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LG Frankfurt: Facebook muss bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Inhalte und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen

LG Frankfurt
Urteil vom 08.04.2022
2-03 O 188/21

Das LG Frankfurt hat entschieden, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks (hier: Facebook / Meta) bei ehrverletzenden Inhalten auch kerngleiche Inhalte und Memes ohne erneute Inkenntnissetzung automatisch löschen muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

Ehrverletzung durch Falschzitat in sozialem Netzwerk

Diensteanbieter muss Varianten mit kerngleichem Inhalt ohne erneuten Hinweis sperren.
Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast kann verlangen, dass eine bestimmte Wort-Bild-Kombination (sog. „Meme“) mit einem ihr untergeschobenen Falschzitat auf Facebook gesperrt wird. Auch Varianten dieses Memes mit kerngleichem Inhalt muss das soziale Netzwerk ohne erneuten Hinweis auf die jeweilige URL löschen. Renate Künast steht wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts außerdem ein Schmerzensgeldanspruch gegen die Betreiberin von Facebook zu.

Auf Facebook erschien ein Bild von Renate Künast, dem folgendes Zitat beigefügt war: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“ Dieses Zitat ist falsch. Renate Künast hat die Äußerung nicht getätigt. Sie verlangte von Meta als Betreiberin von Facebook die Löschung des Eintrages. Der Post wurde außerdem in verschiedenen Varianten veröffentlicht, etwa mit verändertem Layout oder durch Erweiterung oder Weglassen von Textinhalten, durch Tippfehler oder durch Veränderung für das Auge nicht wahrnehmbarer Pixel. Diese Varianten haben eine andere URL als das ursprüngliche, von Renate Künast zunächst beanstandete Meme.

Vor dem Landgericht Frankfurt am Main hat Renate Künast darauf geklagt, dass Meta es unterlässt, Memes mit kerngleichem Inhalt auf Facebook öffentlich zugänglich machen zu lassen. Mit Urteil vom heutigen Tage hat eine Pressekammer des Landgerichts Frankfurt am Main ihrer Klage stattgegeben.

Durch das Falschzitat werde Renate Künast in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Ein Diensteanbieter müsse zwar nicht ohne einen Hinweis alle ins Netz gestellten Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung prüfen. „Nachdem Renate Künast aber konkret darauf hingewiesen hatte, dass die ihr zugeschriebene Äußerung ein falsches Zitat ist, muss sie diesen Hinweis nicht für jeden weiteren Rechtsverstoß unter Angabe der URL wiederholen,“ erklärte die Vorsitzende der Kammer in der Urteilsbegründung. „Denn für die Beklagte ist unschwer erkennbar, dass es sich bei Varianten mit kerngleichem Inhalt um Falschzitate handelt.“ Und weiter: „Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Das gilt auch in diesem Fall.“

Die Kammer stellte weiter fest: „Die Beklagte hat nicht dargetan, dass es ihr technisch und wirtschaftlich nicht zumutbar ist, ohne konkrete Bezeichnung der URL identische und ähnliche Memes zu erkennen und zwar auch, wenn für die Beurteilung eines abgewandelten Textes in einem Eintrag eine menschliche Moderationsentscheidung notwendig wird“.

In seinem Urteil billigte die Pressekammer Renate Künast außerdem eine Geldentschädigung in Höhe von 10.000 Euro zu. Meta treffe aufgrund der Veröffentlichung der persönlichkeitsrechts-verletzenden Posts eine Mitverantwortung. Denn Meta sei ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, ihre Plattform von weiteren Falschzitaten zu befreien. Die Schwere der Rechtsverletzungen rechtfertige das Schmerzensgeld. Renate Künast sei aufgrund der Falschzitate Anfeindungen ausgesetzt gewesen.

Die Kammer erklärte: „Die Glaubwürdigkeit ist das Kapital eines jeden Menschen, besonders einer Politikerin. Diese Glaubwürdigkeit wird durch das Zuschreiben von Falschzitaten beschädigt. Dies ist ehrenrührig und beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht der Falschzitierten. Falschzitate verzerren auch den Meinungskampf und sie schaden der Allgemeinheit.“

Das heutige Urteil (Aktenzeichen 2-03 O 188/21) ist nicht rechtskräftig.


OLG Köln: Comedian darf ehemaligen Fußballnationalspieler bei Twitter nicht als "krankes Schwein" bezeichnen

OLG Köln
Urteil vom 10.03.2022
15 U 244/21


Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Comedian einen ehemaligen Fußballnationalspieler nicht als "krankes Schwein" bezeichnen darf. Gegenstand des Rechtsstreits war ein Twitter-Post.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Da die einstweilige Verfügung des Senats durch die Aufhebung in dem angefochtenen Urteil auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten hin (endgültig) „kassiert“ worden ist, war – wie im Termin durch die auf Hinweis des Senats hin erfolgte Klarstellung der Anträge betont – richtigerweise dabei ein entsprechender Neuerlass der einstweiligen Verfügung geboten (vgl. etwa zum prozessualen Vorgehen in solchen Fällen OLG Köln v. 10.09.2002 - 16 U 80/02, BeckRS 2003, 153; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 925 Rn. 10; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1432 Fn. 56 m.w.N.).

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat.

a)Eine doppelte Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog) wegen des ohnehin erst später vor dem Landgericht Hamburg wegen der weiteren Äußerung eingeleiteten Verfahrens steht mit den entsprechenden Ausführungen des Senats im Beschluss vom 24.06.2021 – 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte), auf die verwiesen wird, dem Antrag nicht entgegen. Zudem geht es richtigerweise ohnehin schon wegen des ganz anderen Kontextes der Äußerungen um zwei unterschiedliche Streitgegenstände, wie auch das LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21, Bl. 179 ff. d. Senatshefts im Parallelverfahren zutreffend ausgeführt hat. Es liegt aus ähnlichen Gründen schließlich auch keine sog. unzulässige Mehrfachverfolgung (§ 242 BGB) vor, wie der Senat a.a.O. ebenfalls bereits ausgeführt hat. Dem tritt der Verfügungsbeklagte auch nicht mit neuen sachlichen Einwendungen entgegen.

b) Wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung unter Verweis auf einschlägige Fundstellen zutreffend ausgeführt hat – worauf Bezug genommen wird -, ist die hier bereits vor Verfahrensbeginn ausgestellte, nunmehr im Original vorliegende und vom Senat in dem in elektronischen Akten geführten Berufungsverfahren als Papier-Urkunde zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Verfahrensvollmacht (Protokoll, Bl. 224 d. Senatshefts) prozessual ohne weiteres noch vom Berufungsgericht zu berücksichtigen. Die Vorlage der Urkunde war allerdings sachlich geboten, denn § 80 Abs. 1 ZPO gilt richtigerweise auch in einstweiligen Verfügungsverfahren (OLG Saarbrücken v. 30.04.2008 – 1 U 461/07, juris; LG Bochum v. 04.10.2017 – 13 O 136/17, juris), so dass der Nachweis nicht – wie der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers es versucht hat – mittels einer eidesstattlichen Versicherung als Glaubhaftmachungsmittel zu führen war, wie im Schrifttum teilweise angedeutet wird (so Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 80 Rn. 8 unter Verweis auf die dies allerdings nicht tragende Entscheidung des LG Hamburg v. 13.08.2020 – 304 T 10/20, juris; an diese anschließend formstreng auch BGH v. 29.09.2021 – VII ZB 25/20, juris Rn. 15). Angesichts der nunmehr vorliegenden Urkunde - deren Echtheit nicht bestritten ist und die deswegen auch nicht (im Freibeweisverfahren, dazu MüKo-ZPO/Toussaint, 6. Aufl. 2020, § 80 Rn. 18) zu klären war - bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das spontane Erheben der Rüge erst im Termin zur mündlichen Verhandlung im konkreten Fall rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) war, woran mit den Ausführungen des Landgerichts aber durchaus Bedenken bestehen.

2. Es fehlt vorliegend nicht - wie der Verfügungsbeklagte meint - am Verfügungsgrund, denn es liegt kein „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten des Verfügungsklägers bzw. seines – ihm nach allgemeiner Ansicht über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden (OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 m.w.N.) - Verfahrensbevollmächtigten vor, welches zu einer sog. Selbstwiderlegung der Dringlichkeit/Dringlichkeitsvermutung hätte führen können.

a) Als „dringlichkeitsschädliches“ Verhalten ist nur ein solches anzusehen, das erkennen lässt, dass es dem Verfügungskläger mit der Durchsetzung seiner Ansprüche nicht oder nicht mehr so eilig ist, so dass die Durchführung eines Eilverfahrens mit den damit zu Lasten des Verfügungsbeklagten verbundenen Einschränkungen gegenüber einem Klageverfahren einerseits und der Bevorzugung der Sachbehandlung gegenüber anderen bei dem angerufenen Gericht anhängigen Verfahren andererseits nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Dringlichkeitsschädliche Auswirkungen auf den Verfügungsgrund können dabei anerkanntermaßen nicht nur Verhaltensweisen vor Antragstellung, sondern auch solche während des bereits anhängigen Verfahrens bzw. sogar bei der Zwangsvollstreckung haben. Indes liegen hier keine solchen Verhaltensweisen vor.

b) Es kann zunächst nicht daran angeknüpft werden, dass der Verfahrensbevollmächtigte einen (später zurückgezogenen) Antrag auf Fristverlängerung für die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gestellt hat.

aa) Zwar ist der Verfügungskläger nach Aufhebung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung auf Widerspruch hin durch das angefochtene Urteil (wieder) genauso wie vor dem erstmaligen Erlass einer einstweiligen Verfügung „ungesichert“ gewesen (vgl. OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 55), so dass etwaigen Termins- und Fristverlegungsanträgen (außerhalb hier nicht vorliegender besonderer rechtfertigender Umstände, dazu OLG Karlsruhe v. 09.06.2005 – 4 U 164/04, BeckRS 2005, 30357864) kritischer zu begegnen ist, weil mit der Stattgabe solcher Anträge in aller Regel nicht unerhebliche Verfahrensverzögerungen einhergehen, die der Verfügungskläger dann mit seinem Antrag billigend in Kauf nimmt. Soweit dies teilweise so streng gehandhabt wird, dass schon allein ein Verlängerungsantrag für die Berufungsbegründungsfrist um – wie hier – einen Monat schädlich sein soll, selbst wenn diesem Antrag gar nicht entsprochen wird oder er auch sonst keine Folgen hat (so die von der Vorsitzenden in ihrem Hinweis zitierte Entscheidung des OLG München v. 16.09.2021 – 29 U 3437/21 Kart, GRUR-RS 2021, 29384 und möglicherweise auch Kontusch JuS 2012, 323, 326 sowie Schuschke/Roderburg, in: Schuschke u.a., Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, Vor § 935 Rn. 105; beide allerdings nur unter Verweis auf eine dies so nicht tragende Entscheidung des KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692), deckt sich das zwar mit der teils wohl gleichermaßen sehr strengen Handhabung bei Anträgen auf Terminsverlegung (siehe selbst für einen Hilfsantrag in einer mündlicher Verhandlung auf eine kurze Vertagung OLG Düsseldorf v. 10.07.1997 - 2 U 9/97, WRP 1997, 968).

bb) Indes erscheint diese Lesart so pauschal überzogen streng und verstellt den Blick auf die tatsächlich gebotene Einzelfallbetrachtung, zumal die rein prozessualen Möglichkeiten einer Fristverlängerung für Rechtsmittelfristen - die ohnehin primär auf „normale“ Klageverfahren ausgelegt sind - mit der Frage der „Dringlichkeit“ unmittelbar nichts zu tun haben und es allenfalls um indizielle Auswirkungen auf die tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit gehen kann (grundlegend Teplitzky, WRP 2013, 1414 ff.); deswegen ist stets eine Würdigung im Einzelfall geboten (so auch OLG Hamburg v. 21.03.2019 – 3 U 105/18, juris, Rn. 45; gegen Dringlichkeitsschädlichkeit einer prozessual zulässigen Fristverlängerung und –ausschöpfung – überholt – aber sogar noch OLG Hamburg v. 08. Juli 1976 – 3 U 45/76, juris Rn. 38; v. 17.08.1995 – 3 U 87/95, WRP 1996, 27, 28). Mit Blick darauf wird eine Dringlichkeitsschädlichkeit von der herrschenden Meinung nur dann diskutiert, wenn man über den Fristverlängerungsantrag hinaus die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist auch tatsächlich überschritten hat (so OLG München v. 30.06.2016 – 6 U 531/16, GRURRR 2016, 499 Rn. 79 selbst bei nur wenigen Tagen), wobei zumeist zusätzlich eine „nicht unerhebliche“ Verlängerung der Frist vorausgesetzt wird, bei der man die so bewilligte Frist auch „nicht unerheblich“ oder sogar vollständig „ausnutzt“ (so etwa schon Senat v. 19.01.2012 - 15 U 195/11, BeckRS 2012, 5820; siehe ferner OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris Rn. 52 ff.; v. 13.09.2001 – 6 U 79/01, juris Rn. 4 f. – 6 Tage unschädlich; OLG Dresden v. 06.03.2018 – 4 U 1675/17, NJW-RR 2018, 1135 Rn. 7 f.; OLG Hamburg v. 18.08.2017 – 7 U 72/17, BeckRS 2017, 127226 Rn. 2 ff.; OLG Celle v. 17.09.2015 - 13 U 72/15, BeckRS 2016, 17073; KG v. 16.04.2009 - 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692; OLG Düsseldorf v. 15.07.2002 - 20 U 74/02, GRUR-RR 2003, 31; OLG Köln v. 05.07.1999 – 16 U 3/99, BeckRS 1999, 30065637; OLG München v. 09.08.1990 - 6 U 3296/90, GRUR 1992, 328; OLG Naumburg v. 20.09.2012 - 9 U 59/12, MMR 2013, 131, 132 – zwei Wochen unschädlich; siehe allg. auch MüKo-ZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 935 Rn. 22; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1433; Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 54 Rn. 27; Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401; offen Senat v. 18.03.2019 - 15 U 25/19, BeckRS 2019, 22208 bei Verlängerung um eine Woche über Karneval im Rheinland).

cc) Mit Blick darauf und auf die weitere Tatsache, dass es hier um einen Fristablauf kurz nach den Weihnachts-/Neujahrstagen mit einer Urlaubsabwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten ging und zudem nicht gesetzt ist, dass der Verfahrensbevollmächtigte selbst ohne den richterlichen Hinweis der Vorsitzenden (siehe zu dessen Bewertung den Beschluss des Senats vom 17.02.2022 – 15 U 244/21, Bl. 211 ff. d. Senatshefts mit Blick auf § 42 ZPO) die beantragte Frist auch tatsächlich voll ausgeschöpft hätte, ist die indizielle Wirkung (nur) des Antrages aber noch nicht so deutlich, dass in der Gesamtschau schon ein dringlichkeitsschädliches Verhalten anzunehmen wäre. Ist etwa das OLG Frankfurt v. 24.09.2015 – 6 U 60/15, BeckRS 2016, 1414 Rn. 4 in einem ganz ähnlichen Fall – dort sogar nach erfolgter Fristverlängerung - bei auf einen richterlichen Hinweis auf die möglichen Folgen hin zumindest noch zeitnah eingereichter Berufungsbegründung vom Fortbestehen des Verfügungsgrundes ausgegangen, kann vorliegend nichts anderes gelten, zumal hier sogar noch innerhalb der regulären Begründungsfrist reagiert und die Begründung fristgerecht vorgenommen worden ist. Allein auf das bloße Einreichen des Verlängerungsantrages als Indiz für eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzustellen, wäre in einem solchen Fall zu streng (vgl. auch erneut Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401: „Der Ver-längerungsantrag selbst schadet nicht, wenn die beantragte und gewährte Verlängerung nicht oder nur unerheblich ausgenutzt wird.“).

c) Soweit die Berufung – wie gerade ausgeführt - nach Rücknahme des Fristverlängerungsantrages tatsächlich (kurz) vor Ablauf der zweimonatigen Berufungsbegründungsfrist begründet worden ist, wäre selbst ein vollständiges Ausschöpfen dieser prozessualen Frist jedenfalls im Regelfall nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln nicht dringlichkeitsschädlich gewesen (OLG Köln v. 20.12.1996 – 6 U 204/96, NJWE-WettbR 1997, 176; v. 13.12.2002 - 6 U 156/02487, NJOZ 2003, 486, 488; v. 13.12.2002 – 6 U 156/02, BeckRS 2003, 1281 Rn. 11; offen BGH v. 01.07.1999 – I ZB 7/99, juris Rn. 11). Der vorliegende Sachverhalt bietet keinen Anlass für eine strengere Handhabung im Einzelfall.

