § 307 Abs. 1 BGB nur dann zulässig, wenn ein berechtigtes Interesse der Verwenderin hieran besteht und sowohl Anlass, Voraussetzungen als auch Umfang des Leistungsbestimmungsrechts so hinreichend konkretisiert sind, dass der Kunde eine Entgeltänderung vorhersehen kann (vgl. BGH, Urt. v. 09.05.2012 − XII ZR 79/10 –, NJW 2012, 2187, Rn. 20, 21; Urteil vom 31.07.2013 – VIII ZR 162/09 –, BGHZ 198, 111, Rn. 59; BGH, Urteil vom 20.07.2005 – VIII ZR 121/04 –, BGHZ 164, 11, Rn. 39,).

(2) Die Treu und Glauben widersprechende unangemessene Benachteiligung der Vertragspartner der Beklagten (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) ergibt sich hier aus dem mangelnden berechtigten Interesse der Beklagten an einer Preisanpassungsklausel.

Zwar ist bei einer AGB-Verwenderin in Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich ein berechtigtes Interesse, eine Preisanpassung an geänderte Kosten vorzunehmen, zu bejahen. Preisanpassungsklauseln sind ein geeignetes und anerkanntes Instrument zur Bewahrung des Gleichgewichts von Preis und Leistung bei langfristigen Lieferverträgen. Sie dienen dazu, einerseits der Verwenderin das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihre Gewinnspanne trotz nachträglicher, sie belastender Kostensteigerungen zu sichern, und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass die Verwenderin mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2017 – III ZR 247/06 –, BGH NJW 2008, 360, juris Rn. 10).

Hier allerdings ist der Beklagten durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Kündigungsrecht innerhalb von 14 Tagen eingeräumt. Es handelt sich also zwar weiterhin um einen auf Dauer angelegten Vertrag. Gleichwohl ist das Vertragsverhältnis von der Beklagten – wie auch im Bereich der Streaming-Dienste üblich – mit der Möglichkeit der kurzfristigen Vertragsbeendigung ausgestaltet worden. Die Beklagte muss demnach stets auf der Grundlage kurzfristig schwankender Nutzerzahlen kalkulieren (KG Berlin, GRUR-RS 2023, 33453 zu der Plattform Spotify). Es ist nicht ersichtlich, dass sie ohne die Einräumung einer Preisanpassungsklausel gezwungen wäre, von vornherein höhere Preise zu kalkulieren, von dem Risiko, sich im Rahmen einer Änderungskündigung mit einem neuen Angebot dem Wettbewerb stellen zu müssen, darf die Beklagte sich nicht auf Kosten ihrer Vertragspartner befreien (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2007 – III ZR 247/06; BGH, Urteil vom 11.10.2007 – III ZR 63/07 –, juris Rn. 24).

Das Kündigungsrecht kann nicht entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 11.06.1980 – VIII ZR 174/79 – unberücksichtigt bleiben. Dort hat der BGH zwar in der Vergangenheit für die Preiserhöhungsklausel bei einem Zeitschriftenabonnement in einem obiter dictum ausgeführt, die Änderungskündigung sei einem Lieferanten deswegen nicht zuzumuten, weil sie bei Massengeschäften der vorliegenden Art mit einem übermäßigen, zusätzliche Kosten verursachenden Geschäftsaufwand verbunden wäre. Es sei auch fraglich, ob ein solcher Weg im Interesse des Kunden liege, der in aller Regel seine Zeitschrift weiter beziehen möchte, solange der Preis noch angemessen sei (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.1980 – VIII ZR 174/79 –, NJW 1980, 2518, juris Rn. 25). Die vom BGH entschiedene Konstellation ist zur hiesigen aber nicht vergleichbar. Bei einem Zeitschriftenabonnement im 20. Jahrhundert war die Aufforderung zu der Zustimmung zu einer Preiserhöhung und eine etwaige Kündigung mit erheblichem Aufwand verbunden. Regelmäßig dürfte hierfür zunächst ein postalisch zu versendender Brief der Unternehmerin erforderlich sein, um die Preiserhöhung anzukündigen. Sodann musste der Verbraucher entweder schriftlich zustimmen oder die Unternehmerin bei mangelnder Zustimmung kündigen. Dies ging mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand einher. Im Falle der hiesigen Beklagten kann derlei Kommunikation ohne weiteres per E-Mail erfolgen, ohne dass hierfür ein erheblicher Aufwand erkennbar wäre. Auch die Erklärung einer Kündigung lässt sich für die Beklagte in viel weitreichenderem Umfang automatisieren als dies früher der Fall war (KG Berlin, GRUR-RS 2023, 33453 zu der Plattform Spotify).

(3) Der Einwand der Beklagten, eine unangemessene Benachteiligung scheide deshalb aus, weil es sich hier insoweit nicht um eine einseitige Preisanpassungsklausel handele, sondern die Zustimmung des Vertragspartners entsprechend der Vorschrift des § 308 Nr. 5 BGB fingiert werde, greift nicht durch.

Nach § 308 Nr. 5 BGB ist eine Bestimmung, wonach eine Erklärung des Vertragspartners des Verwenders als abgegeben gilt, unwirksam, es sei denn die weiteren Voraussetzungen des § 308 Nr. 5 a) und b) (angemessene Frist und Hinweispflicht) werden eingehalten. Soweit eine AGB-Klausel der Kontrolle nach § 308 BGB standhält, gibt es daneben keinen Raum mehr für die Anwendung des § 307 BGB (Wurmnest in MüKo, BGB, 9. Auflage 2022, § 308 Nr. 4).

Allerdings greift der Kläger hier nicht die Klausel 5.3, die die Zustimmungsfiktion beinhaltet, an, sondern die Klausel 5.2., welche der Beklagten eine grundsätzliche Berechtigung zur Preisanpassung einräumt. An der grundsätzlichen Berechtigung zur Preisanpassung, geregelt in Klausel 5.2, fehlt es der Beklagten mangels berechtigtem Interesse unabhängig davon, ob sie die nachfolgende Zustimmungsfiktion konform zu § 308 BGB geregelt hat. Die Einräumung eines Rechts zur Preisanpassung (Klausel 5.2) und der Abwicklungsweg einer solchen Anpassung (Klausel 5.3) unterliegen unabhängig voneinander einer AGB-Kontrolle und sind in ihrer Wirksamkeit gesondert zu überprüfen.

bb) Die beanstandete Klausel 5.2 verstößt ebenfalls gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, indem sie nicht hinreichend klar und verständlich ausgestaltet ist.

Eine Preisanpassungsklausel muss den Anlass und den Modus der die Entgeltänderung prägenden Umstände so transparent darstellen, dass die Kunden die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen können (BGH, NJW 2016, 936 – Stromlieferungsvertrag). Dies verlangt der Beklagten eine so genaue Beschreibung der tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen ab, dass für sie keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Dazu gehört auch, dass ihre Preisanpassungsregelungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies – bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses – nach den Umständen, insbesondere auch nach den Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Kunden, gefordert werden kann (BGHZ 200, 362 = NJW 2014, 2269; BGHZ 201, 271 = NJW 2014, 2940, jew. mwN). Denn nur dann wird der Kunde in die Lage versetzt, ohne fremde Hilfe möglichst klar und einfach seine Rechte zu erkennen sowie eine geltend gemachte Preisanpassung nachzuvollziehen und zumindest auf Plausibilität zu überprüfen (vgl. BGH, NJW 2007, 3632 = NZM 2007, 879 Rn. 31; NVwZ-RR 2013, 807 = VersR 2013, 888 Rn. 45). Die aus dem Transparenzgebot folgende Verpflichtung des Verwenders zur klaren und verständlichen Formulierung des Klauselinhalts besteht anerkanntermaßen aber nur im Rahmen des Möglichen (BGHZ 162, 39 [45] = NJW 2005, 1183; NJW-RR 2011, 1618 mwN) und beschränkt sich auf diejenigen Angaben, die dem Verwender rechtlich und tatsächlich zumutbar sind (BGHZ 164, 11 [16] = NJW-RR 2005, 1496; BGHZ 170, 1 = NJW 2007, 1198 Rn. 41). Dementsprechend brauchen die notwendig generalisierenden Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht einen solchen Grad an Konkretisierung anzunehmen, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können. Vielmehr müssen Allgemeine Geschäftsbedingungen auch noch ausreichend flexibel bleiben, um künftigen Entwicklungen und besonderen Fallgestaltungen Rechnung tragen zu können, ohne dass von ihnen ein unangemessener Benachteiligungseffekt ausgeht. Die Anforderungen an die mögliche Konkretisierung dürfen deshalb nicht überspannt werden; sie hängen auch von der Komplexität des Sachverhalts unter den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstands ab (BGH, NJW-RR 2011, 1618; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 307 Rn. 342).

Gemessen an hieran genügt die streitgegenständliche Klausel den vorgenannten Anforderungen nicht.

Für den durchschnittlich verständigen und informierten Verbraucher ist das in der betreffenden Klausel genannte Kriterium „generelle und wesentliche Kostenänderungen aufgrund von Inflation oder Deflation“ nicht tauglich, um etwaige Anhebungen vorherzusehen bzw. ergangene Preisanpassungen auf Plausibilität überprüfen zu können. Bei der Inflation handelt es sich gerade nicht um eine feste, von dritter Seite bestimmte Größe wie beispielsweise den Basiszinssatz, bei welchem der Verbraucher unter Umständen an Hand einer bestimmten Entwicklung in der Vergangenheit die möglichen Preisanpassungen in der Zukunft abschätzen könnte. Ferner ist hier der Zuschnitt der über das Prime-Angebot erbrachten Dienstleistungen zu betrachten. Es handelt sich um ein weit diversifiziertes Angebot an verschiedenen Leistungen, die vom kostenfreien und schnelleren Versand bis hin zu Streaming-Angeboten reichen. Eine Plausibilitätsprüfung der Preisanpassung an Hand des Kriteriums „wesentliche Kostensteigerung durch Inflation“ ist dem Verbraucher durch die Kopplung der unterschiedlichsten Marktsegmente schlicht unmöglich. Neben den weiteren in der Klausel aufgeführten und durchaus nachprüfbaren Kriterien – beispielsweise Lohnerhöhungen oder gestiegene Produktionskosten – eröffnet das Kriterium der Kostensteigerung durch Inflation ein gleichsam unüberprüfbares Einfallstor für jedwede von Unternehmensseite gewünschte Preiserhöhung. Genau dies soll aber auch unter Berücksichtigung des Flexibilitätserfordernisses des Verwenders vermieden werden.

Dadurch, dass die Beklagte in ihrer Klausel einige durchaus auf Plausibilität nachprüfbare konkrete Kriterien benennt, zeigt sie, dass ihr eine transparente Gestaltung der Preisanpassungsklausel möglich und zumutbar ist.

Durch die Verwendung eines derart intransparenten Kriteriums hat sich die Beklagte unkontrollierbare Spielräume zur Preiserhöhung eingeräumt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie den Anpassungsmechanismus dazu missbraucht, den Preis im Nachhinein (einseitig) zu ihren Gunsten zu verschieben., beispielsweise indem sie einen höheren Betrag als die (vermeintlichen) Mehrkosten auf den Kunden abwälzt. Etwaige Kontrollmechanismen sind ausgehebelt und das vorgeblich ausgeglichene Verhältnis zwischen Beklagter und Verbraucher besteht faktisch nicht mehr. Mithin ist ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu bejahen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch eines Verbraucherverbandes umfasst nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher

BGH
Urteil vom 11.09.2024
I ZR 168/23
Payout Fee
UWG § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 3a, § 5 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 3 Satz 2


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch eines Verbraucherverbandes umfasst nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:
a) Wird mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch eine Zahlung verlangt, ist der darauf gerichtete Klageantrag im Regelfall zu unbestimmt, wenn darin der oder die Zahlungsempfänger und der (jeweils) zu zahlende Betrag nicht genannt werden.

b) Mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch kann nicht verlangt werden, dass ein Unternehmer die von ihm zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern einbehaltenen Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher zurückzahlt.

BGH, Urteil vom 11. September 2024 - I ZR 168/23 - OLG Rostock - LG Rostock

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch eines Verbraucherverbandes umfasst nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher

BGH
Urteil vom 11.09.2024
I ZR 168/23


Der BGH hat entschieden, dass der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch eines Verbraucherverbandes nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher umfasst.

Die Pressemitteilung des BGH:
Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch umfasst nicht die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass ein Verbraucherverband mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch nicht die Rückzahlung aufgrund unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen einbehaltener Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher verlangen kann.

Sachverhalt:

Der Kläger ist der Dachverband deutscher Verbraucherzentralen. Der Beklagte veranstaltete ein Festival. Zur Bezahlung auf dem Festivalgelände konnten die Besucher ein Armband erwerben und mit Geldbeträgen aufladen. Der Beklagte bot eine Rückerstattung nicht verbrauchter Geldbeträge in seinen Nutzungsbedingungen wie folgt an: "Bei der Auszahlung des restlichen Guthabens nach dem Festival durch das Eventportal wird eine Rückerstattungsgebühr von 2,50 € fällig".

Der Kläger hält die Erhebung einer solchen Rückerstattungsgebühr (Payout Fee) für unlauter und nimmt den Beklagten insbesondere auf Rückzahlung der einbehaltenen Beträge an die betroffenen Verbraucher in Anspruch.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Ein Beseitigungsanspruch lässt sich - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - nicht aus § 1 UKlaG herleiten. Diese Vorschrift begründet nur einen Anspruch auf Unterlassung, nicht aber auch auf Beseitigung.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten auch kein Beseitigungsanspruch auf Rückzahlung der einbehaltenen Payout Fee an die betroffenen Verbraucher gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs gemäß §§ 3, 3a UWG in Verbindung mit § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB zu.

Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Nutzungsbedingungen des Beklagten Allgemeine Geschäftsbedingungen sind und die darin enthaltene Klausel über die Erhebung einer Payout Fee in Höhe von 2,50 € bei Auszahlung nicht verbrauchten Guthabens gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Denn der Beklagte erbringt mit der Rückerstattung nicht verbrauchter Geldbeträge keine eigenständige vergütungsfähige Leistung, sondern erfüllt eine ohnehin bestehende vertragliche Verpflichtung. Das Berufungsgericht hat ebenso zutreffend gemeint, dass der darin liegende Verstoß gegen §§ 3, 3a UWG geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen, da diese durch die Klausel davon abgehalten werden könnten, Rückzahlungsansprüche gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.

Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Kläger mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch vom Beklagten keine Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Klausel einbehaltenen Payout Fee an dessen Kunden verlangen kann. Ein solcher Anspruch steht mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nach dem geltenden Recht nicht im Einklang. Der Gesetzgeber hat im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb einen verschuldensabhängigen Gewinnabschöpfungsanspruch zu Gunsten des Bundeshaushalts und einen ebenfalls verschuldensabhängigen Verbraucherschadensersatz vorgesehen. Im Jahr 2023 hat der Gesetzgeber durch das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz die Abhilfeklage eingeführt, mit der qualifizierte Verbraucherverbände gegen Unternehmer gerichtete Ansprüche von Verbrauchern auf Leistung geltend machen können. Das sich daraus ergebende Konzept des kollektiven Rechtsschutzes würde durch einen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UWG abgeleiteten verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch von qualifizierten Verbraucherverbänden unterlaufen, mit dem ein Unternehmer zur Rückzahlung der von ihm zu Lasten einer Vielzahl von Verbrauchern einbehaltenen Geldbeträge an die betroffenen Verbraucher verpflichtet werden könnte.

Vorinstanzen:

LG Rostock - Urteil vom 15. Dezember 2020 - 3 O 1091/19

OLG Rostock - Urteil vom 15. November 2023 - 2 U 15/21

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1 UKlaG

Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksam sind, verwendet oder für den rechtsgeschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf in Anspruch genommen werden.

§ 3 Abs. 1 UWG

(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. […]

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 3 UWG

(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. […]

(3) Die Ansprüche aus Absatz 1 stehen zu: […]

3. den qualifizierten Verbraucherverbänden, die in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagengesetzes eingetragen sind, und den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 5 Absatz 1 Satz 4 der Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 409 vom 4.12.2020, S. 1) eingetragen sind, […]

§ 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 BGB

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist […].



Bundesregierung legt Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (MFK) vor

Die Bundesregierung hat Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (MFK)vorgelegt.

