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OLG Frankfurt: Auch gerichtsbekannte Tatsachen müssen im Prozess vorgetragen werden - Abmahnbefugnis eines Abmahnvereins

OLG Frankfurt
Urteil vom 09.06.2022
6 U 134/21

Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass auch gerichtsbekannte Tatsachen im Prozess vorgetragen werden müssen. Es entfällt lediglich die Beweisbedürftigkeit. Vorliegend ging es um die Abmahnbefugnis eines Abmahnvereins.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Klage ist zulässig. Die Beklagte hat keine ausreichenden Umstände dargelegt, die im Streitfall für die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung durch den Kläger sprechen.

a) Nach § 8 c UWG ist die Geltendmachung der in § 8 Abs. 1 UWG bezeichneten Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist. Eine missbräuchliche Geltendmachung ist nach § 8 c Abs. 2 Nr. 1 UWG im Zweifel anzunehmen, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder von Kosten der Rechtsverfolgung oder auf die Zahlung einer Vertragsstrafe entstehen zu lassen. Generell ist von einem Missbrauch auszugehen, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind. Diese müssen nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein. Es reicht aus, dass die sachfremden Ziele überwiegen. Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände.

b) Die Beklagte hat zu den Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs nur pauschal vorgetragen. Zwar ist diese Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH GRUR 2006, 243 Rn 15 - MEGA SALE). Deshalb muss der als Verletzte in Anspruch Genommene den Rechtsmissbrauch nicht ausdrücklich rügen; er muss aber dem Gericht die notwendigen Grundlagen für die Amtsprüfung verschaffen. Die Beweislast obliegt - im Freibeweis - der Beklagten, die die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Missbrauchs darzulegen hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.12.2009 - 2 U 51/09, Rn 11, juris).

aa) Die Beklagte hat vorgetragen, nach Auffassung des OLG Rostock sei das Abmahnverhalten des Klägers missbräuchlich, da er bei Abmahnungen planmäßig seine eigenen Mitglieder verschone. Grundsätzlich kann sich ein Indiz dafür, dass die Rechtsverfolgung überwiegend auf sachfremden Gründe beruht, daraus ergeben, dass der Verband unlauteren Wettbewerb durch gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder planmäßig duldet (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2019 - I ZR 21/19, Rn 58 - Culatello di Parma; BGH, Urteil vom 23.1.1997 - I ZR 29/94, Rn 34 - Produktwerbung). Anzunehmen ist das insbesondere, wenn der Verband selektiv ausschließlich gegen Nichtmitglieder vorgeht, um neue Mitglieder zu werben, denen er nach einem Beitritt Schutz vor Verfolgung verspricht (BGH, Urteil vom 17.8.2011 - I ZR 148/10, Rn 23 - Glücksspielverband; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.6.2015 - 6 U 69/14, Rn 12, juris). Voraussetzung ist, dass hinreichende Umstände darauf hindeuten, dass der Verband gleichartige Verletzungshandlungen der eigenen Mitglieder planmäßig duldet.

Einen ausreichenden Sachvortrag für ein planmäßiges Verschonen von Mitgliedern hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit nicht gehalten. Der bloße Hinweis, das OLG Rostock habe in einem anderen Rechtsstreit eine entsprechende Auffassung vertreten, stellt keinen ordnungsgemäßen Sachvortrag dar. Es genügt auch nicht der Hinweis im Berufungsverfahren, der Kläger gehe „bekanntermaßen“ gegen eigene Mitglieder nicht vor. Insbesondere hat die Beklagte - anders als etwa die Beklagte in dem Parallelverfahren vor dem Landgericht Köln (Az. 81 O 35/21) - keine Mitgliedsunternehmen benannt, die vergleichbare Verstöße gegen Informationspflichten wie die Beklagte begangenen haben und vom Kläger verschont wurden. Ein „planmäßiges“ Verschonen kann bei dieser Sachlage nicht festgestellt werden.

bb) Ferner behauptet die Beklagte im Berufungsverfahren, der Kläger verfolge mit seiner „Abmahntätigkeit“ in Wahrheit das Ziel, Mitglieder zu werben, die sich Ruhe vor weiteren Verfahren erkaufen wollen. Konkrete Anhaltspunkte für diese Behauptung sind nicht ersichtlich. Die pauschale Behauptung einer missbräuchlichen Intention reicht nicht aus, um einen Rechtsmissbrauch zu begründen. Der Kläger geht vorliegend auch nicht aus einer Abmahnung vor, sondern macht eine Vertragsstrafe aus einem im Nachgang zur Abmahnung geschlossenen Unterlassungsvertrag geltend. Dass nicht nur die Abmahnung, sondern auch das Vertragsstrafeverlangen in Wahrheit der Anwerbung der Beklagten als Mitglied dient, ist nicht vorgetragen.

cc) Die Beklagte hat weiterhin vorgetragen, der Kläger verfüge nicht über genug Mitglieder, die auf dem maßgeblichen Markt für asiatische Lebensmittel tätig sind. Dieser Einwand betrifft die Klagebefugnis für den - hier nicht streitgegenständlichen - Unterlassungsanspruch. Vorliegend geht es um einen vertraglichen Zahlungsanspruch. Auf die Mitgliederstruktur kommt es insoweit nicht an. Nicht zielführend sind daher die Ausführungen des Landgerichts, der Kläger sei trotz des gerichtlichen Hinweises auf die zweifelhafte Aktivlegitimation nicht gewillt gewesen, zu den näheren Umständen der wettbewerbsrechtlichen Situation seiner Mitglieder vorzutragen.

dd) Ein Rechtsmissbrauch kann entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die streitgegenständlichen Verstöße von einem Mitarbeiter des Klägers aufgedeckt wurden und nicht auf einen Hinweis aus dem Kreis der Mitgliedsunternehmen zurückgeht. Die Verbandsklagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG verlangt gerade deshalb eine hinreichende personelle Ausstattung des Verbands, damit dieser Wettbewerbsverstöße selbstständig verfolgen kann.

ee) Die umfangreiche Abmahntätigkeit des Klägers spricht schließlich für sich genommen ebenfalls nicht für die Verfolgung sachfremder Ziele. Will ein Wirtschaftsverband im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG seine satzungsgemäße Aufgabe ernst nehmen, zieht eine Vielzahl von Wettbewerbsverstößen von Mitbewerbern der Mitglieder zwangsläufig eine entsprechende Anzahl von Abmahnungen und gegebenenfalls gerichtlicher Verfahren und Zahlungsaufforderungen nach Zuwiderhandlungen nach sich. Dieser Umstand kann daher für sich allein weder die Klagebefugnis in Frage stellen noch einen Rechtsmissbrauch begründen (BGH, Urteil vom 4.7.2019 - I ZR 149/18 = WRP 2019, 1182, Rn 44, 45 - Umwelthilfe). Die Prozessführungsbefugnis der Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die Bekämpfung unlauterer Wettbewerbshandlungen nicht nur im Interesse des unmittelbar Betroffenen, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (BGH, Urteil vom 17.8.2011 - I ZR 148/10, Rn 22 - Glücksspielverband). Die umfangreiche Wahrnehmung dieser Aufgabe kann daher für sich genommen nicht missbräuchlich sein.

2. Die Klage ist teilweise begründet. Insoweit war das Urteil des Landgerichts abzuändern.

a) Zwischen den Parteien ist ein Unterlassungsvertrag zustande gekommen. Die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe wird nicht schon durch eine einseitige Unterlassungserklärung des Schuldners begründet, sondern setzt den Abschluss eines Vertrags zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner voraus. Für das Zustandekommen eines solchen Vertrags gelten die allgemeinen Vorschriften über Vertragsschlüsse (BGH GRUR 2017, 823 Rn 12 - Luftentfeuchter; BGH GRUR 2010, 355 Rn 21 - Testfundstelle). Es kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend ein Unterlassungsvertrag bereits durch die Abmahnung, die ein Angebot in Gestalt einer vorformulierten Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch enthielt, und die inhaltlich unveränderte Erklärung der Beklagten vom 10.8.2020 zustande kam (Anlage K1). Jedenfalls kam der Vertrag durch die Annahmeerklärung des Klägers vom 12.8.2020 zustande (Anlage K2). Soweit die Beklagte erstinstanzlich die Annahme bzw. deren Zugang bestritten hat, kann sie damit kein Gehör finden. Das Landgericht hat die Annahme der Unterlassungserklärung tatbestandlich festgestellt, ohne dass die Feststellung mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen wurde.

b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der Unterlassungsvertrag nicht wegen Sittenwidrigkeit bzw. wegen arglistiger Täuschung über die Aktivlegitimation hinsichtlich des abgemahnten Anspruchs unwirksam.

aa) Die Unwirksamkeit wegen arglistiger Täuschung würde eine Anfechtungserklärung nach § 143 BGB voraussetzen. Eine solche ist nicht ersichtlich und wurde vom Landgericht auch nicht festgestellt. Sie kann auch nicht mehr nachgeholt werden, da die Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1 BGB abgelaufen ist.

bb) Es liegen im Übrigen auch weder ein Anfechtungsgrund im Sinne des § 123 BGB noch Umstände vor, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründen könnten. Die Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die auch nur ansatzweise den Tatbestand der arglistigen Täuschung ausfüllen. Das Landgericht kann den fehlenden Sachvortrag im Zivilprozess, in dem der Beibringungsgrundsatz gilt, nicht durch die Feststellung ersetzen, es sei gerichtsbekannt, dass „nach dem Gesamtbild der Abmahntätigkeit des Klägers“ nicht davon ausgegangen werden könne, dass es ihm um die Förderung gewerblicher selbstständiger Interessen, sondern ausschließlich um „lukrative Einnahmen für die wenigen für den Kläger Tätigen und Verantwortlichen“ gehe. Abgesehen davon, dass das Landgericht keine konkreten Quellen benennt, aus denen es diese Erkenntnis geschöpft hat, ersetzt die Gerichtsbekanntheit von Tatsachen nach § 291 ZPO nicht deren Vortrag, sondern allein ihre Beweisbedürftigkeit. Gerichtskundige Tatsachen dürfen nur bei Bezug zu entsprechend substantiiertem Sachvortrag eingeführt werden. Daran fehlt es. Die Beklagte hat lediglich pauschal behauptet, dass der Kläger die Abmahnung ausgesprochen habe, ohne über die nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG erforderliche Klagebefugnis zu verfügen. Darüber sei der Beklagte bei Abgabe seiner Erklärung im Irrtum gewesen. Von einer konkreten Täuschungshandlung oder gar einem arglistigen Verhalten war keine Rede.

cc) Dem Kläger obliegt auch keine sekundäre Darlegungslast zur angeblichen Täuschung über seine Aktivlegitimation im Zeitpunkt der Abmahnung. Er muss im Vertragsstrafeprozess nicht zu seiner Mitgliederstruktur vortragen. Wenn man das - wie das Landgericht - anders sehen wollte, hätte ausdrücklich auf den möglichen Anfechtungsgrund und die in diesem Zusammenhang vermissten Darlegungen hingewiesen werden müssen. Daran fehlt es. Der pauschale Hinweis in der Eingangsverfügung, es bestünden Bedenken an der Aktivlegitimation, konnte nicht ohne weiteres so verstanden werden. Denn die Aktivlegitimation für den streitgegenständlichen Anspruch ergibt sich allein aus dem Unterlassungsvertrag.

c) Unstreitig hat die Beklagte mit den aus der Anlage K3.1 - 3.3 ersichtlichen Amazon-Angeboten gegen die eingegangene Verpflichtung zur Grundpreisangabe und weitere Informationspflichten verstoßen.

d) Die Vertragsstrafe ist verwirkt. Der Höhe nach kann der Kläger nur eine Vertragsstrafe von 1.000 € beanspruchen. Die vom Kläger verlangte Vertragsstrafe in Höhe von 4.000 € entspricht nicht der Billigkeit (§ 315 Abs. 3 S. 2 BGB).

aa) Die der Sicherung einer wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsverpflichtung dienende Vertragsstrafevereinbarung kann gemäß § 315 Abs. 1 BGB - wie hier - in der Weise umgesetzt werden, dass dem Gläubiger für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach seinem billigen Ermessen überlassen bleibt (sog. "Hamburger Brauch"). Die vom Gläubiger getroffene Bestimmung der Strafhöhe ist nur dann verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht, wobei dem Gläubiger ein Ermessensspielraum zusteht. Die richterliche Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt auch einem Kaufmann zugute, so dass es auf die Vorschrift des § 348 HGB, wonach eine unter Kaufleuten vereinbarte Vertragsstrafe nicht herabgesetzt werden kann, nicht ankommt (BGH, Urteil vom 17.9.2009 - I ZR 217/07, Rn 30 - Testfundstelle, juris).

bb) Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass es um einen erstmaligen Verstoß geht, der noch in der Umstellungszeit - nämlich zwei Wochen nach Zustandekommen des Unterlassungsvertrages - stattfand. Betroffen sind zwei Angebote, die am selben Tag (26.8.2020), geschaltet wurden. Sie stehen in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang und bilden eine Handlungseinheit. Der Verstoß betrifft Informationspflichten wie etwa die Grundpreisangabe und die Angabe des Gerichtsorts des Handelsregisters, deren Nichtbeachtung Verbraucherinteressen nicht in schwerwiegender Weise beeinträchtigt hat. Bei dieser Sachlage hat der Kläger mit einer Vertragsstrafe von 4.000 € seinen Ermessensspielraum überschritten. Angemessen erscheinen hier 1.000 €.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

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