d) Der Verfügungsbeklagte dringt auch nicht mit der weiteren Erwägung durch, dass die Dringlichkeitsvermutung allgemein eben auch dadurch widerlegt werden kann, dass ein Verfügungskläger in einem auf einen Widerspruch (§ 924 ZPO) hin anberaumten Termin säumig bleibt (vgl. OLG Frankfurt v. 04.09.2020 – 10 U 18/20, NJW-RR 2021, 117 Rn. 19 m.w.N.; jedenfalls bei Ausschöpfen der Einspruchsfrist auch OLG Düsseldorf v. 25.08.2015 - 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904). Denn die Versuche des Verfügungsbeklagten, dem den Fall einer „nicht ordnungsgemäßen Vertretung“ im Termin gleichzustellen, tragen hier gleich mehrfach nicht: Zum einen war tatsächlich eine Prozessvollmacht vor Verfahrensbeginn erteilt und allein der formale Nachweis scheiterte in der besonderen, durch die spontane Rüge i.S.d. § 80 Abs. 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung und die durch die allseitige Teilnahme an diesem Termin nach § 128a Abs. 1 ZPO besonders erschwerten Reaktionsmöglichkeiten. Soweit die Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten meint, dass „ein gewissenhafter Anwalt „auf Nummer sicher gegangen" (wäre) und … jedenfalls die erforderliche Vollmacht zum Nachweis bei sich geführt“ hätte, verkennt sie zum anderen schon ganz grundlegend, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Vollmachtsurkunde tatsächlich „greifbar“ in seiner Kanzlei bei sich hatte und allein das rechtzeitige Verbringen der Urkunde an die richtige Stelle eines der größten Landgerichte der Bundesrepublik in der besonderen Situation der Verhandlung nach § 128a Abs. 1 ZPO zum rein praktischen Problem geworden ist. Hier eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit allein daraus abzuleiten, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers in der Situation im Termin möglicherweise bei prozessual etwas „geschickterem“ Vorgehen noch einen weiteren Fristverlängerungsantrag für die Beibringung (etwa um 30 Minuten) hätte stellen können - was das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung als geeignete Reaktionsmöglichkeit angesprochen hat – und dies versäumt worden ist, ginge nach Auffassung des Senats hier zu weit, zumal man sich ansonsten um eine zeitnahe Vorlage der Urkunde eben durchaus bemüht und diese sogleich auf den Weg zum Landgericht gebracht hatte.

e) Eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit kann schließlich auch nicht mit Blick auf eine angeblich zu zögerliche Vollziehung und Zwangsvollstreckung der vom Senat erlassenen einstweiligen Verfügung angenommen werden. Abstrakt ist das zwar durchaus denkbar, wenn etwa ein mögliches Verfahren nach § 890 ZPO gegen fortbestehende Verletzungen nicht oder nicht zeitnah betrieben wird (vgl. etwa OLG Köln v. 07.04.2017 – 6 U 135/16, GRUR-RR 2018, 95 sowie OLG Frankfurt v. 25.03.2010 - 6 U 219/09, BeckRS 2010, 16885; KG v. 08.04.2011 – 5 U 140/10, BeckRS 2011, 09414). Ein solcher Fall liegt aber hier ersichtlich nicht vor: Mit Blick auf die konkrete „Erstverletzung“ hat der Verfügungskläger die einstweilige Verfügung unstreitig zeitnah vollzogen. Soweit es allein um spätere - sei es inhaltlich vergleichbare - Äußerungen des Verfügungsbeklagten geht, die zu der gesonderten Einleitung eines eigenständigen gerichtlichen Verfahrens in Hamburg geführt haben, hat der Senat bereits im Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte) ausgeführt, dass schon wegen des doch etwas anderen Kontextes dieser Äußerung erhebliche Zweifel an einer „Kerngleichheit“ angebracht waren, weswegen gerade auch keine rechtsmissbräuchliche Mehrfachverfolgung im Raum steht. Mit den gleichen Erwägungen kann das Unterlassen des Versuchs des Erwirkens eines Ordnungsmittelbeschlusses über § 890 ZPO hier aber auch nicht als dringlichkeitsschädliches Verhalten eingeordnet werden, zumal der Verfügungskläger durch sein Vorgehen mit dem zeitnahen Antrag auf Erlass einer weiteren einstweiligen Verfügung in Hamburg gerade deutlich belegt hat, dass ihm an einer umfassenden und zeitnahen Sicherung stets gelegen war.

4. Auch ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers (jedenfalls) aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG ist hier hinreichend glaubhaft gemacht (§§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO).

a) Zur Meidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat zunächst auf den - seinerzeit nach Anhörung des Verfügungsbeklagten sowie nach Einsichtnahme durch den Senat in das zwar von den Parteien bisher nicht vollständig zu den Akten gereichte, damals im Internet gemäß dem Hinweis des Landgerichts vom 19.05.2021 (Bl. 52 d.A.) aber noch frei abrufbare (§ 291 ZPO) Video mit einem ca. 13-minütigen Statement des Verfügungsbeklagten zum Verfügungskläger ergangenen - Beschluss vom 24.06.2021 - 15 W 41/21 (Bl. 290 ff. der Beschwerdeakte). Dies gilt auch mit Blick auf die Fassung des Tenors und die mit Blick auf die beAVolumenbegrenzungen hier noch mögliche Einbettung der Datei (dazu allg. auch Senat v. 12.07.2021 – 15 W 45/21, GRUR-RS 2021, 26526 Rn. 29).

b) Das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten in der Widerspruchsbegründung (Bl. 138 ff. d.A.) und im Berufungsverfahren rechtfertigt nur noch nachstehende ergänzende Ausführungen des Senats:

aa) Soweit der Senat bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung im genannten Beschluss in der Tat noch keine näheren Ausführungen zur Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) gemacht hat, kann dem Video-Posting zwar ein gewisser satirischer Charakter nicht abgesprochen werden, mag das an der konkret streitgegenständlichen Stelle auch weniger zum Ausdruck kommen. Indes ist die Kunstfreiheit anerkanntermaßen nicht schrankenlos gewährt und findet in kollidierenden Grundrechtspositionen Dritter – hier dem Recht der persönlichen Ehre des Verfügungsklägers – ihre Grenzen, wobei die kollidierenden Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz zum schonenden Ausgleich zu bringen sind. Letztlich geht es damit aber auch hier (nur) um eine Abwägungsentscheidung (vgl. etwa OLG Hamburg v. 15.05.2018 - 7 U 34/17, BeckRS 2018, 8374 Rn. 19; dazu BVerfG v. 26.01.2022 – 1 BvR 2026/19, BeckRS 2022, 1484), zu der sogleich näher auszuführen ist; auch Art 5 Abs. 3 GG trägt hier im Ergebnis keine andere Gewichtung. Wegen der eindeutigen Teilbarkeit der streitgegenständlichen Passagen vom Rest des Beitrages (als „Gesamtkunstwerk“) bestehen auch mit Blick auf Art. 5 Abs. 3 GG keine durchgreifenden Bedenken an einem – gegenüber einem sonst alleindenkbaren sog. Gesamtverbot immerhin „milderen“ – Teilverbot eben nur der hier konkret angegriffenen Passage (allg. dazu auch OLG Hamburg a.a.O. Rn. 21 selbst zu einem Gedicht). Die hier fragliche Passage zeichnet sich auch nicht durch ganz besondere satirische Elemente aus, was ggf. die Frage nach einer Trennung von Aussagegehalt und nur satirischer Einkleidung aufwerfen könnte; anderes behauptet auch der Verfügungsbeklagte nicht.

bb) Der Senat lässt mit Blick auf die weiteren Ausführungen des Verfügungsbeklagten zur popkulturellen bzw. im allgemeinen Sprachgebrauch heutzutage üblichen Nutzung des in der Tat vielschichtigen Begriffs „Schwein“ in Fällen mit sexueller Konnotation bzw. egoistischer Triebbefriedigung nunmehr ausdrücklich offen, ob tatsächlich bereits von einer Formalbeleidigung und/oder einer Schmähkritik mit der Folge eines Abwägungsausfalls auszugehen ist; auch die vorgelegte Entscheidung des LG Hamburg im Urt. v. 20.08.2021 – 324 O 265/21 (Bl. 179 ff. d. Senatshefts) hat dies ersichtlich in Frage gestellt. Denn darauf kommt es – wie auch im Termin erörtert – hier nicht entscheidend an: Denn der Senat hat schon bei Erlass der einstweiligen Verfügung ausgeführt, dass ungeachtet der (formalen) Einordnung der Äußerung als Formalbeleidigung oder Schmähkritik (die man deswegen offenlassen könnte) jedenfalls in der Abwägung – diese nur bezogen auf die konkrete Äußerung als konkrete Verletzungsform im hier fraglichen Kontext - die schutzwürdigen Persönlichkeitsrechte des Verfügungsklägers – mag dieser auch nur in seiner sog. Sozialsphäre betroffen sein – ebenfalls überwiegen. Ein solches – mehr oder weniger „vorsorgliches“ - Abstellen auf eine Abwägungsentscheidung (unter Offenlassen eines sonst denkbaren „Abwägungsausfalls“ wegen der Annahme einer Formalbeleidigung/Schmähkritik) entspricht – dies entgegen der im nicht nachgelassenen Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2021 zum Ausdruck Gebrachten - auch der zuletzt u.a. in der sog. „D“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 und 42 ff.) vorgezeichneten Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens in Fällen wie dem Vorliegenden.

cc) Zu der Abwägungsentscheidung kann zunächst dann ebenfalls auf den o.a. Beschluss des Senats und die in dem Parallelverfahren gemachten und gleichlaufenden Erwägungen des Landgerichts Hamburg Bezug genommen werden. Zusammenfassend sei (noch einmal) betont, dass der Senat nicht in Frage stellen will, dass auch eine polemische und „überzogene“ Auseinandersetzung mit dem strafbaren Verhalten des Verfügungsklägers, der nicht nur wegen seiner Rolle als ehemaliger Nationalspieler, sondern gerade auch wegen des greifbaren Kontrastes seines Verhaltens zu seinem früheren sozialen Engagement für Kinderrechte keinesfalls pauschal zu sanktionieren wäre. Ganz im Gegenteil muss sich der Verfügungskläger die kritische Würdigung im Grundsatz gefallen lassen. Auch steht außer Frage, dass die aus Anlass der Verurteilung versuchte „Selbstinszenierung“ des Verfügungsklägers als ein „Medienopfer“– ungeachtet aller möglichen Auswüchse von manchen Presseorganen – ebenso Anlass zu Kritik bieten mag wie die auch aus den Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsklägers im Termin vor dem Senat wieder ableitbaren, eher durchschaubaren Versuche, das Verhalten des Verfügungsklägers in Ansehung der inhaltlich nicht bestrittenen Chatverläufe „schönzufärben“ oder gar den damals beteiligten Zeuginnen eine Schuld am Gesamtgeschehen zuzuweisen bzw. entsprechende Mutmaßungen über deren Geltendmachung von Zeugnisverweigerungsrechten im Strafverfahren anzustellen. Auch der von einem „agent provocateur“ – sei es auch unter dem behaupteten Einfluss von Bekannten, Polizei und/oder gar Presseorganen – zu einer Straftat veranlasste Straftäter ist und bleibt im Zweifel ein Straftäter bzw. muss sich – selbst wenn es strafrechtliche Bedenken gegen eine Verurteilung gegeben hätte (wie nicht) – zumindest dennoch der kritischen Würdigung seines tatsächlichen Verhaltens stellen, für das eine Rechtfertigung zu finden auch dem Senat ausdrücklich nicht möglich ist. Indes bedeutet dies – dies entgegen den engagierten Ausführungen der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten im Termin und im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022 – keinen „Freibrief“ auch für grenzenlos übersteigerte und die Person des Betroffenen in ihrem sozialen Geltungsanspruch tief treffende Äußerungen; genau um eine solche geht es aber hier.

(1) In der Abwägung bedarf es dabei stets einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören (vgl. etwa BVerfG v. 19.12.2021- 1 BvR 1073/20, juris Rn. 30 m.w.N.). Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (BVerfG a.a.O. Rn. 31 m.w.N.). Treten so etwa selbst bei einem Politiker etwaige Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen einer öffentlichen Debatte zurück, wenn es um eine ins Persönliche gehende Beschimpfung und eine auf die Person abzielende öffentlichen Verächtlichmachung geht (BVerfG a.a.O. Rn. 34), sind ganz allgemein kritische Äußerungen umso weniger schutzwürdig, je mehr sie sich von einem Meinungskampf in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen wegbewegen und die Herabwürdigung der betreffenden Personen in den Vordergrund tritt (BVerfG a.a.O. Rn. 34). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann nach den Umständen des Falles dann insbesondere auch erheblich sein, ob sie ad hoc in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert - in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – durchaus die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit (BVerfG a.a.O. Rn. 36). Ebenfalls bei der Abwägung in Rechnung zu stellen ist stets auch die konkrete Verbreitung und Wirkung einer Äußerung, wobei Form und Begleitumstände der Kommunikation maßgeblich sind und der Adressatenkreis, die Frage der Perpetuierung eines Eingriffs und auch die Breitenwirkung einer Internetpublikation (BVerfG a.a.O. Rn. 37).

(2) Unter Berücksichtigung dieser Prämissen bleibt es auch mit Blick auf das weitere Vorbringen des Verfügungsbeklagten und auch das oben zu Art. 5 Abs. 3 GG Gesagte bei dem bereits aufgezeigten Abwägungsergebnis.

(a) Selbst wenn man zu Gunsten des Verfügungsbeklagten in Rechnung stellt, dass er in einem bundesweit für Aufsehen sorgenden und gesetzliche Reformen im Strafrecht beeinflussenden Strafverfahren tagesaktuell kritisch Position bezogen haben mag und – wie aufgezeigt – der Verfügungskläger selbst hinreichenden Anlass für eine solche Kritik gegeben hat, wurden an der hier fraglichen Stelle des Postings - auch nach Mimik, Gestik und Ausdruck, wobei eben Wort-/Bildberichterstattungen anerkanntermaßen in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind – sprichwörtlich „alle Hemmungen fallengelassen“ und der Bogen schlichtweg „überspannt.“ Es geht dabei – dies entgegen dem Standpunkt der Verfahrensbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten – nicht darum, dass die Ausführungen des Senats zum „virtuellen Marktplatz“ eigentlich doch dazu führen müssten, das - konsequent zu Ende gedacht – das gesamte ca. 13-minütige Statement des Verfügungsbeklagten insgesamt zu verbieten sei. Die Widerspruchsbegründung (S. 30 = Bl. 167 d.A.) sieht nämlich selbst den Unterschied gerade im Duktus der angegriffenen Stelle („Was allein bleibt, ist der - so man es so betrachten will - vermeintlich schärfere Wortlaut.“); genau dies ist aber – wie ausgeführt – das Problem.

(b) Da dem durchschnittlichen „Follower“ des Verfügungsbeklagten die vorangegangenen öffentlichen Auseinandersetzungen unter den Parteien auch schwerlich verborgen geblieben sein können, fällt dabei aber gerade die (erneute) Verwendung (ausgerechnet) des Terminus „krankes Schwein“, der in anderem Kontext bereits zu Lasten des Verfügungsbeklagten streitentscheidend gewesen ist (Senat v. 13.10.2020 – 15 W 46/20, GRUR-RS 2020, 46637 Rn. 12), deutlich ins Gewicht. Es geht hier nicht etwa um eine in einer emotionalen Situation möglicherweise aufgrund einer verständlichen Erregung (nur) im Einzelfall entgleisende scharfe Formulierung, sondern vielmehr um das ganz bewusstes Kalkül eines offenkundig Uneinsichtigen, der mit dem schon damals plakativ genutzten, einprägsamen und in die Öffentlich getragenen Passus offenbar hier nur (erneut) „Stimmung machen“ wollte, um auf dem „virtuellen Marktplatz“ vor dem Gerichtsgebäude zur Stimmungsmache unter seinen Anhängern nochmals mit deutlich abschätzender Mimik und Gestik den Stab über dem Verfügungskläger zu brechen. Dass der Verfügungsbeklagte gerade um die ihm im Zusammenhang mit einer Verdachtsäußerung bereits einmal vom Senat untersagte Bezeichnung als „krankes Schwein“ ringt und mit der damaligen prozessualen „Niederlage“ offenbar hadert, zeigt plastisch das „Nachtatverhalten“ zum hiesigen Vorfall, welches zu dem weiteren Verfahren vor dem Landgericht Hamburg geführt hat und in dem auch die dortige Kammer nur eine überzogene und in der Abwägung nicht hinnehmbare (wiederholte) Kränkung mit der bewussten und öffentlich bekannt gewordenen Formulierung gesehen hat.

(c) Verstärkt wird das Vorgenannte im konkreten Zusammenhang zudem dadurch, dass sich der Verfügungsbeklagte zusätzlich noch aus dem Nichts heraus in haltlosen Spekulationen (auch) über angeblich mögliche Missbrauchshandlungen des Verfügungsklägers (auch) im Ausland („Osteuropa, Asien“) verliert, zu denen weder das Strafverfahren noch sonstige tatsächliche Umstände Anlass boten. Dies kann man möglicherweise in Abgrenzung zu einer Auseinandersetzung (nur) mit den abstoßenden Inhalten der im Termin vor dem Senat inhaltlich nicht bestrittenen „Chatverläufe“ des Verfügungsklägers sehen, die möglicherweise Rückschlüsse zumindest auf ein „Weiter-Denken“ des Verfügungsklägers im Hinblick auch auf körperliche Missbrauchshandlungen von Kindern bieten mögen (vgl. dazu auch S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 23.06.2021 = Bl. 163 ff. der Beschwerdeakte sowie Anlage ASt 5, Bl. 192 ff. d.A. und den nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2022, Bl. 226 ff. d. Senatshefts). Jedenfalls dieser weitere (haltlose) Angriff mit dem Vorwerfen etwaiger Auslandsstraftaten zeigt aber, dass es im vorliegenden Kontext mit dem darin liegenden Bedienen üblicher „Klischee-Vorstellungen“ zu „Triebtätern“ und deren Verhalten etwa im asiatischen Ausland nur um eine besondere Herabsetzung des damals frisch verurteilten Verfügungsklägers ging, hinter der das öffentliche Interesse an einer (unbestreitbar möglichen) kritischen Würdigung von Tat, Täter, Gerichtsverfahren und Umgang des Täters mit der Strafe (nur) im vorliegenden Einzelfall zurücktritt. Diese Umstände lassen den Begriff „krankes Schwein“ - ungeachtet des sonst vom Verfügungsbeklagten reklamierten Bedeutungswandels dieses Begriffs – jedenfalls hier weiterhin als übermäßigen Eingriff in die Rechte des Verfügungsklägers erscheinen, den dieser im konkreten Kontext in der Gesamtabwägung nicht mehr hinzunehmen hat. Ob man sonst das Schwein in der christlichen Lehre mit der Unzucht, Völlerei und den sog. Todsünden in Verbindung gebracht hat und es zu einer kulturell-religiös gewachsenen Symbolfigur für das Triebhafte geworden ist, spielt insofern dann auch keine entscheidende Rolle mehr.

(d) Dem Verfügungsbeklagten soll – was der Senat a.a.O. bereits zum Ausdruck gebracht hat - ansonsten auch ausdrücklich nicht die Möglichkeit genommen werden, sich kritisch mit dem Verfügungsklägers und seinem strafbaren Verhalten bzw. seinem Umgang mit der Verurteilung auseinanderzusetzen. Dass in anderem sprachlichen Duktus und anderer Einkleidung u.U. dann auch ähnlich scharfe Begrifflichkeiten bzw, „schweinisches“ oder „krankes“ Verhalten vorgeworfen werden könnten, ist Frage des Einzelfalles und hier nicht allgemein zu entscheiden. Vorliegend jedenfalls tritt das sachliche Anliegen des Verfügungsbeklagten aber – ungeachtet des tagesaktuellen Anlasses seiner Äußerungen und dem möglicherweise im Kern auch berechtigten Sachanliegen jedenfalls derart in den Hintergrund, dass sich die Äußerung letztlich in einer persönlichen Kränkung erschöpft.

5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Verfügungsbeklagten vom 23.02.2022 (Bl. 226 ff. d. Senatshefts) rechtfertigt keine andere Sichtweise und trägt keine – im Verfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohnehin regelmäßig ausgeschlossene (Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 55 Rn. 19) – Wiedereröffnung nach § 525 S. 1, 156 Abs. 1 oder 2 ZPO.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


OLG Schleswig-Holstein: Instagram muss dem Geschädigten bei Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail und Telefonnummer des Nutzers geben

OLG Schleswig-Holstein
Beschluss vom 23.03.2022
9 Wx 23/21


Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass Instagram dem Geschädigten bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung Auskunft über E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Nutzers geben muss.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Auskunftsanspruch gegen Betreiberin einer Social-Media-Plattform bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Die Betreiberin der Plattform www.instagram.com ist verpflichtet, über den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer eines Nutzers Auskunft zu erteilen, wenn durch den Inhalt des Nutzer-Accounts eine strafrechtlich relevante Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfolgt. Dem Auskunftsantrag einer verletzten Person hat der 9. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in dieser Woche stattgegeben.

Zum Sachverhalt: Eine der Antragstellerin unbekannte Person eröffnete zu einem unbekannten Zeitpunkt einen Account auf der Social-Media-Plattform „Instagram“ mit einem Nutzernamen, der den Vornamen der Antragstellerin und die Angabe „wurde gehackt“ enthielt. In den Account wurden Bilder eingestellt, die eine lediglich mit Unterwäsche bekleidete junge Frau zeigten, deren Gesicht jeweils durch ein Smartphone verdeckt war. Auf den Fotos waren Äußerungen zu lesen, die den Eindruck erweckten, die abgebildete Person sei an einer Vielzahl von sexuellen Kontakten interessiert. Nachdem die Antragstellerin von anderen Personen erkannt und auf den Inhalt des Accounts angesprochen worden war, meldete sie das Konto bei der Plattformbetreiberin und es wurde gesperrt. Das Landgericht hat ihren Antrag, Auskunft über die Nutzungsdaten zu erteilen, abgelehnt. Die gegen diese Ablehnung gerichtete Beschwerde vor dem 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hatte im Hinblick auf den Namen, die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer des Nutzers Erfolg.

Aus den Gründen: Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Auskunftserteilung über Bestandsdaten gegenüber der Betreiberin der Social-Media-Plattform „Instagram“ nach § 21 Abs. 2, Abs. 3 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG). Ein solcher Auskunftsanspruch besteht, soweit die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Vorliegend erfüllen die Schaffung des Fake-Accounts und das Einstellen der Fotos mit Kommentaren im Zusammenhang gesehen den Tatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 StGB. Durch das Erstellen des Fake-Accounts und Hochladen der Fotos nebst Kommentaren wird suggeriert, die Antragstellerin wolle sich auf diese Weise zur Schau stellen und den Besuchern der Seite ihr sexuelles Interesse mitteilen. Dadurch, dass ihr diese unsittliche Verhaltensweise zugeordnet wird, wird der soziale Geltungswert der Antragstellerin gemindert. Dies stellt eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB dar. Um ihre Rechte gegenüber dem unbekannten Ersteller des Fake-Accounts zivilrechtlich geltend machen zu können, ist die Antragstellerin auf die Auskunft der Betreiberin der Plattform angewiesen. Eine andere Möglichkeit, den Ersteller des Nutzerkontos zu ermitteln, hat sie nicht.

(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23.03.2022, Az. 9 Wx 23/21).


IHK-Magazin - Ostwestfälische Wirtschaft - Interview mit Rechtsanwalt Marcus Beckmann zur BGH-Rechtsprechung zum Influencer-Marketing bei Instagram und Co.

In Ausgabe Januar/Februar 2022, Seiten 36-37 des IHK-Magazins - Ostwestfälische Wirtschaft erschien ein Interview mit Rechtsanwalt Marcus Beckmann zur BGH-Rechtsprechung zum Influencer-Marketing bei Instagram und Co.

BGH: Unzulässige Schleichwerbung durch Instagram-Influencerin - Tap Tags mit Verlinkung auf andere Unternehmen bei werblichem Überschuss sind Werbung

BGH
Urteil vom 13.01.2022
I ZR 9/21


Der BGH hat seine Rechtsprechung zur Pflicht zur Werbekennzeichnung von Instagram-Beiträgen mit dieser Entscheidung weiter präzisiert und nochmals entschieden, dass Tap Tags mit Verlinkung auf andere Unternehmen bei werblichem Überschuss des jeweiligen Beitrags Werbung sind und die jeweiligen Beiträge als Werbung zu kennzeichnen sind.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

BGH: Werbung bzw. kommerzielle Kommunikation auch dann wenn Influencer die von ihm vorgestellten Produkte lediglich kostenlos zur Verfügung gestellt wurden

BGH
Urteil vom 13. Januar 2022
I ZR 35/21
Influencer III
Richtlinie 2000/31/EG Art. 2 Buchst. f, Art. 6 Buchst. a; Richtlinie 2010/13/EU Art. 11; UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 4, § 5a Abs. 6, § 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 2; TMG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2 Satz 1 Nr. 1 und 5, § 6 Abs. 1 Nr. 1; RStV § 58 Abs. 1 Satz 1; MStV § 22 Abs. 1 Satz 1


Der BGH hat entscheiden, dass auch dann Werbung bzw. kommerzielle Kommunikation vorliegt, wenn einem Influencer die von ihm vorgestellten Produkte lediglich kostenlos zur Verfügung gestellt werden und keine weitere Vergütung erfolgt.

Leitsatz des BGH:
Fördert eine Influencerin durch einen Bericht über Waren oder Dienstleistungen in sozialen Medien (hier: Instagram) den Absatz eines fremden Unternehmens, so handelt es sich um kommerzielle Kommunikation im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 5 Buchst. b TMG und Werbung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 7 RStV und § 2 Abs. 2 Nr. 7 MStV, wenn ihr die Waren oder Dienstleistungen von dem
durch den Bericht begünstigten Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt wurden (Fortführung von BGH, Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 90/20, GRUR 2021, 1400 = WRP 2021, 1415 - Influencer I; Urteil vom 9. September 2021 - I ZR 125/20, GRUR 2021, 1414 = WRP 2021, 1429 - Influencer II).

BGH, Urteil vom 13. Januar 2022 - I ZR 35/21 - OLG Köln - LG Köln

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

OLG Karlsruhe: Facebook darf Nutzeraccount regelmäßig nur nach vorheriger Abmahnung aus wichtigem Grund kündigen

OLG Karlsruhe
Urteil vom 04.02.2022
10 U 17/20


Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass Facebook ein Nutzeraccount regelmäßig nur nach vorheriger Abmahnung aus wichtigem Grund kündigen darf.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

„Facebook“ darf Nutzeraccount nur in Ausnahmefällen ohne vorherige Abmahnung kündigen

Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Urteil vom 4. Februar 2022 der Berufung eines Nutzers des sozialen Netzwerks „Facebook“ gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgerichts Mannheim vom 24. Juni 2020 weitgehend Folge gegeben.

„Facebook“ hatte im Sommer 2019 in zwei Fällen Beiträge des Klägers mit Bezug zur sogenannten „Identitären Bewegung“ gelöscht und das Nutzerkonto des Klägers jeweils vorübergehend gesperrt. Nach einem weiteren Posting des Klägers im Januar 2020 wurde sein Account dann dauerhaft deaktiviert. Dafür hatte sich das soziale Netzwerk auf Verstöße des Klägers gegen die Nutzungsbedingungen in Verbindung mit den „Gemeinschaftsstandards“ berufen, die unter anderem die Unterstützung von „Hassorganisationen“ verbieten.

Die Klage auf Unterlassung dieser Löschungen und vorübergehenden Kontensperrungen sowie auf eine Reaktivierung des Nutzerkontos hatte in zweiter Instanz überwiegend Erfolg.

Hinsichtlich der Löschung von Beiträgen und der vorübergehenden Sperrung des Accounts hat der Senat festgestellt, dass diese Maßnahmen nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von „Facebook“ in der maßgeblichen Fassung vom 19.4.2018 unzulässig waren. Zwar ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks dazu berechtigt, seinen Nutzerinnen und Nutzern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver und überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, auch wenn diese über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Er darf sich dabei auch das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards einzelne Beiträge zu entfernen oder den Netzwerkzugang zu sperren. Der Anbieter des sozialen Netzwerks muss jedoch in seinen Geschäftsbedingungen sicherstellen, dass der Nutzer über die Entfernung eines Beitrags jedenfalls unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab informiert und ihm der Grund dafür mitgeteilt wird. Der Nutzer muss dann die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, an die sich eine erneute Entscheidung des Anbieters mit der Option anschließt, einen entfernten Beitrag auch wieder zugänglich zu machen. Diesen Anforderungen werden die maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von „Facebook“ aber nicht gerecht, weil darin kein verbindliches Verfahren vorgesehen ist, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können. Die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat der Senat daher für unwirksam erachtet und sich mit dieser Einschätzung bereits ergangenen Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2021 (Aktenzeichen: III ZR 179/20 und III ZR 192/20) angeschlossen.

Nur wenn der Kläger strafbare Inhalte gepostet hätte, was aber nicht der Fall war, wäre eine Löschung dieser Beiträge und eine Sperrung des Nutzerkontos dennoch möglich gewesen. Denn bei strafbaren Inhalten ist der Anbieter eines sozialen Netzwerks bereits aufgrund der gesetzlichen Vorgaben im Telemediengesetz und im Netzwerkdurchsetzungsgesetz zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet.

Auch die Kündigung des Nutzungsvertrags durch „Facebook“ hielt der rechtlichen Überprüfung durch den 10. Zivilsenat nicht stand. Zwar darf ein Nutzungsvertrag bei Verstößen gegen Kommunikationsstandards beendet werden, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Eine vorherige Abmahnung ist aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich, etwa bei besonders gravierenden Vertragsverletzungen oder bei offensichtlicher Zwecklosigkeit der Abmahnung. Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen der Parteien ist es in der Regel erforderlich, dass der Nutzer vorab über die beabsichtigte Kündigung des Nutzervertrags informiert, ihm den Grund hierfür mitgeteilt und ihm eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird.

In dem vom 10. Zivilsenat zu entscheidenden Fall hatte „Facebook“ vor der Kündigung des Nutzungsvertrags nicht wirksam abgemahnt. Die vorangegangenen Beitragslöschungen und Kontosperrungen waren wegen der festgestellten Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen rechtswidrig gewesen. Sie waren daher keine ordnungsgemäße Abmahnung. Die Abmahnung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Eine endgültige und ernsthafte Weigerung des Klägers, sich künftig an die vertraglichen Vereinbarungen zu halten, oder sonstige besondere Umstände, die eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung unzumutbar erscheinen ließen, lagen nicht vor. Insbesondere enthielten die Beiträge des Klägers keinen strafbaren Inhalt. Eine besonders gravierende Vertragsverletzung war daher nicht gegeben.

Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 4.2.2022, Aktenzeichen: 10 U 17/20
Vorinstanz: Landgericht Mannheim, Urteil vom 24.6.2020, Aktenzeichen: 14 O 140/19



OLG Celle: Zu den Ansprüchen eines Nutzers gegen Facebook bei rechtswidriger Sperrung und Löschung von Beiträgen

OLG Celle
Urteil vom 20.01.2022
13 U 84/19


Das OLG Celle hat sich in dieser Entscheidung mit den Ansprüchen eines Nutzers gegen Facebook bei rechtswidriger Sperrung und Löschung von Beiträgen befasst.

Leitsätze des Gerichts:

1. Zu den Ansprüchen des Nutzers eines sozialen Netzwerks, wenn dessen Anbieter - auf der Grundlage unwirksamer Klauseln seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen - einen Beitrag des Nutzers gelöscht und sein Nutzerkonto zeitweise gesperrt hat (im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2021- III ZR 179/20 und III ZR 192/20).

2. Ist die Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Anbieters eines sozialen Netzwerks, die ihn zur Löschung von Nutzerbeiträgen berechtigt, unwirksam, ergibt sich ein Recht zur Löschung nicht rechtswidriger Beiträge auch nicht im Wege ergänzender Vertragsauslegung.

3. Dem Anspruch des Nutzers auf Freischaltung eines vertragswidrig gelöschten Beitrages kann der Anbieter auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Geltendmachung des Anspruchs sei treuwidrig, weil der Beitrag gegen die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks verstoße und der Nutzer daher seinerseits zur Löschung des wieder freigeschalteten Beitrags verpflichtet wäre (Rückgewähreinwand aus § 242 BGB - „Dolo-agit-Einwand“).


Aus den Entscheidungsgründen:
I. Internationale Zuständigkeit

Die deutschen Gerichte sind gemäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Var. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) international zuständig (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 24).

II. 1. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB einen Anspruch darauf, die von ihr gelöschten Beiträge wieder freizuschalten.

a) Die Beklagte hat durch die vorgenommene Löschung der Posts ihre vertraglichen Pflichten aus dem Nutzungsvertrag verletzt. Sie war zur Löschung der Beiträge nicht berechtigt.

aa) Es besteht kein Recht der Beklagten zur Löschung der streitgegenständlichen Beiträge des Klägers gemäß Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 der Gemeinschaftsstandards. Denn der dort bestimmte Entfernungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20, Rn. 30, 51 ff.). Der Senat folgt der Beurteilung des Bundesgerichtshofs in der vorgenannten Entscheidung.

bb) Die Beklagte war auch nicht deshalb zur Entfernung der Beiträge des Klägers berechtigt, weil diese einen strafbaren Inhalt enthielten.

Zwar ist die Beklagte gehalten, unverzüglich tätig zu werden, um strafbare Inhalte in ihrem sozialen Netzwerk zu entfernen oder zu sperren, sobald sie Kenntnis von Tatsachen oder Umständen erlangt hat, aus denen die Rechtswidrigkeit der Beiträge offensichtlich wird (BGH, aaO, Rn. 98).

Eine Strafbarkeit der streitgegenständlichen Beiträge ist jedoch nicht gegeben und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

cc) Ein Recht zur Löschung der Beiträge ergibt sich auch nicht aus dem sonstigen Vertragsrecht. Es kommt insbesondere nicht in Betracht, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an Stelle der unwirksamen AGB-Klausel ein grundrechtskonformes Löschungsrecht zu setzen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine ergänzende Vertragsauslegung bei Verbraucherverträgen - im Anwendungsbereich der Klauselrichtlinie - überhaupt erfolgen darf (dagegen: BeckOK BGB/H. Schmidt, 59. Ed. 1.8.2021, § 306 Rn. 10). Denn jedenfalls kommt bei unwirksamen AGB eine ergänzende Vertragsauslegung - bei Fehlen gesetzlicher Vorschriften, die an die Stelle der unwirksamen Klausel treten (§ 306 Abs. 2 BGB) - nur ganz ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn die ersatzlose Streichung der Klausel zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Vertragspartners des Verwenders verschieben würde, so dass diesem ein Festhalten an dem lückenhaften Vertrag nicht zuzumuten wäre (BGH, Urteil vom 15. Februar 2019 – V ZR 77/18, Rn. 18).

Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Die Beklagte kann weiterhin strafbare Nutzerbeiträge löschen (s.o.). Im Fall von Beiträgen, die lediglich gegen ihre Gemeinschaftsstandards verstoßen, kann sie den Nutzer außergerichtlich zur Löschung auffordern und ihn gegebenenfalls gerichtlich auf Löschung in Anspruch nehmen. Bei beharrlichen, schweren Verstößen kann sie auch den Nutzungsvertrag kündigen (§ 314, § 626 BGB).

Soweit die Beklagte in einem Parallelverfahren auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung bei einer unwirksamen Zinsänderungsklausel eines Sparvertrages verwiesen hat (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2021 – XI ZR 234/20), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Lücke, die dort durch die unwirksame Zinsänderungsklausel - bei gleichzeitiger Wirksamkeit der Vereinbarung über die Variabilität der Zinshöhe - entstanden ist, musste zur Durchführung des Sparvertrags zwingend durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden (aaO Rn. 41). Eine vergleichbare Sachlage besteht im Streitfall nicht, weil der Nutzungsvertrag ohne weiteres auch ohne die unwirksamen Regelungen zur Löschung und Sperrung durchführbar ist.

b) Dem aus der vertragswidrigen Löschung folgenden Anspruch auf Wiederherstellung der Posts kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Kläger sich treuwidrig verhält (§ 242 BGB), weil er - wegen eines Verstoßes gegen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten - seinerseits zur Löschung der Beiträge verpflichtet sein könnte.

Zwar wird aus § 242 BGB der sog. Rückgewährseinwand hergeleitet. Wer etwas verlangt, was er sofort zurückgeben muss, handelt grundsätzlich treuwidrig („Dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“) (BeckOGK/Kähler, 1.8.2021, BGB § 242 Rn. 1358). Jedoch gilt dieser Rückgewährseinwand nicht unbeschränkt, wie sich bereits aus § 863 BGB ergibt. So kann der Rückgewährseinwand keine Grundlage sein, um die Voraussetzungen einer Selbsthilfe nach § 229 BGB zu unterlaufen und den Eingriff in fremde Rechte mit der Begründung zu ermöglichen, im Ergebnis sei die auf diese Weise hergestellte Lage richtig (aaO, Rn. 1364). Setzt sich jemand absichtlich über ein fremdes Recht hinweg, um einen Anspruch durchzusetzen, reduziert sich sein Treueanspruch. Nach dem Rechtsgedanken des § 863 BGB ist ihm dann je nach Schwere des Treueverstoßes der Rückgewähreinwand zu versagen, auch wenn er damit den Rückgewähranspruch nicht endgültig verliert (aaO).

Im Streitfall ist die Klausel der Nutzungsbedingungen der Beklagten, mit der sie sich ein Löschungsrecht ausbedungen hat, unwirksam, weil sie dem Nutzer im Zuge der Löschung des Beitrags und der vorübergehenden Sperrung seines Accounts keine Verfahrensrechte einräumt, die - bei der gebotenen Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechtspositionen der Parteien - der Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer und dem Gleichbehandlungsgebots hinreichend Rechnung tragen und zu einem interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen führen (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 –, Rn. 83 ff.). Mit dem gebotenen „Grundrechtsschutz durch Verfahrensrecht“ wäre es unvereinbar, wenn dem Anspruch des Nutzers auf Wiederherstellung des Beitrags der Rückgewährseinwand entgegengehalten werden könnte und die Beklagte somit im Ergebnis sanktionslos vertragswidrig Beiträge löschen könnte. Vielmehr muss der Rechtsgedanke des § 863 BGB entsprechend zum Tragen kommen, sodass die Beklagte darauf zu verweisen ist, etwaige Löschungsansprüche gegen ihre Nutzer zunächst außergerichtlich und dann ggf. auf dem Rechtsweg geltend zu machen.

2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 BGB auch ein Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Kontosperrung und Löschung der Beiträge bei deren erneuter Einstellung zu.

a) Die Beklagte hat - wie ausgeführt - durch die Entfernung der Beiträge des Klägers gegen ihre Vertragspflichten verstoßen. Dasselbe gilt für die Sperrungen des Nutzerkontos des Klägers. Auch insofern war die Beklagte infolge der Unwirksamkeit des Entfernungs- und Sperrungsvorbehalts in Nr. 3.2 der Nutzungsbedingungen zu der von ihr ergriffenen Maßnahme nicht berechtigt (BGH, aaO, Rn. 101).

b) Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch folgt jedenfalls dann aus § 280 Abs. 1 BGB, wenn die Beklagte bereits einmal ihre Pflichten aus dem - fortbestehenden - Vertragsverhältnis verletzt hat und die Vertragsverletzung - in Gestalt der Entfernung des Beitrags des Klägers - teilweise noch andauert (BGH, aaO, Rn. 102).

c) Für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (vgl. zum Erfordernis:

BGH, aaO, Rn. 103) spricht aufgrund der bereits begangenen Pflichtverletzungen der Beklagten eine tatsächliche Vermutung. Anhaltspunkte für eine Widerlegung der Vermutung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

3. Die Berufungsanträge zu 3 und 5 (Feststellung) sind als Zwischenfeststellungsanträge gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die Anträge sind auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet. Ob die Beklagte nicht zu den Löschungen und Sperrungen berechtigt war, betrifft nicht bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, sondern das Nichtbestehen eines Rechtverhältnisses (vgl. zur Abgrenzung BGH, Urteil vom 17. Juni 2016 – V ZR 272/15, Rn. 9 f.). Eines Feststellungsinteresses bedarf es gemäß § 256 Abs. 2 ZPO nicht, weil es sich um entscheidungserhebliche Vorfragen der Unterlassungsanträge handelt.

Aus den vorstehend genannten Gründen sind die Feststellungsanträge auch begründet.

III. Im Übrigen ist die Klage - unabhängig von der Zulässigkeit der Löschung und Sperrung - unbegründet.

1. Der Berufungsantrag zu 2 (Datenberichtigung) ist unbegründet.

Ein Anspruch auf Datenberichtigung besteht - unabhängig von der Zulässigkeit der Maßnahmen - nicht.

Gemäß Art. 16 DS-GVO kann der Betroffene die Berichtigung ihn betreffender unrichtiger personenbezogener Daten verlangen.

Soweit die Beklagte die vorgenommene Löschung und Sperrung in ihrem Datenbestand vermerkt hat, handelt es sich aber nicht um unrichtige Daten, denn die Löschung und die Sperrung sind unstreitig vorgenommen worden. Es ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Frage, ob die Löschung und Sperrung sich als rechtmäßig erwiesen haben, Gegenstand eines weiteren gespeicherten Datensatzes ist.

Jedenfalls kann auch insoweit keine Berichtigung verlangt werden, weil es sich nicht um eine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsache, sondern um eine rechtliche Bewertung handelt. Werturteile von Privaten sind grundsätzlich schon wegen des Schutzes der Meinungsfreiheit aus dem Anwendungsbereich der Berichtigungspflicht ausgenommen, soweit sie keine Tatsachenbestandteile enthalten (BeckOK DatenschutzR/Worms, 34. Ed. 1.8.2020, DS-GVO Art. 16 Rn. 54).

Der Beklagten kann es nicht verwehrt werden, ihre Auffassung zu vermerken, Löschung und Sperrung seien rechtmäßig gewesen. Mit einer solchen Speicherung ist allerdings kein Präjudiz für die Frage der Rechtmäßigkeit verbunden. Über diese Frage wird bereits durch die Feststellungsanträge verbindlich entschieden. Die Verurteilung zur Datenberichtigung hätte keine weiterreichende Bindungswirkung für die Beklagte, etwa wenn sie bei der Sanktionierung weiterer Verstöße für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf die Zahl der zuvor begangenen Verstöße abstellt. Für eine solche Bindungswirkung, die über die materielle Rechtskraft des Urteils hinausgeht, besteht keine rechtliche Grundlage. Es existiert keine Regelung, dass die gespeicherten Daten verbindlich für die Beurteilung der Rechtslage sind.

2. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche (Berufungsanträge zu 9 und 10) bestehen ebenfalls nicht.

a) Die unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben begründete Auskunftspflicht stellt eine Nebenverpflichtung dar und setzt daher im Regelfall einen dem Grunde nach feststehenden Leistungsanspruch voraus (MüKoBGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, BGB § 260 Rn. 15). Die anspruchsbegründenden Merkmale des Anspruchs müssen also gegeben sein, lediglich der Anspruchsinhalt, den zu bestimmen die Auskunft benötigt wird, darf offen sein. Freilich muss die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass nach dem Ergebnis der Auskunft etwas zu fordern bleiben wird. Besteht der Leistungsanspruch z.B. in einem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, so müssen sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, einschließlich Verschulden, gegeben sein; nur für die Schadensentstehung genügt Wahrscheinlichkeit. Generell kann nur derjenige Auskunft verlangen, der durch das Verhalten desjenigen, von dem er Auskunft will, oder in sonstiger Weise bereits in seinem bestehenden Recht so betroffen ist, dass nachteilige Folgen für ihn ohne die Auskunftserteilung zu besorgen sind (aaO).

b) Im Streitfall ist von vornherein - unabhängig von der Zulässigkeit der Löschung und Sperrung - nichts für eine Haftung etwaiger, von der Beklagten beauftragter Dritter ersichtlich. Das Nutzungsverhältnis, aus dem sich die - vertraglichen - Ansprüche des Klägers ergeben, besteht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits. Von der Beklagten beauftragte Dienstleister sind hieran nicht beteiligt. Auch ein deliktischer Anspruch kommt nicht in Betracht. Die angegriffenen Maßnahmen stellen keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Die Möglichkeit, auf F... Kommentare abzugeben, ist kein deliktsrechtlich geschützter Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Auch eine sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB ist nicht im Ansatz erkennbar.

c) Auch für einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland ist nichts ersichtlich. Es handelt sich bei der vermuteten Einflussnahme der Bundesregierung um reine Mutmaßungen des Klägers ohne jede Tatsachengrundlage. Die im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgenommene Regulierung ist ohne Belang für die Frage, inwiefern die Beklagte Beiträge löscht und mit Sperrungen ahndet, die keine rechtswidrigen Inhalte nach § 1 Abs. 3 NetzDG darstellen.

3. Der Berufungsantrag zu 11 (Zahlung) ist unbegründet.

a) Der Zahlungsantrag ist nunmehr zulässig, nachdem der Kläger den Antrag in der Berufungsverhandlung mit der Maßgabe gestellt hat, dass in erster Linie der Schaden wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geltend gemacht wird, hilfsweise in zweiter Linie der Schaden wegen vertraglicher Ansprüche (fiktive Lizenzgebühr) und weiter hilfsweise in dritter Linie der Schaden wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung.

Der ursprüngliche Zahlungsantrag ist unzulässig, weil es sich um eine - unzulässige - alternative Klagehäufung handelt (vgl. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, § 260 Rn. 22). Seinen Zahlungsantrag hat der Kläger alternativ auf verschiedene Gesichtspunkte gestützt (immaterielle Entschädigung für die Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die Kontosperrung, Vermögensschaden durch die unberechtigte Verwertung seiner geposteten Inhalte sowie Entschädigung für die unberechtigte Datenverarbeitung). Damit liegen drei unterschiedliche Streitgegenstände (prozessuale Ansprüche) vor. Bei einem materiellen und einem immateriellen Schadensersatzanspruch handelt es sich stets um prozessual selbständige Streitgegenstände (BGH, Urteil vom 27. Mai 1993 – III ZR 59/92, BGHZ 122, 363-372, Rn. 8), nicht lediglich um unterschiedliche materielle Anspruchsgrundlagen für einen einheitlichen prozessualen Anspruch. Gleiches gilt für den Datenschutz-rechtlichen Entschädigungsanspruch, der ein gänzlich anderes Schutzgut betrifft.

Aufgrund der nachgeholten Angabe des Eventualverhältnisses - der Reihenfolge, in der der Kläger seinen Zahlungsantrag auf die verschiedenen prozessualen Ansprüche stützt - ist der Antrag jedoch nunmehr zulässig.

b) Der Zahlungsantrag ist allerdings sowohl im Hauptantrag als auch in den Hilfsanträgen unbegründet.

aa) Dem Kläger steht kein immaterieller Schadensersatzanspruch wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung zu.

Die Rechtsprechung hat aus § 823 Abs. 1 BGB i.V. mit Art. 1 und 2 GG hergeleitet, dass dem Geschädigten im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung eine Geldentschädigung zuzubilligen ist, weil ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 332/94, Rn. 13, juris).

Auch wenn die Meinungsfreiheit als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen wird, stellen die in Rede stehenden Maßnahmen keine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers dar. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung, die die Nutzungsmöglichkeit von F... für manche Menschen haben mag, betrifft eine vorübergehende Sperre keinesfalls einen Kern des Persönlichkeitsrechts.

bb) Es besteht auch kein Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Nutzung der von dem Kläger generierten Inhalte.

Die Beklagte hat Inhalte des Klägers nicht unberechtigt genutzt; er hat der Nutzung bei Abschluss des Nutzungsvertrages zugestimmt. Auch wenn die Beklagte sich nicht vollständig vertragsgerecht verhalten hat, lässt dies nicht die Zustimmung des Klägers entfallen.

Darüber hinaus ist dem Kläger durch die Maßnahmen der Beklagten auch kein Vermögensschaden entstanden. Die Vermögenslage des Klägers hat sich hierdurch nicht verändert.

cc) Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzanspruch gemäß Art. 82 Abs. 2 Satz 1 DS-GVO zu. Die Maßnahmen der Beklagten stellen - unabhängig von ihrer Zulässigkeit - keinen Verstoß gegen die DS-GVO dar. Die Nutzung der Daten des Klägers erfolgte mit dessen Zustimmung. Daran ändert es nichts, dass sich die Beklagte bei der Löschung des Posts und der Sperrung pflichtwidrig verhalten hat.

4. Der Berufungsantrag zu 12 (Freistellungsanspruch in Bezug auf außergerichtliche Anwaltskosten) ist unbegründet.

a) Zwar kommt dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, soweit die Klage in der Hauptsache begründet ist. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass bei dem Kläger entsprechende außergerichtliche Anwaltskosten angefallen sind. Für die vorprozessuale Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers wäre nur dann eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV angefallen, wenn der Kläger diese außergerichtliche Tätigkeit beauftragt hat, ohne zugleich einen unbedingten Klagauftrag zu erteilen (vgl. BGH, Urteil vom 15. August 2019 – III ZR 205/17, Rn. 43). Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen, obwohl die Beklagte die außergerichtlichen Kosten in Abrede genommen hat.

Darüber hinaus ergibt sich aus der Anlage K 35, dass der Rechtsschutzversicherer etwaige außergerichtliche Kosten des Klägers beglichen hat. Daher bestünde ein etwaiger Freistellungsanspruch des Klägers nicht mehr, sondern ein Zahlungsanspruch aus abgetretenem Recht des Versicherers, den der Kläger jedoch nicht geltend macht.

b) Auch für die Einholung der Deckungszusagen seines Rechtsschutzversicherers kann der Kläger keinen Freistellungsanspruch geltend machen.

Die durch die Pflichtverletzung der Beklagten verursachten Rechtsverfolgungskosten sind nur zu ersetzen, soweit sie aus der Sicht des Klägers zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 2011 – VIII ZR 132/10, Rn. 23 f., juris; Urteil vom 13. Dezember 2011 – VI ZR 274/10, Rn. 20 f., juris). Dem Geschädigten ist in der Regel zuzumuten, die Deckungszusage selbst anzufordern (aaO). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, eine einfache Anfrage, ggf. unter Beifügung des von seiner Prozessbevollmächtigten gefertigten Entwurfs des Abmahnschreibens bzw. der Klage, an den Versicherer zu senden. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass von vornherein davon auszugehen war, dass der Versicherer den Deckungsschutz nur bei einer anwaltlichen Aufforderung gewähren würde. Dies ergibt sich auch nicht aus der vorgelegten Korrespondenz mit dem Versicherer (Anlagen K 36 - K 42).


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:


LG München: Facebook darf Nutzerkonto ohne vorherige Anhörung sperren und Beiträge löschen wenn pornographische bzw. ausbeuterische Fotos von Minderjährigen gepostet werden

LG München
Urteil vom 31.01.2022
42 O 4307/19

Das LG München hat entschieden, dass Facebook ein Nutzerkonto ohne vorherige Anhörung sperren und Beiträge löschen darf, wenn pornographische bzw. ausbeuterische Fotos von Minderjährigen (sogenannte Child Exploitative Imagery (CEI)-Inhalte) gepostet werden.

Die Pressemitteilung des Gerichts:

„Keine zwingende Anhörung bei Kontosperrung aufgrund außerordentlicher Kündigung“

Die 42. Zivilkammer des Landgerichts München I hat am 31.01.2022 die Klage eines ehemaligen Nutzers gegen Facebook abgewiesen (42 O 4307/19). Der Kläger hatte auf Wiederherstellung seines Nutzerkontos und Schadenersatz geklagt, nachdem die Beklagte am 10.12.2018 sein Konto ohne seine vorherige Anhörung gesperrt hatte.

Der Kläger hatte neun Fotos von weiblichen Personen über den Messenger Dienst der Beklagten weitergeleitet. Die von der Beklagten eingesetzte Software „PhotoDNA“ identifizierte diese Fotos als „Child Exploitative Imagery“ (CEI), als ausbeuterische Bilder von Kindern. Daraufhin wurde das Konto des Klägers bei der Beklagten dauerhaft gesperrt. Die Beklagte teilte dem Kläger erst zeitgleich mit der Deaktivierung mit, dass sein Konto gesperrt werde. Der Kläger beschwerte sich daraufhin bei der Beklagten und ein Mitarbeiter der Beklagten überprüfte die Fotos und bestätigte den CEI-Inhalt der Bilder.

Der Kläger vertrat die Ansicht, er hätte vor der Sperrung seines Kontos angehört werden müssen. Die Fotos habe er von Freunden erhalten und er könne sich nicht vorstellen, dass diese unerlaubtes Material versendeten. Außerdem habe er die Fotos nicht öffentlich, sondern lediglich im Rahmen eines privaten Gesprächsverlaufs versandt.

Den Argumenten des Klägers ist die Kammer entgegengetreten. Die außerordentliche Kündigung ist wirksam, eine vorherige Anhörung des betroffenen Klägers war in diesem Fall entbehrlich.

Nach der vollen Überzeugung der erkennenden Kammer gemäß § 286 Abs. 1 ZPO beinhalten die vom Kläger versandten streitgegenständlichen Fotos Inhalte, die pornographische und damit ausbeuterische Darstellungen von Minderjährigen enthielten. Es ist nicht erkennbar oder auch nicht vorgebracht worden, dass sich sowohl die Software als auch der konkret ein-gesetzte Mitarbeiter beim Abgleich der streitgegenständlichen Fotos mit den bekannten CEI-Inhalten geirrt hätten.

In rechtlicher Hinsicht führte die Kammer aus, das vertragliche Nutzungsvertragsverhältnis zwischen den Parteien sei auf Dauer angelegt und könne daher gemäß § 314 BGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes außerordentlich und ausnahmsweise ohne vorherige Anhörung gekündigt werden.

Zur Begründung des Urteils hat die Kammer umfassend abgewogen.

Nach eigener Aussage nutzte der Kläger sein Konto bei der Beklagten ausschließlich zu privaten Zwecken, insbesondere um Kontakt mit Freunden und Familie zu halten. Durch die Sper-rung war ihm die elektronische Kommunikation zu Freunden und Familie mittels der Dienste der Beklagten nicht mehr möglich. Der Wechsel zu einem Netzwerk eines anderen Betreibers könne mit dem Verlust von Kontakten verbunden sein. Auch verfüge die Beklagte über eine bedeutende Markt- und soziale Macht. Durch die Deaktivierung seines Kontos sei der Kläger zudem zumindest abstrakt daran gehindert, mittels den Diensten der Beklagten seine Meinung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG kundzutun – auch wenn in der Vergangenheit nicht erkenntlich gewesen sei, dass er das Netzwerk dazu tatsächlich genutzt habe. Die Versendung der streitgegenständlichen Fotos stelle jedenfalls keine Meinungsäußerung dar.

Demgegenüber habe die Beklagte ein geschäftliches Interesse daran, den Nutzern ihrer Dienstleistungen ein sicheres Kommunikationsumfeld und ihren Werbekunden ein attraktives Werbeumfeld zu bieten. Für diese Tätigkeit könne sie sich auf die auch für sie geltende Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG berufen. Weiterhin sei auch zugunsten der Beklagten das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen, da diese Vorschrift auch den Kommunikationsprozess als solchen schütze, den die Beklagte als Betreiberin eines Netzwerkes, der dem Austausch von Meinungen dient, unterstütze. Durch die Pflicht der Nutzer, die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards zu beachten, werde zudem das auf die Einhaltung der Mitgliedsbedingungen gerichtete Interesse anderer Nutzer geschützt. Bei der erforderlichen Abwägung der Grundrechtspositionen seien daher auch die Persönlichkeitsrechte der ande-ren Nutzer zu berücksichtigen. Schließlich obliege es der Beklagten im Eigeninteresse, Beiträge mit strafbaren oder rechtsverletzenden Inhalten zu entfernen oder zu sperren. Das in Teil III Ziffer 7 der Gemeinschaftsstandards genannte Verbot von Fotos mit CEI-Inhalten, welches die Beklagte mit ihrer Kündigung gegenüber dem Kläger durchsetzt, diene nicht nur dem Schutz einer sicheren Kommunikationsumgebung, sondern auch und insbesondere dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Aufgrund der besonders vulnerablen Stellung von Kindern und Jugendlichen komme der Verhinderung ihrer Ausbeutung ein ungemein hoher Stellenwert. Reflektiert werde diese Priorität durch die Straftatbestände in § 184b StGB und § 184c StGB, die die Verbreitung, den Erwerb und Besitz kinder- und jugend-pornographischer Inhalte unter Strafe stellten. Um die Verbreitung von Inhalten mit CEI-Inhalt auf dem sozialen Netzwerk der Beklagten nachhaltig zu unterbinden, sei es ein probates Mit-tel, bei einem Verstoß gegen das Verbot der Verbreitung das Konto des betroffenen Nutzers zu sperren und das Vertragsverhältnis zu kündigen.

Im entschiedenen Fall habe die Beklagte ein besonderes Interesse an einer sofortigen, nicht durch eine Fristsetzung oder Abmahnung verzögerten Beendigung des Vertragsverhältnisses gehabt. Der Kläger habe über den Messenger Dienst der Beklagten Fotos mit CEI-Inhalt versandt. Gerade durch die digitale Verbreitung solcher Inhalte bestehe die Gefahr der multiplen Weiterverbreitung. Nur durch eine sofortige Kündigung des Nutzungsverhältnisses sei es der Beklagten möglich, sicherzustellen, dass der Kläger die streitgegenständlichen Fotos weiterverbreite. Der Kläger habe die Möglichkeit, die er vorliegend genutzt habe, die Kündigung nachträglich anzugreifen und spätestens im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens die Gründe für die Sperrung anzugreifen und sich hierzu Gehör zu verschaffen.

Der Beklagten sei es angesichts dieser Situation nicht zuzumuten gewesen, das Vertragsverhältnis mit dem Kläger aufrechtzuerhalten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Zum Hintergrund:

Die Gemeinschaftsstandards der Beklagten stellen ausweislich Ziffer 5 ihrer Nutzungsbedingungen „Richtlinien“ dar, welche die „Standards“ der Beklagten bezüglich der Inhalte, die gepostet werden, sowie bezüglich der Aktivitäten auf anderen Produkten der Beklagten skizzieren. Nach Ziffer 3.2.1 der streitgegenständlichen Nutzungsbedingungen dürfen die Produkte der Beklagten nicht dazu genutzt werden, „etwas zu tun oder zu teilen“, das insbesondere gegen die Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards verstößt.

Teil III Ziffer 7 der Gemeinschaftsstandards lautet wie folgt:

„Nacktdarstellung von Kindern und deren sexuelle Ausbeutung

Grundgedanke dieser Richtlinie

Wir lassen keinerlei Inhalte zu, in denen Kinder sexuell ausgebeutet oder gefährdet werden. Wenn wir Kenntnis von möglicher Ausbeutung von Kindern erlangen, melden wir dies in Einklang mit geltendem Recht dem Nationalen Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder (NCMEC – National Center for Missing and Exploited Children). […]“
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Die Entscheidung des Landgerichts München I ergänzt hier die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 29.07.2021, III ZR 192/20 und III ZR 179/20, in denen der BGH die aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von Facebook verhängte Sperren für unwirksam erklärte, weil die AGB keine vorherige verpflichtende Anhörung des Betroffenen vor Verhängung einer Sperre des Benutzerkontos vorsahen.



BVerfG: Facebook muss Renate Künast Auskunft über Bestandsdaten von weiteren Nutzern die Hasspostings gepostet haben erteilen

BVerfG
Beschluss vom 19.12.2021
1 BvR 1073/20


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Facebook Renate Künast Auskunft über Bestandsdaten von weiteren Nutzern, die Hasspostings gepostet haben, erteilen muss.

Die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts:

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen fachgerichtliche Versagung der Auskunft über Bestandsdaten gegenüber einer Social Media Plattform

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen von Fachgerichten aufgehoben, mit denen der Beschwerdeführerin die notwendige gerichtliche Anordnung zur Auskunft über Bestandsdaten gegenüber einer Social Media Plattform versagt wurden.

Die Beschwerdeführerin möchte vor den Fachgerichten erreichen, dass eine Social Media Plattform die bei ihr vorhandenen personenbezogenen Daten über mehrere Nutzer herausgibt, die auf der Plattform Kommentare über die Beschwerdeführerin getätigt haben. Die Fachgerichte stuften im Ergebnis lediglich 12 der 22 im Ausgangsverfahren gegenständlichen Kommentare als strafbare Beleidigungen ein und gestatteten die Beauskunftung über die bei der Social Media Plattform vorhandenen Bestandsdaten. Im Übrigen wurde eine Beauskunftung abgelehnt. Die Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit sie die Anordnung hinsichtlich der zehn verbliebenen Kommentare versagt haben. Die Fachgerichte haben unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts die verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht unterlassen.

Sachverhalt:

Nach § 14 Abs. 3 Telemediengesetz a. F. (nunmehr § 21 Abs. 2 und 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes) durfte ein Diensteanbieter im Einzelfall Auskunft über die bei ihm vorhandenen Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Für diese Auskunftserteilung war eine vorherige gerichtliche Anordnung erforderlich. Rechtswidrige Inhalte in diesem Sinne waren unter anderem Inhalte, die den Tatbestand nach §§ 185 bis 187 des Strafgesetzbuchs erfüllten und nicht gerechtfertigt waren.

Auf einem Internetblog stellte dessen Inhaber Ende Oktober 2016 unter dem Titel „[Name der Beschwerdeführerin] findet Kinderficken ok, solange keine Gewalt im Spiel ist“ das Bild der Beschwerdeführerin ein mit folgendem, scheinbar ein Zitat der Beschwerdeführerin darstellenden Text:

„Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt.“

Hintergrund war die im Jahr 2015 noch einmal aufgekommene Debatte betreffend die Haltung der Partei DIE GRÜNEN zur Pädophilie in den 1980er Jahren. So wurde im Mai 2015 unter anderem über einen Zwischenruf der Beschwerdeführerin im Berliner Abgeordnetenhaus im Mai 1986 berichtet. Während eine Abgeordnete der Grünen über häusliche Gewalt sprach, stellte ein Abgeordneter der Regierungskoalition die Zwischenfrage, wie die Rednerin denn zu einem Beschluss der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, wonach die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufgehoben werden solle. Anstelle der Rednerin rief laut Protokoll des Abgeordnetenhauses die Beschwerdeführerin: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!“

Die Beschwerdeführerin nahm den Bloginhaber wegen seines ursprünglichen Eintrags auf Unterlassung in Anspruch und verlangte ein Schmerzensgeld. Daraufhin veröffentlichte der Bloginhaber Anfang 2019 auf seiner Seite auf der Social Media Plattform einen weiteren Text. Es folgt das Bild der Beschwerdeführerin mit dem aus dem ursprünglichen Blogbeitrag bekannten Text, der kein zutreffendes Zitat einer Äußerung der Beschwerdeführerin ist. Im April und Mai 2019 reagierten zahlreiche Nutzer der Social Media Plattform auf diese Veröffentlichung und kommentierten sie ihrerseits - soweit verfahrensgegenständlich - unter anderem wie folgt:

„Pädophilen-Trulla“; „Die alte hat doch einen Dachschaden, die ist hol wie Schnittlauch man kann da nur noch“; „Mensch… was bist Du Krank im Kopf!!!“; Die ist Geisteskrank“; „Ich könnte bei solchen Aussagen diese Personen die Fresse polieren“; „Sperrt diese kranke Frau weck sie weiß nicht mehr was sie redet“; „Die sind alle so krank im Kopf“; Gehirn Amputiert“; „Kranke Frau“ und „Sie wollte auch mal die hellste Kerze sein, Pädodreck.“.

In der Folge begehrte die Beschwerdeführerin die Gestattung der Auskunftserteilung über die Bestandsdaten dieser Nutzer der Social Media Plattform. Das Landgericht gestattete im Ergebnis die Beauskunftung von sechs Kommentaren. Das Kammergericht gestattete zusätzlich die Beauskunftung weiterer sechs Kommentare. Im Übrigen führte es aus, dass die Schwelle zum Straftatbestand des § 185 StGB nicht überschritten sei. Denn es liege kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts erreiche kein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des Kontexts lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Beschwerdeführerin erschienen.

Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg.

I. Die Auslegung und Anwendung des Fachrechts ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte. Bei ihrer Entscheidung haben sie jedoch dem Einfluss der Grundrechte auf die einfachgesetzlichen Vorschriften Rechnung zu tragen. Die Zivilgerichte verstehen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als einen offenen Tatbestand, bei dem die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung eine ordnungsgemäße Abwägung voraussetzt.

1. Weichenstellend für die Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist die Erfassung des Inhalts der verfahrensgegenständlichen Äußerungen. Auf der zutreffenden Sinnermittlung einer Äußerung aufbauend erfordert die Annahme einer Beleidigung nach § 185 StGB grundsätzlich eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die den betroffenen Rechtsgütern und Interessen, hier also der Meinungsfreiheit und der persönlichen Ehre, drohen. Eine Abwägung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die streitgegenständliche Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt.

2. Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit.Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings eine grundrechtlich angeleitete Abwägung. Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falles und der Situation, in der die Äußerung erfolgte.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht. Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.In die Abwägung ist daher einzustellen, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen - unter Umständen weitreichenden - gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können. Allerdings bleiben die Gesichtspunkte der Machtkritik und der Veranlassung durch vorherige eigene Wortmeldungen im Rahmen der öffentlichen Debatte in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern oder Politikerinnen und Politikern. Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus. Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie Politikerinnen und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann. Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.

II. Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht.

1. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Kammergericht, dass es sich bei den noch verfahrensgegenständlichen Bezeichnungen der Beschwerdeführerin um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen handelt. Das Kammergericht geht indes unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts davon aus, dass eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann vorliege, wenn die streitgegenständliche Äußerung „lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung“ zu verstehen sei. Dieses Fehlverständnis setzt sich bei den weiteren Ausführungen des Fachgerichts fort. Zwar deutet das Kammergericht die Notwendigkeit einer Abwägung an. Verfassungsrechtlich fehlerhaft knüpft es die Voraussetzungen der Beleidigung sodann jedoch an die Sonderform der Schmähkritik an.Die angekündigte Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin nimmt das Kammergericht in der Folge aber nicht vor. Es legt wiederholt einen fehlerhaften, mit dem Persönlichkeitsrecht der von ehrenrührigen Äußerungen Betroffenen unvereinbaren Maßstab an, wenn es annimmt, eine strafrechtliche Relevanz erreiche eine Äußerung erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine. Vorliegend hat sich das Fachgericht aufgrund einer fehlerhaften Maßstabsbildung, die eine Beleidigung letztlich mit der Schmähkritik gleichsetzt, mit der Abwägung der Gesichtspunkte des Einzelfalls nicht auseinandergesetzt. Hierin liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin.

2. Infolge fehlerhafter Maßstabsbildung mangelt es für alle verfahrensgegenständlichen Äußerungen an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der betroffenen Rechtspositionen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Die vom Fachgericht zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht.


Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:

LG Karlsruhe: Facebook darf Nutzer vor Teilen eines Beitrags darauf hinweisen dass Nutzer den Beitrag noch nicht gelesen hat und dies vor dem Teilen tun sollte

LG Karlsruhe
Beschluss vom 20.01.2022
13 O 3/22 KfH


Das LG Karlsruhe hat entschieden, dass Facebook seine Nutzer vor Teilen eines Beitrags darauf hinweisen darf, dass der Nutzer den Beitrag noch nicht gelesen hat und dies vor dem Teilen tun sollte.

Die Pressemitteilung des Gerichts:
Entscheidung über Facebook-Hinweis

Kurzbeschreibung: Das Landgericht Karlsruhe entscheidet über neuen Hinweis, der beim Teilen eines ungelesenen Beitrags auf Facebook eingeblendet wird

Eine Kammer für Handelssachen des LG Karlsruhe hat in einem heute veröffentlichten Beschluss im Einstweiligen Verfügungsverfahren entschieden, dass Facebook (bzw. Meta Platforms Ireland Ltd., die das Portal für Nutzer außerhalb der USA und Kanadas betreibt) nicht gehindert ist, dem Teilen eines nicht angeklickten (und folglich nicht gelesenen) Posts einen Hinweis vorzuschalten, mit dem der Nutzer gebeten wird, den Beitrag zunächst zu lesen. Die beiden streitgegenständlichen Hinweise haben folgenden Wortlaut:

„Weißt du wirklich, was du da gerade teilst? Damit du umfassend informiert bist, worum es in diesem Artikel geht, nimm dir bitte die Zeit, ihn erst zu lesen.“
bzw.
„Sieh dir genau an, was du teilst, bevor du es teilst. Um zu wissen, was du teilst, ist es immer eine gute Idee, Artikel erst selbst zu lesen.“

Antragstellerin war die A. M. GmbH, die unter www.a....com einen politischen Blog herausgibt und eine Seite auf Facebook unterhält, auf der sie ebenfalls Beiträge publiziert. Sie war der Auffassung, es handele sich um bevormundende und paternalistische Anmaßungen, die bei üblichem Sprachgebrauch Vorbehalte gegenüber dem journalistischen Inhalt formulierten. Darin liege eine Herabsetzung und Behinderung im Wettbewerb der Parteien.

Dem ist das Landgericht unter anderem mit der Erwägung entgegengetreten, die Antragstellerin sei nicht gehindert, ihren bzw. den von ihrem Autor verfassten Beitrag auf dem Portal der Antragsgegnerin zu publizieren, kein Nutzer sei gehindert, ihn zu lesen und/oder ihn zu teilen. Eine auf den Inhalt des Beitrags bezogene Stellungnahme durch die Antragsgegnerin oder durch von ihr beauftragte „Faktenprüfer“ liege nicht vor. Es erscheine lebensfremd, dass sich ein Nutzer von einem solchen Hinweis von seinem – bereits durch einen Klick in die Tat umgesetzten – Entschluss, den Beitrag zu teilen, abschrecken lassen würde. Es bedürfe lediglich eines einzigen weiteren Klicks, um den Beitrag tatsächlich (nach Wunsch sogar ungelesen) zu teilen. Bei einer Auslegung der beiden Hinweise in ihrem Kontext handele es sich nicht um ein abträgliches Werturteil, sondern eine neutral gefasste Erinnerung an eigentlich Selbstverständliches, nämlich dass man nur weiterverbreiten sollte, was man selbst inhaltlich zur Kenntnis genommen hat. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass sich beide Parteien jeweils auf Grundrechte berufen können, so insbesondere die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und auf berufliche Ausübung ihres jeweiligen Geschäftsmodells. Jedoch verbleibe die Grundrechtsbetroffenheit der Antragstellerin unterhalb der Eingriffsschwelle. Die Antragstellerin besitze kein rechtlich oder gar grundrechtlich geschütztes Interesse daran, dass die Antragsgegnerin den Nutzern ein um die Anregung zum Nachdenken bereinigtes Nutzererlebnis eröffne. Daher scheide auch die – von der Antragstellerin nur angedeutete – Annahme aus, dass eine Herabsetzung ihres Angebots in der Ungleichbehandlung gegenüber anderen Seiten bzw. Anbietern auf dem Portal der Antragsgegnerin bestehe.

Der Beschluss ist anfechtbar und mithin nicht rechtskräftig.



OVG Schleswig-Holstein: Datenschutzbehörde durfte 2011 anordnen dass Unternehmen seine Facebook-Fanpage schließt - Entscheidung nach 10 Jahren nach dem Weg durch die Instanzen bis zum EuGH

OLG Schleswig-Holstein
Urteil vom 25.11.2021
4 LB 20/13


Das OVG Schleswig-Holstein hat entschieden, dass die zuständige Datenschutzbehörde 2011 anordnen durfte, dass ein Unternehmen seine Facebook-Fanpage schließt. Somit liegt nach 10 Jahren eine Entscheidung nach dem Weg durch die Instanzen bis zum EuGH (siehe dazu EuGH: Betreiber einer Facebook-Seite / Facebook-Fanpage gemeinsam mit Facebook für Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Besucher verantwortlich) vor.

Den Volltext der Entscheidung finden Sie hier:1

Aus den Entscheidungsgründen:

B. Die streitgegenständlichen Verfügungen im Bescheid vom 3. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2011 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

I. Dies gilt zunächst für die Anordnung der Deaktivierung der Fanpage der Klägerin.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Deaktivierung der Fanpage der Klägerin ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2011. Nachträgliche Änderungen sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2019 – 6 C 15.18 –, Rn. 16, juris). Dies ergibt sich für den Senat bindend aus der vorliegenden Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass dem auch die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Dauerverwaltungsakten, nach der für den Erfolg einer gegen einen Dauerverwaltungsakt gerichteten Anfechtungsklage regelmäßig die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung maßgeblich ist (stRspr BVerwG, vgl. Urteil vom 19. September 2013 – 3 C 15.12 – Rn. 9, juris; Beschluss vom 5. Januar 2012 – 8 B 62.11 – Rn. 13, juris), nicht entgegensteht. Die streitgegenständliche Anordnung der Deaktivierung der Fanpage ist bei einer an §§ 133, 157 BGB entsprechend orientierten Auslegung des Regelungsinhalts nicht als Dauerverwaltungsakt zu bewerten. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass dies der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht, da es vorliegend den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung für maßgeblich erachtet hat, ohne sich zu seiner eigenen Rechtsprechung zu Dauerverwaltungsakten zu verhalten.

1. Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Anordnung des Beklagten ist § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG i. d. F. der Bekanntmachung vom 14. Januar 2003 (BGBl. I S. 66), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 14. August 2009 (BGBl. I S. 2814; im Folgenden BDSG a. F.). Gemäß § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a. F. kann die Aufsichtsbehörde zur Gewährleistung der Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz bei schwerwiegenden Verstößen bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten oder schwerwiegenden technischen oder organisatorischen Mängeln, insbesondere solchen, die mit einer besonderen Gefährdung des Persönlichkeitsrechts verbunden sind, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung oder den Einsatz einzelner Verfahren untersagen, wenn die Verstöße oder Mängel entgegen der Anordnung nach § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a. F. und trotz der Verhängung eines Zwangsgeldes nicht in angemessener Zeit beseitigt werden.

Die an die Klägerin gerichtete Anordnung, ihre Fanpage zu deaktivieren, ist gemäß der den Senat bindenden Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nach dem Eingriffsgewicht als Untersagung des Einsatzes eines Verfahrens gemäß § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a. F. zu werten. Dass der Beklagte in der Überschrift des Bescheids vom 3. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2011 auf § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG a. F. abhebt, ist – wie das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls mit Bindungswirkung für den Senat festgestellt hat – unschädlich (BVerwG, Urteil vom 11. September 2019 – 6 C 15.18 –, Rn. 17, juris).

§ 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a. F. ist mit Blick auf eine Inanspruchnahme der Klägerin auch sonst anwendbar (vgl. zur Anwendbarkeit des Dritten Abschnitts des Bundesdatenschutzgesetzes a. F. § 27 Abs. 1 Nr. 1 BDSG a. F.). Die Klägerin ist als nichtöffentliche Stelle im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 2 Abs. 4 BDSG a. F., die keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. § 2 Abs. 1 bis 3 BDSG a. F.), zu qualifizieren. Es handelt sich um eine privatrechtlich organisierte gemeinnützige Gesellschaft.

[...]

3. Die Anordnung zur Deaktivierung der Fanpage der Klägerin ist materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Im Gebrauch der Registrierungsdaten und der übrigen vorhandenen personenbezogenen Daten von im Facebook-Netzwerk registrierten und angemeldeten Personen sowie in der unzureichenden Bereitstellung von Informationen über die Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten für diese Personengruppe sind im hier maßgeblichen Zeitpunkt im Dezember 2011 Verstöße bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten zu erkennen (dazu unter a). Die Klägerin kann auch als Adressatin einer auf § 38 Abs. 5 Satz 2 BDSG a. F. beruhenden Verfügung herangezogen werden, da sie für den Gebrauch der genannten Daten zur Erstellung der auf ihre Fanpage bezogenen Insights-Statistiken durch Facebook sowie für die unzureichende Bereitstellung von Informationen (mit)verantwortlich ist (dazu unter b). Ferner wiegen die Verstöße schwer (dazu unter c). Vor diesem Hintergrund kann die rechtliche Bewertung einzelner technischer Abläufe dahinstehen (dazu unter d). Der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit der hier streitgegenständlichen Verfügung steht auch nicht die in § 38 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BDSG a. F. vorgegebenen "Stufenfolge" entgegen (dazu unter e).

a) Verstöße bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten im Sinne des § 38 Abs. 5 Satz 2 TMG a. F. ergeben sich hier aus einem Widerspruch verschiedener durch den Besuch der Fanpage der Klägerin angestoßener und durch die Beigeladene gesteuerter Vorgänge zu den Vorgaben der § 12 und § 13 TMG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste vom 26. Februar 2007 (BGBl. I S. 179), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch das Erste Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes vom 31. Mai 2010 (BGBl. I S. 692; im Folgenden TMG a. F.). Gemäß § 12 Abs. 1 und Abs. 2 TMG a. F. darf ein Diensteanbieter personenbezogene Daten zur Bereitstellung von Telemedien nur erheben und verwenden, soweit das Telemediengesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. Der Diensteanbieter darf für die Bereitstellung von Telemedien erhobene personenbezogene Daten für andere Zwecke nur verwenden, soweit dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, es erlaubt oder der Nutzer eingewilligt hat. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 TMG a. F. hat der Diensteanbieter den Nutzer zu Beginn des Nutzungsvorgangs über Art, Umfang und Zwecke der Erhebung und Verwendung personenbezogener Daten sowie über die Verarbeitung seiner Daten in allgemein verständlicher Form zu unterrichten, sofern eine solche Unterrichtung nicht bereits erfolgt ist.

aa) Die durch den Besuch der Fanpage der Klägerin im Facebook-Netzwerk angestoßenen Vorgänge unterfallen dem Anwendungsbereich des gegenüber dem Bundesdatenschutzgesetz a. F. spezielleren Telemediengesetz a. F. Das soziale Netzwerk Facebook ist Telemedium im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG a. F. (vgl. i. E. Ricke, in: Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, § 1 TMG, Rn. 12; Altenhain, in: MüKo zum StGB, 3. Auflage 2019, § 1 TMG, Rn. 26). Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG a. F. sind unter Telemedien alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste ("IuK-Dienst"), die nicht Telekommunikation im engeren Sinne oder Rundfunk sind, zu verstehen. Dazu gehören beispielsweise Online-Angebote von Waren oder Internet-Suchmaschinen (vgl. BT-Drucks. 16/3078, S. 13). Das soziale Netzwerk Facebook ermöglicht durch seine Strukturen die Bereitstellung von Informationen sowie Diskussion über Sachthemen, d. h. das Verbreiten derartiger Themen und den anschließenden Dialog hierüber. Es ist damit selbst als sogenannter elektronischer "IuK-Dienst" anzusehen. Gleiches gilt für die Fanpage der Klägerin innerhalb des Facebook-Netzwerkes.

Die Beigeladene und die damalige Facebook Inc. sind auch Diensteanbieter im Sinne des § 12 Abs. 1 und Abs. 2 TMG a. F. Diensteanbieter ist gemäß § 2 Satz 1 Nr. 1 HS 1 TMG a. F. jede natürliche oder juristische Person, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt. Da sowohl die Beigeladene als auch ihr Mutterkonzern das Telemedium, d. h. das soziale Netzwerk bzw. die Fanpage zur Verfügung stellen und allen Interessierten Zugang hierzu vermitteln, liegen die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 1 HS 1 TMG a. F. vor. Die Klägerin ist ebenfalls Diensteanbieter in diesem Sinne, da sie über die Errichtung der Fanpage einen (eigenen oder fremden) elektronischen Informations- und Kommunikationsdienst, d. h. ein Telemedium im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 TMG a. F., bereitstellt bzw. jedenfalls Zugang zur Nutzung vermittelt.

Die Vorgänge des Erhebens, Verarbeitens und Nutzens personenbezogener Daten im Sinne des § 38 Abs. 5 i.V.m. § 3 Abs. 3 bis 5 BDSG a.F. entsprechen denen des Erhebens und Verwendens im Sinne des Abschnitt 4 im Telemediengesetz a.F.; der Begriff der Verwendung ist als Sammelbezeichnung für das Verarbeiten und Nutzen personenbezogener Daten i.S.d. § 3 Abs. 4 und 5 BDSG auszulegen (Bizer/Hornung, in: Roßnagel, Beck´scher Kommentar zum Recht der Telemediendienste, 1. Auflage 2013, § 12 TMG, Rn. 53 m.w.N.).

Der Anwendbarkeit des Telemediengesetzes steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Beigeladene mit Sitz in Irland nach eigenem Bekunden die tatsächliche Verantwortung für die hier maßgeblichen Datenerhebungs- und -verwendungsvorgänge trägt. Die §§ 12 ff. TMG a. F. werden nicht durch eine vorrangige Anwendbarkeit irisches Datenschutzrecht – ggf. in Kombination mit einer vorrangigen Prüfungskompetenz der irischen Datenschutzbehörde – verdrängt. Insoweit wird zur Begründung auf die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im vorliegenden Verfahren verwiesen (BVerwG, Urteil vom 11. September 2019 – 6 C 15.18 –, Rn. 24 ff., EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 – C-210/16 –, Rn. 50 ff., juris).

bb) Für die Feststellung der maßgeblichen Datenerhebungs- und -verwendungsvorgänge bis Ende 2011 geht der Senat von folgenden, zu seiner Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) feststehenden Sachverhalten aus:

(1) Bei jedem Aufruf der Fanpage der Klägerin wird die Internetadresse der aufgerufenen Seite sowie die IP-Adresse des jeweiligen Internetnutzers an Facebook übertragen. IP-Adressen sind Ziffernfolgen, die dem mit dem Internet verbundenen Computern zugewiesen werden, um deren Kommunikation im Internet zu ermöglichen. Beim Abruf einer Website wird die IP-Adresse des abrufenden Computers an den Server übermittelt, auf dem die abgerufene Website gespeichert ist. Dies ist erforderlich, um die abgerufenen Daten an den richtigen Empfänger übertragen zu können (vgl. Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe des AK I "Staatsrecht und Verwaltung" zum Datenschutz in sozialen Netzwerken vom 4. April 2012, S. 7, Bl. 223 GA; Datenschutzrechtliche Bewertung der Reichweitenanalyse durch Facebook, 11. August 2011, S. 15, Bl. 128 GA). Nach Angaben der Beigeladenen werden die empfangenen IP-Adressen nicht einzeln – insbesondere nicht in Profilen zu den Internetnutzern – gespeichert.

(2) Ferner ist der Senat davon überzeugt, dass Facebook bei Besuch der Fanpage den Inhalt der c_user-Cookies ausliest, die zuvor im Browser von im Netzwerk angemeldeten Facebook-Mitgliedern gesetzt worden sind. Cookies sind eindeutig zuzuordnende alphanumerische Kennungen, die im Internetbrowser auf dem Endgerät des Nutzers gespeichert werden. Facebook-Mitglieder haben sich im Facebook-Netzwerk registriert und im Zuge der Registrierung ihren Vor- und Nachnamen, ihr Geburtsdatum, ihr Geschlecht und ihre E-Mail-Adresse angegeben. Der c_user-Cookie enthält eine User-ID des Facebook-Mitglieds. Er wird von Facebook gesetzt, wenn sich das Facebook-Mitglied erstmals registriert oder wenn ein registriertes Facebook-Mitglied sich erneut im Netzwerk anmeldet (bzw. "einloggt"). Die Gültigkeit dieses Cookies hängt davon ab, ob das Facebook-Mitglied in den Kontoeinstellungen die Option gewählt hat, im Netzwerk (auch bei Verlassen) angemeldet zu bleiben. Ist dies der Fall, verliert der c_user-Cookie seine Gültigkeit erst, wenn das Facebook-Mitglied den Facebook-Webserver 30 Tage nicht mehr aufruft. Ansonsten wird der c_user-Cookie mit dem Schließen des Browsers gelöscht (vgl. Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe des AK I "Staatsrecht und Verwaltung" zum Datenschutz in sozialen Netzwerken vom 4. April 2012, S. 8, Bl. 224 GA).

Der Inhalt des c_user-Cookie wird innerhalb seines Gültigkeitszeitraums bei jeder Kommunikation mit Facebook an Facebook übermittelt und gibt Facebook die Möglichkeit einer Verknüpfung des Seitenaufrufs mit dem registrierten Mitglied. Diese Verknüpfung ermöglicht unter anderem die personalisierte Darstellung von Fanpage-Inhalten. Über die Personalisierung erfährt das Facebook-Mitglied beispielsweise, welche seiner Facebook-Freunde die Fanpage empfohlen oder kommentiert haben (vgl. Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe des AK I "Staatsrecht und Verwaltung" zum Datenschutz in sozialen Netzwerken vom 4. April 2012, S. 3, 15, Bl. 219, 231 GA).

Die über den c_user-Cookie ermöglichte Verknüpfung von Fanpage-Aufruf und Facebook-Mitglied speichert Facebook in den über das Mitglied angelegten Profilen, die wiederum zu Werbezwecken genutzt werden. Diese Überzeugung hat der Senat aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung gewonnen. In dieser hat die Beigeladene auf entsprechende Frage des Gerichts eingeräumt, es "ist anzunehmen", dass der Fanpage-Aufruf in den Profilen der Mitglieder gespeichert wird. Bereits zu Beginn dieses Verfahrens war zwischen der Beigeladenen und dem Beklagten unstreitig, dass Facebook "bis zu einem bestimmten Grad" Profile seiner Mitglieder anlegt und diese zu Werbezwecken nutzt. Ferner deuten die Datenverwendungsrichtlinien 2011 von Facebook die Durchführung entsprechender Vorgänge an, indem sie darauf hinweisen, dass Facebook jedes Mal, wenn das Mitglied mit Facebook interagiert, beispielsweise eine bestimmte Seite aufruft, Daten erhält (vgl. Datenverwendungsrichtlinien 2011, Abschnitt I, Überschrift Informationen, die wir über dich erhalten, S. 1) und dass Werbeanzeigen bei den Personen eingeblendet werden, welche die vom Werbetreibenden ausgewählten Kriterien (beispielsweise "Kinobesucher") erfüllen (vgl. Datenverwendungsrichtlinien 2011, Abschnitt IV, Überschrift: Personalisierte Werbeanzeigen, S. 4). Letzteres ist nur dann möglich, wenn Facebook über die Registrierungsdaten hinaus Informationen zu den Personen, beispielsweise zu bestimmten Interessen und Vorlieben, speichert.

(3) Facebook unterhält außerdem den Dienst "Insights". Dieser beinhaltet die Erstellung von Statistiken über die Nutzung von Fanpages (auch als Seitenstatistik bezeichnet). Die Seitenstatistik umfasst unter anderem Angaben zur Anzahl der Seitenaufrufe, zur Verweildauer der Besucher, sowie zu deren Alter, Geschlecht, geographischer Herkunft und Sprache und zur Nutzung der einzelnen Funktionalitäten der Fanpage (vgl. Ergebnisbericht der Arbeitsgruppe des AK I "Staatsrecht und Verwaltung" zum Datenschutz in sozialen Netzwerken vom 4. April 2012, S. 9, Bl. 225 GA; Datenschutzrechtliche Bewertung der Reichweitenanalyse durch Facebook, 11. August 2011, S. 12, Bl. 126 GA). Die Erstellung dieser Statistiken ist Facebook insbesondere aufgrund des c_user-Cookies möglich, da mit diesem der Aufruf einer Fanpage mit den Facebook-Mitgliedern und den zu diesen bereits gewonnenen Informationen verknüpft werden kann. Nach Angaben der Beigeladenen fließt der Aufruf einer Fanpage durch ein Nicht-Facebook-Mitglied ausschließlich in die Gesamtzahl der Aufrufe der Fanpage im Rahmen der Insights-Statistik ein. Weitere Erkenntnisse über Nicht-Mitglieder werden nach Angabe der Beigeladenen nicht in Insights verarbeitet.

Fanpage-Betreiber erhalten über Insights die Seitenstatistiken in aggregierter und anonymisierter Form, ohne dass es dazu der Erteilung eines entsprechenden Auftrags an Facebook bedürfte. Die Klägerin kann ebenso wie andere Fanpage-Betreiber den Dienst Insights auch nicht an- oder abwählen. Sie kann nicht steuern, welche Angaben in der Statistik enthalten sind. Ferner haben Fanpagebetreiber auf die technische Konfiguration der Fanpage keinen Einfluss, sie können die Fanpages "lediglich" mit Inhalt füllen.

Die Erstellung von Seitenstatistiken dient dem Zweck, den Betrieb einer Fanpage auf die Nutzer anzupassen, d. h. die Fanpage attraktiver gestalten zu können. Gleichzeitig sollen diese Facebook ermöglichen, den Werbewert des Netzwerkes zu erhöhen.




LG Lübeck: Twitter muss Account-Sperre aufheben und Tweet wiederherstellen - Addams-Family-GIF mit Halsabschneide-Geste keine Aufforderung zum Töten

LG Lübeck
Urteil vom 17.01.2022
10 O 387/21


Das LG Lübeck hat entschieden, dass ein Addams-Family-GIF mit Halsabschneide-Geste keine unzulässige Aufforderung zum Töten darstellt, so dass Twitter die darauf hin ausgesprochene Account-Sperre aufheben und den Tweet wiederherstellen muss.

Aus den Entscheidungsgründen:

I. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet.

Der Verfügungskläger hat einen Anspruch auf Wiederherstellung des gelöschten Tweets mit der Bilddatei und auf Freischalten seines Accounts, §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB.

Zwischen dem Verfügungskläger und der Verfügungsbeklagten besteht ein Nutzungsvertrag, in dessen Rahmen sich die Verfügungsbeklagte verpflichtet, das Nutzerkonto des Verfügungsklägers zu unterhalten und ihm die Möglichkeit zu gewähren, Beiträge und Kommentare zu fertigen. Gegen diese vertragliche Verpflichtung hat die Verfügungsbeklagte verstoßen, indem sie die am 24. November 2021 vom Verfügungsbeklagten ausgewählte Bilddatei löschte und seinen Account für unbestimmte Zeit suspendierte. Die Veröffentlichung der Bilddatei verstieß weder gegen Strafgesetze noch gegen die vertraglichen Bestimmungen oder Richtlinien der Verfügungsbeklagten. Inwieweit die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verfügungsbeklagten ggf. unwirksam sein könnten, ist daher für die Entscheidung dieses Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht erheblich.

1. Bei der streitgegenständlichen Abbildung, die der Verfügungskläger als Kommentar veröffentlichte, handelt es sich um eine Äußerung, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird nicht schrankenlos gewährt. Es findet seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG). Ein allgemeines Gesetz liegt vor, wenn sich dieses nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richtet, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dient, das gegenüber der Meinungsfreiheit Vorrang hat (Burghart, in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 84. Lfg 2021, Art. 5 Rn. 672). Dies trifft auf Strafgesetze wie § 241 StGB und § 111 StGB, die die körperliche und seelische Integrität anderer Menschen schützen, zu. Die Meinungsäußerungsfreiheit muss hier zurücktreten, wenn durch ihre Ausübung schutzwürdige Interessen anderer von höherem Rang verletzt würden.

a) Die Äußerung des Verfügungsklägers erfüllt jedoch keinen der genannten Straftatbestände. Sie ist in ihrem Gesamtzusammenhang, aus dem sie nicht herausgelöst werden darf, zu beurteilen (BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94 – Juris Rn. 24). Entscheidend ist nicht die subjektive Vorstellung der Parteien, sondern die Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsempfängers (BGH, Urteil vom 29. Januar 2002 – VI ZR 20/01 – Juris Rn. 25 ff; OLG München, Urteil vom 7. Januar 2020 – 18 U 1491/19 – Juris Rn. 136.). Bei der Beurteilung einer Meinungsäußerung auf einer Plattform ist auf einen eher flüchtigen Durchschnittsbeobachter abzustellen (OLG Stuttgart, Urteil vom 6. September 2018 – 4 W 63/18 – Juris Rn. 70). Bei mehrdeutigen Äußerungen, die verschiedene Deutungen zulassen, ist diejenige zugrunde zu legen, die für den sich Äußernden am günstigsten ist, es sei denn, diese günstigste Deutung ist fernliegend oder kann unter Angabe besonderer Gründe ausgeschlossen werden (Klass, in: Erman, BGB Kommentar, 16. Auflage 2020, Anhang zu § 12, Abschnitt G I. Ehrschutz Rn. 112).

Aus Sicht eines flüchtigen, unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsbeobachters ist bei der vom Verfügungskläger veröffentlichten Bilddatei nicht anzunehmen, dass es sich um eine Aufforderung zum Töten von [xxx] handelt.

Die abgebildete Szene zeigt ein etwa sechsjähriges Mädchen, das eine kopflose Puppe in der Hand hält und mit ausgestrecktem Zeigefinger eine fließende Bewegung quer über ihre Kehle ausführt (bzw. im Standbild nur andeutet). Ihr Finger symbolisiert dabei ein Messer, mit dem die Kehle durchgeschnitten wird. Diese Zeichensprache kann als universal bekannt angenommen werden. Damit kann die Geste unmittelbar so verbalisiert werden, dass ein anderer Mensch getötet wird oder werden solle, und in einem bereits gelockerten Sinn, dass ein Mensch (an irgendeinem Einfluss) sterben möge. Gleichwohl werden der Geste je nach Zusammenhang ihrer Verwendung zahlreiche weitere unterschiedliche Bedeutungen beigemessen. So findet sie sich häufig als Aufforderung an einen anderen dazu, ein begonnenes Verhalten abzubrechen oder eine geplante Handlung zu unterlassen. Der Verfügungskläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass er das Bild in der von der Verfügungsbeklagten bereitgestellten App aus zahlreichen weiteren Bildern („mimes“) der Kategorien „Stop it!“ oder „Kill it!“ ausgewählt habe. Damit steht fest, dass die Geste bei Nutzern der Plattform auch als Metapher für den Wunsch stehen kann, dass ein (aus Sicht des Verwenders unerfreulicher) Zustand oder eine Betätigung enden möge. Der fast schon allgegenwärtige Einsatz der Geste hat außerdem dazu geführt, dass ihr in einer weiteren, vom unmittelbaren Aussagegehalt vollends gelösten Übertragung nahezu jeder Bedeutungsgehalt zukommen kann, der mit einem gewissen Überlegenheitsgefühl dessen, der die Geste vollzieht, gegenüber jenem, dem sie gezeigt wird verbunden ist (z. B. „Ich bin schlauer/stärker/besser usw.“). Mit verwandtem Bedeutungsgehalt kann die halsabschneidende Geste deshalb auch so etwas wie „Schach matt“ nach einem Kräftemessen zweier Opponenten heißen. Dies wird von dem durchschnittlichen Beobachter zwar als (aggressive) Siegesgeste verstanden, keinesfalls jedoch als Ankündigung einer Tötung des Gegners oder einem Aufruf zu dessen Tötung.

Es ist für den Durchschnittsbeobachter ersichtlich, dass die Verwendung des Bildes durch den Verfügungskläger in dem konkreten Zusammenhang keine ernstgemeinte Aufforderung zum Töten oder eine sonstige Bedrohung von [xxx] darstellt.

Dass es dem Verfügungskläger bei objektiver Betrachtung um die übertragene, nicht die direkte Bedeutung der Geste ging, wird schon daraus deutlich, dass die Szene der bekannten US-amerikanischen Fernsehserie „The Addams Family“ entstammt. Inzwischen gibt es neben der Fernsehserie unzählige Cartoons, Kinoverfilmungen, einen Zeichentrick-Ableger, sowie ein Musical und ein Handyspiel. In der Fernsehserie wird die Addams Familie als satirische, düstere Version der perfekten amerikanischen Kernfamilie dargestellt. Jedes Familienmitglied hat exzentrische Züge, alle lieben sie das Makabre. Die abgebildete Darstellerin der fiktiven Wednesday Addams hat zwar eine Vorliebe dafür, Mordpläne gegen ihren Bruder zu schmieden. Dies fügt sich jedoch in andere, rätselhafte Umstände ein, die die Addams Familie auf absurde Weise charakterisieren. Die für die Kunstform der Satire typische Übertreibung springt dem Durchschnittsbeobachter auch in der Abbildung des Kindes ins Auge, das die Geste des Halsabschneidens vollzieht und – allegorisch überzeichnet – überdies eine kopflose Puppe bei sich führt. Für den Beobachter deutet nichts hieran ernstlich auf eine Tötung. Hätte der Verfügungskläger tatsächlich Tötungsgedanken zum Ausdruck bringen wollen, hätte er hierfür einen kämpferisch auftretenden Agenten anstelle der Figur Wednesday Addams auswählen müssen.

Die Deutung, es liege ein Aufruf zur Tötung vor, ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenspiel der Geste mit dem Tweet „Shall we play a game?“ des Nutzers „@Theanonleaks“. Die Frage „Shall we play a game?“ ist der Film-Serie „Saw“ entlehnt. Die Hauptfigur dieses Horror-Thrillers ist ein psychopatischer Serienmörder, der sich Opfer sucht und deren Überlebenswillen durch Folter testet. Bevor er seine Opfer foltert, fragt er seine Opfer wahlweise „Do you wanna play a game?“ oder „I want to play a game.“ Dies ist freilich keine wirkliche Frage, da seine Opfer keine andere Wahl haben als „mitzuspielen“. In Anlehnung an die Film-Serie Saw ist „Shall we play a game?“ für den Durchschnittsbetrachter als eine rhetorische Frage aus dem Bereich des Fiktionalen aufzufassen. Dabei ist den Angaben des Verfügungsklägers, die nicht bestritten worden sind, Glauben zu schenken, „@Theanonleaks“ stehe für eine Gruppe von Aktionisten namens „Anon“, der es keinesfalls um das Töten eines Menschen oder einen Aufruf zu Gewalt gehe, sondern die dafür bekannt sei, geheime Informationen zu hacken und der Öffentlichkeit zu unterbreiten („leaken“). Mit der Einstellung des Bildes der Wednesday Addams habe er der Gruppe, mit deren Aktionen er durchaus gelegentlich sympathisiere, zeigen wollen, dass sie mit einem Hacker- Angriff auf das Nutzerkonto [xxx] zu weit gehe. Diese Bedeutung, die nach den Ausführungen des Verfügungsklägers nicht fernliegt, kann die Kammer nicht ausschließen.

Strafbares Verhalten des Verfüfungsklägers liegt jedoch auch dann nicht vor, wenn die Äußerung „Shall we play a game?“ in ihrem vollständigen Kontext erfasst und mit einer weiteren Bedeutung versehen wird. Sie bezieht sich auf den Post „Freiheit ist wichtiger als Gesundheit“ von [xxx]. Dieser ist Mitglied der Jungen Liberalen im Kreis [xxx] nd der Öffentlichkeit durch seine Auseinandersetzung mit Jan Bö. und [xxx] bei Tw. bekannt. Über diese berichteten bereits der Stern, tagesspiegel.de, Cicero Online, Welt online und der Spiegel (nachzulesen [xxx]). Der Tweet „Freiheit ist wichtiger als Gesundheit“ bezieht sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen Durchschnittsempfängers auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Alle bisherigen Corona-Bekämpfungsmaßnahmen sind gedacht als Einschränkung der Freiheiten zur Bekämpfung der Pandemie und damit zur Verbesserung der Gesundheit der Bürger. Vor dem Hintergrund, dass Corona-Maßnahmen wiederholt von Gerichten auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden und in der Politik und Gesellschaft eine Konsensfindung immer schwieriger wird, ist offensichtlich, dass der Tweet von [xxx] polarisiert. Eine Polarisierung trägt zur leichteren Verständlichkeit bei, ist aber oft überspitzt und provozierend. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Gegenreaktion auf eine provozierende Aussage ebenfalls überspitzt, polarisierend und provozierend ist. Die Aussage „Shall we play a game?“ kann daher ebenso wie die Geste des Halsabschneidens von einem durchschnittlichen Empfänger auch als krasse Ablehnung der Aussage [xxx] verstanden werden. Daraus folgt für den unvoreingenommenen Betrachter jedoch nicht, dass die Tweets tatsächliche Konsequenzen haben sollen.

Dass die Bedeutung der Abbildung den Wunsch ausdrücke, [xxx] möge sterben oder sein Wohlbefinden leiden, hat die Verfügungsbeklagte auch nicht anhand weiterer Tatsachen glaubhaft gemacht. Es mag zwar sein, dass weitere Nutzer Botschaften in diesem Sinne verbreiteten, wie der Nutzer [xxx] mit dem Kommentar: „Ich bleib dabei, er darf gerne in Freiheit krepieren“. Die Verfügungsbeklagte trägt aber selbst nicht vor, dass der Verfügungskläger sich auf diesen oder ähnliche Tweets bezogen habe, während der Verfügungskläger angab, allein den Ausgangs- Tweet des Nutzers „@Theanonleaks“ kommentiert zu haben.

b) Die Veröffentlichung des Bildes liefert auch nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen und Richtlinien der Verfügungsbeklagten keinen Anlass zu dessen Löschung. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass Netzwerkbetreiber durchaus die Möglichkeit haben, in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen einschränken zu dürfen, sofern sichergestellt wird, dass die Entfernung von Inhalten im Einzelfall unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Position des jeweiligen Nutzers erfolgt und sachlich gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 –, Juris Rn. 58 ff., 78). Dass ein Verstoß gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verfügungsbeklagten nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Parteien nicht vorliegen kann, leuchtet schon deswegen ein, weil die Verfügungsbeklagte, wie der Verfügungskläger unwidersprochen vorträgt, die entsprechende Bilddatei selbst in ihrer Anwendersoftware zur Verwendung bereithält. Es wäre äußerst widersprüchlich, wenn die Verfügungsbeklagte Sanktionen gegen Nutzer ihres Dienstes ergreifen könnte, weil diese eine von ihr selbst zu Kommentarzwecken zur Verfügung gestellte Bilddatei verwenden.

2. Da dem Kommentar des Verfügungsklägers in Form der bildlichen Darstellung weder ein Aufruf zu Gewalt entnommen werden kann noch ein wiederholter Regelverstoß des Verfügungsklägers vorliegt, kommt eine Sperrung dessen Nutzerkontos nach der Richtlinie der Verfügungsbeklagten über missbräuchliches Verhalten in Verbindung mit ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht in Betracht. Dabei bedarf es keiner näheren Prüfung, inwieweit die allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Inhaltskontrolle gemäß (dem kollisionsrechtlich anwendbaren) § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB standhielten. Soweit es in den allgemeinen Geschäftsbedingungen heißt,

„Wir können Ihre Accounts sperren oder kündigen oder Ihnen die Bereitstellung der Dienste jederzeit aus beliebigem Grund ganz oder teilweise verwehren, insbesondere, wenn ...“ (Hervorhebung hier [Anmerkung der Redaktion: durch das Gericht]),

kann dies jedenfalls nicht dahingehend verstanden werden, dass überhaupt kein ernsthafter Grund für die Sperrung eines Nutzerkontos vorliegen müsste. Die Kammer versteht die allgemeinen Geschäftsbedingungen daher auch dahingehend, dass die im Weiteren („insbesondere ...“) genannten Beispiele den Schweregrad eines Verstoßes andeuten, der erreicht sein muss, bevor eine scharfe Sanktion greifen kann. Bei anderer Auslegung läge vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Nichtigkeit dieser Bestimmung auf der Hand. Der erforderliche schwere Verstoß gegen den Nutzervertrag und die hierfür maßgeblichen Bedingungen ist jedoch – wie ausgeführt – nicht gegeben.


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OLG Düsseldorf: Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken nur mit Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO durch alle sorgeberechtigten Elternteile zulässig

OLG Düsseldorf
Beschluss vom 20.07.2021
1 UF 74/21


Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass die Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken nur mit Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO durch alle sorgeberechtigten Elternteile zulässig ist.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Das Erfordernis einer Einwilligung auch der Kindesmutter in die Veröffentlichung der Fotos ergibt sich zum einen aus der Norm des § 22 KunstUrhG. Diese knüpft die Rechtmäßigkeit der Verbreitung eines Bildes des Kindes jedenfalls an die Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile (vgl. BGH, NJW 2005, 56, 57; Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Auflage, § 22 KunstUrhG Rn. 18).

Zum anderen folgt das Einwilligungserfordernis aus Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DSGVO. Die Verwendung von Fotografien unterfällt den Gewährleistungen der DSGVO (MünchKommBGB/Rixecker, BGB, 8. Auflage, Anhang zu § 12 Rn. 156). Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DSGVO erfordert die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern als Träger der elterlichen Verantwortung (vgl. Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Auflage, Art. 8 DSGVO Rn. 20).

Unerheblich ist der Vortrag des Kindesvaters, die Kindesmutter habe ihrerseits ohne seine, des Kindesvaters, Einwilligung Fotos der Kinder in sozialen Netzwerken veröffentlicht und solche Veröffentlichungen durch die Großmutter mütterlicherseits zugelassen. Denn es kommt für die Entscheidung nach § 1628 BGB allein auf die konkrete Angelegenheit an, für die die Entscheidungsübertragung begehrt wird, hier also ausschließlich auf die Verbreitung von Bildern der Kinder durch die Lebensgefährtin und die deswegen zu führende Auseinandersetzung. Maßgeblich ist mithin allein die konkrete rechtswidrige Bildverbreitung, für die die Entscheidungsübertragung begehrt wird. Ob ein Elternteil in einem anderen Fall eine unrechtmäßige Verbreitung eines Fotos des Kindes veranlasst oder zugelassen hat, spielt dagegen keine Rolle. Nur durch die Entscheidungsübertragung auf den Elternteil, dessen Einwilligungsrecht in concreto missachtet worden ist, kann nämlich im Sinne der Kinder sichergestellt werden, dass diese Missachtung rechtliche Konsequenzen hat und eine Fortsetzung der rechtswidrigen Verwendung der Kinderfotos unterbleibt. Würde man dagegen im konkreten Einzelfall eine Entscheidungsübertragung auf den übergangenen Elternteil unter Verweis auf dessen pflichtwidriges Verhalten in einer anderen vergleichbaren Angelegenheit ablehnen, bliebe die Rechtswidrigkeit der konkret betroffenen Bildverbreitung folgenlos. Dies widerspräche dem Kindeswohl, dessen Schutz das Erfordernis der Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile dient.

Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Kinder in die Bildveröffentlichung einwilligen. Eine solche Einwilligung würde nämlich nichts daran ändern, dass die erforderliche Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile in die Bildverbreitung fehlt.

3. Für die Entscheidungsübertragung besteht ein Rechtsschutzbedürfnis auch in Ansehung des Umstandes, dass die Lebensgefährtin die Fotos der Kinder nach Erlass der angefochtenen Entscheidung von ihrer Webseite und aus den sozialen Medien entfernt hat. Denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Lebensgefährtin nicht mehr über die entsprechenden Bilddateien verfügt und es künftig nicht doch wieder zu einer Auseinandersetzung über die verfahrensgegenständliche Bildveröffentlichung kommen wird. Zum effektiven Schutz der Kinder vor einer weiteren Verbreitung der Bilder ist die Entscheidungsübertragung daher noch immer geboten."


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LG Regensburg: Kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO oder wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung bei unberechtigter Sperrung eines Facebook-Accounts

LG Regensburg
Urteil vom 27.08.2019
72 O 1943/18


Das LG Regensburg hat entschieden, dass kein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO oder wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung bei unberechtigter Sperrung eines Facebook-Accounts besteht.

Aus den Entscheidungsgründen:
5. Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 BGB, 287 Abs. 1 S. 1 ZPO oder § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.

a) Die Sperrung des Klägers war rechtmäßig. Auf die Ausführungen zu Ziffer 1 wird verwiesen.

b) Selbst für den Fall der unrechtmäßigen Sperrung liegen jedoch die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung einer Geldentschädigung nicht vor, sodass unter keinen Umständen ein entsprechender Zahlungsanspruch des Klägers gegeben ist.

aa) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung begründet die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann, nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also Umfang, Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens (BGH, Urteil vom 17.12.2013, Az: VI ZR 211/12). Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger durch die teilweise berechtigte Löschung seines Beitrags und die dreitägige Versetzung in den „read only“-Modus in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt ist. Der behauptete Eingriff betrifft vorliegend jedenfalls die Sozialsphäre und gerade nicht die Privat- oder Intimsphäre. Der Kläger konnte während dieses kurzen Zeitraums weiterhin Nachrichten empfangen und wesentliche Funktionen des …-Dienstes nutzen (vgl. Auch OLG München, Beschluss vom 24.05.2019, Az: 18 U 335/19; LG Traunstein, Urteil vom 04.04.2019, Az: 8 O 3510/18).

bb) Dem Kläger ist auch kein materieller Schaden entstanden, z.B. infolge der Nutzung seiner persönlichen Inhalte durch die Beklagte während des Sperrzeitraums. Nach der sogenannten Differenzhypothese wird die tatsächlich eingetretene Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage verglichen, die ohne das haftungsbegründende Ereignis eingetreten wäre (BGH, Urteil vom 5.2.2015, Az: IX ZR 167/13). Der Schadensbegriff orientiert sich im gesamten Schadensrecht stets am Leistungsinteresse des Gläubigers. Für den vom Kläger angenommenen Schaden bzw. die behauptete ungerechtfertigte Bereicherung auf Seiten der Beklagten ist es daher nicht ausreichend, dass der Beklagten während der Dauer der Einschränkung der Benutzungsrechte des Klägers die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit von deren Daten offenstand (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 04.04.2019, Az: 8 O 3510/18).

Einen konkreten finanziellen Schaden hat der Kläger schon nicht substantiiert dargelegt. Zwar mögen seine Kommunikationsmöglichkeiten in Folge der Sperre kurzzeitig eingeschränkt gewesen sein; ein Schaden allein unter dem abstrakten Gesichtspunkt des Verlusts von Kommunikationsmöglichkeiten kommt bei einer nicht im unternehmerischen Verkehr stehenden Person nicht in Betracht. Der Kläger erhielt und erhält auch ohne Sperrung keine Lizenzgebühr für die Nutzung seiner Daten, sodass eine fiktive Lizenzgebühr von 50 Euro täglich nicht als Schaden angesetzt werden kann. Weiterhin ist fraglich, ob der Kläger selbst bereit wäre, für die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit eine tägliche Gebühr in der genannten Höhe zu zahlen. Sinn und Zweck des Schadensersatzes ist es gerade, eingetretene Schäden auszugleichen, nicht, diese überzukompensieren (vgl. BGH, Urteil vom 22.2.2018. Az: VII ZR 46/17). Das Gericht schließt sich zudem der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, derzufolge eine fiktive wie auch abstrakt-normative Schadensberechnung Ausnahmefällen vorbehalten ist (vgl. Heinemeyer: Ende der fiktiven Mängelbeseitigungskosten auch im Kaufrecht?, NJW 2018, 2441; BGH, Urteil vom 22.03.1990, Az: I ZR 59/88).

cc) Schließlich steht dem Kläger auch nach Art. 82 Abs. 2 S. 1 DSGVO kein Ersatzanspruch für materielle oder immaterielle Schäden zu. Soweit dieser Anspruch mit einer Einschränkung der Datenverarbeitung durch den Kläger infolge der Sperrung seines Nutzerkontos bei … begründet wird, ist schon der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung nicht eröffnet, die nach Art. 2 Abs. 2 c) keine Anwendung findet auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten; über persönliche Tätigkeiten hinausgehende Nutzungszwecke wurden vom Kläger nicht vorgetragen. Auch wird lediglich der Eintritt eines materiellen Schadens durch die Sperrung des Nutzerkontos behauptet, weil der Kläger gehindert gewesen sei, seine geäußerte Meinung weiter zu verbreiten, ohne diesen behaupteten Schaden konkret darzulegen oder sonst nachvollziehbar zu begründen (vgl. LG Traunstein, Urteil vom 04.04.2019, Az: 8 O 3510/18).


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