Dazu die Erläuterungen des BMJ:

"Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungklage (MFK)

Im heutigen durch Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben erleidet häufig eine Vielzahl Verbraucherinnen und Verbraucher gleichartige Schäden, z.B. bei unzulässigen Bearbeitungsgebühren von Kreditinstituten, unwirksamen Preisklauseln von Energie- oder Telekommunikationsanbietern oder in Fällen der Produkthaftung. Gerade wenn der erlittene Schaden im Einzelfall gering ist, werden Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche meist nicht individuell verfolgt, weil der Aufwand der Rechtsdurchsetzung aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig hoch ist. Die Forderungen verfallen und der Unrechtsgewinn (zum Nachteil der rechtstreu handelnden Wettbewerber) verbleibt beim Unternehmen. Man spricht hier vom sogenannten „rationalen Desinteresse“ der Verbraucher.

Aus diesem Grund liegen die Vorteile einer Musterfeststellungsklage (MFK) auf der Hand:

· Verbraucherinnen und Verbraucher kommen zu ihrem Recht, ohne selbst gegen Unternehmen und Konzerne vorgehen zu müssen. Sie können sich in einem Klageregister kostenfrei anmelden, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu hemmen
und vom (erfolgreichen) Ausgang des Verfahrens zu profitieren. Die Anmeldung kann ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts erfolgen. Die Ansprüche müssen nicht an Prozessfinanzierer abgetreten werden.
· Unternehmen erlangen durch die MFK Rechtssicherheit und werden davor geschützt, einer Vielzahl von Einzelverfahren oder Sammelklagen großer kommerzieller Rechtsdienstleister ausgesetzt zu sein.
· Gerichte werden durch die Bündelung der Vielzahl von Einzelverfahren entlastet.

Die zentralen Regelungen des Gesetzentwurfs im Überblick:

· Feststellungsziele: Zentrale Streitfragen / Anspruchsvoraussetzungen mit Bedeutung für eine Vielzahl von Verbrauchern werden in einem einzigen Verfahren entschieden (Vorteile: keine divergierenden Feststellungen, hohe Prozessökonomie, kein Kostenrisiko für Verbraucher).
· Mindestzahl betroffener Verbraucher: Die MFK ist nur zulässig, wenn die Betroffenheit von min. zehn Verbrauchern glaubhaft gemacht wird und min. 50 Verbraucher ihre Ansprüche binnen zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung der MFK zum Klageregister anmelden.
· Klagebefugnis: Klagebefugt sind nur besonders qualifizierte Einrichtungen. Dazu zählen (1) in Deutschland registrierte Verbraucherschutzvereine nach § 4 UKlaG und (2) ausländische qualifizierte Einrichtungen, die in einer Liste der EU-Kommission aufgeführt werden. Zusätzlich müssen diese qualifizierten Einrichtungen weitere strenge Voraussetzungen erfüllen, um Missbrauch auszuschließen: (i) min. 350 Mitglieder oder 10 Mitgliedsverbände, (ii) seit min. vier Jahren in die Liste eingetragen, (iii) Sicherung einer satzungsmäßigen Aufgabenwahrnehmung durch weitgehend nicht gewerbsmäßige
aufklärende oder beratende Tätigkeit; (iv) keine Erhebung der MFK in Gewinnerzielungsabsicht; (v) nicht mehr als 5 % der finanziellen Mittel von Unternehmen.
· Opt-in-Verfahren: Betroffene Verbraucher können ihre Ansprüche / Rechtsverhältnisse zum Klageregister anmelden, um von den Wirkungen der MFK zu profitieren.
· Klageregister: Das Register wird beim Bundesamt für Justiz geführt. Darin wird die MFK nebst rechtlichen Hinweisen öffentlich bekannt gemacht und Anmeldungen erfasst. Das Klageregister soll zum 01.11.2018 eingerichtet sein. Bis zum Aufbau eines
vollelektronischen Klageregisters kann es übergangsweise manuell geführt werden.
· Verjährungshemmung: Durch die wirksame Anmeldung wird die Verjährung der Ansprüche ab Erhebung der MFK gehemmt. Die Verbraucher erleiden also keinen Rechtsverlust bei Abwarten des Prozessausgangs.
· Bindungswirkung: Das Urteil entfaltet für Folgestreitigkeiten zwischen angemeldeten Verbrauchern und beklagtem Unternehmen Bindungswirkung (Rechtssicherheit).

Ablauf der Musterfeststellungsklage
· Bekanntmachung: Nach Einreichung der Klage bei Gericht und Zustellung an den Beklagten wird die MFK im Klageregister des BfJ öffentlich bekannt gemacht (nebst Hinweisen für die Verbraucher zur Anmeldung und deren Rechtsfolgen).
· Anmeldung: Ab Bekanntmachung der MFK bis zum Ablauf des Tages vor dem ersten Termin können sich betroffene Verbraucher anmelden. Eine Rücknahme der Anmeldung ist zulässig; sie muss aber spätestens vor Ablauf des Tages vor dem ersten Termin erfolgen. Liegen zwei Monate nach Bekanntmachung mindestens 50 Anmeldungen vor, ist die MFK zulässig.
· Prozess: Das Musterfeststellungsverfahren wird nur zwischen Verband und Unternehmen geführt (nach den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung). Angemeldete Verbraucher sind nicht verfahrensbeteiligt, d.h. sie tragen kein Prozesskostenrisiko und können bspw. als Zeugen vernommen werden.
· Ergebnis: Das Musterfeststellungsverfahren kann durch Vergleich oder Urteil beendet werden. Das Urteil lautet auf Feststellung von Tatsachen oder Rechtsverhältnissen (Bsp.: Die Gebührenerhebung war unzulässig; das Fehlen einer bestimmten Eigenschaft stellt einen Mangel dar; das Unternehmen trifft ein Verschulden; der zu ersetzende Schaden ist
anhand der Kriterien XY zu berechnen). Ein Vergleich kann Feststellungen und/oder Leistungen an die angemeldeten Verbraucher zum Gegenstand haben.
· Durchsetzung: Kommt es nicht bereits zu einer freiwilligen Leistung des Unternehmens, können die angemeldeten Verbraucher ihre individuellen Ansprüche auf Grundlage der Urteilsfeststellungen durchsetzen. Ggfs. müssen sie ergänzend individuelle
Anspruchsvoraussetzungen nachweisen (Bsp.: wirksamer Vertragsschluss, Kaufpreiszahlung). Dabei können die Verbraucher alle Mechanismen der gerichtlichen und außergerichtlichen individuellen sowie kollektiven Rechtsdurchsetzung nutzen, wie
z.B. o außergerichtliche Schlichtungsstelle
o Mahnverfahren / Urkundsklage (einfache und kostengünstige Erlangung eines Zahlungstitels, Nachweis allein anhand schriftlicher Vertragsunterlagen)
o Leistungsklage
o Einziehungsklage durch einen Verband / Abtretung der Ansprüche an Dritte"


EuGH: Keine Sammelklage gegen Facebook mit abgetretenen Ansprüche durch Maximilian Schrems - Klage in Österreich gegen Facebook Irland für eigen Ansprüche möglich

EuGH
Urteil vom 25.01.2018
C-498/16
Maximilian Schrems / Facebook Ireland Limited


Der EuGH hat entschieden, dass Herr Maximilian Schrems keine Sammelklage gegen Facebook mit abgetretenen Ansprüche einlegen kann. Er kann jedoch in Österreich gegen Facebook Irland eigen Ansprüche im Klagewege durchsetzen und sich dabei auf den Verbrauchergerichtsstand berufen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Herr Schrems kann wegen eigener Ansprüche in Österreich Klage gegen Facebook Ireland erheben

Hingegen kann er nicht als Zessionar von Ansprüchen anderer Verbraucher den Verbrauchergerichtsstand in Anspruch nehmen, um die abgetretenen Ansprüche geltend zu machen

Herr Maximilian Schrems, der in Österreich wohnt, hat vor den österreichischen Gerichten Klage gegen Facebook Ireland (im Folgenden: Facebook) erhoben. Er wirft Facebook zahlreiche Verstöße gegen datenschutzrechtliche Regelungen im Zusammenhang mit seinem privaten Facebook-Konto und den Konten von sieben weiteren Nutzern vor, die ihm ihre Ansprüche
zwecks Klageerhebung abgetreten haben. Bei den anderen Nutzern soll es sich ebenfalls um Verbraucher handeln, die in Österreich, Deutschland und Indien wohnen. Herr Schrems begehrt von den österreichischen Gerichten insbesondere die Feststellung der Unwirksamkeit bestimmter Vertragsklauseln sowie die Verurteilung von Facebook zur Unterlassung der Verwendung der streitgegenständlichen Daten zu eigenen Zwecken bzw. zu Zwecken Dritter sowie zur Leistung von
Schadenersatz.

Facebook bestreitet die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Ihrer Ansicht nach kann Herr Schrems nicht die unionsrechtliche Regel in Anspruch nehmen, die es Verbrauchern erlaubt, einen ausländischen Vertragspartner vor den Gerichten ihres Wohnsitzes zu verklagen (im Folgenden: Verbrauchergerichtsstand). Da Herr Schrems nämlich Faceboook auch
beruflich nutze (insbesondere mittels einer der Information über sein Vorgehen gegen Facebook gewidmeten Facebook-Seite4
), könne er nicht als Verbraucher angesehen werden. Auf die abgetretenen Ansprüche sei der Verbrauchergerichtsstand nicht anwendbar, da er nicht übertragbar sei.

Vor diesem Hintergrund ersucht der Oberste Gerichtshof (Österreich) den Gerichtshof um Klarstellung der Voraussetzungen für die Geltendmachung des Verbrauchergerichtsstands. Mit seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof, dass der Nutzer eines privaten Facebook-Kontos die Verbrauchereigenschaft nicht verliert, wenn er Bücher publiziert, Vorträge hält, Websites betreibt, Spenden sammelt und sich die Ansprüche zahlreicher Verbraucher abtreten lässt, um sie gerichtlich geltend zu machen.

Seit 2010 widmet Herr Schrems ein Facebook-Konto nur seinen privaten Aktivitäten. Darüber hinaus hat er 2011 eine Facebook-Seite eröffnet, um i) die Internetnutzer über sein Vorgehen gegen Facebook, seine Vorträge, seine Teilnahmen an Podiumsdiskussionen und seine Medienauftritte zu informieren, ii) zu Spenden aufzurufen und iii) für seine Bücher zu werben.
Darüber hinaus hat sich Herr Schrems die Ansprüche von über 25 000 Personen aus der ganzen Welt abtreten lassen,
um sie gerichtlich geltend zu machen.

Dagegen kann der Verbrauchergerichtsstand nicht für die Klage eines Verbrauchers in Anspruch genommen werden, mit der er am Klägergerichtsstand nicht nur seine eigenen Ansprüche geltend macht, sondern auch Ansprüche, die von anderen Verbrauchern mit Wohnsitz im gleichen Mitgliedstaat, in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten abgetreten
wurden.

Zur Einstufung als Verbraucher führt der Gerichtshof aus, dass der Verbrauchergerichtsstand grundsätzlich nur dann Anwendung findet, wenn der Zweck des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags nicht in der beruflichen oder gewerblichen Verwendung des Gegenstands oder der Dienstleistung besteht, auf die sich der Vertrag bezieht. Bei Diensten eines sozialen Online-Netzwerks, die auf eine langfristige Nutzung ausgelegt sind, ist die weitere Entwicklung der
Nutzung der betreffenden Dienste zu berücksichtigen.

Somit könnte sich ein Kläger, der solche Dienste nutzt, nur dann auf die Verbrauchereigenschaft berufen, wenn die im Wesentlichen nicht berufliche Nutzung dieser Dienste, für die er ursprünglich einen Vertrag abgeschlossen hat, später keinen im Wesentlichen beruflichen Charakter erlangt hat.

Da der Verbraucherbegriff aber in Abgrenzung zum Unternehmerbegriff definiert wird und von den Kenntnissen und Informationen, über die die betreffende Person tatsächlich verfügt, unabhängig ist, nehmen ihr weder die Expertise, die diese Person im Bereich der betreffenden Dienste erwerben kann, noch ihr Engagement bei der Vertretung der Rechte und Interessen der Nutzer solcher Dienste die Verbrauchereigenschaft. Eine Auslegung des Verbraucherbegriffs, die solche Tätigkeiten ausschließt, würde nämlich darauf hinauslaufen, eine effektive Verteidigung der Rechte, die den Verbrauchern gegenüber ihren gewerblichen Vertragspartnern zustehen, einschließlich der Rechte auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten zu verhindern.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: