Skip to content

OLG München: Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG gilt wohl nicht analog für Unterlassungsansprüche nach § 6 GeschGehG - Vermutung widerlegt wenn Frist zur Antragskonkretisierung nicht ei

OLG München
Beschluss vom 08.08.2019
29 W 940/19


Das OLG München hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung nach § 12 Abs. 2 UWG wohl nicht analog für Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG gilt. Die Dringlichkeitsvermutung ist jedoch widerlegt wenn die Frist zur Antragskonkretisierung nach richterlichem Hinweis nicht eingehalten wird.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Das GeschGehG selbst enthält - anders als etwa das UWG in § 12 Abs. 2 UWG - keine speziellen Bestimmungen für die Geltendmachung der dort vorgesehenen Ansprüche im einstweiligen Rechtsschutz, so dass entsprechend der Begründung zum RegE vom 04.10.2018 (BT-Drs 19/4724, dort S. 34) zu Abschnitt 3 die allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung kommen, also diejenigen aus GVG und ZPO (McGuire, in: Büscher, UWG, § 15 GeschGehG Rn. 7). Ob angesichts dessen, dass durch das am 26.04.2019 in Kraft getretene GeschGehG die bis dahin geltenden §§ 17 bis 19 UWG ersetzt wurden, für die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen nach § 6 GeschGehG im einstweiligen Rechtsschutz die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG analog anzuwenden ist, kann vorliegend allerdings dahinstehen. Denn selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin eine Dringlichkeitsvermutung annehmen wollte, ist diese jedenfalls durch das der Antragstellerin zuzurechnende dringlichkeitsschädliche Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten als widerlegt anzusehen.

a) Allerdings erscheint es bereits fraglich, ob § 12 Abs. 2 UWG im vorliegenden Fall analog angewendet werden kann, da dies eine planwidrige Regelungslücke voraussetzen würde und ferner, „dass der zu beurteilende Sachverhalt so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen“ (Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 54 Rn. 19a; BGH, GRUR 2003, 622, 623 - Abonnementvertrag). Dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, erscheint zweifelhaft, zumal sich aus der im engen zeitlichen Zusammenhang zum hiesigen Gesetzgebungsverfahren erfolgten expliziten Aufnahme der Dringlichkeitsvermutung im MarkenG zu ergeben scheint, dass der Gesetzgeber beim GeschGehG bewusst von spezifischen Regelungen zum Verfügungsverfahren abgesehen hat, während er andere prozessrechtliche Fragen - wie diejenige der weitgehenden Abschaffung des Tatortgerichtsstands (vgl. Ohly, GRUR 2019, 441, 450) - ausdrücklich im GeschGehG gesetzlich geregelt hat.

b) Ob indes für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 6 GeschGehG eine Dringlichkeit gleichwohl zu vermuten ist oder der Verfügungsgrund nach allgemeinen Regeln (§ 936, § 920 Abs. 2 ZPO) glaubhaft zu machen ist, kann offen bleiben, denn vorliegend ist ein Verfügungsgrund wegen dringlichkeitsschädlichen Verhaltens im Laufe des Rechtsstreits zu verneinen.

aa) Als dringlichkeitsschädliches Verhalten ist ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Antragsteller mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht eilig ist (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 3.15), so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit all den damit zu Lasten des Antragsgegners verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und die mit dem Eilverfahren verbundene Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen beim angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint.

bb) Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund entfalten dabei nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens. So wirkt sich insbesondere das zögerliche Betreiben des Verfahrens nachteilig auf den Verfügungsgrund aus (vgl. Schmidt, in: Büscher, UWG, § 12 Rn. 168, 213 ff.; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl., § 12 Rn. 3.16; Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 321), wobei sich der Antragsteller Verzögerungen, die durch seinen Prozessbevollmächtigten verursacht werden, gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (Retzer, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 4. Aufl., § 12 Rn. 325; Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203). So hat dieser die Verfügungssache vorrangig zu erledigen und kann sich grds. weder auf eine eigene starke berufliche Beanspruchung noch auf Urlaub berufen (Berneke/Schüttpelz, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 4. Aufl., Rn. 203; einschränkend Singer, in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl., Kap. 45 Rn. 52 a.E.).

cc) Gemessen an diesen Maßstäben haben sich die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorliegend dringlichkeitsschädlich verhalten, indem sie auf die ihnen nach eigenem Vortrag am 19.07.2019 zugegangene Verfügung der Vorsitzenden der 39. Zivilkammer am Landgericht nicht binnen der dort gesetzten Frist hin eine dem Hinweis entsprechende Antragskonkretisierung vorgenommen haben.

