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LG München: Unzulässige Werbung einer Online-Apotheke für Abnehmspritze mit Verschreibung per Fragebogen ohne persönlichen Kontakt mit einem Arzt

LG München
Urteil vom 03.03.2025
4 HK O 15458/24


Das LG München hat entschieden, dass es unzulässig ist, wenn eine Online-Apotheke für eine Abnehmspritze mit Verschreibung per Fragebogen ohne persönlichen Kontakt mit einem Arzt wirbt.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
"Abnehmspritze"
Die 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I hat heute im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes entschieden, dass einem Online-Apotheken-Anbieter die Bewerbung der sog. „Abnehmspritze“ gegenüber Endverbrauchern in ihrer konkreten Form untersagt ist (Az. 4 HK O 15458/24).

Eine Apothekerkammer wendete sich in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung dagegen, dass eine in den Niederlanden ansässige Online-Apotheke gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland für Fernbehandlungen mit dem Ziel der Verschreibung von Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion/Adipositas wirbt, wobei die Behandlung lediglich in der ärztlichen Überprüfung eines durch den Nutzer auf einer Plattform ausgefüllten Fragebogens besteht.

Für die Verschreibung des Medikaments durch die beklagte Online-Apotheke ist hierbei nach der Werbung zur Bestellung lediglich das Ausfüllen eines Fragebogens erforderlich, welcher nach Vortrag der Antragsgegnerin sodann von einem (nicht in Deutschland ansässigen) Arzt vor der Verschreibung überprüft wird.

Die beklagte Apotheke hatte gegen ein Verbot eingewandt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verspätet sei. Die Antragsstellerin kenne das Geschäftsmodell der Antragsgegnerin bereits aus einem anderen Verfahren, dessen Gegenstand Medikamente zur Behandlung erektiler Dysfunktion waren. Beworben und umschrieben werde außerdem lediglich eine „Gewichtsverlustbehandlung“; dies lasse keinen zwingenden Schluss auf die Abnehmspritze zu. Dies sei zulässig und verstoße nicht gegen das Heilmittelwerbegesetz. Das Ausfüllen eines Fragebogens, der sodann von einem Arzt überprüft werde, sei auch eine zulässige Fernbehandlung unter Verwendung von Kommunikationsmedien, bei der ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem Patienten nicht erforderlich sei.

Dem folgte die Kammer nicht:

„Die Fernbehandlung von Adipositas mittels Ausfüllens eines Fragebogens entspricht nämlich nicht allgemein anerkannten fachlichen Standards. Vielmehr ist vor der Verschreibung einer Abnehmspritze ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen erforderlich.“, so die Kammer in ihrer Urteilsbegründung.

Dies ergebe sich letztendlich bereits aus den „Warnhinweisen“, welche die beklagte Apotheke dem Gericht selbst vorgelegt habe: In diesen werde auf zahlreiche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, Hypoglykämie (bei Patienten mit Typ-2-Diabetes) und Schwindel, auf das Risiko der Unterzuckerung und darauf hingewiesen, dass die Behandlung eingestellt werden sollte, wenn man innerhalb von drei Monaten nach Behandlungsbeginn nicht mindestens 5 % seines Körpergewichts verliere.

Darüber hinaus werde in den von der Beklagten selbst vorgelegten Unterlagen ausgeführt, dass eine regelmäßige Nachsorge und Überwachung während einer Gewichtsreduktion unbedingt erforderlich sei. Gerade diese, von der beklagten Apotheke selbst für erforderlich gehaltene regelmäßige Nachsorge erfordere aber zwingend einen persönlichen ärztlichen Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen, welcher weder von der beklagten Apotheke noch von den verschreibenden Ärzten - schon aufgrund der räumlichen Distanz- geleistet werden könne.

Hinzu komme, dass ausweislich der Patientenleitlinie zur Diagnose und Behandlung der Adipositas der deutschen Adipositasgesellschaft zahlreiche Untersuchungen, u. a. des Bluts und des Urins, nötig seien, um Adipositas zu diagnostizieren und zu behandeln. Dies könne daher gerade nicht im Wege der Fernbehandlung erfolgen.

Es handele sich bei der Werbung der Beklagten ferner nicht um die Werbung für eine Behandlung als solche, wie diese vorgetragen habe, sondern um die Werbung für den Absatz von Medikamenten. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Werbung. Um welche Gruppe von Präparaten es sich hierbei handele, wüssten die angesprochenen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder der Kammer gehörten, bereits deshalb, weil „die Abnahmespritze“ in jüngster Zeit starke mediale Aufmerksamkeit erfahren habe.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Nach der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden. Die angegriffene Internetwerbung wendet sich jedoch an die allgemeinen Verbraucherinnen und Verbraucher und verstößt daher nach Auffassung der Kammer gegen § 10 Abs. 1 HWG.

§ 9 HWG verbietet die Werbung für Fernbehandlungen. Zulässig ist sie nur ausnahmsweise nach § 9 Satz 2 HWG, wenn die Behandlung mittels Kommunikationsmedien ( z.B. in Form einer Videosprechstunde ) erfolgt und nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mir dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.



OLG Hamm: Online-Händler haftet für von Google verursachte Wettbewerbsverstöße in Google-Shopping auf Grundlage der Beauftragtenhaftung gemäß § 8 Abs. 2 UWG

OLG Hamm
Beschluss vom 25.11.2024
4 U 87/24


Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Online-Händler für von Google verursachte Wettbewerbsverstöße in Google-Shopping auf Grundlage der Beauftragtenhaftung gemäß § 8 Abs. 2 UWG verschuldenunabhängig haftet.

Dem betroffenen Händler bleiben in einem solchen Fall nur Regressansprüche gegen Google.

Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Weder beruht die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Vielmehr hat das Landgericht die Beklagte zu Recht und mit zutreffender Begründung wie geschehen zur Unterlassung verurteilt.

1. Der – verschuldensunabhängige – Anspruch des insoweit unstreitig aktivlegitimierten Klägers folgt (jedenfalls) aus § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1, Abs. 2 Hs. 1, § 8 Abs. 1, Abs. 2 UWG.

Danach kann derjenige unlauter handelnde Marktteilnehmer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, der durch einen Mitarbeiter oder Beauftragten eine unzulässige – weil irreführende – geschäftliche Handlung vornimmt, was wiederum dann der Fall ist, wenn die geschäftliche Handlung unwahre Angaben enthält und geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

So liegt der Fall hier.
a. Unstreitig bewarb die Beklagte (vgl. hierzu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen) die Herrenarmbanduhr „Q.“ am 00.10.2023 über die von Google unterhaltene Shoppingseite zu einem Preis von 398,00 €, obwohl die Uhr zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr lieferbar und auch schon zuvor zu keinem Zeitpunkt für diesen Preis zu erwerben war.

Soweit die Beklagte die Echtheit der vom Kläger zum Nachweis des Wettbewerbsverstoßes vorgelegten Screenshots u. a. vom 00.10.2023 in erster Instanz noch in Zweifel gezogen hat, hält sie nach ihrem Berufungsvorbringen, wonach das Landgericht sie zu Unrecht für die „unstreitig fehlerhafte Anzeige“ verantwortlich gemacht habe, hieran jedenfalls im Berufungsrechtszug nicht weiter fest.

Damit enthielt die vom Beklagten zu verantwortende (s.u.) Werbung eine objektiv unwahre Angabe in Bezug auf das von ihr beworbene Produkt, so dass es nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht weiter darauf ankommt, ob diese Angabe darüber hinaus auch zur Täuschung geeignet gewesen ist (vgl. BeckOK UWG/Rehart/Ruhl/Isele, 26. Ed. 1.10.2024, UWG § 5 Rn. 64, beck-online).

b. Die beanstandete geschäftliche Handlung besitzt auch die von § 5 Abs. 1 UWG geforderte geschäftliche Relevanz, da sie geeignet (gewesen) ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, was von der Berufung jedoch auch nicht in Abrede gestellt wird.

Die geschäftliche Entscheidung, zu deren Veranlassung die Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 UWG geeignet sein muss, ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG jede Entscheidung eines Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer sich entschließt, tätig zu werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der „geschäftlichen Entscheidung“ dabei weit auszulegen. Er erfasst ist nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb eines Produkts, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende, aber vorgelagerte Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts oder das Aufsuchen eines Verkaufsportals im Internet. Daher sind auch solche Irreführungen von Relevanz, die lediglich einen sog. Anlockeffekt bewirken, selbst wenn es nicht zur endgültigen Marktentscheidung – etwa dem Kauf der Ware – kommt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 5 Rn. 1.195, beck-online u. a. unter Verweis auf EuGH GRUR 2014, 196 Rn. 36 – Trento Sviluppo; BGH GRUR 2017, 1269 Rn. 19 – MeinPaket.de II).

Bei der Verfügbarkeit und dem Preis einer beworbenen Ware handelt es sich um Produktmerkmale von so zentraler Bedeutung, dass aus der Feststellung der Irreführung hierüber auf die wettbewerbliche Relevanz geschlossen werden kann, weil derartige Eigenschaften stets geeignet sind, den vorbeschriebenen Anlockeffekt zu bewirken oder gar die Kaufentscheidung zu beeinflussen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 5 Rn. 1.182, beck-online mwN).

c. Gemäß § 8 Abs. 2 UWG hat die Beklagte auch für die unzutreffende Werbeanzeige einzustehen, weil Google vorliegend als Beauftragter der Beklagten handelte.

Nach § 8 Abs. 2 UWG sind der aus § 8 Abs. 1 UWG folgende Unterlassungsanspruch und der Beseitigungsanspruch auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet, wenn die Zuwiderhandlungen in dem Unternehmen von einem Mitarbeiter oder Beauftragten begangen werden.

aa. Die verfassungskonforme Vorschrift regelt den Unterlassungsanspruch gegen den Unternehmensinhaber bei Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter und Beauftragten im Sinne einer Erfolgshaftung ohne Entlastungsmöglichkeit und schließt Schutzlücken, die bestünden, wenn die allgemeine deliktsrechtliche Haftung des Unternehmers für seine Mitarbeiter wegen Exkulpation entfiele oder bei vertraglicher Übertragung von Verkehrspflichten die Haftung des Überträgers nach § 823 BGB aufgrund der Verengung seiner Pflichten auf Auswahl-, Instruktions- oder Überwachungspflichten ausgeschlossen wäre. Der Inhaber des Unternehmens, dem die geschäftlichen Handlungen zugutekommen sollen, soll sich nicht hinter von ihm abhängigen Dritten verstecken können. Seine Haftung rechtfertigt sich daraus, dass er durch den Einsatz von Mitarbeitern und Beauftragten seinen Geschäftskreis erweitert und damit zugleich das Risiko von Zuwiderhandlungen innerhalb seines Unternehmens schafft. Da er die Vorteile der arbeitsteiligen Organisation in Anspruch nimmt, soll er auch die damit verbundenen und in gewisser Weise auch beherrschbaren Risiken tragen. Darauf, ob diese Risiken im Einzelfall für ihn tatsächlich beherrschbar sind, ob etwa die Zuwiderhandlung ohne sein Wissen oder gar gegen seinen Willen erfolgt, kommt es hingegen nicht an (vgl. statt vieler: Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 8 Rn. 2.33, beck-online mwN).

In Anbetracht dessen ist eine weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale „in einem Unternehmen“ und „Mitarbeiter“ und „Beauftragte“ geboten (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 8 Rn. 2.34, beck-online unter Verweis auf BGH GRUR 1995, 605 (607) – Franchise-Nehmer; GRUR 2009, 1167 Rn. 21 – Partnerprogramm; OLG Köln GRUR-RR 2006, 205 (206); OLG Stuttgart GRUR-RR 2009, 343 (346)).

bb. Beauftragter ist danach jeder, der, ohne Mitarbeiter zu sein, für das Unternehmen eines anderen auf Grund eines vertraglichen oder anderen Rechtsverhältnisses tätig ist und dabei in die betriebliche Organisation dergestalt eingliedert ist, dass einerseits der Erfolg seiner Handlung zumindest auch dem Unternehmensinhaber zugutekommt und andererseits dem Unternehmensinhaber ein bestimmender und durchsetzbarer Einfluss jedenfalls auf die beanstandete Tätigkeit eingeräumt ist. Ob der Unternehmensinhaber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist jedoch unerheblich. Ausreichend ist es vielmehr, dass sich der Unternehmensinhaber einen solchen Einfluss sichern konnte und musste. Unterlässt er dies, handelt er auf eigenes Risiko. Beauftragter eines Unternehmens ist dagegen nicht, wer von diesem lediglich eine Leistung bezieht, die er im eigenen Namen an Endkunden anbietet, sofern er in der Gestaltung seines Vertriebskonzepts sowie seiner Verkaufskonditionen grds. frei ist, weil es in diesem Fall es an der Möglichkeit eines bestimmenden und durchsetzbaren Einflusses des Unternehmens auf den Vertragspartner fehlt (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 42. Aufl. 2024, UWG § 8 Rn. 2.41, beck-online mwN).

(1) Ausgehend hiervon ist Google im vorliegenden Fall als Beauftragter der Beklagten tätig geworden. Unstreitig besteht zwischen der Beklagten und Google ein Vertrag, aufgrund dessen sich Google dazu verpflichtet hat, die von der Beklagten im Internet angebotenen Produkte im Rahmen und nach den Konditionen seines sog. Adwords-Programms zu bewerben. Damit wird Google im Rahmen der bestehenden vertraglichen Abreden zugunsten der Beklagten tätig, indem es diese beim Warenabsatz unterstützt. Dabei ist Google auch im erforderlichem Umfang in das Unternehmen der Beklagten eingebunden. Zum einen kommt der Erfolg der Handlungen von Google auch der Beklagten zugute, was sich bereits unmittelbar daraus ergibt, dass eine Vergrößerung der Reichweite der Shoppingseiten von Google automatisch eine Reichweitenvergrößerung für die Beklagte nach sich zieht, deren Werbung damit einen (potentiell) größeren Kundenstamm erreicht. Zum anderen steht der Beklagten – entgegen ihrer Sichtweise – auch ein bestimmender und durchsetzbarer Einfluss auf die Werbetätigkeit von Google zu. Anders als die Beklagte meint, spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass sie keinen Einblick in und keinen Einfluss auf die von Google zur Generierung der konkreten Suchergebnisse verwendeten Algorithmen hat. Entscheidend ist insoweit allein, dass die Beklagte – durch die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Daten an Google – bestimmt, zu welchen Zeitpunkten Google für welche Produkte und zu welchen Konditionen konkret in ihrem Namen werben darf. Dass dies so ist, folgt unmittelbar aus dem Sachvortrag der Beklagten, wonach Folgendes gilt (vgl. Seite 3 f. der Berufungsbegründung vom 12.11.2024):

„Die Beklagte hat die gesamte Produktpalette zu ihrem Warenbestand elektronisch erfasst und kann diesen Datenbestand im Rahmen des Vertrages mit der Google-Shoppingplattform so zur Verfügung stellen, dass Google bei Erfüllung der Suchfunktionen auf den Datenbestand aus dem Haus der Beklagten zurückgreifen kann.

Das geschieht über eine Schnittstelle, die es Google ermöglicht, bei Eingabe von Suchwörtern auch den Datenbestand der Beklagten mit einzubeziehen.

Bis zur Schnittstelle hat die Beklagte Einflussmöglichkeiten auf den Inhalt der zur Verfügung stehenden Dateien. Danach entscheidet Google automatisiert, in welchem Zusammenhang bei Eingabe von Suchwörtern, seien das Produkt- oder Herstellernamen oder Anbieternamen, diese auf den Googleplattformen wiedergegeben werden.“

Damit steht fest, dass die Beklagte durch die Veränderung des Datenbestandes, den sie Google zur Verfügung stellt, unmittelbar beeinflussen kann, ob und ggf. zu welchen Konditionen die von ihr angebotenen Waren – eine vertragsgemäße Umsetzung durch Google vorausgesetzt – auf den Shoppingseiten von Google erscheinen. Letztlich hat sie hiervon auch in Bezug auf die streitgegenständliche Werbeanzeige Gebrauch gemacht, indem sie „durch einen einfachen Klick auf der eigenen Plattform“ (Seite 5 der der Berufungsbegründung vom 12.11.2024) und das Leeren des Cachs dafür gesorgt hat, dass das unzutreffend beworbene Produkt nicht mehr auf den Google-Shoppingseiten erscheint.

(2) Dass Google von der Beklagten für den bereitgestellten Service auf der Grundlage der durch die Werbung erreichten Klickzahlen gesondert vergütet wird, ändert nichts daran, dass Google als Beauftragter der Beklagte tätig geworden ist.

Insbesondere macht es aus Google keinen sog. Affiliate, der in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse ein Produkt – etwa eine redaktionelle Internetseite – gestaltet, im Rahmen dessen auf die Internetseite des begünstigten Unternehmens verwiesen wird, um im Falle eines dort erfolgten Vertragsabschlusses eine Provision zu erhalten (BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 – I ZR 27/22 – Haftung für Affiliates, GRUR 2023, 343). Denn weder besteht zwischen der Beklagten und Google eine Provisionsabrede (vielmehr erfolgt die Vergütung von Google – wie dargelegt – anhand der generierten Klickzahlen), noch gestaltet Google ein eigenes Produkt in vorbeschriebenen Sinn. Insbesondere fehlt es an einer – wie auch immer gearteten – redaktionellen oder anderweitigen schöpferischen Leistung von Google, die es rechtfertigen würde, von der eigenverantwortlichen Vermarktung eines anderen Produkts auszugehen.

(3) Schließlich verfängt auch der Verweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des OLG Frankfurt a. M. nicht, da der in Bezug genommenen Entscheidung (OLG Frankfurt, Urteil vom 22 August 2019 – 6 U 83/19 –, juris) ein in wesentlichen Punkten anderes gelagerter Sachverhalt zugrunde lag. Dort bestand nämlich – anders als im vorliegenden Fall – kein Vertrag zwischen dem in Anspruch genommenen Verletzer und Google, aufgrund dessen Google im Auftrag des Verletzers Online-Marketingmaßnahmen – insbesondere auf den von Google unterhaltenen Shoppingseiten – entfalten sollte. Vielmehr hat sich das OLG Frankfurt lediglich damit auseinandergesetzt, ob und in welchem Maß ein Unternehmer dafür verantwortlich ist, dass von ihm zu verantwortende Webseiteninhalte, die gegen lauterkeitsrechtliche Bestimmungen verstoßen, von Suchmaschinenbetreibern auch nach einer Abänderung der Inhalte in der ursprünglichen, zu beanstandenden Form unter den Ergebnissen einer „normalen“ Websuche als sog. Snippet wiedergegeben werden.

d. Nach alledem ist es für die Begründetheit des verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruchs aus § 8 Abs. 1 UWG unerheblich, dass die unzutreffende Werbeanzeige nach dem Sachvortrag der Beklagten auf einen von Google zu vertretenden Fehler zurückzuführen sein soll. Ob und in welchem Umfang die Beklagte bei Google ggf. Regress nehmen kann, hat der Senat vorliegend nicht zu entscheiden.

2. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist die vom Kläger ausgesprochene Abmahnung berechtigerweise erfolgt, so dass er gemäß § 13 Abs. 3 UWG von der Beklagten auch Ersatz der hierfür erforderlichen – und von der Berufung nicht in Abrede gestellten – Aufwendungen verlangen kann.

II. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG München: Klauseln in AGB des Sport-Streaming-Anbieters DAZN zur Preiserhöhung und Programmanpassung unwirksam

OLG München
Urteil vom vom 11.10.2024
39 U 2482/23 e


Das OLG München hat entschieden, dass die Klauseln in den AGB des Sport-Streaming-Anbieters DAZN zur Preiserhöhung und Programmanpassung unwirksam sind.

Aus den Entscheidungsgründen:
Ziffer 2.1 ist unwirksam. Die Klausel lautet:

Wir bieten einen Online-Videodienst, der (unter anderem) die Übertragung von Sportereignissen live und on-demand), Zusammenfassungen von Sportereignissen und andere ähnliche Inhalte bietet, deren Gestaltung und Verfügbarkeit mit der Zeit variieren kann (insgesamt „Inhalte“). Die Inhalte unterliegen gewöhnlich gewissen Beschränkungen (z.B. bestimmten Gebietsbeschränkungen) (...)

a) Die Klausel ist der AGB-Kontrolle unterworfen. Eine Inhaltskontrolle ist nicht nach & 307 Abs. 3S. 1 BGB ausgeschlossen.
[…]
Zwar sind bloße Leistungsbeschreibungen, in denen Art und Umfang der vertraglichen Leistungs- pflichten unmittelbar geregelt werden, einer Inhaltskontrolle entzogen § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (MüKoBGB/ Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB 8 307 Rn. 13). Dies ist die Konsequenz aus dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Vertragsfreiheit (BGH Ill ZR 93/09 in NJW 2010, 150 Rn. 22).

Hingegen sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen der vertraglich geschuldeten Leis- tung einschränken, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren (BGH III ZR 247/06, in sel NJW 2008, 360, Rnr.: 18). Ob bereits eine Leistung vertraglich vereinbart wurde und die Klau- deren spätere Änderung zulässt, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BeckOGK/Weiler, 1.6.2024, BGB 8 308 Nr. 4 Rn. 86, 87).
[...]
Die streitgegenständliche Klausel legt nicht den Leistungsinhalt fest. Vielmehr ist sie für die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts entbehrlich. Das Leistungsangebot ist bei Abschluss des jeweiligen Abonnements konkret geregelt. Dies ergibt sich aus der Leistungsbeschreibung der Beklagten, Anlage BB1, vorgelegt mit der Berufungsbegründung. Demnach wählt der Kunde ein Paket, in dem die Sportereignisse einzeln aufgeführt sind, die ihm nach dem Vertragsabschluss zur Verfügung stehen, so z.B. Dazn Unlimited: Uefa Cup, Bundesliga Fußball, supercoppa Italiana und viele einzeln aufgeführte Angebote mehr.

Der Zusatz dass deren Gestaltung und Verfügbarkeit mit der Zeit variieren kann und die Inhalte gewissen Beschränkungen unterliegen (z.B. bestimmten Gebietsbeschränkungen) gibt dem Verwender die Befugnis, das jeweils abonnierte Programmangebot nachträglich verändern zu können. Die Beklagte behält sich vor, die ursprünglich von ihr geschuldete Leistung nachträglich einzuschränken, auszugestalten oder zu modifizieren. Daher unterliegt die Klausel der AGB-Kontrolle
[...]
Die Vereinbarung dieses umfassenden Leistungsänderungsvorbehalts ist nach § 308 Nr. 4 BGB unwirksam, weil sie auch unter Berücksichtigung der Interessen der Beklagten für die Abonnenten nicht zumutbar ist.
[…]
Die Änderungsbefugnis in Klausel 2.1 beschränkt sich nicht auf hinreichend konkretisierte und triftige Änderungsgründe, die dem Interesse der Beklagten an einer derart weitreichenden Änderungsbefugnis den Vorrang vor dem Interesse der Abonnenten an der Beibehaltung des abonnier-ten ist Pakets geben könnten. Da die Klausel keinerlei Voraussetzungen für Änderungen formuliert, sie bereits aus diesem Grunde unwirksam (s. BGH Ill ZR 247/06, in NJW 2008, 360, Rnr. 23).

Soweit die Beklagte einwendet, eine Konkretisierung der Änderungsgründe sei ihr nicht möglich und damit auch nicht zumutbar, ist dies durch ihren eigenen Vortrag widerlegt (Berufungsbegrün- dung S.8). Die Beklagte führt selbst aus, welche konkreten Gründe es aus ihrer Sicht für eine not- wendige Änderung des Programmpaketes geben kann (Il.2.a.bb.(1)). Klausel 2.1 lässt die Änderung bei kundenfeindlicher Auslegung auch zu, wenn keiner dieser Gründe vorliegt.

[...]

Die Klausel 4.8 ist wegen Verstoßes gegen & 307 Abs, 1 BGB unwirksam. Die Klausel lautet:

Wir de behalten uns das Recht vor, den Preis für den DAZN Service an sich verändernde Marktbedingungen, bei erheblichen Veränderungen in den Beschaffungs- oder Bereitstellungskosten oder bei Änderungen der Umsatzsteuer oder vergleichbaren Steuern anzupassen. Zusätzlich behalten wir uns vor, den Preis bei erheblichen Veränderungen im Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts entsprechend anzupassen; als erhebliche Veränderung gilt eine Anhebung von 0,5 Prozentpunkten oder mehr gegenüber dem Vergleichszeitraum Tagen ab dem Tag unserer Email-Benachrichtigung an Deine zuletzt eingetragene Email-Adresse Anwendung.

Die Preisanpassungsklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 BGB.

Die Klausel ist nicht hinreichend klar bestimmt und unangemessen benachteiligend.

In AGB enthaltene Bestimmungen, die eine Preisanpassung wegen und auf der Grundlage sich verändernder Kosten vorsehen, sind insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Sie dienen dazu, einerseits dem Verwender das Risiko langfristiger Kalkulation abzunehmen und ihm seine Gewinnspanne trotz nachträglicher, ihn belastender Kostensteigerungen zu sichern und andererseits den Vertragspartner davor zu bewahren, dass der Verwender mögliche künftige Kostenerhöhungen vorsorglich schon bei Vertragsschluss durch Risikozuschläge aufzufangen versucht (BGH Ill ZR 247/06 in NJW 2008, 360, Rnr. 10 m.w. Nachw.). Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte demnach grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an Preisänderungsklauseln hat.

Die Schranke des $ 307 Abs.1 S.1 BGB wird allerdings nicht eingehalten, wenn die Preisanpas- sungsklausel es dem Verwender ermöglicht, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Ge- winnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (Senat, NJW-RR 2008, 134 Rdnr. 19; BGH, NJW-RR 2005, 1717 [unter || 2]; NJW 2007, 1054 Rdnr. 21; jew. m.w. Nachw.). Dementsprechend sind Preisanpassungsklauseln nur zulässig, wenn die Be- fugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offengelegt werden, so dass der andere Vertragsteil bei Vertragsschluss die auf ihn zukommenden Preissteigerungen einschätzen kann (aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB folgendes Transparenzgebot).

Eine Klausel ist daher zu unbestimmt, wenn sie ganz allgemein an eine Erhöhung der nicht nä- her umschriebenen Bereitstellungskosten anknüpft und weder die Voraussetzungen noch den Umfang einer Preiserhöhung näher regelt.

Der Abonnent hat nach Klausel 4.8 keine realistische Möglichkeit, etwaige Preiserhöhungen an- hand der Klausel auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, Es ist nicht aufgeführt, Veränderungen in welcher Höhe zu welcher Preissteigerung führen werden. Eine Kalkulierbarkeit und Nachprübarkeit eventueller Preissteigerungen ist nicht möglich. Es ist völlig unklar, was „erhebliche Ver- änderungen in den Beschaffungs- oder Bereitstellungskosten oder Änderungen der Umsatzsteuer oder vergleichbaren Steuern“ sind. Die Erheblichkeit ist genauso wenig definiert wie der Prozentsatz der Erhöhung zu dem die Veränderung führen würde. Die Definition der Erheblichkeit in Klausel 4.8 Satz 2, 2.Hbs. bezieht sich durch den Strichpunkt nur auf S.2, 1. Hs. nicht auch auf Klausel 4.8 Satz 1.

Etwaige Preiserhöhungen sind nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung (s. I1.1.b.aa) nicht auf den Umfang der Kostensteigerung begrenzt und wären sogar dann gestattet, wenn der Anstieg eines Kostenfaktors durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgegli- chen wird. Somit ermöglicht die Bestimmung der Beklagten bei der vorzunehmenden kunden- feindlichsten Auslegung, nicht nur insgesamt gestiegene Kosten an ihre Kunden weiterzugeben, sondern auch einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Gerade eine solche Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts durch einen praktisch unkontrollierbaren Preiserhöhungsspielraum will 8 307 sind BGB verhindern (BGH, Urteil vom 15. 11. 2007 - III ZR 247/06). Preisanpassungsklauseln nur zulässig, wenn die Befugnis des Verwenders zu Preisanhebungen von Kostenerhöhungen abhängig gemacht wird und die einzelnen Kostenelemente sowie deren Gewichtung bei der Kalkulation des Gesamtpreises offen gelegt werden (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1717; NJW 2007, 1054 Rdnrn. 23f.; NJW-RR 2008, 134, beck-online). Dies ist hier nicht geschehen.

Die Tatsache, dass Topspiele laut Sachvortrag der Beklagten rund 1 Mio. Zuschauer hätten und selbst im digitalen Zeitalter Änderungskündigungen angesichts der hohen Nutzerzahlen mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden wären, rechtfertigt nicht eine derart offene Preisanpassungs- klausel, die an nicht nachvollziehbare Voraussetzungen anknüpft und deren Kalkulation nicht überprüfbar ist. Die Beklagte kann sich von dem Risiko, sich nach einer Kündigung mit einem neuen Angebot dem Wettbewerb stellen zu müssen, nicht auf Kosten ihrer Vertragspartner be- freien (BGH Ill ZR 247/06 in NJW 2008, 360 Rnr. 13 und BGH Ill ZR 63/07 in NJW RR 2008, 134 Rnr. 24).

Soweit die Beklagte meint, die Klausel sei wirksam, da sie durch das Wort „anpassen“ klarstelle, dass dies sowohl eine Absenkung als auch eine Anhebung ermögliche, und durch das Wort „Ver- änderungen“, dass nicht nur Verteuerungen gemeint seien (Berufungsbegründung Rnr. 60 und Replik s. 2/3), greift der Einwand nicht. Die Formulierung der Klausel „Wir behalten uns das Recht vor" lässt nach kundenfeindlicher Sichtweise eine Auslegung zu, nach der die Beklagte zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, nach gleichlaufenden Maßstäben zu bestimmten Zeit- punkten eine Preisanpassung unabhängig davon vorzunehmen, in welche Richtung sich die Kosten seit Vertragsschluss oder seit der letzten Preisanpassung entwickelt haben. Eine solche Verpflichtung folgt auch nicht aus der Formulierung „anzupassen“. Mangels anderweitiger vertraglicher Vorgaben hat die Beklagte zudem die Möglichkeit, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem sie von dem Preisänderungsrecht Gebrauch macht, und durch die Wahl des Preisanpassungstermins erhöhten Kosten umgehend, niedrigeren Kosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu tragen (vgl. BGHZ 176, 244 = NJW 2008, 2171 Rdnrn. 20f.; Senat, NJW 2009, 2662 = NZM 2009, 630 = WM 2009, 1717 Rdnr. 29).

Soweit die Beklagte meint (Replik vom 13.09.2024, S. 4), die Interessen der Nutzer seien durch die ihnen zustehende Kündigungsmöglichkeit ausreichend berücksichtigt, kann dem nicht gefolgt werden. Die AGB gelten ab Vertragsschluss auch für 1- und 2-Jahres Abonnements, bei denen in den ersten 1 oder 2 Jahren eine Kündigung nicht möglich ist (s. Anlage BB1).

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Hamburg: Werbung im Bereich des Gesundheitsschutzes muss in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht besonders hohe Anforderungen erfüllen - Sonnencreme mit HEV Blue Light Filter

OLG Hamburg
Urteil vom 07.09.2023
15 U 113/22


Das OLG Hamburg hat entschieden, dass Werbung im Bereich des Gesundheitsschutzes in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht besonders hohe Anforderungen erfüllen muss. Vorliegend ging es um wettbewerbswidrige Werbung für eine "innovative" Sonnencreme mit HEV Blue Light Filter.

Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungsgrund wird in Wettbewerbsverfahren vermutet, § 12 Abs. 1 UWG.

Die Vermutung der Dringlichkeit ist allerdings widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es ihm nicht eilig ist (st. Rspr; vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 1999 – I ZB 7/99 –, Rn. 11 - Späte Urteilsbegründung). Das kann der Fall sein, wenn er mit der Rechtsverfolgung längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grobfahrlässig nicht kennt. Dabei obliegt es dem Antragsgegner, Umstände darzutun und glaubhaft zu machen, die auf eine „dringlichkeitsschädliche“ Kenntnis des Gegners schließen lassen (Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Retzer, 5. Aufl. 2021, UWG § 12 Rn. 68 m.w.N.).

Dass die Antragstellerin die hier angegriffene, konkrete Werbung in Gestalt des Pappaufstellers und der darin einliegenden Werbeflyer mit den beanstandeten Aussagen und Gestaltungen schon vor dem 28.03.2022 (vgl. eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers und Leiters der Rechtsabteilung der Antragstellerin, G.H., Anlage AS 2) gekannt haben soll, behauptet die Antragsgegnerin selbst nicht. Sie beruft sich lediglich darauf, dass Produkte mit dem neuen Filter T. bereits seit 2021 auf dem Markt seien und u.a. als „Schutz gegen HEV Blue Light“ beworben worden seien. Das genügt aber nicht, um die Dringlichkeitsvermutung für die vorliegenden Anträge zu widerlegen. Hierfür müsste es sich um kerngleiche Wettbewerbsverstöße gehandelt haben, die der Antragstellerin zur Kenntnis gelangt sind (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 12 Rn. 2.15a m.w.N.).

Die Antragsgegnerin hat keine vorangegangene Werbung präsentiert, die kerngleich mit der hier angegriffenen wäre. Die von ihr aufgezeigten früheren Werbeformate (vgl. Anlagen Sch 6 bis Sch 8, Abb. 7 bis 11 in Schutzschrift Anlage AG 1 sowie Anlagen AG 3 bis AG 8) sind nicht ansatzweise identisch oder auch nur sehr ähnlich wie die hier streitgegenständlichen. In keiner der eingereichten Werbungen werden dieselben Aussagen, etwa „Innovation“, in vergleichbarem Kontext getroffen wie vorliegend beanstandet. Dasselbe gilt für das Thema „Blue Light“ wie etwa in Anlage AG 3. Hier wird zwar mit einem „Blue Light Filter“ bzw. „Blue Light-Schutz“ geworben, die Begriffe „HEV“ oder „High Energy Visible“ fehlen indes, die für die vorliegenden Anträge wesentlich sind. Die Gesamtaufmachung ist wiederum gänzlich anders und keinesfalls kerngleich mit den vorliegenden.

Im Übrigen ist eine Kenntnis der Antragstellerin von den einzelnen Werbungen nicht glaubhaft gemacht. Hierzu hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, dass eine allgemeine Marktbeobachtungspflicht nicht besteht; das gilt auch in einem engen wettbewerblichen Umfeld.

In Frage kommt in Anbetracht des substanziierten Vortrags der Antragsgegnerin allerdings eine dringlichkeitsschädliche Kenntnis der Antragstellerin vom Filter T., für den die Antragsgegnerin seit längerem schon eine Schutzwirkung vor (HEV) Blue Light ausgelobt hat. Dies könnte den Verfügungsgrund für ein Verbot unter dem Aspekt „fehlende Wirksamkeit des Produktes gegen HEV Blue Light“ entfallen lassen. Hierauf kommt es indessen nicht an, weil sich die Irreführung der angegriffenen Werbung auch aus anderen Gründen ergibt, für die eine frühere Kenntnis der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht ist.

2. Der Antragstellerin steht für jeden der geltend gemachten Unterlassungsansprüche auch ein Verfügungsanspruch zur Seite. Die angegriffenen Werbungen erweisen sich bei der gebotenen summarischen Prüfung als irreführend und damit unlauter im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG, so dass die Antragstellerin als Mitbewerberin Unterlassung verlangen kann, §§ 8 Abs. 1 Satz, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die erforderliche Wiederholungsgefahr wird durch den begangenen Rechtsverstoß in Gestalt der veröffentlichten Werbung indiziert und wurde nicht durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgeräumt.

a) aa) Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht es der Antragsgegnerin untersagt, Sonnenschutzprodukte der Reihe E.T.A. unter Verwendung der Aussagen
„Innovation“
und/oder
„1. Sonnenschutz aus der P.F. Forschung mit HEV Blue Light Filter“
zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie im Tenor der einstweiligen Verfügung unter 1. a) wiedergegeben (sog. Pappaufsteller). Der Anspruch folgt für beide Teile aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG.

Nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält: die wesentlichen Merkmale der Ware, …, Vorteile, …, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, …, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse, u.a.

Für die Prüfung, ob eine Werbeangabe unwahr oder zur Täuschung geeignet ist, ist zunächst auf das Verständnis des angesprochenen Verkehrs von der Angabe abzustellen. Maßgeblich ist das Leitbild des durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerksamen Mitglieds der angesprochenen Verkehrskreise. Dieses Verständnis kann der Senat, dessen Mitglieder zum hier angesprochenen allgemeinen Verkehrskreis zählen, selbst beurteilen. Von einer Irreführung ist auszugehen, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - I ZR 96/19, Rn. 14 - LTE-Geschwindigkeit; Urteil vom 12. Mai 2022 - I ZR 203/20, Rn. 18 - Webshop Awards; Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 93/21 –, Rn. 21 - 7 x mehr). Ist, wie vorliegend, eine konkrete Verletzungsform streitgegenständlich, verbietet sich eine zergliedernde Betrachtung einzelner Elemente der Werbung. Zu würdigen ist vielmehr der Gesamteindruck der angegriffenen Werbung (BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 93/21 –, Rn. 23 – 7 x mehr; Urteil vom 18. Dezember 2014 – I ZR 129/13 –, Rn. 10 – Schlafzimmer komplett).

(1) „Innovation“

Der Senat hält das von der Antragstellerin angeführte und vom Landgericht geteilte Verständnis dieses Begriffs in der konkreten Verletzungsform für zutreffend. Beim Begriff „Innovation“ in der Werbung für ein Sonnenschutzmittel denkt der Verbraucher an eine positive, also produktverbessernde Neuerung oder Erfindung, die einen Fortschritt im Bereich Sonnenschutz mit sich bringt.

Die Antragstellerin macht hierzu geltend, das Wort „Innovation“ sei schon deshalb irreführend, weil das beworbene Produkt tatsächlich gar keine Schutzwirkung gegen HEV Blue Light entfalte, wie sie mit ihrer als Anlage AS 5 eingereichten Studie belegt habe. Dies unterstellt, wären „Innovation“, aber auch die beiden anderen zu Ziffer 1.a) des Verfügungsantrags angegriffenen Angaben „1. Sonnenschutz aus der P.F. Forschung mit HEV Blue Light Filter“ und „Unser neuer Standard beim Sonnenschutz“ im konkreten Kontext unzutreffend und damit ohne Weiteres zu untersagen. Der Senat kann diesen, zwischen den Parteien heftig umstrittenen und mit diametralen Studienergebnissen untermauerten Aspekt indes offen lassen. Damit kann auch die Frage dahinstehen, ob für ein Verbot unter diesem Aspekt – (kein) Schutz vor HEV Blue Light – die erforderliche Dringlichkeit noch besteht.

Denn die Werbung mit „Innovation“ wie in der konkreten Verletzungsform geschehen ist auch unabhängig von einer evt. fehlenden Schutzwirkung gegen HEV Blue Light als irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1, 2 UWG anzusehen. Hierzu wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil, dort Seite 11, verwiesen.

Der Senat verkennt nicht, dass – eine Wirksamkeit des neuen Filters in den Sonnenschutzprodukten der Antragsgegnerin gegen HEV Blue Light unterstellt – darin tatsächlich eine Innovation im o.g. Sinne liegen kann. Denn es wäre unstreitig der erste rein organische Filter, der diesen Bereich der Sonnenstrahlen mit abdeckt. Indessen wird genau diese Tatsache dem Verbraucher in der streitgegenständlichen Werbung vorenthalten. Er erfährt von der neuartigen Filterart nichts, sondern liest zur Erklärung: „1. SONNENSCHUTZ aus der P.F. Forschung mit HEV BLUE LIGHT FILTER“. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nimmt der Verbraucher angesichts dieser Formulierung an, es handele sich um den ersten Sonnenschutz überhaupt mit HEV Blue Light Filter. Wenn er das kleingedruckte „aus der P.F. Forschung“ überhaupt wahrnimmt, wird er dies als Urheberangabe des ersten Sonnenschutzes mit HEV Blue Light Filter ansehen, also annehmen, das Haus P.F. habe einen solchen erstmals erfunden. Dies ist unstreitig falsch. Damit ist die Werbung mit „Innovation“ jedenfalls in der konkreten Verletzungsform wie beantragt zu untersagen.

Dass „Innovation“ für sich genommen zutreffend und in anderem Zusammenhang, wie etwa in Abb. 9 der Schutzschrift, zulässig sein mag, steht dem nicht entgegen. Für die Beurteilung einer konkreten Werbung gilt, wie oben ausgeführt, dass einzelne Äußerungen einer in sich geschlossenen Darstellung nicht aus dem Zusammenhang, in dem sie stehen, gerissen und isoliert betrachtet werden dürfen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 – I ZR 129/13 –, Rn. 10 – Schlafzimmer komplett). Vielmehr sind sie genau und gerade in diesem Zusammenhang zu würdigen.

(2) „1. Sonnenschutz aus der P.F. Forschung mit HEV Blue Light Filter“

Auch diese Angabe ist in der konkreten Verletzungsform irreführend. Der angesprochene Verbraucher versteht die Aussage entweder wie eben dargelegt so, dass P.F. den ersten Sonnenschutz mit HEV Blue Light Filter auf dem Markt überhaupt anbietet. Dies ist unzutreffend. Oder der Verbraucher nimmt an, es sei die erste Sonnencreme bei/von P.F. mit HEV Blue Light Filter, was ebenfalls nicht richtig ist, weil auch die Antragsgegnerin unstreitig schon zuvor mineralische Filter aus Titandioxid gegen HEV Blue Light in ihren Produkten verwendet hat.

Zwar trifft es zu, dass beide Angaben – „Innovation“ und „1. Sonnenschutz aus der P.F. Forschung mit HEV Blue Light Filter“ – ganz wörtlich genommen nicht falsch sind. Sie werden im konkreten Zusammenhang aber in der dargelegten Art und Weise falsch verstanden. Es ist anerkannt, dass unter Umständen auch inhaltlich zutreffende, also wahre Tatsachenbehauptungen eine Irreführungsgefahr begründen. Das ist der Fall, wenn ein beachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise mit der objektiv richtigen Angabe eine unrichtige Vorstellung verbindet (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – I ZR 114/20 –, Rn. 31 – Kieferorthopädie). So liegt es hier. Für den Durchschnittsverbraucher ist die Urheberschaft der Innovation – deren Inhalt ihm vorenthalten wird – nicht interessant, weil nicht von praktischer Relevanz. Interesseweckend ist hingegen die Information „Erster Sonnenschutz mit HEV Blue Light Filter“. Hierin wird der Verbraucher die „Innovation“ sehen. So verstanden ist die Werbung aber irreführend: Die Innovation liegt allenfalls in der neuen Filterart. Sonnencreme mit HEV Blue Light Filter gibt es schon lange. Denkt der Verbraucher, „jetzt auch bei P.F. mit HEV Blue Light Filter“, ist dies ebenfalls unzutreffend, denn auch die Antragsgegnerin vermarktet schon länger solche Produkte. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin diese Fehlvorstellungen bewusst erzeugt hat und ein sehr großer Teil des angesprochenen Verkehrs ihnen unterliegt. Die im Falle wörtlich genommen richtiger Angaben vorzunehmende Interessenabwägung führt damit zu keinem anderen Ergebnis als dem vom Landgericht ausgesprochenen Verbot.

bb) Der Antragstellerin steht auch ein Anspruch auf Untersagung zu, Sonnenschutzprodukte der Reihe E.T.A. unter Verwendung der Aussage
„Unser neuer Standard beim Sonnenschutz“
zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie im Tenor der einstweiligen Verfügung unter 1. a) wiedergegeben (weiße Rückseite des Flyers).

Auch dieser Unterlassungsanspruch ist aus §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG begründet, denn die Antragstellerin hat ein rechtlich relevantes Irreführungspotenzial überzeugend dargelegt. Angesichts der Aufmachung dieser Flyerseite wird der angesprochene Verkehr im „neuen Standard“ einen Schutz gegen HEV Blue Light sehen. Dieses ist farblich hervorgehoben und wird einem Durchschnittsverbraucher – zu dessen Kreis auch die Mitglieder des entscheidenden Senats zählen – bislang nicht bekannt sein. Der Verkehr erwartet ein neues Niveau beim Sonnenschutz für das Gesicht, eine deutliche Verbesserung zu früheren Produkten, und diese liege im nunmehr vorhandenen Extra-Schutz gegen HEV Blue Light. Diese Vorstellung ist aber unzutreffend, wie bereits ausgeführt. Auch hierzu sei auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen.

Der Senat teilt nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, die meint, der Verbraucher erwarte keine wesentliche Neuerung und Verbesserung beim Sonnenschutz für das Gesicht. Nichts anderes kann ein „neuer Standard“ nach allgemeinem Sprachverständnis sein. Es gilt wiederum, dass dem Verkehr egal sein dürfte, welche neuen Standards sich „das Haus P.F.“, also die Antragsgegnerin, selbst gesetzt hat. Einen reinen Eigenvergleich, betreffend nur Produkte aus dem eigenen Haus, anzunehmen erscheint fernliegend. Der Verkehr erwartet einen insgesamt neuen Standard im Vergleich zum gesamten Markt an Sonnenschutzprodukten. Diesen gibt es indessen mit dem beworbenen Produkt nicht, wie auch die Antragsgegnerin ausdrücklich nicht in Abrede nimmt. Schließlich ist davon auszugehen, dass ein Unternehmen, das mit „unser neuer Standard beim Sonnenschutz für das Gesicht“ wirbt, diesen Standard selbst gesetzt hat. Auch dies ist im Hinblick auf eine Schutzwirkung gegen HEV Blue Light, die viele Produkte seit langem bieten, nicht der Fall.

b) Auch den zu Ziffer 1. b) geltend gemachten Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin auf Untersagung, die Schutzfunktion von Sonnenschutzprodukten gegen verschiedene Arten von Sonnenstrahlung in der Reihenfolge

„UVB UVA HEV Blue Light“

zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht wie im Tenor der einstweiligen Verfügung in den ersten beiden Abbildungen unter 1. b) wiedergegeben, hat das Landgericht zu Recht zugesprochen.

Die Antragsmodifizierung, mit der die Antragstellerin die ursprünglich unter 1. b) fallende dritte Abbildung (Seitenansicht der Umverpackung) nun als konkrete Verletzungsform unter einen eigenen Antrag zu 1. c) gestellt hat, stellt keine inhaltliche Erweiterung oder Änderung im Sinne des § 533 ZPO dar, sondern ist als sprachliche Präzisierung des Kerns der Beanstandung dieser Werbung ohne Weiteres zulässig, § 938 Abs. 1 ZPO.

aa) Die Darstellung der verschiedenen Arten von Sonnenstrahlung in der Reihenfolge „UVB UVA HEV Blue Light“ ist, wenn sie geschieht wie in der ersten Abbildung zum Antrag 1. b) (weiße Rückseite des Flyers), unlauter. Dabei ist nicht die Reihenfolge dieser Begriffe per se verbotswürdig. Die Aufmachung der konkreten Verletzungsform, und nur diese ist streitgegenständlich, vermittelt dem angesprochenen Verbraucher einen falschen Eindruck über die Bedeutsamkeit des HEV Blue Lights.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Werbung in Apotheken platziert wurde, die der Verbraucher auf der Suche nach besonders hochwertigen und -wirksamen Sonnenschutzmitteln aufsucht und in denen er in besonderem Maße gesundheitsschützende Produkte erwartet. Durch die grafische Gestaltung der Karte, auf der sich unter der fettgedruckten Überschrift „Neuer Standard“ die farblich hervorgehobene Angabe HEV BLUE LIGHT findet, wird die Aufmerksamkeit des Betrachters sofort auf dieses gelenkt. Er wird denken, es gebe eine neue oder neu erforschte Strahlungsart oder Lichtart, gegen die man sich schützen müsse. Ein Schutz gegen diese Lichtart sei neuer Standard, also dringend anzuraten.

Dabei suggeriert die Darstellung UVB UVA HEV Blue Light, dass diese drei Strahlungsarten im Hinblick auf ihre Gefährlichkeit und die Bedeutsamkeit eines Schutzes vor ihnen auf einer Stufe stehen. Die Antragsgegnerin dürfte Recht damit haben, dass Verbraucher die Reihenfolge der Strahlungslängen im Lichtspektrum der Sonne in der Regel nicht kennen. Gerade deshalb werden sie sie aber auch nicht zutreffend nach (absteigender) Gefährlichkeit „sortieren“. Vielmehr erscheint es mit dem Landgericht naheliegend, dass die Verbraucher wegen der optischen Hervorhebung in Blau dem HEV Blue Light sogar eine noch größere Gefährlichkeit zumessen als den daneben genannten UV-Strahlen. Jedenfalls werden sie auf das HEV Blue Light aufmerksam und sehen es mindestens als gleichwertig schädlich an wie UVB und UVA. Diese Einschätzung ist unzutreffend, wie nachfolgend unter cc) ausgeführt wird.

bb) Auch die andere Seite des Flyers (orange Vorderseite), wie aus der zweiten Abbildung im landgerichtlichen Tenor zu 1. b) ersichtlich, vermittelt den Eindruck einer erheblichen Bedeutsamkeit des Schutzes vor HEV Blue Light, die sachlich so nicht gerechtfertigt ist. Diese Flyerseite wird der angesprochene Apothekenkunde wie folgt verstehen: Mit dem obersten Textblock lernt er, dass 80 % der Hautalterung durch UVA-Strahlung und HEV Blue Light verursacht werden. In Ermangelung einer weiteren Aufschlüsselung der „80 %“ wird hierdurch der Eindruck erweckt, dass beide Strahlungsarten auf einer Stufe stehen. Auf der darunter stehenden Grafik zur Eindringtiefe der Strahlen wird hingegen sogar eine ansteigende Gefährlichkeit von UVB über UVA nach HEV Blue Light suggeriert. Der normale Durchschnittsverbraucher wird die bildlich dargestellte Eindringtiefe der Strahlen mit „Gefährlichkeit für die Haut“ gleichsetzen. Als medizinischer Laie nimmt er an, dass je tiefer etwas in den Körper eindringt, desto mehr wirkt es auf diesen ein und kann – im Fall von Strahlen – Schaden anrichten. Dass tatsächlich die Eindringtiefe der Strahlen umgekehrt proportional ist zum Energiegehalt und damit der Schädlichkeit für die Haut, weiß der Normalverbraucher nicht. Dieser (falsche) Eindruck wird noch verstärkt durch den rechts daneben platzierten Erklärungstext. Durch die Information

„HEV (HIGH ENERGY VISIBLE) BLUE LIGHT ist hochenergetisches sichtbares Licht und dringt tiefer in die Haut als UVB- und UVA-Strahlen“,

wird der Verbraucher davon ausgehen, dass das „hochenergetische“ sichtbare Licht noch energiereicher sei als UV-Strahlung, deshalb noch intensiver sei und noch mehr Schutz erfordere.

cc) Diese Erwartung ist sachlich falsch und die angegriffene Werbung auf beiden Flyerseiten deshalb irreführend im Sinne des § 5 UWG.

Es ist der Antragsgegnerin dabei zuzugestehen, dass ein Schutz vor Strahlung auch im Blue Light Bereich sinnvoll sein mag. Sie trägt nachvollziehbar vor, dass die im Spektrum benachbarten Lichtarten ineinander übergehen und sich z.T. auch überschneiden, so dass ein Schutz nicht an der virtuellen Wellenlängengrenze von 400 nm enden sollte. Auch ist es angesichts ihres durch Studien substanziierten Vortrags glaubhaft, dass HEV Blue Light die Bildung freier Radikale hervorrufen, zu oxidativem Stress führen und somit Hautzellen schneller altern lassen, ebenso wie einen Effekt auf die Pigmentierung bei entsprechenden Hauttypen haben kann. Grundsätzlich ist eine Werbung mit Schutz gegen HEV Blue Light daher nicht zu beanstanden (sofern das Produkt ihn denn bietet) und entsprechende Sonnenschutzmittel werden auch von anderen Wettbewerbern, u.a. der Antragstellerin selbst, vermarktet.

Die vorliegende Werbung suggeriert jedoch eine mindestens gleichwertige Gefährlichkeit des HEV Blue Light mit UVB- und UVA-Strahlen. Das ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend.

Es kann dahinstehen, ob der angesprochene Verkehrskreis das HEV Blue Light als auf einer Stufe stehend mit UV-Licht oder sogar als noch schädlicher und schutzerfordernder als dieses ansieht, was jedenfalls die zweite Abbildung nahelegt. Beide Verständnisweisen sind objektiv unrichtig, denn die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass HEV Blue Light in jeder Hinsicht weniger gefährlich ist als UV-Strahlung.

Es ist zunächst unstreitig und auch offenkundig, dass sonnenbedingte Hautschäden – Sonnenbrand, dadurch verursachte vorzeitige Hautalterung, Hautkrebsrisiko – in erster Linie von UV-Strahlen, und zwar in der Reihenfolge UVB-UVA ausgehen. HEV Blue Light tritt dahinter deutlich zurück. Dies hat die Antragstellerin u.a. mit dem als Anlage AS 12 eingereichten Artikel aus 2019 zum Thema „visible light“ als der aktuellen Forschung entsprechend glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin bestreitet dies nicht, sondern räumt (u.a. auf Seite 10 ihrer Schutzschrift) selbst ein, dass der UV-Anteil des Sonnenspektrums für die Haut am schädlichsten ist. Dies ist nach dem insoweit übereinstimmenden Parteivortrag wissenschaftlicher Konsens. Damit ist die angegriffene Werbung, die eine mindestens gleichrangige Gefahr durch HEV Blue Light suggeriert, irreführend.

Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass bezüglich vorzeitiger Hautalterung durch Bildung freier Radikale u.a. HEV Blue Light mit UVA-Strahlung mindestens gleichauf liege, ändert dies an der Unzulässigkeit der grafischen Darstellungen nichts. Einerseits erscheint dies nach den beiderseits eingereichten Unterlagen schon nicht als überwiegend wahrscheinlich. Die Antragstellerin trägt substanziiert und nachvollziehbar vor, auch hieran habe UV-Strahlung einen weitaus größeren Anteil als Blue Light (vgl. wiederum Anlage AS 12), was der Senat angesichts der seit Jahren gesicherten Erkenntnisse zur durch Sonnenbrände bedingten vorzeitigen Hautalterung für naheliegend hält.

Andererseits kann es deshalb dahinstehen, weil die angegriffene Werbung Sonnenschutz ganz allgemein verspricht und hierbei HEV Blue Light besonders hervorhebt. Auch wenn das Wort „Hautalterung“ auf beiden Flyerseiten genannt wird, ist angesichts der Gesamtaufmachung nicht anzunehmen, dass der Verkehr die Darstellungen nur auf das Thema Hautalterung beziehen wird. Im Vordergrund der ersten Abbildung (weiße Seite des Flyers) werden optisch „NEUER STANDARD“ beim Sonnenschutz für „DAS GESICHT“ und die Strahlungsarten „UVA UVB HEV BLUE LIGHT“ hervorgehoben. Auf diese Aspekte wird der Verbraucher seine Aufmerksamkeit lenken. Auch auf der zweiten Abbildung (orange Seite des Flyers) tritt das kleingeschriebene Wort „Hautalterung“ im Vergleich zu den prominenten farbigen Gestaltungen derart in den Hintergrund, dass niemand die Informationen zum HEV Blue Light allein auf dieses Thema beziehen wird. Überdies ist im Verkehr allgemein bekannt, dass Hautalterung insbesondere eine Folge von Sonnenbränden ist, die wiederum von UV-Strahlen verursacht werden. Kaum jemand wird das Thema „Hautalterung“ von Sonnenbrand, Zellschädigungen usw. differenzieren, denn bekanntermaßen geht alles dies miteinander einher.

c) Auch der neu formulierte Antrag zu 1. c) ist begründet. Die Antragsgegnerin hat es gemäß §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG zu unterlassen, die Schutzfunktion von Sonnenschutzprodukten gegen verschiedene Arten von Sonnenstrahlung in der Reihenfolge

„UV-Breitbandschutz: UVB – UVA
HIGH ENERGY VISIBLE BLUE LIGHT“

zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, wenn dies geschieht, wie im neuen Antrag zu 1.c) eingeblendet wiedergegeben.

Auch dieser Anspruch besteht unter dem Aspekt, dass mit dieser Reihenfolge und grafischen Darstellung auf der Umverpackung der beworbenen E.T.A. Sonnencreme dem Schutz vor HEV Blue Light eine Bedeutung zugeschrieben wird, die diesem objektiv nicht zukommt.

Während die weitaus gefährlicheren UVB- und UVA-Strahlen abgekürzt am Ende der mittleren Zeile genannt werden, wird das nach den obigen Ausführungen deutlich harmlosere blaue Tageslicht voll ausgeschrieben und im blauen Fettdruck in einer ganzen Zeile platziert: HIGH ENERGY VISIBLE BLUE LIGHT. Erneut gilt, dass dem Verbraucher diese Lichtart nicht bekannt sein dürfte (oder allenfalls als blaues Bildschirmlicht). Durch die prominente Platzierung, den Fettdruck und die Worte HIGH ENERGY wird die Aufmerksamkeit auf diese Angabe gerichtet. Zwar mag es sich in der ausgeschriebenen Form um den englischen Fachbegriff dieses Lichts handeln, er wird jedenfalls vom einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrs aber falsch interpretiert. „HIGH ENERGY“ verleitet in der konkreten Gestaltung zur Annahme, dass Blue Light höherenergetisch ist als UV-Licht und damit aus Laiensicht auch gefährlicher als dieses.

Hinzu kommt, dass die Kopfzeile der in Rede stehende Werbeaussage als blauer Balken ausgestaltet ist, auf den in weißen Großbuchstaben die Worte „SKIN PROTECT“ aufgedruckt sind. Indem in den darunter folgenden Textzeilen auf weißem Grund nur die Worte „HIGH ENERGY VISIBLE BLUE LIGHT“ ebenfalls ausschließlich in Großbuchstaben und zudem in demselben Blauton wie der Hintergrund der Kopfzeile gedruckt wurden, wird in der Wahrnehmung des durchschnittlichen Verbrauchers zwischen den Worten „SKIN PROTECT“ und „HIGH ENERGY VISIBLE BLUE LIGHT“ eine besonders enge Verknüpfung hergestellt. Der tatsächlich unzutreffende Eindruck, ein Schutz der Haut („SKIN PROTECT“) sei vorrangig vor „HIGH ENERGY VISIBLE BLUE LIGHT“ geboten, wird hierdurch noch einmal erheblich verstärkt.

d) Insgesamt sind die zu 1. b) und c) angegriffenen werblichen Darstellungen des HEV Blue Light in den drei konkreten Verletzungsformen zu vollmundig für seine eher nachrangige Bedeutung beim Lichtschutz. Es wird eine Relevanz dieser Lichtart vermittelt, die ihr für den Hautschutz nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zukommt. Dementsprechend benennt das wettbewerbliche Umfeld – soweit aus den von den Parteien eingereichten Abbildungen ersichtlich – es deutlich weniger drängend etwa „Blue Light“ oder „sichtbares Licht“. Der Senat verkennt nicht, dass die Nennung und Bezeichnung des HEV Blue Lights für sich genommen nicht unzutreffend ist, eine Wirksamkeit des Produktes hiergegen unterstellt. Wie oben ausgeführt, kann aber das Irreführungsverbot auch objektiv zutreffende Angaben erfassen, weil es auf das jeweilige Verständnis der Adressaten der Werbung ankommt.

Im Rahmen der in diesen Fällen vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. hierzu auch Köhler/ Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, 41. Aufl. 2023, UWG § 5 Rn. 1.200 ff., 1.205) ist vorliegend zu berücksichtigen, dass an die Zulässigkeit einer Werbung im Bereich Gesundheitsschutz besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Es gelten strenge Bedingungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Aussagen. Dies rechtfertigt sich durch die Bedeutung des Rechtsguts Gesundheit und die hohe Werbewirksamkeit gesundheitsbezogener Aussagen (Bornkamm/Feddersen, a.a.O. Rn. 2.215; BGH, Urt. v. 6. 2. 2013 – I ZR 62/11, Rn. 16, 17 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Das gilt auch für Kosmetikprodukte wie die streitgegenständliche Sonnencreme, die Schutzwirkung gegen gesundheitliche Beeinträchtigungen der menschlichen Haut entfalten soll. Vorliegend überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin, die Produkte mit ihrem neuen Filter im Hinblick auf einen Schutz vor HEV Blue Light derart hervorgehoben zu bewerben, nicht das Interesse der Verbraucher, vor dem irregeleiteten Kauf eines Produktes geschützt zu werden, das ihnen weit weniger besonderen Nutzen bietet, als in der Werbung suggeriert wird.

e) Auch die für ein Verbot erforderliche geschäftliche Relevanz einer Irreführung, § 5 Abs. 1 UWG, liegt für alle angegriffenen Werbeformate vor. Die hervorgehobenen Werbungen mit einer (neuen) Schutzwirkung vor HEV Blue Light und deren vermeintlicher Bedeutsamkeit für den Hautschutz sind geeignet, den Verbraucher zu einer Kaufentscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Frankfurt: Sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO trotz Sequestrationsantrag im markenrechtlichen Eilverfahren - Zur Entbehrlichkeit einer Abmahnung im Markenrecht und Wettbewerbsrecht

OLG Frankfurt
Beschluss vom 16.03.2021
6 W 102/19


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass ein sofortiges Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO trotz Sequestrationsantrag im markenrechtlichen Eilverfahren möglich ist. Zudem hat sich das Gericht mit der Frage der Entbehrlichkeit einer vorherigen Abmahnung im Markenrecht und Wettbewerbsrecht in Ausnahmefällen befasst.

Aus den Entscheidungsgründen:
Nach § 93 ZPO fallen die Kosten einer Klage dem Kläger zur Last, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Nach diesem Rechtsgedanken, der auch auf das Eilverfahren angewandt werden kann (Zöller/Herget ZPO, 33. Auflage, § 93 Rn 2), müssen die Antragstellerinnen die Verfahrenskosten nach dem sofortigen Anerkenntnis der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 12.7.2019 dann tragen, wenn diese durch ihr Verhalten keine Veranlassung gegeben hat, eine einstweilige Verfügung zu beantragen, ohne die Antragsgegnerin zuvor wegen des beanstandeten Verhaltens abzumahnen.

Insoweit ist den Antragstellerinnen zuzugeben, dass die unter dem 8.1.2021 erfolgten Hinweise des Senats zu kurz greifen. Der Senat hält nach erneuter Beratung an seiner von den Antragstellerinnen aufgezeigten bisherigen Rechtsprechung (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.4.2020 - 6 W 31/20 = WRP 2020, 914) - auch in Ansehung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit einer vorherigen Anhörung des Gegners im Eilverfahren - im Grundsatz fest. Gleichwohl kann die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Die Beantragung einer einstweiligen Verfügung ohne vorherige Abmahnung kann in Wettbewerbs- oder Kennzeichensachen gerechtfertigt sein, wenn sie aufgrund besonderer Umstände für den Antragsteller unzumutbar ist. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin bleibt bei dieser Sachlage trotz der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur prozessualen Waffengleichheit im Eilverfahren (BVerfG, Beschluss vom 11.1.2021 - 1 BvR 2681/20; BVerfG, Beschluss vom 22.12.2020 - 1 BvR 2740/20 = GRUR 2021, 518; BVerfG, Beschluss vom 17.6.2020 - 1 BvR 1380/20 = WRP 2020, 1177; BVerfG, Beschluss vom 3.6.2020 - 1 BvR 1246/20 - Personalratswahl bei der Bundespolizei = GRUR 2020, 773 = WRP 2020, 847; BVerfG, Beschluss vom 30.9.2018 - 1 BvR 1783/17 - Die F.-Tonbänder = GRUR 2018, 1288 = WRP 2018, 1448) auch bei fehlender Abmahnung weiterhin eine Entscheidung über den Eilantrag ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin möglich. Das Bundesverfassungsgericht selbst zeigt Konstellationen auf, in denen eine vorherige Anhörung ausnahmsweise entbehrlich ist, nämlich, wenn diese den Zweck des einstweiligen Verfügungsverfahrens vereiteln würde (BVerfG, Beschluss vom 20.9.2018 - 1 BvR 1783/17 - Die F.-Tonbänder, juris Rn 15 = GRUR 2018, 1288 = WRP 2018, 1448; BVerfG, Beschluss vom 3.6.2020 - 1 BvR 1246/20 - Personalratswahl bei der Bundespolizei, juris Rn 16 = GRUR 2020, 773 = WRP 2020, 847; Ringer/Wiedeman GRUR-Prax 2020, 359 unter Ziffer II.; Löffel WRP 2019, 8, 9; Bornkamm GRUR 2020, 715, 223; jeweils mit weiteren Nachweisen). Hierzu können die Fälle gehören, in denen - wie hier - mit der einstweiligen Verfügung gleichzeitig eine Sequestration beantragt wird, denn dabei kommt es häufig darauf an, dass der Antragsgegner durch die Abmahnung nicht vorher gewarnt wird und Vorkehrungen treffen kann, die geeignet sind, die Sequestration zu vereiteln.

Wird dem Eilantrag durch Beschlussverfügung ohne Anhörung des Antragsgegners entsprochen, ist dies zwangsläufig mit einer Kostenentscheidung zu Lasten des Antragsgegners verbunden; ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO ist bei dieser Verfahrensweise faktisch ausgeschlossen.

Hier hat das Landgericht der Antragsgegnerin allerdings vor seiner Entscheidung die Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, was diese sodann zu einem Anerkenntnis veranlasst hat. Die Frage, ob die Anwendung von § 93 ZPO zugunsten der Antragsgegnerin in Betracht kommt, fokussiert sich demnach darauf, ob das Landgericht von einer Anhörung der Antragsgegnerin wegen des im Eilantrag enthaltenen Sequestrationsantrages hätte absehen müssen. Insoweit kann kein anderer Maßstab gelten als für die Fälle, in denen auf eine Abmahnung verzichtet werden kann.

Die Antragstellerinnen machen geltend, eine Abmahnung der Antragsgegnerin sei wegen des gleichzeitig gestellten Sequestrationsantrages entbehrlich gewesen.

Wie der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 14.4.2020 (6 W 31/20 = WRP 2020, 914) ausgeführt hat, setzt die Sequestration im Eilverfahren das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs sowie ein hinreichendes Sicherungsbedürfnis des Verletzten voraus. Entscheidend ist, wie hoch nach den Gesamtumständen die Gefahr einzuschätzen ist, dass der Verletzer nach einem Hinweis auf die Entdeckung der Verletzungshandlung versuchen wird, die Verletzungsgegenstände beiseitezuschaffen und sich dadurch dem Vernichtungsanspruch zu entziehen (so schon OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.1.2010 - 6 W 4/10). Maßgeblich ist dabei, ob die Umstände des konkreten Einzelfalls geeignet sind, bei dem Verletzten die ernste Besorgnis zu begründen, dass der Unterlassungsschuldner sich bei einer vorherigen Abmahnung um eine schnelle Beseitigung eines etwa vorhandenen Warenbestandes bemühen werde. Diese Besorgnis ist grundsätzlich berechtigt, wenn es sich um einen Fall der Weiterverbreitung schutzrechtverletzender Ware handelt. In diesen Fällen darf der Gläubiger regelmäßig davon ausgehen, dass der Verletzer die Sequestration zu vereiteln versucht, um die sich aus einer Sequestrationsanordnung ergebenden wirtschaftlichen Nachteile zu vermeiden (LG Hamburg, Urteil vom 19.3.2004 - 308 O 58/04 = GRUR-RR 2004, 191). Auch ohne konkrete Verdachtsmomente besteht bei dieser Sachlage von vornherein die ernste Besorgnis, der Schuldner werde versuchen, die fragliche Ware bei Seite zu schaffen. Nur wenn diese Gefahr ausnahmsweise ausgeschlossen erscheint, ist dem Gläubiger eine Abmahnung zuzumuten. Um der Gefahr einer missbräuchlichen Geltendmachung des Sequestrationsanspruchs zu begegnen bzw. die Beantragung der Sequestration nur zum Zweck der Umgehung des Abmahnungserfordernisses auszuschließen, kann im Einzelfall eine Prüfung notwendig sein, ob ein schützenswertes Sicherungsinteresse für die Sequestration tatsächlich bestand.

Trotz des Umstandes, dass sich die Antragsgegnerin vorwerfen lassen muss, dass sie schutzrechtsverletzende Ware verbreitet hat, war in dem hier zu beurteilenden Einzelfall auch aus der maßgeblichen Sicht der Antragstellerinnen als Gläubigerinnen (Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, 37. Auflage, § 12 Rn 1.56) nach den Gesamtumständen nicht davon auszugehen, dass eine Abmahnung entbehrlich war, weil die Antragstellerinnen keinen Anhaltspunkt dafür hatten, dass die Antragsgegnerin die Durchsetzung des Sequestrationsanspruchs vereiteln würde. Es handelte sich nicht um vorsätzlich nachgeahmte Zubehörteile oder Produktpiraterieware, sondern um Originalteile, an denen die Markenrechte der Antragstellerinnen nicht erschöpft waren. Die Antragstellerinnen hatten auch Anlass zu der Annahme, dass die Antragsgegnerin gutgläubig davon ausgegangen ist, die Originalteile würden zulässigerweise in Europa vertrieben. Insoweit tragen die Antragstellerinnen in der Antragsschrift selbst vor, dass sich die streitgegenständlichen, ausschließlich für den koreanischen Markt bestimmten Waren nur dadurch von Exportware unterscheiden lassen, dass letztere nicht mit einem Hologramm und koreanischen Schriftzeichen versehen sind.

Soweit der Senat in der von den Antragstellerinnen aufgegriffenen Entscheidung (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.4.2020 - 6 W 31/20 = WRP 2020, 914) ausgeführt hat, die sachliche Berechtigung der Sequestrationsanordnung können nicht mehr überprüft werden, wenn die einstweilige Verfügung mit Sequestrationsanordnung erlassen wurde und die Antragsgegnerin statt eines Widerspruchs lediglich Kostenwiderspruch einlegt, ist die Sachlage vorliegend eine andere.

Die Antragsgegnerin hat die mit der einstweiligen Verfügung geltend gemachten Ansprüche im Rahmen ihrer Anhörung anerkannt, noch bevor das Landgericht einen Beschluss erlassen hatte. Aus ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 12.7.2019 (Bl. 143 ff. d.A.) ergibt sich, dass sie gegen die damit einhergehende Anordnung der Sequestration lediglich deshalb keine Einwände hatte, weil sie die streitbefangenen Waren nicht im Besitz und deshalb nichts herauszugeben hatte. Da die Antragsgegnerin schon zu diesem frühen Zeitpunkt auch gegen die Kostenlast protestierte, kann - anders als im Fall des Erlasses einer Beschlussverfügung und anschließendem auf die Kosten beschränktem Widerspruch - gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin anerkannt hat, dass dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mitsamt der Sequestrationsanordnung auch ohne vorherige Abmahnung oder Anhörung hätte sattgeben werden dürfen.


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OLG Frankfurt: Schmuck kann als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein - zur wettbewerblichen Eigenart von Modeschmuck

OLG Frankfurt am Main
Urteil vom 11.12.2018
11 U 12/18


Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass Schmuck bei Erreichen der Schöpfungshöhe als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt sein kann. Zudem kann Modeschmuck auch wettbewerbliche Eigenart aufweisen und so vor Nachahmungen geschützt sein.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Mit Recht ist sie vom Landgericht zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Schadensersatzzahlung und zur Erstattung von Abmahnkosten wegen des Angebotes der streitgegenständlichen Schmuckstücke aus ihrer Modellreihe "1" und des Modells "2 bunt" verurteilt worden. Das Landgericht hat nämlich mit Recht der Klage in diesem Umfang stattgegeben, weil die Produkte der Beklagten eine vermeidbare Herkunftstäuschung mit den streitgegenständlichen klägerischen Schmuckstücken aus der X Serie der Klägerin herbeiführen und daher in unlauterer Weise die Leistungsschutzrechte der Klägerin verletzen (§§ 8 I, III Nr. 1, 3, 4 Nr. 3 lit. a; 9, 12 I S. 2 UWG, § 242 BGB). Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts, denen sich der Senat anschließt, kann verwiesen werden. Im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:

1. Den Erwägungen des Landgerichts steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin in erster Linie auf urheberrechtliche Ansprüche gestützt hatte und dass das Landgericht insoweit die Aktivlegitimation der Klägerin offengelassen hat. Ein Gleichlauf der Aktivlegitimation für urheberrechtliche und wettbewerbsrechtliche Ansprüche ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon deshalb abzulehnen, weil der lauterkeitsrechtliche Rechtsschutz nach Schutzzweck, Voraussetzungen und Rechtsfolgen anders als die Sonderschutzrechte ausgestattet ist.

Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz wegen der Verwertung eines fremden Leistungsergebnisses können unabhängig vom Bestehen von Ansprüchen aus einem Schutzrecht bestehen, wenn besondere Begleitumstände vorliegen, die außerhalb des sondergesetzlichen Tatbestandes liegen (BGH, Urteil vom 4.5.2016, Az.: I ZR 58/14 Tz. 37 - Segmentstruktur = GRUR 2017, 79, 82). Das ist hier, wie nachfolgend aufgezeigt wird, der Fall. Es spielt daher auch keine Rolle, dass die Klägerin nicht über einen designrechtlichen Schutz für ihre Produkte verfügt. Da die Klägerin Herstellerin der Originalprodukte ist, bestehen an Ihrer Aktivlegitimation für die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz keine Zweifel (BGH a.a.O.). Die Parteien stehen sich auf identischen Vertriebskanälen, nämlich u. a. im Vertrieb über den stationären Einzelhandel, als Mitbewerber gegenüber.

2. Der Verbotstatbestand des § 4 Nr. 3a UWG ist erfüllt, weil die von der Beklagten nachgeahmten Produkte der Klägerin wettbewerbliche Eigenart aufweisen und weil bei den angegriffenen Erzeugnissen der Beklagten eine vermeidbare Täuschung über deren betriebliche Herkunft entsteht.

a. Wettbewerbliche Eigenart liegt vor, wenn die konkrete Ausgestaltung oder bestimmte Merkmale eines Erzeugnisses geeignet sind, die interessierten Verkehrskreise auf seine betriebliche Herkunft oder seine Besonderheiten hinzuweisen (BGH GRUR 2012, 1155 [BGH 22.03.2012 - I ZR 21/11] Rn. 19 - Sandmalkasten; GRUR 2016, 725 [BGH 19.11.2015 - I ZR 149/14] Rn. 15 - Pippi-Langstrumpf-Kostüm II). Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass den von der Klägerin als Schutzgegenstand reklamierten Produkten wettbewerbliche Eigenart zukommt. Zutreffend hat das Landgericht auf den durch die prägenden Bestandteile hervorgerufenen Gesamteindruck der Produkte abgestellt (BGH GRUR 2010, 80 [BGH 28.05.2009 - I ZR 124/06], Tz. 32 - LIKEaBIKE). Es ist daher irrelevant, dass die Beklagte den einzelnen Komponenten der Halsketten eine Schutzfähigkeit abspricht.

Die eine wettbewerbliche Eigenart begründenden Merkmale müssen vom Kläger konkret vorgetragen und vom Tatrichter festgestellt werden. Dies ist hier geschehen, wobei die Ausführungen des Landgerichts zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit und zur wettbewerblichen Eigenart in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen.

Das Landgericht hat die wettbewerbliche Eigenart der Klagegestaltungen aus der konkreten Gestaltung und Kombination der verschiedenen Einzelelemente in Zusammenspiel mit der Farbgebung abgeleitet. Diese besteht in der durchgehenden Anordnung zweier alternierend aufgereihter, umlaufender Elemente, die jeweils durch dünne Zylinder aus Glas abgesetzt sind, wobei eines der beiden Elemente jeweils zusammengesetzt ist aus einem farbigen Würfel aus Polarisschmuck (geschliffener Kunststoff), gefolgt von einem quadratischen silber- oder goldfarbenen Metallplättchen, einem quadratischen Straßrondell und einem weiteren quadratischen Metallplättchen in derselben Farbe, während das andere Element aus einem Würfel aus geschliffenem Kristallglas besteht, der in der Farbgebung mit dem farbigen Würfel aus Polaris korrespondiert. Bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (i) und k (ii) orientiert sich die Farbgebung an den Farben des Regenbogens, bei den Klagegestaltungen gem. Abbildungen k (iii) kommen Rot-, Schwarz- und Grautöne zum Einsatz, bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (iv) werden Blau-, Schwarz-, Rosa-, und Violettfarben verwendet, bei der Klagegestaltung gem. Abbildung k (v) werden Grau-, Schwarz, Hellbraun- und Abricotfarben eingesetzt.

Damit sind die erforderlichen Feststellungen zu dem für die wettbewerbliche Eigenart maßgeblichen Gesamteindruck getroffen worden. Die dagegen erhobenen Einwände der Beklagten sind nicht berechtigt:

aa) Das Landgericht hat sich durch die Vernehmung der Einkaufsleiterin der Klägerin B davon überzeugt, dass die Klägerin erstmals im Jahr 2005 Klagegestaltungen in Verkehr gebracht hat, die in ihrer den Gesamteindruck prägenden Struktur bis zum Verletzungszeitpunkt unverändert geblieben sind. Es hat ferner die Darlegungs- und Beweislast zur Feststellung der wettbewerblichen Eigenart der klägerischen Erzeugnisse zutreffend verteilt:

Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass zwar grundsätzlich der Anspruchsteller die klagebegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, zu denen auch die wettbewerbliche Eigenart des als Schutzgegenstand geltend gemachten Erzeugnisses gehört. In diesem Zusammenhang kann es aber ausreichend sein, das Produkt vorzulegen, sofern sich der Anspruchsteller berechtigterweise auf eine dem Erzeugnis innewohnende Eigenart beruft. In einem solchen Fall obliegt es dann dem Anspruchsgegner darzulegen, dass die für die Eigenart relevanten Gestaltungsmerkmale schon vorbekannt waren oder im Verletzungszeitpunkt am Markt bekannt waren, was zu einer Schwächung oder dem Wegfall der Eigenart führen kann (vgl. BGH GRUR 1998, 477, 479 [BGH 06.11.1997 - I ZR 102/95] - Trachtenjanker; OLG Köln GRUR-RR 2015, 441, 442 - VITASED; Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Aufl., Rn. 3.78 zu § 4 UWG). So liegt der Fall hier:

Die Schmuckstücke der Klägerin stellen in ihrer konkreten Gestaltung und Farbgebung keine "Allerweltsartikel" dar. Sie grenzen sich von den üblichen als Modeschmuck verkauften Würfelketten dadurch ab, dass der Gesamteindruck der klägerischen Produkte durch die immer gleich filigrane, aber nicht stereotyp wirkende Elementführung in Kombination mit der Materialwahl einen besonders wertigen Eindruck der (Mode-) schmuckstücke vermittelt. Durch die besondere Anordnung und durch die Farbgebung wird den streng geometrischen Elementen eine gewisse Leichtigkeit oder - wie es die Klägerin ausdrückt - "Lässigkeit" verliehen. Dadurch wohnt diesem Erzeugnis die Eignung inne, den angesprochenen Verkehr auf die Herkunft aus einem bestimmten Geschäftsbetrieb hinzuweisen.

bb. Die Beklagte hätte daher darlegen müssen, dass schon im Jahr 2005 im Markt ähnliche Schmuckketten wie die "X" etabliert gewesen waren. Das ist ihr nicht gelungen. Die Beklagte hat sich in erster Linie auf ihre eigenen Produkte bezogen, die im Anlagenkonvolut B 5 abgebildet wurden und als Muster vorgelegt worden sind. Ihr Vorwurf, das Landgericht habe sich nicht damit beschäftigt und das Beweisangebot auf Vernehmung des Zeugen C übergangen, ist unberechtigt. Das Landgericht hat sich vielmehr mit den Entgegenhaltungen der Beklagten auseinandergesetzt, diese aber zutreffend als von den Klageprodukten deutlich abweichende Erzeugnisse bewertet.

Dies gilt auch im Hinblick auf die Produkte der Beklagten selbst. Mit Schriftsatz vom 21. 9. 2016 hatte die Beklagte vorgetragen, sie habe schon seit 1999 "aufgereihte Regenbogenketten mit entsprechenden Elementen" vertrieben (Bl. 217), ohne aber deren Gestaltung vorzulegen. Daher blieb offen, was mit "entsprechenden" Elementen gemeint war. Mit Schriftsatz vom 10. 3. 2017 ist vorgetragen worden, der Zeuge C könne ausführlich zur Entwicklung des "Würfelkettenmarktes" berichten (Bl. 457). Diesem pauschalen und für sich gesehen unerheblichen Vortrag ist das Landgericht mit Recht nicht nachgegangen. Es bestand auch kein Anlass, die als Anlagenkonvolut B 5 vorgelegten Ketten der Beklagten in Augenschein zu nehmen. Das Landgericht hat nämlich zum Einen die Abbildungen dieser Ketten untersucht und sie mit Recht als deutlich von den Klägermodellen abweichend bewertet. Davon hat sich auch der Senat aus eigener Anschauung überzeugt. Ferner hat das Landgericht zutreffend berücksichtigt, dass eine erhebliche Marktpräsenz der Beklagten trotz gegenteiligen Vortrages der Klägerin nicht dargelegt worden ist. Hierauf geht die Berufung nicht ein, so dass sich weder Verfahrensfehler noch eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung erkennen lässt.


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Volltext BGH liegt vor - Werbende Abbildung von Tabakwaren auf Startseite des Internetauftritts eines Tabakherstellers ist unzulässige Tabakwerbung

BGH
Urteil vom 05.10.2017
I ZR 117/16
Tabakwerbung im Internet
UWG § 3a; TabakerzG § 19 Abs. 2, 3; VTabakG § 21a Abs. 3, 4


Wir hatten bereits in dem Beitrag BGH: Werbende Abbildung von Tabakwaren auf Startseite des Internetauftritts eines Tabakherstellers ist unzulässige Tabakwerbung über die Entscheidung berichtet.

Leitsätze des BGH:

a) Das Werbeverbot für Tabakerzeugnisse in Diensten der Informationsgesellschaft gemäß § 21a Abs. 4 VTabakG und § 19 Abs. 3 TabakerzG ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG.

b) Es stellt eine verbotene Tabakwerbung in einem Dienst der Informationsgesellschaft dar, wenn ein Unternehmen auf der Startseite seines Internetauftritts für Tabakerzeugnisse wirbt.

BGH, Urteil vom 5. Oktober 2017 - I ZR 117/16 - OLG München - LG Landshut

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BGH: Werbende Abbildung von Tabakwaren auf Startseite des Internetauftritts eines Tabakherstellers ist unzulässige Tabakwerbung

BGH
Urteil vom 05.10.2017
I ZR 117/16
Tabakwerbung im Internet


Der BGH hat entschieden, dass die werbende Abbildung von Tabakwaren auf der Startseite des Internetauftritts eines Tabakherstellers eine unzulässige Tabakwerbung darstellt. Der BGH führt aus, dass sich die Startseite der Internetseite an die breite Öffentlichkeit wendet und somit nach Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2003/33/EG vom Verbot der Tabakwerbung in Diensten der Informationsgesellschaft erfasst wird.

Die Pressemitteilung des BGH:


Verbotene Tabakwerbung durch Internetauftritt eines Tabakherstellers

Der unter anderem für das Lauterkeitsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass werbende Abbildungen auf der Startseite des Internetauftritts eines Tabakherstellers als unzulässige Tabakwerbung anzusehen sind.

Sachverhalt:

Die Beklagte ist ein mittelständischer Tabakhersteller. Auf ihrer Internetseite können sich interessierte Nutzer über ihr Unternehmen informieren, wobei die einzelnen Inhalte erst nach einer elektronischen Altersabfrage aufgerufen werden können. Im November 2014 befand sich auf der Startseite des Internetauftritts der Beklagten eine Abbildung, die vier gut gelaunte, lässig anmutende Personen zeigte, die Tabakerzeugnisse konsumierten.

Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, sieht darin eine unzulässige Tabak-werbung. Er verlangt von der Beklagten, die Werbung mit der Abbildung zu unterlassen.

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Abbildung auf der Startseite des Internetauftritts der Beklagten ist eine Werbung für Tabakerzeugnisse, weil die Produkte der Beklagten dem Besucher der Website näher gebracht und als attraktiv dargestellt werden. Diese Werbung erfolgt in einem Dienst der Informationsgesellschaft, so dass sie nach dem zum Zeitpunkt der Werbung gültigen § 21a Abs. 3 und 4 des Vorläufigen Tabakgesetzes und nach dem jetzt geltenden § 19 Abs. 2 und 3 TabakerzG verboten ist. Nach den maßgeblichen unionsrechtlichen Bestimmungen ist "Dienst der Informationsgesellschaft" jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung. Der Begriff soll nach Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2000/31/EG auch Dienste erfassen, die nicht von denjenigen vergütet werden, die sie empfangen, wie etwa Online-Informationsdienste oder kommerzielle Kommunikation. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2017 – C-339/15 – Luc Vandenborght) folgt daraus, dass die Website eines Unternehmens, auf der für dessen Produkte oder Dienstleistungen geworben wird, einen Dienst der Informationsgesellschaft darstellt.

§ 19 Abs. 2 und 3 TabakerzG setzt Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/33/EG um, der bestimmt, dass in der Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen verbotene Werbung in Diensten der Informationsgesellschaft ebenfalls nicht gestattet ist. Für die Bestimmung des Umfangs dieses Verbots ist Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2003/33/EG heranzuziehen. Danach muss Tabakwerbung auf diejenigen Magazine und Zeitschriften beschränkt werden, die sich nicht an die breite Öffentlichkeit wenden. Die weltweit unbeschränkt aufrufbare Startseite eines Unternehmens wendet sich an die breite Öffentlichkeit und wird deshalb von dem Verbot der Tabakwerbung in Diensten der Informationsgesellschaft erfasst.

Vorinstanzen:

LG Landshut - Urteil vom 29. Juni 2015 - 72 O 3510/14

OLG München - Urteil vom 21. April 2016 - 6 U 2775/15

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 21a VTabakG lautet:

[…]

(3) Es ist verboten, für Tabakerzeugnisse in der Presse oder in einer anderen gedruckten Veröffentlichung zu werben. …

(4) Absatz 3 gilt für die Werbung für Tabakerzeugnisse in Diensten der Informationsgesellschaft entsprechend.

[…]

§ 19 TabakerzG lautet:

[…]

(2) Es ist verboten, für Tabakerzeugnisse, elektronische Zigaretten oder Nachfüllbehälter in der Presse oder in einer anderen gedruckten Veröffentlichung zu werben. […]

(3) Absatz 2 gilt für die Werbung in Diensten der Informationsgesellschaft entsprechend.

[…]



LG Hildesheim: Wettbewerbswidrige Herabsetzung durch Fahrschul-Werbung wenn alte Führerschein-Ausbilungsmethode als falsch und gefährlich bezeichnet wird

LG Hildesheim
Urteil vom 21.03.2017
11 O 24/16


Das LG Hildesheim hat entschieden, dass eine wettbewerbswidrige Herabsetzung vorliegt, wenn eine Fahrschule für eine neue Ausbildungsmethode wirbt und die herkömmliche Führerschein-Ausbilungsmethode als "falsch und gefährlich" bezeichnet.




BGH: Unzulässige Werbung mit Produktbezeichnungen Repair-Kapseln und Herz-As-Kapseln - Verstoß gegen Health-Claims-Verordnung

BGH
Urteil vom 7. April 2016
I ZR 81/15
Repair-Kapseln
Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 und 3; Verordnung
(EU) Nr. 432/2012 Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang


Leitsätze des BGH:

a) Eine gesundheitsbezogene Angabe ist als (spezielle) gesundheitsbezogene Angabe im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 anzusehen, wenn damit ein einem wissenschaftlichen Nachweis zugänglicher Wirkungszusammenhang zwischen einem Nährstoff, einer Substanz, einem Lebensmittel oder einer Lebensmittelkategorie einerseits und einer konkreten Körperfunktion andererseits hergestellt wird. Es ist unerheblich, wenn die Angabe dazu kein medizinisches, sondern ein umgangssprachliches Vokabular verwendet.

b) Eine gesundheitsbezogene Angabe, die von den angesprochenen Verkehrskreisen dahin verstanden wird, ein bestimmtes Produkt könne Schäden an Haut, Haaren oder Fingernägeln beseitigen, ist mit den nach der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben, ein bestimmter Nährstoff trage zur Erhaltung normaler Haut, Haare oder Nägel bei, nicht inhaltsgleich und daher unzulässig.

c) Eine gesundheitsbezogene Angabe, die nicht erkennen lässt, auf welchen der in der Liste der zugelassenen Angaben im Anhang zur Verordnung (EU) Nr. 432/2012 aufgeführten Nährstoffen, Substanzen, Lebensmitteln oder Lebensmittelkategorien die behauptete Wirkung eines Produkts beruht, ist mit den zugelassenen Angaben nicht inhaltsgleich und daher unzulässig.

BGH, Urteil vom 7. April 2016 - I ZR 81/15 - OLG Hamm - LG Essen

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Frankfurt: Nestle Werbung für Kinderpudding mit "Zink und Calcium für starke Knochen und gesundes Wachstum" verstößt gegen Health-Claims-Verordnung

LG Frankfurt
Urteil vom 10.02.2016
2-06 O 337/15

Das LG Frankfurt hat entschieden, dass die Werbung des Lebensmittelskonzerns Nestle für für den Kinderpudding Alete Milch Minis mit den Werbeaussagen "Zink für starke Knochen & gesundes Wachstum" und "Calcium für starke Knochen" gegen die Health-Claims-Verordnung verstößt und somit wettbewerbswidrig ist. Zudem rügte das Gericht, dass auf der Verpackung nicht auf die Bedeutung einer abwechslungsreichen sowie ausgewogenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise hingewiesen wurde. Geklagt hatte der vzbv.

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Einschränkung von Abmahnkosten und des fliegenden Gerichtsstandes - Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken

Das Bundesministeriums der Justiz (BMJ) hat den Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken vorgelegt. Dieser bezweckt u.a. "Unseriöse Geschäftspraktiken in den Bereichen Inkassowesen, Telefonwerbung und Abmahnwesen" zu bekämpfen. So sollen Abmahnkosten und auch der fliegende Gerichtsstand eingeschränkt werden. Dieses Vorhaben ist an sich löblich. Der Entwurf ist aber leider an vielen Stellen unausgegoren. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Entwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren entwickelt.

OLG Hamburg: Beim geschäftsmäßigen Verkauf von Motoröl im Internet muss auf Rücknahme des Altöls bei einer Annahmestelle hingewiesen werden

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss vom 02.06.2010, 5 W 59/10
§ 4 Nr 11 UWG, § 8 Abs 1 S 2 AltölV
Motoröl


Immer wieder sind Informationspflichten Gegenstand von Abmahnungen und gerichtlichen Ausienandersetzungen. In diesem Verfahren hat das OLG Hamburg klar gestellte, dass Internethändler, die Motorenöle verkauen, gemäß § 8 Abs.1 S.2 AltölVO darauf hinweisen haben, dass das Altöl bei einer von ihm zu bezeichnenden Annahmestelle kostenlos zurückgegeben werden kann.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

"OLG Hamburg: Beim geschäftsmäßigen Verkauf von Motoröl im Internet muss auf Rücknahme des Altöls bei einer Annahmestelle hingewiesen werden" vollständig lesen