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LG Düsseldorf: Tchibo hat weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen

LG Düsseldorf
Urteil vom 156.01.2024
14d O 14/24


Das LG Düsseldorf hat entschieden, das Tchibo weder einen kartellrechtlichen noch einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch gegen Aldi Süd wegen des Verkaufs von Kaffee zu günstigen Preisen hat..

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu.

Gemäß § 33 Abs. 1 GWB ist u.a. bei Verstoß gegen eine Vorschrift des Teils 1 des GWB der Rechtsverletzer gegenüber dem Betroffenen zur Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr zur Unterlassung verpflichtet. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Eine unbillige Behinderung im Sinne dieser Vorschrift liegt gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Lebensmittel unter Einstandspreis anbietet, es sei denn, dies ist jeweils sachlich gerechtfertigt. Das Anbieten von Lebensmitteln unter Einstandspreis ist gemäß § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 GWB sachlich gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, den Verderb oder die drohende Unverkäuflichkeit der Waren beim Händler durch rechtzeitigen Verkauf zu verhindern sowie in vergleichbar schwerwiegenden Fällen.

Vorliegend kann dahinstehen, ob Klägerin gegenüber den Beklagten eine „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ ist und das Verbot des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB überhaupt anwendbar ist (dazu 1.). Jedenfalls liegt keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor (dazu 2.).

1. Es kann letztlich offenbleiben, ob die Beklagten über eine überlegene Marktmacht gegenüber der Klägerin als „kleine oder mittlere Wettbewerberin“ verfügt.

a) Allerdings kann die Klägerin entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB ausgeschlossen werden, weil sie schon wegen ihrer absoluten Größe kein „kleiner oder mittlerer Wettbewerber“ sein könne.

Für die Abgrenzung, welche Wettbewerber auf dem relevanten Markt als kleine und mittlere Unternehmen anzusehen sind, kommt es allein auf das (horizontale) Verhältnis der Unternehmensgrößen der in Betracht stehenden Unternehmen an; die generelle Festlegung einer absoluten Obergrenze ist nicht möglich (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 207; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 140 f.). Das entspricht auch der Auffassung des BGH, der gegen die Einstufung als kleines oder mittleres Unternehmen nach absoluten Zahlen anführt, dass die Verhältnisse auf dem jeweils maßgeblichen Markt nicht ausgeblendet werden dürfen (BGH NJW 2003, 205, 206 – Konditionenanpassung). Deshalb sei eine unter funktionalen Gesichtspunkten vorzunehmende Prüfung erforderlich, die von den Besonderheiten des jeweils relevanten Marktes ausgeht.

b) Die Prüfung hat von dem Markt für Kaffeeprodukte auszugehen.

Die Feststellung einer überlegenen Marktmacht gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern lässt sich nur für die Tätigkeit von Unternehmen auf einzelnen, in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht abgegrenzten Märkten bestimmen (Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 204; Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 133).

Der sachliche Markt, auf dem die Klägerin und die Beklagten jeweils tätig sind und der hier betroffen ist, ist der Markt für Kaffeeprodukte. Dieser ist insbesondere von dem Sortimentsmarkt „Lebensmitteleinzelhandel“ abzugrenzen, bei dem es um die Nachfrage an einem Produktbündel geht. Auf diesem Markt ist die Klägerin aber gerade nicht tätig. Auch durch die Präsenz auf diesem Markt durch ihr Depot-Geschäft u.a. bei Lebensmitteleinzelhändlern wird sie gerade nicht selbst zur Anbieterin des Sortiments dieser Händler. Es kommt daher auf die Verhältnisse des Markts für Kaffeeprodukte und insofern insbesondere darauf an, welche Marktmacht ein großer Lebensmitteleinzelhändler wie V. auf dem Markt für dieses Produktsegment entfalten kann.

c) Der Vortrag der Parteien ist hier nicht ausreichend, um eine etwaige Überlegenheit der Beklagten gegenüber der Klägerin auf dem Markt für Kaffeeprodukte feststellen zu können. Die Parteien haben nur zum Gesamtumsatz der jeweiligen Unter-nehmensgruppen vorgetragen, ohne im Einzelnen auf die Umsätze, Marktanteile und die spezifischen Verhältnisse des Marktes für Kaffeeprodukte einzugehen.

Festgehalten werden soll dennoch Folgendes: Trotz des erforderlichen Einzelmarkt-bezuges kommt es in Betracht, die Ressourcenvorteile der Beklagten unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, dass sie diesen langfristig wirksame, erweiterte Verhaltensspielräume – auch auf dem Markt für Kaffeeprodukte – vermitteln könnten (vgl. dazu Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135). Die finanziellen Ressourcen und das breite Sortiment der Beklagten könnten es diesen ermöglichen, auf die Marktverhältnisse im Markt für Kaffeeprodukte in einer stärkeren Weise einzuwirken, als es ihr Marktanteil auf diesem Markt grundsätzlich zuließe. Auch der BGH hat bei der Prüfung überlegener Marktmacht darauf abgestellt, dass die überragenden finanziellen Ressourcen eines in einen großen internationalen Handelskonzern eingebundenen Unternehmens dieses in die Lage versetzt, eine Verlustpreisstrategie für einzelne Produkte über einen längeren Zeitraum durchzustehen (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1737 – Wal-Mart). Das könnte allerdings ausgeschlossen sein, wenn die Klägerin über den langfristig gesicherten höheren Marktanteil verfügt (vgl. dazu erneut Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 135 m.w.N.). Außerdem könnten die Verhaltensspielräume der Beklagten dadurch begrenzt sein, dass auch die Klägerin, nicht zuletzt durch ihre Einbindung in den D.-Konzern, über ganz erhebliche finanzielle Ressourcen verfügt. Letztlich kann all dies aber dahinstehen.

2. Es liegt jedenfalls keine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagten vor.

Die Parteien gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB hier nicht vorliegen (dazu a)). Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen hier mangels Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb ebenfalls nicht vor (dazu b)). Schließlich sind die Voraussetzungen der Generalklausel für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels zu modifizieren (dazu c)).

a) Das Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB greift hier mangels Vorliegen eines „Einstandspreises“ nicht.

Durch den Begriff des „Einstandspreises“, der in § 20 Abs. 3 S. 3 GWB legaldefiniert wird, ist das strenge Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB praktisch auf den Handel mit fremdbezogenen Waren und Dienstleistungen begrenzt und gilt nicht für selbst hergestellte Waren oder erbrachte Dienstleistungen (vgl. Bosch, in: Bechtold/Bosch, 11. Aufl. 2025, § 20 GWB Rn. 34 f.; Markert, in: Immenga/ Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219). Das gilt auch für vertikal integrierte Unternehmen, bei denen zwar ein Preis an ein konzernzugehöriges Unternehmen zu zahlen ist, sich aber ein „Einstandspreis“ nicht anhand objektiver Kriterien ermitteln lässt (vgl. Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 96). Danach fehlt es auch bei dem hier vorliegenden Bezug der Kaffeeprodukte der Beklagten von der konzernzugehörigen J. an einem „Einstandspreis“.

b) Die Voraussetzungen der Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB liegen nicht vor.

aa) Zur Beurteilung, ob die Ausnutzung einer überlegenen Marktmacht kleinere oder mittlere Wettbewerber unbillig behindert, ist eine Interessenabwägung unter Berück-sichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Wettbewerbsmaßnahmen von Unternehmen mit überlegener Markt-macht sind nicht schon deshalb als unbillige Behinderung kleiner oder mittlerer Wettbewerber anzusehen, weil sie dazu beitragen können, die Lage von kleinen oder mittleren Unternehmen im Wettbewerb zu verändern oder einzelne Wettbewerber oder Gruppen von Wettbewerbern zu verdrängen; denn dem wirksamen Wettbewerb ist eine solche Wirkung eigen. Eine unbillige Behinderung liegt danach nur vor, wenn in Verdrängungsabsicht gehandelt wird oder kleine oder mittlere Wettbewerber in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten derart behindert werden, dass daraus die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb – einschließlich des Wettbewerbs durch kleine oder mittlere Unternehmen – erwächst.

Bei der Beurteilung von Unter-Kosten-Verkäufen anhand des § 20 Abs. 3 GWB ist davon auszugehen, dass es dem Unternehmer grundsätzlich freisteht, seine Preisgestaltung in eigener Verantwortung vorzunehmen (BGH NJW 1995, 2293, 2294 – Hitlisten-Platten; auch zum Folgenden). Dementsprechend sind auch Unter-Kosten-Verkäufe und die Werbung für diese grundsätzlich zulässig. Der Kaufmann muss nicht auf einen Stückgewinn ausgehen. Es ist vielmehr jedenfalls in Handelsbetrieben mit breitem Sortiment zulässig, auf die Werbewirkung eines Unter-Kosten-Angebots zu setzen, um mit dem Absatz des gesamten Angebots ein möglichst günstiges Betriebsergebnis zu erzielen. Die Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Unter-Kosten-Angebote nicht nur gelegentlich, sondern systematisch im Wettbewerb eingesetzt werden. Dies gilt schon deshalb, weil mit der Feststellung eines systematischen Vorgehens noch nichts über den Umfang und die Marktbedeutung der Maßnahmen ausgesagt ist.

bb) Nach diesen Maßstäben ist hier weder eine Verdrängungsabsicht der Beklagten, noch eine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

(1) Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass nach den zutreffenden Ausführungen des BGH grundsätzlich nichts gegen das im Lebensmitteleinzelhandel verbreitet vorzu-findende und auch hier von den Beklagten eingesetzte Konzept einer Mischkalku-lation einzuwenden ist. Bei diesem Ansatz zielt der Kaufmann nicht darauf ab, mit jedem einzelnen Produkt seines Sortiments einen größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Vielmehr setzt er die Werbewirkung von verlustbringenden Angebotspreisen für einzelne Produkte ein, um die Kunden dazu zu veranlassen, den Einkauf eines größeren Warenbündels bei ihm vorzunehmen. Da die Verbraucher ein „One-stop-shopping“ bevorzugen, ist es nachvollziehbar, dass ein solches Konzept dem Lebensmitteleinzelhändler ein besseres Betriebsergebnis verspricht und deshalb betriebswirtschaftlich vernünftig ist (vgl. dazu auch Monopolkommission, Sondergutachten „Preiskontrollen in Energiewirtschaft und Handel? Zur Novellierung des GWB“, 2007, Rn. 57; zuletzt abgerufen am 06.01.2025 unter https://www.monopolkommission.de/images/PDF/SG/s47_volltext.pdf; im Folgenden: Monopolkommission, 2007).

Auf dieser Grundlage hat der BGH ebenfalls zutreffend ausgeführt, dass auch der systematische Einsatz dieser Strategie diese noch nicht unzulässig macht.

(2) Eine Verdrängungsabsicht der Beklagten gegenüber kleinen und mittleren Wett-bewerbern auf dem Markt für Kaffeeprodukte kann hier nicht festgestellt werden, da ihre Strategie gerade den dauerhaften, nachvollziehbaren Zweck der Förderung des eigenen Absatzes im Rahmen einer Mischkalkulation verfolgt und ihre Preisgestaltung deshalb auf einer kaufmännisch vertretbaren Kalkulation beruht. Es ist gerade nicht ersichtlich, dass die Beklagten eine kaufmännisch eigentlich unvertretbare, nur kurz- bis mittelfristig durchzuhaltende Strategie einsetzen, mit der sie zeitweise Verluste in Kauf nehmen – was sie durch ihre Finanzkraft aushalten könnten –, um kleine und mittlere Wettbewerber von dem Markt für Kaffeeprodukte zu verdrängen und anschließend die Preise anheben zu können.

Eine solche Strategie verspräche auch keinen Erfolg. Denn zum einen bestehen Preiserhöhungsspielräume nur dann, wenn es auf einem Markt erhebliche Marktzutrittsbarrieren gibt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 58). Davon ist bei dem Markt für Kaffeeprodukte nicht auszugehen. Die Ausführungen der Klägerin zur Preisgestaltung im Markt für Kaffeeprodukte zeigen anschaulich, dass der mit Abstand größte Kostenfaktor der Einkauf des Rohkaffees ist und der Aufwand zur Röstung des Kaffees finanziell überschaubar ist. Deshalb ist von einer hohen Wirksamkeit potentiellen Wettbewerbs auf dem Markt für Kaffeeprodukte auszu-gehen, die einem Preiserhöhungsspielraum der Beklagten entgegensteht. Zum anderen findet der Preiswettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel primär zwischen den großen Unternehmen aus der Spitzengruppe statt (vgl. Monopolkommission, 2007, Rn. 59). Auch deshalb ließe eine Verdrängung kleiner und mittelständischer Wettbewerber auf dem Markt für Kaffeeprodukte nicht das Entstehen von Preiserhöhungsspielräumen für die Beklagten erwarten.

(3) Es ist auch keine Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte festzustellen.

Zum einen sind Intensität und Häufigkeit der Maßnahmen der Beklagten begrenzt.

Zwar ist der Grad der Unterschreitung der Herstellungskosten teilweise durchaus hoch, wie die Berechnungen der Klägerin – auch unter Berücksichtigung der mit diesen verbundenen Unsicherheiten und der Einwendungen der Beklagten – zeigen und wie indiziell auch schon dadurch deutlich wird, dass die Beklagten mit Reduktionen von bis zu 50 % auf die regulären Preise werben. Dem steht allerdings gegenüber, dass die Häufigkeit der Angebotswochen und der Umfang der jeweils betroffenen Produkte überschaubar sind. Obwohl sich der Antrag der Klägerin nur auf die drei Angebotswochen ab dem 11.12.2023, 18.12.2023 und 12.02.2024 bezieht, gehören auch die nachfolgenden Angebotswochen zum Streitstoff, soweit sie Rückschlüsse auf die Strategie der Beklagten und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb zulassen. Im Jahr 2024 waren insgesamt 7 von 52 Kalenderwochen von den Angeboten der Beklagten betroffen. Das entspricht einem Anteil von ca. 13,5 % bzw. durchschnittlich einer Angebotswoche alle ca. 7,5 Wochen. Von den Angeboten war jeweils nur ein kleiner Ausschnitt des insgesamt 25 Sorten umfassenden Kaffee-Sortiments der Beklagten betroffen, nämlich jeweils zwei bis fünf wechselnde Produkte. Wie die Übersicht der Klägerin über die Wiederholungen der betroffenen Produkte zeigt (Anlage K 59, S. 10), war im Jahr 2024 kein Produkt von mehr als drei Angebotswochen betroffen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es fernliegend, dass ein nennenswerter Anteil der Verbraucher seinen Kaffeebedarf alleine durch Nutzung der Angebotswochen der Beklagten zu decken vermag. Dies auch deshalb, weil die Anzahl und Staffelung der Angebotswochen für die Verbraucher nicht vorherzusehen sind. Das spricht dagegen, dass das Vorgehen der Beklagten die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf dem Markt für Kaffeeprodukte gefährdet.

Zum anderen fehlt es an einer solchen Gefahr hier aber selbst dann, wenn man im Hinblick auf Häufigkeit und Intensität der Maßnahmen der Beklagten eine Veränderung der Strukturen auf dem Markt für Kaffeeprodukte dahingehend für möglich hält, dass Fachhändler erhebliche Marktanteile gegenüber den Beklagten einbüßen könnten. Denn in einem auf die grundsätzliche Freiheit des Wettbewerbes ausgerichteten System kann nicht die Aufrechterhaltung einer bestimmten Marktstruktur verlangt werden, die zu einem gewissen Zeitpunkt vorgefunden wird. Das ist auch mit der Wendung der „Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb“ nicht gemeint. Selbst wenn dauerhaft kein Mitbewerber mit den Preisen der Beklagten für Kaffeeprodukte mithalten könnte, wären die strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt nicht gefährdet, weil den Mitbewerbern die Möglichkeit bleibt, sich etwa durch ein differenziertes Sortiment, besondere Qualität oder Beratung hervorzuheben. Das unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Unter-Kosten-Verkauf von standardisierten Lebensmitteln wie Zucker oder Milch, bei denen neben dem Preis keine solchen Möglichkeiten zur Differenzierung bestehen.

c) Schließlich sind die Voraussetzungen des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB für die Fallgruppe des Anbietens von Lebensmitteln unter Herstellungskosten auch nicht aufgrund der Wertungen des Regelbeispiels des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zu modifizieren.

Mit dem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber an das Angebot von Lebensmitteln unter Einstandspreis durch ein marktmächtiges Unternehmen die (unwiderlegliche) Vermutung geknüpft, dass dieses damit eine Strategie zu Lasten der geschützten Gruppe von kleinen und mittleren Wettbewerbern unter Einsatz seiner überlegenen Marktmacht betreibt (vgl. BGH NJW 2003, 1736, 1738 – Wal-Mart). Nach Auffassung der Klägerin muss die dahinterstehende Wertung des Gesetzgebers auch bei der Anwendung der Generalklausel berücksichtigt werden. Es wäre dann Raum dafür, in ähnlich gelagerten Fallgruppen wie womöglich dem Angebot von Lebensmitteln unter Herstellungskosten die Anforderungen der Generalklausel abzusenken.

Richtig ist jedoch, dass das Gesetz nur für Angebote unter Einstandspreis eine Vermutung der Unbilligkeit enthält und für andere Niedrigpreisstrategien an den anerkannten Voraussetzungen der Generalklausel festzuhalten ist (so auch Westermann, in MüKo Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 93). Es entzieht sich der gerichtlichen Bewertung, welche – auch politischen – Erwägungen den Gesetzgeber im Einzelnen dazu bewogen haben, einerseits das sehr strenge Verbot des Angebots unter Einstandspreis zu schaffen und dieses andererseits nicht auf Angebote produzierender Unternehmen unter Herstellungskosten zu erstrecken. Weitergehende Regelungsvorschläge lagen ihm vor (vgl. dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, 7. Aufl. 2024, § 20 GWB Rn. 219 mit Nachweisen) und sind auch seither unterbreitet, aber bisher nicht umgesetzt, worden. Der „Kontrast zwischen der Aktivität des Gesetzgebers im Bereich der Regelbeispiele und seiner Passivität bezüglich der Generalklausel“ (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 154) spricht dafür, dass über den Anwendungsbereich des Regelbeispiels hinaus eine bewusste Nichtregelung durch den Gesetzgeber vorliegt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch normativ jedenfalls nicht zwingend, die Fallgruppen der Angebote von Lebensmitteln unter Einstandspreis sowie unter Herstellungskosten gleich zu behandeln. Die vom Gesetzgeber mit dem Regelbeispiel in den Blick genommenen Händler kaufen Waren lediglich zu einem bestimmten Einstandspreis ein und verkaufen diese sodann zu einem bestimmten Verkaufspreis wieder. Eine Unterschreitung des Einstandspreises mag dabei für den Gesetzgeber bereits den starken Verdacht missbräuchlichen Verhaltens begründen. Demgegenüber sind die Hersteller von Waren an einer grundsätzlich komplexen Wertschöpfung beteiligt. Das mag es für den Gesetzgeber rechtfertigen, hinsichtlich ihrer Preisgestaltung eine größere Zurückhaltung an den Tag zu legen.

Nun wendet die Klägerin einerseits ein, dass die Wertschöpfung bei der Verarbeitung von Rohkaffee gerade nicht besonders komplex sei, und andererseits, dass die zunehmende vertikale Integration des Lebensmitteleinzelhandels in den letzten Jahren eine neue Bewertung dieser Zusammenhänge erfordern könnte. Das sind jedoch politische Forderungen, die an den Gesetzgeber zu richten wären. Ob und ggf. wie die von ihm bisher gegen (bloße) Lebensmittelhändler gerichtete Missbrauchsvermutung auch auf vertikal integrierte Händler, womöglich beschränkt auf zu definierende „wenig komplexe“ Produkte, ausgeweitet werden sollte, kann nur Gegenstand einer ergebnis-offenen, politischen Diskussion sein.

Auf dieser Grundlage kann auch aus der Verwendung der Regelbeispielstechnik durch den Gesetzgeber nichts Anderes abgeleitet werden. Zwar ist der Klägerin methodisch Recht zu geben, dass der Gesetzgeber mit der Verwendung eines Regelbeispiels regelmäßig zum Ausdruck bringt, die Voraussetzungen der Generalklausel seien in dem Regelbeispiel erfüllt. Dann wäre es folgerichtig, dass die Wertungen des Regelbeispiels auch auf die Generalklausel „zurückwirken“ können. Die Regelung des § 20 Abs. 3 GWB ist jedoch atypisch: Im Kern handelt es sich bei § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB um einen eigenständigen Verbotstatbestand, der lediglich rechtstechnisch als Regelbeispiel ausgestaltet wurde (Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Das zeigt sich alleine daran, dass nach der Vorschrift bereits eine einmalige, wenig gewichtige Unterschreitung des Einstandspreises eines Lebensmittels etwa im Rahmen einer Werbeaktion zur Produkteinführung untersagt ist, bei der ein Zusammenhang mit der Ausnutzung überlegener Marktmacht sowie eine Verdrängungsabsicht bzw. Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung der strukturellen Voraussetzungen für einen wirksamen Wettbewerb an sich nicht vorliegt.

Man mag es für dogmatisch unstimmig halten, dass diese einschränkenden Merkmale nach diesem Verständnis bei der Generalklausel Geltung beanspruchen, aber bei dem Regelbeispiel nicht (vgl. Nothdurft, in: Langen/Bunte, 14. Aufl. 2022, § 20 GWB Rn. 152). Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, diese Unstimmigkeit durch Auslegung zu beseitigen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber sie bewusst geschaffen hat. So liegt es hier.

Eine analoge Anwendung des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB scheidet nach alledem ebenfalls aus, da es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt, aber auch die Vergleichbarkeit der Interessenlagen zweifelhaft erscheint.

II. Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. § 3 Abs. 1 UWG kein Unterlassungsanspruch zu.

Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 UWG kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer eine nach § 3 UWG oder § 7 UWG unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt. Gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG stehen die Ansprüche jedem Mitbewerber zu, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Gemäß § 3 Abs. 1 UWG sind unlautere geschäftliche Handlungen unzulässig.

Es kann dahinstehen, ob im Rahmen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG an der Fallgruppe der allgemeinen Marktbehinderung festzuhalten ist. Dem ist entgegen-zuhalten, dass eine solche Fallgruppe erstens in jüngerer Zeit keinen praktischen Anwendungsbereich mehr erkennen lässt, zweitens in ihren inhaltlichen Kriterien ausgesprochen vage ist und drittens Gefahr läuft, mit spezialgesetzlichen Rege-lungen in Konflikt zu geraten (vgl. zum Ganzen Köhler/Alexander, in: Köhler/ Feddersen, UWG, 43. Aufl. 2025, § 4 Rn. 5.1 ff.). Insbesondere dürfen die Wertungen der speziellen Tatbestände der §§ 19 ff. GWB nicht unterlaufen werden.

Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 UWG – auch unter Berück-sichtigung dieser Gesichtspunkte – hier nicht vor. Der BGH hat einen Fall der allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Preisunterbietung angenommen, wenn die Preisunterbietung sachlich nicht gerecht-fertigt ist und dazu führen kann, dass Mitbewerber vom Markt verdrängt werden und der Wettbewerb dadurch auf diesem Markt völlig oder nahezu aufgehoben wird (BGH GRUR 2009, 416 – Küchentiefstpreis-Garantie). Es kann auf die Ausführungen zu den vergleichbaren Maßstäben des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verwiesen werden (unter I. 2. b)). Es wäre widersprüchlich und systemwidrig, eine unbillige Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 3 S. 1 GWB zu verneinen, aber für das gleiche Verhalten jedoch eine unlautere geschäftliche Handlung in Form einer allgemeinen Marktbehinderung nach § 3 Abs. 1 UWG anzunehmen.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG München: Wettbewerbswidriger Verstoß gegen HCVO durch Werbung für Kaffee mit "bekömmlich" durch Langzeit-Trommelröstung

OLG München
Beschluss vom 11.02.2020
29 W 1562/19


Das OLG München hat entschieden, dass ein wettbewerbswidriger Verstoß gegen die HCVO durch Werbung für Kaffee mit dem Begriff "bekömmlich" vorliegt. Ein Röster hatte mit der Aussage „Die Besonderheit unseres Kaffees liegt dabei in der Langzeit-Trommelröstung bei niedriger Temperatur, was die Röstungen außerdem sehr bekömmlich macht.“ geworben.

Aus den Entscheidungsgründen:

"1. Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3, § 3a UWG i.V.m. Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 1924/2006).

a) Der Antragsteller ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG antragsbefugt.

b) Die streitgegenständliche Werbung der Antragsgegnerin ist gemäß Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 1924/2006 unzulässig. Bei der Aussage „Die Besonderheit unseres Kaffees liegt dabei in der Langzeit-Trommelröstung bei niedriger Temperatur, was die Röstungen außerdem sehr bekömmlich macht.“ handelt es sich um eine nicht spezifische gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 1924/2006. Gemäß Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 1924/2006 sind Verweise auf allgemeine, nichtspezifische Vorteile des Nährstoffes oder Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogenen Wohlbefinden nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder Art. 14 VO (EG) 1924/2006 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist.

Nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 VO (EG) 1924/2006 ist eine „gesundheitsbezogene Angabe“ jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht.

Der Begriff „Zusammenhang“ ist weit zu verstehen. Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst zum einen jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert. Eine „gesundheitsbezogene Angabe“ liegt jedoch auch dann vor, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, dass für die Gesundheit negative oder schädliche Auswirkungen, die in anderen Fällen mit einem Verzehr des Lebensmittels einhergehen oder sich ihm anschließen, fehlen oder geringer ausfallen (EuGH GRUR 2012, 1161 Rn. 34, 34 - Deutsches Weintor; BGH GRUR 2018, 1266 Rn. 34 - Bekömmliches Bier).

Die Wendung „bekömmlich“ stellt nach diesen Maßstäben eine gesundheitsbezogene Angabe i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 VO (EG) 1924/2006 dar. Der Begriff „bekömmlich“ wird, als „gesund“, „zuträglich“ und „leicht verdaulich“ verstanden. Er bringt bei einer Verwendung für ein Lebensmittel zum Ausdruck, das Lebensmittel werde gut vertragen und im Verdauungssystem gut aufgenommen (vgl. BGH GRUR 2018, 1266 Rn. 37 - Bekömmliches Bier). Dementsprechend versteht der Verkehr die streitgegenständliche Werbung vorliegend dahingehend, dass der beworbene Kaffee gut verträglich und leicht verdaulich ist.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts steht der Annahme einer gesundheitsbezogenen Angabe auch nicht entgegen, dass die „Bekömmlichkeit“ nicht dem Kaffee als solchem, sondern einer besonderen Röstungsart zugesprochen werde. Die Röstungsart als solche kann nicht „bekömmlich“ sein, sondern nur dazu führen, dass der Kaffee, der in dieser speziellen Art hergestellt wurde, „bekömmlich“ ist. Der Begriff „bekömmlich“ bezieht sich somit auf den beworbenen in besonderer Weise hergestellten Kaffee als solchen und somit auf ein Lebensmittel und so wird die Werbung auch vom Verkehr verstanden.

Da der nicht spezifischen gesundheitsbezogenen Angabe „bekömmlich“ keine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 VO (EG) 1924/2006 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist, ist die Werbung nicht zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Listen gemäß Art. 13 oder 14 der VO (EG) 1924/2006 noch nicht vollständig erstellt sind (BGH GRUR 2019, 1299 Rn. 16 - Gelenknahrung III).

c) Da Art. 10 Abs. 3 VO (EG) 1924/2006 dem Schutz des Verbrauchers dient, handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG.

2. Die Dringlichkeit des Erlasses der einstweiligen Verfügung wird gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Diese Vermutung ist vorliegend nicht widerlegt."


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


EuGH: Fluglinie haftet für umgekippten heißen Kaffee der von Fluggastbetreuung serviert wurde - Unfall muss nicht mit einem flugspezifischen Risiko zusammenhängen

EuGH
Urteil vom 19.12.2019
C-532/18
Niki Luftfahrt


Der EuGH hat entschieden, dass eine Fluglinie für Verbrühungen durch einen umgekippten heißen Kaffee, der vom Fluggastbetreuung serviert wurde, haftet. Der Unfall muss nicht mit einem flugspezifischen Risiko zusammenhängen.

Die Pressemitteilung des EuGH:

Eine Fluglinie haftet für umgekippten heißen Kaffee

Es ist nicht erforderlich, dass ein solcher Unfall mit einem flugspezifischen Risiko zusammenhängt.


Mit Urteil von heute stellt der Gerichtshof klar, dass die Haftung einer Fluglinie für Verbrühungen, die dadurch entstehen, dass während eines Fluges heißer Kaffee aus nicht geklärten Gründen umkippt, nicht voraussetzt, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiert hat.

Im vorliegenden Fall verlangt ein junges Mädchen von der österreichischen Fluglinie Niki Luftfahrt GmbH (in Liquidation) Schadensersatz wegen Verbrühungen, die sie erlitt, als bei einem Flug von Palma de Mallorca nach Wien der ihrem Vater servierte und vor ihm auf seinem Abstellbrett abgestellte heiße Kaffee aus nicht geklärten Gründen umkippte. Die Fluglinie weist ihre Haftung zurück, weil es sich um keinen Unfall im Sinne des die Haftung von Fluglinien bei Unfällen regelnden Übereinkommens von Montreal handle. Der Begriff des Unfalls erfordere nämlich, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiere, woran es hier fehle. Tatsächlich konnte nicht festgestellt werden, ob der Kaffeebecher etwa wegen eines Defekts des ausklappbaren Abstellbretts oder durch ein Vibrieren des Flugzeugs kippte. Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat den
Gerichtshof um Klarstellungen zum Unfallbegriff des Übereinkommens von Montreal ersucht, der
darin nicht definiert wird.

Der Gerichtshof führt aus, dass die gewöhnliche Bedeutung, die dem Begriff „Unfall“ zukommt, die eines unvorhergesehenen, unbeabsichtigten, schädigenden Ereignisses ist. Außerdem stellt er insbesondere fest, dass mit dem Übereinkommen von Montreal eine Regelung der verschuldensunabhängigen Haftung von Fluglinien eingeführt und gleichzeitig für einen „gerechten Interessenausgleich“ gesorgt werden sollte.

Er schließt daraus, dass sowohl die gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „Unfall“ als auch die Ziele des Übereinkommens von Montreal dagegen sprechen, die Haftung der Fluglinien davon abhängig zu machen, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgeht oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Unfall“ und dem Betrieb oder der Bewegung des Flugzeugs gibt. Er erinnert daran, dass nach dem Übereinkommen von Montreal die Haftung der Fluglinien ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Eine Fluglinie kann sich nämlich ganz oder teilweise von ihrer Haftung befreien, indem sie nachweist, dass der Reisende den Schaden selbst verursacht oder dazu beigetragen hat. Außerdem kann sie ihre Haftung auf 100 000 „Sonderziehungsrechte“ 2 beschränken, indem sie nachweist, dass der Schaden nicht von ihr oder aber ausschließlich von einem Dritten verschuldet wurde.

Der Gerichtshof antwortet dem Obersten Gerichtshof mithin, dass der in Rede stehende Begriff „Unfall“ jeden an Bord eines Flugzeugs vorfallenden Sachverhalt erfasst, in dem ein bei der Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches Risiko zurückgeht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BPatG: Zwischen der Wortmarke Rösta und der Wort-/Bildmarke Barösta Kaffebar besteht im Bereich Kaffee - Tee - Kakao keine Verwechslungsgefahr

BPatG
Beschluss vom 19.03.2019
27 W (pat) 116/16

Das BPatG hat entschieden, dass zwischen der Wortmarke Rösta und der Wort-/Bildmarke Barösta Kaffebar im Bereich Kaffee - Tee - Kakao keine Verwechslungsgefahr besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das angesprochen allgemeine Publikum und auch der Handel werden das Markenwort „barösta“ als phantasievollen, einheitlichen Gesamtbegriff mit beschreibendem Anklang zu „barista“ auffassen. Sie haben insgesamt keinen Anlass, sich innerhalb der angegriffenen Marke „barösta“ an der für die hier beanspruchten Kaffeewaren beschreibenden Buchstabenfolge „rösta“ zu orientieren und hierin einen den Gesamteindruck dieser Marke prägenden Bestandteil zu sehen."


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BGH: Verkauf von Kaffeekapseln - Pflicht zur Grundpreisangabe des enthaltenen Kaffeepulvers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV

BGH
Urteil vom 28.03.2019
I ZR 85/18
Kaffeekapseln
UWG § 3a; PAngV § 2 Abs 1, § 9 Abs. 4 Nr. 2; LMIV Art. 9 Abs. 1 Buchst. e, Art. 23 Abs. 1 Buchst. b, Art. 23 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang IX Nr. 1 Buchst. c und Nr. 4


Der BGH hat entschieden, dass beim Verkauf von Kaffeekapseln eine Pflicht zur Grundpreisangabe des enthaltenen Kaffeepulvers nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV besteht. Andernfalls liegt ein abmahnfähiger Wettbewerbsverstoß vor.

Leitsätze des BGH:

a) Soweit eine spezialgesetzliche Pflicht zur Angabe der Füllmenge nach Gewicht einer im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV angebotenen Fertigpackung besteht, wird die Ware im Sinne dieser Vorschrift nach Gewicht angeboten.

b) Kaffeepulver enthaltende Kaffeekapseln sind Fertigpackungen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV.

c) In Kaffeekapseln enthaltenes Kaffeepulver wird im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV nach Gewicht angeboten.

d) Von verschiedenartigen Erzeugnissen im Sinne von § 9 Abs. 4 Nr. 2 PAngV ist auszugehen, wenn der Preisvergleich durch die Verbindung der Produkte in einer Packung ohnehin erschwert ist und die Angabe des Grundpreises daran nichts ändern, sondern umgekehrt die Angabe eines Grundpreises den Verbraucher zu falschen Schlüssen bei der Beurteilung der Preiswürdigkeit des Angebots veranlassen könnte.

e) Bei Verstößen gegen § 2 Abs. 1 PAngV trifft den Handelnden eine sekundäre Darlegungslast dafür, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und dass das Vorenthalten der Information ihn nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann (im Anschluss an BGH, Urteil vom 31. Oktober 2018 - I ZR 73/17, GRUR 2019, 82 Rn. 32 - Jogginghosen).

BGH, Urteil vom 28. März 2019 - I ZR 85/18 - OLG Koblenz - LG Koblenz

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Bundeskartellamt verhängt Bußgelder gegen Brauereien, Kaffee- und Süßwarenhersteller sowie Handelsunternehmen wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung im Lebensmittelhandel

Das Bundeskartellamt hat Bußgelder gegen Brauereien, Kaffee- und Süßwarenhersteller sowie Handelsunternehmen wegen unzulässiger vertikaler Preisbindung im Lebensmittelhandel verhängt.

Die Pressemitteilung des Bundeskartellamtes:

Vertikale Preisbindung im Lebensmitteleinzelhandel – Nun auch Bußgeldverfahren in der Warengruppe Bier weitgehend

Das Bundeskartellamt hat im sog. Vertikalfall im Lebensmittelhandel weitere Kartellverfahren abgeschlossen und erneut Bußgelder gegen Handelsunternehmen in einer Gesamthöhe von 90,5 Mio. € verhängt. Im Fokus der Ermittlungen standen in diesem Teil des Gesamtverfahrens Absprachen zwischen der Brauerei Anheuser Busch InBev Germany Holding GmbH, Bremen (AB InBev), und Händlern über die Ladenpreise von Bieren, insbesondere der Marken „Beck’s“, „Franziskaner“ und „Hasseröder“.

Bußgeldbescheide wurden gegen die folgenden Unternehmen verhängt: A. Kempf Getränkegroßhandel GmbH, Offenburg, EDEKA Handelsgesellschaft Minden-Hannover mbH, Minden, EDEKA Handelsgesellschaft Rhein-Ruhr mbH, Moers, EDEKA Handelsgesellschaft Südbayern mbH, Gaimersheim, EDEKA Handelsgesellschaft Südwest mbH, Offenburg, EDEKA Nordbayern-Sachsen-Thüringen GmbH, Rottendorf, METRO AG, Düsseldorf, und NETTO Marken-Discount AG & Co. KG, Maxhütte. Gegen AB InBev und das Handelsunternehmen REWE Zentral – Aktiengesellschaft, Köln, wurden wegen frühzeitiger und umfassender Kooperation mit dem Bundeskartellamt im Rahmen der Ermittlungen keine Bußgelder verhängt.

Außerdem erging noch je ein Bußgeldbescheid im Bereich Süßwaren wegen Preisbindungen bei Haribo-Produkten gegen das Unternehmen Lidl Stiftung & Co. KG sowie im Bereich Kaffee wegen Preisbindungen bei Melitta-Produkten gegen die Dirk Rossmann GmbH (vgl. zu den Absprachen in diesen Warengruppen auch Pressemitteilung vom 18.06.2015).

Der gesamte Verfahrenskomplex, der mit Durchsuchungen im Januar 2010 seinen Anfang nahm und zu den aufwändigsten Bußgeldverfahren des Bundeskartellamtes zählte, ist damit nahezu abgeschlossen. Wegen verbotener Absprachen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen über die Ladenpreise in den Warengruppen Süßwaren, Kaffee, Tiernahrung, Bier und Körperpflegeprodukte hat das Bundeskartellamt ein vorläufiges Gesamtbußgeld in Höhe von gut 242 Mio. € verhängt. Gegen drei Unternehmen in den Bereichen Süßwaren und Bier ist das Verfahren vor dem Bundeskartellamt noch offen und wird voraussichtlich in den nächsten Monaten abgeschlossen.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: „Die betroffene Brauerei hat beim Absatz ihrer wichtigsten Biermarken mehrfach Erhöhungen der Ladenpreise mit den Händlern abgesprochen und die Einzelheiten, insbesondere die Stichtage und die Höhe der jeweiligen Preisanhebung, zwischen diesen koordiniert. Die Händler hatten die Erwartungshaltung, dass die Brauerei dafür sorgt, dass die Erhöhung gleichzeitig auch bei konkurrierenden Händlern umgesetzt wird. Leidtragende solcher systematischen Preisbindungspraktiken sind die Endverbraucher.“

Bußgeldmindernd hat sich ausgewirkt, dass die Bescheide mit Ausnahme des Bescheids gegen Rossmann im Wege der einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (sog. Settlement) ergangen sind. Rossmann hat gegen den an das Unternehmen gerichteten Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt, über den das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden wird. Soweit in einem weiteren Fall das Bußgeld noch nicht rechtskräftig ist, kann gegen diesen Bescheid ebenfalls Einspruch eingelegt werden.


OLG Düsseldorf: Vertrieb von günstigen "NoName"-Nespresso-Kapseln ist erlaubt

OLG Düsseldorf
Urteile vom 21.02.2013
I-2 U 72/12
I-2 U 73/12
Nespresso


Das OLG Düsseldorf hat völlig zu Recht entschieden, dass der Vertrieb von günstigen "NoName"-Nespresso-Kapseln erlaubt ist. Wir hatten über die Entscheidungen der Vorinstanz in dem Beitrag "LG Düsseldorf: Nespresso-Kapseln von Drittanbietern dürfen weiterhin verkauft werden - keine Patentverletzung" berichtet.

Aus der Pressemitteilung des OLG Düsseldorf:
"In zwei Eilverfahren hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts heute entschieden, dass „NoName“-Kaffeekapseln für Nespresso-Kaffeemaschinen ohne „Warnhinweis“ vertrieben werden dürfen.
Die Firma Nestec S. A., Vevey (Schweiz), ist Inhaberin eines für Nespresso-Kaffemaschinen genutzten Patents. Sie hat Lizenzen an verschiedene Unternehmen vergeben, die die Kaffeemaschinenmodelle und die Originalkapseln produzieren. Die beiden beklagten Schweizer Firmen vertreiben - ohne von der Klägerin hierzu lizenziert worden zu sein - Kaffeekapseln für die Nespresso-Kaffeemaschinen. Die Beklagten bieten die Kapseln zum Preis von 0,29 € je Kapsel und damit um 6 – 10 Cent günstiger als die Originalkapseln an.
[...]
Der 2. Zivilsenat hat heute in den beiden Patentverletzungsstreitverfahren die landgerichtlichen Entscheidungen bestätigt. Die Verwendung von Fremd-Kapseln sei vom Patentschutz nicht umfasst, weil die erfinderische Leistung sich nur in der Technik der Kaffeemaschinen widerspiegele, nicht aber im Aufbau und der Gestaltung der Kapseln."


Derzeit sind auch noch zwei Hauptsacheverfahren anhängig.


LG Düsseldorf: Nespresso-Kapseln von Drittanbietern dürfen weiterhin verkauft werden - keine Patentverletzung

LG Düsseldorf
Urteile vom 16. August 2012
4b O 81/12 - 4b O 82/12
Nespresso


Das LG Düsseldorf hat entschieden, dass Nespresso-Kapseln von Drittanbietern weiterhin verkauft (und natürlich auch getrunken) werden dürfen. Das Gericht verneinte eine Patenverletzung.

Aus der Pressemitteilung des LG Düsseldorf:

"Nach Auffassung der Kammer dürfe der Käufer einer Nespresso-Maschine jedoch erwarten, dass er diese nicht lediglich mit den mitgelieferten Original-Kapseln benutzen könne. Da der Käufer durch den Erwerb der patentgeschützten Nespresso-
Maschine berechtigt werde, diese bestimmungsgemäß zu gebrauchen, liege keine Patentverletzung vor, wenn der Käufer Kapseln von anderen Herstellern nutze. Die Kaffeekapsel sei zwar für die Inbetriebnahme der patentgeschützten Nespresso-Maschine unerlässlich, jedoch nicht deren funktionales „Herzstück“. Ebenso wenig verkörpere sie eine besondere Eigenschaft der Erfindung."


Die vollständige Pressemitteilung des LG Düsseldorf finden Sie hier:

OLG Zweibrücken:Werbung mit "Röstung über offenem Feuer" irreführend, wenn Kaffee-Röstung in einem Trommelröster erfolgt

OLG Zweibrücken
Beschluss vom 08.04.2011
4 U 173/10
Röstung über offenem Feuer


Das OLG Zweibrücken hat entschieden, dass die Werbung mit der Aussage "Röstung über offenen Feuer" durch eine Kaffeerösterei eine wettbewerbswidrige Irreführung ist, wenn der Kaffee tatsächlich in einem Trommelröster durch Gasflammen erhitzt wird.

BPatG: Die Zeichenfolge "Wach auf" ist mangels Unterscheidungskraft nicht für Tee und Kaffee als Marke eintragbar

BPatG
Beschluss vom 28.10.2010
25 W (pat) 44/10
Wach auf

Das BPatG hat entschieden, dass die Zeichenfolge "Wach auf" nicht für Getränke (Tee, Kaffee etc.) eingetragen werden kann. Es fehlt an der Unterscheidungskraft. In den Entscheidungsgründen heißt es:

"Schlagwortartige Wortkombinationen wie die hier vorliegende Markenanmeldung "Wach auf" unterliegen weder strengeren, noch geringeren sondern den gleichen Schutzvoraussetzungen wie andere Wortmarken. Einerseits
[...]
Aufgrund des sich aus dem o. g. ergebende eindeutigen Aussagegehalts der Wortkombination "Wach auf" und des daraus resultierenden Zusammenhangs zwischen den beanspruchten Nahrungs- und Genussmitteln und der ihnen zugeschriebenen belebenden, erfrischenden und konzentrationsfördernden Wirkung bedarf es für den der normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Endverbraucher auch keiner analysierenden Betrachtungsweise oder vertieften Nachdenkens, um diesen sachlichen Bezug zwischen der angemeldeten Wortkombination und den beanspruchten Waren zu erkennen und zu erfassen; vielmehr drängt sich ein solcher Sachbezug bei der angemeldeten Wortkombination in Verbindung mit den hier beanspruchten Waren geradezu auf. Der Verkehr wird mithin in einer derart naheliegenden, als solche sich ohne weiteres erschließenden Sachangabe, die sich auf die Beschaffenheit und die Eigenschaften der beanspruchten Waren bezieht, keinen Hinweis auf die betriebliche Herkunft dieser Waren sehen."