(i) Nach dem Vortrag der Antragstellerin in der sofortigen Beschwerde (dort S. 2, Bl. 22 d.A.) wurde die landgerichtliche Verfügung vom 16.07.2019 (Bl. 11 d.A.) Herrn Rechtsanwalt S. per beA am 19.07.2019 zugestellt (Bl. 22 d.A.). Unstreitig und zudem ausweislich des Briefkopfes der Antragsschrift ist Herr Rechtsanwalt S. Partner der prozessbevollmächtigten Kanzlei der Antragstellerin.

(ii) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es für die Frage, ob ein dringlichkeitsschädliches Verhalten der Antragstellervertreter vorliegt, nicht darauf an, ob Herr Rechtsanwalt S. auch Sachbearbeiter des hiesigen Verfügungsverfahrens ist. Denn auch ausweislich der Antragsschrift ist als Prozessbevollmächtigter der Antragstellerin nicht Herr Rechtsanwalt B. allein bestellt, sondern die Rechtsanwälte …: so heißt es folgerichtig in der Antragsschrift: „Namens und im Auftrag der Antragstellerin beantragen wir … den Erlass folgender einstweiliger Verfügung“ und ferner in der sofortigen Beschwerde: „In dem Rechtsstreit … legen wir namens der Antragstellerin … sofortige Beschwerde ein“.

(iii) Den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ist mithin am 19.07.2019 die Verfügung des Landgerichts zugegangen mit der Folge, dass eine die Dringlichkeit wahrende Sachbehandlung nur dann angenommen hätte werden können, wenn bis zum Ablauf des 26.07.2019 eine Stellungnahme auf diesen Hinweis bei Gericht eingegangen wäre. Dies war indes nicht der Fall.

(iv) Die Umstände, die die Antragstellerin vortragen lässt, vermögen ihr zögerliches Verhalten nicht zu rechtfertigen. Vielmehr ergibt sich aus einer Zusammenschau der in der Woche vom 19.07.2019 bis 26.07.2019 behaupteten Tätigkeiten ein den Antragstellervertretern anzulastendes zögerliches Verhalten: Nachdem die landgerichtliche Verfügung am 19.07.2019 um 12:24 Uhr bei Herrn Rechtsanwalt S. eingegangen ist (Anlage ASt 13), wurde diese - ohne, dass hierfür eine Erklärung vorgebracht wird - erst am Nachmittag des 22.07.2019 an den Sachbearbeiter bei den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin weitergeleitet (Anlage ASt 14). Dieser befand sich jedoch bis 24.07.2019 seinem eigenen Vortrag nach im Urlaub, so dass die Verfügung des Landgerichts mangels anderer Angaben bis zum 25.07.2019 lediglich mehrfach weitergeleitet, aber nicht bearbeitet wurde. Vorkehrungen dafür, dass auch während des Urlaubs des Sachbearbeiters eine vorrangige Bearbeitung dieser Eilsache sichergestellt wäre, behauptet auch die Antragstellerin nicht ergriffen zu haben. Ungeachtet dessen ist dem Vorbringen der Antragstellerin nicht zu entnehmen, warum nicht noch am 25.07. bzw. am 26.07.2019 eine Stellungnahme durch den Sachbearbeiter an das Landgericht hätte gefertigt und diesem zugeleitet werden können. Soweit die Antragstellerin vortragen lässt, der Sachbearbeiter habe am 25.07.2019 mindestens drei Mal versucht, die Vorsitzende am Landgericht telefonisch zu erreichen, „um zu erfahren, ob das Gericht das Adressverzeichnis ausgedruckt auf Papier bevorzuge oder in Form einer elektronischen Speicherung auf einem Memorystick“, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg, denn dies erklärt nicht, warum sie ihren konkretisierten Antrag nicht spätestens am 26.07.2019 bei Gericht hätte einreichen können. Zumindest hat sie ausweislich Bl. 17/19 der Akte einen entsprechenden Schriftsatz auf den 26.07.2019 datiert. Dass sie diesen nicht am gleichen Tag, sondern erst am 29.07.2019 an das Gericht weitergeleitet hat, lässt sich jedenfalls nicht damit rechtfertigen, dass eine vorherige telefonische Rücksprache mit dem Gericht am 25.07.2019 nicht möglich gewesen sein soll (ungeachtet dessen, dass Versuche, die Vorsitzende Richterin am Landgericht am 26.07.2019 zu erreichen, nicht behauptet werden).

dd) Für den mit Schriftsatz vom 26.07.2019 abgeänderten Antrag kann sich die Antragstellerin auch nicht auf eine zwischenzeitlich neu in Gang gesetzte Dringlichkeitsfrist berufen.

(i) So wird der Antrag vom 26.07.2019 - bei Gericht eingegangen am 29.07.2019 - auf einen von der Antragsschrift abweichenden Sachvortrag gestützt. Zunächst wurde behauptet, dass die ehemalige Angestellte der Antragstellerin Frau L. S. das streitgegenständliche Adressverzeichnis am 19.02.2019 kopiert habe, nachdem sie sich unter Beihilfe des für die IT-Sicherheit Verantwortlichen der Antragstellerin mittels eines dem System unbekannten Computers Zugriff auf die Daten der Antragstellerin verschafft gehabt habe. Im auf den 26.07.2019 datierten Schriftsatz wird demgegenüber vorgetragen, dass eine Überprüfung des IT-Systems ergeben habe, dass der Inhalt des Adressverzeichnisses bereits am 14.02.2019 kopiert worden sei. Hiervon habe der Geschäftsführer der Antragstellerin am 25.07.2019 erfahren.

(ii) Wie sich aber dieser Vortrag zu den in der Antragsschrift behaupteten Vorgängen verhält, insbesondere ob die Antragstellerin an ihrer noch in der Antragsschrift vorgetragenen Version festhält, erklärt die Antragstellerin ebenso wenig, wie den Umstand, dass die im Schriftsatz vom 26.07.2019 geschilderte Untersuchung ersichtlich nicht bereits unmittelbar nach Kenntnis der eMail vom 17.06.2019 durchgeführt wurde. Auch dies offenbart ein der Antragstellerin anzulastendes zögerliches Verhalten bei der Sachverhaltsaufklärung, das der Annahme eines Verfügungsgrundes auch für den abgeänderten Antrag entgegensteht. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellt, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin die behaupteten IT-Untersuchungsergebnisse erst am 25.07.2019 erfahren hat, zumal die Antragstellerin selbst vorträgt, dass die am 14.02.2019 als Kopie der Adressliste angeblich angefertigte Excel-Datei von Frau L. S. am 15.02.2019 an die E-Mail-Adresse des Geschäftsführers der Antragstellerin selbst geschickt wurde (Bl. 18 d.A.). Dieser hatte mithin bereits seit diesem Tag Kenntnis von der behaupteten Kopie der Adressliste in Form einer Excel-Datei, ohne dies spätestens nach Kenntnis der eMail vom 17.06.2019 zum Anlass zu nehmen, insoweit weitere Aufklärung zu betreiben, geschweige denn bereits am 15.02.2019 die aus Sicht des Geschäftsführers nicht erforderliche Erstellung einer Excel-Datei durch Frau S. zu hinterfragen. Ob bei der Überprüfung entdeckt wurde, dass sich Frau S. am 15.02.2019 bei der an diesem Rechtsstreit nicht beteiligten C. beworben hat, ist angesichts dieser dringlichkeitsschädlichen Aufklärungsbemühungen der Antragstellerin unerheblich, zumal sich den Ausführungen der Antragstellerin nicht entnehmen lässt, inwiefern die streitgegenständlichen Daten für die C. überhaupt von Interesse hätten sein können.

2. Es kann daher dahinstehen, ob der Antrag im Übrigen als zulässig anzusehen ist. Insbesondere bedarf es keiner weiteren Aufklärung, ob die seitens der Antragsgegnerin im Schreiben vom 10.07.2019 (Anlage ASt 5) gegenüber der Antragstellerin angekündigte Stellungnahme bis 19.07.2019 zu der zuvor ausgesprochenen Abmahnung vom 04.07.2019 (Anlage ASt 4) zwischenzeitlich bei der Antragstellerin eingegangen ist. Denn wäre dies der Fall, dann wäre im Hinblick auf die dann bislang nicht erfolgte Vorlage dieser Stellungnahme zu erwägen, ob rechtmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin anzunehmen wäre (vgl. hierzu Senat, WRP 2017, 1523 - Vorenthalten der Abmahnungserwiderung; LG München I, WRP 2017, 496 -Titelerschleichung).

3. Ebenfalls offen bleiben kann, ob die Antragstellerin einen Verfügungsanspruch hinreichend dargetan hat. Insbesondere die Frage, wie es sich auswirkt, dass die behauptete Beschaffungshandlung durch die ehemalige Angestellte der Antragstellerin zeitlich vor Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden haben soll, die hier streitgegenständliche Nutzungshandlung indes nach Inkrafttreten des Gesetzes, bedarf vorliegend keiner Klärung. Nicht entschieden werden muss ferner, ob der Vortrag der Antragstellerin - der sich im Wesentlichen auf die Beschaffungshandlung(en) konzentriert - hinreichend substantiierten Sachvortrag zu dem nach § 4 Abs. 3 S. 1 GeschGehG zumindest erforderlichen Wissenmüssen bzgl. der dort näher genannten Umstände enthält.
III.
Zu den Nebenentscheidungen:

1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 47 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

3. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist im Streitfall, dem ein auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtetes Verfahren zu Grunde liegt, kein Raum (vgl. § 574 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

4. Der Antragsgegnerin ist der hiesige Beschluss von Amts wegen über deren Prozessbevollmächtigte bekannt zu geben. § 922 Abs. 3 ZPO steht dem nicht entgegen. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG (GRUR 2018, 1288) ist es verfassungsrechtlich geboten, dem Antragsgegner auch dann Hinweise des Gerichts zur Kenntnis zu bringen, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wird. Dies betrifft insbesondere solche Hinweise, die es dem Antragsteller ermöglichen, zu Dringlichkeitsbedenken des Gerichts Stellung zu nehmen oder seinen Antrag nachzubessern (BVerfG, GRUR 2018, 1288, Rn. 24). Der Grund für die Mitteilung solcher Hinweise auch an den Antragsgegner liegt dabei nicht nur darin, dass sich der Antragsgegner im noch laufenden Verfügungsverfahren hierzu entsprechend verhalten kann, sondern auch in der dem Antragsgegner grds. zu verschaffenden Möglichkeit, diese Hinweise in einem etwaigen anderen Verfahren nutzbar zu machen (vgl. BVerfG, GRUR 2018, 1288, Rn. 24).

Vorliegend hat das Landgericht die der Antragstellerin erteilten Hinweise der Gegenseite vor seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht. Angesichts dessen, dass - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - die bisher erteilten Hinweise nicht dazu führen, dass der Antragsgegner diese im hiesigen Verfahren, welches durch die Zurückweisung der Beschwerde rechtskräftig abgeschlossen wird, zu seinen Gunsten nutzen können müsste, erscheint eine Beteiligung vor der Zurückweisung der Beschwerde nicht geboten. Erforderlich ist jedoch die Bekanntgabe des Beschlusses mit den dortigen Ausführungen, damit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Waffengleichheit auch im Hinblick auf etwaige zukünftige Verfahren hinreichend Rechnung getragen wird."

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




OLG Hamburg: Wiederlegung der Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren wenn auf richterlichen Hinweis Antrag erst nach 5,5 Wochen ergänzt wird

OLG Hamburg
Urteil vom 21.03.2019
3 U 105/18


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass die Dringlichkeitsvermutung (§ 12 Abs. 2 UWG) im einstweiligen Verfügungsverfahren widerlegt ist, wenn der Antragsteller auf einen richterlichen Hinweis seinen Antrag / Vortrag erst nach 5,5 Wochen ergänzt.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Vorliegend fehlt es bereits an einem Verfügungsgrund, denn die Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 2 UWG ist durch das zögerliche Vorgehen der Antragstellerin widerlegt worden.

1.
Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es „ihm nicht eilig ist“ (st. Rspr. BGH, GRUR 2000, 151, 152 – Späte Urteilsbegründung; OLG München, WRP 2008, 972, 976; OLG Hamburg, GRUR-RR 2010, 57; OLG Koblenz, GRUR 2011, 451, 452; OLG Celle, WRP 2014, 477, 478; KG, GRUR-RR 2015, 181, 182; OLG Stuttgart, WRP 2018, 369, Rn. 41). Das ist der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, UWG § 12 Rn. 3.15c). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Partei das Verfahren mit dem nötigen Nachdruck verfolgt und damit ihr Interesse an einer dringlichen Rechtsdurchsetzung in einem Eilverfahren dokumentiert hat, ist eine Gesamtbetrachtung ihres prozessualen und vorprozessualen Verhaltens geboten (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 198, juris Rn. 28).

Die Bemessung des Zeitraums des zulässigen Zuwartens ist umstritten. Einige Oberlandesgerichte wenden starre Fristen an (vgl. dazu die Übersichten bei Köhler/Bornkamm/Feddersen/ Köhler, UWG, 37. Auflage, 2019, § 12 Rn. 3.15b; bei Harte/Henning/Retzer, UWG, 4. Auflage, 2016, Anh. zu § 12 Rn. 917 ff.), wobei die Tendenz dieser Rechtsprechung dahin geht, für den Regelfall eine Frist von 1 Monat zugrunde zu legen.

Es erscheint jedoch sachgerecht, stets eine Einzelfallwürdigung (unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes, der Erforderlichkeit von Ermittlungen, der Reaktion des Gegners auf eine Abmahnung usw.) vorzunehmen (hierfür OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, 367 OLG Hamburg, WRP 2007, 675 OLG Köln, GRUR 1993, 567 OLG Köln, GRUR 1993, 685; OLG Brandenburg, WRP 1998, 97).

Die Entscheidungen des OLG Hamburg zu den zeitlichen Anforderungen an ein hinreichend zügiges Vorgehen des Anspruchstellers bewegen sich in einem Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen zwischen der Kenntnis vom Rechtsverstoß und der Stellung des Verfügungsantrags, wobei dem Anspruchsteller ein umso zügigeres Handeln nach der Zurückweisung der Abmahnung abzuverlangen ist, wenn zwischen der Kenntnis vom Wettbewerbsverstoß und dem Ausspruch der Abmahnung bereits viel Zeit vergangen ist.

Ein Zeitraum von ca. 1 Monat von der Kenntnis bis zur Abmahnung zuzüglich weiterer 2 Wochen bis zum Verfügungsantrag ist als „noch“ nicht dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MMR 2010, 178, juris Rn. 77). Ein Zeitraum von 5 ½ Wochen absoluter Untätigkeit zwischen Kenntnis und Abmahnung und – bei fehlender Abmahnung – ein Zeitraum von 6 Wochen bis zur Einreichung des Verfügungsantrags sind aber bereits als dringlichkeitsschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, MD (VSW) 2009, 766, juris Rn. 72 bzw. OLG Hamburg, WRP 2007, 675, 677, juris Rn. 19). Der Antragsteller muss zudem nach Zurückweisung der Abmahnung zügig vorgehen. Lässt er trotz zügiger Abmahnung nach deren Zurückweisung fast 1 Monat bis zur Einreichung des Verfügungsantrags vergehen, kann das dringlichkeitsschädlich sein (OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 366, juris Rn. 31 f.).

Im Bereich der Heilmittelwerbung bewegt sich ein Zeitraum von ca. 6 Wochen zwischen dem Erhalt der angegriffenen Werbeunterlagen und der Abmahnung – auch mit Blick auf erhebliche Schwierigkeiten der im konkreten Fall zu beurteilenden inhaltlichen Fragen und angesichts eines in diesem Bereich im Interesse der ordentlichen Vorbereitung des Verfügungsverfahrens sachgerechten tendenziell großzügigeren Maßstabs – durchaus schon im „Grenzbereich zur verzögerlichen Behandlung“. Liegt dann zwischen der Abmahnung und der Einreichung des Verfügungsantrags ein weiterer Zeitraum von ca. 2 Wochen ist dies jedoch im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung noch nicht als dringlichkeitsunschädlich angesehen worden (OLG Hamburg, WRP 2013, 196, 199, juris Rn. 32).

2.
Hier liegen zwischen der Kenntniserlangung vom Wettbewerbsverstoß, welche spätestens am 1. Juli 2017 erfolgt ist, und der Einreichung des Verfügungsantrags beim Landgericht am 10. August 2018, 40 Tage, mithin fast 6 Wochen. Davon entfallen bereits 31 Tage, d. h. rund 4 ½ Wochen auf die Zeit zwischen der Kenntniserlangung der Antragstellerin und dem Ausspruch der Abmahnung am 1. August 2017, ohne dass bei Berücksichtigung der vorliegend streitigen Punkte ersichtlich wäre, weshalb die Antragstellerin so lange bis zum Ausspruch der Abmahnung gebraucht hat. Hinzu kommt, dass die Parteien sich bereits in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten zu ihren auch hier maßgeblichen Konkurrenzprodukten befanden (Anlage AG 6).

Hinzu kommt hier – anders als in den bereits entschiedenen o. g. Fällen – dass eine weitere Verzögerung zwischen der Einreichung des Verfügungsantrags am 10. August 2017 und dem Erlass der vorliegenden Beschlussverfügung am 18. September 2017 von insgesamt 5 ½ Wochen eingetreten ist, die jedenfalls zum Teil von der Antragstellerin zu vertreten ist. Zwar ist der Hinweis des Landgerichts, wonach der Verfügungsantrag noch unschlüssig sei, erst am 23. August 2017, d. h. fast zwei Wochen nach Einreichung des Antrags, erfolgt. Die Antragstellerin hat jedoch die Ergänzung ihres Vorbringens erst mit Schriftsatz vom 6. September 2017, d. h. 14 Tage (2 Wochen) nachdem dieser Hinweis erteilt worden war, vorgenommen.

Dies erweist sich angesichts der bereits zuvor eingetretenen Verzögerungen, insbesondere der zwischen Kenntniserlangung und Abmahnung vergangenen Zeit, bei der notwendigen Gesamtbetrachtung als zu lang. Wäre die Sache der Antragstellerin eilig gewesen, hätte sie den vom Landgericht angeforderten ergänzenden Vortrag mit der – wegen der schon lange zurückliegenden Kenntnis der streitigen Werbung – gebotenen Eile vorantreiben und den ergänzenden Vortrag unverzüglich halten müssen. Dies ist nicht geschehen, wobei hier offen bleiben kann, ob sich die Antragstellerin im Hinblick auf die Dringlichkeit nach § 12 Abs. 2 UWG überhaupt auf den vom Landgericht angegebenen Termin, den 1. September 2017, bis zu dem der Vortrag zu ergänzen war, berufen könnte.

Hinreichend nachvollziehbare Gründe, warum die Antragstellerin nicht unverzüglich weiter vorgetragen hat, sind nicht feststellbar. Soweit die Antragstellerin dazu ausgeführt hat, dass sich ein maßgeblicher Mitarbeiter noch im Urlaub befunden habe, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass dieser Umstand zu einer Verzögerung bei der Erstellung des ergänzenden Vortrags geführt hat bzw. führen musste. Die als Anlage ASt 10 vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Mitarbeiters Dr. S. vom 6. September 2017 vermag dies nicht zu begründen.

Mithin ist die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt, so dass die Berufung der Antragsgegnerin Erfolg hat.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: