Das LG München hat entschieden, dass Rechteinhaber Ansprüche gegen den Betreiber der Plattform TikTok wegen Urheberrechtsverletzungen durch von Nutzern hochgeladene Videos zustehen. Der Plattformbetreiber hat keine bestmögliche Anstrengungen zu Lizenzierung im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG unternommen.
Die Pressemitteilung des Gerichts: „Verhandlungspflicht für digitale Plattform“
Die für das Urheberrecht zuständige 42. Zivilkammer hat heute eine digitale Plattform zu Unterlassung und Auskunft für das öffentliche Zugänglichmachen von Filmproduktionen verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadenersatz festgestellt, da die Plattform bestmögliche Anstrengungen im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG hat vermissen lassen, um die seitens der Klägerin hierfür angebotenen Nutzungsrechte zu erwerben (42 O 10792/22). Eine derartige Obliegenheit fordert das Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Dienstanbietern für das Teilen von Online-Inhalten zur Anwendung vom 21.05.2021, das die sogenannte DSM Richtlinie im deutschen Recht umsetzt.
Die Beklagte betreibt eine digitale Plattform insbesondere zum Erstellen und Teilen von Videos. Die vornehmlich von Nutzern generierten und hochgeladenen Videos werden von der Beklagten gespeichert, organisiert und anderen Nutzern öffentlich zugänglich gemacht. Die Klägerin hat die Beklagte auf diverse unberechtigte Veröffentlichungen verschiedener Filme auf ihrer Plattform hingewiesen und angeboten, diese kostenpflichtig zu lizenzieren. Die zwischen den Parteien geführten Verhandlungen blieben allerdings ohne Ergebnis.
Die Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen, da sie für die erfolgten öffentlichen Wiedergaben der Filmproduktionen urheberrechtlich verantwortlich ist und sich nicht auf eine Enthaftung nach § 1 Abs. 2 UrhDaG berufen kann. Während die Klägerin ihren Obliegenheiten bei den Lizenzverhandlungen nachgekommen ist und ein konkretes Angebot unterbreitet hat, hat die Beklagte die erforderlichen bestmöglichen Anstrengungen im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 UrhDaG vermissen lassen, um die seitens der Klägerin angebotenen Nutzungsrechte zu erwerben.
Ob der Diensteanbieter bestmögliche Anstrengungen unternommen hat, ist auf Grundlage einer umfassenden Betrachtung des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beurteilen. Nach den Leitlinien zu Art. 17 der RL 2019/790/EU sind die Verhandlungen zwischen den Diensteanbietern und Rechteinhabern fair und zügig zu führen, wobei für die konkrete Ausgestaltung auf die bereits in Art. 16 der RL 2014/26/EU statuierten Verhandlungsgrundsätze zurückgegriffen werden kann, die im deutschen Recht ihre Umsetzung in § 36 VGG gefunden haben und Ausdruck verallgemeinerbarer Grundsätze sind.
Das konkrete Verhalten der Beklagte ließ nicht das Ziel erkennen, alsbald zu einem beiderseits interessengerechten Ergebnis zu gelangen. Die Verhandlungen waren vielmehr von einem einseitigen Informationsfluss von der Klägerin zur Beklagten geprägt.
Da die Beklagte gegen ihre Lizenzobliegenheit nach § 4 UrhDaG verstoßen hat, kann dahinstehen, ob die Beklagten ihre Pflichten zur einfachen und qualifizierten Blockierung nach §§ 7, 8 UrhDaG erfüllt hat. Um in den Vorteil der Enthaftung zu kommen, hat die Beklagte die Pflichten aus §§ 4, 7 bis 11 UrhDaG kumulativ zu erfüllen. Die folgt nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem regulatorischen Kontext der genannten Vorschriften. Die §§ 1 ff. UrhDaG bezwecken in Umsetzung von Art. 17 der RL 2019/790/EU diejenigen, deren urheberrechtlich geschützte Inhalte auf Upload-Plattformen genutzt werden, an der dabei stattfindenden Wertschöpfung partizipieren zu lassen. Die Entwicklung des Marktes für die Vergabe von Lizenzen zwischen Rechteinhabern und Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten soll gefördert und den Rechtsinhabern die Erzielung höherer Lizenzeinnahmen ermöglicht werden. Die angestrebte Teilhabe des Rechteinhabers an der Wertschöpfung liefe indes leer, wenn es der Diensteanbieter in der Hand hätte, in den Fällen des § 4 Abs. 2 UrhDaG zwischen Lizenzierung und Blockierung zu wählen und sich im Falle eines Verstoßes gegen die Lizenzierungsobliegenheit auf die getroffenen Maßnahmen zur qualifizierten Blockierung (§ 7 UrhDaG) und einfachen Blockierung (§ 8 UrhDaG) zurückzuziehen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Zum Hintergrund:
Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Dienstanbietern für das Teilen von Online-Inhalten
§ 4 UrhDaG - Pflicht zum Erwerb vertraglicher Nutzungsrechte; Direktvergütungsanspruch des Urhebers
(1) Ein Diensteanbieter ist verpflichtet, bestmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die vertraglichen Nutzungsrechte für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke zu erwerben. Der Diensteanbieter erfüllt diese Pflicht, sofern er Nutzungsrechte erwirbt, die
1.
ihm angeboten werden,
2.
über repräsentative Rechtsinhaber verfügbar sind, die der Diensteanbieter kennt, oder
3.
über im Inland ansässige Verwertungsgesellschaften oder abhängige Verwertungseinrichtungen erworben werden können.
(2) Nutzungsrechte nach Absatz 1 Satz 2 müssen
1.
für Inhalte gelten, die der Diensteanbieter ihrer Art nach offensichtlich in mehr als geringfügigen Mengen öffentlich wiedergibt,
2.
in Bezug auf Werke und Rechtsinhaber ein erhebliches Repertoire umfassen,
3.
den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes abdecken und
4.
die Nutzung zu angemessenen Bedingungen ermöglichen.
(3) Hat der Urheber das Recht der öffentlichen Wiedergabe eines Werkes einem Dritten eingeräumt, so hat der Diensteanbieter für vertragliche Nutzungen gleichwohl dem Urheber eine angemessene Vergütung für die öffentliche Wiedergabe des Werkes zu zahlen. Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn der Dritte eine Verwertungsgesellschaft ist oder der Urheber den Dritten als Digitalvertrieb einschaltet.
(4) Der Urheber kann auf den Direktvergütungsanspruch nach Absatz 3 nicht verzichten und diesen im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abtreten. Er kann nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.
EuG
Urteil vom 24.05.2023 T-451/20
Meta Platforms Ireland / Kommission
Das EuG hat entschieden, dass Facebook / Meta Platforms Ireland der EU-Kommission anhand von Suchbegriffen zu identifizierende Dokumente zur Verfügung stellen muss.
Die Pressemitteilung des EuG Wettbewerb: Die Klage von Meta Platforms Ireland (Facebook-Konzern) gegen eine Aufforderung der Kommission zur Übermittlung von Dokumenten, die anhand von Suchbegriffen zu identifizieren sind, wird abgewiesen
Nach den Feststellungen des Gerichts hat Meta Platforms Ireland nicht nachweisen können, dass die Aufforderung zur Übermittlung von Dokumenten, die anhand von Suchbegriffen zu identifizieren sind, über das Erforderliche hinausging und dass der Schutz sensibler personenbezogener Daten durch die Einrichtung eines virtuellen Datenraums nicht hinreichend gewährleistet wurde
Da die Europäische Kommission den Verdacht hegte, dass der Facebook-Konzern bei seiner Verwendung von Daten und beim Betreiben seines sozialen Netzwerks wettbewerbswidrig handelte, richtete sie mit Beschluss vom 4. Mai 20201 ein Auskunftsverlangen an die Meta Platforms Ireland Ltd, vormals Facebook Ireland Ltd. Dieser nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/20032 ergangene Beschluss verpflichtete Meta Platforms Ireland dazu, alle Dokumente, die von drei ihrer Verantwortlichen im maßgeblichen Zeitraum erstellt oder empfangen worden waren und einen oder mehrere der in den Anhängen des Beschlusses genannten Suchbegriffe enthielten, an die Kommission zu übermitteln. Für den Fall der unterlassenen Erteilung der verlangten Auskünfte wurde im Beschluss ein Zwangsgeld in Höhe von 8 Mio. Euro pro Tag angedroht.
Der Beschluss vom 4. Mai 2020 trat an die Stelle eines ähnlichen früheren Beschlusses, in dem weiter gefasste Suchkriterien vorgesehen waren. Durch den neuen Beschluss, der nach einem Austausch zwischen der Kommission und Meta Platforms Ireland erging, wurde die Anzahl der verlangten Dokumente verringert, indem die Suchbegriffe verfeinert und der Kreis der betroffenen Verantwortlichen begrenzt wurde.
Am 15. Juli 2020 erhob Meta Platforms Ireland eine Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss vom 4. Mai 2020 und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.
Mit einem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss ordnete der Präsident des Gerichts die Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom 4. Mai 2020 an, und zwar bis zur Einrichtung eines speziellen Verfahrens für die Vorlage derjenigen der verlangten Dokumente, die keinen Bezug zur Geschäftstätigkeit von Meta Platforms Ireland aufweisen und darüber hinaus sensible personenbezogene Daten enthalten. Um diesem Beschluss Folge zu leisten, erließ die Kommission einen Änderungsbeschluss5, der vorsieht, dass die fraglichen Dokumente erst zu den Untersuchungsakten genommen werden dürfen, nachdem sie in einem virtuellen Datenraum nach den Modalitäten, die in dem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss dargelegt werden, geprüft wurden.
Nachdem Meta Platforms Ireland ihre Klageschrift angepasst hat, um diesem Änderungsbeschluss Rechnung zu tragen, weist die Fünfte erweiterte Kammer des Gerichts ihre Klage in vollem Umfang ab. In diesem Zusammenhang prüft das Gericht zum ersten Mal die Rechtmäßigkeit eines mit Suchbegriffen verknüpften Auskunftsverlangens im Sinne der Verordnung Nr. 1/2003 sowie die Rechtmäßigkeit eines Verfahrens, das für die Bearbeitung von Dokumenten mit sensiblen personenbezogenen Daten einen virtuellen Datenraum vorsieht.
Würdigung durch das Gericht
Zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage machte Meta Platforms Ireland u. a. geltend, die Anwendung der im Auskunftsverlangen genannten Suchbegriffe führe unweigerlich dazu, dass zahlreiche Dokumente zusammenzutragen seien, die für die von der Kommission durchgeführte Untersuchung unerheblich seien, was dem in Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 niedergelegten Grundsatz der Erforderlichkeit zuwiderlaufe.
Insoweit erinnert das Gericht daran, dass die Kommission gemäß Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, um die Einhaltung des Wettbewerbsrechts der Union zu kontrollieren, durch einfaches Auskunftsverlangen oder durch Beschluss von Unternehmen verlangen kann, dass sie „alle erforderlichen Auskünfte“ erteilen. Daraus folgt, dass die Kommission nur Auskünfte verlangen kann, die sie voraussichtlich in die Lage versetzen, die mutmaßlichen Zuwiderhandlungen zu prüfen, deretwegen sie ihre Untersuchung durchführt. In Anbetracht der weiten Ermittlungsbefugnisse, die die Verordnung Nr. 1/2003 der Kommission einräumt, ist diese Voraussetzung der Erforderlichkeit erfüllt, wenn die Kommission zum Zeitpunkt des Auskunftsverlangens vernünftigerweise annehmen kann, dass die Auskünfte ihr dabei helfen können, festzustellen, ob ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorliegt.
Zur Stützung ihrer Rügen, mit denen sie die Einhaltung des Grundsatzes der Erforderlichkeit in Frage stellte, beanstandete Meta Platforms Ireland bestimmte im Auskunftsverlangen genannte Suchbegriffe, wobei sie darauf hinwies, dass diese spezifischen Beanstandungen als nicht abschließende Beispiele zu verstehen seien, die dazu dienten, ihre allgemeinere Argumentationslinie zu illustrieren. Ihrer Auffassung nach wäre es unangebracht, wenn nicht gar unmöglich gewesen, auf jeden einzelnen Suchbegriff separat einzugehen.
Diese Sichtweise wird jedoch vom Gericht zurückgewiesen. Seiner Auffassung nach ist eine globale Prüfung der Frage, ob der in Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 niedergelegte Grundsatz der Erforderlichkeit eingehalten wird, im vorliegenden Fall nicht angezeigt, falls überhaupt möglich. Der Umstand, dass bestimmte Suchbegriffe, wie von Meta Platforms Ireland geltend gemacht, womöglich zu vage sind, ändert nämlich nichts daran, dass andere Suchbegriffe hinreichend genau oder zielgerichtet sein können, um die Feststellung zu erlauben, dass sie der Kommission dabei helfen können, zu ermitteln, ob ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln vorliegt.
In Anbetracht der für Handlungen der Unionsorgane geltenden Vermutung der Rechtmäßigkeit befindet das Gericht daher, dass allein die von Meta Platforms Ireland konkret beanstandeten Suchbegriffe darauf geprüft werden können, ob sie dem Grundsatz der Erforderlichkeit entsprechen. Bei den übrigen Suchbegriffen muss hingegen davon ausgegangen werden, dass sie im Einklang mit diesem Grundsatz festgelegt worden sind.
Nach dem Hinweis, dass die erstmals im Stadium der Erwiderung vorgebrachten Argumente bezüglich der Suchbegriffe unzulässig sind, prüft das Gericht allein die von der Klageschrift erfassten Suchbegriffe. Insoweit stellt es fest, dass Meta Platforms Ireland nicht hat nachweisen können, dass diese Begriffe dem Grundsatz der Erforderlichkeit zuwiderlaufen. Daher weist das Gericht die verschiedenen in dieser Hinsicht vorgebrachten Argumente als unbegründet zurück.
Im Rahmen ihrer Nichtigkeitsklage machte Meta Platforms Ireland außerdem geltend, dass der Beschluss vom 4. Mai 2020 in seiner geänderten Fassung (im Folgenden: angefochtener Beschluss) insoweit, als er die Vorlage zahlreicher privater und unerheblicher Dokumente vorschreibe, das in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) niedergelegte Grundrecht auf Achtung des Privatlebens verletze.
Hierzu führt das Gericht aus, dass nach Art. 7 der Charta (der Rechte gewährt, die den durch Art. 8 Abs. 1 EMRK verbürgten Rechten entsprechen) jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation hat.
Was Eingriffe in dieses Recht anbelangt, sieht Art. 52 Abs. 1 der Charta vor, dass jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Zudem dürfen Einschränkungen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Anhand dieser Vorgaben prüft das Gericht, ob der durch den angefochtenen Beschluss bewirkte Eingriff in Art. 7 der Charta die in deren Art. 52 Abs. 1 genannten Voraussetzungen erfüllt.
Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Verordnung Nr. 1/2003 die Kommission zum Erlass des angefochtenen Beschlusses ermächtigt, so dass der durch ihn bewirkte Eingriff in das Privatleben gesetzlich vorgesehen ist. Der Beschluss entspricht überdies dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen der Union, und Meta Platforms Ireland hat nicht geltend gemacht, dass er den Wesensgehalt des Rechts auf Achtung des Privatlebens antastet.
Sodann prüft das Gericht, ob der angefochtene Beschluss einen unverhältnismäßigen Eingriff in dieses Recht bewirkt. Insoweit bestätigt das Gericht erstens, dass ein Auskunftsverlangen nach Art. 18 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 eine Maßnahme darstellt, die zur Erreichung der von der Kommission verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziele (nämlich der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsordnung nach Maßgabe der Verträge) geeignet ist.
Was zweitens die Frage anbelangt, ob der angefochtene Beschluss über das hinausgeht, was zur Erreichung der dem Gemeinwohl dienenden Ziele erforderlich ist, so weist das Gericht darauf hin, dass die Kommission nach dem Erlass des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlusses vom 29. Oktober 2020 ein spezielles Verfahren eingerichtet hat, um die Dokumente zu bearbeiten, die von Meta Platforms Ireland vorzulegen waren, aber dem ersten Anschein nach keinen Bezug zu ihrer Geschäftstätigkeit aufwiesen und sensible personenbezogene Daten enthielten (im Folgenden: geschützte Dokumente).
Nach diesem Verfahren waren die geschützten Dokumente der Kommission auf einem separaten elektronischen Datenträger zu übermitteln und in einen virtuellen Datenraum einzustellen, auf den nur eine begrenzte Zahl von Mitgliedern des für die Untersuchung zuständigen Teams in Anwesenheit der Anwälte von Meta Platforms Ireland zugreifen durfte, um die zu den Akten zu nehmenden Dokumente auszuwählen. Für den Fall einer nicht auszuräumenden Uneinigkeit über die Einstufung eines Dokuments sieht der Änderungsbeschluss darüber hinaus ein Streitschlichtungssystem vor. Nach diesem Beschluss können die geschützten Dokumente der Kommission zudem in einer Form übermittelt werden, in der die Namen der betroffenen Personen und jegliche Angaben, die deren Identifizierung ermöglichen könnten, geschwärzt sind. Auf ein durch die Erfordernisse der Untersuchung gerechtfertigtes Verlangen der Kommission müssen ihr diese Dokumente allerdings vollständig übermittelt werden.
Im Übrigen ist unstreitig, dass einige der von der Kommission verlangten Dokumente sensible personenbezogene Daten enthielten, die möglicherweise unter die von Art. 9 der Verordnung 2016/6796 und Art. 10 der Verordnung 2018/17257 erfassten Daten fielen. Die Zulässigkeit der Verarbeitung solcher Daten hängt von den drei folgenden Voraussetzungen ab:
1. Die Verarbeitung dient einem erheblichen öffentlichen Interesse mit unionsrechtlicher Grundlage;
2. die Verarbeitung muss zur Durchsetzung dieses öffentlichen Interesses erforderlich sein;
3. das Unionsrecht muss in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahren sowie angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsehen.
Diese Voraussetzungen sind auch für die Prüfung relevant, ob der angefochtene Beschluss, wie von Art. 52 Abs. 1 der Charta verlangt, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der mit ihm verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziele erforderlich ist. Insoweit stellt das Gericht fest, dass ein Auskunftsverlangen wie der angefochtene Beschluss eine Maßnahme darstellt, die zur Erreichung der von der Kommission verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziele geeignet ist (erste Voraussetzung), und dass die Verarbeitung personenbezogener Daten, die der angefochtene Beschluss verlangt, zur Durchsetzung des damit verfolgten erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist (zweite Voraussetzung).
Unter Verweis auf die Modalitäten der Übermittlung, der Einsichtnahme, der Bewertung und der Anonymisierung der geschützten Dokumente befindet das Gericht, dass die dritte der oben genannten Voraussetzungen im vorliegenden Fall ebenfalls erfüllt ist.
Nachdem das Gericht auf diese Weise ermittelt hat, dass der angefochtene Beschluss, soweit er das Verfahren der Verwendung eines virtuellen Datenraums vorsieht, nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der verfolgten, dem Gemeinwohl dienenden Ziele erforderlich ist, stellt es drittens fest, dass die Nachteile dieses Verfahrens auch nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen standen.
Aufgrund all dieser Erwägungen gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der durch den angefochtenen Beschluss bewirkte Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens die in Art. 52 Abs. 1 der Charta genannten Voraussetzungen erfüllt, und weist daher die Rügen, mit denen ein Verstoß gegen Art. 7 der Charta geltend gemacht wurde, zurück.
Da sich auch die weiteren Klagegründe, die von Meta Platforms Ireland vorgebracht wurden, als unbegründet erweisen, weist das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.
Das Bundeskartellamt hat hinsichtlich Apple die überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB festgestellt.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes: Apple unterliegt den Digitalvorschriften nach § 19a GWB
Das Bundeskartellamt hat entschieden, dass die Apple Inc., Cupertino, USA, ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Damit unterliegt Apple gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht des § 19a GWB.
Die Vorschrift des § 19a GWB ist aufgrund einer Gesetzesänderung seit Januar 2021 in Kraft. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Verfahren Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Apple verfügt über eine marktübergreifende wirtschaftliche Machtposition, die dem Unternehmen vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte Verhaltensspielräume eröffnet. Das Unternehmen ist – ausgehend von seinen mobilen Endgeräten wie dem iPhone – Betreiber eines umfassenden digitalen Ökosystems mit einer hohen Bedeutung für den Wettbewerb nicht nur in Deutschland, sondern auch europa- und weltweit. Apple nimmt mit seinen proprietären Produkten iOS und dem App Store Schlüsselpositionen für den Wettbewerb und für den Zugang zum Ökosystem und den Apple-Kunden ein. Auf der Grundlage dieser Entscheidung können wir gezielt wettbewerbsgefährdende Praktiken aufgreifen und effektiv unterbinden.“
Hinsichtlich konkreter Verhaltensweisen von Apple prüft das Bundeskartellamt in einem weiteren Verfahren Apples Tracking-Regelungen sowie das App Tracking Transparency Framework (s. Pressemitteilung vom 14. Juni 2022). Das Bundeskartellamt geht dabei insbesondere dem Anfangsverdacht nach, dass diese Regelungen Apples eigene Angebote bevorzugt behandeln und/oder andere Unternehmen behindern könnten. Über die Einleitung weiterer Verfahren gegen Apple ist noch nicht entschieden worden.
Zur marktübergreifenden Bedeutung von Apple
Apple gehört mit weltweiten Umsatzerlösen von rund 400 Mrd. USD und einem Gewinn von fast 100 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2022 zu den umsatz- und gewinnstärksten Unternehmen der Welt. Zum einen besetzt Apple die gesamte Wertschöpfungskette rund um hochwertige mobile digitale Endgeräte, teilweise einschließlich der eigenen Entwicklung von zentralen Komponenten wie der Prozessoren. Zum anderen entwickelt Apple die Software für diese Geräte – allen voran deren mobile Betriebssysteme wie iOS – selbst. Gleiches gilt für die Plattform für den mobilen Softwarevertrieb auf den Geräten, den App Store. Ergänzt wird Apples Angebot um eine Reihe weiterer Hardware-, Software- und Diensteprodukte.
Apples iPhone trägt kontinuierlich zu mehr als 50 Prozent zum Umsatz des Technologiekonzerns bei. Apple verfügt über marktbeherrschende, mindestens jedoch marktstarke Stellungen auf allen vertikal verbundenen Stufen ausgehend von Smartphones, Tablets und Smartwatches über die proprietären Betriebssysteme bis hin zum Apple App Store als der sowohl für App-Herausgebende als auch für Nutzerinnen und Nutzer einzig verfügbaren digitalen Vertriebsplattform für Apps und andere Softwareprodukte auf Apple Geräten.
Ausgehend von dieser engen, proprietären Vertikalstruktur und einer aktiven Gerätebasis von weltweit derzeit mehr als zwei Mrd. Stück ist Apple vielfach auf miteinander verbundenen Marktstufen und Geschäftsfeldern tätig und ist so in der Lage, seine Nutzerinnen und Nutzer langfristig an sein komplexes Ökosystem zu binden. Damit einher geht eine ausgeprägte Regelsetzungsmacht gegenüber Dritten, allen voran den App-Entwicklenden. Apple kontrolliert den Zugang zu Apple-Kundinnen und -Kunden und gestaltet diesen Zugang nach seinen Regeln und zu seinen ökonomischen Rahmenbedingungen. Diese herausragende Positionierung wird flankiert durch eine überragende Ressourcenausstattung. Apple kann nicht nur auf hohe Finanzmittel, sondern auch auf eine breite Nutzerbasis und einen starken Markenwert der Marke „Apple“ zurückgreifen. Das Unternehmen nutzt seine Ressourcen für den Ausbau seines Ökosystems, sei es über hohe Investitionen in F&E, fortlaufende Personalzuwächse in zukunftsweisenden Geschäftsbereichen oder über Unternehmenszukäufe, die sich vor allem auf Technologien zur Erweiterung von Geschäftsfeldern oder zur Verbesserung bestehender Dienste oder Produkte richten. Auch verfügt das Unternehmen über einen privilegierten Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten. Diese strukturell abgesicherte marktübergreifende Präsenz erleichtert es Apple, sein Ökosystem abzusichern und in neue Geschäftsfelder vorzustoßen, wie zum Beispiel das Werbegeschäft.
Apples überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des § 19a Abs. 1 GWB verschafft dem Unternehmen damit im Ergebnis eine Machtposition, die ihnen vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet. Die Entscheidung des Bundeskartellamtes ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Innerhalb dieses Zeitraumes unterliegt Apple in Deutschland der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt nach § 19a Abs. 2 GWB. Das Bundeskartellamt hat zu seiner Entscheidung heute ebenfalls einen Fallbericht veröffentlicht. Dieser ist hier abrufbar.
Im Januar 2021 ist die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft getreten. Eine zentrale neue Vorschrift (§ 19a GWB) erlaubt dem Bundeskartellamt ein frühzeitiges und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Vor dem heute abgeschlossenen Verfahren gegen Apple hat das Amt eine überragende marktübergreifende Bedeutung bereits bei Alphabet/Google, bei Meta/Facebook und bei Amazon festgestellt (s. Pressemitteilungen vom 5. Januar 2022, vom 4. Mai 2022 und vom 6. Juli 2022). Ein weiteres Feststellungsverfahren wurde gegen Microsoft eingeleitet (s. Pressemitteilung vom 28. März 2023).
Auf Basis der neuen Vorschriften laufen auch bereits mehrere Verfahren, die sich gegen konkrete Verhaltensweisen richten, so gegen Google/Alphabet (s. Pressemitteilungen vom 21. Juni 2022, vom 4. Juni.2021 bzw. 12. Januar 2022 und 25. Mai 2021), Meta/Facebook (s. Pressemitteilung vom 28. Januar 2021) und Amazon (s. Pressemitteilung vom 14. November 2022).
Das Bundeskartellamt hat hinsichtlich Meta (Facebook) die überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a GWB festgestellt.
Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:
Für Meta (vormals Facebook) gelten neue Regeln – Bundeskartellamt stellt „überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb“ fest
Das Bundeskartellamt hat festgestellt, dass die Meta Platforms, Inc., Menlo Park, USA ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Damit sind die Instrumente der erweiterten Missbrauchsaufsicht auf Meta anwendbar, die der deutsche Gesetzgeber Anfang 2021 eingeführt hat.
Die neuen Regeln des § 19a GWB erlauben dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Das Bundeskartellamt kann Unternehmen, deren überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb es festgestellt hat, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Durch das von Meta geschaffene digitale Ökosystem mit einer sehr großen Zahl von Nutzenden ist das Unternehmen der zentrale Spieler im Bereich der sozialen Medien. Nach unseren Ermittlungen ist Meta damit auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung. Wir haben seine Position nach zeitweilig streitigem Verfahren jetzt förmlich nachgewiesen. Unsere Feststellung versetzt uns in die Lage, gegen etwaige Wettbewerbsverstöße deutlich effizienter vorzugehen, als wir das mit den bislang verfügbaren Instrumenten tun konnten. Meta hat auf Rechtsmittel gegen unsere Entscheidung verzichtet.“
Meta ist ein international tätiger Digitalkonzern, der insbesondere für seine Dienste Facebook (einschließlich des Messengers), Instagram und WhatsApp bekannt ist. Mit Features wie den „Stories“ oder den „Reels“ und Angeboten wie „Watch“ oder „Shops“ erweitert Meta sein Angebot fortlaufend. Als großes Zukunftsprojekt investiert Meta insbesondere in Hard- und Software für ein „Metaverse“, eine umfassende virtuelle 3D-Welt. Dafür hat Meta beispielsweise den 3D-Brillen- und Technologiehersteller Oculus (jetzt: Meta Quest) zugekauft.
Die Dienste von Meta werden weltweit von über 3,5 Milliarden Menschen genutzt. Auch in Deutschland nutzen weite Teile der Bevölkerung die Meta-Dienste. Aufgrund der vielen Nutzenden und der Daten, über die Meta zu ihnen verfügt, ist das Unternehmen zugleich der führende Anbieter im Bereich von Social-Media-Werbung. Aus dieser finanziert sich das Unternehmen bislang nahezu ausschließlich. Im Jahr 2021 ist der Gewinn von Meta im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um mehr als ein Drittel auf fast 40 Milliarden USD gestiegen.
Insgesamt betreibt Meta damit ein starkes, werbefinanziertes Ökosystem im Bereich der sozialen Medien, das sich immer weiter ausdehnt (siehe zur Veranschaulichung die beigefügte Grafik ).
Wegen wettbewerblicher Bedenken hat das Bundeskartellamt Meta bereits Anfang 2019 die Zusammenführung von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen untersagt (siehe Pressemitteilung vom 07. Februar 2019). Der Rechtsstreit mit Meta zu dieser Entscheidung ist jedoch bis heute vor den Gerichten anhängig. Außerdem führt das Bundeskartellamt bereits seit 2020 ein Verfahren gegen Meta wegen der Verknüpfung des 3D-Brillen-Angebots von Meta Quest (vormals Oculus) mit Facebook (siehe Pressemitteilung vom 10. Dezember 2020).
Mit der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung Metas für den Wettbewerb gemäß § 19a Abs. 1 GWB sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, solche Verfahren zukünftig schneller abschließen zu können.
Die Entscheidung ist den gesetzlichen Vorgaben entsprechend auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. In dieser Zeit unterliegt Meta der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt gemäß § 19a Abs. 2 GWB.
Meta hat erklärt, gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einzulegen und die Normadressatenstellung im Sinne von § 19a Abs. 1 GWB nicht zu bestreiten. Meta erklärt damit allerdings ausdrücklich nicht, dass es zwingend mit allen von der Beschlussabteilung in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen übereinstimmt.
Zu seiner Entscheidung wird das Bundeskartellamt zeitnah einen Fallbericht veröffentlichen.
Hintergrund:
Seit Anfang 2021 sind mit der 10. GWB-Novelle neue Vorschriften im Bereich der Missbrauchsaufsicht in Kraft getreten, durch die das Bundeskartellamt schneller und effektiver gegen große Digitalkonzerne vorgehen kann. Das Amt hat seitdem verschiedene neue Verfahren gegen Google, Amazon, Meta (vormals Facebook) und Apple eingeleitet. Die überragende marktübergreifende Bedeutung von Alphabet / Google hat das Amt bereits Ende 2021 rechtskräftig festgestellt (siehe Pressemitteilung vom 5. Januar 2022).