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OLG Düsseldorf: Sonderkündigungsrecht gemäß § 57 TKG nach Wegfall von Nulltarif-Streamingoptionen wie Vodafone Pass oder Stream On

OLG Düsseldorf
Urteil vom 21.09.2023
I-20 U 72/23


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 57 TKG nach Wegfall von Nulltarif-Streamingoptionen wie Vodafone Pass oder Stream On besteht

Aus den Entscheidungsgründen:
1. (zum Antrag zu 1.) Gegenstand des Antrags sind nach Erläuterung des Antragstellers nicht Mobilfunkverträge, bei denen die Antragsgegnerin als Kompensation unbegrenzte Datenvolumina eingeräumt hat. Bei diesen kommt ein Kündigungsrecht auch nach Auffassung des Antragstellers im Hinblick auf § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TKG von vornherein nicht in Betracht. Diese Einschränkung soll sich nach Ansicht des Antragstellers aus der Bezugnahme auf AS 2 ergeben, in der nur ein begrenztes Datenvolumen zur Verfügung gestellt wurde. Der Senat hat dies vorsorglich im Tenor klargestellt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift § 57 Abs. 1 TKG n.F. mit der Kündigungsmöglichkeit des Kunden im vorliegenden Fall ein.

Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert nicht, anders als die Antragsgegnerin mein , bereits daran, dass es sich um eine Kündigung/Vertragsanpassung nach §§ 313, 314 BGB gehandelt habe. § 313 BGB gewährt einem Vertragspartner kein einseitiges Änderungsrecht, wie es die Antragsgegnerin für sich in Anspruch nimmt, vielmehr lediglich einen Anspruch auf Vertragsverhandlungen über eine Anpassung des Vertrages (vgl. Senat EnwZ 2023, 273 Rn. 29 m.w.N.).

Eine Kündigung hat die Antragsgegnerin nicht erklärt, auch nicht eine Änderungskündigung (vgl. § 2 KSchG); die Antragsgegnerin wollte die Verträge nicht kündigen, sie hat die Fortsetzung des Vertrages auch nicht von der Annahme der Vertragsänderungen durch den Kunden abhängig gemacht. Die Antragsgegnerin hat sich den Kunden gegenüber auch nicht auf § 313 BGB berufen.

Es bedarf keiner Erörterung, ob die einseitige Vertragsänderung in den Fällen, in denen es an einer entsprechenden Klausel fehlt, unwirksam ist. Die Vorschrift des § 57 Abs. 1 TKG greift auch dann ein. Wie aus Art. 105 Abs. 4 RL (EU) 2018/1972 hervorgeht, gilt das Kündigungsrecht bei (von gleich zu erörternden Ausnahmen abgesehen) allen einseitigen Vertragsänderungen. Der Gesetzgeber des TKG wollte in § 57 die Richtlinie ordnungsgemäß umsetzen (BT-Drs. 19/26108, S. 289). Fallgestaltungen, in denen ein Mobilfunkunternehmen eine einseitige Vertragsänderung ohne entsprechende AGB-Klausel vornehmen würde, lagen dem Gesetzgeber erkennbar vollständig fern. Auch der Streit darüber, ob die AGB die vorgesehene Änderung erlaubt, sollte ersichtlich ein Kündigungsrecht nicht ausschließen. Auch Vertragsänderungen, die „kraft höherer Gewalt“ notwendig werden und die nach allgemeinem Recht Reaktionen nach § 313 BGB auslösten könnten, hat der Gesetzgeber, wie sich aus § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TKG ergibt, berücksichtigt. § 314 BGB gewährt einer Vertragspartei lediglich ein Kündigungsrecht, nicht ein Vertragsänderungsrecht. Von daher ist es unerheblich, dass die Antragsgegnerin die Fallgestaltung (nunmehr) unter §§ 313, 314 BGB subsumiert.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts spielt auch keine Rolle, dass ein erheblicher Teil der fraglichen Verträge vor dem Inkrafttreten des TKG n.F. am 01. Dezember 2021 abgeschlossen worden wäre. Mangels einer Übergangsvorschrift sind die Richtlinie und das Gesetz auch auf vorher abgeschlossene Verträge anzuwenden (vgl. für eine vergleichbare Fallgestaltung EuGH NJW 2022, 529).

Auch der Auffassung des Landgerichts, im Übrigen greife die Ausnahmevorschrift des § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TKG ein, vermag der Senat nicht beizutreten. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei den Urteilen des EuGH und der darauf fußenden geänderten Rechtsauffassung des Aufsichtsbehörde um nachträglich eingetretene Änderungen des Unionsrechts handelt oder solchen gleichzustellen sind. Selbst wenn man dies zugunsten der Antragsgegnerin unterstellt, greift die Ausnahmevorschrift aus einem anderen Grunde nicht ein. Es reicht nicht aus, dass der Anlass der Änderung in Unionsrecht begründet ist, vielmehr muss das Ergebnis der Änderung unionsrechtlich zwingend sein. Dies ergibt sich eindeutig bereits aus dem deutschen („es sei denn, die vorgeschlagenen Änderungen sind unmittelbar durch Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben“), englischen („unless the proposed changes … are directly imposed by Union or national law“) und französischen („sauf sie les modifications envisagées … sont directement imposées par le droit de l‘Union ou le droit national“) Wortlaut der Richtlinienvorschrift. Auch Sinn und Zweck sprechen dafür, das Kündigungsrecht nur dann auszuschließen, wenn das Ergebnis der Vertragsänderung zwingend ist. Nur in diesem Fall kann dem Kunde angesonnen werden, eine einseitige Vertragsänderung hinzunehmen. In dem – auch hier vorliegenden - Falle, in dem dem Mobilfunkunternehmen mehrere Möglichkeiten zur Anpassung zur Verfügung stehen, muss der Kunde auf die vom Mobilfunkunternehmen getroffene Wahl reagieren können.

Der Antragsgegnerin war zwar aufgegeben worden, auch in Bestandsverträgen die Verstöße gegen die Netzneutralität abzustellen. Wie sie dies bewerkstelligte, ob sie beispielsweise sämtlichen Verbrauchern unbegrenzte Datenvolumina anbot oder ob sie die Verträge aus wichtigem Grunde kündigte, war jedoch ihr überlassen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

EuGH: Nulltarif-Optionen wie Stream On und Vodafone Pass verstoßen gegen die Verordnung über den Zugang zum offenen Internet und Grundsatz der Netzneutralität

EuGH
Urteile vom 02.09.2021
C-854/19, C-5/20 und C-34/20


Der EuGH hat entschieden, dass Nulltarif-Optionen wie Stream On und Vodafone Pass gegen die Verordnung über den Zugang zum offenen Internet und Grundsatz der Netzneutralität verstoßen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

„Nulltarif-Optionen“ verstoßen gegen die Verordnung über den Zugang zum offenen Internet

Folglich sind auch Beschränkungen der Bandbreite sowie von Tethering oder Roaming, die auf der Aktivierung einer solchen Option beruhen, mit dem Unionsrecht unvereinbar.

Bei einer sogenannten „Nulltarif-Option“ handelt es sich um eine Geschäftspraxis, die darin besteht, dass ein Anbieter von Internetzugangsdiensten auf den mit einer bestimmten Anwendung oder einer bestimmten Kategorie von Anwendungen, die von Partnern dieses Zugangsanbieters angeboten werden, verbundenen Datenverkehr ganz oder teilweise einen „Nulltarif“ oder einen vergünstigten Tarif anwendet. Diese Daten werden daher nicht auf die im Rahmen des Basistarifs erworbene Datenmenge angerechnet. Eine solche, im Rahmen beschränkter Tarife angebotene Option ermöglicht es den Internetzugangsanbietern, die Attraktivität ihres Angebots zu erhöhen.

Zwei deutsche Gerichte möchten vom Gerichtshof wissen, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass ein Anbieter von Internetzugangsdiensten die Bandbreite limitiert bzw. Tethering oder Roaming einschränkt, wenn der Kunde eine solche „Nulltarif-Option“ wählt. Diese Gerichte sind mit Rechtsstreitigkeiten über derartige Beschränkungen zwischen Vodafone bzw. Telekom Deutschland auf der einen sowie der Bundesnetzagentur (Deutschland) bzw. dem Bundesverband der Verbraucherzentralen, einer deutschen Verbraucherschutzorganisation, auf der anderen Seite befasst.

Bei Vodafone gelten die „Vodafone Pass“ genannten „Nulltarif-Optionen“ („Video Pass“, „Music Pass“, „Chat Pass“ und „Social Pass“) nur im Inland, d. h. in Deutschland. Im Ausland wird das für die Nutzung der Dienste von Partnerunternehmen verbrauchte Datenvolumen auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs angerechnet. Darüber hinaus rechnet Vodafone den Datenverbrauch bei einer Nutzung über Hotspot („Tethering“) auf das im Tarif enthaltene Datenvolumen an.

Telekom Deutschland bietet ihren Endkunden für einige Tarife eine Zubuchfunktion (auch als „Addon option“ bezeichnet) in Form einer „Nulltarif-Option“ namens „Stream On“ an. Bei Aktivierung dieser Option wird das auf Audio- und Videostreaming von Contentpartnern der Telekom entfallende Datenvolumen nicht auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs angerechnet, nach dessen Verbrauch die Übertragungsgeschwindigkeit generell reduziert wird. Bei Aktivierung dieser Option willigt der Endkunde allerdings in eine Bandbreitenlimitierung auf maximal 1,7 Mbit/s für Videostreaming ein, unabhängig davon, ob es sich um Videostreaming von Contentpartnern oder sonstigen Anbietern handelt.

Mit seinen heutigen Urteilen weist der Gerichtshof darauf hin, dass bei einer „Nulltarif-Option“ wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vorgenommen wird, indem der Datenverkehr zu bestimmten Partneranwendungen nicht auf den Basistarif angerechnet wird. Eine solche Geschäftspraxis verstößt gegen die allgemeine, in der Verordnung über den Zugang zum offenen Internet aufgestellte Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln.

Da die Limitierung der Bandbreite sowie die Einschränkungen von Tethering oder Roaming nur zur Anwendung kommen, wenn die gegen die Verordnung über den Zugang zum offenen Internet verstoßende „Nulltarif-Option“ aktiviert wird, sind auch sie mit dem Unionsrecht unvereinbar.


Den Volltext der Entscheidungen finden Sie hier:

C-854/19

C-5/20

C-34/20




EuGH: Verstoß gegen Grundsatz der Netzneutralität wenn für bestimmte Dienste kein Datenvolumen verbraucht wird und andere nach Ausschöpfen des Volumens blockiert oder verlangsamt werden

EuGH
Urteil vom 15.09.2020
in den verbundenen Rechtssachen C-807/18 und C-39/19
Telenor Magyarország Zrt. / Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság Elnöke


Der EuGH hat entschieden, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Netzneutralität vorliegt, wenn für bestimmte Dienste kein Datenvolumen verbraucht wird und andere Dienste nach Ausschöpfen des Volumens blockiert oder verlangsamt werden.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Der Gerichtshof legt erstmals die Unionsverordnung aus, mit der die „Neutralität des Internets“ festgeschrieben wird

Die Erfordernisse des Schutzes der Rechte der Internetnutzer und der nichtdiskriminierenden Behandlung des Datenverkehrs stehen dem entgegen, dass ein Internetzugangsanbieter bestimmte Anwendungen und Dienste bevorzugt behandelt, indem er ihre Nutzung zum „Nulltarif“ anbietet, die Nutzung der übrigen Anwendungen und Dienste dagegen blockiert oder verlangsamt.

Die in Ungarn niedergelassene Gesellschaft Telenor stellt u. a. Internetzugangsdienste bereit. Zu den Dienstleistungen, die sie ihren Kunden anbietet, gehören zwei Pakete für einen bevorzugten Zugang (sog. „Nulltarif“), die die Besonderheit aufweisen, dass der durch bestimmte Dienste und Anwendungen generierte Datenverkehr nicht auf den Verbrauch des von den Kunden gebuchten Datenvolumens angerechnet wird.

Außerdem können die Kunden diese speziellen Anwendungen und Dienste nach der Ausschöpfung ihres Datenvolumens weiterhin uneingeschränkt nutzen, während der Datenverkehr bei den übrigen verfügbaren Anwendungen und Diensten dann blockiert oder verlangsamt wird.

Nachdem die ungarische Behörde für Medien und Kommunikation zwei Verfahren eingeleitet hatte, um zu prüfen, ob diese beiden Pakete mit der Verordnung 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet vereinbar sind, erließ sie zwei Bescheide, in denen sie die Auffassung vertrat, dass die Pakete gegen die in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung enthaltene Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs verstießen und dass Telenor dies abstellen müsse.

Der mit zwei Klagen von Telenor befasste Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtischer Gerichtshof, Ungarn) hat den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung und Anwendung der Abs. 1 und 2 von Art. 3 der Verordnung 2015/2120 – die den Endnutzern von Internetzugangsdiensten eine Reihe von Rechten zuerkennen und den Anbietern solcher Dienste den Abschluss von Vereinbarungen sowie Geschäftspraktiken verbieten, die die Ausübung dieser Rechte einschränken – und ihres Art. 3 Abs. 3 – der eine allgemeine Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Datenverkehrs aufstellt – ersucht.

In seinem Urteil vom 15. September 2020 hat der Gerichtshof (Große Kammer) erstmals die Verordnung 2015/2120 ausgelegt, die den tragenden Grundsatz der Offenheit des Internets (auch als „Netzneutralität“ bezeichnet) festschreibt.

Erstens hat der Gerichtshof hinsichtlich der Auslegung von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 in Verbindung mit ihrem Art. 3 Abs. 1 darauf hingewiesen, dass nach der letztgenannten Bestimmung die Rechte, die sie den Endnutzern von Internetzugangsdiensten zuerkennt, „über ihren Internetzugangsdienst“ ausgeübt werden sollen, während die erstgenannte Bestimmung verlangt, dass die Ausübung dieser Rechte durch einen solchen Dienst nicht eingeschränkt wird. Überdies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung, dass die Dienste eines Internetzugangsanbieters von den nationalen Regulierungsbehörden unter der Kontrolle der
zuständigen nationalen Gerichte anhand dieses Erfordernisses zu bewerten sind, unter Berücksichtigung sowohl der Vereinbarungen zwischen dem Anbieter und den Endnutzern als auch der Geschäftsgepflogenheiten des Anbieters.

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof, im Anschluss an eine Reihe allgemeiner Ausführungen zu den in der Verordnung 2015/2120 enthaltenen Begriffen „Vereinbarungen“, „Geschäftspraxis“ und „Endnutzer“
, in Bezug auf Vereinbarungen, mit denen die Kunden Pakete abonnieren, die aus einer Kombination eines „Nulltarifs“ mit Maßnahmen zur Blockierung oder Verlangsamung des Datenverkehrs bei der Nutzung der übrigen, nicht dem „Nulltarif“ unterliegenden Anwendungen und Dienste bestehen, entschieden, dass der Abschluss solcher Vereinbarungen geeignet ist, die Ausübung der Rechte der Endnutzer im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung auf einem erheblichen Teil des Marktes einzuschränken. Derartige Pakete können nämlich die Nutzung der bevorzugt behandelten Anwendungen und Dienste erhöhen und zugleich die Nutzung der übrigen verfügbaren Anwendungen und Dienste in Anbetracht der Maßnahmen, mit denen der Anbieter von Internetzugangsdiensten ihre Nutzung technisch erschwert oder sogar unmöglich macht, verringern. Zudem kann, je größer die Zahl der Kunden ist, die solche Vereinbarungen abschließen, die kumulierte Auswirkung dieser Vereinbarungen angesichts ihrer Tragweite umso mehr zu einer erheblichen Einschränkung der Ausübung der Rechte der Endnutzer führen oder sogar den Kern dieser Rechte untergraben.

Zweitens hat der Gerichtshof zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 ausgeführt, dass es zur Feststellung einer Unvereinbarkeit mit dieser Bestimmung keiner Bewertung der Auswirkungen von Maßnahmen, mit denen der Verkehr blockiert oder verlangsamt wird, auf die Ausübung der Rechte der Endnutzer bedarf. Ein solches Erfordernis ist nämlich in dieser Bestimmung für die Beurteilung der Einhaltung der darin normierten allgemeinen Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs nicht vorgesehen. Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass Maßnahmen, mit denen der Verkehr blockiert oder verlangsamt wird, als solche als mit der genannten Bestimmung unvereinbar anzusehen sind, da
sie nicht auf objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien, sondern auf kommerziellen Erwägungen beruhen.

Folglich verstoßen Pakete wie die der Kontrolle des vorlegenden Gerichts unterworfenen im Allgemeinen sowohl gegen Abs. 2 von Art. 3 der Verordnung 2015/2120 als auch gegen dessen Abs. 3; bei ihrer Prüfung können die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte der letztgenannten Bestimmung Vorrang einräumen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:




VG Köln legt EuGH vor: Ist Streaming-Zusatztarif StreamOn der Telekom Deutschland GmbH mit Grundsatz der Netzneutralität gemäß Verordnung (EU) 2015/2120 vereinbar ?

VG Köln
Beschluss vom 20.01.2020
9 K 4632/18


Das VG Köln hat dem EuGH im Rechtsstreit um den Streaming-Zusatztarif StreamOn der Telekom Deutschland GmbH zur Entscheidung vorgelegt, ob der Tarif mit dem Grundsatz der Netzneutralität gemäß Verordnung (EU) 2015/2120 vereinbar ist.

Vorlage an den EuGH im „StreamOn“-Verfahren

Mit Beschluss vom gestrigen Tage hat das Verwaltungsgericht Köln das Klageverfahren der Telekom Deutschland GmbH betreffend „StreamOn“ ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Verordnung (EU) 2015/2120 und den darin enthaltenen Vorschriften über die sog. Netzneutralität vorgelegt.

„StreamOn“ ist eine (in unterschiedlichen Ausgestaltung buchbare) kostenlose Zubuchoption zu Mobilfunktarifen der klagenden Telekom Deutschland GmbH, bei deren Buchung das auf Audio- und Videostreaming so genannter Contentpartner entfallende Datenvolumen nicht auf das mit dem jeweiligen Mobilfunktarif vertraglich vereinbarte Inklusivdatenvolumen für die Nutzung der per Mobilfunk bereitgestellten Internetverbindung angerechnet wird (so genanntes Zero-Rating). Im Falle von „StreamOn Music&Video“ willigt der Endkunde allerdings in eine grundsätzliche Bandbreitenlimitierung auf maximal 1,7 Mbit/s für Videostreaming ein. Der Endkunde kann die Zubuchoption und demzufolge auch die Bandbreitenlimitierung jederzeit deaktivieren und reaktivieren, um unter Anrechnung auf sein Inklusivdatenvolumen wieder eine maximale Übertragungsqualität auch für Videostreaming zu ermöglichen. Erfolgt innerhalb von 24 Stunden keine Reaktivierung durch den Kunden, stellt die Klägerin automatisiert die Standardeinstellungen (Nichtanrechnung auf das Inklusivdatenvolumen und Bandbreitenlimitierung) wieder her.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 untersagte die Bundesnetzagentur insbesondere, in der Zubuchoption „StreamOn“ die Datenübertragungsrate für Videostreaming auf bis zu 1,7 Mbit/s zu reduzieren. Den durch die Klägerin gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch wies die Bundesnetzagentur mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2018 als unbegründet zurück. Am 22. Juni 2018 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheids vom 15. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2018 erstrebt. Nachdem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln (1 L 253/18) sowie des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (13 B 1734/18) ergangen sind, erachtet das Gericht im nunmehr zur Entscheidung anstehenden Hauptsacheverfahren eine Beteiligung des Europäischen Gerichtshofes für geboten.

Das Gericht möchte vom Europäischen Gerichtshof vornehmlich wissen, ob Vereinbarungen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2120 zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern namentlich über Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2120 und dem dort geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz genügen müssen. Des Weiteren hat es dem Europäischen Gerichthof verschiedene Fragen im Hinblick auf die Reichweite von Art. 3 Abs. 3 Uabs. 2 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2120 vorgelegt, wonach in unterschiedlichem Ausmaß sog. Verkehrsmanagementmaßnahmen zulässig sein können. Damit möchte das Gericht geklärt wissen, ob die Bandbreitenreduzierung im Falle von „StreamOn“ als eine zulässige Verkehrsmanagementmaßnahme eingestuft werden kann. Schließlich hat das Gericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2120 dahingehend auszulegen ist, dass die Bandbreitenreduzierung im Falle von „StreamOn“ das Recht der Endnutzer im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 2015/2120 einschränkt.


OVG Münster: Streaming-Zusatztarif StreamOn der Telekom darf vorläufig nicht weiter angeboten werden - Verstoß gegen Grundsatz der Netzneutralität und europäische Roaming-Regelungen

OVG Münster
Beschluss vom 12.07.2019
13 B 1734/18


Das OVG Münster hat im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden, dass der Streaming-Zusatztarif StreamOn der Telekom vorläufig nicht weiter angeboten werden darf. Es liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Netzneutralität und europäische Roaming-Regelungen vor.

Damit bestätigte das Gericht die Ansicht der Bundesnetzagentur und die Vorinstanz (siehe dazu VG Köln: Zusatzangebot StreamOn der Telekom für Streamingdienste rechtswidrig - Verstoß gegen Grundsatz der Netzneutralität und europäische Roaming-Regelungen )

Die Pressemitteilung des Gerichts:

OVG NRW bestätigt vorläufiges Aus für "StreamOn"

Die Telekom Deutschland GmbH darf das von ihr angebotene Produkt "StreamOn" in der bisherigen Form vorläufig nicht weiterbetreiben. Dies hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einem durch die Telekom Deutschland GmbH gegen die Bundesnetzagentur angestrengten Eilverfahren entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln bestätigt.

Bei "StreamOn" handelt es sich um ein kostenloses Zusatzangebot für Mobilfunk-Kunden. Bei Buchung wird der Datenverkehr für Audio- und Videostreaming sog. Contentpartner der Antragstellerin nicht auf das mit dem Mobilfunktarif vertraglich vereinbarte Inklusivdatenvolumen angerechnet. Für bestimmte Mobilfunktarife willigt der Kunde allerdings in eine generelle Bandbreitenbegrenzung für Videostreaming auf maximal 1,7 Mbit/s ein, was für eine Auflösung in HD-Qualität nicht mehr genügt. Eine Nutzung von "StreamOn" ist zudem nur innerhalb Deutschlands vorgesehen. Im Ausland wird der Datenverkehr für Audio- und Videostreaming immer auf das Inklusivdatenvolumen angerechnet.

Die Bundesnetzagentur stellte fest, dass "StreamOn" gegen den europarechtlich verankerten Grundsatz der Netzneutralität sowie gegen europäische Roaming-Regelungen verstoße, und untersagte die Fortführung von "StreamOn" in der derzeitigen konkreten Ausgestaltung. Das Verwaltungsgericht Köln lehnte einen hiergegen gerichteten Eilantrag der Antragstellerin ab. Mit heute bekanntgegebenem Beschluss vom 12. Juli 2019 wies der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts auch die Beschwerde der Antragstellerin zurück.

Zur Begründung führte der 13. Senat aus, der Grundsatz der Netzneutralität verpflichte die Anbieter von Internetzugangsdiensten zur Gleichbehandlung allen Datenverkehrs. Hiergegen werde verstoßen, wenn die Übertragungsgeschwindigkeit für Videostreaming gegenüber anderen Diensten oder Anwendungen gezielt gedrosselt werde. Da der Grundsatz der Neutralität ein grundlegendes Funktionsprinzip des Internets zugunsten sämtlicher Nutzer schütze, sei es auch unerheblich, ob der Kunde mit der Buchung von "StreamOn" in die Drosselung eingewilligt habe. Außerdem sei es nach europäischen Roaming-Regeln verboten, für Roaming-Dienste im europäischen Ausland ein zusätzliches Entgelt gegenüber dem inländischen Endkundenpreis zu verlangen. Die Antragstellerin verletze dieses Verbot, soweit sie den Datenverkehr für Audio- und Videostreaming bei Nutzung im europäischen Ausland abweichend zu einer Nutzung im Inland auf das Inklusivdatenvolumen anrechne. Für den Kunden bestehe damit bei Nutzung im europäischen Ausland ein ungünstigerer Entgeltmechanismus. Da die Entscheidung der Bundesnetzagentur aus diesen Gründen voraussichtlich rechtmäßig sei, könne sie auch bereits vor einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren vollzogen werden.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 13 B 1734/18 (I. Instanz: VG Köln - 1 L 253/18 -)



VG Köln: Zusatzangebot StreamOn der Telekom für Streamingdienste rechtswidrig - Verstoß gegen Grundsatz der Netzneutralität und europäische Roaming-Regelungen

VG Köln
Beschluss vom 20.11.2018
1 L 253/18


Das VG Köln hat entschieden, dass das Zusatzangebot StreamOn der Telekom für Streamingdienste rechtswidrig und damit unzulässig ist. Das Gericht sieht einen Verstoß gegen Grundsatz der Netzneutralität und europäische Roaming-Regelungen

Die Pressemitteilung des Gerichts:

"StreamOn“-Angebot der Telekom ist rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom heutigen Tag einen Antrag der Telekom Deutschland GmbH gegen eine Anordnung der Bundesnetzagentur in Bezug auf das Produkt „StreamOn“ abgelehnt.

Bei dem kostenlos buchbaren Produkt „StreamOn“ handelt es sich um ein Zusatzangebot für bestimmte Mobilfunk-Kunden der Antragstellerin, bei dem Datenmengen, die beim Audio- und Videostreaming von so genannten Content-Partnern übertragen werden, nicht auf das nach dem Tarif zur Verfügung stehende Datenvolumen angerechnet werden. Dies gilt jedoch nur für eine Nutzung im Inland. Nutzt der Kunde „StreamOn“ im europäischen Ausland, so erfolgt weiterhin eine Anrechnung auf das im jeweiligen Tarif enthaltene Datenvolumen. Durch die Buchung des Produkts „StreamOn“ willigt der Kunde in bestimmten Tarifen zudem ein, dass die Bandbreite (Datenübertragung) für Streamingdienste auf maximal 1,7 Mbit/s reduziert wird. Diese Bandbreite genügt nicht für ein Streaming in HD-Qualität.

Die Bundesnetzagentur stellte fest, dass dieses „StreamOn“-Angebot gegen den europarechtlich verankerten Grundsatz der Netzneutralität sowie gegen europäische Roaming-Regelungen verstoße, und untersagte die Fortführung von „StreamOn“ in der derzeitigen konkreten Ausgestaltung.

Der hiergegen erhobene Eilantrag der Telekom blieb erfolglos. Zur Begründung führte das Gericht aus, der Grundsatz der Netzneutralität verpflichte Anbieter von Internetzugangsdiensten, wie die Telekom einer sei, den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich zu behandeln. Hiergegen werde durch die Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit für Streaming-Dienste verstoßen. Diese Drosselung stehe auch nicht zur Disposition des Kunden, so dass es unerheblich sei, ob dieser durch Vertragsabschluss „freiwillig“ die Drosselung hinnehme. Schließlich stehe die derzeitige Ausgestaltung auch nicht im Einklang mit europäischen Roaming-Regelungen. Danach dürften für Roaming-Dienste im europäischen Ausland keine zusätzlichen Entgelte im Vergleich mit den inländischen Endkundenpreisen verlangt werden. Dadurch, dass die Telekom eine Anrechnung der gestreamten Datenmengen auf das jeweilige Datenvolumen nur bei einer Inlandsnutzung ausschließe, werde sie diesen Anforderungen nicht gerecht.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheidet.