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OLG Nürnberg: Online-Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312k BGB muss ohne Login möglich sein

OLG Nürnberg
Urteil vom 30.07.2024
3 U 2214/23


Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass die Online-Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312k BGB ohne Login möglich sein muss.

Aus den Entscheidungsgründen:
3. Die Beklagte hat ihren Pflichten aus § 312k Abs. 2 BGB nicht in ausreichendem Umfang entsprochen, indem sie zunächst den Kündigungsbutton lediglich in den geschützten Kundenbereich integriert hat, sodass er erst erkennbar und nutzbar war, nachdem sich ein Kunde dort eingeloggt hat, und nicht bereits beim Aufruf der Homepage bzw. der Apps sichtbar und benutzbar war. Dem Kläger steht daher ein hiergegen gerichteter Unterlassungsanspruch aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 c) UKlaG zu.

a) Die Aktivlegitimation des Klägers für den Unterlassungsanspruch aus § 2 UKlaG folgt aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 UKlaG. Die Regelung in § 312k BGB zum sog. Kündigungsbutton gehört zu den Bestimmungen über Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr, welche wiederum nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) UKlaG Verbraucherschutzvorschriften darstellen, bei deren Verletzung nach § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG ein Unterlassungsanspruch der klageberechtigten Verbände besteht. Da eine entsprechende Praxis eine Vielzahl von Verbrauchern betrifft und nicht nur ein einmaliger Verstoß der Beklagten vorlag, ist auch das erforderliche „kollektive Moment“ gegeben und dem Erfordernis, dass die Rechtsverfolgung im Interesse des Verbraucherschutzes liegt, entsprochen.

b) Der Kündigungsbutton darf auch in Fällen wie dem vorliegenden, in denen zum Abschluss des später zu kündigenden Vertrags generell ein Kundenkonto angelegt wird, nicht erst nach einem Login in dieses Kundenkonto zugänglich sein. Vielmehr muss der Kündigungsbutton dort präsentiert werden, wo auch auf die Möglichkeit zum Abschluss des Fahrkartenerwerbs im elektronischen Geschäftsverkehr aufmerksam gemacht wird. Die vormalige Handhabung der Beklagten steht damit nicht mit § 312k Abs. 2 S. 4 BGB in Einklang.

aa) Der Wortlaut des § 312k Abs. 2 S. 4 BGB verlangt, dass die Schaltflächen und die Bestätigungsseite „ständig verfügbar sowie unmittelbar und leicht zugänglich“ sein müssen.

In der Bundestagsdrucksache, die die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses wiedergibt, wird ausgeführt, dass die Kündigung ebenso einfach abzugeben sein soll wie die Erklärung über den Abschluss entsprechender Verträge, wenngleich die Besonderheiten von Kündigungserklärungen Berücksichtigung finden müssen (BT-Drs. 19/30840, S. 15). Das Erfordernis der ständigen Verfügbarkeit ist dabei an § 5 Abs. 1 TMG (a.F.) angelehnt. Verbraucher müssten somit jederzeit und ohne sich hierfür zunächst auf der Webseite des Unternehmers anmelden zu müssen, auf die beiden Schaltflächen und die Bestätigungsseite zugreifen können. Die Anforderung „unmittelbar und leicht zugänglich“ orientiert sich an Art. 246d § 2 Abs. 2 EGBGB (vgl. jeweils BT-Drs. 19/30840, S. 18). In der Begründung zu jener Norm heißt es, dass dem Verbraucher durch den unmittelbaren und leichten Zugang von der Webseite aus, auf der die Angebote angezeigt werden, ermöglicht werden soll, auf möglichst einfache Weise von den Informationen Kenntnis zu erlangen (BT-Drs. 19/27655, S. 38).

bb) Die Literatur gibt zustimmend wieder, dass der Zugriff auf die Schaltflächen nicht erst nach einer Anmeldung auf der Website möglich sein darf, und fügt z.T. hinzu, dass auch ein Erfordernis, etwa erst Pop-Up-Fenster wegklicken zu müssen, nicht bestehen dürfe (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312k Rn. 14; BeckOK IT-Recht/Föhlisch, 14. Ed. 1.4.2024, BGB § 312k Rn. 20; Flohr/Wauschkuhn/v. Wrede, 3. Aufl. 2023, BGB § 312k Rn. 24). Es entspreche dem Gesetzeszweck, eine Kündigung auf elektronischem Wege auf einfache Weise zu ermöglichen, dass dem Verbraucher nicht zugemutet werden soll, erst zum Zweck der Kündigung einen neuen Account auf der Webseite des Unternehmers anzulegen (BeckOK BGB/Maume, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 312k Rn. 38; Stiegler, VuR 2021, 553 (449 f.)). Eine Anmeldung auf einem entsprechenden System, bei der die maßgeblichen Daten dann automatisch übernommen werden, könne zwar auch als kundenfreundlicher und einfacher angesehen werden als das Heraussuchen einer ggf. vor langer Zeit erhaltenen Kunden- oder Vertragsnummer, doch sei der klare Wille des Gesetzgebers zu beachten (BeckOK BGB/Maume, 69. Ed. 1.2.2024, BGB § 312k Rn. 38). Zudem wird ein Zweck der gesetzlichen Bestimmung auch darin gesehen, dass der Verbraucher auf möglichst einfache Weise von den „Informationen“ – vorliegend: der Kündigungsmöglichkeit – Kenntnis erlangen soll (BeckOK IT-Recht/Föhlisch, 14. Ed. 1.4.2024, BGB § 312k Rn. 20 nach (BT-Drs. 19/27655, S. 38). Die Unzulässigkeit des Erfordernisses einer Anmeldung wird dabei teilweise der Anforderung „ständig verfügbar“ zugeordnet (in diesem Sinn neben den Genannten wohl Sümmermann/Ewald, MMR 2022, 713 (717)), teils im Zusammenhang mit der Vorgabe „unmittelbar und leicht zugänglich“ diskutiert (dies dort erörternd Stiegler, VuR 2021, 553 (449 f.); ferner Buchmann/Panfili, in: Brönneke/Föhlisch/Tonner, Das neue Schuldrecht, § 7 Rn. 40 f., die dem Wort „unmittelbar“ die Bedeutung beimessen, dass die Kündigungsschaltfläche von jeder Unterseite einer Website aus erreichbar sein muss und keine weiteren Unterseiten, Pop-Ups oder sonstigen Einblendungen zwischengeschaltet sein dürfen).

Vereinzelt wird vertreten, der Unternehmer dürfe das Kündigungsbutton erst nach einem Login präsentieren, sofern Dienste betroffen sind, die die Nutzer ausschließlich eingeloggt nutzen, da sie somit ohnehin üblicherweise Benutzerdaten zur Hand haben (Sümmermann/Ewald, MMR 2022, 713 (717); ablehnend BeckOK IT-Recht/Föhlisch, 14. Ed. 1.4.2024, BGB § 312k Rn. 20). Die erst durch ein Login zu erreichende Seite blieben nämlich auch dann aus Sicht der betroffenen Nutzer (maßgeblich auf deren Sichtweise abstellend auch Stiegler, VuR 2021, 553 (449 f.)) unmittelbar und leicht zugänglich, wenn für die Nutzung des vertragsgegenständlichen Dienstes ein Login erforderlich ist und dies der üblichen Nutzungsweise entspricht. Insoweit würden sich z.B. Games von anderen Dauerschuldverhältnissen wie der Mitgliedschaft in Fitnessstudios oder physischen Zeitungsabonnements unterscheiden, bei welchen nicht ein dauerhaftes Login zur Nutzung erforderlich ist und die Nutzer ein solches möglicherweise gar nicht besäßen. Dies rechtfertige es, von der Gesetzesbegründung abzuweichen, zumal dies sogar im Interesse des Verbraucherschutzes liege, da dieses Vorgehen die Nutzerfreundliche Variante darstelle. Insbesondere könnten so die erforderlichen Angaben bereits vorausgefüllt oder durch Auswahlmöglichkeiten präsentiert werden, während Bestellnummern für vergangene digitale Einkäufe regelmäßig nicht zur Hand seien (Sümmermann/Ewald, MMR 2022, 713 (717)).

Aus der Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, bisher lediglich das LG Köln mit der Problematik befasst (Beschluss vom 29. Juli 2022, 33 O 355/22, MMR 2023, 381). Dort wird ausgeführt, der Gesetzgeber habe Ausgestaltungen verhindern wollen, bei denen der Unternehmer weitere, für den Verbraucher nicht ohne Weiteres verfügbare Daten abfragt und so die einfache und unkomplizierte Kündigung erschwert sowie möglicherweise das Gebot der Datensparsamkeit verletzt (a.a.O. Rn. 6). Auch die Abfrage des Kundenkennworts baue eine Hürde auf, die den Kunden von der Kündigung abhalten könne, weil er dieses nicht mehr kenne; möglich müsse auch sein, die Kündigung durch Angabe von Namen und anderen gängigen Identifizierungsmerkmalen zu erklären (Rn. 7).

cc) Nach diesen Kriterien genügt der Unternehmer seinen Verpflichtungen aus § 312k Abs. 2 S. 4 BGB auch dann, wenn der Kunde aufgrund der Gestaltung des Bestellvorgangs bereits ein Kundenkonto besitzt, nur, wenn sich die Schaltfläche auch ohne eine Anmeldung auf dieses Konto erreichen lässt.

(1) In tatsächlicher Hinsicht muss der Senat allerdings den Vortrag der Beklagten zugrunde legen, demzufolge bei ihr das D.-ticket nur bei gleichzeitiger Anlegung eines Accounts erworben werden kann.

Der Kläger hat zwar in der Klageschrift behauptet, man könne das D.-ticket bei der Beklagten nicht nur über die N[…]-App und den Onlineshop der Beklagten erwerben, sondern auch über weitere Apps, das gegenteilige Vorbringen der Beklagten und deren Behauptung, bei der Bestellung werde zwingend ein Nutzerkonto angelegt, aber lediglich mit Nichtwissen bestritten. Darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass eine tatsächliche Situation vorliegt, aus der sich aktuell und in der Vergangenheit (was für die Frage der Wiederholungsgefahr relevant wird) ein Verstoß ergab, ist die Klagepartei. Dem Kläger hätte es daher oblegen, aufzuzeigen, dass bei der Beklagten die Bestellung eines D.-tickets auch außerhalb der beiden Wege, die die Beklagte einräumt, möglich ist und jedenfalls nicht zwingend ein Nutzerkonto angelegt wird. Eine entsprechende Bestellmöglichkeit geht aber weder aus den vom Kläger vorgelegten Anlagen noch den Einblendungen in dem Schriftsatz der Beklagten hervor. Der Kläger hätte sich jedenfalls substantiiert zum Einwand der Beklagten verhalten müssen, über die anderen Apps erfolge lediglich eine Weiterleitung auf den Online-Shop.

Unerheblich ist daher, dass die Beklagte eingeräumt hat, dass sich dem Kunden zunächst solche weiteren Bestellmöglichkeiten präsentieren, da sie zugleich behauptet hat, auch auf diesem Weg komme es im nachfolgenden Bestellprozess zwingend zur Anlegung eines Nutzerkontos.

Die Situation entspricht damit der Konstellation, dass eine beklagte Partei einen Vertragsschluss einräumt, jedoch zugleich die Vereinbarung einer Bedingung behauptet, die nicht eingetreten sei. Hier ist die sog. Leugnungstheorie vorherrschend und zutreffend, nach der das Behaupten eines Vertragsschlusses unter einer noch nicht eingetretenen Bedingung dem Bestreiten des Vertragsschlusses überhaupt gleichsteht (vgl. MüKoBGB/ Westermann, 9. Aufl. 2021, BGB § 158 Rn. 49).

(2) Auch bei einer solchen Sachlage wird aber den Vorgaben aus § 312k Abs. 2 BGB dann, wenn das D.-ticket als E-Ticket über die N[…]-App oder den Onlineshop bei gleichzeitiger Anlegung eines Nutzerkontos erworben wurde, nicht entsprochen.

(a) Im Zentrum der gesetzgeberischen Absicht bei der Einführung von § 312k BGB stand, dass für eine Kündigung mittels des Kündigungsbuttons keine hohen Hürden aufgestellt werden dürfen. Mit der Verpflichtung zur Einrichtung eines Kündigungsbuttons sollte darauf reagiert werden, dass die Kündigung von im elektronischen Geschäftsverkehr abgeschlossenen Verträgen Verbraucher oft vor besondere Herausforderungen stelle, weil im Vergleich zum einfachen Abschluss eines solchen Vertrags dessen Kündigung direkt über eine Webseite teilweise gar nicht möglich sei oder häufig durch die Webseitengestaltung erschwert werde (BT-Drs. 19/30840, S. 17).

(b) Nach Auffassung des Senats sprechen zwar gute Argumente dafür, es als unschädlich anzusehen, dass der Kündigungsbutton erst nach einem Login sichtbar und nutzbar ist, wenn die Nutzung des Dienstes, welcher Gegenstand des Dauerschuldverhältnisses ist, seiner Natur nach ohnehin ein Login erfordert. Der Gesetzgeber dürfte solche Fallgestaltungen nicht vor Augen gehabt und berücksichtigt haben. Muss der Nutzer sich ohnehin regelmäßig einloggen, kann bei typisierender Betrachtung, davon ausgegangen werden, dass er die notwendigen Anmeldedaten stets parat hat. Die Eingabe derselben, um seine Identität und das Vertragsverhältnis, auf welches die Kündigung sich beziehen soll, anzugeben, bereitet dann nicht weniger Mühe und Schwierigkeiten als die nach § 312k Abs. 2 Nr. 1 lit. c) BGB gesetzlich geforderte eindeutige Bezeichnung des Vertrags auf der nachfolgend einzublendenden Bestätigungsseite. Der Button ist dann jedenfalls „unmittelbar und leicht zugänglich“. Auch die ständige Verfügbarkeit und Sichtbarkeit ist, ein regelmäßiges Login zwecks Nutzung unterstellt, dann gegeben.

(c) Eine derartige Fallgestaltung ist aber vorliegend nicht gegeben; vielmehr stellt sich das Erfordernis, sich zunächst in den eigenen geschützten Kundenbereich einzuloggen, als Hürde dar, die der Gesetzgeber dem Kunden nicht zumuten wollte.

Wie der Senat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, muss bei dem von der Beklagten etabliertem technischen Prozess zwar im Zuge der Bestellung ein Nutzerkonto angelegt werden und dieses auch nochmals zum Abruf des E-Tickets nach Abschluss der Bearbeitung durch die Beklagte aufgesucht werden, jedoch in der Folgezeit nicht mehr besucht werden. Die Nutzung des D.-tickets als Fahrausweis verlangt mithin nicht ein permanentes oder regelmäßiges Login. Einwände gegen dieses Verständnis der schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten sind in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt; umgekehrt ist aus den Anlagen der Hinweis erkennbar, dass das D.-ticket auch offline verfügbar sei. Damit besteht ebenfalls die Möglichkeit, das D.-ticket konform mit den Beförderungsbedingungen zu nutzen, ohne permanent eingeloggt zu sein.

Da somit ein häufigeres oder gar regelmäßiges Login nicht erforderlich ist, hat der Kunde typischerweise keinen Anlass, das eigene Nutzerkonto regelmäßig aufzurufen.

Dies führt zum einen dazu, dass die Gefahr besteht, dass der Kunde sein Passwort im Lauf der Zeit vergisst, weshalb er dann, wenn er später mittels des Kündigungsbuttons das Abonnement beenden will, dieses erst z.B. anhand von Unterlagen recherchieren oder sich ein neues übersenden lassen muss. Beides setzt Zeit und Mühe voraus, jedenfalls mehrere Schritte am Smartphone oder am PC, weil er den Prozess des Zurücksetzens des Passworts durchlaufen muss.

Zum anderen kann der Kunde, solange er noch nicht eingeloggt ist, bei dem ursprünglich von der Beklagten praktizierten Vorgehen überhaupt nicht erkennen, dass er die Kündigung auch bequem auf elektronischem Wege über einen solchen Button erklären kann. Es war dem Gesetzgeber aber wichtig, dass dem Verbraucher gezeigt wird, dass eine derartige niederschwellige Möglichkeit offensteht.

(d) Die Beklagte kann daher auch nicht mit ihrer Argumentation durchdringen, der Gesetzgeber habe lediglich gleich hohe Schwierigkeiten für den Vertragsschluss und die Vertragskündigung aufstellen wollen.

Wie ausgeführt, bedarf es für die Kündigung bei der von der Beklagten zunächst ausschließlich eingerichteten technischen Lösung eines Einloggens in den persönlichen Account, der beim Bestellvorgang noch nicht erforderlich war; für jenen genügte die Angabe der persönlichen Daten. Insoweit ist das nachfolgende Einloggen unter Nutzung des Passworts, welches nach allgemeinen Grundsätzen individuell gewählt werden sollte, zwangsläufig mit einer zusätzlichen Komplikation gegenüber dem ursprünglichen Vertragsabschluss verbunden.

Zudem mag die Überlegung, die Kündigung solle nicht schwerer sein als der Vertragsschluss, Motiv des Gesetzgebers für die Schaffung der Regelung gewesen sein, für online abschließbare Dauerschuldverhältnisse überhaupt eine Online-Kündigungsmöglichkeit verpflichtend vorzusehen. Eine Vergleichbarkeit oder Gleichwertigkeit mit der Abschlussmöglichkeit hat jedenfalls keinen unmittelbaren Niederschlag im Gesetz gefunden, mag die Beurteilung, was „leicht zugänglich“ ist, auch situationsabhängig sein und eine Berücksichtigung, wie der Dienst genutzt werden kann, erlauben. Insoweit ist auch zu bedenken, dass § 312k BGB tatbestandlich voraussetzt, dass der Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen werden kann; das im Gesetz enthaltene Erfordernis würde daher schnell leerlaufen, wenn die Anforderungen zu niedrig angesetzt werden.
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(3) Erst recht gelten diese Überlegungen, wenn der Kunde das D.-ticket im Onlineshop als Chipkarte erworben hat.
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Der Kunde, der sich für eine Chipkarte entscheidet, will gerade unabhängig von Online-Angeboten sein; er hat jedenfalls keinen Anlass, sich regelmäßig in den geschützten Kundenbereich einzuloggen. Damit besteht wiederum die greifbare Gefahr, dass er die Anmeldedaten vergisst und die deshalb erforderliche Rekonstruktion eine Hürde darstellt, die der Gesetzgeber dem Kunden nicht auferlegen wollte. Ebenso wird dem Kunden, der sich zur Information über die Kündigungsmöglichkeiten auf die Homepage der Beklagten begibt, nicht deutlich gemacht, dass es eine bequeme Möglichkeit zur Erklärung der Kündigung über einen entsprechenden Button gibt.
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c) Dahinstehen kann, ob sich hieraus zwingend das Erfordernis ergibt, bereits auf einer Eingangsseite des Internetauftritts oder einer App den Kündigungsbutton zu präsentieren oder auf die Kündigungsmöglichkeit hinzuweisen. Der Klageantrag verlangt einen Kündigungsbutton nur auf Webseiten und in Apps, die den Abschluss entsprechender Verträge ermöglichen; auch die Anlage K1 zeigt eine Unterseite, die unmittelbar den Bestellprozess einleitet. Aus den wiedergegebenen Erwägungen muss zumindest dort auch auf die Kündigungsmöglichkeit hingewiesen werden.

d) Auch die übrigen Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs liegen vor. Insbesondere wird die notwendige Wiederholungsgefahr durch das vorangegangene Verhalten der Beklagten indiziert, soweit sie außerhalb des geschützten Kundenbereichs einen Kündigungsbutton überhaupt nicht vorgesehen hat. Umstände, die geeignet wären, eine Ausnahmesituation zu begründen, hat die Beklagte nicht aufgezeigt. Die Beendigung des angegriffenen Verhaltens lässt nach allgemeinen Grundsätzen die einmal begründete Wiederholungsgefahr nicht entfallen.

e) Darauf, dass die Zusage der Beklagten, bis Ende Oktober 2023 einen Kündigungsbutton auch auf der Homepage selbst einzurichten (wie zwischenzeitlich geschehen), kein tatsächliches Anerkenntnis einer Zuwiderhandlung gegen die Verbraucherschützer Bestimmung des § 312k BGB darstellt, kommt es somit nicht mehr entscheidend an.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Düsseldorf: Online-Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312k BGB muss auch ohne Login möglich sein

OLG Düsseldorf
Urteil vom 23.05.2024
I-20 UKl 3/23


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Online-Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr nach § 312k BGB auch ohne Login möglich sein muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Oberlandesgericht Düsseldorf: Online-Kündigungsprozess von Verbraucherverträgen soll möglichst einfach sein

Der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Erfried Schüttpelz hat heute einer Unterlassungsklage eines Verbraucherschutzverbands stattgegeben und einem Versorgungsunternehmen untersagt, online eine Kündigungsbestätigungsseite vorzuhalten, die erst durch Eingabe von Benutzername und Passwort oder Eingabe von Vertragskontonummer und Postleitzahl der Verbrauchsstelle erreichbar und damit nicht unmittelbar und leicht zugänglich ist.

Die Beklagte bietet auf ihrer Website Verbraucherinnen und Verbrauchern den Abschluss von verschiedenen Strom- und Gasverträgen an. Auf ihrer Homepage findet sich am unteren Ende der Rubrik "Kontakt" eine Schaltfläche "Verträge kündigen". Wählen Verbraucherinnen und Verbraucher diese aus, gelangen sie zu einer Anmeldemaske, mithilfe derer sie sich zunächst identifizieren sollen, bevor sie in den Kündigungsbereich gelangen. Hierfür können sich registrierte Kundinnen und Kunden mit ihrem Benutzernamen und dem zugehörigen Passwort anmelden. Nicht registrierte Kundinnen und Kunden müssen zunächst die Vertragskontonummer und die Postleitzahl der Verbrauchsstelle angeben, um sich zu legitimieren. Die Identifizierung, ob per Benutzername oder Vertragskontonummer, wird erst mit Bestätigung des Buttons "Anmelden" abgeschlossen. Eine Möglichkeit, den Vertrag direkt über eine Kündigungsschaltfläche zu kündigen, ohne sich auf eine der zwei vorgenannten Alternativen anmelden zu müssen, existiert nicht. Nach erfolgloser vorgerichtlicher Abmahnung beantragt der Verbraucherschutzverband u.a. die Untersagung des so gestalteten Kündigungsprozesses.

Der 20. Zivilsenat hat in seiner heute verkündeten Entscheidung ausgeführt, der von der Beklagten über ihre Website gestaltete Kündigungsprozess verstoße gegen die den Verbraucher schützende Regelung des § 312k Abs. 2 S. 3 BGB. Nach dieser gesetzlichen Regelung sei ein Kündigungsprozess zweistufig aufgebaut: Er beginne mit einer "Kündigungsschaltfläche", nach deren Betätigung der Verbraucher unmittelbar auf eine "Bestätigungsseite" geführt werde, auf der der Verbraucher Angaben zu seiner Kündigung machen könne und die wiederum einen Bestätigungsbutton mit einer eindeutigen Formulierung wie "jetzt kündigen" enthalte.

Die Beklagte habe die "Bestätigungsseite" nicht entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben gestaltet. Vielmehr sei diese dergestalt aufgespalten, dass Kundinnen und Kunden zunächst auf eine Website geleitet würden, auf der sie bestimmte Anmeldeinformationen zum Kundenkonto oder zu der sie identifizierenden Vertragskontonummer angegeben müssten. Diese Seite enthalte jedoch nicht die weiteren gesetzlich vorgeschriebenen Angaben und insbesondere keine Bestätigungsschaltfläche mit einer Formulierung wie "jetzt kündigen". Auf eine diese Merkmale enthaltende gesonderte Website würden die Verbraucherinnen und Verbraucher vielmehr erst dann weitergeleitet, wenn sie sich erfolgreich angemeldet hätten. Eine solche Gestaltung der Website zur Kündigung des Versorgungsvertrages sei nicht zulässig. Die Betätigung der Kündigungsschaltfläche müsse vielmehr unmittelbar zu der Bestätigungsseite mit sämtlichen vorgeschriebenen Merkmalen - insbesondere der Bestätigungsschaltfläche "jetzt kündigen" führen. Dies setze voraus, dass die Bestätigungsseite aus einer einheitlichen Webseite bestehe. Die Kündigung würde momentan dadurch erschwert, dass eine weitere – im Gesetz nicht vorgesehene – Schaltfläche eingebaut werde. Diese Aufspaltung der Bestätigungsseite in (zumindest) zwei unabhängige Webseiten führe zu einem (zumindest) dreistufigen Kündigungsprozess und laufe dem Bestreben des Gesetzgebers zugegen, eine möglichst einfache Kündigung zu ermöglichen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision zugelassen, weil bislang höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 312k BGB fehlt.

Infobox:

§ 312 k (in der Fassung vom 10.08.2021)

(1) […]

(2) Der Unternehmer hat sicherzustellen, dass der Verbraucher auf der Webseite eine Erklärung zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung eines auf der Webseite abschließbaren Vertrags nach Absatz 1 Satz 1 über eine Kündigungsschaltfläche abgeben kann. 2Die Kündigungsschaltfläche muss gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „Verträge hier kündigen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein. 3Sie muss den Verbraucher unmittelbar zu einer Bestätigungsseite führen, die

1. den Verbraucher auffordert und ihm ermöglicht Angaben zu machen

a) zur Art der Kündigung sowie im Falle der außerordentlichen Kündigung zum Kündigungsgrund,

b) zu seiner eindeutigen Identifizierbarkeit,

c) zur eindeutigen Bezeichnung des Vertrags,

d) zum Zeitpunkt, zu dem die Kündigung das Vertragsverhältnis beenden soll,

e) zur schnellen elektronischen Übermittlung der Kündigungsbestätigung an ihn und

2. eine Bestätigungsschaltfläche enthält, über deren Betätigung der Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben kann und die gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern "jetzt kündigen" oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist.

Die Schaltflächen und die Bestätigungsseite müssen ständig verfügbar sowie unmittelbar und leicht zugänglich sein.

(3) Der Verbraucher muss seine durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegebene Kündigungserklärung mit dem Datum und der Uhrzeit der Abgabe auf einem dauerhaften Datenträger so speichern können, dass erkennbar ist, dass die Kündigungserklärung durch das Betätigen der Bestätigungsschaltfläche abgegeben wurde.

LG Aachen: Auslesen des Passwortes nach Dekompilierung des Objektcodes ist Überwindung einer besonderen Zugangssicherung nach § 202 a StGB

LG Aachen
Urteil vom 27.07.2023
60 Qs 16/23


Das LG Aachen hat entschieden, dass das Auslesen des Passwortes nach Dekompilierung des Objektcodes die Überwindung einer besonderen Zugangssicherung nach § 202 a StGB darstellt.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Jülich ist aufzuheben, da das Amtsgericht zu Unrecht den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt hat. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts besteht ein hinreichender Tatverdacht für eine Strafbarkeit des Angeschuldigten wegen Ausspähens von Daten gemäß § 202 a StGB.

Nach § 202 a Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich oder einem anderen Zugang zu Daten verschafft, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung.

Indem der Angeschuldigte dem Quellcode der Software, den er mittels Dekompilierung erlangte, dort hinterlegte Passwörter entnahm und die Daten auf seinen Rechner übertrug, hat er nicht nur das schon tatbeständsmäßige Verschaffen des bloßen Zugangs zu Daten verwirklicht, sondern zusätzlich sich die Daten selbst verschafft, was durch die Einträge in seiner Datenbank belegt wird.

a) Dass die Daten nicht für den Angeschuldigten bestimmt waren, folgt aus der Tatsache der Zugangsbeschränkung in Form eines Passwortes. Denn nach dem Willen der Verfügungsberechtigten - der V. – sollte der Angeschuldigte keinen Zugang zu diesen haben und die Daten sollten nicht in seinen Herrschaftsbereich gelangen (vgl. Bär in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 15. Kapitel Rn. 77; Lackner/Kühl/Heger StGB, 30. Aufl. 2023, § 202 a Rn. 3). Soweit es um den dekompilierten Quellcode der Software als solcher geht, ist auch dieser nicht für den Angeschuldigten bestimmt gewesen. Denn insoweit gelten die für Daten entwickelten Grundsätze entsprechend auch für Computerprogramme. Soweit eine Dekompilierung des Objektcodes in den Quellcode urheberrechtlich nach den § 69 e i.V.m. § 69 c Nr. 1 UrhG unzulässig ist – etwa wenn sich der Täter nicht an die durch den Lizenzvertrag und den Programmschutz gezogenen Grenzen hält - fehlt es an einer Datenbestimmung für den Täter mit der Folge, dass eine Strafbarkeit nach§ 202 a StGB– vorbehaltlich des Vorliegens der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen – eröffnet ist (vgl. Bär a.a.O. Rn. 78; MüKoStGB/Graf StGB 4. Aufl. 2021 § 202a Rn. 34).

b) Die Daten waren auch gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert. Dies ist der Fall, wenn Vorkehrungen getroffen sind, den Zugriff auf Daten auszuschließen oder wenigstens nicht unerheblich zu erschweren. Das Erfordernis der besonderen Sicherung gegen unberechtigten Zugang zeigt die Schranke an, deren Überwindung kriminelles Unrecht begründet .Sie rechtfertigt sich, weil der Verfügungsberechtigte mit der Sicherung sein Interesse an der „Geheimhaltung“ - ähnlich wie in § 202 Abs. 2, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 - dokumentiert und - das ist in normativer Hinsicht ausschlaggebend - durch diese Wahrnehmung eines ohne Weiteres zumutbaren Selbstschutzes auch des zusätzlichen Strafrechtsschutzes würdig und bedürftig wird (vgl. BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 5 StR 614/19 – NStZ-RR 2020, 279 (280); Hilgendorf in: LK- StGB, 13. Aufl. 2023, § 202 a Rn. 18).

Im vorliegenden Fall war der Zugang durch Passwörter gesichert, deren Abrufen zudem nur nach einer Dekompilierung möglich war. Die Sicherung des Zugangs mittels Passwort reicht als Zugangssicherung aus (BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 5 StR 614/19 –, a.a.O.).

Bei einem Passwort handelt es sich um eine typische Software- Sicherung, die das Interesse an einer Zugangssicherung eindeutig dokumentiert. Maßgeblich ist, ob die Sicherung geeignet erscheint, einen wirksamen, wenn auch nicht absoluten Schutz zu erreichen. Erforderlich ist - nach der Gesetzesbegründung - dass die Überwindung dieser Sicherung einen nicht unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand erfordert (vgl. BT- Drs. 16/3656). Dies wäre jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Aufhebung des Schutzes ohne weiteres möglich ist und durch jeden interessierten Laien leicht überwunden werden könnte. Vom Schutzbereich ausgenommen sind insbesondere auch Fälle, in denen das Opfer selbst nachlässig mit den eigenen Daten umgeht und eine sehr leicht ausschaltbare Sicherung wählt. Keine technischen Vorkehrungen wären folglich standardisierte Logins und Passwörter (zB Ziffernfolge 0000 bei allen Geräten), da hier zur Dokumentation der Geheimhaltung zunächst eine Änderung notwendig wäre (vgl. Eisele in: Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl. 2019 § 202a Rn. 14; Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Auflage 2023, § 202a Rn. 42).

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts stellt das Auslesen des Passwortes nach Dekompilierung des Objektcodes in den Quellcode eine Überwindung einer besonderen Zugangssicherung im Sinne des § 202 a StGB auch dann dar, wenn sie mit für jedermann zugänglichen Tools erfolgt ist.

Soweit in den Gesetzesmaterialien von einer „Überwindung mit einem nicht unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand“ die Rede ist, ist dies dahingehend zu verstehen, dass die Überwindung der Zugangssicherung typischerweise – also unabhängig von spezifischen Möglichkeiten oder Kenntnissen des konkreten Täters – einen nicht unerheblichen Aufwand erfordern muss. Auch wenn eine Zugangssicherung auf Grund besonderer Kenntnisse, Fähigkeiten oder Möglichkeiten schnell und ohne besonderen Aufwand überwunden wird, ist der Tatbestand erfüllt (BGH, Beschl. v. 13.05.2020 – 5 StR 614/19, a.a.O.).

Mit der Änderung des § 202a StGB durch das 41. StrÄndG im Jahre 2007 hat der Gesetzgeber unter Umsetzung des Übereinkommens des Europarates über Computerkriminalität aus dem Jahre 2001 und des entsprechenden Rahmenbeschlusses, u.a. das „Hacking“ unter Strafe gestellt. Maßgeblich ist seitdem bereits das Verschaffen von Zugang, nicht erst das Abrufen der Daten. Der Tatbestand soll damit den persönlichen- und Geheimbereich des Verfügungsberechtigten der Daten sichern, als auch seine wirtschaftlichen Interessen auf seine Daten vor unbefugtem Zugriff schützen (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 202a Rn. 2; Vassilaki in: CR 2008, 131). Der Umstand, dass bereits der Zugang - unabhängig von der Motivation mit der sich der Betreffende den Zugang verschafft - unter Strafe gestellt ist, zeigt, dass die Norm zudem auch dem Schutz der Integrität der Informationssysteme als solchen und nicht nur dem Datenschutz des Einzelnen dient. Dieser Schutzzweck wäre nicht gewährleistet, wenn die Strafbarkeit alleine an die Verwendung bestimmter Programme geknüpft wäre. Schließlich wäre eine Abgrenzung zwischen leicht und schwer zugänglichen Hilfsprogrammen zu unkonkret, um dem im Strafrecht gebotenen Bestimmtheitsgrundsatz gerecht zu werden.

Die Anforderungen an den notwendigen „nicht unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand“ zur Überwindung der Sicherung (so BT-Drs. 16/3656 S. 10) dürfen daher zum Schutz technischer Laien und vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht zu hoch angesetzt werden. Der Zugangsschutz muss nicht vollständig sein. Es ist ein „weites Verständnis“ des Überwindens einer Zugangssicherung zugrunde zu legen, bei dem eine Orientierung am technischen Laien angezeigt ist. Denn auch dem technischen Laien muss die grundrechtlich garantierte Möglichkeit eingeräumt werden, geschützte formale Geheimbereiche zu schaffen. Auch dass der Gesetzgeber mit § 202 a StGB nur einen eingeschränkten Täterkreis erfassen wollte, ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus den Motiven. § 202 a StGB ist kein auf professionelle Angreifer beschränktes Sonderdelikt (vgl. Kargl in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger StGB a.a.O. Rn. 42; Schumann, NStZ 2007, 677).

Es ist auf die allgemeine Sicherung der Daten gegenüber dem Zugriff Unbefugter abzustellen, nicht darauf, ob Eingeweihte oder Experten leicht auf die Daten zugreifen können. Für das geschützte Rechtsgut ist es unerheblich, ob die Sicherung von Daten vor unberechtigtem Zugang schnell oder langsam, mit viel oder wenig Aufwand überwunden wird. Der Gesetzgeber wollte aus dem Tatbestand neben Bagatelltaten lediglich solche Fälle ausschließen, in denen die Durchbrechung des Schutzes für jedermann ohne weiteres möglich ist, nicht aber solche, in denen die Zugangssicherung auf Grund spezieller Kenntnisse oder Möglichkeiten im Einzelfall leicht überwunden wird. Nur eine solche abstrakt-generelle Betrachtungsweise lässt sich mit dem Schutzzweck der Norm vereinbaren (vgl. BGH, Beschl. v. 13.05.2020, a.a.O).

Ausgehend hiervon hat der Angeschuldigte eine Zugangssicherung überwunden, durch die der Verfügungsberechtigte erkennbar den Zugang zu den Daten verhindern wollte und dadurch die strafwürdige kriminelle Energie manifestiert. Dass dies für ihn einfach – und gegebenenfalls mit wenigen „Maus- Clicks“ möglich war - hindert eine Strafbarkeit nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 13.05.2020 a.a.O). Auch wenn er für die Dekompilierung frei zugängliche Programme verwendet hat, so setzt eine solche Vorgehensweise sowohl ein tieferes Verständnis über Programmiersprachen und Softwareentwicklung als auch ausgeprägte Kenntnisse im Bereich der Anwendungsentwicklung und die Fähigkeit zum sogenannten Reverse Engeneering der Softwareschnittstelle voraus. Die in Rede stehenden Daten waren – eine abstrakt generelle Betrachtungsweise zugrunde gelegt - für den Angeschuldigten aufgrund seiner Kenntnisse leicht abgreifbar, indes „typischerweise“ nicht für Jedermann ohne weiteres möglich.

c) Dazu war er nicht befugt im Sinne des § 202 a StGB, da die ausgespähten Daten nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmt waren (vgl. Fischer, StGB, a.a.O. Rn. 12).

2.Die Kammer hat die Sache zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Köln vom 13.02.2023 an das Amtsgericht Jülich zurückverwiesen. Eine an sich gemäß § 309 Abs. 2 StPO gebotene Entscheidung in der Sache kann die Kammer nicht treffen, da für den Erlass des von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehls im Hinblick auf §§ 407 Abs. 1 Satz 1, 408 Abs. 1 StPO allein der Strafrichter zuständig ist (vgl. hierzu Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 24 m.w.Nachw.). Auch eine Aufhebung des Beschlusses mit der Anweisung an den Strafrichter, den Strafbefehl antragsgemäß zu erlassen oder über den Antrag der Staatsanwaltschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts erneut zu entscheiden, ist nicht möglich, da damit in unzulässiger Weise in die Entschließungsfreiheit des Strafrichters eingegriffen würde (zutreffend Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, a.a.O. Rn. 24, 25; KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 408 Rn. 13; ohne nähere Begründung a.A. LG Landshut, Beschl. v. 20.10.2009 – 4 Qs 237/09, NStZ-RR 2010, 78 f.). Aus diesem Grund kann die Kammer – wie geschehen – den angegriffenen Beschluss lediglich aufheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Amtsgericht zurückverweisen (vgl. LG Aachen, Beschl. v. 05.10.2020 – 60 Qs 43/20; LG Saarbrücken, Beschl. v. 17.10.2017 – 8 Qs 112/17, juris Rn. 6; Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 26. Aufl. 2009, § 408 Rn. 25; KK-StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 408 Rn. 13).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Unzureichende Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand geschäftlicher E-Mails können Schadensersatzansprüche auslösen

OLG Karlsruhe
Urteil vom 27.07.2023
19 U 83/22


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass unzureichende Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand geschäftlicher E-Mails Schadensersatzansprüche auslösen können.

Leitsätze des Gerichts:
1. Mangels gesetzlicher Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen beim Versand von E-Mails im geschäftlichen Verkehr bestimmen sich Art und Umfang der erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen, soweit hierzu von den Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des maßgeblichen Verkehrs unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit.

2. Verstößt der Gläubiger einer Geldforderung gegen von ihm geschuldete Sicherheitsvorkehrungen im Zusammenhang mit dem Versand einer geschäftlichen E-Mail und hat dieser Verstoß zur Folge, dass der Schuldner der Forderung den geschuldeten Geldbetrag auf das Konto eines deliktisch handelnden Dritten überweist, führt dies nicht zum Erlöschen der Forderung gem. § 362 BGB, sondern begründet allenfalls einen Schadensersatzanspruch des Schuldners, den dieser gem. § 242 BGB der Forderung entgegenhalten kann (dolo-agit-Einwendung).

Aus den Entscheidungsgründen:
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte gem. § 433 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 13.500 EUR, gem. § 280 Abs. 2, § 286 BGB auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 953,40 EUR und gem. §§ 286, 288 BGB auf Zahlung der zugesprochenen Verzugszinsen.

1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sie einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw zum Preis von 13.500 EUR abgeschlossen haben und dass eine Zahlung dieses Betrages auf das Konto eines Dritten erfolgt ist. Durch diese Zahlung ist indes der Anspruch der Klägerin auf Kaufpreiszahlung nicht gem. § 362 BGB erloschen.

a) Eine Leistung an die Klägerin gem. § 362 Abs. 1 BGB ist nicht erfolgt, da es sich bei dem Konto, auf das die Beklagte den Kaufpreis überwiesen hat, um das Konto eines Dritten und nicht der Klägerin handelt und daher der geschuldete Leistungserfolg nicht eingetreten ist. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Voraussetzungen, unter denen eine Leistung an einen Dritten Erfüllungswirkung hat, sind in § 362 Abs. 2 BGB geregelt und liegen hier nicht vor (dazu nachstehend b]).

Eine Zurechnung „des unbefugten Zugriffs des Dritten in Bezug auf die unerlaubte Handlung“ an die Klägerin, wie vom Landgericht angenommen, erfolgt nicht. Soweit das Landgericht insoweit auf eine Entscheidung des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 11. März 2009 - I ZR 114/06, BGHZ 180, 134 Rn. 16) Bezug nimmt, ging es dort um die Frage der deliktischen Haftung für eine Verletzung von Immaterialgüter- und Leistungsschutzrechten; eine bei der Verwahrung der Zugangsdaten für das ebay-Mitgliedskonto dort bejahte Pflichtverletzung wurde als zusätzlicher selbständiger Zurechnungsgrund neben die Grundsätze der Störerhaftung und die Verkehrspflichten im Bereich des Wettbewerbsrechts gestellt (BGH a.a.O.). Vorliegend steht aber nicht eine deliktische Verantwortlichkeit der Klägerin im Streit, sondern die vertragliche Frage der Erfüllungswirkung einer Zahlung an einen Dritten; die für den Bereich der deliktischen Haftung vom I. Zivilsenat entwickelten Grundsätze lassen sich nicht auf die Zurechnung von Erklärungen im Rahmen von vertraglichen Verhältnissen übertragen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346 Rn. 19). Es ist daher ohne Bedeutung, dass im angefochtenen Urteil auch Feststellungen dazu fehlen, inwieweit die vom Landgericht bejahte Pflichtverletzung der Klägerin in Gestalt unterlassener Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, Transportverschlüsselung und Verschlüsselung der als pdf-Datei versandten Rechnung für den Zugang der ge- oder verfälschten Rechnung bei der Beklagten kausal geworden sein soll.

Hätte ein etwaig schuldhaftes Verhalten der Klägerin dazu geführt, dass es dem Dritten ermöglicht wurde, die Rechnung mit veränderten Kontodaten der Beklagten wie geschehen zuzuleiten und die Beklagte so über die von der Klägerin verlangte Zahlung zu täuschen, könnte dies Schadensersatzansprüche der Beklagten wegen Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht gem. § 280 Abs. 1 BGB begründen (vgl. OLG München, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 7 U 3206/16, juris Rn. 5, 7 ff.; so im Übrigen auch das von der Beklagten im Rechtsstreit in Bezug genommene Urteil des LG Lüneburg [n.v.] vom 16. Februar 2017 - 7 O 71/16, Seite 4 f.; zum Schadensersatzanspruch siehe nachstehend 2.), führte aber nicht dazu, dass eine nicht vorliegende Leistung an die Klägerin zu fingieren wäre.

b) Die Leistung an einen Dritten hat nur unter den Voraussetzungen des § 362 Abs. 2 BGB befreiende Wirkung, die im Streitfall nicht erfüllt sind.

Unter anderem hat die Leistung an einen Dritten dann befreiende Wirkung, wenn dieser vom Gläubiger rechtsgeschäftlich ermächtigt ist, die Leistung im eigenen Namen in Empfang zu nehmen. Statt einen Dritten zum Empfang der Leistung zu ermächtigen (§ 362 Abs. 2, § 185 BGB), kann der Gläubiger auch dem Schuldner nach § 362 Abs. 2, § 185 BGB die Ermächtigung erteilen, die Leistung an einen Dritten zu erbringen.Die Ermächtigung braucht nicht ausdrücklich erteilt zu werden; schlüssiges Verhalten kann selbst dann genügen, wenn der Ermächtigende kein Erklärungsbewusstsein hat, aber der redliche Empfänger hiervon ausgehen darf. Die Leistung an einen nichtberechtigten Dritten erlangt - von gesetzlich besonders geregelten Fällen (vgl. etwa §§ 169, 370, 407, 408 BGB) abgesehen - nur dann befreiende Wirkung, wenn der Gläubiger sie nachträglich genehmigt oder wenn einer der beiden anderen Fälle des § 185 Abs. 2 BGB eintritt. Dass der Schuldner den Nichtberechtigten gutgläubig für empfangsberechtigt hält, führt also - sofern keine gesetzlichen Sonderregelungen bestehen - allein nicht zum Freiwerden des Schuldners. Vielmehr tritt Erfüllungswirkung in einem solchen Fall erst dann ein, wenn der nicht empfangsbefugte Dritte die Leistung entsprechend den Weisungen des Schuldners an den Gläubiger weiterleitet oder der Gläubiger die Leistungserbringung an den Dritten ausdrücklich oder schlüssig genehmigt (BGH, Urteil vom 14. Februar 2023 - XI ZR 537/21, juris Rn. 29).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die um 11:46 Uhr von der Beklagten empfangene zweite E-Mail nebst Anlage tatsächlich nicht von der Klägerin stammt, so dass durch die Angabe des Namens P. D. nebst Bankverbindung bei der S-Bank in der angehängten Rechnung keine Ermächtigung im vorgenannten Sinne erfolgt ist. Eine nachträgliche Genehmigung durch die Klägerin ist ebensowenig erfolgt wie eine Weiterleitung der 13.500 EUR durch den Dritten an die Klägerin.

c) Schließlich ergibt sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 370 BGB, dass die tatsächlich nicht von der Klägerin stammende zweite E-Mail, in deren Anhang der Inhaber des dort genannten Kontos bei der S-Bank - möglicherweise - als zum Leistungsempfang ermächtigt bezeichnet wird, als tatsächlich ermächtigt gilt mit der Folge, dass die Leistung an diesen Dritten gem. § 362 Abs. 2 BGB zum Erlöschen der Kaufpreisforderung geführt hätte. Das Landgericht missversteht die von ihm nicht wortgetreu zitierte Kommentarstelle (Dennhardt in BeckOK BGB, 66. Edition, § 370 Rn. 1) dahin, dass die Regelung in entsprechender Anwendung eine allgemeine Haftung für die Enttäuschung berechtigten Vertrauens begründe. Tatsächlich ist an der angegebenen Stelle lediglich formuliert, die Vorschrift werde heute allgemein als Ausprägung des Vertrauensschutzes im Rechtsverkehr verstanden.

Bei der streitgegenständlichen Rechnung handelt es sich bereits nicht um eine Quittung im Sinne von § 368 BGB. Selbst wenn man mit dem Landgericht - was sonst, soweit ersichtlich, nirgends vertreten wird - eine entsprechende Anwendung des § 370 BGB auf Rechnungen bejahen wollte, lägen die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor. Hierzu gehört, dass eine echte Quittung - bzw. Rechnung - überbracht werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1968 - 1 StR 17/68, juris Rn. 3; BAG, Urteil vom 11. November 1960 - 4 AZR 361/58, juris Rn. 22). Dies war vorliegend nicht der Fall, nachdem die als Anhang zur zweiten E-Mail übersandte Rechnung unstreitig gerade nicht von der Klägerin, sondern von einem Dritten erstellt oder die von der Klägerin zuvor erstellte Rechnung von einem Dritten verfälscht worden war.

2. Die Beklagte hat gegen die Klägerin keinen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB in einer der auf das Drittkonto getätigten Überweisung von 13.500 EUR entsprechenden Höhe, den sie der Klageforderung unter dem Gesichtspunkt der dolo-agit-Einwendung gem. § 242 BGB entgegenhalten könnte (vgl. zu letzterem OLG München, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 7 U 3206/16, juris Rn. 5).

a) Es liegt keine Nebenpflichtverletzung der Klägerin dergestalt vor, dass sie schuldhaft eine Ursache dafür gesetzt hätte, dass der Beklagten im Nachgang zur Übersendung der vorgenannten E-Mail um 10:46 Uhr die zweite E-Mail mit der angehängten ge- oder verfälschten Rechnung zuging, die neben der nach wie vor richtigen Angabe der Bankverbindung der Klägerin im Kopfbereich im Fußzeilenbereich auch die Bankverbindung des P. D. bei der S-Bank auswies. Für den dadurch verursachten Schaden, der darin besteht, dass die Beklagte durch Überweisung auf ein nicht der Klägerin zugeordnetes Konto die Forderung der Klägerin nicht zum Erlöschen bringen konnte (s.o. 1.), schuldet die Klägerin der Beklagten deshalb keinen Schadensersatz.

aa) Die Darlegungs- und ggf. Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB sowie für die Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden liegt bei der Beklagten als derjenigen, die den Anspruch geltend macht.

bb) Das Vertragsverhältnis der Parteien kam ohne schriftliche Willenserklärung in einem Telefonat der beiden Geschäftsführer zustande. Dementsprechend wurde der Vertrag auch ohne ein Schreiben der Klägerin auf Geschäftspapier mit Angabe der Bankverbindung abgeschlossen. Die Parteien haben nachträglich vereinbart, dass die Zahlung durch Überweisung auf ein von der Klägerin mitzuteilendes Bankkonto erfolgen sollte (E-Mail der Beklagten vom 8. Oktober 2021, 10:15 Uhr, Anlage K 2, und der Klägerin vom 8. Oktober 2021, 10:44 Uhr, Anlage K 3). Die Klägerin traf dabei gem. § 241 Abs. 2 BGB die Nebenpflicht, sich bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten, dass Person, Eigentum und sonstige Rechtsgüter - auch das Vermögen - des anderen Teils nicht verletzt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 1983 - III ZR 169/81, juris Rn. 12).

cc) Die Beklagte behauptet, es sei zum Versand der zweiten E-Mail an sie durch einen Dritten dadurch gekommen, dass auf das E-Mail-Konto der Klägerin eine Hacking-Attacke ausgeführt worden sei, die das Ausspionieren der Geschäftsbeziehung der Parteien und der Rechnungs-E-Mail ermöglicht habe. Dies sei durch mangelnde Vorsichtsmaßnahmen der Klägerin ermöglicht worden, wofür ein Anscheinsbeweis spreche; konkret nennt die Beklagte insoweit die nicht erfolgte Verwendung des „sender policy framework (SPF)“ bei der Kommunikation sowie eine unterlassene Verschlüsselung der pdf-Datei. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil, die die Beklagte sich im Berufungsverfahren zu Eigen gemacht hat, sei der Klägerin vorzuwerfen, dass sie keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder Transportverschlüsselung verwendet habe. Die Beklagte macht sinngemäß geltend, die Verwendung der genannten Verfahren sei im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen wie den Parteien des Rechtsstreits üblich und zu erwarten.

dd) Eine Pflichtverletzung der Klägerin liegt insoweit schon deshalb nicht vor, weil sie zur Verwendung dieser Verfahren und Maßnahmen nicht verpflichtet war.

Konkrete gesetzliche Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen beim Versand von E-Mails im geschäftlichen Verkehr gibt es nicht; insbesondere ist der sachliche Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung im Streitfall nicht eröffnet, da diese nur für die Verarbeitung von Informationen gilt, die sich auf eine natürliche Person beziehen (vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 1 DS-GVO). Auch eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien ist insoweit nicht erfolgt; insbesondere hat die Beklagte, von der die Initiative dafür ausging, dass die Rechnung überhaupt per E-Mail verschickt wurde, anlässlich der Äußerung ihrer entsprechenden Bitte in der E-Mail ihres Geschäftsführers vom 8. Oktober 2021, 10:15 Uhr (Anlage K 2) keinerlei Sicherheitsvorkehrungen, die sie für erforderlich halte, ausdrücklich erwähnt. Welches Maß an Sicherheitsvorkehrungen von der Klägerin zu fordern war, bestimmt sich daher nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit (vgl. Riem/Meier, MMR 2020, 571, 573).

Nicht maßgeblich für die berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs ist dabei die vom Landgericht herangezogene „Orientierungshilfe des Arbeitskreises Technische und organisatorische Datenschutzfragen“. Ausweislich deren Zielstellung dient sie zur Konkretisierung der Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 lit. f, Art. 25 und Art. 32 Abs. 1 DS-GVO. Letztere ist aber, wie soeben ausgeführt, im Verhältnis der Parteien zueinander überhaupt nicht anwendbar. Ohnehin wird hierin die Verwendung einer Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anders als vom Landgericht dargestellt nicht als stets erforderlich angesehen, sondern sollte „in der Abwägung der notwendigen Maßnahmen berücksichtigt“ werden und wird nur für den Fall, dass „der Bruch der Vertraulichkeit ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen natürlichen Personen darstellt“, als „Muss“ bezeichnet.

(1) Sender Policy Framework (SPF)

Die Beklagte hält die Klägerin für verpflichtet, das Verfahren Sender Policy Framework (SPF) anzuwenden. Angaben dazu, weshalb dieses Verfahren in der konkreten Geschäftsbeziehung der Parteien bzw. im maßgeblichen Verkehr zu den berechtigten Sicherheitserwartungen zu zählen sein soll, hat die Beklagte dabei schon nicht gemacht.

Laut öffentlich zugänglichen Quellen - die Informationen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (im Folgenden: BSI), abrufbar unter https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Internetsicherheit/isi_mail_server_studie_pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=1 - handelt es sich beim Verfahren Sender Policy Framework um ein Verfahren, mit dem geprüft werden kann, ob der sendende E-Mail-Server berechtigt ist, für die Domäne E-Mails zu verschicken. Endnutzer wie die Klägerin, die selbst keinen E-Mail-Server betreiben, haben mithin auf die Verwendung des Verfahrens überhaupt keinen Einfluss. Eine berechtigte Sicherheitserwartung des Verkehrs an ein Unternehmen wie die Klägerin, das seinen E-Mail-Verkehr über einen Diensteanbieter wie hier W. abwickelt, auf Anwendung des SPF-Verfahrens kann schon deshalb nicht bestehen.

(2) Verschlüsselung der pdf-Datei

Dass eine Verschlüsselung von pdf-Dateien im geschäftlichen Verkehr außerhalb des Austauschs besonders sensibler Dateien, die beispielsweise Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthalten, üblich wäre, behauptet die Beklagte schon selbst nicht. Auf dieser Grundlage kann nicht angenommen werden, dass insoweit eine berechtigte Sicherheitserwartung des Verkehrs besteht. Hinzu kommt, dass im Fall der Verschlüsselung der Datei Klägerin und Beklagte ein Passwort hierzu hätten austauschen müssen, was nicht geschehen ist. Die Beklagte hatte also bei Erhalt der ge- oder verfälschten Rechnung Kenntnis davon, dass die Datei nicht durch Verschlüsselung gesichert war. Bereits dieser Umstand, dass erkennbar eine derartige Sicherheitsmaßnahme nicht getroffen war, steht der Annahme einer insoweit vorliegenden Pflichtverletzung der Klägerin entgegen.

(3) Ende-zu-Ende-Verschlüsselung

Auch zu diesem Verfahren hat die Beklagte nicht vorgetragen, woraus folgen soll, dass es in der konkreten Geschäftsbeziehung der Parteien bzw. im maßgeblichen Verkehr zu den berechtigten Sicherheitserwartungen zu zählen sein soll. Das BSI empfiehlt zwar für E-Mails die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, äußert aber gleichzeitig die Einschätzung, dass diese bisher nur sehr selten eingesetzt werde (https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Verbraucherinnen-und-Verbraucher/Informationen-und-Empfehlungen/Onlinekommunikation/Verschluesselt-kommunizieren/E-Mail-Verschluesselung/E-Mail-Verschluesselung-in-der-Praxis/e-mail-verschluesselung-in-der-praxis_node.html). Dies steht einer entsprechenden allgemeinen Sicherheitserwartung des Verkehrs entgegen und bei den vorliegend versendeten Daten handelt es sich auch nicht um solche, bei deren Versand - wie etwa im Fall von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen - ohne gesonderte Absprache erhöhte Anforderungen zu stellen wären. Hinzu kommt, dass die Verwendung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht vom Versender einer E-Mail allein durchgeführt werden kann. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, dass ihr eigenes System die Voraussetzungen für den Empfang von Ende-zu-Ende-verschlüsselten Nachrichten erfüllt hätte.

(4) Transportverschlüsselung

Die Beklagte hält die Klägerin schließlich für verpflichtet, das Verfahren der Transportverschlüsselung anzuwenden. Angaben dazu, weshalb dieses Verfahren in der konkreten Geschäftsbeziehung der Parteien bzw. im maßgeblichen Verkehr zu den berechtigten Sicherheitserwartungen zu zählen sein soll, hat die Beklagte allerdings auch insoweit nicht gemacht.

Ausweislich der öffentlich zugänglichen Informationen des BSI handelt es sich bei der Transportverschlüsselung um einen Prozess, bei dem der Inhalt der Übermittlung zwischen Absender und E-Mail-Anbieter, zwischen zwei E-Mail-Anbietern und zwischen E-Mail-Anbieter und Empfänger verschlüsselt wird, wobei dieser automatisiert abläuft und in der Regel keine Aktion des Absenders oder Empfängers erfordert (https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/T/Transportverschluesselung.html). Die Klägerin hat ihren im erstinstanzlichen Verfahren gehaltenen Vortrag, wonach W. alle Vorkehrungen zum Schutz seiner Kunden, einschließlich der Klägerin, trifft und getroffen hat, im Berufungsverfahren unter Angabe einer URL von W. dahin vertieft, dass bei der Übertragung der E-Mails das sogenannte SSL/TLS-Protokoll zum Einsatz komme. Dabei handele es sich um einen Verschlüsselungsstandard, der die E-Mails auf dem Transportweg sichere. Hierbei handelt es sich um Transportverschlüsselungen der vorstehend beschriebenen Art. Den Angaben von W. ist weiter zu entnehmen, dass die Transportverschlüsselung nur im Verbund der dort genannten Anbieter zur Anwendung kommt, also bei E-Mails, die zwischen E-Mail-Konten dieser Anbieter versendet werden. Die Beklagte, die soweit ersichtlich kein Konto bei einem dieser Anbieter unterhält, sondern einen eigenen Server betreiben lässt, hat weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass eine Transportverschlüsselung an Umständen gescheitert wäre, die in der Sphäre der Klägerin liegen.

Der Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin zum Vorhandensein einer Transportverschlüsselung beim Anbieter W. steht zwar zunächst die Tatbestandswirkung des angefochtenen Urteils entgegen (§ 314 ZPO), in dem festgestellt ist, die Klägerin habe keine Transportverschlüsselung verwendet. Der neue Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren ist aber gem. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil er infolge eines Verfahrensmangels in Gestalt eines Gehörsverstoßes des Landgerichts im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde. Das Landgericht hätte die Parteien darauf hinweisen müssen, dass es beabsichtige, die „Orientierungshilfe des Arbeitskreises Technische und organisatorische Datenschutzfragen“ zur Bestimmung der die Klägerin beim E-Mail-Versand treffenden Pflichten heranzuziehen und ihnen insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen. Indem es dies unterlassen hat, hat es den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Soweit die Beklagte meint, die Klägerin habe zur Verwendung einer Transportverschlüsselung schon nicht vorgetragen, und derartigen Vortrag „höchstfürsorglich“ mit Nichtwissen bestreitet, ist Folgendes zu berücksichtigen: Soweit eine Partei ihr günstige Tatsachen darzulegen und notfalls zu beweisen hat, nützt ihr das Bestreiten nichts, sondern sie hat die Tatsachen unabhängig davon vorzutragen, ob sie eigene Handlungen betreffen oder Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung waren (BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 51/87, juris Rn. 25). Hier trägt die Beklagte, wie ausgeführt, für das Vorliegen einer Pflichtverletzung der Klägerin die Beweislast und damit auch die Darlegungslast. Der zugrundeliegende Vortrag ist daher prozessuales Behaupten, für das § 138 Abs. 4 ZPO nicht gilt (BGH a.a.O.).

(5) Auch andere, von der Beklagten nicht ausdrücklich geltend gemachte Pflichtverletzungen der Klägerin sind nicht ersichtlich. Im unstreitigen Tatbestand des angefochtenen Urteils sind Feststellungen zur Art des von der Klägerin verwendeten Passwortes fürs E-Mail-Konto, dem Personenkreis, der davon Kenntnis hat und deren regelmäßiger Änderung sowie der Nutzung einer aktuellen Virensoftware und Firewall getroffen, die von der Klägerin im Berufungsverfahren - von der Beklagten unbestritten - vertieft wurden und die der Annahme einer Pflichtverletzung im Bereich des Passwortschutzes sowie des allgemeinen Schutzes der von der Klägerin verwendeten Computer entgegenstehen.

(6) Auf welcher Grundlage genau sich das Landgericht Lüneburg (Urteil vom 16. Februar 2017 - 7 O 71/16) - auf dessen unveröffentlichte Entscheidung sich die Beklagte beruft - die Überzeugung gebildet hat, dass die dortige Gläubigerin der Schuldnerin durch nicht hinreichende Sicherung ihrer EDV einen Schaden zugefügt hat, ist dem übersandten Urteilsumdruck nicht zu entnehmen. Der Senat vermag sich im vorliegenden Fall aus dem vorgetragenen Tatsachenmaterial bereits nicht die von vernünftigen Zweifeln freie Überzeugung davon zu verschaffen, dass der zugrunde liegende Angriff in der von der Klägerin beherrschbaren Sphäre geschehen ist. Soweit dem Urteil des Landgerichts Lüneburg im Übrigen der Rechtssatz entnommen werden könnte, dass der Verwender einer E-Mail-Adresse jeden Missbrauch durch Dritte vollständig ausschließen müsse, ist dies nach der Überzeugung des Senats schon wegen der zahlreichen und sich ständig weiter entwickelnden Angriffsmöglichkeiten zu weitgehend.

b) Selbst wenn man in einem der vorstehend behandelten Umstände eine Pflichtverletzung der Klägerin sehen wollte, fehlte es am Nachweis der Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ist nicht geklärt, wie es tatsächlich dazu kam, dass die zweite E-Mail mit der ge- oder verfälschten Rechnung die Beklagte erreichte. Ein erfolgreicher Angriff auf die Sphäre der Klägerin liegt im Hinblick darauf zwar nahe, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass auch andere Kunden der Klägerin entsprechend veränderte Rechnungen empfingen. Wodurch dieser Angriff ermöglicht worden sein könnte, ist aber im Hinblick auf die unbekannte Vorgehensweise des oder der unbekannten Dritten gänzlich unklar. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht für eine hierfür kausale Pflichtverletzung der Klägerin auch kein Beweis ersten Anscheins.

c) Schließlich wäre ein unterstellter Schadensersatzanspruch der Beklagten nach § 254 BGB zu kürzen, weil ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen wäre. Die zweite E-Mail vom 8. Oktober 2021 wie auch die als Anhang hierzu übersandte Rechnung selbst enthalten auffällige Unstimmigkeiten, die der Beklagten Anlass dazu geben mussten, bei der Klägerin nachzufragen, auf welches Bankkonto der Kaufpreis tatsächlich gezahlt werden sollte. In der E-Mail selbst wird die förmliche Anrede „Sie“ verwendet, obwohl die beiden Geschäftsführer sich duzen und dies auch in den kurz zuvor gewechselten E-Mails getan hatten. Hinzu kommen sprachliche Fehler („ausgestelltes“ Bankkonto), die sich bis zu einem inhaltlich vollkommen unverständlichen Satz hin steigern („Bitte senden Sie uns nach der Herstellung der Decke eine Kopie nach der Banküberweisung“). Soweit der Geschäftsführer der Beklagten im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben hat, die Nachricht nicht vollständig gelesen und diesen Satz nicht wahrgenommen zu haben, wäre ein unvollständiges Lesen einer Nachricht, in der es immerhin um die Änderung der Kontoverbindung geht, auf die ein fünfstellige Kaufpreis gezahlt werden soll, auch für sich betrachtet unsorgfältiges Handeln. Dazu kommen die widersprüchliche Gestaltung der mit der zweiten E-Mail übersandten Rechnung selbst, in der zwei Bankverbindungen angegeben sind, sowie der Umstand, dass bei der von der Beklagten hernach verwendeten Bankverbindung eine natürliche Person als Kontoinhaber angegeben war, die in keinerlei erkennbarem Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der Klägerin stand.

3. Die von der Beklagten gegen den Anspruch der Klägerin auf Kaufpreiszahlung hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem Zahlungsanspruch in Höhe von 13.500 EUR gegen den Inhaber des Bankkontos, auf das sie die 13.500 EUR überwiesen hat, geht schon deshalb ins Leere, weil es sich hierbei nicht um eine Forderung der Beklagten gegen die Klägerin handelt. Dies ist gem. § 387 BGB aber Voraussetzung für eine Aufrechnung.

4. Die von der Beklagten gegen den Anspruch der Klägerin auf Kaufpreiszahlung weiter hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einem eigenen Schadensersatzanspruch in Höhe von 13.500 EUR wegen der Verletzung von IT-Sicherheitspflichten verhilft ihrer Rechtsverteidigung ebenfalls nicht zum Erfolg. Ein entsprechender Schadensersatzanspruch der Klägerin besteht nicht, auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

5. Die Klägerin hat gem. § 280 Abs. 2, § 286 BGB einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 953,40 EUR entsprechend einer 1,3-Gebühr gem. Nr. 2300 VV RVG aus einem Gegenstandswert von 13.500 EUR zuzüglich Auslagenpauschale. Sie hat - von der Beklagten unbestritten - vorgetragen, dass deren Geschäftsführer am 19. Oktober 2021 die Zahlung des Kaufpreises abgelehnt hat, so dass die Beklagte gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Verzug geraten ist.

LG Köln: Kündigungsmöglichkeit durch Schaltfläche auf Website nach § 312k Abs. 2 BGB muss auch ohne Eingabe von Kundennummer und Kundenkennwort möglich sein

LG Köln
Beschluss vom 29.07.2022
33 O 355/22


Das LG Köln hat entschieden, dass die Kündigungsmöglichkeit durch eine Schaltfläche auf einer Website nach § 312k Abs. 2 BGB auch ohne Eingabe von Kundennummer und Kundenkennwort möglich sein muss.

Aus dem Tenor:
[...]
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollstrecken an den Mitgliedern der Geschäftsführung, es im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern künftig zu unterlassen, auf der Webseite www.o.de die den Abschluss von entgeltlichen Telekommunikationsverträgen in Form von Dauerschuldverhältnissen auf elektronischem Wege ermöglicht, keine unmittelbar und leicht zugängliche, insbesondere nicht erst nach Einloggen mit Kundennummer und Kundenkennwort erreichbare, Bestätigungsseite, sowie Schaltfläche für die Bestätigung einer Kündigung vorzuhalten, wenn dies geschieht, wie nachfolgend abgebildet [...]


Aus den Günden:
Der Anspruch auf Unterlassung ergibt sich aus § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. b) UKlaG i.V.m. § 312k Abs. 2 BGB.

Die Antragsgegnerin, die über ihre Website den Abschluss von Dauerschuldverhältnissen ermöglicht, verletzt ihre Pflicht aus § 312k Abs. 2 Satz 2 BGB, den Verbraucher nach Betätigung der Kündigungsschaltfläche unmittelbar zu einer Bestätigungsseite zu führen, die den Verbraucher auffordert und ihm ermöglicht, die in § 312k Abs. 2 Satz 2 BGB genannten Angaben zu machen.

Die nach dem Gesetz abzufragenden Angaben sind ausweislich der Gesetzesbegründung zugleich als Minimalvorgabe und als Maximalvorgabe zu verstehen. Die Beschränkung der zu verlangenden Angaben soll Ausgestaltungen verhindern, bei denen der Unternehmer weitere, für den Verbraucher nicht ohne Weiteres verfügbare Daten abfragt und so eine einfache und unkomplizierte Kündigung erschwert. Zugleich soll die Abfrage dem Grundsatz der Datensparsamkeit nach der DS-GVO Rechnung tragen (BT-Drs. 19/30840, S. 15, 18; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312k Rn. 16).

Durch die Abfrage des Kundenkennworts baut die Antragsgegnerin eine Hürde auf, die in der genannten Vorschrift nicht vorgesehen und geeignet ist, ihn von der Kündigung abzuhalten, weil ihm das Kennwort möglicherweise nicht zugänglich ist. Wenn derartige Identifizierungsmöglichkeiten angeboten werden, muss zugleich eine Möglichkeit bestehen, durch Angabe von Namen und weiteren gängigen Identifizierungsmerkmalen (Wohnanschrift, E-Mail-Adresse und dergleichen) eine Kündigung zu erklären (MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, BGB § 312k Rn. 18). Dies ist hier nicht der Fall.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



LG Frankfurt: Schadensersatz gem. Art. 82 DSGVO - Rechtsgut der betroffenen Person muss infolge der Verletzung einer DSGVO-Norm im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert worden sein

LG Frankfurt
Urteil vom 18.09.2020
2-27 O 100/20


Das LG Frankfurt hat entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 DSGVO voraussetzt, dass ein Rechtsgut der betroffenen Person infolge der Verletzung einer Norm der DSGVO im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert wurde.

Aus den Entscheidungsgründen:

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 8400,00 € nach Art. 82 DSGVO besteht nicht.

Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO hat jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen die Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen. Dem Kläger ist zwar unstreitig bisher kein materieller Schaden entstanden, wohl aber ein immaterieller Schaden. Dieser liegt darin, dass seine personenbezogenen Daten Dritten ohne sein Einverständnis zugänglich wurden. Die Kompensation einer solchen öffentlichen "Bloßstellung" fällt unter Art. 82 Abs. 1 DSGVO (Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13; Sydow, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 6). Die Beklagte ist auch tauglicher Anspruchsgegner. Sie war Verantwortliche im Sinne des Art. 4 Nr. 7 DSGVO, da sie über die Zwecke und Mittel der - unstreitig - stattgefundenen Verarbeitung der Daten des Klägers entschied.

Der Schaden muss jedoch wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO entstanden sein. Es muss also ein Verstoß gegen die DSGVO und dessen Kausalität für den Schaden festgestellt werden. Ein Rechtsgut der betroffenen Person muss infolge der Verletzung einer Norm der DSGVO im Vergleich zum status quo ante nachteilig verändert worden sein (Ehmann/Selmayr, DS-GVO 2. Aufl. Art. 82 Rn. 11).

Die Veröffentlichung der Daten, für die der Kläger einen Schadensersatz von 2000,00 € geltend macht, stellt an sich keinen Verstoß der Beklagten gegen die DSGVO dar. Die Veröffentlichung könnte nur dann als Verstoß gegen Art. 5 Abs, 1 a) oder f) DSGVO eingeordnet werden, wenn die Beklagte bzw, BB sie unberechtigt vorgenommen hätte. Dies lässt sich aber nicht feststellen und wird auch von dem Kläger nicht konkret vorgetragen. Der Kläger ist jedoch für den Verstoß gegen die DSGVO darlegungs- und beweisbelastet; erst hinsichtlich der Verantwortlichkeit für den Verstoß sieht Art, 82 Abs, 3 DSGVO eine Vermutung zu Lasten des Anspruchsgegners vor. Hat die Beklagte bzw. BB die Veröffentlichung nicht selbst vorgenommen, so kann sie lediglich die Folge einer Verletzung der Pflichten aus der DSGVO durch die Beklagte bzw. BB sein, nicht aber der Verstoß an sich.

Der Schadensersatzanspruch folgt weiter nicht daraus, dass die Beklagte die BB GmbH nicht nach Art. 28 Abs. 1 DSGVO ordnungsgemäß ausgewählt oder überwacht hat. Dass dies nicht geschehen ist, lässt sich nach dem Sach- und Streitstand schon nicht feststellen. Ein entsprechendes Beweisangebot des Klägers fehlt, ebenso entsprechende Indizien. Insbesondere kann der Kläger sich nicht darauf berufen, es sei offensichtlich, dass die BB GmbH ihr auferlegte Sicherheitsvorkehrungen nicht einhalten könne, weil es sich bei dem Firmensitz um ein Einfamilienhaus in einer Wohnsiedlung handele. Dass sich der Firmensitz dort befindet, sagt nichts darüber aus, wo die Datenverarbeitung erfolgt. Darüber hinaus lässt sich die Kausalität eines etwaigen Verstoßes gegen Pflichten der Beklagten aus der DSGVO für den Datenvorfall und damit für den Schaden des Klägers nicht feststellen. Denn letztlich ist - auch nach dem zuletzt gehaltenen und bestrittenen Vortrag des Klägers hinsichtlich des nicht geänderten Initialpassworts - letztlich unklar geblieben, wodurch das Datenleck verursacht wurde. Dass es durch ein anderes Auswahlverfahren, andere Sicherheitsvorkehrungen oder andere Überwachungen verhindert hätte werden können, bleibt danach Spekulation, Hinzu kommt, dass ein werkseitig individuell voreingestelltes Passwort im Ausgangspunkt nicht weniger sicher als ein vom Nutzer persönlich eingestelltes Passwort sein muss (BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 220/15 —, Rn. 16, juris).

Soweit der Kläger seinen Anspruch in Höhe von 700,00 € darauf stützt, dass seine Daten nach dem 19.08.2019 noch verfügbar gewesen seien und jedenfalls während eines IT-Checks am 29.08.2019 jedermann habe auf sie zugreifen können, vermag dies ebenfalls keinen Schadensersatzanspruch zu begründen. Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt. Denn jedenfalls ist dem Kläger kein Schaden entstanden. Der Kläger behauptet nicht, dass nach dem 19,08.2019 seine Daten nochmals veröffentlicht worden seien oder sie von Unbefugten etwa während des Checks tatsächlich zur Kenntnis genommen worden wären. Dann aber steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch zu. Denn nicht jede Datenschutzrechtverletzung in Form einer nicht (vollständig) rechtskonformen Datenverarbeitung ist automatisch ein ersatzfähiger Schaden (vgl. etwa Wybitul, NJW 2019, 3265 mwN), Vielmehr muss die Verletzungshandlung auch zu einer konkreten Verletzung von Persönlichkeitsrechten der betroffenen Person geführt haben (Wybitul, aaO), Eine weite Auslegung des Schadensbegriffs nach Art. 82 DSGVO, nach dem mit jedem Verstoß ein Schaden begründet wird (sowohl Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13), widerspricht der Systematik des deutschen Rechts. Die mitgliedsstaatlichen Gerichte sind zu einem überkompensatorischen Strafschadensersatz grundsätzlich nicht verpflichtet; nach dem Äquivalenzgrundsatz wäre ein solcher nur dann erforderlich, wenn die mitgliedstaatliche Rechtsordnung allgemein Strafschadensersatz vorsieht (Wytibul, aaO). Das ist jedoch in Deutschland nicht der Fall.

Aus dem identischen Grund steht dem Kläger kein Anspruch in Höhe von 700,00 € wegen Änderung des Administratorenpasswortes im Mai 2019 zu.

Ferner kann der Kläger nicht damit gehört werden, die Beklagte habe gegen Art. 28 DSGVO verstoßen, weil ein Vertrag nach dieser Norm mit BB fehle. Ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 800,00 € besteht insofern nicht. Die Beklagte hat einen Datenverarbeitungsvertrag mit der BB GmbH geschlossen. Zwar ist in dem Vertrag kein Rechtsformzusatz für die dort bezeichnete "B..." genannt. Allerdings ergibt sich aus den weiteren zu ihr genannten Daten, dass es sich um die GmbH handelte. Dass der Vertrag nicht von sämtlichen Parteien unterzeichnet wurde, ist unerheblich. Nach Art. 28 Abs. 9 DSGVO bedarf es einer schriftlichen Abfassung, auch in elektronischem Format. Danach ist keine Unterzeichnung erforderlich (vgl. Ehmann/Semayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 28 Rn. 12); es genügt die Abfassung in Textform nach § 126b BGB. Diesem Erfordernis genügt der Vertrag. Ferner ist nicht ersichtlich, dass der Vertrag den Anforderungen des Art. 28 DSGVO nicht genügen würde. Dass mit der BB Ltd. kein gesonderter Vertrag geschlossen wurde, ist ebenfalls unschädlich. Denn es war vertraglich unter Ziffer 7 des Vertrages geregelt, dass die BB GmbH bei einem Einsatz von Unterverarbeitern diesen gegenüber mindestens dieselben Datenschutzverpflichtungen festzulegen hatte, wie sie der Vertrag zwischen der Beklagten und der BB GmbH vorsah. Dies entspricht Art. 28 Abs. 4 DSGVO. Auch der hierfür geltend gemachte Anspruch in Höhe von 1000,00 € besteht nicht.

Auf die unterlassene Verwendung von Hashes kann der Kläger gleichfalls keinen Schadensersatzanspruch stützen, weil ein Verstoß gegen die DSGVO nicht vorliegt. Bei der Verarbeitung der personenbezogenen Daten muss eine angemessene Sicherheit gewährleistet sein, Art. 5 Abs. 1 f) DSGVO, Dies erfordert geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz vor unbefugter und unrechtmäßiger Verarbeitung, wobei die Anforderungen in Art. 32 DSGVO festgelegt werden. Art, 32 Abs. 1 a) DSGVO erwähnt zwar Verschlüsselung als technisches Maßnahme, fordert die Anwendung von Hashes aber gerade nicht. Selbiges gilt für die PCC-DSS-Standards. Für seine Behauptung, es sei auch keine anderweitige Kryptografie erfolgt bietet der Kläger keinen Beweis an.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1000,00 €, weil Daten gegenüber der M... International inc. ohne Rechtsgrundlage zugänglich gemacht worden wären. Dass der M... International Inc. im Rahmen des Priceless Specials Programms erhobene Daten von Kunden preisgegeben wurden, trägt der Kläger schon nicht substantiiert vor. Erst recht gilt dies für seine konkreten Daten. Dass die M... International Inc. an der Datenverarbeitung beteiligt war, ist aufgrund des als Anlage B 5 vorgelegten Vertrages auch keineswegs zwingend. Dies gilt auch dann, wenn die M... Inc. gemeinsame Verantwortliche nach Art, 26 DSGVO gewesen sein sollte. Denn der Verantwortliche hat die Entscheidungsgewalt über Zweck und Mittel der Verarbeitung; diese kann auch ausgeübt werden, ohne dass der Verantwortliche selbst an der Durchführung der Verarbeitung beteiligt ist (Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 4 Rn. 36). Es fehlt danach an einem Schaden des Klägers.

Die Behauptung des Klägers, es fehle an einer Vereinbarung zur gemeinsamen Verantwortlichkeit, was ihm zusätzlich nicht mitgeteilt worden sei, rechtfertigt keinen Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 1200,00 €. Erneut fehlt es an einem Schaden des Klägers, weil nicht ersichtlich ist, dass seine Daten der M... International Inc. überhaupt zugänglich gemacht wurden. Überdies regelt Art. 26 DSGVÖ lediglich, dass bei zwei oder mehr Verantwortlichen festzulegen ist, wer welche Verpflichtung gemäß der Verordnung erfüllt. Wo der Schaden des Klägers liegen soll, wenn dies nicht geschehen ist und er nicht informiert wurde, ist nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 26 Abs. 3 DSGVO. Schließlich kann der Kläger keinen Schadensersatz in Höhe von 1000,00 € deswegen gegen die Beklagte geltend machen, weil keine ausreichende Vereinbarung von Binding Corporate Rules für Zugriffsmöglichkeiten durch ein US-Unternehmen auf Daten erfolgt sei. Erneut ist schon eine Beeinträchtigung des Klägers nicht feststellbar (s.o.). Ungeachtet dessen lag für die M... International Inc. eine geeignete Garantie in Form von verbindlichen internen Datenschutzvorschriften nach Art. 46 Abs. 1, Abs. 2b), 47 DSGVO vor. Aus dem Datenverarbeitungsvertrag ergibt sich, dass durch die zuständige Aufsichtsbehörde genehmigte Binding Corporate Rules existierten, was ausreichend ist. Für seinen das in Abrede stellenden Vortrag ist der Kläger beweisfällig geblieben.

Für andere deliktische Ansprüche besteht eine Sperrwirkung der DSGVO (Sydow, DSGVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn.27).

Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB besteht gleichfalls nicht, weil sich nach den obigen Ausführungen nicht feststellen lässt, dass die Beklagte eine Vertragspflichtverletzung begangen hat, die kausal zu einem Schaden, nämlich der Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers, geführt hat.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

Volltext BGH liegt vor: Facebook muss Erben eines verstorbenen Nutzers vollständigen Zugang zum Facebook-Konto gewähren

BGH
Beschluss vom 27.08.2020
III ZB 30/20
ZPO § 888 Abs. 1 Satz 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Facebook muss Erben eines verstorbenen Nutzers vollständigen Zugang zum Facebook-Konto gewähren - Übersendung einer PDF-Datei mit ausgelesenen Daten nicht ausreichend über die Entscheidung berichtet.

Leitsatz des BGH:
Zur Auslegung eines Vollstreckungstitels (siehe BGH, Urteil vom 12. Juli 2018 - III ZR 183/17, BGHZ 219, 243), der die - ein soziales InternetNetzwerk betreibende - Schuldnerin verpflichtet, den Erben einer verstorbenen Teilnehmerin an dem Netzwerk Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der Erblasserin zu gewähren.

BGH, Beschluss vom 27. August 2020 - III ZB 30/20 - KG Berlin - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Facebook muss Erben eines verstorbenen Nutzers vollständigen Zugang zum Facebook-Konto gewähren - Übersendung einer PDF-Datei mit ausgelesenen Daten nicht ausreichend

BGH
Beschluss vom 27.08.2020
III ZB 30/20


Der BGH hat entschieden, dass Facebook den Erben eines verstorbenen Nutzers vollständigen Zugang zum Facebook-Konto gewähren muss. Die Übersendung einer PDF-Datei mit allen ausgelesenen Daten auf einem USB-Stick genügt nicht.

Die Pressemitteilung des BGH:

Zur Auslegung eines Urteils, das die Betreiberin eines sozialen Netzwerks verpflichtet, den Erben der Berechtigten eines Benutzerkontos Zugang zum vollständigen Konto zu gewähren

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Betreiberin eines sozialen Netzwerks, die verurteilt worden ist, den Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, den Erben die Möglichkeit einräumen muss, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich - mit Ausnahme einer aktiven Nutzung - darin so "bewegen" zu können wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte.

Sachverhalt

Die Schuldnerin betreibt ein soziales Netzwerk. Sie ist durch - vom Bundesgerichtshof (Urteil vom 12. Juli 2018 – III ZR 183/17 – Pressemitteilung 115/18) bestätigtes – rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 verurteilt worden, den Eltern einer verstorbenen Teilnehmerin an dem Netzwerk als Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren. Die Schuldnerin hat daraufhin der Gläubigerin, der Mutter der Verstorbenen, einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen geführten Konto enthält. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Urteil des Landgerichts vom 17. Dezember 2015 erfüllt worden ist.

Prozessverlauf

Das Landgericht hat auf Antrag der Gläubigerin gegen die Schuldnerin wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil vom 17. Dezember 2015 ein Zwangsgeld von 10.000 € festgesetzt. Das Kammergericht hat den Beschluss des Landgerichts auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Kammergericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat den Beschluss des Kammergerichts aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt.

Bereits die Auslegung des Tenors des Urteils des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 ergibt, dass der Gläubigerin nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie es die ursprüngliche Kontoberechtigte konnte.

Dies folgt zudem aus den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urteils sowie des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2018. Beide Entscheidungen haben den von der Schuldnerin zu erfüllenden Anspruch der Gläubigerin erbrechtlich hergeleitet. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Gläubigerin und der Schuldnerin sei mit seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Schuldnerin bestehenden Vertragsverhältnis folgt ohne weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren ist wie zuvor ihrer Tochter. Das ergibt sich zudem aus zahlreichen weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts Berlin in ihren vorgenannten Urteilen.

Die Schuldnerin hat ihre Verpflichtung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. Dezember 2015 nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bildet das Benutzerkonto nicht vollständig ab. Letzteres erfordert nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten - mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung betreffen - und der deutschen Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Gläubigerin übermittelte Datei nicht.

Vorinstanzen:

LG Berlin – Beschluss vom 13. Februar 2019 – 20 O 172/15

Kammergericht – Beschluss vom 3. Dezember 2019 – 21 W 11/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten

§ 888 ZPO - Nicht vertretbare Handlungen

(1) Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, wenn sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu erkennen, dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder durch Zwangshaft anzuhalten sei. Das einzelne Zwangsgeld darf den Betrag von 25 000 Euro nicht übersteigen. Für die Zwangshaft gelten die Vorschriften des Zweiten Abschnitts über die Haft entsprechend.




PSD 2: BaFin gewährt Unternehmen zeitlich befristet Erleichterungen bei der Kundenauthentifizierung

Die Pressemitteilung des BaFin

PSD 2: BaFin ermöglicht Erleichterungen bei Kundenauthentifizierung

Zahlungsdienstleister mit Sitz in Deutschland dürfen Kreditkartenzahlungen im Internet ab dem 14. September 2019 vorerst auch ohne Starke Kundenauthentifizierung ausführen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wird dies zunächst nicht beanstanden. Sie will damit Störungen bei Internet-Zahlungen verhindern und einen reibungslosen Übergang auf die neuen Anforderungen der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (Payment Services Directive 2 – PSD 2) ermöglichen.

Ab dem 14. September 2019 ist bei Online-Zahlungen eine starke Kundenauthentifizierung notwendig. Diese soll das Einkaufen im Internet sicherer machen. Bei Kreditkartenzahlungen reicht es dann nicht mehr aus, lediglich die Kreditkartennummer und Prüfziffer einzugeben. Kunden müssen zusätzlich beispielsweise eine Transaktionsnummer (TAN), die zuvor an ihr Mobiltelefon gesendet wurde, und außerdem ein Passwort nennen.

Nach Einschätzung der BaFin sind die kartenausgebenden Zahlungsdienstleister in Deutschland auf die neuen Anforderungen vorbereitet. Anders sieht dies bei den Unternehmen aus, die Kreditkartenzahlungen im Internet als Zahlungsempfänger nutzen. Bei ihnen besteht nach wie vor erheblicher Anpassungsbedarf. Damit Verbraucher und Unternehmen dennoch weiterhin online mit der Kreditkarte bezahlen können, wird die BaFin für Kreditzahlungen im Internet vorübergehend nicht auf einer Starken Kundenauthentifizierung bestehen. Diese Möglichkeit hatte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) den nationalen Aufsehern eingeräumt. Das bereits heute bei Internetzahlungen übliche Sicherheitsniveau bleibt erhalten. Zivilrechtliche Haftungsregelungen, etwa zwischen dem Kreditkarteninhaber und dem Zahlungsdienstleister, bleiben von der Maßnahme unberührt, so dass für Verbraucher und andere Zahler im Internet kein Nachteil entsteht.

Die Erleichterungen sind zeitlich befristet. Wann sie auslaufen, wird die BaFin festlegen, nachdem sie die Markteilnehmer konsultiert und sich mit der EBA und den nationalen europäischen Aufsichtsbehörden abgestimmt hat. In der Zwischenzeit erwartet die BaFin, dass alle Beteiligten ihre Infrastrukturen so schnell wie möglich so anpassen, dass diese in den gesetzlich vorgesehenen Fällen eine Starke Kundenauthentifizierung ermöglichen. Dazu sind konkrete Migrationspläne zu erarbeiten. Die Erleichterungen betreffen ausschließlich Kreditkartenzahlungen im Internet.

Hintergrund zur PSD2
Die PSD 2 verpflichtet Zahlungsdienstleister, ab dem 14. September 2019 eine Starke Kundenauthentifizierung durchzuführen, wenn der Zahler einen elektronischen Zahlungsvorgang auslöst. Die Vorgaben gelten in der gesamten Europäischen Union.

Bei der Starken Kundenauthentifizierung werden zwei voneinander unabhängige Elemente verwendet. Diese müssen aus zwei der drei Kategorien Wissen, Besitz und Inhärenz stammen. Beispiele dafür sind ein Passwort (Wissen), ein Mobiltelefon (Besitz) oder ein persönlicher Fingerabdruck (Inhärenz).

Die Vorgaben zur Starken Kundenauthentifizierung gelten auch bei Kreditkartenzahlungen im Internet. Die bislang übliche Authentifizierung über die Eingabe von Kreditkartennummer und Prüfziffer erfüllt die neuen Vorgaben nicht. Vielmehr sind auch hier zusätzlich zwei Elemente aus den erwähnten Kategorien zu verwenden. Ausnahmen von den neuen Anforderungen sind eng begrenzt und betreffen beispielsweise bestimmte Kleinbetragszahlungen.

(Weitere Informationen zur Starken Kundenauthentifizierung und den Ausnahmen davon finden sich auf der Webseite der BaFin unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2018/fa_bj_1806_Starke_Kundenauthentifizierung.html).


LG Münster: Apple muss Erben eines verstorbenen iCloud-Nutzers Zugriff auf die iCloud-Daten des Verstorbenen gewähren

LG Münster
Versäumnisurteil vom 16.04.2019
014 O 565/18


Das LG Münster hat mit Versäumnisurteil entschieden, dass Apple den Erben eines verstorbenen iCloud-Nutzers Zugriff auf die iCloud-Daten des Verstorbenen gewähren muss.

Siehe auch zum Thema: Volltext BGH: Erben erhalten Zugriff auf Facebook-Konto von Verstorbenen - Vertrag über Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk vererbbar

LfDI Baden-Württemberg: Bußgeld von 20.000 EURO gegen knuddels.de wegen Verstoß gegen DSGVO - Speicherung der Passwörter im Klartext widerspricht Art. 32 Abs. 1 lit a DSGVO

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg hat gegen den Betreiber des Internetportals knuddels.de ein Bußgeld in Höhe von 20.000 EURO wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO verhängt. Die Speicherung von Passwörtern im Klartext verstößt gegen Art. 32 Abs. 1 lit a DSGVO

Die Pressemitteilung des LfDI:

Baden-Württemberg: Bußgeld über 20.000 EURO gegen knuddels.de wegen Verstoß gegen DSGVO - Speicherung der Passwörter im Klartext widerspricht Art. 32 Abs. 1 lit a DSGVO

LfDI Baden-Württemberg verhängt sein erstes Bußgeld in Deutschland nach der DS-GVO
Kooperation mit Aufsicht macht es glimpflich

Wegen eines Verstoßes gegen die nach Art. 32 DS-GVO vorgeschriebene Datensicherheit hat die Bußgeldstelle des LfDI Baden-Württemberg mit Bescheid vom 21.11.2018 gegen einen baden-württembergischen Social-Media-Anbieter eine Geldbuße von 20.000,- Euro verhängt und – in konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Unternehmen – für umfangreiche Verbesserungen bei der Sicherheit der Nutzerdaten gesorgt.

Das Unternehmen hatte sich am 08. September 2018 mit einer Datenpannenmeldung an den LfDI gewandt, nachdem es bemerkt hatte, dass durch einen Hackerangriff im Juli 2018 personenbezogene Daten von circa 330.000 Nutzern, darunter Passwörter und E-Mail-Adressen, entwendet und Anfang September 2018 veröffentlicht worden waren. Ihre Nutzer informierte das Unternehmen nach den Vorgaben der EU-Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) unverzüglich und umfassend über den Hackerangriff. Gegenüber dem LfDI legte das Unternehmen in vorbildlicher Weise sowohl Datenverarbeitungs- und Unternehmensstrukturen als auch eigene Versäumnisse offen. Hierdurch wurde dem LfDI bekannt, dass das Unternehmen die Passwörter ihrer Nutzer im Klartext, mithin unverschlüsselt und unverfremdet (ungehasht), gespeichert hatte. Diese Klartextpasswörter nutzte das Unternehmen beim Einsatz eines sog. „Passwortfilters“ zur Verhinderung der Übermittlung von Nutzerpasswörtern an unberechtigte Dritte mit dem Ziel, die Nutzer besser zu schützen.

Das Unternehmen setzte innerhalb weniger Wochen weitreichende Maßnahmen zur Verbesserung ihrer IT-Sicherheitsarchitektur um und brachte damit die Sicherung ihrer Nutzerdaten auf den aktuellen Stand der Technik. Zudem wird das Unternehmen innerhalb der nächsten Wochen in Abstimmung mit dem LfDI zusätzliche Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der Datensicherheit durchführen.

Durch die Speicherung der Passwörter im Klartext verstieß das Unternehmen wissentlich gegen seine Pflicht zur Gewährleistung der Datensicherheit bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gem. Art. 32 Abs. 1 lit a DS-GVO.

Innerhalb des Bußgeldrahmens gemäß Art. 83 Abs. 4 DS-GVO sprach die sehr gute Kooperation mit dem LfDI in besonderem Maße zu Gunsten des Unternehmens. Die Transparenz des Unternehmens war ebenso beispielhaft wie die Bereitschaft, die Vorgaben und Empfehlungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Dr. Stefan Brink, umzusetzen. Auf diese Weise konnte in sehr kurzer Zeit die Sicherheit der Nutzerdaten des Social-Media-Dienstes deutlich verbessert werden. In Abstimmung mit dem LfDI wird die Sicherung der Nutzerdaten in den kommenden Wochen noch weiter ausgebaut. Bei der Bemessung der Geldbuße wurde neben weiteren Umständen die finanzielle Gesamtbelastung für das Unternehmen berücksichtigt. Bußgelder sollen nach der DS-GVO nicht nur wirksam und abschreckend, sondern auch verhältnismäßig sein. Unter Einbeziehung der aufgewendeten und avisierten Maßnahmen für IT-Sicherheit hat das Unternehmen einschließlich der Geldbuße infolge des Verstoßes einen Gesamtbetrag im sechsstelligen Euro-Bereich zu tragen.

„Wer aus Schaden lernt und transparent an der Verbesserung des Datenschutzes mitwirkt, kann auch als Unternehmen aus einem Hackerangriff gestärkt hervorgehen“, betonte Dr. Brink abschließend. „Als Bußgeldbehörde kommt es dem LfDI nicht darauf an, in einen Wettbewerb um möglichst hohe Bußgelder einzutreten. Am Ende zählt die Verbesserung von Datenschutz und Datensicherheit für die betroffenen Nutzer.“

Volltext BGH: Erben erhalten Zugriff auf Facebook-Konto von Verstorbenen - Vertrag über Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk vererbbar

BGH
Urteil vom 12.07.2018
III ZR 183/17
BGB § 1922 Abs. 1; § 307 Abs. 1 und 2; TKG § 88; DS-GVO Art. 6 Abs. 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Erben erhalten Zugriff auf Facebook-Konto von Verstorbenen - Vertrag über Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk vererbbar - Digitaler Nachlass über die Entscheidung berichtet

Leitsatz des BGH:

Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen.

BGH, Urteil vom 12. Juli 2018 - III ZR 183/17 - KG - LG Berlin

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:



BGH: Erben erhalten Zugriff auf Facebook-Konto von Verstorbenen - Vertrag über Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk vererbbar - Digitaler Nachlass

BGH
Urteil vom 12.07.2018
III ZR 183/17


Der BGH hat zutreffend entschieden, dass die Eltern verstorbener Tochter als Erben Zugriff auf das Facebook-Konto erhalten. Der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk its grundsätzlich vererbbar. Werder das Fernmeldegeheimnis noch der Datenschutz stehen dem Übergang des Vertragsverhältnisses auf die Erben entgegen.

Die Pressemitteilung des BGH:

Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk ist vererbbar

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk grundsätzlich im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben des ursprünglichen Kontoberechtigten übergeht und diese einen Anspruch gegen den Netzwerkbetreiber auf Zugang zu dem Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte haben.

Der Sachverhalt:

Die Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren verstorbenen L. W. und neben dem Vater Mitglied der Erbengemeinschaft nach ihrer Tochter. Die Beklagte betreibt ein soziales Netzwerk, über dessen Infrastruktur die Nutzer miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte austauschen können.

2011 registrierte sich die Tochter der Klägerin im Alter von 14 Jahren im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk der Beklagten und unterhielt dort ein Benutzerkonto. 2012 verstarb das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen infolge eines U-Bahnunglücks.

Die Klägerin versuchte hiernach, sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Dies war ihr jedoch nicht möglich, weil die Beklagte es inzwischen in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte, womit ein Zugang auch mit den Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos bleiben jedoch weiter bestehen.

Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage von der Beklagten, den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. Sie macht geltend, die Erbengemeinschaft benötige den Zugang zu dem Benutzerkonto, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe, und um Schadensersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.

Der Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.

Die Erben haben gegen die Beklagte einen Anspruch, ihnen den Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Dies ergibt sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Klägerin und der Beklagten, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen ist. Dessen Vererblichkeit ist nicht durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Die Nutzungsbedingungen enthalten hierzu keine Regelung. Die Klauseln zum Gedenkzustand sind bereits nicht wirksam in den Vertrag einbezogen. Sie hielten überdies einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und wären daher unwirksam.

Auch aus dem Wesen des Vertrags ergibt sich eine Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses nicht; insbesondere ist dieser nicht höchstpersönlicher Natur. Der höchstpersönliche Charakter folgt nicht aus im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der Erblasserin. Zwar mag der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten ist jedoch von vornherein kontobezogen. Sie hat nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht kann dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass die Beklagte sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es besteht aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten muss mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses.

Eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten scheidet aus. Nach der gesetzgeberischen Wertung gehen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. So werden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt, wie aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB zu schließen ist. Es besteht aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.

Einen Ausschluss der Vererblichkeit auf Grund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin hat der III. Zivilsenat ebenfalls verneint.

Auch das Fernmeldegeheimnis steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Der Erbe ist, da er vollständig in die Position des Erblassers einrückt, jedenfalls nicht "anderer" im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG.

Schließlich kollidiert der Anspruch der Klägerin auch nicht mit dem Datenschutzrecht. Der Senat hat hierzu die seit 25. Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) anzuwenden. Diese steht dem Zugang der Erben nicht entgegen. Datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin sind nicht betroffen, da die Verordnung nur lebende Personen schützt. Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner der Erblasserin ist sowohl nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO als auch nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zulässig. Sie ist sowohl zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kommunikationspartnern der Erblasserin erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO) als auch auf Grund berechtigter überwiegender Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO).

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 1922 Abs. 1 BGB Gesamtrechtsnachfolge

(1) Mit dem Tode einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.

§ 307 BGB Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.

§ 2047 BGB Verteilung des Überschusses

(1) Der nach der Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten verbleibende Überschuss gebührt den Erben nach dem Verhältnis der Erbteile.

(2) Schriftstücke, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers, auf dessen Familie oder auf den ganzen Nachlass beziehen, bleiben gemeinschaftlich.

§ 2373 BGB Dem Verkäufer verbleibende Teile

Ein Erbteil, der dem Verkäufer nach dem Abschluss des Kaufs durch Nacherbfolge oder infolge des Wegfalls eines Miterben anfällt, sowie ein dem Verkäufer zugewendetes Vorausvermächtnis ist im Zweifel nicht als mitverkauft anzusehen. Das Gleiche gilt von Familienpapieren und Familienbildern.

§ 88 TKG Fernmeldegeheimnis

(1) Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.

(2) Zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses ist jeder Diensteanbieter verpflichtet. Die Pflicht zur Geheimhaltung besteht auch nach dem Ende der Tätigkeit fort, durch die sie begründet worden ist.

(3) Den nach Absatz 2 Verpflichteten ist es untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden. Eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht. Die Anzeigepflicht nach § 138 des Strafgesetzbuches hat Vorrang.

(4) Befindet sich die Telekommunikationsanlage an Bord eines Wasser- oder Luftfahrzeugs, so besteht die Pflicht zur Wahrung des Geheimnisses nicht gegenüber der Person, die das Fahrzeug führt oder gegenüber ihrer Stellvertretung.

Art. 6 Abs. 1 DS-GVO Rechtmäßigkeit der Verarbeitung

(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

a) Die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben;

b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen;

c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;

d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen;

e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde;

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

Vorinstanzen:

Landgericht Berlin – Entscheidung vom 17. Dezember 2015 - 20 O 172/15

Kammergericht – Entscheidung vom 31. Mai 2017 - 21 U 9/16


KG Berlin: Erben haben keinen Zugriff auf Facebook-Account des Verstorbenen - hier: Eltern einer minderjährigen Tochter

KG Berlin
Urteil vom 31. Mai 2017
21 U 9/16


Das KG Berlin hat entschieden, dass Erben keinen Zugriff auf das Facebook-Account des verstorbenen Account-Inhabers haben. Sie können von Facebook nicht die Herausgabe der Zugangsdaten verlangen. Nach Ansicht des KG Berlin steht das Fernmeldegeheimnis der Herausgabe der Daten entgegen. Die gesetzlichen Ausnahmen im TKG greifen nach Ansicht des Gerichts nicht.

Die Revision wurde zugelassen, so dass sich voraussichtlich der BGH mit der Sache befassen wird,

Die Pressemitteilung des KG Berlin:

Kammergericht: Urteil zu Lasten der klagenden Mutter - kein Zugriff der Eltern auf Facebook-Account ihrer verstorbenen Tochter

Das Kammergericht hat in zweiter Instanz zu Gunsten von Facebook entschieden und die Klage einer Mutter, die den Zugang zu dem Facebook-Account ihres verstorbenen Kindes zusammen mit dem Kindesvater aus Erbrecht durchsetzen wollte, abgewiesen und damit zugleich das Urteil des Landgerichts Berlin abgeändert. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses stehe dem Anspruch der Erben entgegen, Einsicht in die Kommunikation der Tochter mit Dritten zu erhalten.

Das Kammergericht ließ offen, ob die Klägerin und der Kindesvater als Erben in den Vertrag eingerückt seien, den die verstorbene Tochter mit Facebook geschlossen hatte. Es sei zwar grundsätzlich möglich, dass die Erben in die Rechte und Pflichten dieses Vertrages eingetreten seien, und zwar nicht im Sinne der aktiven Fortführung dieses Vertrages, sondern um passive Leserechte zu erhalten. In den von Facebook gestellten Nutzungsbedingungen sei nicht geregelt, ob Rechte aus dem Vertrag im Falle des Todes des Nutzers auf seine Erben übergehen könnten. Auch der Grundgedanke des Vertrages spreche nicht generell dagegen, dass er nicht vererblich sei. Facebook wolle den Nutzern nur eine Kommunikationsplattform zur Verfügung stellen und Inhalte vermitteln. Durch eine Änderung in der Person des Vertragspartners würden die Leistungen in ihrem Charakter nicht verändert.

Andererseits regele das Bürgerliche Gesetzbuch nicht, ob höchstpersönliche Rechtspositionen (ohne vermögensrechtliche Auswirkungen) vererbbar seien, sondern setze für eine Vererbung voraus, dass sie in irgendeiner Form im Eigentum des Verstorbenen verkörpert seien und nicht nur virtuell existierten. Um zu klären, ob es sich bei – nicht verkörperten – E-Mails um solche handele, die aufgrund ihres höchstpersönlichen Inhalts nicht vererbbar seien, oder um solche, die aufgrund ihres wirtschaftlichen Bezuges vererbbar seien, würde man in der Praxis auf erhebliche Probleme und Abgrenzungsschwierigkeiten stoßen.

Der Senat müsse jedoch die Frage der Vererbbarkeit des Facebook-Accounts nicht entscheiden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass dieser Account in das Erbe falle und die Erbengemeinschaft Zugang zu den Account-Inhalten erhalten müsse, stehe das Fernmeldegeheimnis nach dem Telekommunikationsgesetz entgegen. Dieses Gesetz sei zwar ursprünglich für Telefonanrufe geschaffen worden. Das Fernmeldegeheimnis werde jedoch in Art. 10 Grundgesetz geschützt und sei damit eine objektive Wertentscheidung der Verfassung. Daraus ergebe sich eine Schutzpflicht des Staates und auch die privaten Diensteanbieter müssten das Fernmeldegeheimnis achten. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 16.6.2009, 2 BvR 902/06, BVErfGE 124, 43) erstrecke sich das Fernmeldegeheimnis auch auf E-Mails, die auf den Servern von einem Provider gespeichert seien. Denn der Nutzer sei schutzbedürftig, da er nicht die technische Möglichkeit habe, zu verhindern, dass die E-Mails durch den Provider weitergegeben würden. Dies gelte entsprechend für sonstige bei Facebook gespeicherten Kommunikationsinhalte, die nur für Absender und Empfänger oder jedenfalls einen beschränkten Nutzerkreis bestimmt sind.

Die nach dem Telekommunikationsgesetz vorgesehenen Ausnahmen würden entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht greifen. Zwar sehe das Gesetz vor, dass einem Dritten Kenntnisse vom Inhalt der Kommunikation verschafft werden dürfe, wenn dies erforderlich sei. Als erforderlich könne jedoch nur angesehen werden, was dazu diene, den Dienst technisch zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Da Facebook jedoch seine Dienste nur beschränkt auf die Person des Nutzers angeboten habe, sei es auch aus der Sicht der ebenfalls schutzbedürftigen weiteren Beteiligten am Kommunikationsvorgang (Chat) in technischer Hinsicht nicht erforderlich, einem Erben nachträglich Zugang zum Inhalt der Kommunikation zu verschaffen.

Ebenso wenig existiere eine andere gesetzliche Vorschrift, die erlaube, von dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses eine Ausnahme zu machen (sogenanntes „kleines Zitiergebot“). Insbesondere das Erbrecht nach dem BGB lasse nicht erkennen, dass der Gesetzgeber den Willen gehabt habe, das Fernmeldegeheimnis einzuschränken. Auch aus sonstigen Gründen sei es nicht geboten, ohne gesetzliche Regelung Ausnahmen zuzulassen und von dem so genannten “kleinen Zitiergebot“ abzuweichen.

Schließlich komme nicht in Betracht, von einem Verzicht auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses auszugehen, indem die klagende Mutter sich darauf berufen hatte, die Zugangsdaten von der Tochter überlassen bekommen zu haben. Dieser Umstand war zwischen den Parteien streitig. Eine Beweisaufnahme sei jedoch nicht erforderlich gewesen, da nicht nur die Verstorbene als Nutzerin des Accounts und Vertragspartnerin von Facebook, sondern zumindest auch alle diejenigen, die in einem Zwei-Personen-Verhältnis mit der Verstorbenen kommuniziert haben, auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichtet haben müssten. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insb. Urteil vom 27.2.2008, 1 BvR 370/07, BVerfGE 120,274, Rz 290 bis 293) folge für den vorliegenden Fall im Endergebnis nichts Abweichendes. Die somit erforderliche Zustimmung dieser anderen Kommunikationspartner liege jedoch nicht vor.

Der Senat hat ferner geprüft, ob zu Gunsten der Klägerin außerhalb des Erbrechts ein Anspruch auf Zugang zu dem Account bestehe. Dies sei zu verneinen. Insbesondere das Recht der elterlichen Sorge verhelfe nicht zu einem solchen Anspruch. Dieses Recht erlösche mit dem Tode des Kindes. Das den Eltern noch zufallende Totenfürsorgerecht könne nicht dazu dienen, einen Anspruch auf Zugang zu dem Social-Media-Account des verstorbenen Kindes herzuleiten. Auch das eigene Persönlichkeitsrecht der Mutter sei nicht geeignet, einen Anspruch auf diesen Zugang zu begründen. Als ein Teilbereich des Persönlichkeitsrechts sei z.B. anerkannt, seine eigene Abstammung zu kennen. Trotz des verständlichen Wunsches der Eltern, die Gründe für den tragischen Tod ihres Kindes näher zu erforschen, lasse sich hieraus kein Recht auf Zugang zu dem Account ableiten. Auch wenn eine verbleibende Unkenntnis darüber die Persönlichkeitsentfaltung der Eltern massiv beeinträchtigen könne, gebe es auch vielfältige andere Ereignisse, die die gleiche Wirkung zeigen könnten. Dadurch würde das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu einem konturenlosen und nicht mehr handhabbaren Grundrecht führen.

Das Urteil des Kammergerichts ist nicht rechtskräftig, da der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat.

Die schriftlichen Urteilsgründe werden in Kürze nachfolgend veröffentlicht.

Landgericht Berlin, Urteil vom 17. Dezember 2015, Aktenzeichen 20 O 172/15
Kammergericht, Urteil vom 31. Mai 2017, Aktenzeichen 21 U 9/16



Volltext BGH-Entscheidung - Keine Störerhaftung in Filesharing-Sachen bei WPA2-Verschlüsselung und Verwendung des werkseitigen individuellen Passworts

BGH
Urteil vom 24.11.2016
I ZR 220/15
WLAN-Schlüssel
UrhG § 97 Abs. 1 Satz 1


Wir hatten bereits in dem Beitrag "BGH: Anschlussinhaber haftet nicht als Störer für Filesharing bei WPA2-Verschlüsselung des WLAN-Routers auch wenn werkseitiges individuelles Passwort vewendet wird" über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Der Inhaber eines Internetanschlusses mit WLAN-Funktion ist nach den Grundsätzen der Störerhaftung zur Prüfung verpflichtet, ob der verwendete Router über die im Zeitpunkt seines Kaufs für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen verfügt. Hierzu zählt der im Kaufzeitpunkt aktuelle Verschlüsselungsstandard sowie die Verwendung eines individuellen, ausreichend langen und sicheren Passworts (Festhaltung an BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 - I ZR 121/08, BGHZ 185, 330 Rn. 34 - Sommer unseres Lebens).

b) Ein aus einer zufälligen 16-stelligen Ziffernfolge bestehendes, werkseitig für das Gerät individuell voreingestelltes Passwort genügt den Anforderungen an die Passwortsicherheit. Sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Gerät schon im Kaufzeitpunkt eine Sicherheitslücke aufwies, liegt in der Beibehaltung eines solchen werkseitig eingestellten Passworts kein Verstoß gegen die den Anschlussinhaber treffende Prüfungspflicht (Fortführung von BGHZ 185, 330 Rn. 34 - Sommer unseres Lebens).

c) Dem vom Urheberrechtsinhaber gerichtlich in Anspruch genommenen Anschlussinhaber obliegt eine sekundäre Darlegungslast zu den von ihm bei der Inbetriebnahme des Routers getroffenen Sicherheitsvorkehrungen, der er durch Angabe des Routertyps und des Passworts genügt. Für die Behauptung, es habe sich um ein für eine Vielzahl von Geräten voreingestelltes Passwort gehandelt, ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig.

BGH, Urteil vom 24. November 2016 - I ZR 220/15 - LG Hamburg - AG Hamburg

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier: