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OLG Bremen: Entsperrung eines Mobiltelefons durch das zwangsweise Auflegen des Fingers des Beschuldigten kann von Befugnisnorm § 81b Abs. 1 StPO gedeckt sein

OLG Bremen
Beschluss vom 08.01.2025
1 ORs 26/24


Das OLG Bremen hat entschieden, dass eqw Entsperrung eines Mobiltelefons durch das zwangsweise Auflegen des Fingers des Beschuldigten von der Befugnisnorm § 81b Abs. 1 StPO gedeckt sein kann.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Verurteilung des Angeklagten zeigt keinen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten auf. Rechtsfehler bezüglich der Beweiswürdigung des Landgerichts sind nicht ersichtlich und es tragen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB. Insbesondere steht entgegen der Auffassung der Revision nicht die Regelung des § 113 Abs. 3 StGB der Strafbarkeit der vorgeworfenen Tat entgegen. Die Diensthandlung der einschreitenden Polizeibeamten, mit Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen den Willen des Angeklagten dessen Mobiltelefon durch Auflegen seines Fingers auf den Fingerabdrucksensor zu entsperren, wogegen sich der Angeklagte widersetzte, war rechtmäßig.

a. Die Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons kann auf die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO gestützt werden. Dies ist bereits mehrfach in der Rechtsprechung so entschieden worden (siehe LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 8, NStZ 2023, 446; AG Baden-Baden, Beschluss vom 13.11.2019 – 9 Gs 982/19, juris Rn. 15 ff.) und entspricht auch der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur (siehe BeckOK-Goers, 53. Ed., § 81b StPO Rn. 4.1; Deutscher, StRR 2023, 26 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 81b StPO Rn. 8a; MK-Trück, 2. Aufl., § 81b StPO Rn. 8; Neuhaus, StV 2020, 489 f.; Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193 ff.; Ruhs, GSZ 2024, 254). Soweit von Teilen der Literatur demgegenüber vertreten wird, dass § 81b Abs. 1 StPO keine geeignete Grundlage für eine solche Maßnahme darstellen könne (so Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2720; Bock/Fülscher, StraFo 2023, 386, 388; Grzesiek/Zühlke, StV 2021, 117, 119; Hecken/Ziegler, jurisPR-ITR 10/2023 Anm. 5; Horter, NStZ 2023, 447 f.; Momsen, DRiZ 2018, 140 f.; Nadeborn/Irscheid, StraFo 2019, 274 f.; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420, 421; zweifelnd auch BeckOK, Schild, 50. Ed, § 46 BDSG Rn. 52), ist dem nicht zu folgen.

§ 81b Abs. 1 StPO erlaubt die Vornahme von Maßnahmen an einem Beschuldigten gegen dessen Willen nicht nur in Bezug auf die in der Vorschrift genannten Maßnahmen der Aufnahme von Lichtbildern und Fingerabdrücken sowie der Vornahme von Messungen, sondern die Vorschrift ist ausdrücklich technikoffen formuliert und erlaubt damit auch die Vornahme ähnlicher Maßnahmen (so auch LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 11, NStZ 2023, 446; ebenso Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 195; Ruhs, GSZ 2024, 254 f. m.w.N.). Das Auflegen eines Fingers auf einen Fingerabdrucksensor ist als ähnliche Maßnahme zur Aufnahme eines Fingerabdrucks anzusehen: In beiden Fällen werden durch eine grundsätzlich ohne stärkeren Zwang mögliche und rein auf äußerlich erkennbare Daten beschränkte Maßnahme identische biometrische Daten des Beschuldigten in Form der individuellen anatomischen Merkmale der Papillarleisten vermessen, ähnliches gilt auch für eine Entsperrung durch eine Gesichtserkennung (Face-ID) oder einen Irisscan im Hinblick auf die Vergleichbarkeit mit einer Lichtbildaufnahme. Zudem handelt es sich bezogen auf den Schutz der betroffenen Daten des Beschuldigten um eine weniger eingriffsintensive Maßnahme, da die Aufnahme von Fingerabdrücken noch weitergehend die Speicherung dieser Daten und die Verarbeitung durch den Vergleich mit beliebigen weiteren Spuren erlaubt, während es sich bei dem Auflegen des Fingers auf einen Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons um eine Vermessung zur einmaligen Verwendung und ohne dauerhafte Speicherung durch die Ermittlungsbehörden handelt.

Die Ermächtigungsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO ist auch nicht auf Maßnahmen von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu erkennungsdienstlichen Zwecken beschränkt (so aber Bäumerich, NJW 2017, 2718, 2720; Horter, NStZ 2023, 447 f.; Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420, 421): Zwar ist die mit Gesetz vom 17.07.2015 (BGBl. I S. 1332) eingeführte amtliche Überschrift des § 81b StPO auf "erkennungsdienstliche Maßnahmen" beschränkt, der Wortlaut der Norm selbst aber gestattet die Vornahme der nach dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen "für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens" im Allgemeinen, ohne hier weitere Einschränkungen vorzusehen (vgl. so auch Ruhs, GSZ 2024, 254). Soweit der Bundesgerichtshof ausgeführt hat, dass die Vorschrift es allgemein gestatte, für die Individualität einer Person signifikante dauerhafte Persönlichkeitsgegebenheiten auch gegen den Willen des Beschuldigten zu fotografieren, zu vermessen oder in anderer Weise zu registrieren, um durch einen Vergleich mit bereits vorliegenden Erkenntnissen feststellen zu können, ob sie auf den Beschuldigten als Täter hindeuteten (siehe BGH, Urteil vom 09.04.1986 – 3 StR 551/85, juris Rn. 21, BGHSt 34, 39), schließt dies dementsprechend die Vermessung anatomischer Merkmale des Beschuldigten zu sonstigen Zwecken der Durchführung des Strafverfahrens nicht aus. Auch der Gesetzgebungsgeschichte ist eine Beschränkung der Zweckrichtung der nach § 81b Abs. 1 StPO zulässigen Maßnahmen nicht zu entnehmen: Vielmehr beruht die Neufassung des § 81b StPO durch die Hinzufügung der Absätze 2 bis 5 aufgrund des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 10.08.2021 (BGBl. I S. 3420) auf den Vorgaben der Verordnung (EU) 2019/816 zur Einrichtung eines zentralisierten Systems für die Ermittlung der Mitgliedstaaten, in denen Informationen zu Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen (ECRIS-TCN) vorliegen, zur Ergänzung des Europäischen Strafregisterinformationssystems und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1726 (ABl. L 135/1 vom 22.05.2019), ohne dass der Gesetzesbegründung eine Absicht der Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm im Übrigen zu entnehmen wäre (siehe die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften vom 09.03.2021, BT-Drucks. 19/27432, S. 20).

Wie generell im Rahmen der nach § 81b Abs. 1 StPO vorgesehenen Maßnahmen beinhaltet die Vorschrift als Annexkompetenz auch eine Ermächtigung zur Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung der betreffenden Maßnahme (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.1986 – 3 StR 551/85, juris Rn. 21, BGHSt 34, 39; siehe auch Begr. Reg.-Entw. BT-Drucks. 19/27432, S. 22), vorliegend damit die hier gegenständliche Diensthandlung des Auflegens des Fingers des Angeklagten auf den Fingerabdrucksensor des Telefons durch die einschreitenden Polizeibeamten.

b. Die Erstreckung des § 81b StPO auf Maßnahmen der (zwangsweisen) Entsperrung eines Mobiltelefons durch Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf einen Fingerabdrucksensor steht auch nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht. Eine Verletzung des auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu stützenden Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz), wonach im Strafverfahren niemand gezwungen werden darf, sich selbst durch eine Aussage einer Straftat zu bezichtigen und damit zu seiner Überführung beizutragen (siehe BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10, juris Rn. 60, BVerfGE 133, 168; Beschluss vom 06.09.2016 – 2 BvR 890/16, juris Rn. 35, StV 2017, 241), liegt nicht vor. Dieser Grundsatz verbietet nur den Zwang zu aktiver Mitwirkung, nicht aber, dass der Beschuldigte gezwungen wird, gegen ihn gerichtete Beweisermittlungsmaßnahmen passiv zu erdulden (siehe BVerfG, a.a.O.).

Mit dem (zwangsweisen) Auflegen eines Fingers eines Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons liegt wegen der damit verbundenen Vermessung individueller biometrischer Daten des Betroffenen dagegen ein Eingriff in dessen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vor, der allerdings – wie bereits ausgeführt – eine nur geringe Eingriffsintensität aufweist und daher im Hinblick auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG durch die Regelung des § 81b Abs. 1 StPO gerechtfertigt werden kann.

Zugleich wird mit der zwangsweisen Entsperrung des Mobiltelefons eines Beschuldigten auch in das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme als besonderer Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen, da sich auf einem solchen Mobiltelefon möglicherweise Daten befinden, die Erkenntnisse bis in den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Beschuldigten erbringen könnten (siehe zu diesem Grundrecht BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, juris Rn. 166 ff., BVerfGE 120, 274). Dabei ist zu beachten, dass bereits die Entsperrung des Mobiltelefons wegen des damit ermöglichten Datenzugriffs einschließlich der Gefahr unbefugter oder missbräuchlicher Verwendung als relevanter Grundrechtseingriff anzusehen ist (vgl. so auch EuGH, Urteil vom 04.10.2024 – C-548/21, juris Rn. 77 (Bezirkshauptmannschaft Landeck)). Andererseits ist der spätere Datenzugriff selbst und die Verwendung der erlangten Daten als separater – vorliegend nicht verfahrensgegenständlicher – Eingriff zu betrachten, dessen Zulässigkeit insbesondere unter Zuständigkeits- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gesondert zu beurteilen ist (so bereits LG Ravensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – 2 Qs 9/23, juris Rn. 13, NStZ 2023, 446; ebenso auch Rottmeier/Eckel, NStZ 2020, 193, 197), hier nach den §§ 94 und 110 StPO, wobei das Bundesverfassungsgericht hierzu die vorhandenen Bestimmungen der StPO zu Durchsuchungen und Beschlagnahme auch in Bezug auf Mobiltelefone und Personal Computer als verfassungsgemäße und ausreichende Grundlage angesehen hat (siehe BVerfG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 BvR 2099/04, juris Ls., NJW 2006, 976). Auch unter Berücksichtigung der Einschlägigkeit des Schutzgehalts des Grundrechts auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme erweist sich die Erstreckung des § 81b StPO auf die vorliegende Fallkonstellation aber als verfassungskonform: Soweit das Bundesverfassungsgericht dahingehend gesteigerte Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht aufgestellt hat, dass die heimliche Infiltration eines solchen informationstechnischen Systems verfassungsrechtlich nur zulässig sein kann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen, und unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen ist (siehe BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07, juris Rn. 242 ff., BVerfGE 120, 274), gelten diese Anforderungen für den vorliegenden Fall eines offenen Zugriffs gerade nicht und das Bundesverfassungsgericht hat den offenen Zugriff ausdrücklich als eine mildere Maßnahme angesehen (siehe BVerfG, a.a.O., juris Rn. 225, 238). Daher gebietet auch die jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (siehe EuGH, a.a.O., juris Rn. 81 ff.) – abgesehen davon, dass der vorliegende Eingriff bereits nicht den Regelungen der Richtlinie 2002/58 vom 12.07.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation sowie der Richtlinie 2016/680 vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr unterliegt und damit die genannte Rechtsprechung keine unmittelbare Anwendung findet – nicht die Heranziehung der dort formulierten und in ähnlicher Weise gesteigerten Eingriffsvoraussetzungen für den vorliegenden Fall der offenen bloßen Entsperrung des Mobiltelefons.

c. Die zwangsweise Entsperrung des Mobiltelefons des Angeklagten durch Auflegen eines Fingers des Beschuldigten auf den Fingerabdrucksensor eines Mobiltelefons in Anwendung der Rechtsgrundlage des § 81b Abs. 1 StPO unterliegt damit im Übrigen lediglich dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch insoweit erweist sich im vorliegenden Fall die Maßnahme der einschreitenden Polizeibeamten als rechtmäßig. Sie diente dem legitimen Ziel der weiteren Aufklärung des Tatvorwurfs der Verbreitung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB, dessen der Angeklagten ausweislich des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bremen vom 02.01.2023 verdächtig war; die Maßnahme war wegen der Wahrscheinlichkeit des Auffindens entsprechender als Beweismittel geeigneter Daten auf dem Mobiltelefon auch geeignet. Eine mildere gleich geeignete Maßnahme stand wegen der Schwierigkeiten einer anderweitigen Entsperrung eines Mobiltelefons hierfür nicht zur Verfügung; insbesondere wäre eine alternativ vorzunehmende Anfertigung eines Fingerabdrucks des Angeklagten zur Erstellung einer Fingerabdruck-Attrappe, mit welcher die Entsperrung vorzunehmen gewesen wäre, mit dem intensiveren Eingriff einer dauerhaften Speicherung der biometrischen Daten des Angeklagten einhergegangen. Zuletzt war die Maßnahme auch als angemessen anzusehen, dies namentlich auch im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der im konkreten Fall zu schützenden Rechtsgüter: Im Vergleich hierzu tritt die Intensität sowohl des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung wegen der Vermessung individueller biometrischer Daten des Betroffenen wie auch der Eingriff in die körperliche Freiheit durch das – hier nur mittels milder Maßnahmen herbeigeführte – zwangsweise Auflegen des Fingers auf den Sensor zurück. Wie bereits ausgeführt wurde, ist der weitere Datenzugriff und die Verwendung der erlangten Daten nicht Gegenstand der hier betroffenen Maßnahme gewesen; es ist auch nichts dazu ersichtlich, dass nach den Umständen des vorliegenden Falles bereits die bloße Ermöglichung des Datenzugriffs einschließlich der damit verbundenen Gefahr unbefugter oder missbräuchlicher Verwendung von einer Eingriffsintensität für den Betroffenen gewesen wären, die die Maßnahme der zwangsweisen Entsperrung des Mobiltelefons durch die einschreitenden Polizeibeamten als im Hinblick auf die betroffenen Schutzgüter nicht mehr angemessen erscheinen gelassen hätten. Dass im weiteren Verfahren die Verwendung der durch offenen Zugriff erlangten Daten durch die Ermittlungsbehörden in unzulässiger Weise erfolgt wäre oder dies konkret gedroht hätte, ist auch von der Revision nicht geltend gemacht worden.

b. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterlag der Angeklagte keinem Irrtum hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, so dass sich die Frage einer Vermeidbarkeit dieses Irrtums im Sinne des § 113 Abs. 4 StGB bereits nicht stellt. Dass in der Literatur eine Gegenauffassung zu herrschenden Meinung der Zulässigkeit der Maßnahme der einschreitenden Polizeibeamten vertreten wird, begründet im Übrigen nicht ohne weiteres auch im konkreten Fall die Annahme eines entsprechenden vermeidbaren oder unvermeidbaren Irrtums des Angeklagten.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LAG Niedersachsen legt EuGH vor: Ist Verarbeitung und Berücksichtigung rechtswidrig erlangter Daten im Prozess mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar

LAG Niedersachsen
Beschluss vom 18.07.2024
8 Sa 688/23


Das LAG Niedersachsen hat dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Verarbeitung und Berücksichtigung rechtswidrig erlangter Daten im Prozess mit den Vorgaben der DSGVO vereinbar ist.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
LAG Niedersachsen legt dem EuGH Fragen zur Auslegung der DSGVO bei deren Anwendung auf die Tätigkeit der Gerichte vor

In einem vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen anhängigen Fall (Aktenzeichen: 8 Sa 688/23) verlangt die klagende Arbeitgeberin von einer ausgeschiedenen Arbeitnehmerin Schadenersatz in Höhe von rd. 46.000 Euro. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe unbefugt Gegenstände aus dem privaten Firmeneigentum an Dritte veräußert und sich am Erlös bereichert. Die Klägerin stützt ihre Erkenntnisse über die Veräußerungsvorgänge auf eine ohne Wissen und Willen der Beklagten erfolgte Einsichtnahme in deren privates ebay-Konto. Auf welche Weise die Klägerin die Kenntnis der ebay-Benutzerkennung der Beklagten und des zugehörigen Passwortes erlangt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat in dieser Rechtssache beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Vorabentscheidungsverfahren anhängig gemacht. Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 24. März 2022 - C-245/20 - (Autoriteit Persoonsgegevens) in Rn. 25 und vom 2. März 2023 – C-268/21 – (Norra Stockholm Bygg AB) in Rn. 26 deutlich gemacht, dass auch justizielle Tätigkeit, soweit dabei Daten verarbeitet werden, in den Geltungsbereich der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) fällt. Mit der ersten Vorlagefrage soll Klarheit darüber geschaffen werden, ob die Regelungen des deutschen Zivilprozessrechts bestimmt genug sind - d.h., die erforderliche Regelungstiefe aufweisen -, um den Anforderungen der DSGVO zu genügen. Des Weiteren wird der Gerichtshof - kurz zusammengefasst - gefragt, welche der Normen der DSGVO auf gerichtliche Datenverarbeitungstätigkeit Anwendung finden und welche Rechtsgrundsätze hierbei von den Gerichten zu beachten sind. Die Beantwortung der Fragen durch den Gerichtshof kann über die konkrete Rechtssache hinaus in allen Fällen hilfreich sein, in denen die nationalen Gerichte zu beurteilen haben, ob und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise rechtswidrig erlangte Kenntnisse und Beweismittel, die eine Partei in den Rechtsstreit einführt, von ihnen verwertet werden können.

Das Verfahren wird von dem Gerichtshof der Europäischen Union unter dem Aktenzeichen C-484/24 geführt.


BGH: Von Privatperson unter Verstoß gegen DSGVO erstellte Videoaufnahmen sind im Strafverfahren verwertbar

BGH
Beschluss vom 18.08.2021
5 StR 217/21


Der BGH hat entschieden, dass von einer Privatperson unter Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO erstellte Videoaufnahmen im Strafverfahren verwertbar sind.

Aus den Entscheidungsgründen:

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass entgegen der Auffassung der Revision keine Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen von der Tatbegehung bestehen. Selbst wenn diese unter Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO erlangt worden sind, weil der Inhaber eines Ladengeschäfts mit seiner davor angebrachten Videokamera über 50 Meter ins öffentliche Straßenland hineingefilmt hat, würde dies nicht zur Unverwertbarkeit des so erlangten Beweismittels führen. Denn auch rechtswidrig von Privaten erlangte Beweismittel sind grundsätzlich im Strafverfahren verwertbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, NJW 2011, 2417; BGH, Urteile vom 22. Februar 1978 – 2 StR 334/77, BGHSt 27, 355, 357; vom 9. April 1986 – 3 StR 551/85, BGHSt 34, 39, 52; zu Videoaufnahmen auch BGH, Beschluss vom 18. August 2020 – 5 StR 175/20 mwN). Durch das Inkrafttreten der DSGVO hat sich daran nichts geändert.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BAG: Verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern nur bei konkretem Verdacht einer strafbaren Handlung oder schwerer Verfehlungen zulässig

BAG
Urteil vom 21.06.2012
2 AZR 153/11
verdeckte Videoüberwachung


Das BAG hat sich in dieser Entscheidung mit der verdeckten Videoüberwachung von Arbeitnehmern befasst und entschieden, dass diese nur bei konkretem Verdacht einer strafbaren Handlung oder anderer schwerer Verfehlungen zulässig ist. Weitere Voraussetzung ist - so das BAG - , dass die Verfehlung nicht anderweitig ermittelt werden kann. Zudem ist eine Interessenabwägung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers und den Interessen des Arbeitgebers vorzunehmen.

In der Pressemitteilung des BAG heißt es:

"Führte eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung der Täterin, kann das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual allerdings nicht ohne Weiteres verwertet werden. Das entsprechende Interesse des Arbeitgebers hat gegenüber dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Arbeitnehmerin nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Unter diesen strengen Voraussetzungen wiederum stehen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) der verdeckten Videoüberwachung auch an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar bestimmt § 6b Abs. 2 BDSG, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle erkennbar zu machen sind. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht wird aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig."

Das BAG hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen, die nun entscheiden muss, ob die Videoaufnahmen vorliegend verwertet werden dürfen.


Die Pressemitteilung des BAG finden Sie hier: